PHYSIK - Universität Innsbruck

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     ROLAND WESTER untersucht elementare chemische Reaktionen, wie sie z. B. in interstellaren Molekülwolken ablaufen.

26   zukunft forschung 02/20                                                                                 Foto: Andreas Friedle; Grafik: Tim Michaelsen
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                      GESCHWINDIGKEIT
                       DER REAKTION
   Im Frühjahr 2020 wurde der Physiker Roland Wester mit einem ERC Advanced Grant a­ usgezeichnet. In
 seinem Labor am Institut für Ionenphysik und Angewandte Physik lässt er I­onen auf Moleküle prallen und
         will nun in diesen Ionen-Molekül-Reaktionen nach Effekten der Q
                                                                       ­ uantenmechanik suchen.

W
           asserstoff (H) ist das häufigste     Der Forscher griff dabei auf spezielle         wurde gemessen, mit welcher Geschwin-
           Element im Universum, mit der      Detektoren zurück, die Ende der 1990er-          digkeit und in welche Richtung Teilchen
           Bildung eines Wasserstoffmole-     Jahre für Anwendungen in der Photo-              danach wegfliegen“, sagt Wester, der als
küls (H2) – Hauptbestandteil von inter-       physik und Photochemie gebaut wurden.            Postdoc an der University of California
stellaren Gaswolken – beginnt die Che-        „Moleküle wurden mit Laserlicht beschos-         Überlegungen anstellte, ob diese Methode
mie des Weltalls. Kosmische Strahlung         sen, damit sie platzen. Mit den Detektoren       auch bei Ionen-Molekül-Reaktionen an-
kann Wasserstoffmoleküle ionisieren, es                                                        wendbar wäre – die Umsetzung erfolgte
bilden sich Wasserstoff-Molekül­i onen                                                         in seiner Zeit an der Universität Freiburg.
(H2+). Diese Ionen können nun wieder                                                           „Wir waren die erste Gruppe, die damit
mit Wasserstoffmolekülen reagieren.                                                            angefangen hat“ erinnert er sich. Ebenso
„Diese Reaktion von H 2+ und H2 ist ei-                                                        erinnert er sich an die Aussagen mancher
ne der häufigsten Reaktionen in kalten                                                         Kollegen, dass das nie gelingen könne.
interstellaren Gaswolken“, erläutert der                                                       „Für einen Wissenschaftler auf der Suche
Physiker Roland Wester, „seit rund 100                                                         nach einem Habilitationsthema und dem
Jahren kennt man auch das Ergebnis. Es                                                         Wunsch nach einer Fixanstellung nicht ge-
bildet sich H3+ und ein Wasserstoffatom.“                                                      rade förderlich“, lacht er heute.
Was aber im Detail dabei passiert, welche
Molekülschwingungen angeregt werden,                                                                Erstmalige Beobachtung
wie viel Energie in Bewegung übergeht                                                          Der Zweifel weckte aber auch den Ehr-
etc. ist bis dato unbekannt – es fehlt ein-                                                    geiz, zudem war er Warnung, „daher
fach die experimentelle Vorrichtung, um                                                        haben wir alles doppelt und dreifach ab-
mit der dafür notwendigen Auflösung zu                                                         gesichert.“ Dem jungen Team gelang es
messen. Roland Wester will dies nun än-         IN DER VON Roland Wester konstruier-           schließlich, das Experiment erfolgreich
dern. In seinem Labor am Institut für Io-       ten Apparatur prallen zwei Gasströme bei       aufzubauen (siehe Infobox) und die Aus-
nenphysik und Angewandte Physik der             einer Geschwindigkeit von typisch rund         tauschreaktion von negativ geladenen
Universität Innsbruck soll eine Messap-         1.000 Meter pro Sekunde aufeinander.           Chlor-Atomen (Cl) mit Iodmethan-Mo-
paratur aufgebaut werden, mit der diese         Neutrales Gas expandiert aus einem             lekülen (CH3I) – es entsteht das Molekül
und andere Ionen-Molekül-Reaktionen             Druckbehälter durch ein kleines Loch ins       CH3Cl und ein negativ geladenes Jod-
exakt beobachtet werden können. So ex-          Vakuum und bildet einen millimetergroßen       Atom (I) – zu beobachten. Westers Team
akt, dass Westers Team dabei auch Effek-        Strahl. Richtung und Geschwindigkeit des       war es damit erstmals gelungen, die ato-
te der Quantenmechanik messen will.             ähnlich dünnen Ionenstrahls werden durch       mare Dynamik einer sogenannten nuk-
   Bei chemischen Reaktionen entstehen          elektrische Felder eingestellt. Im rund        leophilen Substitutionsreaktion genau zu
aus den Ausgangsstoffen neue Stoffe mit         einen Kubikmillimeter großen Kreuzungs-        beobachten.
neuen Eigenschaften, nur durch das Ver-         punkt treffen rund 100.000 Ionen auf              2010 wechselte Wester an die Universi-
ständnis ihrer Abläufe kann man etwa            Milliarden Teilchen. „Eines davon reagiert“,   tät Innsbruck und setzte hier seine Arbeit
die Herstellung von Kunststoffen und            beschreibt Roland Wester den Vorgang.          fort. „Im Laufe der letzten zehn Jahre
Medikamenten verbessern. „Wie solche            Gemessen werden dann Geschwindigkeit           sind die Experimente komplexer gewor-
chemische Reaktionen ablaufen, unter-           und Flugrichtung der Reaktionsprodukte,        den. Wir haben mit größeren Molekülen
sucht man daher seit mehr als 50 Jah-           aus den Messdaten von eingehenden und          gearbeitet, das Chlor durch andere Subs-
ren“, berichtet Wester. Mit immer wieder        ausgehenden Teilchen lässt sich ableiten,      tanzen ersetzt, das Ion zu einem Cluster
neuen Techniken wurden Moleküle be­             was im Augenblick der Reaktion geschieht       vergrößert, die Kontrolle verbessert oder
obachtet, wie sie im Vakuum miteinander         – ob sich beispielsweise Zwischenpro-          die Moleküle vor dem Experiment mit ei-
wechselwirken. Eine davon hat Roland            dukte bilden oder die Reaktionspartner in      nem Laser in Schwingung versetzt“, zählt
Wester entwickelt.                              Schwingung versetzt werden.                    Wester auf. Teilweise stieß man auch an

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     die Grenzen der Methode, etwa bei der
     Bildung von HCO+ in Reaktion mit H3+,
     „ein Prozess, der im Universum wichtig
     ist, wenn es um die Molekülbildung in
     kalten Wolken geht.“ Und trotz der vielen
     neuen Erkenntnisse, die, so Wester, „viel-
     leicht auch in der chemischen Praxis ein-
     mal eine Rolle spielen werden“, stellte er
     sich die Frage, was denn der nächste gro-
     ße Schritt sein könnte. Das Ergebnis war
     der Antrag für den ERC Advanced Grant,
     der im Frühjahr 2020 genehmigt wurde.
        „Wenn sich Atome bewegen, gehorchen
     sie den Regeln der Quantenmechanik. In
     den vielen chemischen Prozessen, die wir
     uns angeschaut haben, konnten wir das
     aber nicht auflösen – gerade in kleineren
     Systemen, wo die Bewegung nicht mehr             ROLAND WESTER (* 1971) studierte Physik zuerst an der Universität Konstanz, dann an
     klassisch ist, sondern die Quantenme-            der Universität Heidelberg, wo er 1999 dissertierte. Von 2000 bis 2002 war er Postdoc
     chanik nur noch gewisse Energiezustän-           an der University of California, Berkeley und danach wissenschaftlicher Mitarbeiter und
     de – diskrete Energieniveaus – erlaubt.          Projektleiter am Physikalischen Institut der Universität Freiburg, wo er 2007 habilitierte.
     Lasse ich etwa Moleküle schwingen, sind          Von 2008 bis 2010 übernahm er dort eine Professurvertretung. 2010 wurde er an die
     nur ganz diskrete Schwingungszustände            Universität Innsbruck an das Institut für Ionenphysik und Angewandte Physik berufen.
     energetisch erlaubt. Das heißt, lasse ich in     Wester wurde für seine Arbeiten mehrfach ausgezeichnet, unter anderem 2011 mit einem
     der chemischen Reaktion Energie frei wer-        ERC Starting Grant. 2020 wurde ihm ein ERC Advanced Grant zuerkannt, Projektstart ist
     den, muss ich eigentlich fragen: ‚Wie viele      im Jänner 2021. Für fünf Jahre stehen ihm und seinem Team für das Projekt „Dynamics of
     Quanten Energie habe ich in dem Mo-              Molecular Interactions with Ions“ bis zu 2,5 Millionen Euro zur Verfügung.
     lekül, das ich erzeuge?‘ Um das messen
     zu können, muss ich diese Quanten auf-
     lösen. Das ist – wenn ich ein Molekül mit      eine größere Gasmenge, folglich auch            vor Projekthalbzeit stattfinden“, plant der
     fünf, sechs Atomen habe und daher viele        größere Vakuumpumpen. Von Ansatz 1              Physiker und hält fest: „Ich rechne damit,
     Quantenzustände möglich sind – extrem          erwartet sich Wester eine Verbesserung          dass wir für eine Reihe von chemischen
     schwierig“, beschreibt er das Problem, das     um „Faktor fünf, vielleicht zehn“. Der –        Prozessen neue Erkenntnisse bekommen.“
     er nun mit einer neuen Apparatur lösen         ambitionierte – Ansatz 2 sieht vor, nicht
     will. Mit ihr soll – für elementare Reaktio-   nur die Geschwindigkeit des wegfliegen-                  Chemie des Weltalls
     nen aus drei bis vier Atomen – die Auf-        den Ions zu messen, sondern auch die des        Eine der ersten Reaktionen, die Wester
     lösung so gut sein, dass die quantenme-        neutralen Produkts und die Differenz zu         mit seinen Mitarbeitern untersuchen will,
     chanischen Energiezustände sichtbar wer-       berechnen. „Dazu muss – ohne das ge-            ist die häufigste Reaktion in kalten inter-
     den, dass die Geschwindigkeit, mit der         samte Ensemble zu zerstören – das neut-         stellaren Gaswolken, jene von H2+ und H2
                                                    rale Teilchen in ein Ion umgewandelt und        , um die Quantenzustände, die H3+ ein-
     „Wir verfolgen einen                          dann gemessen werden. Gelingt uns das,          nimmt, zu messen. Als sehr spannend be-
       ­ambitionierten Ansatz. Gelingt              bekommen wir eine so gute Auflösung,            zeichnet er auch die Reaktion von H2+ mit
        es uns, bekommen wir eine so                dass wir – verschiedene – Schwingungs-          Kohlenstoffmonoxid (CO), dem zweit-
                                                    quanten trennen können“, hofft Wester.          häufigsten Molekül im Weltall. Das Er-
        gute Auflösung, dass wir – ver-
                                                       Manche der benötigten Komponenten            gebnis der Reaktion ist HCO+ und H2, das
        schiedene – Schwingungsquanten              für dieses Experiment sind in der ein-          Proton kann sowohl auf die Kohlenstoff-
        trennen können.“          Roland Wester
                                                    schlägigen Community etabliert, so an-          als auch auf die Sauerstoff-Seite des
                                                    gewendet wurden sie allerdings noch nie.        HCO+-Moleküls übertragen werden. „Bis-
     Teilchen nach der chemischen Reaktion          Erster Schritt für sein aus drei Postdocs       lang konnte aber noch nicht nachgewie-
     „wegfliegen“, so genau gemessen wird,          und zwei bis vier Dissertanten bestehen-        sen werden, wie häufig es welche Seite
     dass sie keine breite Kurve mehr ist, son-     des Team wird die Arbeit an einem „Digi-        wird“, beschreibt Wester sein Erkenntnis-
     dern diskret – mit scharfen Linien – wird.     tal Twin“, um die benötigten Systeme für        ziel. Der kleine, aber feine Unterschied
     Roland Wester: „Das wäre ein Novum.“           Laser, Vakuum und Optik zu entwerfen,           bedeutet nämlich, dass die Produkte in
       Das Team verfolgt dabei zwei Ansätze.        Baubeginn wird nicht vor Sommer 2021            der interstellaren Chemie verschiedene
     Nummer 1 verlangt eine größere Appara-         sein. Anfang 2022 sollte die neue Appara-       Pfade einschlagen. Pfade, die in den kal-
     tur. Um besser messen zu können, soll die      tur aufgebaut sein, danach werden noch          ten interstellaren Molekülwolken ent-
     Wiederholfrequenz von 20 auf 200 mal pro       etliche Monate fürs Feintuning benötigt.        scheidend sein können, wie Sterne und
     Sekunde gesteigert werden. Dies verlangt       „Das erste erfolgreiche Experiment soll         welche Art von ihnen entstehen. ah

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