Polizeiliche Ermittlungen in "Loverboy"-Fällen - Verlag ...
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.SIAK-JOURNAL 4/2021
Polizeiliche Ermittlungen
in „Loverboy“-Fällen
Der Modus Operandi der „Loverboys“ –
Herausforderungen der Strafverfolgung im
Deliktsbereich Menschenhandel
Die Strafverfolgung im Deliktsbereich des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen
Ausbeutung – oder kurz Zwangsprostitution, wie es seit 2016 im deutschen Strafrecht
heißt – ist mit zahlreichen Herausforderungen verknüpft. Der zeitliche und personelle
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Aufwand, den die Polizei betreiben muss, um ein Ermittlungsverfahren zu initiieren
und erfolgreich abzuschließen, ist enorm und nach wie vor stark an den Personalbeweis
in Form von glaubhaften Aussagen durch (Opfer-)Zeuginnen und (Opfer-)Zeugen ge-
bunden. Zeitgleich ist die Aussagebereitschaft der Opferzeuginnen in der Regel g ering.
Neben der Angst vor Repressalien durch den Täter können auch Scham, mangelndes
Vertrauen in die Strafverfolgungsbehörden oder ein geringes Opferbewusstsein die
MASCHA KÖRNER, Aussagebereitschaft beeinflussen. Bei sogenannten „Loverboy“-Fällen – einem Modus
Kriminologische Forschungsstelle Operandi im Deliktsbereich Menschenhandel/Zwangsprostitution – entsteht ein wei
des LKA Niedersachsen.
teres Hemmnis: Durch die fingierte Liebesbeziehung bauen die Betroffenen eine emo
tionale Bindung zum Täter auf, wodurch die Loslösung (aus) der Zwangslage erschwert
wird. Der Zugang zu den Betroffenen gestaltet sich entsprechend schwierig. Im Beitrag
werden diese und weitere Herausforderungen aus der Perspektive der Strafverfolgungs
praxis beleuchtet sowie konkrete Hinweise und Empfehlungen für die Verfahrensinitiie-
rung und Sachverhaltsaufklärung abgeleitet. Die Erkenntnisse stammen aus qualitativen
Interviews mit Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten aus dem deutschen Bundesgebiet,
die seit durchschnittlich neun Jahren schwerpunktmäßig im Bereich Menschenhandel
und Milieukriminalität tätig sind. Sie wurden als Vorbereitung eines Promotionsprojekts
zur „Loverboy“-Methode im Zeitraum von 2017 bis 2019 erhoben, kommunikativ vali-
diert und zusätzlich durch die Expertise von der Fachabteilung des Landeskriminalamts
Niedersachsen auf Aktualität geprüft und thematisch ergänzt.
1. EINFÜHRUNG IN DEN
PROBLEMBEREICH
Die sogenannte „Loverboy“-Methode be- meist junge Frau der Prostitution zuzufüh-
zeichnet einen Modus Operandi im De- ren (vgl. z.B. BKA 2017, 9; CCV 2012,
liktsbereich Menschenhandel/Zwangs- 15). Anhand der Visualisierung zweier
prostitution (MH/ZP) gem. §§ 232, 232a als typisch eingeschätzter Loverboy-Fälle
StGB1, bei dem der Täter2 über eine fin- lassen sich Phasen, Vorgehensweisen und
gierte Liebesbeziehung eine emotionale Vulnerabilitätsfaktoren nachvollziehen
Abhängigkeit forciert, um darüber die (vgl. Abbildung 1).
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Quelle: Körner, inhaltlich basierend auf BKA 2018, 13; BKA 2019, 15
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Abb. 1: exemplarischer Fallverlauf
Der eigeninitiierte Ausstieg aus der Zwangs Völschow 2018, 32 f; Follmar-Otto/Rabe
prostitution z.B. durch eine Anzeigener- 2009, 28, 61). Im aktuellsten Evaluations-
stattung bei der Polizei wird nicht nur bericht des Monitoring-Zusammenschlus-
durch das enorme Einwirken des Täters auf ses GRETA (für Deutschland) wird daher
die Betroffene erschwert; Scham, Tabui der besondere Sensibilisierungs-, Präven-
sierung, mangelndes Opferbewusstsein tions- und Interventionsbedarf im Zusam-
und die emotionale Bindung an den T äter menhang mit der Loverboy-Methode iden-
bei zeitgleicher Isolation vom sozialen tifiziert (vgl. Council of Europe 2019, 7, 16,
Umfeld sind weitere Faktoren, die die Aus- 22, 65).
sagebereitschaft mindern und damit den Bei der ohnehin herausfordernden Ver-
Zugang zu den Opfern merklich erschwe- fahrungsinitiierung muss nun auch die
ren (vgl. Körner/Völschow 2018, 32 f; Verlagerung der Kontaktaufnahme und
Müller-Güldemeister 2011, 22 f). Kommunikation in den digitalen Raum
Das spiegelt sich auch im sogenannten über Social Media wie Instagram, Face-
Hellfeld – also den polizeilich bekannt book, TikTok, Snapchat oder auch Da-
gewordenen Fällen – wider. Wie bei allen ting-Plattformen wie Tinder, Lovoo, – in
Kontrolldelikten wird die Fallanzahl maß- Fachkreisen auch „Loverboy-Methode 2.0“
geblich von der polizeilichen Aktivität genannt – entsprechende Berücksichti-
bestimmt3, sodass die Anzahl der Ermitt- gung finden (vgl. CCV 2012, 18 f; Kra-
lungsverfahren nicht als repräsentatives mer 2020, 438; BKA 2018, 10). Derartige
Abbild des tatsächlichen Auf kommens Kommunikationswege sind der Loverboy-
oder gar als Hinweis auf die Relevanz des Methode in zweierlei Weise zuträglich.
Phänomens gewertet werden kann. Das Einerseits bieten soziale Plattformen den
Dunkelfeld wird im Bereich Menschen- Tätern einen weitestgehend anonymen
handel generell als hoch vermutet; auch bei Raum, in dem gezielt über öffentlich ein-
der Loverboy-Methode scheint dies nicht sehbare Informationen und Bilder nach
anders zu sein (vgl. BKA 2019, 34; K örner/ potenziellen Opfern gesucht werden kann
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(vgl. CCV 2012, 18). Andererseits geht schutzgesetzes (ProstSchG) hinsichtlich
die Interaktion im Digitalen auch oft mit möglicher Einschränkungen oder Auswir-
einer gewissen Sorglosigkeit bzw. vermin- kungen auf die polizeiliche Arbeit in den
derten Hemmschwelle hinsichtlich des Blick genommen, ohne dabei detailliert in
Austauschs über persönliche und intime grundsätzliche Erklärungen oder Debatten
Inhalte einher, wodurch sich wiederum im Gesetzgebungsverfahren einzusteigen.4
verbesserte Einstiegsmöglichkeiten für
Täter ergeben, um innerhalb kürzester Zeit 2.1.1 Straftatbestand Menschenhandel/
ein Vertrauensverhältnis aufzubauen (vgl. Zwangsprostitution
CCV 2012, 18 f; Rack/Sauer 2020, 24 f). Mit der Ratifizierung der Richtlinie
Erste Einschätzungen zu den Auswir- 2011/36/EU des Europäischen Parlaments
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kungen der Kontaktbeschränkungen und und des Rates in die nationale Gesetzge-
Social-Distancing-Verordnungen im Zuge bung ging von Strafverfolgungsseite die
des COVID-19-bedingten veränderten Zu- Hoffnung einher, fortan auf leichter hand-
sammenlebens zeigen, dass insbesondere habbare Straftatbestände zurückgreifen zu
junge Frauen aktuell unter einem verstärk- können (vgl. BKA 2016a, 1; Bundesregie-
ten Einsamkeitsgefühl leiden (vgl. Schmid rung/Deutscher Bundestag 2016a). Drei-
2020; pronovaBKK o.J.). Inwiefern dies einhalb Jahre nach Ablauf der Frist fand
auch Auswirkungen auf die Loverboy- mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbes-
Methode 2.0 hat, kann zum jetzigen Zeit- serung der Bekämpfung des Menschen-
punkt nur vermutet werden. Denkbar wä- handels am 16.10.2016 in Deutschland die
re, dass derzeit vermehrt Bekanntschaften Umsetzung statt. Die neuen Straftatbestän-
über soziale Medien gesucht werden und de orientieren sich stärker an der internati-
Täter zeitgleich aufgrund erhöhter sozialer onal anerkannten UN-Definition im Art. 3
Bedürftigkeit einen leichteren Einstieg bei des sog. Palermo-Protokolls (vgl. United
ihrem gezielten Umwerben potenzieller Nations 2000). Der vormals unter § 232
Opfer erfahren. Weiterhin führen die (tem- StGB (a.F.) gefasste Straftatbestand Men-
porären) Schließungen der bordellartigen schenhandel zum Zweck der sexuellen
Betriebe dazu, dass sich das Prostituti- Ausbeutung ist mit leichten Veränderun-
onsgewerbe vermehrt in den privaten und gen in den § 232a StGB Zwangsprostitution
damit kaum zu kontrollierenden Bereich übergegangen (vgl. BMJV 2016) (siehe
verlagert und somit die Zugangswege für Abbildung 2).
die Polizei nachhaltig erschwert werden.
Quelle: Körner
2. ZENTRALE HERAUSFORDE
RUNGEN
2.1 Gesetzliche Regelungen und deren
Folgen für die polizeiliche Praxis
Bevor eine chronologische Betrachtung
der Vorgehensweisen und Herausforde-
rungen im Ermittlungsverfahren (EV) er-
folgt, werden zunächst Elemente der im
Oktober 2016 in Kraft getretenen Straftat-
bestände §§ 232, 232a StGB sowie des Abb. 2: Auszug Zwangsprostitution gem.
seit Juni 2017 geltenden Prostituierten- § 232a StGB
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Obwohl es in der EU-Richtlinie in Art. nach Einführung bestätigen erste Eindrü-
1, Abs. 15 wörtlich heißt, „damit die Er- cke aus der Strafverfolgungs- und Verur-
mittlungen und die Strafverfolgung bei teilungspraxis diese Einschätzung, sodass
Menschenhandelsdelikten erfolgreich auch weiterhin zu befürchten ist, dass auf
durchgeführt werden können, sollte deren leichter nachweisbare Straftatbestände
Einleitung grundsätzlich nicht von der ausgewichen wird, wodurch wiederum die
Anzeige oder Anklage durch das Opfer Erhellung des Dunkelfelds ausbleibt und
abhängig gemacht werden“, scheint dieser komplexe Strukturen sich weiter ausbauen
Aspekt in den Neuregelungen ersten Ein- können5.
schätzungen zufolge weiterhin unzurei- Hier schließt sich die Problematik des
chend berücksichtigt (vgl. BKA 2016a, 4; Strafmaßes an, das mit Blick auf die be-
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Renzikowski 2017, 358–363). Diesbezüg- gangene schwere Menschenrechtsverlet-
licher Änderungsbedarf wurde beim alten zung als zu gering erachtet wird. Gerade
Straftatbestand u.a. in der Formulierung weil der Abschluss eines Strafverfahrens
des „Dazu-Bringens“ gesehen, nach der nicht selten auch über einen sogenannten
der Entschluss zum ausbeuterischen Be- Deal stattfindet und sich das dabei abge-
schäftigungsverhältnis mit einer Willens- sprochene Strafmaß – verglichen z.B. mit
beeinflussung durch die Tatperson einher- Betäubungsmitteldelikten – in der Regel
geht, die „prinzipiell nur im Rahmen einer auf einem niedrigen Niveau bewege, sehen
Opferaussage bestätigt werden [kann], da die befragten Vertreterinnen und Vertre-
es […] nahezu unmöglich [ist], von außen ter der Fachkommissariate die notwen
anhand von rein objektiven Kriterien zu dige Signal- und Abschreckungswirkung
belegen, ob und wie ein Entschluss her- verfehlt. Ein geringes Strafmaß oder eine
vorgerufen wurde“ (BKA 2016a, 2). Eine niedrige Verurteilungsquote führe nicht
Bindung erfolgreicher Strafverfolgung an zuletzt auch dazu, dass für Betroffene die
die Opferaussage ist in dem Deliktsbe- Motivation zur Anzeige sinke bzw. eine
reich jedoch höchst problematisch, da die erhoffte deutliche strafrechtliche Kon-
Anzeige-/Aussagebereitschaft aus Angst sequenz nicht eintrete, sodass die hohe
vor Repressalien, Misstrauen gegenüber psychische Belastung, der Opfer während
den Strafverfolgungsbehörden oder auch eines Strafverfahrens ausgesetzt sind, zum
Scham sehr gering ist (vgl. Helfferich et Leidwesen der Befragten nicht immer in
al. 2010, 1; BKA 2016a, 2 f). Mit der Neu einem angemessenen „Kosten-Nutzen-
formulierung des „Veranlassens“ sollte Verhältnis“ stünde.
nunmehr ein breiteres Verständnis geschaf- Es wäre nach Einschätzungen aus der
fen werden, unter das auch jegliche psy- Strafverfolgungspraxis daher erstrebens-
chische Beeinflussungen zu subsumieren wert, objektive Parameter festzulegen,
sind, o hne eine „besondere Intensität durch die bei einer stabilen Beweislage
oder Hartnäckigkeit“ (Bundesregierung/ eine Verurteilung bzw. zumindest eine
Deutscher Bundestag 2016a, 33) voraus- Verfahrensinitiierung nicht allein auf der
zusetzen. Expertinnen und Experten be- Opferaussage aufbauen muss.
fürchten jedoch auch hier Einschränkun-
gen einer effektiven Strafverfolgung, da je 2.1.2 Prostituiertenschutzgesetz
nach Rechtsauslegung der Nachweis des Mit dem Ziel der Nachbesserung des seit
„Veranlassens“ ebenfalls eine Opferaus 2002 geltenden Prostitutionsgesetzes ist
sage erfordern könnte (vgl. BKA 2016a, 4; am 01. Juli 2017 das Prostituiertenschutz-
Renzikowski 2017, 362). Fast fünf Jahre gesetz (ProstSchG) in Kraft getreten, um
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u.a. durch strengere gewerberechtliche berinnen und -betreibern bzw. auch mit
Regelungen und Arbeitsauflagen die Ar- den in der Prostitution tätigen Personen
beitsbedingungen der Prostituierten zu entstanden ist und diese nicht fortgeführt
verbessern. Die nun verpflichtende (ge werden kann. Das Bundeskriminalamt
sundheitliche) Beratung und A nmeldung bringt den zuletzt beobachteten Rückgang
kann ferner die Identifizierung von Zwangs- der Fallzahlen u.a. mit der Umsetzung des
prostitution erleichtern (vgl. Bundesregie- ProstSchG in Verbindung, da „in einigen
rung/Deutscher Bundestag 2016b; BMFSFJ Ländern Kontrollen im Zusammenhang
2015, 31–33). Dies wiederum setzt spe- mit dem ProstSchG von Ordnungsbehör-
ziell geschultes Personal voraus, um ge- den durchgeführt werden, die den Fokus
rade Personen als potenzielle Opfer zu ihrer Tätigkeit weniger auf die Identifizie-
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erkennen, die sich in emotionalen Abhän- rung von Menschenhandelsopfern legen
gigkeitsverhältnissen befinden und ggf. dürften“ (BKA 2019, 9). Zeitgleich kann
(noch) kein Unrechtsbewusstsein entwi- aber auch auf erfolgversprechende Koope-
ckelt haben (vgl. Council of Europe 2019, rationen zwischen Polizei und Ordnungs-
26–30; Hoffmann 2013, 18 f; Helfferich et amt in Frankfurt a.M. verwiesen werden,
al. 2010, 138–140). Die Gestaltung der Be- um die für die Strafverfolgung notwen-
ratung liegt in der Länderverantwortlich- digen Kontrollanlässe weiterhin uneinge-
keit; inwiefern spezifische Schulungen für schränkt ausführen zu können (vgl. ebd.).
Beraterinnen und Berater vorgesehen sind, Auf dem Weg hin zu einer funktionieren-
unterscheidet sich damit bundesweit (vgl. den Kooperation sollten die beiden Akteure
BMFSFJ 2020; MHKBG NRW 2019, 5). zunächst die (1) Überschneidungen bzw.
Es bleibt zu befürchten, dass sich erzwun- Zielsetzungen bei Milieukontrollen iden-
gene Prostitutionshandlungen – also auch tifizieren, (2) unter Einbezug der rechtli-
jener in Loverboy-Fällen – zur Umgehung chen Rahmung konkrete Maßnahmen zur
der Anmeldung in den privaten, nicht kon- Optimierung der Arbeitsabläufe abstim-
trollierbaren Bereich verlagern, „wo sie für men, um abschließend (3) durch Koope-
Behörden und Beratungseinrichtungen nur rationsvereinbarungen die langfristige Zu-
noch schwer zu erreichen sind“ (MHKBG sammenarbeit zu beschließen.
NRW 2019, 7) und damit die Erhellung
des Dunkelfelds ausbleibt. 2.2 Möglichkeiten der Verfahrens
Problematisch erweist sich aus polizei initiierung
licher Sicht auch die Formulierung „zu- Vor dem Hintergrund der gesetzlichen
ständige Behörde“ im Zusammenhang mit Rahmung werden nachfolgend erfolgver-
der Überwachung des Prostitutionsge sprechende Möglichkeiten der Verfahrens
werbes, da auf kommunaler Ebene p rimär initiierung skizziert, wobei der Fokus auf
das Ordnungsamt mit entsprechenden dem Zugang zum Opfer liegt, da der Per-
Entscheidungs- und Organisationsbefug- sonalbeweis weiterhin wesentlicher Gelin-
nissen ausgestattet wird (vgl. Bundes- gensfaktor bei der Initiierung eines Ermitt-
regierung/Deutscher Bundestag 2016b, lungsverfahrens bleibt.
§ 30 Abs. 1 ProstSchG). Dies wiederum er-
weist sich dahingehend als nicht optimale 2.2.1 Milieukontrollen und Vertrauens
Lösung, wenn zuvor im Rahmen regelmä- aufbau
ßiger Milieukontrollen bereits eine funk- In der Regel führen Fachkommissariate
tionierende Arbeitsbeziehung zwischen mehrmals wöchentlich Milieukontrollen in
Fachkommissariat und den Bordellbetrei- Bordellen oder Terminwohnungen durch.
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Derartige Maßnahmen sind ressourcenauf- levantes Merkmal in Betracht gezogen
wendig und setzen eine entsprechende per- werden (vgl. van San/Bovenkerk 2013, 72),
sonelle Ausstattung voraus. Wird der per- weil sich hieraus eine bessere polizeiliche
sonelle Bedarf für Fachkommissariate nun Handhabe ergibt. Ist die junge Frau un-
aber an abgeschlossenen EV bemessen, ist ter 21 Jahre alt und fällt damit unter die
dies als wenig zielführendes Referenzmaß Schutzaltersgrenze gem. § 232a Abs. 1
zu betrachten, da die Fallzahlen bekannt- StGB, kann sie nämlich zur Klärung der
lich nicht das tatsächliche Aufkommen Freiwilligkeit der Prostitutionstätigkeit
abbilden. Kürzungen am Personal würden außerhalb der bordellartigen Einrichtung
daher zwangsläufig die Abnahme von EV- befragt werden. Regelmäßige Milieukon-
Zahlen nach sich ziehen, da Verfahrens trollen erzeugen aber auch langfristige
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initiierungen im Deliktsbereich Menschen Zugangsmöglichkeiten, wenn die Polizei-
handel im engen Zusammenhang mit der beamtinnen und -beamten durch konstante
polizeilichen Aktivität stehen (vgl. Körner/ Präsenz als verlässliche, vertrauenswürdi-
Völschow 2018, 37). In den vergangenen ge Ansprechpersonen erkannt und akzep-
fünf Jahren sind durchschnittlich 55 % der tiert werden.
EV auf polizeiliche Aktivitäten zurückzu- Im Umgang mit dem potenziellen Opfer
führen (eigene Rechnung vgl. BKA 2015, gilt es neben dem Setting – ein Gespräch
4; BKA 2016b, 6; BKA 2017, 7; BKA sollte stets im geschützten Rahmen außer
2018, 6; BKA 2019, 8). Hörweite von anderen Prostituierten oder
Dieser hohe Anteil verdeutlicht, „wie dem Zuhälter erfolgen – drei wesentliche
wichtig proaktive polizeiliche Aktivitä- Aspekte zu beachten:
ten im Kriminalitätsbereich der sexuellen (1) Die Haltung, mit der die Polizeibe-
Ausbeutung sind, um Ermittlungsverfah- amtin bzw. der Polizeibeamte in die In-
ren einleiten zu können“ (BKA 2019, 9). teraktion tritt, ist entscheidend dafür, in-
Milieukontrollen bieten hier Mehrwert wiefern die Betroffene Vertrauen fasst und
in kurz- wie auch langfristiger Form. ein nachhaltiger Zugang hergestellt wird.
Während der Kontrolle können erste Ver- Dafür ist es unabdingbar, sich auf einen
dachtsmomente entstehen, wenn Ausweis- Perspektivenwechsel einzulassen und zu
papiere der Prostituierten nicht zugänglich verstehen, dass – im Sinne eines konst-
sind oder über Dritte ausgehändigt werden ruktivistischen Verständnisses – Situati-
oder Zweifel an der legalen Erwerbstätig- onen und Gesprächsinhalte stets vor dem
keit durch fehlende EU-Staatsangehörig- eigenen Erfahrungshintergrund bewertet
keit bestehen. Die Anwerbung über die und interpretiert werden (vgl. Ellis 1977)
Loverboy-Methode wird bisherigen Er- (siehe Abbildung 3, Seite 34).
kenntnissen nach jedoch primär bei inlän- Wie eingangs beschrieben, befindet sich
dischen Personen angewandt (vgl. Müller- die Betroffene in einer emotionalen Bin-
Güldemeister 2011, 22, 27; Scheer/Dufner dung zum Täter und hält ggf. an der kürz-
2015, 19–23; Zietlow/Baier 2018, 52 f), lich noch versprochenen gemeinsamen
sodass die ausländerspezifische Hilflosig- Zukunft bzw. der als kurzzeitig in Aus-
keit (gem. § 232a Abs. 1 StGB) ein weni sicht gestellten Prostitutionstätigkeit fest
ger greif barer Ansatz für polizeiliche (vgl. Abbildung 1, Seite 29). Aus Liebe
Maßnahmen zu sein scheint. Bei diesem und dem Wunsch nach Zuneigung und
Modus Operandi wird vielmehr das (sehr) Anerkennung verhält sie sich loyal oder er-
junge Alter der Opfer als charakteristisch kennt in dieser „Verliebtheits-Phase“ ggf.
beschrieben und sollte daher stets als re- auch nicht das Unrecht, das ihr durch die
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Quelle: Körner, basierend auf Müller-Güldemeister 2011, 22–24
werden. Die Beamtinnen und Beamten
sollten sich auch ihrer polizeigeprägten
Sprache bewusst sein und beachten, dass
es nicht grundsätzlich als mindere kogni-
tive Leistung einzuschätzen ist, wenn Ver-
ständnisprobleme entstehen. Es erweist
sich als förderlich, die Sprache dem Ge-
genüber anzupassen, sodass Fachtermini
oder verklausulierte Sätze keine künstli-
che Distanz erzeugen (vgl. Körner et al.
2017, 115–118).
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(3) Beim Umgang mit den potenziellen
Opfern spielt der Faktor Zeit ebenfalls
eine entscheidende Rolle. Auch wenn im
polizeilichen Kontext ein gewisser Druck
Abb. 3: Beispiele differenzierter Wahrnehmung hinsichtlich des Arbeitsnachweises über
numerische Werte besteht oder die Fallbe-
erzwungene Prostitution widerfährt. Auch arbeitung zügig zu erkennbaren Ergebnis-
kann bereits psychische oder physische sen führen soll, sollte beim übergeordne-
Gewalt erfolgt sein, wodurch die Betroffe- ten Ziel der Verfahrensinitiierung über den
ne erpresserisch oder unter Gewaltanwen- Vertrauensauf bau zu Prostituierten stets
dung von einer Anzeige bei der Polizei ohne Hektik und Zeitnot agiert werden.
abgehalten wird (vgl. CCV 2012, 16–18; Dies bemerkt schließlich auch das Gegen-
Kähler 2015, 202–206; Helfferich et al. über. Angesichts der komplexen emotiona-
2010, 138–140; Müller-Güldemeister 2011, len Verstrickung, oftmals über einen län-
22–24; BKA 2019, 10). Vor diesem Hinter- geren Zeitraum hinweg, und bestehenden
grund gilt es daher, eine verständnisvolle, Unsicherheiten und Ä ngsten ist nicht zu
empathische und zugleich Schutz bieten- erwarten, dass sich ein „Loverboy“-Opfer
de Haltung zu signalisieren, um mögliche innerhalb von wenigen Minuten einer bis
Vorbehalte, Ängste und Unsicherheiten dato fremden Person anvertraut. Vielmehr
abzubauen. gilt es, non-verbale Signale oder Andeu-
(2) Selbst wenn das Verhalten der Be- tungen als Hinweise auf eine Zwangslage
troffenen aus der polizeilichen Perspek- zu erkennen, indem mit äußerster Sensi-
tive wenig nachvollziehbar erscheint, bilität und Offenheit vorgegangen wird.
darf weder wertend, belehrend noch vor- Lässt es die Situation in authentischer
wurfsvoll kommuniziert werden, da dies Weise zu, über ein unverfängliches Thema
den Vertrauensauf bau nachhaltig stört. (wie z.B. ob die Person aus dieser Stadt
Die Haltung spiegelt sich auch in einer kommt oder hier Freunde und Familie hat)
respektvollen und zugewandten Kommu- eine angenehme Gesprächsatmosphäre
nikation wider. Bei der Anrede z.B. pau- aufzubauen, kann sich parallel dazu ein
schal die Du-Form zu wählen, kann als Eindruck vom Habitus und auch der kör-
fehlender Respekt oder Hierarchie forcie- perlichen wie psychischen Verfassung ver-
rend wahrgenommen werden. Wird hinge- schafft werden.
gen im Einverständnis das „Du“ gewählt, Auch wenn sich die Person nicht direkt
kann darüber auch Distanz abgebaut und anvertraut, sollten Hilfs- und Schutzan-
eine vertrauensvolle Interaktion initiiert gebote von Seiten der Polizei sowie die
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eigene Erreichbarkeit in vertraulicher auch forcieren die FBS nicht zwangsläu-
Form vermittelt werden. Dies erhöht die fig die Anzeigenerstattung. Allerdings
Chance, dass bei der Entscheidung zur kann im Zuge des Stabilisierungsprozes-
Anzeige die Betroffene auf eine für den ses und nach Verdeutlichung der (rechtli-
Deliktsbereich sensibilisierte polizeiliche chen) Möglichkeiten bei den Betroffenen
Ansprechperson trifft. Darüber hinaus die Bereitschaft entstehen, sich der Polizei
sollte auch auf die Unterstützungsmög- anzuvertrauen, wobei sie durch die FBS
lichkeit durch eine Fachberatungsstelle unterstützt werden (vgl. Tanis/R ichter
Menschenhandel (FBS) hingewiesen wer- 2015, 173–176; Ott 2017, 225–228; Kähler
den, mit der im Idealfall eine enge koope- 2015, 195–205). Eine enge, möglichst of-
rative Zusammenarbeit besteht. fiziell geregelte Vernetzung zwischen
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FBS und Fachkommissariaten-Milieu er-
2.2.2 Kooperation mit Fachberatungs weist sich spätestens an dieser Stelle als
stellen Menschenhandel relevant, um eine Kontaktaufnahme über
Wird für die Polizei während einer Milieu kurze Wege zu initiieren. Vorbild für eine
kontrolle eine akute Notlage erkennbar, institutionelle Verankerung der Zusam-
leisten die FBS wertvolle und entlastende menarbeit können das über die Bund-Län-
Arbeit, wenn zügig die Unterbringung in der-Arbeitsgruppe Menschenhandel ent-
eine Schutzunterkunft organisiert wird, wickelte Kooperationskonzept oder auch
sodass der Unterstützungs- und Stabilisie- Umsetzungen auf Länderebene, wie z.B.
rungsprozess direkt beginnen kann. Dies der zuerst 2014 v erabschiedete und 2020
wiederum wirkt sich auch auf die Sta- aktualisierte Runderlass zur „Zusammen-
bilität der Betroffenen in ihrer Rolle als arbeit zum Schutz von Betroffenen des
Opferzeugin aus. Gerade im Zusammen- auf sexuelle Ausbeutung gerichteten Men-
hang mit dem „Loverboy“-Phänomen ist schenhandels und der Zwangsprostituti-
bei den Betroffenen ein oft ambivalentes on“ in Niedersachsen, sein (vgl. BMFSFJ
Verhalten zu beobachten und – ohne ent- 2007; Niedersächsisches Ministerium für
sprechend engmaschige Betreuung – die Inneres und Sport/Niedersächsisches Mi-
Rückkehr zum Täter wahrscheinlich (vgl. nisterium für Soziales, Gesundheit und
Kähler 2015, 205). Gleichstellung/Niedersächsisches Justiz-
Doch auch außerhalb von Kontrollen ministerium 2020).
kann die Kooperation zwischen der Poli-
zei und den FBS verfahrensunterstützend 2.3 Ausermittlung des Straftatbestands
sein, wobei zunächst die Differenz des je- Wurde mit einer erfolgreichen Verfahrens
weiligen beruflichen Auftrags verstanden initiierung die erste Hürde des Strafverfah-
und akzeptiert werden muss. So ist weder rens erfolgreich genommen, gilt es nun,
die psychosoziale Beratung z entraler Ge- den Straftatbestand auszuermitteln. Dieser
genstand polizeilicher Arbeit, noch wer- Abschnitt widmet sich verschiedenen Er-
den Fachberatungsstellenmitarbeiterinnen mittlungsansätzen und Herausforderun-
versuchen, polizeilich relevante Informati- gen, die insbesondere bei Loverboy-Fällen
onen im Gespräch „auszuermitteln“ (wei- zum Tragen kommen, wobei auch hier ins-
terführend zum Mandat und der Arbeit der besondere der Personalbeweis Aufmerk-
FBS vgl. Tanis/Richter 2015, 173–176). Die samkeit erhält.
Beratung bei einer FBS setzt auch nicht vo-
raus, dass das Opfer über eine Anzeigener- 2.3.1 Verdeckte Ermittlungsphase
stattung als solches ausgewiesen wurde; Erste Anhaltspunkte oder Hinweise auf
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eine sexuelle Ausbeutung führen nicht Nun stellt sich die Frage, inwiefern die
zwangsläufig zu einem offenen EV. Es Loverboy-Methode durch eben solche
kann durchaus sinnvoll sein, zunächst im Täterstrukturen als gezielte Anwerbungs-
Verdeckten ermittelnd tätig zu werden, um methode genutzt wird oder ob der Lover-
die Beweislage auf ein stabileres Funda- boy – wie es sich aufgrund der bilateralen
ment zu stellen, (weitere) Täter und Opfer Verbindung zwischen Täter und Opfer
zu identifizieren und die Aufklärung und vermuten lässt – als Einzeltäter agiert. Ein-
Zurechnung einzelner Tatbeiträge voran- schätzungen dazu lassen sich derzeit vor
zubringen. allem aus Einzelfällen und einer niederlän-
Um strafbare Handlungen und/oder per- dischen Täterbefragung mit Loverboys ab-
sonelle Verbindungen nachvollziehen zu leiten. Van San und Bovenkerk (van San/
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können, bieten sich verdeckte Observatio Bovenkerk 2013) stellen dabei fest, dass
nen, Telekommunikationsüberwachung die Täter außerhalb der sexuellen Aus-
(TKÜ) und – je nach Verfahrensgegen- beutung in kleinere kriminelle Netzwerke
stand – auch der Einsatz von verdeckten eingebunden sind, die allerdings primär
Ermittlern (VE) und nicht offen ermit- auf einer „Gelegenheitsbasis“ arbeitsteilig
telnden Polizeibeamtinnen und -beamten agieren. Es wird in den Niederlanden also
(NoeP) an, um ein stabiles Beweisfunda- weniger von komplexen Organisations-
ment aufzubauen. Allerdings handelt es netzen, sondern vielmehr von kriminellen
sich hierbei um kosten- und zeitaufwen- Gelegenheitsstrukturen gesprochen (vgl.
dige Vorgehensweisen, die auch oft an die hierzu auch CCV 2012, 22). Im Gegensatz
Bedingung einer Opferaussage geknüpft dazu werden nach Auskunft der Befragten
werden, sodass auch aus formalen Grün- im deutschen Bundesgebiet vereinzelt or-
den nicht darauf zurückgegriffen wird. ganisierte Strukturen festgestellt, die sich
Nicht zuletzt können Strukturermitt- im Rockermilieu und/oder grenzüber-
lungen, die im Zusammenhang mit orga- schreitend mit Ausgangspunkt in Südost-
nisierter Kriminalität Anwendung finden, europa ansiedeln.
Hinweise auf bislang unbekannte Tatbetei- Das Spektrum reicht, den Fallbeschrei-
ligungen und Funktionen der kriminellen bungen nach zu urteilen, von allein – ggf.
Netzwerke liefern. Auch wenn sich dies gar aus einer Gelegenheit heraus – agie-
nicht überdeutlich in den Hellfelddaten renden Tätern über mehr oder weniger
zeigt, belegen Einzelfälle im Deliktsbereich strukturierte Verbindungen mit arbeitstei-
Menschenhandel/Zwangsprostitution, dass ligem Vorgehen bis hin zu vereinzelt auch
mitunter organisierte kriminelle Struktu- in größere (Rocker-)Gruppierungen in-
ren aktiv sind. In den vergangenen fünf volvierte Täter, sodass Taktiken in EV im
Jahren wurden rund 1,5 Tatverdächtige (TV) „Loverboy“-Kontext nicht von vornherein
pro EV ermittelt, wobei als limitierender die Ausermittlung von weiterreichenden
Faktor zu beachten ist, dass es formal aus- Täterstrukturen ausschließen sollten.
reicht, einen TV pro EV festzustellen. Auch
Ermittlungen über die nationalen Grenzen 2.3.2 Übergang in offene Ermittlungs
hinweg können nicht immer reibungslos und phase
zeitnah realisiert werden (vgl. Zietlow/Baier Sind ausreichend Beweise zusammenge-
2017, 13), sodass im Hintergrund agierende tragen oder besteht akute Gefahr für die
Täterstrukturen ggf. nicht aufzudecken sind. Opfer, wird der Übergang in die offe-
Das tatsächliche Aufkommen wird dement- ne Ermittlungsphase initiiert. Dabei gilt
sprechend höher vermutet. es absolut strategisch vorzugehen, um
36
Verlag Österreich4/2021 .SIAK-JOURNAL
Sach- und Personenbeweise sicher in das Der Übergang in die offene Ermitt-
EV einbringen zu können. Im Rahmen lungsphase kann auch mit der Vollstre
von Durchsuchungen und Beschlagnah- ckung e ines Haftbefehls eingeläutet wer-
men können neben illegalen Gegenstän- den. D abei kann die Festnahme sowohl als
den wie Waffen oder Betäubungsmitteln Signalwirkung gegenüber dem Tatumfeld
auch größere Geldwerte (hierzu zählen als auch für die Opfer selbst wahrgenom-
z.B. Bargeld, Autos, teurer Schmuck), men werden. Die Aussagebereitschaft ist
die der Vermutung nach aus illegalen nicht selten mit der Gewissheit, dass sich
Geschäften erlangt wurden, sicherge- der Täter im polizeilichen Gewahrsam be-
stellt werden. Auch der sog. „Follow the findet, verknüpft, da anderenfalls Repres-
Money“-Ansatz, also der Nachverfol- salien befürchtet werden. Gefahr besteht
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gung vom Geldtransfer z.B. über Western allerdings nicht nur durch den Täter; ist er
Union, ist verfahrensstrategisch sinnvoll. beispielsweise im Milieu vernetzt, können
Schließlich dominiert bei sexueller Aus- auch Bekannte Hinweise auf den Aufent-
beutung – auch wenn es mit dem Ziel des haltsort der Betroffenen geben. Grund-
Brechens von Widerständen auch zu Ver- sätzlich bestünde die Möglichkeit des
gewaltigungen kommen kann (vgl. CCV Zeugen- bzw. Opferschutzes. Doch gerade
2012, 17) – weniger ein sexuelles Motiv, bei jungen Frauen sehen die Praxisvertre-
sondern Gewinnstreben.6 terinnen und -vertreter Schwierigkeiten
Durch die vergleichsweise einfache in der Umsetzung, da die Betroffenen oft
„Maximierung ihres Profits bei gleichzeiti ihr Umfeld nicht verlassen möchten und/
ger Reduzierung des Entdeckungsrisikos“ oder über soziale Medien stark vernetzt
(BKA 2015, 5) erweist sich Zwangspros- und nicht bereit sind, sich konsequent an
titution als ein lohnenswertes Geschäft. die Vorgaben des Schutzprogramms zu
Ein effektiver Bekämpfungsansatz, um halten. Auch ohne gesonderten Schutz ist
der Tatperson sämtliche Vorteile aus der das O
pfer bestmöglich von der Einfluss-
rechtswidrigen Tat zu entziehen, liegt nahme des Täters bzw. dessen Umfeld
daher in der strafrechtlichen Vermögens-
Quelle: Körner, vgl. Bundeslagebilder Menschenhandel 2005–2019
abschöpfung. Mit der gesetzlichen Neue-
rung zur strafrechtlichen Vermögensab-
schöpfung, die am 01. Juli 2017 in Kraft
getreten ist, sollten der Vorgang für Ge-
richte und Staatsanwaltschaften verein-
facht, die vorläufige Sicherstellung von
deliktisch erlangten Vermögensgegen-
ständen und auch langfristig betrachtet
eine nachträgliche Einziehung von Tat-
erträgen gesetzlich verankert werden.
Auch die Entschädigung der Opfer soll
mit w eniger Aufwand verbunden sein
(vgl. BMJV 2017). Die jährlich im EV im
Bereich Zwangsprostitution gesicherten
Vermögenswerte lagen zuletzt bei etwa
500.000 €7, wobei keine Differenzierung
nach Loverboy-Fällen möglich ist (vgl.
Abbildung 4). Abb. 4: Vermögensabschöpfung
37
Verlag Österreich.SIAK-JOURNAL 4/2021
abzuschirmen, da zur Abwendung des spiel verschiedenster Akteurinnen und
Strafverfahrens nicht selten auf Aussage- Akteure unabdingbar.
bereitschaft des Opfers eingewirkt wird. Aus der – anfänglich im Glauben einer
In Loverboy-Fällen zeigt sich in dem Zu- die Partnerschaft unterstützenden – Ein-
sammenhang die emotionale Bindung an willigung in die Prostitutionstätigkeit (vgl.
den Täter als herausfordernd, wenn der Müller-Güldemeister 2011, 22–24; Abbil-
Loslösungsprozess noch nicht weit fort- dung 1, Seite 29; Abbildung 3, Seite 34)
geschritten ist und die Opfer ggf. sogar kann ein Einfallstor für die gegnerische
Mitgefühl empfinden. Verteidigungstaktik konstruiert werden.
Die vermeintliche Freiwilligkeit wird als
2.3.3 Personalbeweis Angriffspunkt instrumentalisiert, um die
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Die oben beschriebene generelle Proble- Glaubwürdigkeit und Integrität der Be-
matik einer geringen Aussagebereitschaft troffenen anzuzweifeln (vgl. Scheer/Duf-
im Deliktsbereich Menschenhandel lässt ner 2015, 23). An dieser Stelle braucht
sich auch auf Fälle, in denen über die es dringend weiterer Sensibilisierung der
Loverboy-Methode angeworben wurde, Strafverfolgungsbehörden und Gerichte
übertragen. Neben Scham, Angst vor Re- sowie Erklärungen zu den vorherrschen-
pressalien oder auch vermuteten korrupten den Dynamiken, Vulnerabilitäten und
Polizeistrukturen (vgl. Helfferich et al. Zwangsprozessen der Loverboy-Methode8.
2010, 49) ist bei diesem Modus Operandi Insgesamt erweist es sich in der Polizei
ein weiterer Umstand zentral: praxis als herausfordernd, Betroffene der
Aufgrund der anfänglichen und ggf. Loverboy-Methode als stabile Opferzeu-
auch weiterhin wahrgenommenen part- ginnen zu gewinnen. Das Verfahren steht
nerschaftlichen Verbindung – oft in Kom- und fällt trotz gesetzlicher Neuerungen
bination mit fehlender Vorerfahrung einer mit dem Personenbeweis, sodass den er-
gleichberechtigten Beziehung bei jungen mittelnden Beamtinnen und Beamten
Betroffenen (vgl. CCV 2012; Bubenitschek stets daran gelegen sein muss, die Aus-
et al. 2011, 539) – besteht „häufig weiter- sagebereitschaft zu fördern und aufrecht-
hin die Hoffnung, dies [Anm.: die Prosti- zuerhalten. Dies kann idealerweise in
tution] nur zeitweilig machen zu müssen enger Kooperation mit den FBS erfolgen,
und anschließend die ‚Liebesbeziehung‘ die parallel Stabilisierungsarbeit leisten,
als normales Paar fortführen zu können“ setzt aber auch voraus, dass die Interak-
(Scheer/Dufner 2015, 23). In diesem Zu- tion von polizeilicher Seite mit Empathie
sammenhang verweisen Helfferich u.a. und Hintergrundwissen zu den besagten
(Helfferich et al. 2010, 171–179) auf den Dynamiken gerahmt wird, um eine ver-
für die Aussagebereitschaft n otwendigen trauensvolle Arbeitsbeziehung aufzubau-
Loslösungsprozess aus der Liebesbezie- en (vgl. Berresheim/Capellmann 2013, 95;
hung. Erst dann kann durch emotionale Sticher/Schicht 2019, 22).
Distanz und Reflexion des Geschehenen Gerade ein gelungener Einstieg über die
das Unrechtsbewusstsein gefördert wer- Kontakt- und Orientierungsphase oder
den, sodass es zur Opferdeklaration und auch Rapport-Phase, wie es in der interna-
infolgedessen auch zur Aussagebereit- tionalen Fachliteratur heißt, hat entschei-
schaft kommt (vgl. Helfferich et al. 2010, denden Einfluss auf den Vernehmungs
138–141). Um Unrechtsbewusstsein und verlauf (vgl. Kelly et al. 2013, 170;
(emotionale) Loslösung vom Täter zu för- Heubrock/Palkies 2008, 602–604). Bei
dern, ist ein interdisziplinäres Zusammen- einer Vernehmung handelt es sich schließ-
38
Verlag Österreich4/2021 .SIAK-JOURNAL
lich um ein nicht alltägliches Ereignis, tion erfolgen, bleibt der Personalbeweis
„das oft mit Unsicherheiten und Ängsten maßgeblich für die Verfahrensinitiie-
einhergeht“ (Körner/Lemme 2020, 51). rung und erfolgreiche Ausermittlung. Die
Eine gezielte Gestaltung der anfänglichen Ressourcen und Bemühungen, die in die
Interaktion, aber auch des Settings ist bei Herstellung und Aufrechterhaltung eines
labilem und zu ambivalentem Verhalten Zugangs zu den Betroffenen von Seiten
neigenden Loverboy-Opfern entscheidend. der Strafverfolgungsbehörden investiert
14 Vernehmungsbereiche und -techniken werden müssen, sind entsprechend hoch.
wurden als beziehungsfördernd identi- Dennoch sollten weitere Verfahrensini-
fiziert (Kelly et al. 2013, 170 f): Neben tiierungs- und Ermittlungsansätze (z.B.
grundlegenden höflichen und respektvol- über Strukturermittlungen, Observationen,
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len Umgangsformen (wie z.B. etwas zum TKÜ oder auch Finanzermittlungen) aus-
Trinken anbieten, Raucherpausen ermög- geschöpft werden, um die ohnehin schwer
lichen) spielen Transparenz über die Ab- nachweisbare Straftat mit belastenden Be-
läufe, Geduld und auch die Fähigkeit zur weisen durch die Phasen des Strafverfah-
sprachlichen Anpassung eine entscheiden- rens zu bringen.
de Rolle. Um in der Interaktion kein hier- Im persönlichen Kontakt mit den Lover-
archisches Gefälle dominieren zu lassen, boy-Opfern ist ein Verständnis über und
ist es außerdem empfehlenswert, urteilen- für deren vulnerable Situation entschei-
de und belehrende Aussagen zu unterlas- dend, um entsprechend authentisch empa-
sen und stattdessen Empathie und Anteil- thisch interagieren zu können und ein Ver-
nahme an der Situation der Betroffenen zu trauensverhältnis zu forcieren. Befinden
signalisieren. Gerade in diesem Delikts- sich die Betroffenen weiterhin in einer en-
bereich, in dem notwendigerweise intime gen emotionalen Bindung oder gar Abhän-
Details und potenziell retraumatisierende gigkeit zum Täter, begleiten ambivalentes
Inhalte zur Ausermittlung der Straftat- Verhalten (z.B. Rücknahme der Anzeige
bestände inkl. Qualifizierungsmerkm a und Rückkehr) und fehlendes Unrechtsbe-
len vertieft werden müssen, sollte beim wusstsein häufig das EV, sodass von Seiten
Setting außerdem auf eine angemessene der Beamtinnen und -beamten ein hohes
Nähe- bzw. Distanzgestaltung, die Sitz- Maß an Geduld, Empathie und Nachsicht –
anordnung und auch die Eliminierung trotz der nachvollziehbaren Frustration
von externen S törungen geachtet werden aufgrund des instabilen Beweisfunda-
(vgl. Gahleitner et al. 2019, 7 f; Heubrock/ ments – gefordert ist.
Palkies, 2008, 603 f; Haas/Ill 2013, 6; Aufgrund der spezifischen Herausforde-
Schicht, 2012, 37, 50). rungen erweisen sich die k onstante Auf-
Gerade mit Blick auf die Notwendig- klärung und Sensibilisierung von poli
keit des Personalbeweises sollte also eine zeil ichen, aber auch außerpolizeilichen
vertrauensfördernde Gestaltung der Ver- Akteurinnen und Akteuren als unab
nehmung nicht „unterpriorisiert“ werden, dingbar, damit durch fehlende Empa
um auch hierüber langfristige Zugänge thie im Opferkontakt nicht vorschnell die
zu O pfern der Loverboy-Methode zu mühevoll entwickelte Aussagebereitschaft
generieren. erlischt. Dafür braucht es nicht zuletzt
weiterer Forschung über die D ynamiken
3. CONCLUSIO und Fallverläufe unter Einbezug theoreti-
Solange keine strafrechtlichen Nachbes- scher „Modus Operandi Loverboy“ empi-
serungen im Deliktsfeld Zwangsprostitu- risch und systematisch zu identifizieren.
39
Verlag Österreich.SIAK-JOURNAL 4/2021
1 8
Es wird in diesem Beitrag auf die deutsche Ge- In dem kurz vor Abschluss stehenden Promo-
setzgebung Bezug genommen. Hierin wird der tionsprojekt der Autorin werden u.a. eben diese
betrachtete Straftatbestand nach Umsetzung der Faktoren untersucht und vor dem Hintergrund
Richtlinie 2011/36/EU am 16. Oktober 2016 fort- eines gelungenen Wissenschafts-Praxis-Trans-
an als Zwangsprostitution gem. § 232a StGB be- fers anschließend publiziert.
zeichnet.
2
In dem vorliegenden Beitrag wird von der Quellenangaben
Konstellation eines männlichen Täters und Berresheim, Alexander/Capellmann, Michael
weiblichen Opfers ausgegangen, ohne dabei die (2013). Personen mit und ohne Aussagewider-
Existenz anderer Geschlechtskombinationen zu stand, Taktische Kommunikation im Rahmen der
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negieren. Die Ausrichtung der Beschreibungen Strukturierten Vernehmung, Kriminalistik (2),
basiert in erster Linie auf den genannten Fall- 93–99.
beispielen der befragten Polizeivertreterinnen Birkel, Christoph (2014). Die Dunkelfeld-Op-
und Polizeivertreter, aber auch auf den Erkennt- ferbefragung im Verbundprojekt „ BaSiD“ –
nissen bisheriger Untersuchungen zur Loverboy- Befunde zu Opfererfahrungen, Mehrfachvikti-
Methode. misierungen und Anzeigeverhalten, in: Niggli,
3
Anders als z.B. Wohnungseinbruchsdiebstahl Marcel A lexander/Marty, Lukas (Hg.), Risiken
werden sogenannte Kontrolldelikte selten aus ei- der S icherheitsgesellschaft: Sicherheit, Risiko &
gener Initiative zur Anzeige gebracht und setzen Kriminalpolitik, Godesberg.
zum Bekanntwerden stärkere polizeiliche Aktivi- BKA [Bundeskriminalamt] (Hg.) (2015).
tät (vgl. Birkel 2014). Menschenhandel, Bundeslagebild 2015,
4
Für tiefergehende Auseinandersetzungen mit Wiesbaden, O nline: https://www.bka.de/
den rechtlichen Rahmungen wird auf die in der SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/
weiterführenden Literatur angeführten Quellen JahresberichteUndLagebilder/Menschenhandel/
verwiesen. menschenhandelBundeslagebild2015.pdf?__
5
Wenn nicht anderweitig über eine Quellenanga- blob=publicationFile&v=8 (19.04.2021).
be ausgewiesen, resultieren die dargestellten In- BKA [Bundeskriminalamt] (Hg.) (2016a). Stel-
halte aus den Gesprächen mit Vertreterinnen und lungnahme im Rahmen der Öffentlichen Anhö-
Vertretern aus der Strafverfolgungspraxis sowie rung im Rechtsausschuss des Deutschen Bun-
den Fachabteilungen des LKA Niedersachsen. destages am 08.06.2016, Online: https://www.
6
Zur kontextbezogenen Verwendung d ieser bundestag.de/resource/blob/426706/38597d3
Redewendung im Zusammenhang mit Ermittlun- 65a484b6d8ad0f4af3b665c11/gayer-data.pdf
gen im Bereich der organisierten Kriminalität (24.06.2021).
z.B.: https://www.juris.de/jportal/portal/page/ BKA [Bundeskriminalamt] (Hg.) (2016b). Men-
homerl.psml?cmsuri=/juris/de/nachrichten/ schenhandel, Bundeslagebild 2016, Wiesbaden,
zeigenachricht.jsp&nid=jnachr-JUNA Online: https://www.bka.de/SharedDocs/Down
201003633 (19.04.2021); https://www.gdp. loads/DE/Publika tionen/JahresberichteUnd
de/gdp/gdpbupo.nsf/id/DG_13_BZGZoll_ Lagebilder/Menschenhandel/menschenhandel
FOLLOW-THE-MONEY?open (19.04.2021); Bundeslagebild2016.pdf;jsessionid=666159D5
https://www.welt.de/politik/deutschland/ 796DE03C18FEDFF7EDAE6FB0.live2291?__
article184206070/Organisierte-Kriminalitaet- blob=publicationFile&v=2 (19.04.2021).
Die-Clans-setzen-sich-in-der-Provinz-fest.html BKA [Bundeskriminalamt] (Hg.) (2017). Men-
(19.04.2021). schenhandel und Ausbeutung, Bundeslagebild
7
Für 2018 liegen keine Werte vor; 0 € bedeutet 2017, Wiesbaden, Online: https://www.bka.de/
also nicht, dass keine Vermögenswerte sicherge- SharedDocs/Down loads/DE/Publikationen/
stellt wurden. JahresberichteUndLagebilder/Menschenhandel/
40
Verlag Österreich4/2021 .SIAK-JOURNAL
menschenhandelBundeslagebild2017.pdf;jses zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes
sionid=047F8F4C4A9C3E31A3F7D143F2A9 sowie des Achten Buches Sozialgesetzbuch, Bun-
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