Praxis des Immaterialgüterrechts in Europa 2022 - Die Seite des INGRES | La page de l'NGRES
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Berichte | Rapports Die Seite des INGRES | La page de l’NGRES Praxis des Immaterialgüterrechts in Europa 2022 Bericht über die INGRES-Tagung vom 31. Januar 2022 Auch dieses Jahr konnte aufgrund der COVID-19-Pande- Cette année encore, la conférence annuelle de l’INGRES mie die alljährliche INGRES-Tagung zur Praxis des euro- sur la pratique du droit européen de la propriété intellec- päischen Immaterialgüterrechts nur virtuell stattfinden. tuelle n’a pu avoir lieu que virtuellement en raison de la Dennoch nahmen an der durch D R . M ICHAEL R ITSCHER pandémie COVID-19. Néanmoins, de nombreux représen- konzipierten und geleiteten Tagung zahlreiche in- und tants nationaux et étrangers des tribunaux, des autorités, ausländische Vertreter von Gerichten, Behörden, der de l’industrie et de la profession juridique ont participé à Industrie sowie der Anwaltschaft teil, um sich über die ce colloque conçu et présidée par Dr. M ICHAEL R ITSCHER , aktuellsten Entwicklungen im Immaterialgüterrecht in afin d’échanger sur les développements les plus récents Europa auszutauschen. du droit de la propriété intellectuelle en Europe. I. Patentrecht lenk im Raum gemäss Beschreibung um drei orthogonale 1. Praxis des BGH Achsen verschwenkbar sein, was auch bei einem Gelenk, D R . K L AUS G R ABINSKI , Richter am Deutschen Bundesgerichts- welches lediglich zwei Freiheitsgrade aufweist, möglich ist. hof, stellte vier für die weitere Rechtsentwicklung relevante Auf seine bekannte Rechtsprechung abstellend, dass ein Pa- Entscheidungen des Deutschen Bundesgerichtshofs (BGH) tentanspruch im Zweifel so auszulegen ist, dass alle als erfin- vor. dungsgemäss bezeichneten Ausführungsbeispiele unter die- Die erste Entscheidung (BGH vom 2. Februar 2021, X sen Patentanspruch fallen, bejahte der BGH die Patentverlet- ZR 170/18, «Anhängerkupplung») befasste sich mit der Aus- zung schliesslich. legung eines Patentanspruchsmerkmals unter der Berück- Die zweite Entscheidung (BGH vom 2. März 2021, sichtigung der Ausführungsbeispiele. Konkret betrifft das X ZR 17/19, «Schnellwechseldorn») bezog sich auf die Aus- Klagepatent eine Anhängerkupplung, bei der das Anhänger- legung des Patentanspruchs und die Abgrenzung zum Stand element um eine schräg im Raum stehende Schwenkachse der Technik. Das Streitpatent betrifft dabei einen Schnell- gegenüber dem Lagerelement verschwenkbar ist, wodurch wechseldorn, der geeignet ist, einen Bohrer und koaxial diese in einfacher Weise bei unterschiedlichsten Raumver- dazu eine Lochsäge zu halten und eine Befestigung an einer hältnissen einsetzbar ist. Dies wird mittels eines dreiachsig Bohrmaschine zu ermöglichen, wodurch ein vereinfachter schwenkbaren Gelenks realisiert. Im Verletzungsstreit ging Dorn zur Verfügung gestellt werden kann. Entscheidend bei es um die Frage, ob ein Gelenk zur Begründung einer Patent- dem Patent ist, dass die Teile vereinfacht befestigt bzw. ge- verletzung zwei oder drei Freiheitsgrade aufweisen muss. löst werden können, wodurch die Teile bei jedem Einsatz Die Vorinstanzen waren unterschiedlicher Ansicht. Der des Geräts – und nicht wie bisher nur zu Reparaturzwecken – BGH stellte im Rahmen seines Urteils auf die Darstellungen gewechselt werden können. Der BGH trug diesem Umstand der Ausführungsbeispiele ab, bei denen die Ausgestaltung Rechnung und stellte bei seiner Entscheidung darauf ab, mit drei Freiheitsgraden lediglich als «bevorzugte» Ausfüh- dass die Patentbeschreibung den aktuellen Stand der Tech- rungsform beschrieben wird. Insoweit genügte eine Ver- nik nicht bloss begrüsst und lediglich verbessern will, son- schwenkbarkeit um zwei Achsen, weil sich die Ausrichtung dern diesen als nachteilhaft bezeichnet und ein im Patent- jeder Schwenkachse bei einer Verschwenkung um eine an- anspruch vorgesehenes Merkmal als Mittel zur Überwin- dere Achse verändert. Ausserdem muss ein dreiachsiges Ge- dung dieses Nachteils hervorhebt. Bei der dritten Entscheidung (BGH vom 8. Juni 2021, X ZR 47/19, «Ultraschallwandler») ging es um eine Patent- A DRIAN E UGSTER , M.A. HSG in Law and Economics. verletzung durch Belieferung eines im Ausland ansässigen Abnehmers. Das Klagepatent betrifft dabei Ultraschall- J ULIA P UGLIESE , MLaw, Luzern. wandler, die als Teil von Einparkhilfesystemen für Kfz ein- S EBASTIAN S UTER , MLaw, Zürich. gesetzt werden. Die Beklagte stellte in Taiwan Ultraschall- © 2022 sic! Stiftung, Bern / Helbing Lichtenhahn Verlag, Basel Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung in anderen als in den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der schriftlichen Zustimmung des Verlages. sic! 7–8 | 2022 Tous droits réservés. Toute représentation ou reproduction, intégrale ou partielle, faite sans le consentement préalable de la maison d’édition, est interdite. Auch auf www.legalis.ch und swisslex.ch / Également sur www.legalis.ch et swisslex.ch
BERICHTE | RAPPORTS wandler her und lieferte diese an den Automobilhersteller werden dürfen. Gemäss G R ABINSKI reicht bei Vorliegen an- Renault/Dacia, der in Marokko (ausserhalb der EU) produ- derer Anhaltspunkte ein blosser Hinweis nicht aus. Bei Vor- zierte. In der Annahme einer Patentverletzung bat die Kläge- liegen einer Vermutung des Exports in patentgeschützte rin die Beklagte, schriftlich darzulegen, weshalb sie berech- Märkte muss man sich explizit erkundigen, ob dies tatsäch- tigt sei, das Klagepatent benutzen zu dürfen. Gemäss bishe- lich der Fall ist, und es sind entsprechende Vorkehrungen zu riger Rechtsprechung des BGH hat nicht nur derjenige, der treffen (z.B. durch vertragliche Abmachungen). sich vorsätzlich an der Benutzung eines Patents durch einen Dritten beteiligt, für eine Patentverletzung einzustehen, 2. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA sondern auch derjenige, der eine Benutzung des geschützten Gegenstands durch einen Dritten durch eigenes pflichtwid- Anschliessend präsentierte D R . F RITZ B LUMER , Mitglied einer riges Verhalten ermöglicht. Eine solche Zurechnung setzt der Juristischen Beschwerdekammern des Europäischen Pa- aber die Verletzung einer Überprüfungs- oder Über- tentamts in München, ausgewählte Rechtsprechung des wachungspflicht des Handelnden voraus. Von diesen Pflich- EPA. B LUMER ging zunächst auf die rechtlichen Entwicklun- ten ging der BGH im Fall X ZR 120/15 «Abdichtsystem» gen im Verfahrensrecht der Beschwerdekammer aufgrund vom 16. Mai 2017 bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte von COVID-19 ein. In der Anfangs 2020 (vor der Corona- aus, die eine Weiterlieferung des Erzeugnisses in das patent- Krise) angepassten Verfahrensordnung wurden Verhandlun- geschützte Inland naheliegend erscheinen lassen. Konkrete gen per Videokonferenz (ViKo) explizit nicht vorgesehen. Anhaltspunkte sind dabei etwa, dass der Lieferant von der Nach dem ersten Lockdown im März 2020 war jedoch ein Weiterlieferung Kenntnis erlangt hat oder die abgenom- Verzicht auf ViKo nicht mehr möglich: Bereits am 8. Mai mene Menge so gross ist, dass sie schwerlich nur auf schutz- 2020 wurde die erste Videoverhandlung abgehalten; bis freien Märkten vertrieben werden kann. Vorliegend ergaben heute wurden ca. 1'500–2'000 solcher Verhandlungen sich die Anhaltspunkte für eine Weiterlieferung aus dem durchgeführt, wobei der Anteil dieser Durchführungsart Schreiben der Beklagten an den Kläger sowie aufgrund der momentan 70–80% aller mündlichen Verhandlungen in geografischen Lage der Produktionsstätte in Marokko, bei Prüfungs- und Einspruchsverfahren beträgt, obwohl An- der eine Lieferung der Fahrzeuge mit den Wandlern in die fangs die Durchführung einer ViKo nur mit Zustimmung EU nahelag. der Parteien möglich war. Mit Ergänzung der Verfahrensord- Der vierte Entscheid (BGH vom 20. April 2021, X nung der Beschwerdekammern per 1. April 2021 wurde eine ZR 40/19, «Zahnimplantat») betraf die bildliche Darstellung rechtliche Grundlage für die virtuelle Durchführung von als Ausgangspunkt für technische Überlegungen. Das Streit- Verhandlungen geschaffen, insbesondere auch für den Fall, patent betrifft dabei ein Schraubimplantat zur Befestigung dass eine der Parteien nicht zustimmen will. Vor Inkrafttre- von Zahnersatz am Kiefer. Mit Blick auf die Entgegenhaltun- ten der neuen Bestimmung wurde diese zur Prüfung ihrer gen stellte sich insbesondere die Frage, ob es sein kann, dass Vereinbarkeit mit Art. 116 EPÜ (Recht auf mündliche Ver- im Hinblick auf den relevanten Stand der Technik tech- handlung) der grossen Beschwerdekammer im Sinne einer nische Merkmale allein durch die in einer Patentanmeldung Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorgelegt (Verfahren enthaltenen Zeichnungen offenbart sein können. Gemäss G 1/21). Im Entscheidungstenor wurde klargestellt, dass BGH kann sich ein vergleichbarer Offenbarungsgehalt auch ViKo mündliche Verhandlungen seien, die Wahrnehmung aus Zeichnungen oder bildlichen Darstellungen in den ver- des rechtlichen Gehörs ermöglichten und die einzige Mög- öffentlichten Unterlagen eines eingetragenen Designs er- lichkeit darstellten, um die Funktion der Beschwerdekam- geben. So kann im Einzelfall als Ausgangspunkt für tech- mer aufrechtzuerhalten, solange klassische Verhandlungen nische Überlegungen Anlass bestehen, nicht nur auf am nicht möglich seien. Da diese aber dennoch nicht gleichwer- Markt erhältliche Erzeugnisse zurückzugreifen, sondern tig mit Verhandlungen mit persönlicher Anwesenheit seien, auch auf Abbildungen solcher Erzeugnisse in den Unter- wurden für die Anordnung einer ViKo gegen den Willen lagen eines eingetragenen Designs. einer Partei drei Voraussetzungen aufgestellt: (1) Die ViKo KONSTANTIN S CHALLMOSER merkte zum Fall «Ultra- muss eine geeignete, wenn auch nicht gleichwertige Alterna- schallwandler» an, dass es in Frankreich Urteile gebe, die tive zur mündlichen Verhandlung darstellen; (2) es müssen dem Fall «Abdichtsystem» des BGH widersprächen und spezifische Umstände vorliegen, die die Anordnung einer wollte wissen, ob sich der BGH mit diesen Entscheidungen ViKo rechtfertigen (z.B. allgemeine Reisebeschränkungen; auseinandergesetzt habe. G R ABINSKI verneinte diese Frage nicht verwaltungstechnische Überlegungen); (3) die Ent- unter dem Hinweis, dass die Heranziehung voraussetzt, scheidung über die Anordnung einer ViKo ist eine Ermes- dass die Parteien diese Rechtsprechung vorlegen und ent- sensentscheidung der ladenden Kammer im Einzelfall nach sprechende Fragen aufwerfen würden, was hier nicht erfolgt Anhörung der Parteien. Ziel sollte aber sein, dass es sich da- sei. P ETER T HOMSEN stellte zum gleichen Fall die Frage, ob bei lediglich um eine Übergangslösung handelt. die Produzentin aus Taiwan die Überprüfungs- bzw. Über- Darauffolgend erläuterte B LUMER das Thema künstliche wachungspflicht hätte vermeiden können, wenn sie bei der Intelligenz als Erfinder. Konkret ging es in dem vorgestellten Lieferung an den Autoproduzenten explizit darauf aufmerk- Fall um Lebensmittelbehälter mit einem fraktalen Grund- sam gemacht hätte, dass die Ultraschallwandler nicht in riss, der eine einfachere Verpackung mehrerer Behälter und Fahrzeuge für einen patentgeschützten Markt eingesetzt das Einsparen von Verpackungsmaterial ermöglicht. Die © 2022 sic! Stiftung, Bern / Helbing Lichtenhahn Verlag, Basel sic! 7–8 | 2022 Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung in anderen als in den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der schriftlichen Zustimmung des Verlages. Tous droits réservés. Toute représentation ou reproduction, intégrale ou partielle, faite sans le consentement préalable de la maison d’édition, est interdite. Auch auf www.legalis.ch und swisslex.ch / Également sur www.legalis.ch et swisslex.ch
Adrian Eugster | Julia Pugliese | Sebastian Suter Praxis des Immaterialgüterrechts in Europa 2022 Neuigkeit der Idee soll von einer Software erkannt worden Weiter wurden digitale Einrichtungen etabliert, etwa ein di- sein. Gemäss EPÜ ist in der Anmeldung eines Patents, unter gitales Einreichungs-Tool. Entsprechend musste der Rechts- Einhaltung gewisser auf natürliche Personen zugeschnitte- rahmen, insbesondere mit Blick auf Formerfordernisse, an- nen Formvorschriften (Vorname, Name, Adresse), der Erfin- gepasst werden. der zu nennen. Da diese Formvorschriften von der Software Anschliessend machte L UGINBÜHL Ausführungen zum als Erfinder nicht eingehalten werden konnten, wurde die Konvergenzprogramm des EPA. Dabei geht es darum, Un- Anmeldung von der Eingangsstelle zurückgewiesen. Auch terschiede bei den administrativen Praktiken der Patent- in der mündlichen Verhandlung vor der juristischen Be- ämter Europas zum Vorteil der Nutzer zu verringern bzw. schwerdekammer wurde die Anmeldung zurückgewiesen gänzlich abzubauen. Am 19. Januar 2022 startete die Pe- und man wollte die Sache auch nicht der grossen Beschwer- riode der vorläufigen Anwendbarkeit des EPGÜ (Überein- dekammer vorlegen. Dies wurde damit begründet, dass der kommen über ein einheitliches Patentgericht). Nach heuti- Rechtserwerb Art. 60 EPÜ zu genügen habe, wonach der be- gem Stand sollte das neue Patensystem Ende dieses oder nannte Erfinder eine rechtsfähige Person sein müsse. Die spätestens anfangs nächsten Jahres in Kraft treten können. schriftliche Begründung ist noch ausstehend. L UGINBÜHL erläuterte kurz das Konzept des Einheitspatents, Zuletzt thematisierte B LUMER die Rechtsprechung über einem europäischen Patent, dem auf Antrag des Patentinha- die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen bers nach dessen Erteilung einheitliche Wirkung zuerkannt (CII). Im konkreten Fall geht es um die Simulation der Be- wird, was einen vereinfachteren und breiteren Patentschutz wegung einer autonomen Einheit durch eine Umgebung. zu niedrigeren Kosten ermöglicht. Um die Aufnahme des Eine Vielzahl von Fussgängern soll von einem Start- zu Einheitspatents zu erleichtern, wird es einerseits möglich einem Zielort gehen, wobei Wände und andere Fussgänger sein, die Entscheidung über die Erteilung des europäischen im Weg stehen. Solche Simulationen werden etwa zur Be- Patents auf Antrag aufzuschieben, bis das neue System in rechnung einer optimalen Evakuierung eines Flughafen-Ter- Kraft ist, und andererseits können Anträge auf einheitliche minals oder Bahnhofs verwendet. Die Rechtslage für CII be- Wirkung bereits jetzt gestellt werden, auch wenn das System inhaltet zwei Hürden unter dem EPÜ: 1) Die Qualifikation noch nicht in Kraft ist. Das Amt wird dann die Eintragung als patentierbare Erfindung gemäss Art. 52 EPÜ und 2) dass erst vornehmen, wenn das EPGÜ-System in Kraft getreten bei der erfinderischen Tätigkeit nach Art. 56 EPÜ nur dieje- ist. Die Eintragung der einheitlichen Wirkung ist an materi- nigen Merkmale zu berücksichtigen sind, die zum tech- elle und formelle Voraussetzungen geknüpft. Materiell muss nischen Charakter der beanspruchten Erfindung beitragen, das europäische Patent für alle 25 teilnehmenden Mitglied- wobei die Zielsetzung der Erfindung auch in einem nicht- staaten mit demselben Anspruchssatz erteilt worden sein technischen Gebiet liegen kann (COMVIK-Rechtsprechung, und formell muss der Antrag in der Verfahrenssprache in- T 641/00). Die beantworteten Vorlagefragen waren nur vor nerhalb eines Monats eingereicht werden. Die Kosteneffi- dem Hintergrund dieser COMVIK-Rechtsprechung zu ver- zienz des Einheitspatent resultiert daraus, dass das Amt für stehen und ergaben Folgendes: 1) Nummerische Simulatio- die Prüfung des Antrags auf einheitliche Wirkung und die nen sind wie jede andere computerimplementierte Erfin- Eintragung im Register keinerlei Gebühren erhebt, dass dung zu behandeln und können zu einem technischen Cha- keine Übersetzungen mehr eingereicht werden müssen rakter beitragen, 2) es ist irrelevant, ob ein technisches oder (nach der Übergangszeit) und dass es nur noch ein Verfah- ein nicht-technisches System oder Verfahren simuliert wird ren mit einer Frist, einer Jahresgebühr und einer Währung und 3) die Vorlagefragen sind nach den gleichen Kriterien gibt. In der Folge gab L UGINBÜHL einen Überblick über das zu beantworten, wenn die Simulation Teil eines Entwurfs- EPG, ein neu geschaffenes, internationales Gericht für die verfahrens ist. Durchsetzung und Nichtigerklärung sowohl von Einheits- Betreffend das Verfahren über die Durchführung von patenten als auch von klassischen europäischen Patenten. Verhandlungen via ViKo erkundigte sich B EAT W EIBEL , ob Dabei gibt es zwei europäische Instanzen: Die erste Instanz die Entscheidung auch die mündlichen Verhandlungen vor besteht aus Lokal- und Regionalkammern sowie einer Zen- der Einspruchs- und Prüfungsabteilung betraf. BLUMER wies tralkammer. Demgegenüber ist die Berufungsinstanz in Lu- darauf hin, dass die grosse Beschwerdekammer die Frage xemburg zentralisiert. auf die Beschwerdeverhandlung begrenzte, auch deshalb, Zur Frage der Vertretung der Schweiz in der europäi- weil der zeitliche Druck sehr gross war. schen Patentorganisation führte L UGINBÜHL aus, dass auch in diesem Jahr der Bestand der Schweizer im EPA – trotz zahlreicher Bewerbungen – weiter abnahm und per Ende 3. Entwicklungen aus der Sicht des EPA; das EPG 2020 nur noch 57 betrug. Im Vergleich dazu stellt Deutsch- Auch D R . S TEFAN L UGINBÜHL (Direktion Internationale land 1'766 und Frankreich 1'186 Personen in Amt (zusam- Rechtsangelegenheiten des Europäischen Patentamts) be- men rund 50%). Aber auch kleinere Staaten stellen wesent- richtete zunächst über die Auswirkungen der Pandemie auf lich mehr Vertreter, so etwa die Niederlande deren 420, Bel- seine Tätigkeit. Seit Januar bzw. Juli 2021 und vorerst bis gien deren 306, Österreich deren 191, Griechenland deren Ende Mai 2022 werden alle mündlichen Verhandlungen 186 und Portugal deren 107. Noch bemerkenswerter sind vor den Einspruchsabteilungen bzw. vor der Eingangsstelle diese Zahlen, wenn man sie ins Verhältnis der Patentanmel- und der Rechtsabteilung als Videokonferenz durchgeführt. dungen setzt: So kamen 2020 aus den 38 Vertragsstaaten © 2022 sic! Stiftung, Bern / Helbing Lichtenhahn Verlag, Basel Alle Rechte vorbehalten. 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BERICHTE | RAPPORTS 5% oder 8'112 Anmeldungen aus der Schweiz. Damit Im dritten Entscheid, High Point v. KPN (Rechtbank kommt die Schweiz nach Deutschland und Frankreich mit Den Haag vom 15. Mai 2021, C/09/598504/HA ZA 20- 14% bzw. 6% aller Anmeldungen an dritter Stelle der EPÜ- 843), war das Zusammenspiel von EPA und nationalem Vertragsstaaten. Diese Personalentwicklungen seien aus Verfahren zu klären. Das Distriktgericht Den Haag hatte im Sicht der Schweiz dramatisch, insbesondere da statutarisch Jahr 2010 ein europäisches Patent von High Point für nich- eine gehörige Vertretung aller Vertragsstaaten sichergestellt tig erklärt und seine Verletzungsklage zurückgewiesen. Im werden müsste und es durchaus auch im Interesse von anschliessenden Berufungsverfahren verteidigte High Point Frankreich und Deutschland sein sollte, dass die Schweiz das Patent mit neuen Ansprüchen, welche vom Gericht als als einer der wichtigsten Kunden des EPA, in einer wohl- prozessual verspätet zurückgewiesen wurden. Daraufhin be- bemerkt europäischen (und nicht EU-) Institution, gehörig antragte High Point beim EPA eine Beschränkung des stritti- vertreten ist. gen Patents, welche das EPA im Jahr 2017 gewährte. Im An- schluss verlangte High Point beim Berufungsgericht die Weiterverhandlung basierend auf den zentral beschränkten 4. Praxis der nationalen Gerichte zum EPÜ Ansprüchen. Das Berufungsgericht lehnte dies jedoch ab. W OLR AD P RINZ ZU WALDECK UND P YRMONT, Rechtsanwalt in Daraufhin gelangte die Frage an den Hoge Raad. Dieser Düsseldorf, stellte vier wichtige Entscheide nationaler Pa- stellte im Februar 2020 fest, dass die Zurückweisung der Be- tentgerichte vor. rufung zulässig war, jedoch keine sachliche Entscheidung Zunächst präsentierte P RINZ ZU WALDECK UND P YRMONT über den Rechtsbestand der zentral eingeschränkten An- den Entscheid Nokia v. Oppo ([2021] EWHC 2952 (Pat) sprüche beinhalte, weshalb es High Point unbenommen vom 4. November 2021) des englischen High Court, bei bleibe, den Rechtsbestand der eingeschränkten Ansprüche dem sich das Gericht mit der Frage der Zuständigkeit für in einem neuen Verfahren zur Überprüfung zu stellen. High die Festsetzung globaler FRAND-Rates beschäftigte. Nach Point leitete daraufhin das hier vorgestellte neue Verfahren dem Scheitern der Verhandlungen über die Verlängerung ein und beantragte bei der Rechtsbank Den Haag die Über- einer Lizenz erhob Nokia Klage wegen Patentverletzung ge- prüfung des Rechtsbestands der eingeschränkten Ansprüche. gen mehrere in- und ausserhalb Englands ansässige Gesell- Die Rechtsbank Den Haag liess das Verfahren zu mit der Be- schaften des Oppo-Konzerns. Das Gericht bestätigte, dass gründung, dass die Nichtigerklärung des ursprünglichen Pa- eine internationale Zuständigkeit für die Festlegung einer tents erst 2020 – somit nach Abschluss des Beschränkungs- FRAND-Rate besteht, wenn in- und ausländische Patente verfahrens im Jahr 2017 – rechtskräftig geworden sei und mitbetroffen sind und die Bedingungen für die Zustellung die rechtskräftige Nichtigerklärung des erteilten Patents der Klage an eine Gesellschaft mit Sitz ausserhalb des UK keine Aussage zum Rechtsbestand des zentral beschränkten gemäss CPR 6.36 und 6.37 gegeben sind. Weiter war strittig, Patents beinhalte. ob das Verfahren auszusetzen sei, da gleichzeitig ein Verfah- Zuletzt stellte P RINZ ZU WALDECK UND P YRMONT noch ren in Chongqing (VRC) anhängig war, welches sich eben- den Entscheid Menzis v. AstraZeneca (Gerechtshof Den falls mit globalen FRAND-Rates beschäftigte. Das Gericht Haag vom 14. Oktober 2020, C/09/541261/HA ZA 17-1084) erkannte die suboptimale Situation, in der parallel zwei Ver- des Gerechtshof Den Haag vor. Nach der Aufrechterhaltung fahren geführt werden müssen, hielt jedoch fest, dass das des Patents in erster Instanz wurde das streitauslösende Pa- Verfahren nicht ausgesetzt werden könne, solange es keinen tent von AstraZeneca im Berufungsverfahren für nichtig er- internationalen Mechanismus zur Koordination gebe. klärt. Im Anschluss an das erstinstanzliche Urteil hielt der Im Anschluss befasste sich P RINZ ZU WALDECK UND P YR- Patentinhaber andere Wettbewerber mit einstweiligen Ver- MONT mit der Entscheidung Vestel v. Philips (NL), (Recht- fügungen vom Eintritt in den Markt ab. Die Klägerin Menzis, bank Den Haag vom 15. Dezember 2021, C/09/604737/HA eine Krankenversichererin, war der Ansicht, dass sich Astra- ZA 20–1236), in welcher das Gericht zu entscheiden hatte, Zeneca so zu ihrem Nachteil ungerechtfertigt bereichert ob zusammen mit der niederländischen Phillips auch drei habe, da sie ihren Kunden anstelle der günstigeren Generika ausländische Gesellschaften eines Patentpools verklagt wer- die teureren AstraZeneca-Produkte zu erstattet hatte. Nach- den können. Das Gericht stellte fest, dass die ZPO (NL) im dem das Bezirksgericht ab dem Zeitpunkt der Zustellung der Unterschied zur EuGVVO vorsehe, dass mehrere Personen einstweiligen Verfügung eine ungerechtfertigte Bereicherung an einem für einen Beklagten örtlich zuständigen Gericht bejahte, gelangte die Beklagte an den Gerechtshof Den Haag, verklagt werden können, wenn die Forderungen gegen die welcher der Berufung stattgab. Dieser verneinte eine Haftung Beklagten in einem solchen Zusammenhang stehen, dass es für Schäden bei der Durchsetzung von Patenten, welche spä- zweckmässig erscheint, sie gemeinsam zu verhandeln und ter für ungültig erklärt werden. Daran ändert auch nichts, zu entscheiden. Das niederländische Recht gehe somit wei- dass Menzis als Krankenversicherer sich nicht selbst über das ter als die EuGVVO, in der eine gemeinsame Verhandlung Patent hinwegsetzen konnte. Eine ungerechtfertigte Berei- angezeigt ist, sofern eine gemeinsame Verhandlung geboten cherung lehnte das Gericht ebenfalls ab, da das Patent wäh- erscheint, um widersprechende Entscheidungen zu vermei- rend der Durchsetzung in Kraft war. den. Das Gericht bejahte vorliegend eine ausreichend enge Verknüpfung, da die Beklagten ein abgestimmtes Klagever- halten an den Tag legten. © 2022 sic! Stiftung, Bern / Helbing Lichtenhahn Verlag, Basel sic! 7–8 | 2022 Alle Rechte vorbehalten. 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Adrian Eugster | Julia Pugliese | Sebastian Suter Praxis des Immaterialgüterrechts in Europa 2022 tes Mal die Streitsache kommentiere. In der Instruktions- 5. Diskussion verhandlung erörtere der Fachrichter in der Regel seine In der Folge leiteten M ARK S CHWEIZER und D R . T OBIAS B REMI , Position ein erstes Mal. Dies diene einem ähnlichen Zweck beide Richter am Bundespatentgericht, eine Diskussion zu wie der Hinweis, dass die Möglichkeit bestehe, nach dem aktuellen Themen im Patentrecht. Fachrichtervotum Hilfsanträge einzureichen. Zu Beginn wies B REMI auf eine Entscheidung hin, in der festgestellt wurde, dass keine Rechtsgrundlage für die An- passung der Patentbeschreibung durch die Beschwerdekam- II. Marken- und Designrecht mer bestehe. B REMI wollte von B LUMER wissen, ob ein Pa- 1. Praxis der Beschwerdekammer des EUIPO und tentinhaber von der Beschwerdekammer verlangen könne, des EuGH dass diese die Sache direkt an die Einspruchsabteilung zu- rückschicke, ohne die Beschreibung anzupassen. B LUMER E LISABETH F INK , Mitglied der Beschwerdekammern des stellte fest, dass die Kammer die Beschreibung nicht selbst EUIPO, stellte vier Entscheide im Marken- und zwei weitere anpasse, sondern diese an die Einspruchsabteilung mit der Entscheide im Designrecht vor. Massgabe zurückschicke, die Beschreibung sei «falls nötig» Thema der ersten Entscheidung (GBK vom 10. Juni anzupassen. Zurzeit sei jedoch noch nicht klar, wohin sich 2021, R 368/2016, «Inmobiliaria Portixol») war die Schutz- diese Rechtsprechung entwickle. fähigkeit von geografischen Herkunftsangaben in Fällen, in Die Diskussion ging anschliessend über zu Fragen der denen es sich um ein sehr kleines geografisches Gebiet han- Einschränkung des Patentes während des Prozesses. S CHWEI- delt. Die zentrale Frage war, welche Voraussetzungen ge- ZER führte aus, das Bundesgericht habe entschieden, dass geben sein müssen, um davon ausgehen zu dürfen, dass eine zentrale Einschränkung nach Aktenschluss nicht mehr eine Ortsbezeichnung einem erheblichen Teil der relevanten berücksichtigt werde, da es sich in der Regel um ein unech- Verkehrskreise bekannt ist. «Portixol» sei ein Stadtteil von tes Novum handle. B REMI führte aus, dass nach schweizeri- Palma de Mallorca, der touristisch sehr begehrt und deshalb scher Rechtsprechung nicht klar sei, ob nach Erledigung des sehr bekannt sei, weshalb die Ortsangabe den relevanten Verfahrens ein Patentinhaber erneut mit einer eingeschränk- Verkehrskreisen in der EU bekannt sei. Da der Nachweis we- ten Fassung ans Gericht gelangen könne. Er wies auf Recht- der für Spanien noch für die EU erbracht werden konnte, sprechung hin, welche besagt, dass alle Ansprüche gegen wurde der negative Entscheid der Vorinstanz gestützt. einen Verletzer in einem Verfahren geltend gemacht werden Die nächste Entscheidung der Beschwerdekammer müssen. B REMI fragte die deutschen Diskussionsteilnehmer, (GBK vom 26. März 2021, R 551/2018, «Device») themati- wie dies in Deutschland gehandhabt werde, wenn parallel sierte die Verwechslungsgefahr bei Einzelbuchstaben. Die ein Nichtigkeitsverfahren beim Bundespatentgericht und erste Instanz hat einem Widerspruch stattgegeben, mit der ein Verletzungsverfahren vor den Zivilgerichten stattfindet. Begründung, beide Bildelemente zeigten ein A, wodurch P RINZ ZU WALDECK UND P YRMONT führte aus, dass ein Urteil sich bildlich, klanglich und begrifflich eine Verwechslungs- im Verletzungsverfahren die Parteien meist dazu bewege, gefahr ergebe. Die grosse Beschwerdekammer erkannte keine einen Vergleich abzuschliessen und es deshalb keine Ent- Verwechslungsgefahr und hob die Entscheidung auf. Sie be- scheidung im Nichtigkeitsverfahren gebe. Wenn sich am gründete dies damit, dass keine Zeichenähnlichkeit bestehe, Ende des Nichtigkeitsverfahrens herausstellte, dass das Pa- da der Querbalken eines A fehle. Der visuelle Gesamtein- tent nicht aufrechterhalten werden könne, gebe es die Mög- druck sei zudem grafisch unterschiedlich. Das Gericht fol- lichkeit, ein Wiederaufnahmeverfahren zu starten, sofern gerte daraus, dass, wenn man den Grossbuchstaben A nicht klar sei, dass die Verletzungsform nicht mehr vom Patent er- erkenne, auch der Klang nicht ähnlich sei. fasst ist. G R ABINSKI wies auf die Möglichkeit hin, in solchen In der dritten Entscheidung (EuGH vom 16. Juli 2020, Fällen eine Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH zu erhe- C-714/18, «tigha/TAIGA»), welche F INK vorstellte, hatte das ben, mit dem Antrag, die Beschwerde sei auszusetzen. Gericht die Möglichkeit, seine Rechtsprechung zur Frage der B REMI schilderte das Unbehagen des Schweizer Bun- teilweisen Benutzung nochmals zu erläutern. Eine bereits äl- despatentgerichts im Umgang mit Patentinhabern, welche tere Marke war für die Kategorien «Bekleidung» und «Ober- nach Aktenschluss ein zentrales Beschränkungsverfahren bekleidung» eingetragen. Die Widerspruchsgegnerin strebte anstreben. B REMI fragte, wie die Erkenntnisse eines Be- eine Neueintragung ihres Zeichens für die Waren der Unter- schränkungsverfahrens in Deutschland berücksichtigt wür- kategorie «Wetterschutzoberbekleidung nur zum Schutz ge- den. G R ABINSKI erklärte, dass in Deutschland der Hinweis gen Kälte, Wind und/oder Regen» an. Zumal in Bezug auf nach § 83 Patentgesetz eine wichtige Rolle spiele. Falle der die relevanten Kriterien zur Bestimmung einer als selbstän- Hinweis zu Ungunsten des Patentinhabers aus, so müsse dig qualifizierenden Untergruppe der Zweck und die Be- dieser alle Hilfsanträge stellen. Nur wenn der Hinweis dem stimmung der fraglichen Waren oder Dienstleistungen we- Patentinhaber einen Verfahrensausgang zu seinen Gunsten sentliche Kriterien darstellen, ist das Gericht in diesem Fall prognostiziere, brauche der Pateninhaber keine Hilfsanträge von einem einheitlichen Zweck der Waren der Kategorie zu stellen und könne seine Hilfsanträge im späteren Be- «Bekleidung» und «Oberbekleidung» ausgegangen, da alle rufungsverfahren bringen. S CHWEIZER warf ein, dass das Ge- Kleider/Oberbekleidung zur Bedeckung resp. zum Schutz richt mit dem Fachrichtervotum streng genommen ein zwei- des Körpers dienen. Die Kategorie «Wetterschutzbekleidung» © 2022 sic! Stiftung, Bern / Helbing Lichtenhahn Verlag, Basel Alle Rechte vorbehalten. 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BERICHTE | RAPPORTS sah das Gericht deshalb nicht als selbstständige Untergruppe richtsbarkeit der Unionsmarkengerichte bereits aufgrund an und bejahte eine Verwechslungsgefahr. von Art. 131 UMV nicht absolut sei, weshalb es durchaus Im letzten Urteil zum Markenrecht (EuGH vom 11. No- rechtmässig sein könne, auch in Unionsmarkenstreitigkei- vember 2020, C-809/18, «MAGIC MINERALS BY JEROME ten das nationale Gericht anstelle des Unionmarkengerich- ALEXANDER/MINERAL MAGIC») hatte das Gericht eine tes anzurufen. Streitigkeit im Zusammenhang mit einer sog. Agentenmarke In seinen weiteren Ausführungen machte H ILDEBR ANDT zu beurteilen. Die Inhaberin der Widerspruchsmarke hatte auf die seit langem umstrittene Frage aufmerksam, ob aus gestützt auf Art. 8 UMV Widerspruch gegen die neu an- eingetragenen, schutzunfähigen Zeichen Ansprüche abgelei- gemeldete Marke «MINERAL MAGIC» eingelegt. Die Be- tet werden können. Trotz gegenteiligem Ergebnis einer von schwerdekammer vertrat die Auffassung, dass gestützt auf der EU in Auftrag gegebenen Abklärung und entsprechender Art. 8 die Eintragung untersagt werden könne, wenn die Zei- Amtspraxis haben weder der EuG noch der EuGH bislang chen ähnlich sind. Das erstinstanzliche Gericht war hin- bestätigt, dass aus schutzunfähigen Zeichen keine Ansprü- gegen der Auffassung, dass nur bei Identität der Zeichen die che abgeleitet werden können. Vielmehr halten die beiden Eintragung gestützt auf Art. 8 UMV verwehrt werden könne. Gerichte an ihrer uneinheitlichen Entscheidungspraxis fest, Auf Klage des EUIPO hin hob der EuGH das Urteil auf. Der was nunmehr auch den deutschen Bundesgerichtshof in Ab- Wortlaut des Art. 8 UMV sei nicht klar, weshalb aus der feh- weichung zu seiner bisherigen Praxis dazu veranlasst hat, lenden Bezugnahme zum Begriff der Ähnlichkeit nicht grundsätzlich schutzunfähigen Zeichen Schutz zuzuspre- geschlossen werden könne, dass nur identische Marken chen (BGH vom 14. Februar 2019, I ZB 34/17, «KNEIPP»). gemeint sind. In den beiden darauffolgenden, von H ILDEBR ANDT vor- Im ersten Urteil zum Designrecht (GBK vom 24. März getragenen Fällen ging es insbesondere um Fragen des har- 2021, T-515/19) war das Design eines Lego-Steins umstrit- monisierten Rechts und den in diesem Zusammenhang feh- ten. Die Beschwerdekammer hatte dem Löschungsantrag ge- lenden Austausch in der EU. So entschied zum Beispiel ein stützt auf die Technizität stattgegeben. Der Gerichtshof hob rumänisches Gericht, dass eine Gesellschafterhaftung in je- die Anordnung mit der Begründung auf, die Nichtigkeits- nen Fällen denkbar ist, in denen die Gesellschafter einen ak- erklärung setze voraus, dass alle Erscheinungsmerkmale tiven Beitrag zur Markenrechtsverletzung leisten (Tribunal technisch bedingt sind. Die Beschwerdeführerin habe die Bucharest vom 6. Oktober 2020, 26303/3/2019), oder dass glatte Oberseite des Bausteins nicht als Erscheinungsmerk- gegen einen Markenrechtsverletzer in jedem Fall ein Unter- mal berücksichtigt und damit nicht alle Merkmale geprüft. lassungsanspruch besteht, selbst wenn die Verletzung be- Im zweiten und letzten Urteil (GBK vom 14. April endet ist (Tribunal Bucharest vom 22. Juli 2020, 3663/3/ 2021, T-579/19) zum Designrecht wurde thematisiert, in- 2019). Angewendet wurde in diesen Fällen nationales wiefern eine Sammelanmeldung mit einer Priorität einer Recht, obwohl der Begriff der «Verletzung» bzw. der «dro- PCT-Anmeldung in Anspruch genommen werden kann. henden Verletzung» harmonisiertes Recht darstellt. Der Prüfer hatte die Anmeldung gestützt auf Art. 41(1) GGV H ILDEBR ANDT setzte seinen Vortrag fort mit zwei Fällen, zurückgewiesen, da diese länger als sechs Monate zurück- mittels welchen er die grossen Hürden für Ansprüche aus liege. Die Entscheidung wurde vom Gerichtshof mit der Be- Unionsmarken erläuterte. So zeigte er zunächst anhand des gründung aufgehoben, das Gesetz sehe keine Regelung zur Falls «conectabalear» (Alicante Provincial Court vom Inanspruchnahme einer Patentanmeldung vor, weshalb es 25. April 2019, 538/2019) auf, wie Art. 16 UMV beinahe sich um eine Regelungslücke handle, welche zu ergänzen zur Vernichtung des Unterlassungsanspruchs der Unions- sei. Das Gericht kam letztendlich zum Schluss, dass das Prio- marke führt, da ein Unionsmarkenrechtsinhaber aufgrund ritätsrecht nach dem älteren Recht zu bestimmen sei. Die der Zuständigkeitsregelung nur dann auf Unterlassung der Zurückweisung des Prioritätsanspruchs sei deshalb fehler- Benutzung einer in einem anderen Land eingetragenen haft. Marke klagen kann, wenn er in dem jeweiligen Land vorab erfolgreich die Feststellung der Nichtigkeit der Marke er- wirkt hat. Anhand des Falles «LEDARE» (Gerechtshof Den 2. Praxis der Unionsmarkengerichte Haag vom 28. September 2021, 200.289.220/01) erläuterte Im Anschluss referierte P ROF. D R . U LRICH H ILDEBR ANDT, H ILDEBR ANDT im Anschluss die Problematik, dass Art. 132 Rechtsanwalt in Berlin, über die Praxis der Unionsmarken- und 128 UMV einem Unionsmarkenrechtsverletzer die gerichte. Möglichkeit eröffnen, jedes Verfahren stoppen und ausset- Vor dem Hintergrund des nach wie vor bestehenden zen zu lassen. Bedarfs nach Harmonisierung ging er in der Folge zunächst R ITSCHER und H ILDEBR ANDT kamen anschliessend zum auf Art. 123 UMV (Unionsmarkengerichte) und Art. 124 gemeinsamen Schluss, dass einerseits die Durchsetzung UMV (Zuständigkeit für Klagen betreffend Verletzung und einer Unionsmarke ausgesprochen schwierig ist. Es bestün- Rechtsgültigkeit) ein und skizzierte insbesondere redaktio- den dabei insbesondere in prozessualer Hinsicht nach wie nelle Fehler im Gesetzestext. vor derart viele systemimmanente «Bremsklötze», dass ein Dazu veranschaulichte H ILDEBR ANDT anhand eines Obsiegen im Unionsmarkenrechtsverfahren beinahe un- kurzen Falles (Rechtbank Rotterdam vom 20. Februar 2020, möglich geworden sei, weshalb auch die Empfehlung klar C/10/590180/KG ZA 20-65), dass die ausschliessliche Ge- dahin gehen müsse, Marken immer auch auf nationaler © 2022 sic! Stiftung, Bern / Helbing Lichtenhahn Verlag, Basel sic! 7–8 | 2022 Alle Rechte vorbehalten. 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Adrian Eugster | Julia Pugliese | Sebastian Suter Praxis des Immaterialgüterrechts in Europa 2022 Ebene anzumelden. Andererseits sollten sich nationale Ge- IV. IP in Osteuropa richte und Anwälte dringend mit dem Unionsmarkenrecht vertraut machen, da es durchaus vorkommen könne, dass Zum Abschluss der Tagung ging M ICHAEL W OLLER , Rechts- ausländisches Recht und damit auch Unionsmarkenrecht anwalt in Wien, auf das Thema IP in Osteuropa ein. angewendet werden müsse. W OLLER begann sein Referat mit Ausführungen zu den teils verkürzten Verjährungsfristen bei Dauerdelikten in ost- europäischen Ländern und dem damit einhergehenden Er- III. Urheberrecht: Praxis des EuGH und der nationalen fordernis erhöhter Aufmerksamkeit. Er verwendete dazu Gerichte einen Beispielfall aus Ungarn, welcher von einer aus Ab- P ROF. D R . T HOMAS D REIER , Professor und Institutsleiter am wandlung eines Musikstücks resultierenden Urheberrechts- Karlsruher Institut für Technologie (KIT), referierte zur ur- verletzung handelte, und zeigte auf, dass Zahlungsansprü- heberrechtlichen Praxis des EuGH und der nationalen Ge- che aufgrund der in Ungarn geltenden Vorschriften zur richte. allgemeinen Verjährungsfrist – mit Ausnahme der Klage in- Zunächst wies D REIER darauf hin, dass das Urheberrecht nert eines Jahres ab erstmaliger Kenntnisnahme – nur für zwar wie alle anderen IP-Rechte auch im europäischen Mehr- Eingriffshandlungen der letzten fünf Jahre bestehen. Des- ebenensystem verankert ist, es im Gegensatz zum Gemein- halb sollten sich Urheberrechtsinhaber schon frühzeitig mit schaftsmarken- oder Designrecht jedoch kein Gemein- der Abwendung allfälliger Verletzungen befassen. schaftsurheberrecht gibt. Unterschiede, die sich aus der na- Als nächstes griff W OLLER das Thema fremdsprachige tionalen Gesetzgebung ergeben, seien deshalb grundsätzlich Begriffe in der Werbung (inkl. Werbeslogans) auf. Er ging in hinzunehmen. Zwar wurde seit 1991 eine ganze Reihe sog. diesem Zusammenhang auf die in den meisten osteuropäi- Harmonisierungs-Richtlinien auf dem Gebiet des Urheber- schen Ländern vorhandene Einschränkung ein und erläu- rechts und der verwandten Schutzrechte verabschiedet, wel- terte, dass die Verwendung fremdsprachiger Begriffe – da ge- che dazu dienen sollten, das Urheberrecht anzugleichen und setzlich nicht bzw. nur beschränkt erlaubt – allenfalls zur Unterschiede in den Rechtsordnungen der einzelnen Mit- Verhängung von Verwaltungsstrafen führen kann. Erlaubt gliedsstaaten zu verringern oder aufzuheben. Dass daraus in ist die Verwendung fremdsprachiger Begriffe meist nur absehbarer Zeit ein Gemeinschaftsurheberrecht entstehen dann, wenn die Begriffe für den Verbraucher leicht verständ- wird, sei jedoch nahezu ausgeschlossen. D REIER erklärte wei- lich (z.B. «pizzeria» oder «pub») oder zusätzlich in die jewei- ter, dass in der Praxis deshalb insbesondere dem EuGH eine lige Landessprache übersetzt sind, wobei dann keine Über- entscheidende Rolle zukomme, wenn es darum geht, das Ur- setzung notwendig ist, wenn der Werbeslogan bereits als heberrecht der EU-Länder einander anzugleichen. Der EuGH Marke registriert ist. werde aufgrund des strikten Anwendungsvorrangs des W OLLER setzte seine Präsentation mit drei Fällen zur EuGH-Rechts immer dann von den nationalen Gerichten an- Durchsetzung von Farb- und Ausstattungsmarken fort. Er be- gerufen, wenn es um die Auslegung der europäischen Vor- gann mit einer Entscheidung des obersten Kassations- gaben geht. Es sei dabei jedoch zwischen dem nicht (voll- gerichtshofs Serbiens, aus der hervorgeht, dass Verwechs- ständig) harmonisierten und dem (voll- und teil-)harmo- lungs- und Assoziationsgefahr in Serbien als Rechtsfrage nisierten Bereich zu unterscheiden. Dabei nehme der EuGH vom Gericht selbst und nicht durch einen Sachverständigen im Bereich der Vollharmonisierung die volle Auslegungs- zu beurteilen sind. Anhand eines aus Bulgarien stammenden kompetenz für sich in Anspruch, einschliesslich der Anwen- Falls zum Thema Durchsetzung von Farb- und Ausstattungs- dung der europäischen Grundrechte. Zur methodischen Vor- marken zeigte W OLLER ferner auf, dass es in vielen osteuro- gehensweise des EuGH führte D REIER weiter aus, dass sich der päischen Ländern eine «Toolbox» gibt, die weit über das hin- Gerichtshof bei der Auslegung europäischer Rechtsbegriffe ausgehen kann, was aus der eigenen Heimatjurisdiktion stark an den korrespondierenden Rechtsbegriffen internatio- bekannt ist. So kann die Durchsetzung von Farb- und Aus- naler Konventionen orientiere, seiner Auslegung Wortlaut, stattungsmarken in Bulgarien beispielsweise nicht nur auf Ziel und Verhältnismässigkeit zugrunde lege sowie die Erwä- gerichtlichem Wege, sondern auch über die Wettbewerbs- gungsgründe zu den verschiedenen Richtlinien heranziehe behörde oder das Patent- und Markenamt erfolgen. Der und damit, trotz fehlendem Gemeinschaftsurheberrecht, dritte von W OLLER behandelte Fall handelte von einem Tank- eine mit dem Markenrecht vergleichbare Lage schaffe. Im An- stellendesign in Albanien, mit welchem eine Assoziations- schluss erläuterte D REIER im Detail vier Trends im Sinne ge- gefahr einherging, obwohl in Albanien selbst kein vergleich- meinsamer Grundkriterien, welche sich aus den mittlerweile bares Tankstellendesign bestand. Das Design der Tankstelle doch zahlreichen urheberrechtlichen Entscheidungen des war aber jenem eines Anbieters aus der zentralöstlichen und EuGH herausbilden lassen: (1) Vereinheitlichung statt (nur) südöstlichen europäischen Region sehr ähnlich und deshalb Harmonisierung, (2) inhaltliche Konsolidierung, (3) Heran- Fernfahrern, Urlaubern und Geschäftsreisenden aus Nach- ziehung der Grundrechte und (4) Berücksichtigung der Ver- barländern bekannt und somit geeignet, eine Assoziations- hältnismässigkeit. Damit schaffe man die Möglichkeit, schon gefahr hervorzurufen. vorgängig besser abschätzen zu können, wie der EuGH aller Zuletzt widmete sich W OLLER dem Thema Erschöpfung Vermutung nach entscheiden würde. des Markenrechts und in diesem Zusammenhang unter an- derem dem Fall «SILHOUETTE» (EuGH vom 16. Juli 1998, © 2022 sic! Stiftung, Bern / Helbing Lichtenhahn Verlag, Basel Alle Rechte vorbehalten. 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BERICHTE | RAPPORTS C-355/96), in welchem der EuGH entschieden hatte, dass es stösst, nicht grundsätzlich die Versagung der Anerkennung im Markenrecht nur eine EWR- und keine weltweite Er- dieser Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat auf- schöpfung gibt. Dennoch geht das oberste Kassationsgericht grund eines Verstosses gegen den ordre public dieses Staates Bulgariens von einer weltweiten Erschöpfung aus. Im Fall rechtfertigt. Die Geltendmachung eines allfälligen Verstos- «DIAGEO» (EuGH vom 16. Juli 2015, C-681/13) stellte der ses gegen den ordre public setze ohnehin die vorgängige Be- EuGH klar, dass der Umstand, dass eine in einem Mitglieds- schreitung des gesamten Rechtswegs im jeweiligen Land staat ergangene Entscheidung gegen das Unionsrecht ver- voraus. © 2022 sic! Stiftung, Bern / Helbing Lichtenhahn Verlag, Basel sic! 7–8 | 2022 Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung in anderen als in den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der schriftlichen Zustimmung des Verlages. Tous droits réservés. Toute représentation ou reproduction, intégrale ou partielle, faite sans le consentement préalable de la maison d’édition, est interdite. Auch auf www.legalis.ch und swisslex.ch / Également sur www.legalis.ch et swisslex.ch
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