PRESS REVIEW Tuesday, October 27, 2020 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal
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PRESS REVIEW Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal Tuesday, October 27, 2020
PRESS REVIEW Tuesday, October 27, 2020 Tip Berlin, PBS Trio con Brio Copenhagen im Pierre Boulez Saal Der Tagesspiegel Keine strengeren Regeln für die Berliner Kultur Frankfurter Allgemeine Zeitung Lasst die Theater offen Der Tagesspiegel Bayerische Bühnen wollen Ausnahme von Zuschauerobergrenze Die Zeit Ein Gespräch mit Anna Netrebko über die Zukunft der Oper Monopol Magazin Museen müssen das bessere Netflix werden. Ein Interview mit Kurator Peter Weibel Frankfurter Allgemeine Zeitung Dimitri Tschernjakov deutet Tschaikowskys „Jewgeni Onegin“ bei der Wiener Staatsoper Süddeutsche Zeitung Eine 14-CD Box huldigt dem Dirigenten Fritz Reiner Der Tagesspiegel Hetty Berg und ihre Pläne für das Jüdische Museum Süddeutsche Zeitung Erste Hilfe nach Öl-Anschlag auf Berliner Museen
27.10.2020 Veranstaltungen in Berlin diese Woche: Goldener Aluhut & Sophie Hunger KONZERTE & PARTY Trio con Brio Copenhagen Das Trio Con Brio Copenhagen gastiert diese Woche in Berlin. Foto: Nikolaj Lund Klassik Das Ensemble Trio con Brio Copenhagen feierte im vergangenen Jahr das 20. Jubiläum. Das Repertoire der koreanischen Schwestern Soo-Jin (Violine) und Soo-Kyung Hong (Violoncello) sowie des dänischen Pianisten Jens Elvekjaer fokussiert vor allem das 19. Jahrhundert sowie das Schaffen zeitgenössischer skandinavischer Komponisten. Beim Debüt des Trios im Pierre Boulez Saal trifft Bent Sørensens „Phantasmagoria“ (2007) auf kammermusikalische Werke von Beethoven und Smetana. Pierre Boulez Saal, Französische Str. 33 D, Mitte, Mi 28.10., 19.30 Uhr, www.boulezsaal.de https://www.tip-berlin.de/konzerte-party/veranstaltungen-berlin-diese-woche-kw44-konzerte-theater-musik-lesung/
27.10.2020 https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/471893/24-25 ,/ Erleichterung Keine strengeren Regeln für die Berliner Kultur „In der Philharmonie ist es derzeit sicherer als zuhause, wenn man sich dort mit anderen Menschen trifft.“ Kultursenator Klaus Lederer schätzt zwar die Lage der Corona-Pandemie als zunehmend ernst ein, für schärfere Maßnahmen im Bereich der Museen, Bühnen oder Konzertsäle aber besteht in seinen Augen aktuell keine Notwendigkeit, wie er am Montag im Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses sagte. Schließlich sind in Berlin die Vorgaben des Hygienerahmenkonzepts besonders streng. „Die Kultureinrichtungen können bedenkenlos genutzt werden“, findet darum Lederer - und er dürfte damit für einige Erleichterung in der hauptstädtischen Szene gesorgt haben. Martin Woelffer, der Chef der Komödie am Kudamm, hatte zum Wochenstart in einer Presseerklärung geschrieben: „Die Menschen haben wieder angefangen, sich daran zu gewöhnen, ins Theater zu gehen. Sie haben große Freude und können sich entspannen.“ Sobald die Leute aber von der Politik verunsichert würden, mache sich das unmittelbar im Kartenvorverkauf bemerkbar. Klaus Lederer berichtete im Kulturausschuss auch von den Anstrengungen seiner Verwaltung, notleidende Künstler und Institutionen zu unterstützen: Noch in dieser Woche sollen die Gewinner der mit jeweils 9 000 Euro dotierten Sonderstipendien bekanntgegeben werden, die die Kulturverwaltung aufgelegt hat. Weil sich über 8 000 Personen für die 2 000 zur Verfügung stehenden Stipendien beworben hatten, musste das Los entscheiden. Die Kulturverwaltung stellte 18 Millionen Euro für das Programm zur Verfügung. Im Bereich der „ Soforthilfe IV“, die für private Veranstalter und Bühnenbetreiber gedacht ist, befinden sich derzeit die meisten bewilligten Anträge in der Auszahlung. Die Liquiditätshilfe soll von Dezember 2020 bis https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/471893/24-25 1/2
27.10.2020 https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/471893/24-25 Februar 2021 fortgeschrieben werden, Klaus Lederer möchte das Programm so ausweiten, dass es auch Anschubfinanzierungen für die vollständige Wiederaufnahme des Spielbetriebs geben kann. Frederik Hanssen https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/471893/24-25 2/2
27.10.2020 https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/465755/9 F.A.Z. - Feuilleton Dienstag, 27.10.2020 Lasst die Theater offen Beispiel Bamberg: Der Verteilungskampf ist eröffnet Im „heute journal“ sagte der Regierende Bürgermeister von Berlin noch vor wenigen Tagen einen Satz, der eine ganze Branche aufatmen ließ: „Unser Problem ist nicht der Theaterbesuch.“ Nicht das Bühnenspiel vor einer kleinen maskierten Zuschauermenge, sondern die privaten Feiern ließen die Infektionsraten explodieren, „alle Situationen, in denen es nicht geordnet abläuft“. Im Deutschen Theater läuft es geordnet ab. Man steht draußen vor dem Eingang, bis eine Klingel ertönt, dann geht man maskiert in den Zuschauerraum, setzt sich auf seinen Platz mit Abstand zu den anderen, schweigt, schaut, applaudiert verhalten – das aerosollastige Bravo-Rufen ist im Theater sowieso schon länger außer Mode gekommen – und macht sich schnell wieder aus dem Staub. Keine Kurzkritik an der Garderobe, kein gemeinsames Weinglasschwenken im Foyer. Die Thea- ter geben landauf, landab ihr Bestes, um die gefürchtetste Nachrichtenzeile zu verhin- dern: „Superspreading im Theater“. Und doch, obwohl bisher keine einzige Infektion durch einen Theaterbesuch belegt ist, droht die Politik den Bühnenhäusern jetzt mit einer Verschärfung der Corona-Auflagen. In Bayern etwa ist die Rede davon, dass man die Zuschauerzahl bei einem Inzidenzwert von hundert oder mehr auf maximal fünfzig beschränken wolle. In einem offenen Brief an ihren Ministerpräsidenten haben dortige Theaterintendanten eindringlich gefordert, ihren Spielraum auch bei hohen Infektionszahlen nicht noch weiter einzuschränken. Schon jetzt, so etwa der Intendant des Münchner Residenztheaters, sei ein finanzielles Defizit nicht zu vermeiden, wenn jedoch die geplanten Maßnahmen griffen, bedeute das für alle Bühnen in Bayern eine unkalkulierbare Existenzbedrohung. Gerade die wenig oder gar nicht subventionierten Privattheater zittern. Konkurs droht bei einem neuerli- chen Shutdown eben nicht nur dem inhabergeführten Stadthotel, sondern auch dem Varietétheater um die Ecke. In dieser angespannten Situation trifft eine Hiobsbotschaft aus Bamberg ein: Hier kündigt die Stadt an, die Mittel für Kultur wegen ausfallender Steuereinnahmen im nächsten Jahr um 25Prozent zu kürzen. Das ortsansässige E.T.A.-Hoffmann-Theater muss mit etwa 80 000 Euro weniger im Etat rechnen und kann Stellenstreichungen nicht mehr ausschließen. Zu den die Abendeinnahmen senkenden Corona-Verordnungen kommt nun auch noch der Ausfall von Gewerbesteuern und damit eine Neuordnung der Subventionslandschaft hinzu: Der Verteilungskampf ist eröffnet. Corona wird Spuren hinterlassen, über deren Umfang man sich noch gar keine Vorstel- lungen macht. Schon jetzt teilte etwa der Berliner Theaterverein mit, dass Tickets im https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/465755/9 1/2
27.10.2020 https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/465755/9 Gegenwert von mehr als 200000 Euro rückabgewickelt wurden. Was also gerade auch auf dem Spiel steht, ist die Gewohnheit, überhaupt noch ins Theater zu gehen. Wenn die Poli- tik zulässt, dass Menschen in überfüllten Bahnabteilen eng zusammensitzen und mit herabhängender Maske telefonieren, aber verbietet, dass zweihundert schweigende Zuschauer in einem großen Theaterhaus einen „Don Karlos“ schauen, dann riskiert sie ihre Autorität. Man muss nicht mit falschem Pathos die „Kulturnation“ anrufen oder im Blüm’schen Überschwang schwören: „Ihr Theater ist sicher“, um mit aller Entschieden- heit darauf hinzuweisen, dass die Theater keine „kleineren Übel“ sind, mit denen man widerstandslos umspringen kann, um seine Handlungsfähigkeit zu beweisen. Wer die Theater schließt, nimmt einer ganzen Gesellschaft die Hoffnung auf Gegenwelt und Unterhaltung. Jetzt, wo wir mit bangem Blick auf einen trüben Winter schauen, kann man nur sagen: Ohne hellerleuchtete Theaterhäuser wird er noch viel düsterer. SIMON STRAUSS https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/465755/9 2/2
27.10.2020 https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/471893/24-25 ,/ NACHRICHTEN Bayerische Bühnen wollen Ausnahme von Zuschauerobergrenze Die Bayerische Staatsoper und das Staatsschauspiel wollen die in München seit dieser Woche geltende Obergrenze von 50 Zuschauern pro Vorstellung zur Eindämmung der Corona-Pandemie nicht akzeptieren. Man habe Sondergenehmigungen beantragt, teilten die Theater am Montag mit. Das Residenztheater möchte wie bisher 200 Zuschauer einlassen, die Oper hofft auf 500 Besucher. München hat am Wochenende die Schwelle von 100 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen einer Woche überschritten. dpa https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/471893/24-25 1/2
22 FEUILLETON DIE WELT I DIENSTAG, 27. OKTOBER 2020 ,,Der Lockdown war übertrieben" Einen Monat nach ihrer Corona-Erkrankung hat Anna Netrebko ein Konzert an der Mailänder Scala gegeben. Ein Gespräch über die Zukunft der Oper eh habe diesen Mist, der sich Coro- krank zu werden. Ich habe mich für 1 na nennt, geschlagen", schrieb Anna letzteres entschieden. täten war doch etwas übertrieben. Die auch zu bezahlen. In diesen Monaten dadurch, dass es weniger Opern und Sie sind also pessimistisch? Weltwirtschaft ist deshalb am Boden. konnten alle ein wenig aufatmen. mehr Konzerte gibt? Jeder Tag kann für die Künstler bedeu Netrebko auf Instagram vor kaum Die Theater und Künstler sind seit Mo Das hoffe ich wirklich nicht. ten, dass eine Aufführung abgesagt zwei Wochen. Bei einer „Don Carlo"- Wlirden Sie es wieder tun? naten ohne Arbeit. Haben die Hygieneregeln den Beruf wird, dass es eine Programmänderung Aufführung in Moskau hatte sie sich Ja, obwohl Covid-19 eine sehr ernste des Sängers verändert? Zum Beispiel Wie kam es zum Scala-Projekt? gibt oder eine Verschiebung. Da ist es infiziert. Sie musste mit Lungenent- Krankheit ist und einem wirklich Angst Auch in Russland? Das sollte nicht einfach ein Liederabend schwer, optimistisch zu bleiben. zündung in die Klinik. Jetzt hat sie an macht. Ich hatte das Glück, dass ich Wie in Italien - und anders als im übri mit Live-Aufnahme eines werden. Das der Mailänder Scala einen Konzert- sehr gut und sehr schnell behandelt �en Europa, wo man (abgesehen von ging weiter. Wir arbeiten gerade noch an Die Konzerte allein reichen Ihnen al abend gegeben. Den globalen Opern- wurde. Schon nach zwei Wochen konn Osterreich) erst gefahrlich langsam zusätzlichem Dokumentationsmaterial. so nicht? lockdown findet sie übertrieben. Über te ich mein normales Leben wieder auf wieder auf die Beine kommt - hat man Ich sehe mich auch als Schauspielerin, die Zukunft des Musiktheater macht nehmen. in Russland dafür gesorgt, dass die Um zu zeigen, dass man heute als Ge nicht nur als Sängerin. Ich liebe das sie sich Sorgen. Theater mit allen Sicherheitsvorkeh sangsstar nicht nur gut singen kön Theater, seine Bühnen und die Men Und auch schon wieder singen? rungen so schnell wie möglich wieder nen muss? schen, die dort arbeiten. Heutzutage be VON ANGELO FOLETTO Ich war noch geschwächt durch die Me- geöffnet werden. Es gibt noch ganz andere Wege der steht die Herausforderung darin, ein dikamente. Es ging mir nur langsam Kommunikation, das Publikum ist an Konzert in ein Theaterstück zu verwan WELT: Sie sind eigentlich kaum gene- wieder besser. Oft war ich müde. Aber Deshalb sind Sie so oft nach Italien spruchsvoller geworden und nicht mehr deln. In der Scala arbeiten wir in diese sen, da stehen Sie schon wieder auf meine Stimme wurde nicht beeinträch gekommen... so homogen. Doch die Stimme und ihr Richtung, und zwar sehr gut. der Bühne. War der Auftritt an der tigt. Ich habe Italien immer schon geliebt, Zauber sollten immer im Mittelpunkt Scala nicht riskant? nicht nur, als es uns jetzt die Möglich stehen. ANNA NETREBKO: Nach meinem Kli- Auch Sie hatten unter den corona-be keit gab, unser Leben wieder aufzuneh nikaufenthalt hatte ich die Wahl: Mich dingten Opern- und Konzertabsagen men. Die Open-Air-Veranstaltungen Welche Zukunft hat die Opernwelt? entweder aus Angst vor einer erneuten zu leiden. hier haben einen Weg aufgezeigt, der es Will sich nicht verstecken vor Corona: Ich sehe sie wie ein kleines Tier, dem Ansteckung zu verstecken oder wieder Der komplette Lockdown und die Absa dem ganzen Opernsystem ermöglichte, Anna Netrebko das Wasser bis zum Halse steht und das zu arbeiten mit dem Risiko, wieder ge beinahe aller künstlerischen Aktivi- ihren Künstlern Arbeit zu geben und sie versucht, nicht zu ertrinken.
monOPOL Autoren Kolumnen Radio Et Podcast Magazin Abo Magazin für Kunst und Leben ZKM-Direktor Peter Weibel 11 Museen müssen das bessere Netflix werden 11 _ Die Corona-Pandemie hat die Kunst ins Digitale getrieben -Kurator Peter Weibel war längst schon da. Hier erklärt der ZKMDirektor, warum virtuelle Ereignisse die Realität dominieren - und Nähe im Museum eine Fiktion ist, die nun zuende geht Herr Weibel, Sie kuratieren unter anderem die Karlsruher Schlosslichtspiele. Wie wirken Realität und digitale Kunst dabei zusammen? Die Schlosslichtspiele sind ein hochtechnisches Ereignis. Beim "Projection Mapping" werden nicht einfach Bilder wie auf eine Kinoleinwand projiziert. Stattdessen bekommt jede Künstlergruppe ein computerbasiertes 3DModell des Schlosses und hat dann den Auftrag, die Architektur der Fassade mit in die Bilder einzubeziehen. Das heißt jedes Pixel der Fassade wird Teil einer Bildkomposition und durch sie transformiert. Die Fassade bewegt sich, sie kann einstürzen oder zu einem Wasserfall werden bei dem das Wasser aus den Fenstern dringt. Durch eine projizierte Fantasiewelt kann man die reale gewissermaßen untergehen lassen. Bei den Schlosslichtspielen erkennt man schon eine Dominanz des Virtuellen, die die reale Fassade aber noch als Trägermedium braucht.
Wie hat die Corona-Pandemie die diesjährige Ausgabe der Schlosslichtspiele beeinflusst? Die Schlosslichtspiele haben dieses Jahr komplett digital stattgefunden. Wir haben das Schloss wiederum als 3D-Modell simuliert. Dafür haben wir eine Kameradrohne über das Schloss und den Park fliegen lassen, haben Nahaufnahmen und verschiedene Perspektiven aufgenommen. Wir haben dem Publikum angeboten, selbststeuernd mehr Perspektiven einzunehmen, als es in der Wirklichkeit hätte haben können. So hatte es online ein besseres Erlebnis. Aber liegt nicht ein besonderer Reiz darin, wenn man Kulturveranstaltungen live miterleben kann? Das virtuelle Ereignis dominiert das reale schon lange. Wir sind es seit Jahrzehnten alle gewohnt, nicht-reale Konzerte zu erleben. Die meisten Leute hören Orchesterkonzerte heute online über Apps. Ich persönlich habe zum Beispiel nie das Verlangen gehabt, die Beatles live zu hören. Mir hat die Musik genügt - damals auf Schallplatte, heute online. Wir leben schon lange in einem Online-Universum, tun aber noch so, als würden wir die Musik real hören müssen. Aufgenommene Musik ist das Eine, aber gilt das auch für den Museumsbesuch? Im Museum, wo sich Leute vor den Bildern drängeln, die sich gegenseitig nicht kennen und sich gegenseitig nur auf die Nerven gehen, wird - wie im Konzertsaal oder Theater - eine Nähe beschworen. Diese Nähe ist eine fiktive, von der Massenindustrie erlogene. Sie dient bloß dem Zweck, möglichst viele Besucher im Museum, im Theater oder Konzertsaal zu haben. Doch diese Fiktion geht nun zuende. Wirklich? Kaum war der Lockdown im Mai vorbei, schon strömten die Menschen wieder in die realen Kultureinrichtungen. Das sind klassische Entzugserscheinungen. Die Menschen standen unter dem Einfluss der Droge "Nähe", die plötzlich abgesetzt wurde. Und jetzt hauen sie sich noch einmal eine Dosis dieser toxischen Atmosphäre rein. Man sagt immer, das Virus kennt keine Grenzen. Doch das Virus kennt die Grenze von 1,5 Metern. Stattdessen sind wir es, die keine Grenzen kennen und herumreisen, um live ins Theater und Museum zu gehen. Wir müssen begreifen, dass nicht Nähe das Heilmittel für die Kultur ist, sondern Distanz - also telematischer Kulturgenuss.
Reichen da mit dem Smartphone gestreamte Führungen, um den virtuellen Besuchern diesen Kulturgenuss zu bieten? Das waren lobenswerte Anfänge während des Lockdowns. Aber das wird auf Dauer nicht reichen. Weil die Ansprüche der Zuschauer durch Streaming-Plattformen zu hoch geworden sind? Es liegt gleichermaßen an Produzenten und Rezipienten. Die Online-Besucher sind durch Netflix gewöhnt, Filme anzuschauen. Um sich von Fernsehen und Kino abzusetzen, bietet Netflix höhere Qualität und raffiniertere Dramaturgie. Aber was das Verhalten der Zuschauer angeht, will Netflix den passiven Zuschauer, der nicht partizipiert. Als Museum im digitalen Raum muss man nicht versuchen, das bessere Fernsehen zu sein, denn das ist Netflix. Man muss also versuchen, dass bessere Netflix zu sein. Man muss Angebote schaffen, die im Netz einzigartig sind, aber auch das Publikum beteiligen. Gerhard Richter in einer Dokumentation zu sehen, ist das Eine. Das Andere, ihm bei einem digitalen Interview-Event selbst eine Frage zu stellen. Wir werden solche neuen Formate finden, das ist mein Versprechen. Gerade kleinere Institutionen, die während der Krise neue, digitale Formate entwickelt haben, müssen diese jetzt wieder einstellen, weil sie ihre Leute wieder im normalen Betrieb brauchen. Das ist verfehlte Kulturpolitik. Die digitalen Angebote waren in den Monaten der Krise notwendig. Viele Häuser haben sehr ins Digitale expandiert und OnlineAngebote entwickelt. Wenn sie die jetzt nicht mehr weiter betreiben können, weil sie das dafür abgestellte Personal wieder für den realen Betrieb brauchen, ist das ein Fehler. Das, was Herr Spahn für das Pflegepersonal und die Altenheime tut, muss auch für Kulturinstitutionen kommen. Es braucht sofort eine Erhöhung der Budgets, damit sie den Standard, den sie Gottseidank erreicht haben, halten können. Damit sie Angebote im digitalen und realen Raum machen können. Denn die Digitalisierung des Museumsbetriebs wird zu- und nicht wieder abnehmen? Die Museen werden digitale Dependancen gründen müssen. Dafür braucht es neues Personal und neues Geld. Wir brauchen technisch versierte Leute, die neue Formate entwickeln für diese Museen. Die Museen werden natürlich noch Ausstellungen machen und interessierte Leute gehen da weiter hin. Aber das wird nicht genügen. Wenn sie in der kommenden Ferngesellschaft bestehen möchten, müssen sie auch Angebote machen, die “fern-tauglich” sind.
Im Internet sind die Menschen daran gewöhnt, nichts zu bezahlen. Wer finanziert das also? Ich bin dafür, dass das der Staat bezahlt. Das Museum hat einen Bildungsauftrag. Durch diese Krise können wir das lernen. Wir müssen die Herausforderung annehmen, die weit darüber hinausgeht, dass wir jetzt digitale Führungen anbieten. Die Museen werden sich darauf einstellen müssen, mithilfe von Online-Kursen, para-universitäre Einrichtungen zu werden. Und der Staat finanziert und zertifiziert das. Im Endeffekt muss die Grundfunktion des Museums für die Zukunft neu gedacht werden. Stichwort "Zoom-Fatigue": Sind digitale Angebote attraktiv für ein Publikum, das langes Starren auf Bildschirme ermüdend findet? Die "Fatigue" kommt daher, dass unsere Sinnesorgane noch nicht auf diese Form der Kommunikation trainiert sind. Wenn ich jemanden sprechen höre, lese ich gleichzeitig Gestik und Mimik der Person. Das sind Hilfsmittel, um das Gesagte besser zu verstehen. Bei Video-Konferenzen ist der Ton nicht der gleiche und ich sehe das Gesicht um winzige Sekunden zeitverzögert. Die Verarbeitung der Information ist dadurch anstrengender. Aber wir werden uns daran gewöhnen. In den 1960er-Jahren haben die Zeitungen über die Avantgarde-Filme geschrieben: “Diese schändlichen Filme mit tausend Schnitten pro Sekunde!” Heute macht die Werbung genau das und niemand beschwert sich über die vielen schnellen Schnitte. Die "Fatigue" ist Teil der Medienerziehung. Für mich ist das eine rein vorübergehende Erscheinung, weil wir am Anfang dieser evolutionären Entwicklung stehen. In Karlsruhe freut man sich darauf, die Schlosslichtspiele nächstes Jahr wieder real stattfinden lassen zu können. Landet die digitale Schlossfassade dann in der virtuellen Mottenkiste? Wir machen nächstes Jahr beides. Wir machen das Festival real und virtuell. Kultur ist heimlicherweise immer schon auf Reproduktion und endlose Distribution angelegt ist. Man nimmt ein Konzert auf, damit man es wiederholen kann, die Musiker leben von der Wiederholung im Radio. Sollen ein reales und ein virtuelles Ereignis nebeneinander stattfinden, müssen wir kreativer und innovativer werden. Da muss das Live-Ereignis etwas sein, dass nicht gleichwertig zum Online-Ereignis ist, sondern sich davon unterscheidet. Das ist die Herausforderung.
27.10.2020 https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/465755/9 F.A.Z. - Feuilleton Dienstag, 27.10.2020 Ganz ausweglos zu Hause Wie viel Ingmar Bergman steckt in Peter Tschaikowsky? Dmitri Tschernjakow deutet „Jewgeni Onegin“ Von Jan Brachmann, Wien Phantastisch in der Bildfindung, meisterhaft in der Personenregie, vorbildlich im Lesen des Stücks wie im Nachdenken über dessen Wirkung ist die Inszenierung Dmitri Tschern- jakows von Peter Tschaikowskys „Jewgeni Onegin“. Die Wiener Staatsoper zeigt sie gerade. „Wohin seid ihr entschwunden, goldene Tage meines Frühlings?“, singt Lenski, bevor er im Duell – hier bei einem fahrlässigen Handgemenge um eine alte Schnepfenflin- te – mit Onegin zu Tode kommt. Aber Tschernjakow denkt über Lenski hinaus: Das Stück selbst hat die goldenen Tage seines Frühlings hinter sich. Fort sind der Park und die Obst- wiesen auf dem Gut der Larins, wo Olga und Tatjana mit ihrer Mutter leben. Fort sind die Bauern, die über müde Füße klagen, und die Mägde, die bei der Arbeit lachen. Deren Lieder singt eine gutbetuchte Gesellschaft am Tisch der Larina: nostalgisches Amüsement der leisure class. Es gibt die Realität sozialer Alternativen nicht mehr: das Sich-selbst- Vergessen in körperlicher Arbeit, die Utopie des glücklichen Einswerdens mit einem Kollektiv. Es gibt auch keinen Außenraum mehr auf der Bühne, die Tschernjakow selbst entworfen hat. Alles spielt in den Wänden des Heims, das Tatjana unheimlich geworden ist. Apathisch sitzt sie zwischen den Menschen, von denen sie denkt, was Rilke gut zwanzig Jahre nach Tschaikowskys Oper schrieb: „Es ist, als ob ein Trug sie täglich äffte, sie können gar nicht mehr sie selber sein.“ Schal ist der jungen Frau dieser Frohsinn eines gesellschaftlichen Funktionierens geworden, der jede Aufrichtigkeit verhöhnt. Ihre Mutter, die Larina, tief beunruhigt über das Verhalten ihrer Tochter, hält mit herrischer Fröhlichkeit die Fassade einer intakten Familie aufrecht. Helene Schneiderman, bei der jeder Blick, jede Geste punktgenau sitzen, wirkt in dieser Rolle – auch durch die histori- sierenden Kostüme von Maria Danilowa und Jelena Sajzewa – wie Ghita Nørby als Karin kerblom in Bille Augusts Film „Die besten Absichten“ nach Ingmar Bergmans Drehbuch. Es ist aus diesen „Lyrischen Szenen“ nach Alexander Puschkin durch Tschernjakow ein häusliches Drama der bürgerlichen Familie geworden. Tschaikowsky, angewidert von Verdis „Aida“, wollte sich 1878 „von den äthiopischen Prinzessinnen, Pharaonen, Vergif- tungen“ befreien und schaffte mit seinem „Jewgeni Onegin“ den Anschluss der Oper an die Dramen von Ibsen und Strindberg, wurde zum Wegbereiter Tschechows, der Tschai- kowsky bewunderte. Genau diese Wirkung fernab von Bühnenklischees wie der Parkbank unterm Birkenbaum oder dem Chorreigen um die Obstkörbe, hat Tschernjakow durch seine Inszenierung https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/465755/9 1/3
27.10.2020 https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/465755/9 erfasst. Diese Verweigerung von gewohnten Bildern aber löste im Oktober 2006, als die Inszenierung erstmals am Moskauer Bolschoi Theater gezeigt wurde, eine derartige Wut auf den Regisseur aus, dass die frühere Primadonna Galina Wischnewskaja damals ankündigte, dieses Haus nie mehr zu betreten. Es ist nicht nur verdienstvoll, sondern ein Glück, dass Bogdan Roščić, der neue Intendant der Wiener Staatsoper, dieser Arbeit eine zweite Chance gibt. Für Tschaikowsky, der aus den zur Pose gewordenen Konventionen der Oper im neun- zehnten Jahrhundert zurückwollte zur psychologischen Evidenz singenden Handelns im Musiktheater Mozarts, ist es ein Segen, wenn so viele exzellente Mozart-Sänger unserer Zeit im Ensemble für seine Musik zusammenfinden: Andrè Schuen und Bogdan Wolkow standen als Guglielmo und Ferrando schon diesen Sommer in „Così fan tutte“ in Salzburg auf der Bühne. Jetzt singt Schuen einen Onegin von weltmännischer Kühle, leicht, geschmeidig, höflich – aber in der Pose arroganter Geltungssucht. Dieser Mann bleibt liebes- und lernunfähig bis zum Schluss, ein narzisstischer Schnösel. Man hat – im Film mit Ralph Fiennes oder durch den Sänger Günter Papendell in Barrie Koskys Berliner Inszenierung – differenziertere, melancholische Porträts dieser Figur sehen können. Diese in Wien ist aber sehr nah an Puschkins Original. Bogdan Wolkow als Lenski bekommt nach seiner Abschiedsarie ein „Bravo“ aus dem Publikum. Wie er die Verse „Wirst du kommen, schönes Mädchen, über meiner Urne weinen und sagen: Er hat mich geliebt?“ mit halber Stimme gesungen hat, vom Orchester der Wiener Staatsoper unter der Leitung von Tomáš Hanus in bebendem Pianissimo getragen, das musste das empfängliche Publikum auch zur Raserei treiben: Er ist ein Sänger, der kein Brüllen nötig hat, um seine Hörer hinzureißen. Nicole Car als Tatjana teilt sich in der Briefszene ihre Kräfte so klug ein, dosiert ihr Vibrato derart kontrolliert, dass ihr Sopran auch in der größten Lautstärke nie seine lyrische Farbe, Innigkeit und Wärme verliert. Anna Gorjatschowa, schon in Zürich in „Così fan tutte“ eine Dorabella von sinnlicher Glut, singt in Wien eine Olga, die in der Tiefe der Stimme den Ingrimm auf ihre Schwester Tatjana lodern lässt, von der sie glaubt, dass sie sich durch ihre Apathie nur wichtig machen wolle. Dmitri Iwaschtschenko, in René Jacobs’ Einspielung der „Entführung aus dem Serail“ der furiose Bass-Irrwisch als Osmin, singt in Wien den Fürsten Gremin weitab von der übli- chen Bräsigkeit eines Frühpensionärs. Wie er Herzenswärme und die Leichtigkeit des Konversationstons zu verbinden weiß, das nötigt das Publikum zum nächsten „Bravo“. Hier schafft es Iwaschtschenko, Tschaikowskys Ideal einer Balance aus sozialer Empathie und gewahrter Form im Gesang zu verkörpern. Dass Larissa Djadkowa als Amme Filipje- wna mit der Erzählung von ihrer kindlichen Zwangsverheiratung für einen erschüttern- den Moment sorgt, zeigt, wie genau diese Inszenierung sogar in den Nebenrollen durchge- arbeitet ist. Der Slowakische Philharmonische Chor, einstudiert von Jozef Chabroň, bewegt sich auf dem höchsten Niveau dessen, was ein Opernchor leisten kann. Die leichten Koordinati- onsstörungen beim Singen hinter der Bühne zu Beginn der dritten Szene sind die Ausnah- https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/465755/9 2/3
27.10.2020 https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/465755/9 me an einem Abend der Exzellenz. Tomáš Hanus hat es als Dirigent oft eilig, in der Polo- naise des dritten Akts so eilig, dass die punktierten Rhythmen verwaschen herauskom- men. Aber wie er den Streicherklang in der Einleitung der Briefszene zum erstickten Schrei dämpft und wie er die Herzrhythmusstörungen aus den Mittelstimmen vor der Finalszene herausholt, das verrät einen achtsamen Musiker. „Offen“ steht in roten Neonröhren an der Fassade der Staatsoper. Tausend Leute dürfen nach neuesten Pandemiebestimmungen noch in den Saal. Man kann dieser Inszenierung gar nicht genug Gäste wünschen. https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/465755/9 3/3
27.10.2020 https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/797149/11 Unsentimental Ei ne 14-CD-Box hul digt dem Di ri gen ten Fritz Rei ner Glän zend, rhyth misch scharf poin tiert, in leuch ten der En er gie und bei al ler ex plo siven Span nung im mer elas - tisch und fe dernd auch im stärks ten For tis si mo oder im lei ses ten Pia nis si mo, so klingt „Ein Hel den le ben“ von Richard Strauss. Wie die Streicher Fun ken stie ben las sen, wie die Holz blä ser auf flam men, wie das Blech stets no bel auf tritt – das al les hat Kraft oh ne Kraft meie rei, Be deu tung oh ne Wich tig tun, Ele ganz oh ne Ma nie ris - men. Ge krönt wird der Ein druck durch die voll kom me ne Abwe sen heit von Sen ti men ta li tät. Das Stück er klingt im bes ten Sin ne mo dern, wie es das Pitts burgh Sym pho ny Orches tra un ter der ge bie te ri schen Lei tung von Fritz Rei ner 1947 ein ge spielt hat. Es ist so mit rei ßend prä zi se, fett frei und bren nend in ten siv, dass man das Al ter der Auf nah men so fort ver gisst. Das Pitts burgh Sym pho ny Orches tra war nach dem Cin cin na ti Sym pho ny Orches tra das zwei te ame ri ka ni sche Orches ter, das Fritz Rei ner als Chefdi ri gent lei te te. In den zehn Jah ren von 1938 bis 1948 bau te er es zu ei nem der bis heu te bes ten Orches ter nicht nur der USA auf. Mit den Pitts burg hern mach te er auch sei ne ers ten kom - mer ziel le Auf nah men. Fritz Rei ner galt als kon se quen ter Orches ter feld herr mit manch mal des po ti schen An - wand lun gen. Sei ne Stren ge im mu si ka li schen An spruch und in den An forde run gen an das Orches ter, was Pro - ben ge nau ig keit, Vor be rei tung und Qua li tät der Aus füh rung be traf, wa ren ge fürch tet. Zu gleich hieß es aber, ein Jahr oder mehr un ter Fritz Rei ners Lei tung sei zwar das här tes te, aber auch das an re gends te Trai ning für Orches ter mu si ker. Die se bri san te Mi schung aus Kom pro miss lo sig keit und In spi ra tion lock te vie le jun ge Mu- si ker in die In dus trie stadt im Südwes ten von Penn sylva nia. Hört man in sei ne Pitts burgh-Auf nah men hin ein, dann kann man nur stau nen über den im mer ge spann ten, ge nau struk tu rier ten, im mer prä sen ten Orches ter klang in al len Sek tio nen. Der gro ße Cel lo meis ter Ja nos Star- ker, der beim Chica go Sym pho ny Orches tra So lo cel list bei Fritz Rei ner war, hat be tont, Rei ner wä re nie mit ei- ner vor ge fass ten Mei nung an die Mu sik heran ge gan gen, son dern ha be sei nen Stil aus dem jewei li gen Stück gewon nen. Der 1888 in Un garn ge bo re ne Rei ner war von 1914 bis 1921 Hofopern ka pell meis ter in Dres den. Hier be gann auch die Freund schaft mit Richard Strauss, des sen Di ri gierstil auch der Rei ners war: sparsa me, aber prä zis - kla re Bewe gun gen mit lan gem Stab, kein Arm ge fuch tel, da für der fes seln de Blick kon takt mit den Orches ter- mu si kern. So wurde er, der kei nerlei Show biz bot, zum Di ri gen ten, den auch an de re Di ri gen ten aufs höchs te schätz ten. Ne ben dem „Hel den le ben“ gibt es noch ei nen groß ar tig ent fal te ten „Don Qui xo te“ von Strauss mit dem gran - dio sen Cel lis ten Gre gor Pia ti gorsky, der das Stück noch 1932 un ter Strauss’ Lei tung in Frank furt so denk wür- dig ge spielt hat te, dass der Kom po nist ihm in die No ten schrieb: „Zu un ser al ler Se gen wünsch te ich mir, dass die ses Stück, wo im mer es un ter ei nem gu ten Di ri gen ten auf ge führt wird, von Ih nen ge spielt werden könn te.“ Die Pitts burg her Auf nah me von 1949 ent spricht die sem Wunsch des Kom po nis ten. Rei ner ach tet auf die in - stru men ta le Far big keit die ser bril lan ten Par ti tur in na he zu kam mer mu si ka li scher Auf lö sung. Nichts geht ver- lo ren, auch in den gro ßen For tis si mo-Stür men lärmt das Orches ter nie, son dern stets ist die viel fa che Schich - tung der Orches ter far ben durch hör bar. Und Pia ti gorsky ist der no bels te Rit ter von der trau ri gen Ge stalt. Bei spiel haft klar kon tu riert Rei ner das „Kon zert für Orches ter“ sei nes Leh rers und Freun des Béla Bartók, es war die ers te und gleich vor bild liche Ein spie lung die ses Meis ter werks, das der schon schwer an Leuk ämie er- krank te Bartók für das Bos ton Sym pho ny Orches tra kom po niert hat te. Rei ner hat te sich für den Auf trag an sei nen Freund ent schie den ein ge setzt. https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/797149/11 1/2
27.10.2020 https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/797149/11 Nie gibt es Anwand lun gen von Auf weichung oder Ge füh lig keit, von Nach läs sig keit oder Ge fäl lig keit. Ob Wie - ner Wal zer von Jo hann Strauß oder un ga ri sche Tän ze von Jo han nes Brahms, ob ein Wal zer von Richard Ro gers oder ein sym pho ni sches Med ley aus Ge or ge Gershwins Oper „Por gy and Bess“. Rei ner nimmt je de Mu sik in ih - rer unver wech sel ba ren Ei gen art wahr und ge stal tet sie aus sich selbst heraus. All dies ist auf den 14 CDs der Box „Fritz Rei ner – The Com ple te Co lum bia Al bum Collec tion“ (So ny Mu sic) zu hö ren: die Be geg nung mit ei nem der gro ßen Di ri gen ten des 20. Jahr hun derts, bei dem die Mu sik noch im mer frisch, vir tuos und vi tal klingt. Ha rald Eg ge brecht https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/797149/11 2/2
27.10.2020 https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/471893/24-25 ,/ Attraktiv für Besucher aus Deutschland Hetty Berg und ihre Pläne für das Jüdische Museum Hetty Berg, die neue Direktorin des Jüdischen Museums Berlin, wünscht sich, dass mittelfristig mehr Berliner und Besucher aus Deutschland in ihr Haus kommen mögen. Bei einem Antrittsbesuch im Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses sagte die Niederländerin, dass vor Beginn der Corona- Krise 75 Prozent der Gäste aus dem Ausland stammten. Die deutschen Gäste will sie mit kulturhistorischen Wechselausstellungen locken, 2021 beispielsweise mit einem Projekt zum Philosophen Moses Mendelssohn, für das die Lotto- Stiftung Geld bewilligt hat. Wobei, wie sie betonte, jüdische Gesichte stets aus dem Blickwinkel der Gegenwart betrachtet werden soll. https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/471893/24-25 1/2
27.10.2020 https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/471893/24-25 Aktuell dürfen pro Tag 700 Personen das Museum besuchen, zuvor waren es durchschnittlich 1700. Ende November hofft Hetty Berg, endlich auch die bereits seit Längerem ferti gestellte Kinderwelt „Anoah“ in der ehemaligen Blumengroßmarkt-Halle gegenüber vom Jüdischen Museum eröffnen zu können. Sie ist für Kinder von drei bis zehn Jahren gedacht und als Arche Noah konzipiert, mit vielseitig nutzbaren Tier- Skulpturen aus recycelten Materialien. Politisch möchte sich Hetty Berg, die seit dem 1. April im Amt ist und zuvor in Amsterdam arbeitete, von niemandem politisch instrumentalisieren lassen. Ihr Haus stehe für eine Vielfalt der Perspektiven. „Unsere Besucher sollen sich selber eine Meinung bilden.“ Was die Unabhängigkeit kultureller Institutionen angehe, betonte sie, sei Deutschland in Europa vorbildlich. Wichtig ist ihr, das Themenspektrum der Michael Blumenthal Akademie über die Fokussierung auf das Verhältnis von Judentum und Islam hinaus zu erweitern. „Hier kann auch ein innerjüdischer Dialog stattfinden.“ Von Pflichtbesuchen für Schulklassen im Jüdischen Museum hält Hetty Berg nichts: „Ich hoffe, unser Angebot ist so attraktiv, dass sie freiwillig kommen.“ Frederik Hanssen Foto: Sucksdorff/JMB/dpa Hetty Berg https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/471893/24-25 2/2
27.10.2020 https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/797149/11 Erste Hilfe nach Öl-Anschlag Wie wer den die Schä den an der Kunst be sei tigt? Noch im mer ist un klar, was ei nen oder meh re re Tä ter da zu brach te, am 3. Ok to ber in meh re ren Berli ner Mu- se en Kunst wer ke mit Öl zu be sprit zen. Auch wie es ihm ge lang, das un be merkt zu tun, fra gen sich vie le. Klar ist im mer hin, dass mit rund 70 zwar enorm vie le Wer ke be trof fen, dass die Schä den aber be heb bar sind. Wir frag ten zwei Ex per ten, wie sie da bei vor ge hen: Bar ba ra Helwing, die Di rek to rin des Vorderasia ti schen Mu se - ums, und Ste fan Si mon, den Di rek tor des Ra th gen-Forschungs la bors, des La bors der Berli ner Staat lichen Mu- se en. SZ: Wie weit sind Sie mit der Be sei ti gung der Schä den? Bar ba ra Helwing: Wir ha ben noch am sel ben Abend, nur et wa ei ne Stun de nach den Vor fäl len, mit Ers te-Hil fe- Maß nah men be gon nen. Da wischt man ab, was noch feucht ist, und versucht zu ver hin dern, dass das Öl ein - dringt. Bei vie len Ob jek ten, zum Bei spiel bei la ckier ten Bil der rah men oder Stücken aus Bron ze, ist nichts mehr zu se hen. Schwie ri ger ist es sicher bei Stein. Helwing: Da kommt es auf die Art des Steins an. Ist es ein dich ter Stein wie Mar mor, oder ist es Ba salt, ist es Kalk stein oder Sand stein? Die ha ben un terschied liche Po ro si tä ten, da dringt die Flüs sig keit un terschied lich tief ein. In so fern muss man für je de Art von Stein ei ne ei ge ne Be hand lung wäh len. Man versucht es an ei ner klei nen Stel le, funk tio niert es, macht man es an ähn lichen Ob jek ten auch so. Es ist nicht sehr kom pli ziert, aber es braucht sei ne Zeit. Als Laie geht man davon aus, dass in sol chen Fäl len nichts mehr zu ma chen ist. Wie lässt sich Öl aus Stein ent - fer nen? Helwing: Man legt ei ne mit Lö sungs mit tel ge tränk te Kom pres se, die aus Zell stoff oder Lehm be ste hen kann, auf den Stein. Das Lö sungs mit tel zieht nach und nach das Öl heraus. Das muss man dann be lie bi ge Ma le wie - der ho len. Das ist ein Pro zess, der Mo na te dauern kann. Was ist das Mit tel der Wahl? Ste fan Si mon: Ace ton ist ein gu tes Lö sungs mit tel für Öl. Aber weil es sehr flüch tig ist, ist es nicht sehr wirk- sam auf ka pil lar ak tiven Un ter grün den wie Sand stein. Da wä re ein lang sa mer verduns ten des Lö sungs mit tel wie Ethylace tat oder Me thyle thyl ke ton bes ser. Was heißt ka pil lar ak tiv? Si mon: Das sind Ma te ria lien, die von nicht zu klei nen und nicht zu gro ßen Po ren durch zo gen sind. Das Lö - sungs mit tel will die se Ober flä chen be net zen und ver brei tet sich durch die ka pil la re Ak tivi tät im In ne ren des Steins. Die Kom pres se ist ge tränkt mit dem Lö sungs mit tel, es dringt lang sam in den Stein ein, und wenn die Kom pres se dann all mäh lich trock net, zieht sie das Lö sungs mit tel samt dem Öl wie der heraus. War um ma chen Flüs sig kei ten, selbst wenn sie farb los sind, Ober flä chen dunk ler? https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/797149/11 1/2
27.10.2020 https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/797149/11 Si mon: Das hängt mit dem Bre chungs in dex zu sam men. Wenn die Ober flä che in ein Bin de mit tel mit ei nem hö - he ren Bre chungs in dex als die Luft ein ge bet tet ist, dann gibt es das, was wir Farbver tie fung nen nen, das heißt, dunk ler Stein wirkt dann dunk ler. Kann das Öl au ßer den Fle cken wei te re Schä den ver ursa chen? Kommt es zu che mi schen Re ak tio nen? Si mon: Nein, es han delt sich vor al lem um ein äs the ti sches Pro blem. Helwing: Und es baut sich ir gendwann von sel ber wie der ab. Das heißt, wenn Sie nichts tun würden, würden die Fle cken von selbst verschwin den? Helwing: Ja, Sie ken nen das ja: Öl wird ran zig, da bre chen Mo le kül ket ten, und das Öl geht in ei nen an de ren Zu stand über. Aber das kann 50 oder 100 Jah re dauern. So lan ge kön nen wir nicht war ten. In ter view: Jörg Häntzschel https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/797149/11 2/2
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