Pro-Ana-Foren im Internet - Befragungsstudie ihrer Nutzerinnen

 
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Neue Medien und Psychotherapie

Psychotherapeut 2011                        Christiane Eichenberg · Andrea Flümann · Kristin Hensges
DOI 10.1007/s00278-011-0861-0               Department Psychologie, Klinische Psychologie und
© Springer-Verlag 2011
                                            Psychotherapie, Universität zu Köln

                                            Pro-Ana-Foren im Internet
                                            Befragungsstudie ihrer Nutzerinnen

Die Pro-Ana- und Pro-Mia-Bewegung           leuten, die bei kritischen Inhalten mode-        2006/2007; Norris et al. 2006). Die ers-
werden als ein Zusammenschluss              rierend eingreifen können, miteinander           ten Foren sind in den 1990er Jahren auf
von Betroffenen in Internetforen be-        kommunizieren.                                   englischsprachigen Internetseiten ent-
schrieben, die ihre Essstörung nicht            Aus dem Bereich klinisch relevanter          standen (Hans 2007). Im Jahr 2000 ka-
nur nicht bekämpfen, sondern sich           Probleme im Zusammenhang mit der In-             men in US-amerikanischen Medien ers-
für diese aussprechen und sie auf-          ternetnutzung widmete man sich so den            te Berichte über Pro-Ana auf (Bell 2007);
rechterhalten wollen. Nach eingehen-        Motiven und Auswirkungen der Nutzung             in Deutschland wurden diese Foren mit
der Recherche hat der deutsche Ju-          bestimmter Onlinegruppen wie „Suizid-            einer Verzögerung von ca. 5 Jahren be-
gendschutz die Schließung zahlrei-          foren“, „Saufforen“ oder „Ritzerseiten“          kannt (Fritzsche 2004). Als Bewegung,
cher Pro-Ana-Foren veranlasst. Bis-         (Eichenberg 2008; Helle 2009). In diesen         die ihre Krankheit nicht überwinden,
lang mangelt es jedoch an aussage-          Kontext fallen auch bestimmte Typen von          sondern kultivieren will, stößt Pro-Ana
kräftigen Studien, die Pro-Ana-Fo-          Onlineplattformen von und für Essgestör-         schnell auf Unverständnis und Empö-
ren hinsichtlich ihrer Gefährlichkeit       te, die „Pro-Ana“-Foren. Wird das gene-          rung. Allein in Deutschland leiden über
untersucht haben. Die vorliegende           relle Potenzial des Internets zur Selbsthil-     100.000 Menschen, v. a. junge Frauen, an
Studie hatte zum Ziel, spekulativen         fe bei verschiedenen Störungen und Pro-          Magersucht; von Bulimie betroffen sind
Annahmen über Funktionen und Ef-            blembereichen insgesamt positiv einge-           sogar mehr als 600.000 (Zeeck 2008). Als
fekte der Nutzung von Pro-Ana-Foren         schätzt (Uden-Kraan 2010), so ist die Be-        Hauptnutzende der Pro-Ana-Foren wer-
empirische Ergebnisse gegenüberzu-          urteilung dieser Selbsthilfeforen deutlich       den entsprechend der bekannten Risiko-
stellen.                                    negativ. Alarmierend wird v. a. in Medi-         faktoren von Essstörungen v. a. Mädchen
                                            enberichten auf die Gefahren hingewie-           und junge Frauen beschrieben (Bundes-
Hintergrund                                 sen, die jedoch jenseits empirischer Evi-        ministerium für Familie, Senioren, Frau-
                                            denzen spekulativ sind.                          en und Jugend 2009; Dolan 2003). Vor
Das Internet stellt eine Fülle von Res-                                                      dem Hintergrund der hohen Mortalitäts-
sourcen für Betroffene von Essstörun-       Problematik der                                  rate der Anorexie wird das Engagement
gen bereit, die von reinen Informations-    Pro-Ana-Bewegung                                 in Pro-Ana-Foren nicht nur als Gefahr
seiten (Eichenberg 2004) bis hin zu kom-                                                     für die Mitglieder selbst, sondern auch
plexen internetbasierten E-Health-Pro-      Pro-Ana steht für Pro Anorexia nervo-            für Nichtbetroffene diskutiert (Bardone-
grammen wie „overcoming bulimia“ (Ba-       sa, Pro-Mia für Pro Bulimia nervosa.1 Die        Cone u. Cass 2007; Tkins 2002). Überdies
ra-Carril et al. 2004) reichen. Neben den   Pro-Ana- und Pro-Mia-Bewegung wer-               ist die Befürchtung zentral, dass durch die
professionell betreuten Informationssei-    den als ein Zusammenschluss von Betrof-          Glorifizierung der Essstörung eine Auf-
ten und Onlineberatungsangeboten exis-      fenen in Internetforen beschrieben, die          rechterhaltung der Krankheit bis zum Tod
tieren reine Selbsthilfeplattformen von     ihre Essstörung nicht nur nicht bekämp-          führen könne (Fritzsche 2004).
Betroffenen für Betroffene. Für eine Rei-   fen, sondern sich für diese aussprechen
he solcher Plattformen wurden in ersten     und sie aufrechterhalten wollen (Bar-            Eigenschaften der
Studien positive Effekte empirisch belegt   done-Cone u. Cass 2007; Jugendschutz             Pro-Ana-Websites
(Uden-Kraan 2010). In diesem Rahmen
                                            1 Da sich Pro-Ana- und Pro-Mia-Foren nur in
werden zunehmend „extreme commu-                                                             Die Mitglieder der Pro-Ana-Gemein-
nities“ (Bell 2007) diskutiert, womit On-   seltenen Fällen klar voneinander abgrenzen und   schaft finden sich in Internetforen auf
                                            die Bezeichnung „Pro-Ana“ sowohl umgangs-
linegruppen gemeint sind, in denen Be-      sprachlich als auch in der Fachliteratur domi-   selbstgestalteten Websites zusammen. Di-
troffene zu sehr prekären Themen und        niert, wird im Folgenden zusammenfassend die     ese können hinsichtlich Ausrichtung und
Problemen ohne Beteiligung von Fach-        Bezeichnung Pro-Ana verwendet.                   Inhalten stark variieren (Brotsky u. Giles

                                                                                                                Psychotherapeut 2011   | 1
Neue Medien und Psychotherapie

  2007; Lipczynska 2007). Eine „typische“      Wissenschaftliche Befunde                         Ebenfalls vergleichend gingen Wilson
  Pro-Ana-Seite ist in Pinktönen gehalten                                                    et al. (2006) sowie Harper et al. (2008)
  und mit kleinmädchenhaften Motiven ge-       Insgesamt wurde die Diskussion über die       in Befragungsstudien vor. Die Nutzer von
  staltet (Hans 2007). Oftmals wird auf der    Gefahren (aber auch über einen poten-         Pro-Ana-Seiten unterschieden sich hin-
  Startseite ein Hinweis integriert, der die   ziellen Nutzen) von Pro-Ana in verschie-      sichtlich der Schwere ihrer Krankheit
  Seite als Pro-Ana-Plattform ausweist und     densten Fachbereichen angeregt, z. B. aus     nicht von den übrigen Befragten, obgleich
  vor Inhalten mit potenziellem Trigger-Ef-    feministischer (Dias 2003), rechtspsycho-     ihre Krankheit länger andauerte (Wilson
  fekt warnt. Häufig wird um Verständnis       logischer (Heubrock et al. 2007) und de-      et al. 2006). Zu ähnlichen Ergebnissen ka-
  geworben und darum gebeten, von An-          zidiert psychotherapeutischer Perspektive     men Harper et al. (2008), die eine größe-
  feindungen abzusehen (Uca 2004). Cha-        (Eichenberg u. Brähler 2007).                 re Unzufriedenheit mit dem Körper sowie
  rakteristische Inhalte von Pro-Ana-Seiten        Zum jetzigen Zeitpunkt ist die For-       ein in stärkerem Maß essgestörtes Verhal-
  sind zum einen Informationen über ver-       schungslage zu den Motiven und Effekten       ten bei denjenigen feststellen, die regelmä-
  schiedene Essstörungen, deren Sympto-        der Nutzung von Pro-Ana-Foren spärlich.       ßig Pro-Ana-Seiten besuchten. In diesen
  matologie und Verlauf (Csipke u. Home        In ersten Studien wurden v. a. in qualita-    Merkmalen unterschieden sich die Pro-
  2007) sowie Informationen rund um das        tiven Designs die Einstellungen der Nut-      Ana-Mitglieder jedoch nicht von denjeni-
  Thema Ernährung, wie z. B. Kalorienta-       zerinnen zu ihrer Erkrankungen erfasst.       gen, die andere Selbsthilfeseiten besuch-
  bellen und Angaben über „sichere“ und        So stellen beispielsweise Fox et al. (2005)   ten. Allerdings zeigte die Studie von Stra-
  „unsichere“ Lebensmittel (Bader u. No-       den medizinischen, psychosozialen, so-        cke et al. (2008), dass Personen mit einer
  vak 2005). Zum anderen werden häu-           ziokulturellen und feministischen Erklä-      Essstörung, die sich zu Pro-Ana beken-
  fig Tipps und Tricks gegeben, die zu einer   rungsmodellen der Essstörung ein Anti-        nen, einen stärkeren Ausprägungsgrad
  Aufrechterhaltung des gestörten Essver-      Recovery-Modell gegenüber. Andere Au-         der psychischen Beeinträchtigung in Ver-
  haltens beitragen. Ein weiterer Bestand-     toren fokussierten die Kommunikation in       bindung mit einer geringeren Verände-
  teil sind „thinspirations“ z. B. in Form     den Pro-Ana-Foren. Mithilfe einer phä-        rungsbereitschaft aufwiesen als die Kon-
  von Fotos extrem schlanker Models, die       nomenologischen Analyse verschiedener         trollgruppe, die sich nicht zu Pro-Ana zu-
  dazu motivieren sollen, dünn zu sein (Fox    „Pro-Ana-message-threads“ über einen          gehörig zählt. Eine experimentelle Studie
  et al. 2005). Thinspirations können auch     Zeitraum von mehreren Wochen iden-            von Bardone-Cone u. Cass (2007) gab
  mithilfe von destruktiven Selbstinstruk-     tifizierten Mulveen u. Hepworth (2006)        Hinweise darauf, dass das bloße Betrach-
  tionen, Gedichten, Liedern oder Filmen       folgende 4 Schwerpunkte der Kommuni-          ten einer Pro-Ana-Seite auch bei Nicht-
  gegeben werden. Als wichtigstes Element      kation: „(1) tipps and techniques; (2) ana    essgestörten einen negativen Affekt, ver-
  aller Pro-Ana-Seiten gelten jedoch ih-       vs. anorexia nervosa; (3) social support;     ringertes Selbstwertgefühl und geringere
  re interaktiven Anwendungsbereiche (Fo-      (4) need for anorexia“. Sie kamen zu dem      Selbstwirksamkeit bezüglich des äußeren
  ren, Chats, „instant messaging“; Brotsky     Schluss, dass die Teilnahme an Pro-Ana-       Erscheinungsbilds hervorruft.
  u. Giles 2007).                              Foren aus verschiedenen Gründen erfol-            Um Einblick in die Nutzungsmotiva-
      Insgesamt sind Pro-Ana-Seiten meist      gen kann und daher nicht zwangsläufig         tion und das Nutzungsverhalten zu er-
  so organisiert, dass zum inneren Bereich     in einer Verstärkung der Essstörung mün-      halten, wendeten sich Csipke u. Home
  der Website nur diejenigen Zugang ha-        den muss. Manche Autoren wählten den          (2007) in einer Onlinebefragungsstudie
  ben, die sich angemeldet und ein „Bewer-     ethisch fragwürdigen Zugang zur Pro-          direkt an die Mitglieder 4 englischspra-
  bungsverfahren“ durchlaufen haben, was       Ana-Gemeinschaft, indem sie sich mit-         chiger Pro-Ana-Foren. Als Hauptbefund
  nach Meinung mancher Autoren sekten-         hilfe eines erdichteten Charakters in Pro-    zeigte sich, dass sich die Nutzungsmo-
  artig anmutet (Kunz 2007). Der deutsche      Ana-Foren einschleusten und so direkt         tive zwischen den aktiven und den pas-
  Jugendschutz hat nach eingehender Re-        mit ihren Mitgliedern in Kontakt traten       siven Userinnen unterschieden: Während
  cherche 80% der untersuchten deutsch-        (Brotsky u. Giles 2007).                      die passiven Teilnehmerinnen die Seiten
  sprachigen Internetseiten als problema-          Eine weitere Herangehensweise in-         zur Aufrechterhaltung gestörten Essver-
  tisch eingestuft und die Schließung zahl-    nerhalb der inhaltsanalytischen Studi-        haltens nutzten, suchten die Aktiven sie
  reicher Pro-Ana-Foren veranlasst (Ju-        en bilden Untersuchungen, die Pro-Ana-        überwiegend zur Gewinnung von emoti-
  gendschutz 2006/2007). Diese Maßnah-         Plattformen mit „traditionellen“ Online-      onaler Unterstützung auf. Die Ergebnisse
  men haben die Pro-Ana-Bewegung je-           selbsthilfeangeboten und Seiten von pro-      weisen darauf hin, dass die aktive Teilnah-
  doch nicht eindämmen können, sondern         fessionellen Organisationen vergleichen.      me positive Effekte auf die Krankheit ha-
  dazu geführt, dass die Administratoren       Hauptbefunde sind, dass Pro-Ana-Sei-          ben kann und v. a. die passiven „lurker“
  ihre Seiten mit weniger offensichtlichen     ten vergleichsweise zahlreicher und bes-      Anlass zur Sorge geben.
  Namen auf andere Server verlegt haben        ser organisiert sind (Chesley et al. 2003),       So lassen sich auf der Grundlage der
  (Jacoby 2008).                               mehr therapiebezogene Informationen           aktuellen Forschungssituation trotz der in
                                               liefern als erwartet und in gleichem Maß      den Medien artikulierten Befürchtungen
                                               die Wirksamkeit der Behandlung von Ess-       neben negativen Auswirkungen auch po-
                                               störungen betonen (Keller et al. 2009).       sitive Effekte der Aktivität in Pro-Ana-Fo-
                                                                                             ren feststellen.

2 |   Psychotherapeut 2011
Zusammenfassung · Abstract

   Die dargestellten Ergebnisse zum Phä-       Psychotherapeut 2011 · [jvn]:[afp]–[alp]   DOI 10.1007/s00278-011-0861-0
nomen Pro-Ana, die fast ausschließlich         © Springer-Verlag 2011
im angloamerikanischen Raum gewon-
                                               Christiane Eichenberg · Andrea Flümann · Kristin Hensges
nen wurden, zeigen weiteren Forschungs-
                                               Pro-Ana-Foren im Internet. Befragungsstudie ihrer Nutzerinnen
bedarf auf. So ist z. B. die Beschreibung
der Nutzerklientel bis jetzt vernachlässigt    Zusammenfassung
worden. Zudem sprechen die bisherigen          Theoretischer Hintergrund. Die „Pro-Ana-          Ergebnisse. Die Gesamtstichprobe weist
Befunde für eine unterschiedliche Aus-         Bewegung“ im Internet stößt auf viel Kritik.      eine hohe psychische Belastung und starke
richtung der Foren und für eine unein-         Unter der Annahme, dass sich eine Mitglied-       Ausprägung essgestörter Symptomatik auf.
                                               schaft gefährlich auf junge essgestörte Frau-     Die Nutzerinnen von Pro-Ana-Foren stellen
heitliche Pro-Ana-Philosophie, was not-
                                               en auswirkt, kommt es zu Schließungen von         jedoch keine heterogene Gruppe dar. Mithilfe
wendig macht, Teilnehmerinnen aus un-          www-Seiten, die Essstörungen verherrlichen.       einer Cluster-Analyse konnten 3 Nutzertypen
terschiedlichen „pro-ana communities“ in       Bislang mangelt es jedoch an aussagekräfti-       identifiziert werden, die sich hinsichtlich der
Befragungsstudien einzubeziehen.               gen Studien, die Pro-Ana-Foren hinsichtlich       Nutzungsmotive, des Alters sowie der Dauer
                                               ihrer Gefährlichkeit untersucht haben.            der Mitgliedschaft und Essstörung voneinan-
Fragestellungen                                Fragestellung. Wer nutzt Pro-Ana-Foren und        der unterscheiden.
                                               aus welchen Motiven? Welche Auswirkungen          Schlussfolgerung. Die öffentliche Kritik an
                                               hat die Forenmitgliedschaft auf den Wunsch        diesen spezifischen Essstörungsplattformen
Die vorliegende Studie hatte zum Ziel,         nach Gewichtsreduktion, Therapiebereit-           ist nur bedingt gerechtfertigt, und ein pau-
spekulativen Annahmen über Funktionen          schaft und das psychische Wohlbefinden?           schales Verbot auf der Grundlage der vorlie-
und Effekte der Nutzung von Pro-Ana-           Methode. Es beantworteten 220 adoles-             genden Befunde ist kontraindiziert.
Foren empirische Ergebnisse gegenüber-         zente Nutzerinnen deutschsprachiger Pro-
zustellen. Folgende offene Forschungsfra-      Ana-Foren einen von den Autoren eigens            Schlüsselwörter
                                               konstruierten Onlinefragebogen, einschließ-       Essstörungen · Internet · Kommunikation ·
gen wurden aufgegriffen:                       lich des Brief Symptom Inventory (BSI) und        Selbsthilfegruppen · Fragebogen
1. Welche soziodemografischen Merk-            des Eating Attitudes Test (EAT-26).
   male besitzt die Nutzerklientel von
   Pro-Ana-Websites?
2. Welche Symptombelastung und The-            Pro-ana communities on the Internet. Survey of users
   rapieerfahrung weisen die Teilnehme-
                                               Abstract
   rinnen auf?                                 Background. Considering the powerful me-          and a highly characteristic symptomatolo-
3. Welches Nutzungsverhalten lässt sich        dia backlash and the assumption that pro-         gy of eating disorders. The users of pro-ana
   identifizieren?                             ana is dangerous for young women with eat-        communities do not demonstrate a het-
4. Welche Motive sind ausschlaggebend          ing disorders many pro-ana websites that ex-      erogeneous population. By the use of clus-
   für die Partizipation an solchen virtu-     plicitly encourage extreme thinness and ad-       ter analysis three user types could be iden-
                                               vocate anorexia as a lifestyle choice rath-       tified which differed from each other with
   ellen Plattformen?
                                               er than an illness have closed down. Howev-       respect to user motives, age and the dura-
5. Welche Effekte sind zu erwarten?            er, there is a lack of meaningful studies which   tion of the eating disorder and participa-
6. Lassen sich verschiedene Nutzertypen        have investigated the pro-ana communities         tion in the community.
   identifizieren?                             with respect to the real risk.                    Conclusion. The media backlash and criti-
                                               Aims. Who uses pro-ana communities and            cism of these specific eating disorder com-
Methode                                        what are the reasons? What is the impact of       munities appear to have only limited justifi-
                                               the community on the desire for weight re-        cation and an overall prohibition is contra-
                                               duction, therapy willingness and mental           indicated based on the results of the pres-
Datenerhebung                                  well-being? A total of 220 adolescent users of    ent study.
                                               german-speaking pro-ana communities re-
Um die aufgeführten Forschungsfra-             sponded to a self-developed online question-      Keywords
gen zu klären, wurde eine Onlinebefra-         naire including the brief symptom inventory       Eating disorders · Internet · Communication ·
                                               (BSI) and eating attitudes test (EAT-26).         Self-help groups · Questionnaires
gungsstudie durchgeführt. Bei der Befra-
                                               Results. The results showed that respon-
gung der Mitglieder einer Gemeinschaft,        dents have a high degree of mental stress
die bisher ausschließlich als Internetge-
meinschaft aufgetreten ist, bietet sich die-
ser Befragungsmodus an. Zudem ermög-
licht eine internetbasierte Befragung eine
leichte Erreichbarkeit (ansonsten schwer
zugänglicher) größerer Stichproben und ein
hohes Maß an Anonymität. Aufgrund der
negativen Berichterstattung und der re-
sultierenden Schließung zahlreicher Pro-
Ana-Seiten kann davon ausgegangen wer-
den, dass gerade der Aspekt der Anony-

                                                                                                                       Psychotherapeut 2011        | 3
Neue Medien und Psychotherapie

  mität entscheidend für die Bereitschaft zu    verhalten und die Zufriedenheit mit dem       schaft (z. B. bezüglich Einsamkeit) sowie
  einer Befragungsteilnahme ist. In der ein-    eigenen Gewicht.                              das Ausmaß der Integration der Essstö-
  schlägigen Literatur zur Onlineforschung         Da diagnostische Instrumente zur Er-       rung und der Pro-Ana-Erfahrungen in
  (Reips 2010) werden empirisch abgesi-         fassung der Essstörung nach Klassifika-       das reale soziale Umfeld.
  cherte Empfehlungen zu Aufbau und Ge-         tionskriterien der International Statis-
  staltung von webbasierten Fragebogen ge-      tical Classification of Diseases and Re-      Stichprobenbeschreibung
  geben, die allesamt in der in dieser Stu-     lated Health Problems-10 (ICD-10) den
  die genutzten Befragungssoftware (http://     Umfang des Fragebogens in unzumutba-          Die Onlinebefragung wurde Ende 2008
  www.unipark.de) berücksichtigt sind.          rer Weise erweitert hätten, wurde der Ea-     über 5 Wochen durchgeführt. Die Erhe-
     Zur Rekrutierung der Nutzerinnen           ting Attitudes Test-26 (EAT-26, Münster;      bungsdaten sprechen für eine Teilnahme
  von Pro-Ana-Plattformen wurden zu-            Meermann u. Vandereycken 1987) in den         von Mitgliedern aus mindestens 64 Foren.
  nächst 94 deutschsprachige Pro-Ana-Fo-        Fragebogen integriert. Der EAT-26 er-         In die endgültige Stichprobe von 220 Be-
  ren identifiziert und die jeweiligen Web-     fasst den Schweregrad essgestörter Ver-       fragten gingen nur jene Teilnehmerinnen
  masterinnen mit der Bitte, den Aufruf zu      haltensweisen und Gedanken mithilfe von       ein, die mehr als zwei Drittel des Frage-
  der Onlinebefragungsstudie zu posten,         26 Items, die auf 3 Faktoren laden: Diät-     bogens und mindestens eines der beiden
  angeschrieben. Der von den Autoren ei-        verhalten, Bulimie und ständige gedank-       standardisierten Instrumente (EAT-26
  gens entwickelte Fragebogen wurde zu-         liche Beschäftigung mit Nahrung sowie         oder BSI) vollständig ausgefüllt hatten.
  nächst im Prätest auf Praktikabilität sowie   orale Kontrolle.
  Verständnis geprüft (n = 14) und entspre-                                                   Soziodemografie
  chend der Rückmeldungen überarbeitet,         Allgemeines psychopathologisches
  sodass in der vorliegenden Studie ein Fra-    Profil. Zur Erfassung der allgemeinen         Die Gesamtstichprobe von N = 220 setzte
  gebogen mit 99 Items zum Einsatz kam.         psychopathologischen Merkmale wurde           sich überwiegend aus adoleszenten Frau-
  Die Darbietung der Fragen wurde durch         das Brief Symptom Inventory (BSI; Dero-       en [97,7% weiblich; Alter: Mittelwert
  Filterführung auf das individuelle Ant-       gatis u. Melisaratos 1983) in der deutschen   (M)= 20,40 Jahre, Standardabweichung
  wortverhalten der Teilnehmerinnen zu-         Version eingesetzt. Mit dem BSI wird die      (SD) ± 4,34 Jahre] mit höherem Bildungs-
  geschnitten, sodass jeder Befragungsper-      subjektiv empfundene Beeinträchtigung         niveau zusammen. Die meisten Befragten
  son nur die für sie relevanten Items prä-     durch 53 körperliche und psychische           (87,7%) waren ≤ 25 Jahre alt. Daraus er-
  sentiert wurden. Das Befragungsinstru-        Symptome bei einem Zeitfenster von            gibt sich, dass drei Viertel der Teilneh-
  ment setzte sich insgesamt aus folgenden      7 Tagen auf 9 Skalen erfasst. Ermittelbar     merinnen (77,4%) zurzeit der Befragung
  6 Fragenblöcken zusammen:                     ist ebenso u. a. der Global Severity Index    in Ausbildung waren und der höchs-
  F Soziodemografie,                           (GSI), der die grundsätzliche psychische      te Schulabschluss dementsprechend war
  F Essverhalten,                              Belastung misst. Ein Proband gilt als psy-    (88%: mindestens mittlere Reife). Gut die
  F allgemeines psychopathologisches           chisch auffällig belastet, wenn der GSI ≥63   Hälfte der Befragungsteilnehmer lebte in
      Profil,                                   ist oder wenn die T-Werte bei mindestens      einer Partnerschaft (51,4%).
  F Nutzung von Pro-Ana-Seiten,                2 Skalen ≥63 sind.
  F Psychotherapie sowie                                                                     Ergebnisse
  F psychosoziale Integration und Verän-       Nutzung von Pro-Ana-Seiten. Erhoben
      derungen.                                 wurde u. a., wie die Teilnehmerinnen auf      Symptombelastung
                                                Pro-Ana aufmerksam geworden waren
  Soziodemografie. Erhoben wurden u. a.         und seit wann sie mit welcher Häufigkeit      Selbstauskunft zum Vorliegen
  Geschlecht, Alter, bislang erreichter Bil-    aufgrund welcher Motive ein oder mehre-       einer Essstörung
  dungsabschluss, berufliche Tätigkeit und      re Pro-Ana-Foren besuchen. Die generelle      Fast alle Befragten (91,7%) gaben an, an
  Beziehungsstatus.                             Einstellung zu Pro-Ana wurde erfragt.         einer Essstörung zu leiden. Auf die Frage
                                                                                              nach der Art der Essstörung konnten die
  Essverhalten. Die Teilnehmerinnen wur-        Psychotherapie. Erfasst wurden mög-           Betroffenen offen antworten (. Abb. 1).
  den gebeten, ihre Körpergröße und ihr         liche Psychotherapieerfahrungen (aktu-        Von denjenigen, die das Vorliegen einer
  aktuelles Körpergewicht zu nennen. Zu-        elle, vergangene, Art und Dauer, Erfolge,     Essstörung mitteilten, gaben 34,5% an, seit
  dem wurden sie nach dem Vorliegen, der        Gründe bei evtl. Abbrüchen) sowie die         mehr als 6 Jahren darunter zu leiden; es
  Art und dem Andauern einer Essstörung         Einstellungen zu einer Therapie und mög-      berichteten 51,0% der Teilnehmerinnen
  gefragt. Das jeweils höchste und niedrigs-    lichen diesbezüglichen Einstellungsände-      von einer Dauer zwischen 2 und 6 Jah-
  te Körpergewicht sowie die Zufriedenheit      rungen seit der Pro-Ana-Mitgliedschaft.       ren.
  mit dem aktuellen Gewicht bzw. das Be-                                                         Über die Selbstangaben des Körperge-
  dürfnis nach Gewichtsreduktion wurden         Psychosoziale Integration und Verände-        wichts und der Körpergröße wurde der
  ebenso erfasst wie direkte Auswirkungen       rungen. Erhoben wurden die subjektiven        Body-Mass-Index (BMI) ermittelt und da-
  des Pro-Ana-Foren-Besuchs auf das Ess-        Einschätzungen nach psychosozialen Ver-       mit, ob das Körpergewicht unter dem er-
                                                änderungen durch die Pro-Ana-Mitglied-        warteten Gewicht liegt und damit ein Kri-

4 |   Psychotherapeut 2011
50,0%
terium für eine Essstörung nach ICD-10
erfüllt ist. Betroffene, die einen Wert von
                                                                         40,0%
≤17,5 kg/m2 erreichen, erfüllen ein Krite-                                            44,6%

rium für Anorexia nervosa. Dies war bei
über einem Viertel (28,6%) der Pro-Ana-                                  30,0%
Teilnehmerinnen der Fall. Als unterge-
wichtig gelten nach der World Health Or-
                                                                         20,0%
ganization (WHO) Personen, die einen
BMI
Neue Medien und Psychotherapie

      Tab. 1 Motive zur Teilnahme an Pro-Ana-Foren auf einer 5-stufigen Rating-Skala                    Selbsthilfegruppe, die dabei unterstützt,
      (N = 219–220)                                                                                     eine Essstörung zu überwinden. Pro-Ana
      Ich nutze das Forum, …                                                 Mittel-    Standardab-     als Lifestyle (8,6%) oder als ein Hobby
                                                                             wert (M)   weichung (SD)   (0,5%) erlebten insgesamt weniger als ein
      um Menschen mit ähnlichen Problemen und Gedanken kennenzu-             3,86       0,51            Zehntel der Befragten. Der Wunsch nach
      lernen                                                                                            Aufrechterhaltung der Essstörung wurde
      weil mich sonst niemand versteht                                       3,40       0,87            von den Befragten am häufigsten durch
      um meine Probleme, die zur Essstörung geführt haben oder dazu bei-     3,17       1,06            Aspekte des Krankheitsgewinns begrün-
      tragen, mitteilen zu können                                                                       det, gefolgt von Angaben, die als erfolg-
      um andere bei Problemen zu unterstützen, die zu ihren Essstörungen     3,10       1,19            lose Überwindungsversuche zusammen-
      geführt haben oder dazu beitragen
                                                                                                        gefasst werden konnten. Die häufig der
      weil mich die anderen motivieren, beim Erreichen meines Wunschge-      2,67       1,22
                                                                                                        Pro-Ana-Bewegung zugeschriebene Ein-
      wichts durchzuhalten
                                                                                                        stellung, die Magersucht bis in den Tod
      um Tipps zu bekommen, wie ich am besten abnehmen kann                  2,29       1,37
                                                                                                        aufrechterhalten zu wollen („Ana till the
      um andere beim Erreichen ihres Wunschgewichts zu unterstützen          2,26       1,25
                                                                                                        end“, ATTE), wurde von der absoluten
      um jemanden zu finden, mit dem ich gemeinsam abnehmen kann             2,20       1,26
                                                                                                        Mehrheit (70,3%) der Befragten stark ab-
      um anderen zu helfen, die Essstörung zu überwinden                     1,94       1,23
                                                                                                        gelehnt. Ein wenig oder voll und ganz teil-
      um mich beim Abnehmen mit anderen vergleichen/messen zu können         1,93       1,34
                                                                                                        ten 5,0% diese Einstellung.
      um andere vor den Gefahren einer Essstörung zu warnen                  1,86       1,31
      um Informationen über Anorexie/Bulimie zu bekommen                     1,84       1,38
                                                                                                        Auswirkungen der
      um anderen Tipps zu geben, wie sie besser abnehmen können              1,54       1,21
                                                                                                        Pro-Ana-Nutzung
      um ein Mitglied der Pro-Ana-/Mia-Gemeinschaft zu sein                  1,54       1,52
      um Informationen zu bekommen, wie ich professionelle Hilfe zur Über-   1,22       1,13            Die Auswirkungen der Teilnahme an Pro-
      windung der Essstörung finde
                                                                                                        Ana Foren wurde auf körperlicher Ebene
      aus Neugier                                                            0,74       1,15
                                                                                                        in Bezug auf Essverhalten und potenzielle
      um meine Essstörung loszuwerden                                        0,73       0,93
                                                                                                        Gewichtsveränderung während des Zeit-
      um andere für Pro-Ana/-Mia zu begeistern                               0,19       0,69
                                                                                                        raums der Nutzung sowie hinsichtlich
      0 trifft gar nicht zu bis 4 trifft vollkommen zu.
                                                                                                        psychischer, sozialer und kognitiver As-
                                                                                                        pekte erfasst.
      Dem Motiv, „um Menschen mit ähn-                    reduktion zu helfen, verbunden sind. Fak-
  lichen Problemen und Gedanken ken-                      tor 2 wurde mit Überwindung der Ess-          Gewichtsreduktion während
  nenzulernen“, wurde am stärksten zuge-                  störung bezeichnet, da hier solche Nut-       der Pro-Ana-Nutzung
  stimmt, gefolgt von Motiven wie „weil                   zungsmotive, die mit der Überwindung          Neben dem aktuellen Körpergewicht zum
  mich sonst niemand versteht“. Auch das                  der eigenen Essstörung einhergehen, so-       Befragungszeitpunkt wurden die Teilneh-
  Nutzungsmotiv, „um andere bei Proble-                   wie der Motivation, anderen dabei zu hel-     merinnen gebeten, das Körpergewicht
  men zu unterstützen …“, fand starke Be-                 fen, hochladen. Auf einem dritten Fak-        zum Zeitpunkt des ersten Besuchs von
  stätigung – allesamt Motive, die für den                tor („emotionale Unterstützung“) laden        Pro-Ana-Seiten zu erinnern. Diese Anga-
  Umgang mit Essstörungen konstruk-                       jene Motive hoch, die mit sozialem Aus-       be diente zur Berechnung eines weiteren
  tiv sind. Allerdings fanden andere Moti-                tausch und bei Problemen, Unterstützung       BMI-Werts. Es zeigte sich eine signifikante
  ve mit Heilungspotenzial nur sehr gerin-                zu erhalten, aber auch zu geben, verbun-      Reduktion des BMI von M = 21,09 kg/m2
  ge Zustimmung wie z. B. „um meine Ess-                  den sind. Faktor 4 wird durch Motive der      (SD ±4,28 kg/m2) vom Zeitpunkt „vor der
  störung loszuwerden“ oder um Informa-                   Informationssuche und Neugierde be-           Nutzung“ von Pro-Ana auf M = 19,40 kg/
  tionen über Psychotherapie zu erhalten.                 stimmt. Zudem lädt das Nutzungsmotiv          m2 (SD ± 3,41 kg/m2) zum Zeitpunkt
      Mit einer Faktorenanalyse (Haupt-                   „um ein Mitglied der Pro-Ana/-Mia-Ge-         der Erhebung mit einer Effektstärke von
  komponentenanalyse) über die Moti-                      meinschaft zu sein“ auf diesem Faktor mit     d = 0,42 [t(204) = 7,28; p < 0,05]. Dem-
  ve zur Teilnahme an Pro-Ana-Foren lie-                  0,54. Daher wurde für diesen Faktor die       nach hat sich bei der Gesamtstichpro-
  ßen sich 4 orthogonale Faktoren (mit                    Bezeichnung Interesse gewählt.                be das Körpergewicht seit der Nutzung
  Eigenwerten > 1, Kaiser-Guttmann-Kri-                                                                 von Pro-Ana-Foren deutlich verringert.
  terium) extrahieren – Gewichtsreduktion,                Einstellungen bzüglich Pro-Ana                Bis auf die Gruppe mit Bulimia nervo-
  Überwindung der Essstörung, emotionale                                                                sa und „Binge-eating“-Störung wiesen
  Unterstützung, Interesse – die 56,48% der               Nach dem subjektiven Verständnis von          alle Essstörungstypen eine signifikan-
  Gesamtvarianz aufklärten. Auf dem Fak-                  Pro-Ana befragt, gaben die meisten Teil-      te Gewichtsreduktion auf; bei den An-
  tor „Gewichtsreduktion“ luden jene Nut-                 nehmerinnen an, Pro-Ana sei für sie eine      orektikerinnen war diese erwartungsge-
  zungsmotive hoch, die mit dem Wunsch                    Selbsthilfegruppe, die das Ziel verfolgt,     mäß am ausgeprägtesten [BMI-Erstbe-
  nach eigener Gewichtsreduktion oder                     mit einer Essstörung zu leben (85,5%).        such: M = 19,33 kg/m2, SD ±2,68 kg/m2;
  dem Wunsch, anderen bei der Gewichts-                   Lediglich 14,5% sahen in Pro-Ana eine         BMI-Befragungszeitpunkt: M = 17,76 kg/

6 |    Psychotherapeut 2011
m2, SD ±2,03 kg/m2, d = 0,66, t(82) = 5,77;      und Clusterzentren-Analyse zur Zuord-             der Nutzung von Pro-Ana am wenigs-
p < 0,001].                                      nung der Fälle zu den Clustern; es wurde          ten an Gewicht [F(2, 202) = 5,36, p < 0,05;
                                                 nach 8 Iterationen eine optimale Zuord-           post hoc (Scheffé): mittlere Differenz zu
Essverhalten                                     nung erreicht).                                   Typ 2 = 1,45, p < 0,05; mittlere Differenz zu
Als direkte Auswirkungen der Forennut-               Im ersten Cluster (Typ 1) waren 82, im        Typ 3 = 1,49, p < 0,05].
zung beschrieben die Befragten in star-          zweiten Cluster (Typ 2) 49 und im dritten
kem Maß den Einsatz gewichtsreduzie-             Cluster (Typ 3) 89 Fälle. In einer „analy-        Typ 2. Dieser Typ (n = 49; 22,3%) be-
render Maßnahmen. So gaben 50,7% der             sis of variance“ (Anova) über die gemit-          schreibt eine Nutzerin, die in der Motiv-
Befragten an, nach dem Besuch von Pro-           telten Items, die jeweils auf den betref-         lage in starkem Maß auf der Suche nach
Ana-Seiten weniger zu essen. Es berichte-        fenden Faktor hochladen, unterschieden            emotionaler Unterstützung ist und die-
ten 41,5% von verstärkten sportlichen Ak-        sich die 3 Typen in ihren Motiven sowohl          se auch anderen Nutzerinnen zukommen
tivitäten. Allerdings stellte fast ein Drittel   hinsichtlich des Faktors Gewichtsredukti-         lassen möchte. Ebenso wie von Typ 1 wird
(29%) keine Effekte auf das persönliche          on [F(2, 203) = 132,95; p < 0,001] als auch       die eigene Überwindung der Essstörung
Essverhalten fest.                               bezüglich des Faktors Überwindung der             oder die Unterstützung bei der Überwin-
                                                 Essstörung [F(2, 203) = 30,47; p
Neue Medien und Psychotherapie

  p < 0,001, Typ 2 zu 3]. Gerade diejenigen,    fast alle (meist anorektischen) Teilneh-        Pro-Ana-Foren auf die Teilnehmenden
  die keine Psychotherapieerfahrung haben,      merinnen den Wunsch abzunehmen; de              muss kritisch reflektiert werden, denn
  waren am wenigsten überzeugt, dass The-       facto hatten sie laut Selbstangabe im Nut-      methodische Aspekte schränken die Aus-
  rapie hilfreich sein kann.                    zungszeitraum von Pro-Ana auch weiter-          sagekraft der Studienergebnisse ein. An
                                                hin an Gewicht verloren. Natürlich kann         erster Stelle sind hier Probleme der Selbst-
  Diskussion                                    vom Rückgang des Gewichts nicht auf ei-         selektion bei Onlinebefragungen zu disku-
                                                ne Wirkung der Teilnahme an Pro-Ana             tieren. Dass die Befunde nur für Internet-
  Interpretation der Ergebnisse                 geschlossen werden. Die Befundlage legt         nutzer gelten, ist insofern zu vernachlässi-
                                                aber die Überprüfung einer solchen Ver-         gen, als dass es sich bei der Pro-Ana-Be-
  Hinsichtlich der als problematisch einge-     mutung nahe. Subjektiv wurde von den            wegung von vornherein um eine Populati-
  stuften Selbsthilfeforen gibt die aktuelle    meisten Befragten die Gewichtsredukti-          on handelt, die im Internet auftritt. Aller-
  Studienlage keinen pauschalen Anlass          on zumindest teilweise auf die Pro-Ana-         dings kann nicht ausgeschlossen werden,
  dazu, Suizid- oder Pro-Ana-Foren ge-          Mitgliedschaft zurückgeführt. Ebenso be-        dass Selbstselektionsprozesse hinsichtlich
  setzlich verbieten zu müssen. Die darge-      schrieb die Hälfte der Befragten als direkte    der Bereitschaft, an der Befragung teil-
  stellten Befunde lassen vielmehr in Über-     Auswirkungen der Forennutzung den               zunehmen, wirken. So könnte sein, dass
  einstimmung mit einigen anderen Unter-        Einsatz gewichtsreduzierender Maßnah-           sich besonders die Teilnehmerinnen von
  suchungen (Brotsky u. Giles 2007; Ches-       men. Allerdings stellte fast ein Drittel kei-   der Befragung angesprochen fühlen, die
  ley et al. 2003) insgesamt auf einen diffe-   ne Effekte auf das persönliche Essverhal-       verstärkt darum bemüht sind, das nega-
  renziellen Einfluss der Pro-Ana-Foren auf     ten fest. Hier wäre wünschenswert, empi-        tive Bild von Pro-Ana zu relativieren. Ei-
  ihre Nutzerinnen schließen. Je nach Nut-      risch der Frage nachzugehen, ob diejeni-        ner einseitigen Stichprobenzusammenset-
  zermotivation können die Betroffenen so-      gen, die nach dem Besuch von Pro-Ana-           zung steht jedoch entgegen, dass ein nen-
  wohl Vor- als auch Nachteile aus der Fo-      Seiten ein restriktiveres Essverhalten auf-     nenswerter Anteil von Nutzerinnen die
  renteilnahme ziehen. Die durch Medien         wiesen, schwerwiegendere Essstörungen           als problematisch eingestuften Aspekte
  verbreitete Meinung, dass „Pro-Ana“ aus-      haben als diejenigen ohne diese beschrie-       der Pro-Ana-Bewegung eben doch bestä-
  schließlich destruktive Einflüsse aufweist,   bene Auswirkung der Forenteilnahme.             tigen wie z. B. den Wunsch, hier Gleich-
  konnte in dieser Studie demnach nicht             Insgesamt belegen die vorliegenden          gesinnte zur gemeinsamen weiteren Ge-
  bestätigt werden. So wurde die häufig der     Befunde, dass Pro-Ana-Nutzerinnen kei-          wichtsreduktion zu finden.
  Pro-Ana-Bewegung zugeschriebene Ein-          ne homogene Gruppe darstellen. Es ließen            Um generell die inhaltliche Reich-
  stellung, die Magersucht bis in den Tod       sich 3 Nutzertypen identifizieren, die – in     weite der Ergebnisse zu vergrößern, wä-
  aufrechterhalten zu wollen („Ana till the     Abhängigkeit verschiedener Aspekte – aus        ren eine repräsentativ angelegte Offline-
  end“), z. B. von der absoluten Mehrheit       verschiedenen Motiven Pro-Ana-Platt-            studie sowie ergänzende Befunde durch
  der Befragten stark abgelehnt.                formen für sich nutzen. Dabei konnten           z. B. Angehörige und Behandler wün-
      Auch erlebten nur weniger als ein         gut 40% der Befragten dem „krankheits-          schenswert, u. a. um die Selbsteinschät-
  Zehntel der Befragten Pro-Ana als Life-       aufrechterhaltenden Nutzertyp“ zugeord-         zungen hinsichtlich der essgestörten Pro-
  style oder als ein Hobby. Vielmehr zeigten    net werden, der durch besorgniserregende        blematik zu validieren. Die ergänzenden
  sich gegen die Annahmen vieler kritischer     Nutzermotive gekennzeichnet ist. In die-        Perspektiven entsprächen dann dem in
  Stimmen auch positive Zusammenhänge           sem Zusammenhang gilt es weiterhin zu           der Psychotherapieforschung gängigen
  mit der Forennutzung, so z. B. die Reduk-     erforschen, welche Nutzertypen in wel-          Dreiparteienmodell nach Strupp u. Had-
  tion von Einsamkeitsgefühlen oder sogar       chen Krankheitsstadien vorrangig durch          ley (1977).
  eine teilweise erhöhte Bereitschaft, Psy-     Pro-Ana angesprochen werden und in-                 Zum jetzigen Zeitpunkt kann trotz
  chotherapie in Anspruch nehmen zu wol-        wieweit die Teilnahme die bereits existie-      der methodischen Einschränkungen je-
  len. Gleichzeitig wurde aber auch deut-       renden Krankheitsmuster verstärkt, auf-         doch von belastbaren Ergebnissen aus-
  lich, dass Pro-Ana eine Untergruppe der-      rechterhält oder gar zur Entwicklung ei-        gegangen und die Aussagen der Betrof-
  jenigen anzuziehen scheint, die Therapien     ner schwereren Essproblematik beiträgt.         fenen können als verlässliche Informa-
  abgebrochen haben und diesbezüglich ne-       Ebenso muss die Frage geklärt werden,           tionsquelle betrachtet werden, denn ins-
  gative Erfahrungen berichteten. Demnach       welchen Einfluss die Rezeption von Pro-         gesamt stehen die Befunde im Einklang
  könnten Pro-Ana-Foren als der Versuch         Ana durch nicht von Essstörungen Be-            mit weiteren Studien zu Pro-Ana (Csip-
  einer Entlastung besonders verzweifelter      troffenen auf das eigene Körperbild und         ke u. Home 2007; Keller et al. 2009) und
  Betroffener verstanden werden.                Schlankheitsideale sowie auf die Perzep-        auch anderen „extreme communities“
      Somit dürfen die Schattenseiten der       tion essgestörter Menschen in der Öffent-       (z. B. sog. Suizidforen; Eichenberg 2008;
  Pro-Ana-Teilnahme nicht übersehen             lichkeit generell hat.                          Winkel 2005).
  werden. Entsprechende Foren werden
  von jungen Frauen intensiv genutzt, die       Methodenkritische Überlegungen
  (überwiegend chronifiziert) essgestört
  und psychisch hochgradig belastet sind.       Die z. T. entlastende Befundlage zu den
  Zum Zeitpunkt der Befragung hatten            negativen Einflüssen der Nutzung von

8 |   Psychotherapeut 2011
Fazit für die Praxis                                         Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und         Mulveen R, Hepworth J (2006) An interpretative phe-
                                                                  Jugend (2009) Gegen Verherrlichung von Essstö-             nomenological analysis of participation in a pro-
                                                                  rungen im Internet. Ein Ratgeber für Eltern, Fach-         anorexia Internet site and its relationship with di-
Psychotherapeuten stehen vor der Auf-                             kräfte und Provider, 2. Aufl. Bonifatius, Paderborn        sordered eating. J Health Psychol 11:283–296
gabe, sich mit der Mediennutzung ihrer                       Chesley EB, Alberts JD, Klein JD, Kreipe RE (2003) Pro or   Norris ML, Boydell KM, Pinhas L, Katzman DK (2006)
                                                                  con? Anorexia nervosa and the Internet. J Adolesc          Ana and the Internet: a review of pro-anorexia
Patienten zu beschäftigen, um pathoge-                            Health 23:123–124                                          websites. Int J Eat Disord 39:443–447
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                                                             Derogatis LR, Melisaratos N (1983) The brief symptom            tionsgestützte Studie. Z Klin Psychol Psychiatr Psy-
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systematisch zu erheben und mit den Pa-                           13:595–605                                             Reips UD (2010) Design and formatting in internet-ba-
tienten im Laufe der Therapie über me-                       Dias K (2003) The Ana sanctuary: women’s pro-ano-               sed research. In: Gosling SD, Johnson JA (Hrsg) Ad-
                                                                  rexia narratives in cyberspace. J Int Woman Stud           vanced methods for conducting online behavioral
dienunterstützte Selbsthilfeaktivitäten                           4:31–45                                                    research. American Psychological Association, Wa-
im Dialog zu bleiben. Dies setzt voraus,                     Dolan D (2003) Learning to love anorexia? Pro-Ana               shington, S 29–43
dass Therapeuten zum einen über Ange-                             web sites flourish. New York Obeserver Online,         Stracke S, Zeeck A, Hartmann A, Linster HW (2008) Pro-
                                                                  02.02.2003. www.observer.com/node/47063. Zu-               Ana-Lifestyle, Gemeinschaft, psychische Erkran-
bote und Trends im Internet informiert                            gegriffen 09.06.2009                                       kung? – Unterscheiden sich die Pro-Ana-Anhänger
sind und zum anderen den Nutzungswei-                        Eichenberg C (2004) Essstörungen: Informations- und             diagnostisch von Personen mit der Diagnose Ess-
sen ihrer Patienten offen gegenüberste-                           Interventionsangebote im Internet. Psychother              störung, die sich jedoch nicht zu Pro-Ana beken-
                                                                  Dialog 1:82–85                                             nen? 59. Jahrestagung des Deutschen Kollegiums
hen, um die damit verbundenen spezifi-                       Eichenberg C (2008) Internet message boards for sui-            für Psychosomatische Medizin (DKPM) und 16.
schen Motive, (stabilisierenden) Gratifi-                         cidal people: a typology of users. CyberPsychol Be-        Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psy-
kationen, aber auch Belastungen sensi-                            hav 11:98–104                                              chosomatische Medizin und Ärztliche Psychothe-
                                                             Eichenberg C, Brähler E (2007) Nothing tastes as good           rapie (DGPM), 12.–15.03.2008, Freiburg
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Korrespondenzadresse                                         Hans B (2007) Magersucht 2.0: Thinderella aus dem           Uden-Kraan CF, Drossaert CH, Tall E et al (2010) Patient-
                                                                  Netz. Spiegel Online 7. http://www.spiegel.de/             initiated online support groups: motives for initia-
PD Dr. Christiane Eichenberg                                      schulspiegel/leben/0,1518,489275,00.html                   tion, extent of success and success factors. J Tele-
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Interessenkonflikt. Die korrespondierende Autorin
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gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
                                                                  internet_aid_430464.html                                   foren im Internet. Inauguraldissertation, Universi-
                                                             Heubrock D, Tobiassen F, Haas N (2007) Pro-Ana Foren            tät Bremen
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