ProgrammZeitung - Dauerbrenner Kulturleitbild Neuanfang in Volks- und Sudhaus Radio und TV unter einem Dach
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Menschen, Häuser, Orte, Daten ProgrammZeitung CHF 8.00 | EUR 6.50 Januar 2011 | Nr. 258 Kultur im Raum Basel Dauerbrenner Kulturleitbild Neuanfang in Volks- und Sudhaus Radio und TV unter einem Dach
Offbeat Series, AllBlues und Migros-Kulturprozent-Jazz präsentieren: Tord Rusconi Gustavsen Quintet Stadtcasino Basel Musiksaal Mi 16.2.11 19.30 Uhr Einziges Konzert in der Schweiz VORVERKAUF: www.allblues.ch • www.ticketcorner.ch Die Post, Manor, SBB, Tel. 0900 800 800 (CHF 1.19/min., Festnetztarif) BASEL: Migros Claramarkt, MParc Dreispitz, Au Concert, BaZ, Bivoba, Stadtcasino VERANSTALTER: Off Beat Series, AllBlues Konzert AG und Migros-Kulturprozent-Jazz Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften School of Management and Law Wo Kultur Kultur bleibt – und Management der Sache dient: Masterprogramm Kulturmanagement Studiengang 2011-2013, Beginn Oktober 2011 Informationsveranstaltung MAS Arts Management Informationsveranstaltung Dienstag, 11. Januar 2011, 18.15 Uhr Montag, 24. Januar 2011, 18.30 bis 20 Uhr Stadthausstrasse 14, SC 05.77, 8400 Winterthur Alte Universität, Rheinsprung 9, Hörsaal 118 Start der 12. Durchführung: 21. Januar 2011 Anmeldung nicht erforderlich ZHAW School of Management and Law – 8400 Winterthur Zentrum für Kulturmanagement – Telefon +41 58 934 78 70 SKM, Rheinsprung 9, CH-4051 Basel, Schweiz www.zkm.zhaw.ch/arts-management Telefon +41 61 267 34 74 Building Competence. Crossing Borders. www.kulturmanagement.org Zürcher Fachhochschule
Kultur macht Politik dagm a r bru n n e r Editorial. Mit Volldampf ins neue Kulturjahr zu starten, ist leider nicht allen möglich. So haben etwa nach der Avo Session auch die Basel Hauskultur Sinfonietta und die Solothurner Filmtage wichtige Sponsoren verloren. db. Die Medien sind derzeit nicht nur in Basel im Einige Basler Museen müssen den Gürtel ebenfalls enger schnallen, und Gespräch, ihr Wandel und Nutzen, ihre Qualität dem Theater Roxy wurde der Gemeindebeitrag gestrichen. Immerhin hat und Vielfalt bzw. deren Verlust werden breit und das Vorstadttheater trotz Einspruch des obersten Kulturchefs die verdiente kontrovers diskutiert; Radio DRS 2 etwa wid- Aufstockung erhalten, zudem wurden weitere kantonale Kulturausgaben mete dem Thema Anfang Dezember sechs erhel- vom Grossen Rat genehmigt. Der Entwurf zum Kulturleitbild wirft freilich lende ‹Reflexe›-Sendungen. ebenso grundsätzliche Fragen auf wie das Konzept der neuen Volkshaus- Wandlungen unterworfen ist auch das Strassen- Besitzer. Neben diesen kulturpolitischen Themen finden Sie im vorliegen- magazin Surprise, mit dem wir zwecks Inserate- den Heft u.a. Vorschauen auf Veranstaltungen verschiedener Sparten sowie akquisition kooperieren. Durch Veränderungen zur Entwicklung des Schällenmätteli-Areals, zur Konvergenz von Radio im Sozialbereich geriet das Unternehmen in und Fernsehen, zur Wirkungsweise von Bildern am Beispiel Migration und Schieflage, was viele ohnehin Benachteiligte zur Kultur im neuen SVP-Parteiprogramm. gefährdete. Nach einschneidenden Massnahmen Just die SVP hat im vergangenen Monat die Gemüter dieser Stadt erhitzt, kann nun Paola Gallo mit einem kleinen Team in obwohl sie mit der Ausschaffungsinitiative hier nicht punkten konnte. eine hoffentlich erfolgreiche Ära starten. Stein des Anstosses war die Basler Zeitung und ihre zunehmend parteinahe Veränderungen stehen auch bei uns an: Die Abo- Ausrichtung durch die neue Konzernspitze. In kürzester Zeit bildete sich preise werden nach neun Jahren angehoben. In mit Unterstützung der Aktion ‹Kunst+Politik› die Bewegung ‹Rettet Basel!›, dieser Zeitspanne hat unser Magazin inhaltlich die mit knapp 19’000 Unterschriften gegen diese Entwicklung protestierte und gestalterisch deutlich zugelegt (entspre- und Besitzer (Tettamanti, Wagner) samt Berater (Blocher) zu vertreiben chenden Mehrwert finden Sie auch in dieser vermochte. Der Chefredaktor (Somm) ist freilich geblieben und wird von Ausgabe). Der Einzelpreis beläuft sich ab 1.1.2011 einem neuen Besitzer (Suter) gestützt, der keine Transparenz über sein Un- auf CHF 8, das Jahresabo auf CHF 75. Varianten ternehmen gewährt, die Protestierenden des Mobbings bezichtigte und dazu (Schnupper-, Ausbildungsabo usw.) sind Kündigungen seiner Zeitung nicht akzeptieren wollte. Dieser Patriot, Pilot auf unserer Website ersichtlich. und Patron leitet nun einen hoch verschuldeten Betrieb, mit dem er in Die Agenda des vorliegenden Heftes beginnt mit einem Jahr schwarze Zahlen schreiben will; ein Stellenabbau ist bereits aktualisierten Angaben zu Silvester (S. 52). Ein angekündigt. Die Redaktion, die sich zunächst geschlossen gegen ihren vorweihnachtliches Fest(-essen) leistete sich An- Chefredaktor stellte, ist (notgedrungen?) verstummt. fang Dezember auch das ProgrammZeitungs- Zwei öffentliche Podien zu den Vorfällen haben zwar Emotionen geschürt, Team mit den z.T. neuen Köpfen, die hier bereits aber (noch) keine Verbesserungen gebracht. Die Tatsache jedoch, dass so vorgestellt wurden (Abb. unten). Mit von der viele Menschen dieser Region – die Anzahl Unterschriften entspricht etwa Partie waren zwei externe Profis, die uns in Sa- einem Viertel der BaZ-Abos – sich so rasch und deutlich äusserten, zeigt das chen Buchhaltung und Treuhand zur Seite ste- Potenzial an Köpfen, die mehr wollen als Polemik und oberflächliche Infor- hen: Yvonne Wickart und Peter Hechler. Wir mation. Alternativen für eine zweite Zeitung werden derzeit wieder einmal speisten reichlich und in angenehmem Ambien- intensiv geprüft und durchgerechnet, Ende Januar will eine Projektgruppe te in der Osteria L’ enoteca – dankbar für ein eine entsprechende Studie vorlegen. Einfach wird es nicht sein; kluge, um- Jahr, das uns finanziell nicht überforderte. setzbare Ideen und langfristige Investitionen sind vonnöten. – Die Aktion Sehr gefreut haben uns die Unterstützungsbei- ‹Kultur+Politik›, die den Basler Widerstand ins Rollen gebracht hat, kann träge der GGG und von Swisslos für den Ausbau man übrigens ebenfalls unterstützen: www.kunst-und-politik.ch. unserer elektronischen Veranstaltungsagenda. Wir danken den Verantwortlichen ganz herzlich für ihre vertrauensvolle und zukunftweisende Geste. Ein grosser Dank geht an dieser Stelle auch an alle, die mit uns zusammenarbeiten, sei es im Bereich Veranstaltungen, Inserate oder Druck und an alle, die unser Magazin schätzen, lesen, abonnieren und unterstützen. Wir wün- schen Ihnen ein friedvolles, reiches neues Jahr! v.l.n.r.: Moritz Walther, Eva Reutlinger, Roland Strub, Christopher Zimmer, Ursula Correia, Roman Benz, Dagmar Brunner, Urs Dillier, Peter Hechler, Claudia Schweizer, Yvonne Wickart. Foto: cn Januar 2011 | ProgrammZeitung | 3
12. Jan, BIs 21. Jan, 2011 fokus Israel / PalästIna THE BIRD’S EYE JAZZ CLUB BASEL 1.2.11 21.00 FRANK SALIS H30 2.2.11 21.00 URS BOLLHALDER TRIO 8.2.11 21.00 WEIRD BEARD 9.2.11 21.00 ASMIN SEXTET JOEY BARON MENTORING KULTURSCHEUNE LIESTAL PROJECT ASMIN SEXTET 4.2.11 20.00 CHRISTOPH STIEFEL - LISETTE SPINNLER FRANK SALIS H30 KLANGQUADRAT LOOPOP QUETZAL PHAT JAZZ TRIO QUETZAL 11.2.11 20.00 CHRISTOPH STIEFEL - LISETTE SPINNLER SCHNELLERTOLLERMEIER PHAT JAZZ TRIO STEFAN AEBY TRIO URS BOLLHALDER TRIO MECK À FRICK SOFI11_Ins_Surprise:Layout WEIRD BEARD 1 27.1.11 09.12.10 21.00 13:46 Seite PHAT JAZZ TRIO 1 28.1.11 21.00 SCHNELLERTOLLERMEIER www.diagonales.ch
Inhalt 7–25 Redaktion 26–43 Kulturszene 44–51 Plattform.bl 52–74 Agenda 74 Impressum 75 Kurse 76 Ausstellungen 77 Museen 78 Bars & Cafés 78 Essen & Trinken Gymnasium Oberwil spielt von Anton Cechov, ‹Der Kirschgarten› u S. 15 Foto: Michael Bouvard Cover: Gauthier Dance, Theater- haus Stuttgart: ‹Poppea//Poppea›, Burghof Lörrach u S. 39 Foto: Regina Brocke
FORUM SCHLOSS Deutsch, Orchester der Universität Winterkonzert 2011 Basel PLATZ Baseldeutsch Leonard Bernstein und 15 Fremd- Ouvertüre zu «Candide» George Gershwin sprachen An American in Paris IM BILD Dmitri Schostakowitsch Jazz Suite Nr. 2 Preisgünstige Tages- Samstag, 20 Uhr VOM UMGANG MIT und Abendkurse ab Mitte 15. Januar 2011 Peterskirche Basel BILDERN Januar und Mitte August Sonntag, 17 Uhr BIS 30. JANUAR 2011 Online-Anmeldung unter 16. Januar 2011 Ref. Kirche Arlesheim www.ggg-sprachkurse.ch Telefonauskunft l u Montag bis Freitag, 9–11 Uhr Pav o va Tel. 061 261 80 63 c hon Ma Olga Leitung: GGG Kurse Eisengasse 5, 4051 Basel gggkurse@ggg-basel.ch Öffnungszeiten: Mi /Fr /Sa 12 –17 Uhr Do 12 –20 Uhr, So 11–17 Uhr 24.12. 2010 –1.1. 2011 geschlossen Vorverkauf: ars musica, Hauptstrasse 17, Arlesheim Forum Schlossplatz Aarau Bergli Bookshop, Rümelinsplatz 19, Basel Telefon 061 373 27 77 www.forumschlossplatz.ch www.coub.ch Pathe Card NEu 9 3 CHF KINO EINTRITT EINTRITTE ...auch als Geschenk erhältlich! Jetzt an den Kinokassen der Basler Pathé Kinos Eldorado, Küchlin & Plaza erhältlich. Weitere Infos unter: www.pathe.ch/basel PATHÉ KÜCHLIN, ELDORADO & PLAZA • 4051 BASEL www.pathe.ch/basel
Bilder der Bedrohung a l f r e d s c h l i e nge r Werkschau CH-Film a l e x a n de r j u ng o Die 46. Solothurner Filmtage. 2010 war ein gutes Jahr für den Schweizer Film. Neben den ‹Stars› wie Jean-Luc Godard, Pipilotti Rist oder Silvio Soldini überzeugte insbesondere das dokumentarische Filmschaffen an internati- onalen Festivals. Zu sehen sind viele dieser Filme auch an den Solothurner Filmtage, die heuer zum zweiten Mal an acht Spieltagen stattfin- den und mit einem gewohnt dichten Programm aufwarten. So werden etwa die viel beachteten Dokumentarfilme ‹Das Schiff des Torjägers› von Heidi Specogna und ‹Good Night Nobody› der Newcomerin Jacqueline Zünd erstmals in der deutschsprachigen Schweiz auf der Leinwand zu sehen sein. Neben der Jahres- oder ‹Werkschau› – so die Um- schreibung von Festivaldirektor Ivo Kummer – stehen allein in der Hauptkategorie Forum Schweiz 16 Weltpremieren, zehn ‹Premières alé- maniques› und fünf Schweizer Premieren an. Die ganz grossen Namen fehlen zwar, doch darf Auszug eines man gespannt sein auf Entdeckungen: etwa auf Geschichte und Geschichten der Grenzregion Basel 1933–1945. Teils der Zivil- bevölkerung ‹Silberwald›, das Spielfilmdebüt der Baslerin Die Zahl der Menschen, welche die Vorkriegszeit und den zweiten Welt- aus Basel, Christine Repond, eine im Emmental angesie- krieg selber erlebt haben, nimmt stetig ab. Man kann deshalb den Wert des Mai 1940 delte Coming-of-Age-Geschichte, auf ‹Opération Dokumentarfilms, den Alex Hagmann jetzt im Christoph Merian Verlag © Foto-Archiv Jeck, Reinach Casablanca› des jungen Genfer Filmemachers über diese Epoche herausgegeben hat, nicht hoch genug einschätzen. Das Laurent Nègre über einen marokkanischen audiovisuelle Medium ist durch seine Anschaulichkeit und Prägnanz ein Schwarzarbeiter, der unverschuldet in den Stru- glänzendes Mittel gegen den kollektiven Gedächtnisverlust. In sechs Kapi- del um ein terroristisches Komplott gerät, auf teln werden die Gefühle der Angst und Bedrohung, die unsere Region seit eine aufwändig produzierte Diggelmann-Verfil- der Machtübernahme Hitlers und bis zum Ende des zweiten Weltkriegs mung des Basler Regisseurs Pascal Verdosci prägten, eindrücklich dokumentiert: Alltag (2 Teile), Flüchtlinge und Gren- (‹Manipulation›), die auch das Festival eröffnet, zen, Kriegserlebnisse, Wirtschaft und Politik (2 Teile). Hagmann kombi- und auf eine neue ‹Hunkeler›-Verfilmung mit niert die lebendigen Interviews mit über 30 ZeitzeugInnen (darunter Carl Mathias Gnädinger (‹Silberkiesel›). Einen cinéas- Miville, Sigurd Schottländer, Martha Jäggi, Heiri Strub, Lis Buess-Zingg, tischen Höhepunkt verspricht die Schweizer Thierry Freyvogel, Fritz Epple, Louise Stebler) mit vielfältigem Archiv Premiere von Léa Pools ‹La dernière fugue›. material wie Filmen, Fotos, Plakaten und Radioaufnahmen. Die Retrospektive würdigt das Schaffen der Zür- Die DVD ergänzt das 2008 erschienene Buch ‹Orte der Erinnerung› (s.u.). cher Filmproduzentin Ruth Waldburger. Ihre Aufgrund der Reduit-Strategie wäre Basel bei einem Angriff der Deutschen Karriere begann 1977 als Stagiaire am Set von nicht verteidigt worden. Bewegend sind die Berichte darüber, wie in die Alain Tanners ‹Messidor›, und sie hat bis heute Innerschweiz und ins Berner Oberland flüchtete, wer es sich leisten konnte, rund 80 Filme produziert, grosses Kino von während die einfache Bevölkerung in der Stadt blieb. Und wenn ein Alain Resnais, Jean-Luc Godard oder Léa Pool Grenzwächter schildert, dass man die Schreie der behinderten Kinder, die genauso wie populäre Schweizer Filmkomödien. in einem Haus 200 Meter von Kaiseraugst entfernt getötet wurden, über Entsprechend bunt nimmt sich das Programm den Rhein hinweg gehört hat, gibt es kein Ausweichen: «Wir haben es ge- aus. Freuen dürfen wir uns auf Werke der eben wusst!», wiederholt er mehrmals. Das sind unverzichtbare Dokumente für genannten sowie von Caroline Link, Dani Levy, jede Bibliothek, für jede Schule. Viktor Giacobbo u.a.m. Eine besondere Delika- Alex Hagmann (Hg.), ‹Bilder der Erinnerung: Geschichte und Geschichten der Grenzregion Basel tesse: Tom Di Cillos ‹Johnny Suede›, Gewinner 1933–1945›, Christoph Merian Verlag, Basel 2010. DVD mit Booklet, ill., CHF 29 des Goldenen Leoparden 1991 und Grundstein Heiko Haumann, Erik Petry, Julia Richers (Hg.), ‹Orte der Erinnerung. Menschen und Schauplätze für Brad Pitts Weltkarriere – Solothurn liegt in der Grenzregion Basel 1933–1945›, Christoph Merian Verlag, Basel. 2. Aufl. 2010, 232 S., über 60 Abb., br., CHF 29 eben näher an Hollywood, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Ausserdem neu: Dominik Wunderlin (Hg.), ‹Laufende Bilder. Alte Privatfilme aus Baselland›. Verlag des Kantons BL, 2010. DVD mit Booklet, ill., CHF 25. 46. Solothurner Filmtage: Do 20. bis Do 27.1., 21 Filme von Amateuren, von 1940–1980, in 4 Themenblöcken www.solothurnerfilmtage.ch Januar 2011 | ProgrammZeitung | 7
Familie auf der Kippschaukel der Adoleszenz a l f r e d s c h l i e nge r Der neue Schweizer Spielfilm ‹Songs of Love and Hate›. Im Stresstest der Hormone. ‹Songs of Love and Hate› Rico (Jeroen Willems) ist Winzer im Tessin. Seine Trauben überzeugt auf mehreren Ebenen. Herausragend sind die treiben auf die letzte Reife, die volle Süsse zu. Ein Teil der stimmungsvollen Bilder, welche die Kamera von Henner Ernte ist schon eingebracht und gärt im Fass, das könnte Besuch einfängt. Ein flirrender Soundtrack von Pawel ein guter Jahrgang werden. Da versaut ihm ein himmelbre- Kominek trägt wesentlich zur atmosphärischen Dichte der chendes Gewitter den Rest der Weinlese. Aus der Traum. Szenen bei. Und die Darstellenden agieren durchs Band mit Hilflos ist der Winzer diesen Naturkräften ausgeliefert. Mit grosser Präsenz und Dringlichkeit. Allen voran Jeroen Wil- seiner Frau Anna (Ursina Lardi) und den beiden halbwüch- lems als Vater. Sein Rico ist viril und verletzlich, ein kraft- sigen Töchtern Lilli (Sarah Horvàth) und Roberta (Luisa volles, verstörtes Charmepaket mit Schmelz und Kanten. Sappelt) bewirtschaftet er ein schönes Gehöft. Und was Sarah Horvàth als Lilli mit Mandelaugen und erotisch auf- sich in der Natur abspielt, spiegelt die familiären Gärungs- geworfenen Lippen bietet mehr als ein verführerisch hüb- prozesse. Katalysator dafür ist Lillis erotisches Aufblühen. sches Gesicht. Da ist eine Grausamkeit und Mitleidlosigkeit Sie hat ihren ersten Freund Fabio (Joel Basman), bemerkt in ihren Machtspielen, über die sie selber zu erschrecken aber, dass sie mit ihrer Körperlichkeit auch ihren Vater ver- scheint. Sie probiert sich und andere aus. Staunend erregt wirren kann. Der geht auf Distanz zu seiner Tochter, was von der eigenen Macht, traurig und verwirrt über den Ver- diese verwirrt und provoziert. Sie sucht den Blick, die Nähe lust der Unschuld. Die Kamera, die dieses Geschehen beob- des Vaters. Augenspiele werden zu Machtspielen. Erotisiert achtet, ist nicht kühl, aber sie wertet nicht. Sie beschreibt. von seiner Tochter fällt Rico über seine Frau her. Schritt für Ganz nah rückt sie dabei den Figuren auf die Pelle, dass Schritt gerät das System Familie aus dem Gleichgewicht. man das Zittern unter der Haut zu spüren meint. Die Schweizer Regisseurin Katalin Gödrös entwickelt in Auch wenn die dramatische Steigerung am Schluss des ihrem zweiten Spielfilm einen subtilen Blick auf die Ver- Films etwas dick aufgetragen ist, Katalin Gödrös (Dreh- werfungen und Unsicherheiten der Adoleszenz, die hier buch gemeinsam mit Lars Theuerkauf) ist mit ‹Songs of eine ganze Familie erfassen. Die Geschichte einer ersten Love and Hate› (der Titel ist einem Album von Leonard Liebe kreuzt sich mit der Beziehung der beiden Schwestern, Cohen entliehen) ein psychologisch vielseitiges und diffe- verändert das Verhältnis zu den Eltern und verwirrt auch renziertes Porträt einer Familie im Stresstest adoleszenter die beiden Ehepartner. Selbst der Familienhund Prinz, für Hormone gelungen. So zugespitzt hat man das Thema noch dessen Tod im reissenden Fluss Lilli verantwortlich ist, kaum je gesehen. wird in das Drama hineingezogen. Der Vater aber deckt Der Film läuft ab Do 27.1. in einem der Kultkinos u S. 35 Filmstill aus ‹Songs of love seine Tochter und erklärt die Fahrlässigkeit zum Unfall. and hate› 8 | ProgrammZeitung | Januar 2011
Charme und Wehmut der reifen Jahre a l f r e d s c h l i e nge r Senta Berger und Bruno Ganz glänzen in und betrachtet mit nüchternem Blick seinen gealterten Kör- ‹Satte Farben auf Schwarz›. per. Wie werden wir alt? Wie gehen wir um mit Krankheit Wenn nur das verdächtig fröhliche Vogelgezwitscher nicht und Verlust? Ist die Liebe eine Kraft, die stärker ist als der wäre! Denn eigentlich leben Anita (Senta Berger) und Fred Tod? Fred entscheidet sich, obwohl die Familie ihm zure- (Bruno Ganz) in einem Wohlstand, den man sich gepflegter det, gegen eine Operation. Er will die Zeit, die ihm bleibt, und gleichzeitig selbstverständlicher und unaufdringlicher nicht als Patient verbringen. kaum vorstellen kann. Ihr Heim im englischen Landhaus- Vage Motive. ‹Satte Farben vor Schwarz› ist getränkt im stil, der fantastische Garten mit Pool, Kunst an den Wänden Charme und in der Wehmut der reifen Jahre. Anita und und auf Kommoden. Seit fünfzig Jahren sind sie ein Paar, Fred sind zwei Menschen, die sich nichts mehr beweisen haben zwei erwachsene Kinder, eine Enkelin kurz vor dem müssen. Ausser, ob ihre Liebe noch Bestand hat. Und sie Abitur, und obwohl der Herr des Hauses als Chef eines Un- kommen zu einer radikalen Entscheidung. Es ist zweifellos ternehmens pensioniert ist, geht er noch täglich in sein eine Stärke des Films, dass er nicht alles zerredet, sondern Büro. Doch per Zufall sieht seine Frau ihn in der Stadt, folgt vieles im Bereich der Andeutung belässt. Aber gerade die ihm und überrascht ihn in einem leeren Appartement. Kein Motive Anitas hätten etwas mehr Erläuterung verdient. So- Liebesnest will er sich hier einrichten, sondern einen Rück- wohl ihr Auszug als auch ihre Rückkehr in das gemeinsame zugsraum fürs Nachdenken, wie er sagt. Denn seit kurzem Heim sowie der Schluss sind vom Drehbuch (Sophie Held- weiss er, dass er Prostatakrebs hat. mann, Felix zu Knyphausen) zu wenig gestützt. Anita ist tief verletzt. «Die Wohnung oder ich», sagt sie. Der Die 37-jährige Regisseurin, in Hamburg als Tochter eines Haussegen hängt gründlich schief, aber wegen der bevor- Mexikaners und einer Deutschen geboren und in der stehenden Hochzeit der Tochter versucht man die äussere Schweiz aufgewachsen, betont, dass das Drehbuch auf Form noch zu wahren. Doch plötzlich ist Anita ausgezogen, wahren Begebenheiten basiert. ‹Satte Farben vor Schwarz› als Fred vom Büro nach Hause kommt – in eine Senioren ist nicht der erste Film, in dem sich die Macht des Fakti- residenz. Sophie Heldmann beobachtet in ihrem Debütfilm schen als hinderlich erweist für eine präzise Motivierung feinfühlig die Irritationen, die diese jahrzehntelange Bezie- im Fiktiven. Denn das Faktische verführt gerne zu drama- hung erschüttern. Und mit Senta Berger und Bruno Ganz turgischen Abkürzungen. Das volle Leben aber erträgt stehen ihr zwei Stars zur Verfügung, denen man mit Ver- keine Abbreviaturen. gnügen und Neugier dabei zuschaut. Beide Figuren kämp- Der Film läuft ab Do 13.1. in einem der Kultkinos. fen so beherrscht wie verzweifelt um ihre Würde. Und sind Filmstill aus ‹Satte Farben dabei ganz uneitel. Einmal steht Fred nackt vor dem Spiegel auf Schwarz› Januar 2011 | ProgrammZeitung | 9
Duos im Doppelpack ru e di a n k l i Der um 33 Jahre ältere Rava kam weit in seiner Karriere, die ihn über Buenos Aires nach New York führte, wo er im Free Jazz und in der Rockfusion aktiv war. Rava brauchte Jahre, um zu seiner wirklichen Leidenschaft zu stehen: der Melodie. Heute hängt man ihm dies gerne als typisch italie nisch an und übersieht dabei die Umwege und Jahrzehnte, die er brauchte, um diesen Weg zu gehen. Sein Debut- Album von 1972 hiess ‹Il giro del giorno in 80 mondi›, in Anlehnung an Jules Verne und den argentinischen Schrift- steller Julio Cortàzar, der diesen Titel für ein Buch verwen- dete. Auch wenn Ravas unverkennbarer Ton auf der Trom- pete für das Melodische wie geschaffen scheint, beweist er doch bis ins Alter von 71 Jahren eine nie versiegende Neu- gier. So erstaunt es nicht, dass er sich derzeit mit Songs von Michael Jackson auseinandersetzt. Diese Neugier teilt er mit Bollani, mit dem er 2007 in Lugano ein grandioses Album für ECM einspielte. ‹The Third Man› war die zweite gemeinsame CD nach einem Live-Mitschnitt vom Jazzfestival Montréal 2001. Natürlich schöpfen die bei- den Musiker live gerne aus diesem Repertoire, aber dieses Stefano Bollani ist immer nur Ausgangspunkt für neue Reisen um den Tag Virtuose Jazz-Dialoge live und auf Tonträger. in mindestens 80 Improvisationen. Als Enrico Rava 1996 Stefano Bollani überzeugte, sich dem Am gleichen Abend kommt es zu einem weiteren Duo-High- Jazz zuzuwenden, konnte er wohl kaum erahnen, welchen light mit dem französischen Violinisten Jean-Luc Ponty und Geist er da aus der Flasche befreite. Nicht etwa, dass sich dem deutschen Pianisten Wolfgang Dauner, beide Jazz- der hoch begabte Pianist fortan ‹nur› im Jazz bewegte, pioniere, die bereits in den Sechzigerjahren miteinander nein, die Klassik und die Canzone, ja gar den Pop hat er musiziert hatten. nie verleugnet. Dazu kommt, dass er Humor mit Tiefgang Jazz by Off Beat, ‹The Art of Duo› mit Enrico Rava/Stefano Bollani und hat, so etwas wie ein toskanisches Gen, das erstmals mit Jean-Luc Ponty/Wolfgang Dauner: Fr 28.1., 20 h, Stadtcasino Basel u S. 38 Giovanni Boccaccios ‹Decamerone› ein weltweites Beben CDs: Enrico Rava/Stefano Bollani, ‹Montréal Diary/B› (Label Bleu); hervorrief. Dieser Humor, gepaart mit hoher Unberechen- ‹The Third Man› (ECM) barkeit, macht aus ihm einen schillernden Kobold, für den die Improvisation das wahre Lebenselixier ist. Bescherung Schwerpunkt Musik und ein neues Restaurant vorsieht sowie zu einem späteren Zeitpunkt ein Freddy Burger tätig war, und Gregory Knie, der, wie bei diesem Namen leicht zu erraten, Zirkus- d om i n iqu e spi rgi Hotel und eine Architekturbibliothek». Das luft durch das Volkshaus wehen lassen will. Und Zum Besitzerwechsel im Volkshaus. klingt ja nicht schlecht, sagt aber über den Inhalt in der «lauten und lebhaften Brasserie im Stile Erik Juillard ist zufrieden mit der Wahl, weiss nicht viel aus. «Wir möchten einen Ort in Basel der Belle Epoque» wird Françoise Wicki am Herd die Basellandschaftliche Zeitung. Kein Wunder, erschaffen, der – wie Basel auch – weltoffen ist. stehen. denn: «Als kunstbegeisterte Unternehmer beab- Ein Ort, wo man essen, schlafen, Musik hören, Weniger laut dürfte es in den Sälen zu- und her- sichtigen wir, ein Volkshaus mit musealem Cha- sich austauschen, verweilen, beobachten und gehen. Unter ‹Bespielungskonzept› finden wir rakter zu erschaffen. Ein Volkshaus mit kulturel- bestaunen kann. Ein Ort also, an dem verschie- eine Kuchengrafik mit ganz vielen Stückchen: lem Anspruch. Selbstverständlich sind Vereine dene Nutzungen aufeinander treffen. Ein Ort, Comedy, Variété, Kammerorchester, Lesungen, und ‹Cliquen› willkommen und wertvolle Kul- der metropolitanen Charakter hat. Ein Ort, der Media/Radio/TV, experimentelle Bespielung turträger», schreiben die neuen Besitzer. Das seinem Namen ‹Volkshaus› gerecht wird.» sowie Konzerte und Firmenanlässe als die bei- heisst, Juillards Vorfasnachtsveranstaltung Cha- Stilistisch lehnen sich die beiden «Initiatoren» den grössten Segmente. Und damit noch nicht rivari wird auch unter Zürcher Leitung ihren Leopold Weinberg und Adrian Hagenbach schon genug. Denn: «Im Sinne eines Brandings oder festen Platz haben. einmal weit aus dem Fenster. Über sie erfährt vielmehr der Tatsache, dass Basel die Schweizer Die Basler Regierung liess sich nach eigenen man, dass sie in Zürich und Klosters Hotels und Architektur Stadt ist, darf auch eine Architektur- Angaben überzeugen, weil «das Angebot von ‹In-Clubs› betreiben. Entsprechend soll auch das bibliothek nicht fehlen.» allen eingereichten Angeboten das wirtschaft- Volkshaus zum «wahren Bijou in der Basler Nun ja, warten wir ab: Auch Konzepte sind erst lich beste» ist. Was ist aber inhaltlich zu erwar- Hotellandschaft» werden. Die kulturelle Bele- einmal nur Druckerschwärze und Papier. ten? Die Rede ist von einem «Gesamtkonzept, bung liegt in den Händen von Markus Simmen, das eine intensivierte kulturelle Nutzung mit der bislang im Umkreis von Musical-Veranstalter 10 | ProgrammZeitung | Januar 2011
Mut und Geduld m ic h a e l g a s se r Parterre und Kuppel gehen ihre Zukunft höchst unterschiedlich an. Die Aufbauarbeit macht sich bezahlt: Das 1999 vom Kaffi Schlappe zum Sud-Bar Parterre mutierte Lokal hat sich im vergangenen Jahrzehnt als Konzertort m ic h a e l g a s se r enorm entwickelt und zusehends etabliert. Und seit Andrea Samborski mit Neue Ideen fürs Sudhaus. an Bord ist, lässt der Betrieb gar noch ein bisschen mehr von sich hören. Die Der letzte Sudhaus-Traum dauerte nur ein Jahr. Kanadierin kam 2009 nach Basel zurück, jobbte zunächst als Sidekick von Dann war der Betrieb unter Geschäftsführer Thomas Luterbacher, der für die kulturellen Veranstaltungen hauptverant- André Millischer pleite. Die Fixkosten seien zu wortlich zeichnet und wurde alsbald fix angestellt. «Wir versuchen Künst- hoch gewesen, erklärte der Radiomann im ver- lerInnen zu verpflichten, die uns verzaubern und auf dem Sprung nach gangenen August. Was eine alte Einsicht bestä- oben sind», erklärt Luterbacher das Credo. Beide interessieren sich sehr für tigt: Das Sudhaus ist alles andere als einfach zu Singer/Songwriter: «Das ist unsere gemeinsame Klammer.» bespielen. Der Ort ist zwar etabliert, doch seine Dem Basler ist es wichtig, dass lokale Acts und Spoken Word ihren Platz im Lage mitten in einem Kleinbasler Wohngebiet Parterre behalten. «Wir sind mutiger geworden», hält er fest. Was sich nicht hat seine Tücken. Das ist auch Claude Gaçon und zuletzt an der Eventzahl festmachen lässt. Im November waren’s erkleck Walter Krucker bewusst, dennoch liessen sich liche 18 Konzerte. Eine Ausnahmesituation, wie Luterbacher meint. «Aber die beiden neuen Betreiber davon nicht abschre- wenn wir die Chance haben, ein vielversprechendes Talent zu verpflichten, cken und unterzeichneten gleich einen Zehnjah- dann machen wir das.» Selbst wenn das Programm schon proppevoll ist. resvertrag. Derzeit ist das Sudhaus geschlossen, Zudem nähren gute Namen die Reputation des Hauses. «Was dazu führt, es wird bis Februar umgebaut. Und zwar heftig. dass immer bekanntere Leute bei uns auftreten wollen.» Eine Heizung kommt, Rohre fallen, ein Fumoir Sanfte Erneuerung. Anders als das Parterre plant man in der Kuppel kei- entsteht, und die Bar wechselt nicht bloss ihren nen weiteren Programmausbau, sondern bleibt bei vier bis fünf Veranstal- Standort, sondern auch das Erscheinungsbild. tungen pro Woche. «Wir werden grosso modo so weiterbrummen wie im Der Raum soll atmosphärischer werden, mehr letzten Jahr», sagt Steffi Klär, zuständig für Events und PR. Im Lokal wer- «Aufenthaltsqualität» erhalten, heisst es. den sich also weiterhin Partys, Konzerte oder Stand-Up-Comedy abwech- Definitiv ändern wird sich das Programm. Stoss- seln. Aber eine sanfte Erneuerung ist durchaus erwünscht. So ist etwa eine richtung: mehr Bar, weniger Veranstaltungen. klassische Musikreihe geplant. Auch das Innenleben der Kuppel wurde auf- «Das Sudhaus soll nicht mehr länger als Party- gefrischt; die Spiegel sind gewichen, die Farben dunkler geworden. Ort gelten», sagt Krucker. In vielerlei Hinsicht Von der Gruppe um Affenhaus-Gönner Matthias Eckenstein, die seit eini- lehne sich das Konzept an dasjenige der Cargo- gen Monaten gegen die Kuppel bzw. für einen neuen Zoo-Eingang lobby- Bar an. Nicht von ungefähr, schliesslich wird iert, lässt man sich nicht verunsichern. «Wir stehen mit dem offiziellen diese ebenfalls von Claude Gaçon geführt. Ge- Zolli für den gemeinsamen Neugestaltungsplan und warten nun auf die öffnet sein wird der Sud – so der künftige Name Abstimmung im Grossen Rat.» Der Ratschlag der Regierung sieht zusätz – mittwochs bis samstags. Jeweils am Samstag liche Fläche für den Zoo vor, das Nachtigallenwäldeli hingegen soll eine soll’s einen Event geben, in der Regel in eigener öffentliche Grünzone mit Gastro- und Ausgeh-Angebot bleiben. Bis zum Regie. «Fremdveranstaltungen spielen fortan Ratsentscheid braucht es Geduld, doch damit lebt das Team: Schliesslich ist eine untergeordnete Rolle», erklärt Krucker. Un- das Haus seit bald 25 Jahren ein Provisorium. «Es wäre schon toll, wenn die ter der Woche, wenn die Bar offiziell geschlossen Kuppel dereinst zu etwas Neuem heranwachsen könnte», betont Klär. Sie ist, sind in loser Folge Konzerte geplant, die von macht jedoch keinen Hehl daraus, wie sehr sie mit dem Veranstaltungsort Indie über Folk bis hin zum Ska reichen. Die auch in seiner jetzigen Form verbunden ist: «Für mich ist es einfach die dürften zwar nicht das grosse Geld bringen, aber schönste Bühne der Stadt.» Renommee, glaubt der frühere Konzert-Booker Programme: Parterre und Kuppel u S. 40 des ‹Schiff›. Wichtigstes Auswahlkriterium für ein Engagement: die Relevanz der Auftretenden. Derzeit gehe alles noch ein wenig drunter und drüber, selbst der genaue Eröffnungstag steht noch nicht fest. «Wir müssen uns momentan ziemlich zur Decke strecken», sagt Krucker. «Aber wir sind positiv gestimmt.» Entrée & Bar Kuppel Foto: Xenia Häberli (xenia- fotografiert.ch) Januar 2011 | ProgrammZeitung | 11
Junge Kammeropern a l f r e d z i lt e n e r Werte und Wünsche dagm a r bru n n e r Die Basel Sinfonietta spielt Klang- volles aus Lateinamerika. Eigentlich feiert sie ihre Jubiläumssaison, aber statt ihr 30-jähriges Bestehen unbeschwert ge- niessen zu können, plagen die Sinfonietta peku- niäre Sorgen. Da hilft auch nicht, dass sie einen Publikumszuwachs von 30 Prozent nachweisen kann, dass ihre Qualität international anerkannt und sie 2011 schon zum vierten Mal an die Salz- burger Festspiele eingeladen wird. Im letzten November musste sie bekanngeben, dass ihr Titelsponsor UBS, der sie während gut fünf Jah- Cecilia Arellano ren unterstützt hatte, sich wegen Neuausrich- in ‹La extra- vagancia›, Foto: tung des Sponsoringkonzepts per Ende 2010 zu- Alejo Varisto rückziehen wird. Eine schmerzhafte Botschaft, die wieder einmal vor Augen führt, wie fragil Das schweizerisch-argentinische Nisinman), einen Bassbariton und eine Partnerschaften mit Global Playern sind (zum Opernprojekt ‹Envidia›. Sängerin, die in ‹La Extravagancia› alle Glück bleibt dem Orchester sein zweiter grosser Um Geschwisterneid und eine verzweifelte Schwesternrollen übernimmt. Trotzdem Sponsor Novartis vorläufig erhalten). Da eine Suche nach Elternliebe, um Besitzanspruch seien die Partituren, den Textvorlagen ent- Konzertsaison nicht kurzfristig geplant werden und tiefe metaphysische Verwirrung geht sprechend, extrem entgegengesetzt, erklärt kann, wird es in der Spielzeit 2011/12 zu Pro- es in den zwei einaktigen Kammeropern ‹La die Komponistin. Eine Handlungsebene grammänderungen kommen, falls nicht eine Extravagancia› und ‹Satanica› von Helena von ‹La Extravagancia› bildet die als Video oder mehr helfende Hände bereit sind, das Loch Winkelman (geb. 1974), die im Januar im gezeigte populäre Wissenschaftssendung zu stopfen. Danach sieht es im Moment noch Gare du Nord gastieren. Die Libretti stam- der erfolgreichen Schwester; dafür hat nicht aus. men vom argentinischen Dramatiker Rafael Winkelman einen passenden Soundtrack, Trotzdem lässt sich der selbstbewusste, selbst- Spregelburd, dessen Stück ‹Die Dummheit› u.a. mit einem Rap und opernhaften ‹Arien› verwaltete Klangkörper die Lust auf neue Pro vor einigen Jahren am Theater Basel zu geschrieben; sogar eine Art Popsong kommt jekte nicht verderben und startet gar «mit einer sehen war. Beide Opern beruhen auf Thea- darin vor. In ‹Satanica› erhält nebst der kräftigen Dosis guter Laune» ins neue Jahr, wie terstücken, die der Autor unter dem Über Arbeit mit Obertönen die Live-Elektronik es im Programmheft heisst. Denn im nächsten titel ‹Envidia› (Der Neid) zu Operntexten zentrale Funktion. Die Partitur sei viel Konzert geht es um Musik aus Lateinamerika – umgearbeitet hat. näher an einer Theatermusik als ‹La Extra- von feurigen Rhythmen aus Mexiko über betö- ‹Extravagancia› handelt von drei Schwes- vagancia›, sagt die Musikerin, doch es gebe rend-populäre Melodien aus Brasilien bis zu tern. Die eine hat beim Fernsehen Karriere nur wenige rein klangmalerische oder einem Werk für Mundharmonika (gespielt von gemacht, die andern werden zerfressen von atmosphärische Elemente. Eine Klezmer- einer Virtuosin des Instruments) und einem zeit- Neid und gegenseitigem Misstrauen. Sie melodie und das Zitat eines jiddischen Lie- genössischen Stück. Letzteres steuert der argen- wissen, dass eine von ihnen adoptiert ist, des verweisen aber auf die Herkunft der tinische Komponist Oscar Edelstein im Auftrag doch die Eltern haben nie verraten, welche. Figuren und verankern sie diskret in der der Sinfonietta bei, wobei er sich nicht an der Als die Mutter an einem tödlichen Leiden argentinischen Geschichte, in der die Ein- Folklore, sondern vielmehr an der Avantgarde erkrankt, das auf leibliche Töchter übertra- wanderung eine grosse Rolle spielt. orientiert. Eine Mischung, wie man sie von der gen wird, treibt dies die absurden Versuche Beide Opern wurden jüngst im Centro Ex- Sinfonietta gewohnt ist: originell, innovativ, der Schwestern, sich zu beweisen, dass sie perimentacion des Teatro Colon in Buenos qualitativ hochstehend. Und erstmals mit einem ‹echt› und damit geliebt sind, auf die Spitze. Aires uraufgeführt. Jürg Henneberger diri- Dirigenten, der all dies ebenfalls verkörpert: In ‹Satanica› glaubt ein armer Kerl, dass er, gierte das Ensemble Phoenix und die bei- Howard Griffiths. ohne es zu wollen, einen Pakt mit dem Teu- den Darstellenden, den Basler Bassbariton Wer das Engagement des Orchesters honorieren fel geschlossen hat. Corpus delicti ist ein Robert Koller und die Mezzsopranistin möchte, kann das auf vielfältige Weise tun. Sei- vom Grossvater geschenktes Klavier, das Cecilia Arellano, welche die Zusammen ne Mitglieder haben ganz praktische Jubiläums- diesem viel bedeutete, weil es die einzige arbeit Winkelmans und Spregelburds ange- wünsche formuliert (siehe Webseite) – aber am Verbindung zum europäischen Herkunfts- regt hat. Der Autor selbst inszenierte. Nun liebsten wären ihnen ausverkaufte Konzerte. land seiner Familie war. wird die Produktion in gleicher Besetzung Nichts wie hin! Arien und Popsongs. Winkelmans Musik auch in Basel gezeigt. Basel Sinfonietta spielt ‹Huapango!›: Mo 24.1., 19.30, verlangt für die beiden Stücke eine nahezu ‹Envidia›: Fr 7. bis So 9.1., 20 h, Gare du Nord u S. 49 Stadtcasino Basel u S. 50 identische Besetzung: ein kleines Instru- Wunschliste unter www.baselsinfonietta.ch mentalensemble mit Bandoneon (Marcelo 12 | ProgrammZeitung | Januar 2011
Liebe in Not dagm a r bru n n e r Das Vorstadttheater stellt in ‹Orient meets Okzident› setzten palästinensischen Gebiete schildert, oder in der den Brennpunkt Israel/Palästina vor. Klassenzimmerproduktion ‹Heimweg›, die von einem türki- Eine Zeitungsnotiz hatte Gottfried Keller 1847 zu seiner Er- schen Mädchen erzählt, das in die Schweiz kommt und um zählung ‹Romeo und Julia auf dem Dorfe› inspiriert, in der seine Identität kämpft. ein Liebespaar wegen der Feindschaft seiner Familien kei- Das Vorstadttheater beweist auch mit dieser Reihe sein an ne Zukunft hat und in den Tod geht. Die Geschichte spielt aktuellen Zeit- und Lebensfragen orientiertes Programm zwar in der Schweiz, spiegelt aber eine Erfahrung, die es für Kinder und Jugendliche, was kürzlich mit einer Erhö- auch in andern Ländern und Kulturen gibt. Die freiberuf- hung der baselstädtischen Subvention honoriert wurde. lich tätige Basler Regisseurin und Theaterpädagogin Dalit ‹Orient meets Okzident›: Mi 12.1. bis Fr 21.1., Vorstadttheater Basel u S. 43 Bloch wählte diesen Stoff als Grundlage für ein gemeinsa- Ausserdem zum Thema: mes Theaterprojekt mit Jugendlichen in Israel. Durch eige- ‹Kulturwiege›, kurdische Kulturaustauschwoche: Di 25. bis So 30.1., div. ne familiäre Wurzeln mit dem Land verbunden, entwickel- Orte, www.skgemeinschaft.ch u S. 32, 35 te sie in Zusammenarbeit mit dem Arab-Hebrew-Theatre in Gruppe Thersites spielt ‹Auf dem westöstlichen Diwan›: Fr 7. bis So 16.1., Jaffa ein Stück, in dem die Schweizer Vorlage mit Familien- Probebühne Werkraum Warteck u S. 43 geschichten der Mitwirkenden kombiniert wird. Die zehn Zeitschrift ‹Lisan›, Nr. 10 mit Briefen aus der arabischen Welt, CHF 29, www.lisan.ch Jugendlichen – sechs arabisch-palästinensische und vier jüdische Israeli – erzählen in ‹Yalla!› von Begegnungen, Freund- und Feindschaften ihrer Grosseltern und Eltern und von zwei Liebenden, die aufgrund ihrer Religion und Volkszugehörigkeit nicht zusammenkommen dürfen. Doch ist der Freitod wirklich die einzige Möglichkeit? Die Produktion, deren 13–16-jährige Mitwirkende erstmals auf der Bühne stehen, wurde bereits in Jaffa gezeigt und vom Filmemacher Benno Hungerbühler begleitet, der aus dem Material einen Dokumentarfilm erstellen wird. In Basel gastiert die Gruppe im Rahmen der Reihe ‹Orient meets Okzident›, mit der das Vorstadttheater jedes Jahr Arbeiten vorstellt, die neben den Konflikten auch die kon- struktiven Dimensionen von Begegnungen zwischen den Kulturen thematisieren. So auch im Stück ‹Checkpoint›, das eine Reise von zwei Schweizern nach Israel und in die be- Probenfoto zu ‹Yalla!› Kunstpause «radikal-liberale» Robert Nef vor sechs Jahren via NZZ in die Welt gesetzt. Schon damals schei- gestiftete Musikinsel Rheinau. Nicht erwähnt wird allerdings, wie es diese Stiftung schafft, gu y kr neta terte der Gedanke, die Kultur sich selber zu über- nicht diskriminierend zu fördern. Die Kultur im neuen SVP-Programm. lassen, an der simplen Tatsache, dass Kunst ge- Bemerkenswert ist auch der Gegensatz von Vor wenigen Jahren konnte man sich den Spass fördert wird und schon immer gefördert wurde. ‹Volkskultur› und ‹Staatskultur›, den die SVP machen, bei der SVP Schweiz anzurufen und um Nef liess sich dadurch zu so wackeligen Aus konstruiert – wobei mit ‹Staatskultur› die profes- Zusendung des Strategiepapiers im Bereich Kul- sagen hinreissen wie: «Öffentliche Kulturförde- sionelle Kunst gemeint ist –, als ob zwischen pro- tur zu bitten. «I weiss nid, öb mir so öppis hei», rung auf lokaler und regionaler Ebene sind fessioneller Kunst und Amateurkultur keinerlei war die entwaffnend ehrliche Antwort, so dass darum weniger problematisch, weil es zu einem Beziehungen bestünden, Laientheater nicht ge- man sich fast schämte, angefragt zu haben und zu ‹Wettbewerb der Förderer› kommt», als ob Glei- legentlich professionelle Stücke spielten und hören, dass ausgerechnet jene Partei, die unun- ches nicht über die nationale Förderung im inter- Chöre nicht auch von Profis geleitet würden. terbrochen von Werten redet und Symbolpolitik nationalen Kontext gesagt werden könnte. Doch «Im Sinne einer Entschlackung der Strukturen betreibt, über keinen Kulturbegriff verfügt. für Nef und Seinesgleichen hört ja die Welt an und dem Abbau von Doppelspurigkeiten», heisst Jetzt ist der Spass vorbei. Im neuen Parteipro- der Landesgrenze auf. es schliesslich, «ist die Integration der Pro Helve- gramm 2011 bis 2015 werden der Kultur drei Gelegentlich zitiert die SVP Nef fast wörtlich: tia in die Organisation für Landeswerbung vor- Seiten gewidmet, und Pipilotti Rist, Christoph «Öffentliche Unterstützung der einen Projekte zunehmen. Dabei ist unabdingbar, die Mittel Büchel und Mike Eschmann dürfen sich damit heisst zugleich immer Diskriminierung aller massiv zu reduzieren und die Aufgaben auf brüsten, in einem Parteiprogramm als «verhät- nicht geförderten Projekte. Privates Mäzenaten- wenige Bereiche zu beschränken.» Am besten schelte Staatskünstler» genannt zu sein. tum oder Sponsoring sind besser geeignet, viel- mit nur einem Stiftungsrat: Christoph Blocher. «Kultur ist Sache der Kultur», schreibt die SVP fältige Entwicklungen zu ermöglichen.» Als posi- ‹Kunstpause› beleuchtet das kulturpolitische über ihre Strategie. Die Tautologie hatte der tives Beispiel gilt die von Christoph Blocher Geschehen. Januar 2011 | ProgrammZeitung | 13
Ein Baselbieter ärgert sich c h r i s t oph m e u ry Baselland spart – auch auf Kosten der Kultur. öffentlich anzuprangern! Ich lasse mir nicht von Volksver- Ein Kommentar. tretern à la Willimann, Herrmann, Hertzig und Co. vor- Immer wenn es um die grossen Basler Kulturprojekte oder schreiben, welche Kultur und Kunst der BL-Bevölkerung um die Kultur im Allgemeinen geht, folgt das ‹BL-Njet› zuzumuten ist, welche förderungs- und unterstützungs- postwendend und reflexartig. Sogar das Baselbieter Kultur- würdig, ja, sinnstiftend sei. Diese Herren können sich in gesetz wurde 2009 aus fadenscheinigen Gründen gebodigt. Zukunft nicht mehr als mein Sprachrohr darstellen, wenn Diese Baselbieter Kultur-Egoisten, diese ewig Nein-Sagen- sie ihre verstaubte Kulturpolitik im Namen des Kantons den, ich mag sie nicht! proklamieren. Meine persönliche Identität kann ich weder Im politischen Diskurs ist der regionale und überregionale bei den Baselbieter Trachtenvereinen, den Männerchören, Gedanke in den Sonntagsreden der Parteien opportun, bei Blasmusiken noch bei Laien- und Liebhabertheatern fin- den übergreifenden Infrastruktur-Projekten (Strasse und den. Ich will damit aber die entsprechenden Aktivitäten Schiene) ist die Solidarität des Bundes und des Umlandes nicht grundsätzlich in Frage stellen. gar ausdrücklich erwünscht. Wenn aber die BaslerInnen Ich bin mit der städtischen Kultur und Kunst aufgewachsen für die kulturellen Zentrumsleistungen ein BL-Engagement und orientiere mich daher in diesem urbanen Umfeld. Ich und entsprechende finanzielle Beiträge wünschen, dann liebe Rockmusik und Jazz, mag Theater und Tanz und be- mutiert das Baselbiet plötzlich zum explizit eigenständigen wege mich im kulturellen Umfeld von Festivals. Freue mich und autonomen Kanton, der gemäss seiner amtierenden über gutgemachte Kunstaustellungen und gehe liebend Politkaste mit der Kultur die eigene Identität als Staat der gerne mal in die Oper oder ins Ballett. Ich bin dagegen, Bauern und Kleinkrämer proklamiert haben möchte. Die dass meine Steuergelder konzeptlos in Augusta Raurica Basler Kultur ist dann mal diffamierend ‹elitär›, ‹abge (das steingewordene Symbol der offiziellen Baselbieter hoben›, ‹teuer›, ‹luxuriös› oder schlicht ‹überflüssig›. ‹Divide et impera›-Kulturpolitik) oder in sonstigen ‹Back-to- Verhinderungs- und Abschottungspolitik. Die BL-Polit the-roots›-Kulturveranstaltungen versickern. Als Ur-Basel- cracks monieren, dass es ihre edle Aufgabe sei, die Kultur bieter will ich damit wesentlich eine urbane und regionale prioritär rund um den eigenen Miststock zu fördern und zu Kultur mittragen und mitfinanzieren. Ich will Teil einer pflegen. Es sind dies die Positionen von Egoisten und Tradi- regionalen Gemeinschaft sein. Ich bin gegen die Abschot- tionalistinnen aus dem Umfeld der SVP und FDP und, tungspolitik. etwas weniger laut, der CVP, die mit ihrer Politik schlicht Kultur als Luxusgut. Auch die viel gepriesene Autonomie und einfach keine zusätzlichen Gelder an die Basler Kultur der BL-Kulturpolitik auf der Ebene der Gemeinden ist, ich bezahlen wollen. Basta! Alles andere sind rhetorische Ver- sehe es am Beispiel Birsfelden, brüchig und unzuverlässig renkungen und Geschwätz. Diese Verhinderungspolitik ist geworden. Der Gemeinderat von Birsfelden hat soeben die jährliche Subvention an das Theater Roxy gestrichen. Damit gefährdet er in höchstem Masse auch die kommunalen Ver- eine und verhindert, dass diese weiterhin ihre kulturellen Aktivitäten im Roxy präsentieren können (Jugendmusik- schule, Schulverein, Capriccio-Chor etc.). Der Gemeinderat von Birsfelden hat den entsprechenden Vertrag per Ende 2011 aufgekündigt. Dies als Beispiel einer Kulturpolitik, die sich aus jeglicher Verantwortung verabschiedet und nicht mehr bereit ist, eine überregionale Theater- und Tanzför- derung – auch in Zeiten des knappen Geldes – mitzutragen. Die Umlieger-Gemeinden – Muttenz, Pratteln, München- stein, Reinach, Binningen, Bottmingen, Oberwil, Allschwil – haben sich aus einer solidarischen Mitträgerschaft schon lange verdrückt. Jetzt wird das Theater Roxy nur noch vom Kanton getragen. Damit wird klar: Auf die eigene Kultur und die entsprechenden Kulturinstitutionen besinnt man sich nur als Luxusgut, als Supplement. Wird es eng, schleicht man sich von dannen. Dann gilt nicht einmal mehr das kulturelle Standort-Argument oder die Umweg- Rentabilität. Dann ist das Theater Roxy plötzlich ein priva- tes Engagement und wird gleich behandelt wie irgendeine Initiative eines privaten Vereins. Voilà! Kulturpolitik ‹Vari- ante Birsfelden› versus ‹Variante Baselland›. Roxy-Chef Der Autor leitet seit vielen Jahren das Theater Roxy. Aufgewachsen in Christoph Arlesheim, Schulen in Arlesheim und Münchenstein, Heimort Reinach, Meury, wohnhaft und steuerpflichtig seit 30 Jahren in Birsfelden. Foto: Lucian Hunziker Programm Theater Roxy u S. 44 14 | ProgrammZeitung | Januar 2011
Melancholie und Heiterkeit pe t e r s c höpf e r Helferkultur ‹Viel Lärm um nichts›, Aischylos’ ‹Orestie›, Büchners ‹Woyzeck› und im vergangenen dagm a r bru n n e r Jahr an Thomas Manns Jahrhundertwälzer Marcel Schwalds neue Produktion. ‹Buddenbrooks› in John von Düffels Bühnen- Es vergeht kaum ein Tag ohne Werbung und Auf- adaption. Mit solchen Stücken, an denen rufe von Hilfswerken in unseren Briefkästen. auch professionelle Betriebe scheitern kön- Nicht mehr nur zu Weihnachten oder zum neuen nen, bewies die Theatergruppe wiederholt Jahr, bei Jubiläen oder Katastrophen werden wir ihr grosses Potenzial. Die Herausforderung, auf allen Kanälen der modernen Kommunika immer wieder Neues mit höchstem An- tionstechnologie zum Spenden ermuntert. Gele- spruch zu wagen, gehört eben zu Kaspar gentlich mit zwiespältigen Methoden (Telefon- Geigers Konzept und scheint auch die jun- marketing) oder Worten und Slogans, die fast gen Darstellenden zu Höchstleistungen an wie aus Ferienprospekten klingen: ‹Abenteuer Spielfreude und Präsenz zu beflügeln. Menschlichkeit› etwa hiess der Titel einer Kam- Schwierige leise Töne. In diesem Jahr pagne des Deutschen Roten Kreuzes im Jahr spielt die Theatergruppe Cechovs letztes 2002. Das Helfen wird uns möglichst attraktiv Bühnenwerk, die tragische gesellschafts- schmackhaft gemacht, mit unterhaltsamen Tex- kritische Komödie ‹Der Kirschgarten› (Ur- ten, ästhetischen Bildern, spektakulären Aktio- aufführung 1904). Das Stück ist in einer nen, mit Stars, die in die Elendsgebiete reisen Zeit grosser Umbrüche in Russland entstan- und rentablen Angeboten, die wir guten Gewis- den, und Cechov siedelt es in der Provinz sens konsumieren. Eine professionelle ‹Hilfs- und in der Gesellschaft von Gutsbesitzern industrie› hat sich etabliert, die mit Fachleuten und Kleinadel an. Die typischen Cechov- durchaus Bewundernswertes leistet, während Figuren verharren in einer verklärenden sich unsere Anteilnahme aus sicherer Distanz Vergangenheit, trauern verpassten Chan- mit einer Überweisung erledigen lässt. Doch ent- cen nach, klammern sich ans Vertraute und spricht das unserem Impuls, dem echten Mitge- Gewohnte und tun sich trotz Hoffnung und fühl und Bedürfnis, wirksam und nachhaltig zu Sehnsüchten schwer mit dem Untergang helfen? Bleibt nicht oft ein schales Gefühl von einer alten Ordnung und der unabwend Ohnmacht zurück, dass man nur spenden oder baren Veränderung. ‹helfend konsumieren› kann? Wie beeinflusst Cechov von Jugendlichen interpretiert – diese Art Hilfe unseren Alltag und unser Verhal- der Regisseur hat sich natürlich darüber ten? Und was könnte man sonst tun? Gedanken gemacht. Sehnsucht, Hoffnung Mit solchen Fragen befasst sich die neue Produk- und Erwartung ans Leben sind bei jungen tion ‹Let’s pretend to be human› von Marcel Menschen besonders aktuell, und der Kon- Schwald. Der Basler Regisseur, Dramaturg, Per- flikt zwischen Festhalten und Loslassen, former und Dozent (Jg. 1976) hat sich u.a. einen zwischen Altem und Neuem, ist ein Dauer Namen gemacht mit ‹Host Club›, einer Reihe von Probenfoto zu thema, auch auf der Schwelle zum Erwach- Gesprächsperformances an der Kaserne Basel ‹Kirschgarten›, senenleben. Geiger kennt die Möglichkei- Foto: Michael und weiteren Orten: Ein Austausch mit dem Bouvard ten und Stärken seiner Gruppe. Die grosse (thematisch nicht vorbereiteten) Publikum, der Schwierigkeit für Regie und Spielende sind von künstlerischen Interventionen belebt wird. Das Gymnasium Oberwil spielt Anton die leisen Töne dieses Stücks: das feine Schwald verbindet so Alltag und Kunst zu neuen Cechovs ‹Kirschgarten›. Schwanken zwischen Melancholie und Hei- Formen der Kommunikation und entwickelt ein Die Theaterabende am Gym Oberwil sind terkeit, das Aufeinandertreffen und Kom- anderes Verhältnis zwischen Bühne und Zu- längst kein Geheimtipp mehr. Seit Jahren munizieren der vereinsamten und eigen schauenden. Hinzu kommt ein spezifisches Inte- gelingen der jungen und engagierten Thea- artigen Charaktere mit ihren individuellen resse an gesellschaftspolitischen Themen. tergruppe meist grossartige Aufführungen Sehnsüchten, die kleinsten Entwicklungen Dieses Interesse bringen auch die Mitwirkenden unter der Regie von Kaspar Geiger, der an und Veränderungen, welche die Figuren der Produktion mit, die sonst auch mit eigenen der Schule das Freifach Theater leitet. durchlaufen. Proben und viel Feinarbeit Projekten und Truppen (u.a. ‹CapriConnection›) Unter den erarbeiteten Stücken finden sich sind bis zur Premiere angesagt, und auf das auftreten. In ‹Let’s pretend to be human› sind sie nicht nur auf junge Menschen zugeschnit Resultat darf man gespannt sein. sowohl als erzählende Privatpersonen wie als tene Themen wie etwa in Wedekinds ‹Früh- Anton Cechov, ‹Der Kirschgarten›, Komödie in vier RollenträgerInnen präsent. In zwei Teilen zeigt lingserwachen› oder Schillers ‹Die Räuber›, Akten: Do 20. bis So 23.1., 20 h, Aula Gym Oberwil die Inszenierung das Spektrum vom ‹Hilfe- mit denen die Gruppe am Jugendtheater- Regie und Dramaturgie: Kaspar Geiger, Musik: David Wohnlich Supermarkt› bis zur Kunst des individuellen täg- festival in Berlin eingeladen und auf Tour- lichen Handelns, der Zivilcourage, auf. nee war. Geiger und sein Ensemble haben ‹Let’s pretend to be human›: Sa 15. bis Mi 19.1., sich stets auch an anspruchsvolle Stoffe ge- Kaserne Basel u S. 41 wagt wie Shakespeares ‹Der Sturm› und Januar 2011 | ProgrammZeitung | 15
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