ProgrammZeitung - Dauerbrenner Kulturleitbild Neuanfang in Volks- und Sudhaus Radio und TV unter einem Dach

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ProgrammZeitung - Dauerbrenner Kulturleitbild Neuanfang in Volks- und Sudhaus Radio und TV unter einem Dach
Menschen, Häuser, Orte, Daten

ProgrammZeitung
                                                        CHF 8.00 | EUR 6.50

                                           Januar 2011 | Nr. 258
      Kultur   im Raum Basel

Dauerbrenner Kulturleitbild
Neuanfang in Volks- und Sudhaus
Radio und TV unter einem Dach
ProgrammZeitung - Dauerbrenner Kulturleitbild Neuanfang in Volks- und Sudhaus Radio und TV unter einem Dach
Offbeat Series, AllBlues und Migros-Kulturprozent-Jazz präsentieren:

                                               Tord Rusconi
                                               Gustavsen
                                               Quintet

                                                                                                     Stadtcasino
                                                                                                            Basel
                                                                                                            Musiksaal
                                                                                                       Mi   16.2.11
                                                                                                            19.30 Uhr

                                                                                             Einziges Konzert in der Schweiz

                                               VORVERKAUF: www.allblues.ch • www.ticketcorner.ch
                                               Die Post, Manor, SBB, Tel. 0900 800 800 (CHF 1.19/min., Festnetztarif)
                                               BASEL: Migros Claramarkt, MParc Dreispitz, Au Concert, BaZ, Bivoba, Stadtcasino
                                               VERANSTALTER: Off Beat Series, AllBlues Konzert AG und Migros-Kulturprozent-Jazz

                                                                                   Zürcher Hochschule
                                                                                   für Angewandte Wissenschaften

                                                                                  School of
                                                                                  Management and Law

Wo Kultur Kultur bleibt –
und Management der Sache dient:

Masterprogramm
Kulturmanagement
Studiengang 2011-2013, Beginn Oktober 2011
                                                 Informationsveranstaltung
                                                 MAS Arts Management
Informationsveranstaltung                        Dienstag, 11. Januar 2011, 18.15 Uhr
Montag, 24. Januar 2011, 18.30 bis 20 Uhr        Stadthausstrasse 14, SC 05.77, 8400 Winterthur
Alte Universität, Rheinsprung 9, Hörsaal 118     Start der 12. Durchführung: 21. Januar 2011

Anmeldung nicht erforderlich
                                                 ZHAW School of Management and Law – 8400 Winterthur
                                                 Zentrum für Kulturmanagement – Telefon +41 58 934 78 70
SKM, Rheinsprung 9, CH-4051 Basel, Schweiz
                                                 www.zkm.zhaw.ch/arts-management
Telefon +41 61 267 34 74
                                                 Building Competence. Crossing Borders.
www.kulturmanagement.org
                                                 Zürcher Fachhochschule
ProgrammZeitung - Dauerbrenner Kulturleitbild Neuanfang in Volks- und Sudhaus Radio und TV unter einem Dach
Kultur macht Politik
dagm a r bru n n e r

   Editorial. Mit Volldampf ins neue Kulturjahr zu starten, ist leider
nicht allen möglich. So haben etwa nach der Avo Session auch die Basel                       Hauskultur
Sinfonietta und die Solothurner Filmtage wichtige Sponsoren verloren.          db. Die Medien sind derzeit nicht nur in Basel im
Einige Basler Museen müssen den Gürtel ebenfalls enger schnallen, und          Gespräch, ihr Wandel und Nutzen, ihre Qualität
dem Theater Roxy wurde der Gemeindebeitrag gestrichen. Immerhin hat            und Vielfalt bzw. deren Verlust werden breit und
das Vorstadttheater trotz Einspruch des obersten Kulturchefs die verdiente     kontrovers diskutiert; Radio DRS 2 etwa wid-
Aufstockung erhalten, zudem wurden weitere kantonale Kulturausgaben            mete dem Thema Anfang Dezember sechs erhel-
vom Grossen Rat genehmigt. Der Entwurf zum Kulturleitbild wirft freilich       lende ‹Reflexe›-Sendungen.
ebenso grundsätzliche Fragen auf wie das Konzept der neuen Volkshaus-          Wandlungen unterworfen ist auch das Strassen-
Besitzer. Neben diesen kulturpolitischen Themen finden Sie im vorliegen-       magazin Surprise, mit dem wir zwecks Inserate-
den Heft u.a. Vorschauen auf Veranstaltungen verschiedener Sparten sowie       akquisition kooperieren. Durch Veränderungen
zur Entwicklung des Schällenmätteli-Areals, zur Konvergenz von Radio           im Sozialbereich geriet das Unternehmen in
und Fernsehen, zur Wirkungsweise von Bildern am Beispiel Migration und         Schieflage, was viele ohnehin Benachteiligte
zur Kultur im neuen SVP-Parteiprogramm.                                        gefährdete. Nach einschneidenden Massnahmen
Just die SVP hat im vergangenen Monat die Gemüter dieser Stadt erhitzt,        kann nun Paola Gallo mit einem kleinen Team in
obwohl sie mit der Ausschaffungsinitiative hier nicht punkten konnte.          eine hoffentlich erfolgreiche Ära starten.
Stein des Anstosses war die Basler Zeitung und ihre zunehmend parteinahe       Veränderungen stehen auch bei uns an: Die Abo-
Ausrichtung durch die neue Konzernspitze. In kürzester Zeit bildete sich       preise werden nach neun Jahren angehoben. In
mit Unterstützung der Aktion ‹Kunst+Politik› die Bewegung ‹Rettet Basel!›,     dieser Zeitspanne hat unser Magazin inhaltlich
die mit knapp 19’000 Unterschriften gegen diese Entwicklung protestierte       und gestalterisch deutlich zugelegt (entspre-
und Besitzer (Tettamanti, Wagner) samt Berater (Blocher) zu vertreiben         chenden Mehrwert finden Sie auch in dieser
vermochte. Der Chefredaktor (Somm) ist freilich geblieben und wird von         Ausgabe). Der Einzelpreis beläuft sich ab 1.1.2011
einem neuen Besitzer (Suter) gestützt, der keine Transparenz über sein Un-     auf CHF 8, das Jahresabo auf CHF 75. Varianten
ternehmen gewährt, die Protestierenden des Mobbings bezichtigte und            dazu (Schnupper-, Ausbildungsabo usw.) sind
Kündigungen seiner Zeitung nicht akzeptieren wollte. Dieser Patriot, Pilot     auf unserer Website ersichtlich.
und Patron leitet nun einen hoch verschuldeten Betrieb, mit dem er in          Die Agenda des vorliegenden Heftes beginnt mit
einem Jahr schwarze Zahlen schreiben will; ein Stellenabbau ist bereits        aktualisierten Angaben zu Silvester (S. 52). Ein
angekündigt. Die Redaktion, die sich zunächst geschlossen gegen ihren          vorweihnachtliches Fest(-essen) leistete sich An-
Chefredaktor stellte, ist (notgedrungen?) verstummt.                           fang Dezember auch das ProgrammZeitungs-
Zwei öffentliche Podien zu den Vorfällen haben zwar Emotionen geschürt,        Team mit den z.T. neuen Köpfen, die hier bereits
aber (noch) keine Verbesserungen gebracht. Die Tatsache jedoch, dass so        vorgestellt wurden (Abb. unten). Mit von der
viele Menschen dieser Region – die Anzahl Unterschriften entspricht etwa       Partie waren zwei externe Profis, die uns in Sa-
einem Viertel der BaZ-Abos – sich so rasch und deutlich äusserten, zeigt das   chen Buchhaltung und Treuhand zur Seite ste-
Potenzial an Köpfen, die mehr wollen als Polemik und oberflächliche Infor-     hen: Yvonne Wickart und Peter Hechler. Wir
mation. Alternativen für eine zweite Zeitung werden derzeit wieder einmal      speisten reichlich und in angenehmem Ambien-
intensiv geprüft und durchgerechnet, Ende Januar will eine Projektgruppe       te in der Osteria L’ enoteca – dankbar für ein
eine entsprechende Studie vorlegen. Einfach wird es nicht sein; kluge, um-     Jahr, das uns finanziell nicht überforderte.
setzbare Ideen und langfristige Investitionen sind vonnöten. – Die Aktion      Sehr gefreut haben uns die Unterstützungsbei-
‹Kultur+Politik›, die den Basler Widerstand ins Rollen gebracht hat, kann      träge der GGG und von Swisslos für den Ausbau
man übrigens ebenfalls unterstützen: www.kunst-und-politik.ch.                 unserer elektronischen Veranstaltungsagenda.
                                                                               Wir danken den Verantwortlichen ganz herzlich
                                                                               für ihre vertrauensvolle und zukunftweisende
                                                                               Geste. Ein grosser Dank geht an dieser Stelle
                                                                               auch an alle, die mit uns zusammenarbeiten, sei
                                                                               es im Bereich Veranstaltungen, Inserate oder
                                                                               Druck und an alle, die unser Magazin schätzen,
                                                                               lesen, abonnieren und unterstützen. Wir wün-
                                                                               schen Ihnen ein friedvolles, reiches neues Jahr!

                                                                               v.l.n.r.: Moritz Walther, Eva Reutlinger, Roland Strub,
                                                                               Christopher Zimmer, Ursula Correia, Roman Benz,
                                                                               Dagmar Brunner, Urs Dillier, Peter Hechler, Claudia
                                                                               Schweizer, Yvonne Wickart. Foto: cn

                                                                                                                               Januar 2011 |   ProgrammZeitung | 3
ProgrammZeitung - Dauerbrenner Kulturleitbild Neuanfang in Volks- und Sudhaus Radio und TV unter einem Dach
12. Jan, BIs 21. Jan, 2011

                        fokus Israel / PalästIna

                                  THE BIRD’S EYE JAZZ CLUB BASEL
                                  1.2.11   21.00 FRANK SALIS H30
                                  2.2.11   21.00 URS BOLLHALDER TRIO
                                  8.2.11   21.00 WEIRD BEARD
                                  9.2.11   21.00 ASMIN SEXTET
  JOEY BARON MENTORING
                             KULTURSCHEUNE LIESTAL
  PROJECT    ASMIN SEXTET
                             4.2.11 20.00 CHRISTOPH STIEFEL - LISETTE SPINNLER
  FRANK SALIS H30
  KLANGQUADRAT     LOOPOP                   QUETZAL
  PHAT JAZZ TRIO   QUETZAL   11.2.11 20.00 CHRISTOPH STIEFEL - LISETTE SPINNLER
  SCHNELLERTOLLERMEIER                      PHAT JAZZ TRIO
  STEFAN AEBY TRIO
  URS BOLLHALDER TRIO        MECK À FRICK
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  WEIRD BEARD              1 27.1.11
                              09.12.10
                                     21.00 13:46   Seite
                                            PHAT JAZZ TRIO 1
                                  28.1.11 21.00 SCHNELLERTOLLERMEIER
   www.diagonales.ch
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Inhalt

                                       7–25   Redaktion
                                      26–43   Kulturszene
                                      44–51   Plattform.bl
                                      52–74   Agenda
                                         74   Impressum
                                         75   Kurse
                                         76   Ausstellungen
                                         77   Museen
                                         78   Bars & Cafés
                                         78   Essen & Trinken
Gymnasium Oberwil spielt von Anton
Cechov, ‹Der Kirschgarten› u S. 15
Foto: Michael Bouvard

                                              Cover: Gauthier Dance, Theater-
                                              haus Stuttgart: ‹Poppea//Poppea›,
                                              Burghof Lörrach u S. 39
                                              Foto: Regina Brocke
ProgrammZeitung - Dauerbrenner Kulturleitbild Neuanfang in Volks- und Sudhaus Radio und TV unter einem Dach
FORUM
SCHLOSS                                     Deutsch,                                   Orchester
                                                                                          der Universität
                                                                                                                                           Winterkonzert 2011

                                                                                                                                                  Basel
PLATZ
                                            Baseldeutsch
                                                                                       Leonard Bernstein
                                            und 15 Fremd-                                     Ouvertüre zu «Candide»
                                                                                       George Gershwin
                                            sprachen                                          An American in Paris

    IM BILD
                                                                                       Dmitri Schostakowitsch
                                                                                              Jazz Suite Nr. 2
                                            Preisgünstige Tages-
                                                                                       Samstag, 20 Uhr
    VOM UMGANG MIT                          und Abendkurse ab Mitte
                                                                                       15. Januar 2011 Peterskirche Basel
           BILDERN                          Januar und Mitte August
                                                                                       Sonntag, 17 Uhr
    BIS 30. JANUAR 2011                    Online-Anmeldung unter                      16. Januar 2011 Ref. Kirche Arlesheim
                                           www.ggg-sprachkurse.ch

                                           Telefonauskunft                                                                         l   u
                                           Montag bis Freitag, 9–11 Uhr                                                        Pav
                                                                                                                      o   va
                                           Tel. 061 261 80 63                                                 c   hon
                                                                                                         Ma
                                                                                                  Olga
                                                                                       Leitung:
                                           GGG Kurse
                                           Eisengasse 5, 4051 Basel
                                           gggkurse@ggg-basel.ch

Öffnungszeiten: Mi /Fr /Sa 12 –17 Uhr
Do 12 –20 Uhr, So 11–17 Uhr
24.12. 2010 –1.1. 2011 geschlossen                                                     Vorverkauf:
                                                                                       ars musica, Hauptstrasse 17, Arlesheim
Forum Schlossplatz Aarau                                                               Bergli Bookshop, Rümelinsplatz 19, Basel
                                                                                       Telefon 061 373 27 77
www.forumschlossplatz.ch                                                               www.coub.ch

  Pathe Card                                                                                                                   NEu

                                                                                           9
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                     KINO                                                                                            EINTRITT

                     EINTRITTE
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PATHÉ KÜCHLIN, ELDORADO & PLAZA                   •   4051 BASEL             www.pathe.ch/basel
ProgrammZeitung - Dauerbrenner Kulturleitbild Neuanfang in Volks- und Sudhaus Radio und TV unter einem Dach
Bilder der Bedrohung
                                                     a l f r e d s c h l i e nge r

    Werkschau CH-Film
              a l e x a n de r j u ng o
    Die 46. Solothurner Filmtage.
2010 war ein gutes Jahr für den Schweizer Film.
Neben den ‹Stars› wie Jean-Luc Godard, Pipilotti
Rist oder Silvio Soldini überzeugte insbesondere
das dokumentarische Filmschaffen an internati-
onalen Festivals. Zu sehen sind viele dieser Filme
auch an den Solothurner Filmtage, die heuer
zum zweiten Mal an acht Spieltagen stattfin-
den und mit einem gewohnt dichten Programm
aufwarten. So werden etwa die viel beachteten
Dokumentarfilme ‹Das Schiff des Torjägers› von
Heidi Specogna und ‹Good Night Nobody› der
Newcomerin Jacqueline Zünd erstmals in der
deutschsprachigen Schweiz auf der Leinwand zu
sehen sein.
Neben der Jahres- oder ‹Werkschau› – so die Um-
schreibung von Festivaldirektor Ivo Kummer –
stehen allein in der Hauptkategorie Forum
Schweiz 16 Weltpremieren, zehn ‹Premières alé-
maniques› und fünf Schweizer Premieren an.
Die ganz grossen Namen fehlen zwar, doch darf                                                                                                                  Auszug eines
man gespannt sein auf Entdeckungen: etwa auf            Geschichte und Geschichten der Grenzregion Basel 1933–1945.                                            Teils der Zivil-
                                                                                                                                                               bevölkerung
‹Silberwald›, das Spielfilmdebüt der Baslerin        Die Zahl der Menschen, welche die Vorkriegszeit und den zweiten Welt-                                     aus Basel,
Christine Repond, eine im Emmental angesie-          krieg selber erlebt haben, nimmt stetig ab. Man kann deshalb den Wert des                                 Mai 1940
delte Coming-of-Age-Geschichte, auf ‹Opération       Dokumentarfilms, den Alex Hagmann jetzt im Christoph Merian Verlag                                        © Foto-Archiv
                                                                                                                                                               Jeck, Reinach
Casablanca› des jungen Genfer Filmemachers           über diese Epoche herausgegeben hat, nicht hoch genug einschätzen. Das
Laurent Nègre über einen marokkanischen              audiovisuelle Medium ist durch seine Anschaulichkeit und Prägnanz ein
Schwarzarbeiter, der unverschuldet in den Stru-      glänzendes Mittel gegen den kollektiven Gedächtnisverlust. In sechs Kapi-
del um ein terroristisches Komplott gerät, auf       teln werden die Gefühle der Angst und Bedrohung, die unsere Region seit
eine aufwändig produzierte Diggelmann-Verfil-        der Machtübernahme Hitlers und bis zum Ende des zweiten Weltkriegs
mung des Basler Regisseurs Pascal Verdosci           prägten, eindrücklich dokumentiert: Alltag (2 Teile), Flüchtlinge und Gren-
(‹Manipulation›), die auch das Festival eröffnet,    zen, Kriegserlebnisse, Wirtschaft und Politik (2 Teile). Hagmann kombi-
und auf eine neue ‹Hunkeler›-Verfilmung mit          niert die lebendigen Interviews mit über 30 ZeitzeugInnen (darunter Carl
Mathias Gnädinger (‹Silberkiesel›). Einen cinéas-    Miville, Sigurd Schottländer, Martha Jäggi, Heiri Strub, Lis Buess-Zingg,
tischen Höhepunkt verspricht die Schweizer           Thierry Freyvogel, Fritz Epple, Louise Stebler) mit vielfältigem Archiv­
Premiere von Léa Pools ‹La dernière fugue›.          material wie Filmen, Fotos, Plakaten und Radioaufnahmen.
Die Retrospektive würdigt das Schaffen der Zür-      Die DVD ergänzt das 2008 erschienene Buch ‹Orte der Erinnerung› (s.u.).
cher Filmproduzentin Ruth Waldburger. Ihre           Aufgrund der Reduit-Strategie wäre Basel bei einem Angriff der Deutschen
Karriere begann 1977 als Stagiaire am Set von        nicht verteidigt worden. Bewegend sind die Berichte darüber, wie in die
Alain Tanners ‹Messidor›, und sie hat bis heute      Innerschweiz und ins Berner Oberland flüchtete, wer es sich leisten konnte,
rund 80 Filme produziert, grosses Kino von           während die einfache Bevölkerung in der Stadt blieb. Und wenn ein
Alain Resnais, Jean-Luc Godard oder Léa Pool         Grenzwächter schildert, dass man die Schreie der behinderten Kinder, die
genauso wie populäre Schweizer Filmkomödien.         in einem Haus 200 Meter von Kaiseraugst entfernt getötet wurden, über
Entsprechend bunt nimmt sich das Programm            den Rhein hinweg gehört hat, gibt es kein Ausweichen: «Wir haben es ge-
aus. Freuen dürfen wir uns auf Werke der eben        wusst!», wiederholt er mehrmals. Das sind unverzichtbare Dokumente für
genannten sowie von Caroline Link, Dani Levy,        jede Bibliothek, für jede Schule.
Viktor Giacobbo u.a.m. Eine besondere Delika-        Alex Hagmann (Hg.), ‹Bilder der Erinnerung: Geschichte und Geschichten der Grenzregion Basel
tesse: Tom Di Cillos ‹Johnny Suede›, Gewinner        1933–1945›, Christoph Merian Verlag, Basel 2010. DVD mit Booklet, ill., CHF 29
des Goldenen Leoparden 1991 und Grundstein           Heiko Haumann, Erik Petry, Julia Richers (Hg.), ‹Orte der Erinnerung. Menschen und Schauplätze
für Brad Pitts Weltkarriere – Solothurn liegt        in der Grenzregion Basel 1933–1945›, Christoph Merian Verlag, Basel. 2. Aufl. 2010, 232 S., über
                                                     60 Abb., br., CHF 29
eben näher an Hollywood, als man auf den
ersten Blick vermuten würde.                         Ausserdem neu: Dominik Wunderlin (Hg.), ‹Laufende Bilder. Alte Privatfilme aus Baselland›.
                                                     Verlag des Kantons BL, 2010. DVD mit Booklet, ill., CHF 25.
46. Solothurner Filmtage: Do 20. bis Do 27.1.,
                                                     21 Filme von Amateuren, von 1940–1980, in 4 Themenblöcken
www.solothurnerfilmtage.ch

                                                                                                                                            Januar 2011 |   ProgrammZeitung | 7
ProgrammZeitung - Dauerbrenner Kulturleitbild Neuanfang in Volks- und Sudhaus Radio und TV unter einem Dach
Familie auf der Kippschaukel der Adoleszenz
a l f r e d s c h l i e nge r

                         Der neue Schweizer Spielfilm ‹Songs of Love and Hate›.           Im Stresstest der Hormone. ‹Songs of Love and Hate›
                      Rico (Jeroen Willems) ist Winzer im Tessin. Seine Trauben        überzeugt auf mehreren Ebenen. Herausragend sind die
                      treiben auf die letzte Reife, die volle Süsse zu. Ein Teil der   stimmungsvollen Bilder, welche die Kamera von Henner
                      Ernte ist schon eingebracht und gärt im Fass, das könnte         Besuch einfängt. Ein flirrender Soundtrack von Pawel
                      ein guter Jahrgang werden. Da versaut ihm ein himmelbre-         Kominek trägt wesentlich zur atmosphärischen Dichte der
                      chendes Gewitter den Rest der Weinlese. Aus der Traum.           Szenen bei. Und die Darstellenden agieren durchs Band mit
                      Hilflos ist der Winzer diesen Naturkräften ausgeliefert. Mit     grosser Präsenz und Dringlichkeit. Allen voran Jeroen Wil-
                      seiner Frau Anna (Ursina Lardi) und den beiden halbwüch-         lems als Vater. Sein Rico ist viril und verletzlich, ein kraft-
                      sigen Töchtern Lilli (Sarah Horvàth) und Roberta (Luisa          volles, verstörtes Charmepaket mit Schmelz und Kanten.
                      Sappelt) bewirtschaftet er ein schönes Gehöft. Und was           Sarah Horvàth als Lilli mit Mandelaugen und erotisch auf-
                      sich in der Natur abspielt, spiegelt die familiären Gärungs-     geworfenen Lippen bietet mehr als ein verführerisch hüb-
                      prozesse. Katalysator dafür ist Lillis erotisches Aufblühen.     sches Gesicht. Da ist eine Grausamkeit und Mitleidlosigkeit
                      Sie hat ihren ersten Freund Fabio (Joel Basman), bemerkt         in ihren Machtspielen, über die sie selber zu erschrecken
                      aber, dass sie mit ihrer Körperlichkeit auch ihren Vater ver-    scheint. Sie probiert sich und andere aus. Staunend erregt
                      wirren kann. Der geht auf Distanz zu seiner Tochter, was         von der eigenen Macht, traurig und verwirrt über den Ver-
                      diese verwirrt und provoziert. Sie sucht den Blick, die Nähe     lust der Unschuld. Die Kamera, die dieses Geschehen beob-
                      des Vaters. Augenspiele werden zu Machtspielen. Erotisiert       achtet, ist nicht kühl, aber sie wertet nicht. Sie beschreibt.
                      von seiner Tochter fällt Rico über seine Frau her. Schritt für   Ganz nah rückt sie dabei den Figuren auf die Pelle, dass
                      Schritt gerät das System Familie aus dem Gleichgewicht.          man das Zittern unter der Haut zu spüren meint.
                      Die Schweizer Regisseurin Katalin Gödrös entwickelt in           Auch wenn die dramatische Steigerung am Schluss des
                      ihrem zweiten Spielfilm einen subtilen Blick auf die Ver-        Films etwas dick aufgetragen ist, Katalin Gödrös (Dreh-
                      werfungen und Unsicherheiten der Adoleszenz, die hier            buch gemeinsam mit Lars Theuerkauf) ist mit ‹Songs of
                      eine ganze Familie erfassen. Die Geschichte einer ersten         Love and Hate› (der Titel ist einem Album von Leonard
                      Liebe kreuzt sich mit der Beziehung der beiden Schwestern,       Cohen entliehen) ein psychologisch vielseitiges und diffe-
                      verändert das Verhältnis zu den Eltern und verwirrt auch         renziertes Porträt einer Familie im Stresstest adoleszenter
                      die beiden Ehepartner. Selbst der Familienhund Prinz, für        Hormone gelungen. So zugespitzt hat man das Thema noch
                      dessen Tod im reissenden Fluss Lilli verantwortlich ist,         kaum je gesehen.
                      wird in das Drama hineingezogen. Der Vater aber deckt            Der Film läuft ab Do 27.1. in einem der Kultkinos u S. 35
Filmstill aus
‹Songs of love        seine Tochter und erklärt die Fahrlässigkeit zum Unfall.
and hate›

8 | ProgrammZeitung | Januar 2011
ProgrammZeitung - Dauerbrenner Kulturleitbild Neuanfang in Volks- und Sudhaus Radio und TV unter einem Dach
Charme und Wehmut der reifen Jahre
a l f r e d s c h l i e nge r

                       Senta Berger und Bruno Ganz glänzen in                       und betrachtet mit nüchternem Blick seinen gealterten Kör-
                       ‹Satte Farben auf Schwarz›.                                  per. Wie werden wir alt? Wie gehen wir um mit Krankheit
                   Wenn nur das verdächtig fröhliche Vogelgezwitscher nicht         und Verlust? Ist die Liebe eine Kraft, die stärker ist als der
                   wäre! Denn eigentlich leben Anita (Senta Berger) und Fred        Tod? Fred entscheidet sich, obwohl die Familie ihm zure-
                   (Bruno Ganz) in einem Wohlstand, den man sich gepflegter         det, gegen eine Operation. Er will die Zeit, die ihm bleibt,
                   und gleichzeitig selbstverständlicher und unaufdringlicher       nicht als Patient verbringen.
                   kaum vorstellen kann. Ihr Heim im englischen Landhaus-               Vage Motive. ‹Satte Farben vor Schwarz› ist getränkt im
                   stil, der fantastische Garten mit Pool, Kunst an den Wänden      Charme und in der Wehmut der reifen Jahre. Anita und
                   und auf Kommoden. Seit fünfzig Jahren sind sie ein Paar,         Fred sind zwei Menschen, die sich nichts mehr beweisen
                   haben zwei erwachsene Kinder, eine Enkelin kurz vor dem          müssen. Ausser, ob ihre Liebe noch Bestand hat. Und sie
                   Abitur, und obwohl der Herr des Hauses als Chef eines Un-        kommen zu einer radikalen Entscheidung. Es ist zweifellos
                   ternehmens pensioniert ist, geht er noch täglich in sein         eine Stärke des Films, dass er nicht alles zerredet, sondern
                   Büro. Doch per Zufall sieht seine Frau ihn in der Stadt, folgt   vieles im Bereich der Andeutung belässt. Aber gerade die
                   ihm und überrascht ihn in einem leeren Appartement. Kein         Motive Anitas hätten etwas mehr Erläuterung verdient. So-
                   Liebesnest will er sich hier einrichten, sondern einen Rück-     wohl ihr Auszug als auch ihre Rückkehr in das gemeinsame
                   zugsraum fürs Nachdenken, wie er sagt. Denn seit kurzem          Heim sowie der Schluss sind vom Drehbuch (Sophie Held-
                   weiss er, dass er Prostatakrebs hat.                             mann, Felix zu Knyphausen) zu wenig gestützt.
                   Anita ist tief verletzt. «Die Wohnung oder ich», sagt sie. Der   Die 37-jährige Regisseurin, in Hamburg als Tochter eines
                   Haussegen hängt gründlich schief, aber wegen der bevor-          Mexikaners und einer Deutschen geboren und in der
                   stehenden Hochzeit der Tochter versucht man die äussere          Schweiz aufgewachsen, betont, dass das Drehbuch auf
                   Form noch zu wahren. Doch plötzlich ist Anita ausgezogen,        wahren Begebenheiten basiert. ‹Satte Farben vor Schwarz›
                   als Fred vom Büro nach Hause kommt – in eine Senioren­           ist nicht der erste Film, in dem sich die Macht des Fakti-
                   residenz. Sophie Heldmann beobachtet in ihrem Debütfilm          schen als hinderlich erweist für eine präzise Motivierung
                   feinfühlig die Irritationen, die diese jahrzehntelange Bezie-    im Fiktiven. Denn das Faktische verführt gerne zu drama-
                   hung erschüttern. Und mit Senta Berger und Bruno Ganz            turgischen Abkürzungen. Das volle Leben aber erträgt
                   stehen ihr zwei Stars zur Verfügung, denen man mit Ver-          keine Abbreviaturen.
                   gnügen und Neugier dabei zuschaut. Beide Figuren kämp-           Der Film läuft ab Do 13.1. in einem der Kultkinos.
                   fen so beherrscht wie verzweifelt um ihre Würde. Und sind
Filmstill aus
‹Satte Farben      dabei ganz uneitel. Einmal steht Fred nackt vor dem Spiegel
auf Schwarz›

                                                                                                                                   Januar 2011 |   ProgrammZeitung | 9
ProgrammZeitung - Dauerbrenner Kulturleitbild Neuanfang in Volks- und Sudhaus Radio und TV unter einem Dach
Duos im Doppelpack
ru e di a n k l i

                                                                                         Der um 33 Jahre ältere Rava kam weit in seiner Karriere,
                                                                                         die ihn über Buenos Aires nach New York führte, wo er im
                                                                                         Free Jazz und in der Rockfusion aktiv war. Rava brauchte
                                                                                         Jahre, um zu seiner wirklichen Leidenschaft zu stehen: der
                                                                                         Melodie. Heute hängt man ihm dies gerne als typisch italie­
                                                                                         nisch an und übersieht dabei die Umwege und Jahrzehnte,
                                                                                         die er brauchte, um diesen Weg zu gehen. Sein Debut-
                                                                                         Album von 1972 hiess ‹Il giro del giorno in 80 mondi›, in
                                                                                         Anlehnung an Jules Verne und den argentinischen Schrift-
                                                                                         steller Julio Cortàzar, der diesen Titel für ein Buch verwen-
                                                                                         dete. Auch wenn Ravas unverkennbarer Ton auf der Trom-
                                                                                         pete für das Melodische wie geschaffen scheint, beweist er
                                                                                         doch bis ins Alter von 71 Jahren eine nie versiegende Neu-
                                                                                         gier. So erstaunt es nicht, dass er sich derzeit mit Songs von
                                                                                         Michael Jackson auseinandersetzt.
                                                                                         Diese Neugier teilt er mit Bollani, mit dem er 2007 in Lugano
                                                                                         ein grandioses Album für ECM einspielte. ‹The Third Man›
                                                                                         war die zweite gemeinsame CD nach einem Live-Mitschnitt
                                                                                         vom Jazzfestival Montréal 2001. Natürlich schöpfen die bei-
                                                                                         den Musiker live gerne aus diesem Repertoire, aber dieses
Stefano Bollani                                                                          ist immer nur Ausgangspunkt für neue Reisen um den Tag
                         Virtuose Jazz-Dialoge live und auf Tonträger.                   in mindestens 80 Improvisationen.
                      Als Enrico Rava 1996 Stefano Bollani überzeugte, sich dem          Am gleichen Abend kommt es zu einem weiteren Duo-High-
                      Jazz zuzuwenden, konnte er wohl kaum erahnen, welchen              light mit dem französischen Violinisten Jean-Luc Ponty und
                      Geist er da aus der Flasche befreite. Nicht etwa, dass sich        dem deutschen Pianisten Wolfgang Dauner, beide Jazz-
                      der hoch begabte Pianist fortan ‹nur› im Jazz bewegte,             pioniere, die bereits in den Sechzigerjahren miteinander
                      nein, die Klassik und die Canzone, ja gar den Pop hat er           musiziert hatten.
                      nie verleugnet. Dazu kommt, dass er Humor mit Tiefgang             Jazz by Off Beat, ‹The Art of Duo› mit Enrico Rava/Stefano Bollani und
                      hat, so etwas wie ein toskanisches Gen, das erstmals mit           Jean-Luc Ponty/Wolfgang Dauner: Fr 28.1., 20 h, Stadtcasino Basel u S. 38
                      Giovanni Boccaccios ‹Decamerone› ein weltweites Beben              CDs: Enrico Rava/Stefano Bollani, ‹Montréal Diary/B› (Label Bleu);
                      hervorrief. Dieser Humor, gepaart mit hoher Unberechen-            ‹The Third Man› (ECM)

                      barkeit, macht aus ihm einen schillernden Kobold, für den
                      die Improvisation das wahre Lebenselixier ist.

               Bescherung                            Schwerpunkt Musik und ein neues Restaurant
                                                     vorsieht sowie zu einem späteren Zeitpunkt ein
                                                                                                             Freddy Burger tätig war, und Gregory Knie, der,
                                                                                                             wie bei diesem Namen leicht zu erraten, Zirkus-
                d om i n iqu e spi rgi               Hotel und eine Architekturbibliothek». Das              luft durch das Volkshaus wehen lassen will. Und
    Zum Besitzerwechsel im Volkshaus.                klingt ja nicht schlecht, sagt aber über den Inhalt     in der «lauten und lebhaften Brasserie im Stile
Erik Juillard ist zufrieden mit der Wahl, weiss      nicht viel aus. «Wir möchten einen Ort in Basel         der Belle Epoque» wird Françoise Wicki am Herd
die Basellandschaftliche Zeitung. Kein Wunder,       erschaffen, der – wie Basel auch – weltoffen ist.       stehen.
denn: «Als kunstbegeisterte Unternehmer beab-        Ein Ort, wo man essen, schlafen, Musik hören,           Weniger laut dürfte es in den Sälen zu- und her-
sichtigen wir, ein Volkshaus mit musealem Cha-       sich austauschen, verweilen, beobachten und             gehen. Unter ‹Bespielungskonzept› finden wir
rakter zu erschaffen. Ein Volkshaus mit kulturel-    bestaunen kann. Ein Ort also, an dem verschie-          eine Kuchengrafik mit ganz vielen Stückchen:
lem Anspruch. Selbstverständlich sind Vereine        dene Nutzungen aufeinander treffen. Ein Ort,            Comedy, Variété, Kammerorchester, Lesungen,
und ‹Cliquen› willkommen und wertvolle Kul-          der metropolitanen Charakter hat. Ein Ort, der          Media/Radio/TV, experimentelle Bespielung
turträger», schreiben die neuen Besitzer. Das        seinem Namen ‹Volkshaus› gerecht wird.»                 sowie Konzerte und Firmenanlässe als die bei-
heisst, Juillards Vorfasnachtsveranstaltung Cha-     Stilistisch lehnen sich die beiden «Initiatoren»        den grössten Segmente. Und damit noch nicht
rivari wird auch unter Zürcher Leitung ihren         Leopold Weinberg und Adrian Hagenbach schon             genug. Denn: «Im Sinne eines Brandings oder
festen Platz haben.                                  einmal weit aus dem Fenster. Über sie erfährt           vielmehr der Tatsache, dass Basel die Schweizer
Die Basler Regierung liess sich nach eigenen         man, dass sie in Zürich und Klosters Hotels und         Architektur Stadt ist, darf auch eine Architektur-
Angaben überzeugen, weil «das Angebot von            ‹In-Clubs› betreiben. Entsprechend soll auch das        bibliothek nicht fehlen.»
allen eingereichten Angeboten das wirtschaft-        Volkshaus zum «wahren Bijou in der Basler               Nun ja, warten wir ab: Auch Konzepte sind erst
lich beste» ist. Was ist aber inhaltlich zu erwar-   Hotellandschaft» werden. Die kulturelle Bele-           einmal nur Druckerschwärze und Papier.
ten? Die Rede ist von einem «Gesamtkonzept,          bung liegt in den Händen von Markus Simmen,
das eine intensivierte kulturelle Nutzung mit        der bislang im Umkreis von Musical-Veranstalter

10 | ProgrammZeitung | Januar 2011
Mut und Geduld
m ic h a e l g a s se r

    Parterre und Kuppel gehen ihre Zukunft höchst unterschiedlich an.
Die Aufbauarbeit macht sich bezahlt: Das 1999 vom Kaffi Schlappe zum
                                                                                                     Sud-Bar
Parterre mutierte Lokal hat sich im vergangenen Jahrzehnt als Konzertort                           m ic h a e l g a s se r
enorm entwickelt und zusehends etabliert. Und seit Andrea Samborski mit             Neue Ideen fürs Sudhaus.
an Bord ist, lässt der Betrieb gar noch ein bisschen mehr von sich hören. Die   Der letzte Sudhaus-Traum dauerte nur ein Jahr.
Kanadierin kam 2009 nach Basel zurück, jobbte zunächst als Sidekick von         Dann war der Betrieb unter Geschäftsführer
Thomas Luterbacher, der für die kulturellen Veranstaltungen hauptverant-        André Millischer pleite. Die Fixkosten seien zu
wortlich zeichnet und wurde alsbald fix angestellt. «Wir versuchen Künst-       hoch gewesen, erklärte der Radiomann im ver-
lerInnen zu verpflichten, die uns verzaubern und auf dem Sprung nach            gangenen August. Was eine alte Einsicht bestä-
oben sind», erklärt Luterbacher das Credo. Beide interessieren sich sehr für    tigt: Das Sudhaus ist alles andere als einfach zu
Singer/Songwriter: «Das ist unsere gemeinsame Klammer.»                         bespielen. Der Ort ist zwar etabliert, doch seine
Dem Basler ist es wichtig, dass lokale Acts und Spoken Word ihren Platz im      Lage mitten in einem Kleinbasler Wohngebiet
Parterre behalten. «Wir sind mutiger geworden», hält er fest. Was sich nicht    hat seine Tücken. Das ist auch Claude Gaçon und
zuletzt an der Eventzahl festmachen lässt. Im November waren’s erkleck­         Walter Krucker bewusst, dennoch liessen sich
liche 18 Konzerte. Eine Ausnahmesituation, wie Luterbacher meint. «Aber         die beiden neuen Betreiber davon nicht abschre-
wenn wir die Chance haben, ein vielversprechendes Talent zu verpflichten,       cken und unterzeichneten gleich einen Zehnjah-
dann machen wir das.» Selbst wenn das Programm schon proppevoll ist.            resvertrag. Derzeit ist das Sudhaus geschlossen,
Zudem nähren gute Namen die Reputation des Hauses. «Was dazu führt,             es wird bis Februar umgebaut. Und zwar heftig.
dass immer bekanntere Leute bei uns auftreten wollen.»                          Eine Heizung kommt, Rohre fallen, ein Fumoir
    Sanfte Erneuerung. Anders als das Parterre plant man in der Kuppel kei-     entsteht, und die Bar wechselt nicht bloss ihren
nen weiteren Programmausbau, sondern bleibt bei vier bis fünf Veranstal-        Standort, sondern auch das Erscheinungsbild.
tungen pro Woche. «Wir werden grosso modo so weiterbrummen wie im               Der Raum soll atmosphärischer werden, mehr
letzten Jahr», sagt Steffi Klär, zuständig für Events und PR. Im Lokal wer-     «Aufenthaltsqualität» erhalten, heisst es.
den sich also weiterhin Partys, Konzerte oder Stand-Up-Comedy abwech-           Definitiv ändern wird sich das Programm. Stoss-
seln. Aber eine sanfte Erneuerung ist durchaus erwünscht. So ist etwa eine      richtung: mehr Bar, weniger Veranstaltungen.
klassische Musikreihe geplant. Auch das Innenleben der Kuppel wurde auf-        «Das Sudhaus soll nicht mehr länger als Party-
gefrischt; die Spiegel sind gewichen, die Farben dunkler geworden.              Ort gelten», sagt Krucker. In vielerlei Hinsicht
Von der Gruppe um Affenhaus-Gönner Matthias Eckenstein, die seit eini-          lehne sich das Konzept an dasjenige der Cargo-
gen Monaten gegen die Kuppel bzw. für einen neuen Zoo-Eingang lobby-            Bar an. Nicht von ungefähr, schliesslich wird
iert, lässt man sich nicht verunsichern. «Wir stehen mit dem offiziellen        diese ebenfalls von Claude Gaçon geführt. Ge-
Zolli für den gemeinsamen Neugestaltungsplan und warten nun auf die             öffnet sein wird der Sud – so der künftige Name
Abstimmung im Grossen Rat.» Der Ratschlag der Regierung sieht zusätz­           – mittwochs bis samstags. Jeweils am Samstag
liche Fläche für den Zoo vor, das Nachtigallenwäldeli hingegen soll eine        soll’s einen Event geben, in der Regel in eigener
öffentliche Grünzone mit Gastro- und Ausgeh-Angebot bleiben. Bis zum            Regie. «Fremdveranstaltungen spielen fortan
Ratsentscheid braucht es Geduld, doch damit lebt das Team: Schliesslich ist     eine untergeordnete Rolle», erklärt Krucker. Un-
das Haus seit bald 25 Jahren ein Provisorium. «Es wäre schon toll, wenn die     ter der Woche, wenn die Bar offiziell geschlossen
Kuppel dereinst zu etwas Neuem heranwachsen könnte», betont Klär. Sie           ist, sind in loser Folge Konzerte geplant, die von
macht jedoch keinen Hehl daraus, wie sehr sie mit dem Veranstaltungsort         Indie über Folk bis hin zum Ska reichen. Die
auch in seiner jetzigen Form verbunden ist: «Für mich ist es einfach die        dürften zwar nicht das grosse Geld bringen, aber
schönste Bühne der Stadt.»                                                      Renommee, glaubt der frühere Konzert-Booker
Programme: Parterre und Kuppel u S. 40                                          des ‹Schiff›. Wichtigstes Auswahlkriterium für
                                                                                ein Engagement: die Relevanz der Auftretenden.
                                                                                Derzeit gehe alles noch ein wenig drunter und
                                                                                drüber, selbst der genaue Eröffnungstag steht
                                                                                noch nicht fest. «Wir müssen uns momentan
                                                                                ziemlich zur Decke strecken», sagt Krucker.
                                                                                «Aber wir sind positiv gestimmt.»

                                                                                Entrée & Bar
                                                                                Kuppel
                                                                                Foto: Xenia
                                                                                Häberli (xenia-
                                                                                fotografiert.ch)

                                                                                                            Januar 2011 |   ProgrammZeitung | 11
Junge Kammeropern
a l f r e d z i lt e n e r

                                                                                                                  Werte und Wünsche
                                                                                                                             dagm a r bru n n e r
                                                                                                                  Die Basel Sinfonietta spielt Klang-
                                                                                                                  volles aus Lateinamerika.
                                                                                                               Eigentlich feiert sie ihre Jubiläumssaison, aber
                                                                                                               statt ihr 30-jähriges Bestehen unbeschwert ge-
                                                                                                               niessen zu können, plagen die Sinfonietta peku-
                                                                                                               niäre Sorgen. Da hilft auch nicht, dass sie einen
                                                                                                               Publikumszuwachs von 30 Prozent nachweisen
                                                                                                               kann, dass ihre Qualität international anerkannt
                                                                                                               und sie 2011 schon zum vierten Mal an die Salz-
                                                                                                               burger Festspiele eingeladen wird. Im letzten
                                                                                                               November musste sie bekanngeben, dass ihr
                                                                                                               Titelsponsor UBS, der sie während gut fünf Jah-
                                                                                            Cecilia Arellano   ren unterstützt hatte, sich wegen Neuausrich-
                                                                                            in ‹La extra-
                                                                                            vagancia›, Foto:   tung des Sponsoringkonzepts per Ende 2010 zu-
                                                                                            Alejo Varisto      rückziehen wird. Eine schmerzhafte Botschaft,
                                                                                                               die wieder einmal vor Augen führt, wie fragil
    Das schweizerisch-argentinische              Nisinman), einen Bassbariton und eine                         Partnerschaften mit Global Playern sind (zum
    Opernprojekt ‹Envidia›.                      Sängerin, die in ‹La Extravagancia› alle                      Glück bleibt dem Orchester sein zweiter grosser
Um Geschwisterneid und eine verzweifelte         Schwesternrollen übernimmt. Trotzdem                          Sponsor Novartis vorläufig erhalten). Da eine
Suche nach Elternliebe, um Besitzanspruch        seien die Partituren, den Textvorlagen ent-                   Konzertsaison nicht kurzfristig geplant werden
und tiefe metaphysische Verwirrung geht          sprechend, extrem entgegengesetzt, erklärt                    kann, wird es in der Spielzeit 2011/12 zu Pro-
es in den zwei einaktigen Kammeropern ‹La        die Komponistin. Eine Handlungsebene                          grammänderungen kommen, falls nicht eine
Extravagancia› und ‹Satanica› von Helena         von ‹La Extravagancia› bildet die als Video                   oder mehr helfende Hände bereit sind, das Loch
Winkelman (geb. 1974), die im Januar im          gezeigte populäre Wissenschaftssendung                        zu stopfen. Danach sieht es im Moment noch
Gare du Nord gastieren. Die Libretti stam-       der erfolgreichen Schwester; dafür hat                        nicht aus.
men vom argentinischen Dramatiker Rafael         Winkelman einen passenden Soundtrack,                         Trotzdem lässt sich der selbstbewusste, selbst-
Spregelburd, dessen Stück ‹Die Dummheit›         u.a. mit einem Rap und opernhaften ‹Arien›                    verwaltete Klangkörper die Lust auf neue Pro­
vor einigen Jahren am Theater Basel zu           geschrieben; sogar eine Art Popsong kommt                     jekte nicht verderben und startet gar «mit einer
sehen war. Beide Opern beruhen auf Thea-         darin vor. In ‹Satanica› erhält nebst der                     kräftigen Dosis guter Laune» ins neue Jahr, wie
terstücken, die der Autor unter dem Über­        Arbeit mit Obertönen die Live-Elektronik                      es im Programmheft heisst. Denn im nächsten
titel ‹Envidia› (Der Neid) zu Operntexten        zentrale Funktion. Die Partitur sei viel                      Konzert geht es um Musik aus Lateinamerika –
umgearbeitet hat.                                näher an einer Theatermusik als ‹La Extra-                    von feurigen Rhythmen aus Mexiko über betö-
‹Extravagancia› handelt von drei Schwes-         vagancia›, sagt die Musikerin, doch es gebe                   rend-populäre Melodien aus Brasilien bis zu
tern. Die eine hat beim Fernsehen Karriere       nur wenige rein klangmalerische oder                          einem Werk für Mundharmonika (gespielt von
gemacht, die andern werden zerfressen von        atmosphärische Elemente. Eine Klezmer-                        einer Virtuosin des Instruments) und einem zeit-
Neid und gegenseitigem Misstrauen. Sie           melodie und das Zitat eines jiddischen Lie-                   genössischen Stück. Letzteres steuert der argen-
wissen, dass eine von ihnen adoptiert ist,       des verweisen aber auf die Herkunft der                       tinische Komponist Oscar Edelstein im Auftrag
doch die Eltern haben nie verraten, welche.      Figuren und verankern sie diskret in der                      der Sinfonietta bei, wobei er sich nicht an der
Als die Mutter an einem tödlichen Leiden         argentinischen Geschichte, in der die Ein-                    Folklore, sondern vielmehr an der Avantgarde
erkrankt, das auf leibliche Töchter übertra-     wanderung eine grosse Rolle spielt.                           orientiert. Eine Mischung, wie man sie von der
gen wird, treibt dies die absurden Versuche      Beide Opern wurden jüngst im Centro Ex-                       Sinfonietta gewohnt ist: originell, innovativ,
der Schwestern, sich zu beweisen, dass sie       perimentacion des Teatro Colon in Buenos                      qualitativ hochstehend. Und erstmals mit einem
‹echt› und damit geliebt sind, auf die Spitze.   Aires uraufgeführt. Jürg Henneberger diri-                    Dirigenten, der all dies ebenfalls verkörpert:
In ‹Satanica› glaubt ein armer Kerl, dass er,    gierte das Ensemble Phoenix und die bei-                      Howard Griffiths.
ohne es zu wollen, einen Pakt mit dem Teu-       den Darstellenden, den Basler Bassbariton                     Wer das Engagement des Orchesters honorieren
fel geschlossen hat. Corpus delicti ist ein      Robert Koller und die Mezzsopranistin                         möchte, kann das auf vielfältige Weise tun. Sei-
vom Grossvater geschenktes Klavier, das          Cecilia Arellano, welche die Zusammen­                        ne Mitglieder haben ganz praktische Jubiläums-
diesem viel bedeutete, weil es die einzige       arbeit Winkelmans und Spregelburds ange-                      wünsche formuliert (siehe Webseite) – aber am
Verbindung zum europäischen Herkunfts-           regt hat. Der Autor selbst inszenierte. Nun                   liebsten wären ihnen ausverkaufte Konzerte.
land seiner Familie war.                         wird die Produktion in gleicher Besetzung                     Nichts wie hin!
    Arien und Popsongs. Winkelmans Musik         auch in Basel gezeigt.                                        Basel Sinfonietta spielt ‹Huapango!›: Mo 24.1., 19.30,
verlangt für die beiden Stücke eine nahezu       ‹Envidia›: Fr 7. bis So 9.1., 20 h, Gare du Nord u S. 49      Stadtcasino Basel u S. 50
identische Besetzung: ein kleines Instru-                                                                      Wunschliste unter www.baselsinfonietta.ch

mentalensemble mit Bandoneon (Marcelo
12 | ProgrammZeitung | Januar 2011
Liebe in Not
dagm a r bru n n e r

                      Das Vorstadttheater stellt in ‹Orient meets Okzident›               setzten palästinensischen Gebiete schildert, oder in der
                      den Brennpunkt Israel/Palästina vor.                                Klassenzimmerproduktion ‹Heimweg›, die von einem türki-
                  Eine Zeitungsnotiz hatte Gottfried Keller 1847 zu seiner Er-            schen Mädchen erzählt, das in die Schweiz kommt und um
                  zählung ‹Romeo und Julia auf dem Dorfe› inspiriert, in der              seine Identität kämpft.
                  ein Liebespaar wegen der Feindschaft seiner Familien kei-               Das Vorstadttheater beweist auch mit dieser Reihe sein an
                  ne Zukunft hat und in den Tod geht. Die Geschichte spielt               aktuellen Zeit- und Lebensfragen orientiertes Programm
                  zwar in der Schweiz, spiegelt aber eine Erfahrung, die es               für Kinder und Jugendliche, was kürzlich mit einer Erhö-
                  auch in andern Ländern und Kulturen gibt. Die freiberuf-                hung der baselstädtischen Subvention honoriert wurde.
                  lich tätige Basler Regisseurin und Theaterpädagogin Dalit               ‹Orient meets Okzident›: Mi 12.1. bis Fr 21.1., Vorstadttheater Basel u S. 43
                  Bloch wählte diesen Stoff als Grundlage für ein gemeinsa-               Ausserdem zum Thema:
                  mes Theaterprojekt mit Jugendlichen in Israel. Durch eige-              ‹Kulturwiege›, kurdische Kulturaustauschwoche: Di 25. bis So 30.1., div.
                  ne familiäre Wurzeln mit dem Land verbunden, entwickel-                 Orte, www.skgemeinschaft.ch u S. 32, 35

                  te sie in Zusammenarbeit mit dem Arab-Hebrew-Theatre in                 Gruppe Thersites spielt ‹Auf dem westöstlichen Diwan›: Fr 7. bis So 16.1.,
                  Jaffa ein Stück, in dem die Schweizer Vorlage mit Familien-             Probebühne Werkraum Warteck u S. 43

                  geschichten der Mitwirkenden kombiniert wird. Die zehn                  Zeitschrift ‹Lisan›, Nr. 10 mit Briefen aus der arabischen Welt, CHF 29,
                                                                                          www.lisan.ch
                  Jugendlichen – sechs arabisch-palästinensische und vier
                  jüdische Israeli – erzählen in ‹Yalla!› von Begegnungen,
                  Freund- und Feindschaften ihrer Grosseltern und Eltern
                  und von zwei Liebenden, die aufgrund ihrer Religion und
                  Volkszugehörigkeit nicht zusammenkommen dürfen. Doch
                  ist der Freitod wirklich die einzige Möglichkeit?
                  Die Produktion, deren 13–16-jährige Mitwirkende erstmals
                  auf der Bühne stehen, wurde bereits in Jaffa gezeigt und
                  vom Filmemacher Benno Hungerbühler begleitet, der aus
                  dem Material einen Dokumentarfilm erstellen wird. In
                  Basel gastiert die Gruppe im Rahmen der Reihe ‹Orient
                  meets Okzident›, mit der das Vorstadttheater jedes Jahr
                  Arbeiten vorstellt, die neben den Konflikten auch die kon-
                  struktiven Dimensionen von Begegnungen zwischen den
                  Kulturen thematisieren. So auch im Stück ‹Checkpoint›, das
                  eine Reise von zwei Schweizern nach Israel und in die be-

                                                                 Probenfoto zu ‹Yalla!›

            Kunstpause                               «radikal-liberale» Robert Nef vor sechs Jahren
                                                     via NZZ in die Welt gesetzt. Schon damals schei-
                                                                                                              gestiftete Musikinsel Rheinau. Nicht erwähnt
                                                                                                              wird allerdings, wie es diese Stiftung schafft,
                 gu y kr neta                        terte der Gedanke, die Kultur sich selber zu über-       nicht diskriminierend zu fördern.
   Die Kultur im neuen SVP-Programm.                 lassen, an der simplen Tatsache, dass Kunst ge-          Bemerkenswert ist auch der Gegensatz von
Vor wenigen Jahren konnte man sich den Spass         fördert wird und schon immer gefördert wurde.            ‹Volkskultur› und ‹Staatskultur›, den die SVP
machen, bei der SVP Schweiz anzurufen und um         Nef liess sich dadurch zu so wackeligen Aus­             konstruiert – wobei mit ‹Staatskultur› die profes-
Zusendung des Strategiepapiers im Bereich Kul-       sagen hinreissen wie: «Öffentliche Kulturförde-          sionelle Kunst gemeint ist –, als ob zwischen pro-
tur zu bitten. «I weiss nid, öb mir so öppis hei»,   rung auf lokaler und regionaler Ebene sind               fessioneller Kunst und Amateurkultur keinerlei
war die entwaffnend ehrliche Antwort, so dass        darum weniger problematisch, weil es zu einem            Beziehungen bestünden, Laientheater nicht ge-
man sich fast schämte, angefragt zu haben und zu     ‹Wettbewerb der Förderer› kommt», als ob Glei-           legentlich professionelle Stücke spielten und
hören, dass ausgerechnet jene Partei, die unun-      ches nicht über die nationale Förderung im inter-        Chöre nicht auch von Profis geleitet würden.
terbrochen von Werten redet und Symbol­politik       nationalen Kontext gesagt werden könnte. Doch            «Im Sinne einer Entschlackung der Strukturen
betreibt, über keinen Kulturbegriff verfügt.         für Nef und Seinesgleichen hört ja die Welt an           und dem Abbau von Doppelspurigkeiten», heisst
Jetzt ist der Spass vorbei. Im neuen Parteipro-      der Landesgrenze auf.                                    es schliesslich, «ist die Integration der Pro Helve-
gramm 2011 bis 2015 werden der Kultur drei           Gelegentlich zitiert die SVP Nef fast wörtlich:          tia in die Organisation für Landeswerbung vor-
Seiten gewidmet, und Pipilotti Rist, Christoph       «Öffentliche Unterstützung der einen Projekte            zunehmen. Dabei ist unabdingbar, die Mittel
Büchel und Mike Eschmann dürfen sich damit           heisst zugleich immer Diskriminierung aller              massiv zu reduzieren und die Aufgaben auf
brüsten, in einem Parteiprogramm als «verhät-        nicht geförderten Projekte. Privates Mäzenaten-          wenige Bereiche zu beschränken.» Am besten
schelte Staatskünstler» genannt zu sein.             tum oder Sponsoring sind besser geeignet, viel-          mit nur einem Stiftungsrat: Christoph Blocher.
«Kultur ist Sache der Kultur», schreibt die SVP      fältige Entwicklungen zu ermöglichen.» Als posi-         ‹Kunstpause› beleuchtet das kulturpolitische
über ihre Strategie. Die Tautologie hatte der        tives Beispiel gilt die von Christoph Blocher            Geschehen.

                                                                                                                                         Januar 2011 |   ProgrammZeitung | 13
Ein Baselbieter ärgert sich
c h r i s t oph m e u ry

                         Baselland spart – auch auf Kosten der Kultur.               öffentlich anzuprangern! Ich lasse mir nicht von Volksver-
                         Ein Kommentar.                                              tretern à la Willimann, Herrmann, Hertzig und Co. vor-
                      Immer wenn es um die grossen Basler Kulturprojekte oder        schreiben, welche Kultur und Kunst der BL-Bevölkerung
                      um die Kultur im Allgemeinen geht, folgt das ‹BL-Njet›         zuzumuten ist, welche förderungs- und unterstützungs-
                      postwendend und reflexartig. Sogar das Baselbieter Kultur-     würdig, ja, sinnstiftend sei. Diese Herren können sich in
                      gesetz wurde 2009 aus fadenscheinigen Gründen gebodigt.        Zukunft nicht mehr als mein Sprachrohr darstellen, wenn
                      Diese Baselbieter Kultur-Egoisten, diese ewig Nein-Sagen-      sie ihre verstaubte Kulturpolitik im Namen des Kantons
                      den, ich mag sie nicht!                                        proklamieren. Meine persönliche Identität kann ich weder
                      Im politischen Diskurs ist der regionale und überregionale     bei den Baselbieter Trachtenvereinen, den Männerchören,
                      Gedanke in den Sonntagsreden der Parteien opportun, bei        Blasmusiken noch bei Laien- und Liebhabertheatern fin-
                      den übergreifenden Infrastruktur-Projekten (Strasse und        den. Ich will damit aber die entsprechenden Aktivitäten
                      Schiene) ist die Solidarität des Bundes und des Umlandes       nicht grundsätzlich in Frage stellen.
                      gar ausdrücklich erwünscht. Wenn aber die BaslerInnen          Ich bin mit der städtischen Kultur und Kunst aufgewachsen
                      für die kulturellen Zentrumsleistungen ein BL-Engagement       und orientiere mich daher in diesem urbanen Umfeld. Ich
                      und entsprechende finanzielle Beiträge wünschen, dann          liebe Rockmusik und Jazz, mag Theater und Tanz und be-
                      mutiert das Baselbiet plötzlich zum explizit eigenständigen    wege mich im kulturellen Umfeld von Festivals. Freue mich
                      und autonomen Kanton, der gemäss seiner amtierenden            über gutgemachte Kunstaustellungen und gehe liebend
                      Politkaste mit der Kultur die eigene Identität als Staat der   gerne mal in die Oper oder ins Ballett. Ich bin dagegen,
                      Bauern und Kleinkrämer proklamiert haben möchte. Die           dass meine Steuergelder konzeptlos in Augusta Raurica
                      Basler Kultur ist dann mal diffamierend ‹elitär›, ‹abge­       (das steingewordene Symbol der offiziellen Baselbieter
                      hoben›, ‹teuer›, ‹luxuriös› oder schlicht ‹überflüssig›.       ‹Divide et impera›-Kulturpolitik) oder in sonstigen ‹Back-to-
                         Verhinderungs- und Abschottungspolitik. Die BL-Polit­       the-roots›-Kulturveranstaltungen versickern. Als Ur-Basel-
                      cracks monieren, dass es ihre edle Aufgabe sei, die Kultur     bieter will ich damit wesentlich eine urbane und regionale
                      prioritär rund um den eigenen Miststock zu fördern und zu      Kultur mittragen und mitfinanzieren. Ich will Teil einer
                      pflegen. Es sind dies die Positionen von Egoisten und Tradi-   regionalen Gemeinschaft sein. Ich bin gegen die Abschot-
                      tionalistinnen aus dem Umfeld der SVP und FDP und,             tungspolitik.
                      etwas weniger laut, der CVP, die mit ihrer Politik schlicht       Kultur als Luxusgut. Auch die viel gepriesene Autonomie
                      und einfach keine zusätzlichen Gelder an die Basler Kultur     der BL-Kulturpolitik auf der Ebene der Gemeinden ist, ich
                      bezahlen wollen. Basta! Alles andere sind rhetorische Ver-     sehe es am Beispiel Birsfelden, brüchig und unzuverlässig
                      renkungen und Geschwätz. Diese Verhinderungspolitik ist        geworden. Der Gemeinderat von Birsfelden hat soeben die
                                                                                     jährliche Subvention an das Theater Roxy gestrichen. Damit
                                                                                     gefährdet er in höchstem Masse auch die kommunalen Ver-
                                                                                     eine und verhindert, dass diese weiterhin ihre kulturellen
                                                                                     Aktivitäten im Roxy präsentieren können (Jugendmusik-
                                                                                     schule, Schulverein, Capriccio-Chor etc.). Der Gemeinderat
                                                                                     von Birsfelden hat den entsprechenden Vertrag per Ende
                                                                                     2011 aufgekündigt. Dies als Beispiel einer Kulturpolitik, die
                                                                                     sich aus jeglicher Verantwortung verabschiedet und nicht
                                                                                     mehr bereit ist, eine überregionale Theater- und Tanzför-
                                                                                     derung – auch in Zeiten des knappen Geldes – mitzutragen.
                                                                                     Die Umlieger-Gemeinden – Muttenz, Pratteln, München-
                                                                                     stein, Reinach, Binningen, Bottmingen, Oberwil, Allschwil
                                                                                     – haben sich aus einer solidarischen Mitträgerschaft schon
                                                                                     lange verdrückt. Jetzt wird das Theater Roxy nur noch vom
                                                                                     Kanton getragen. Damit wird klar: Auf die eigene Kultur
                                                                                     und die entsprechenden Kulturinstitutionen besinnt man
                                                                                     sich nur als Luxusgut, als Supplement. Wird es eng,
                                                                                     schleicht man sich von dannen. Dann gilt nicht einmal
                                                                                     mehr das kulturelle Standort-Argument oder die Umweg-
                                                                                     Rentabilität. Dann ist das Theater Roxy plötzlich ein priva-
                                                                                     tes Engagement und wird gleich behandelt wie irgendeine
                                                                                     Initiative eines privaten Vereins. Voilà! Kulturpolitik ‹Vari-
                                                                                     ante Birsfelden› versus ‹Variante Baselland›.
                                                                     Roxy-Chef       Der Autor leitet seit vielen Jahren das Theater Roxy. Aufgewachsen in
                                                                     Christoph       Arlesheim, Schulen in Arlesheim und Münchenstein, Heimort Reinach,
                                                                     Meury,          wohnhaft und steuerpflichtig seit 30 Jahren in Birsfelden.
                                                                     Foto: Lucian
                                                                     Hunziker        Programm Theater Roxy u S. 44

14 | ProgrammZeitung | Januar 2011
Melancholie und Heiterkeit
                                                     pe t e r s c höpf e r

             Helferkultur                                                                             ‹Viel Lärm um nichts›, Aischylos’ ‹Orestie›,
                                                                                                      Büchners ‹Woyzeck› und im vergangenen
               dagm a r bru n n e r                                                                   Jahr an Thomas Manns Jahrhundertwälzer
    Marcel Schwalds neue Produktion.                                                                  ‹Buddenbrooks› in John von Düffels Bühnen-
Es vergeht kaum ein Tag ohne Werbung und Auf-                                                         adaption. Mit solchen Stücken, an denen
rufe von Hilfswerken in unseren Briefkästen.                                                          auch professionelle Betriebe scheitern kön-
Nicht mehr nur zu Weihnachten oder zum neuen                                                          nen, bewies die Theatergruppe wiederholt
Jahr, bei Jubiläen oder Katastrophen werden wir                                                       ihr grosses Potenzial. Die Herausforderung,
auf allen Kanälen der modernen Kommunika­                                                             immer wieder Neues mit höchstem An-
tionstechnologie zum Spenden ermuntert. Gele-                                                         spruch zu wagen, gehört eben zu Kaspar
gentlich mit zwiespältigen Methoden (Telefon-                                                         Geigers Konzept und scheint auch die jun-
marketing) oder Worten und Slogans, die fast                                                          gen Darstellenden zu Höchstleistungen an
wie aus Ferienprospekten klingen: ‹Abenteuer                                                          Spielfreude und Präsenz zu beflügeln.
Menschlichkeit› etwa hiess der Titel einer Kam-                                                           Schwierige leise Töne. In diesem Jahr
pagne des Deutschen Roten Kreuzes im Jahr                                                             spielt die Theatergruppe Cechovs letztes
2002. Das Helfen wird uns möglichst attraktiv                                                         Bühnenwerk, die tragische gesellschafts-
schmackhaft gemacht, mit unterhaltsamen Tex-                                                          kritische Komödie ‹Der Kirschgarten› (Ur-
ten, ästhetischen Bildern, spektakulären Aktio-                                                       aufführung 1904). Das Stück ist in einer
nen, mit Stars, die in die Elendsgebiete reisen                                                       Zeit grosser Umbrüche in Russland entstan-
und rentablen Angeboten, die wir guten Gewis-                                                         den, und Cechov siedelt es in der Provinz
sens konsumieren. Eine professionelle ‹Hilfs-                                                         und in der Gesellschaft von Gutsbesitzern
industrie› hat sich etabliert, die mit Fachleuten                                                     und Kleinadel an. Die typischen Cechov-
durchaus Bewundernswertes leistet, während                                                            Figuren verharren in einer verklärenden
sich unsere Anteilnahme aus sicherer Distanz                                                          Vergangenheit, trauern verpassten Chan-
mit einer Überweisung erledigen lässt. Doch ent-                                                      cen nach, klammern sich ans Vertraute und
spricht das unserem Impuls, dem echten Mitge-                                                         Gewohnte und tun sich trotz Hoffnung und
fühl und Bedürfnis, wirksam und nachhaltig zu                                                         Sehnsüchten schwer mit dem Untergang
helfen? Bleibt nicht oft ein schales Gefühl von                                                       einer alten Ordnung und der unabwend­
Ohnmacht zurück, dass man nur spenden oder                                                            baren Veränderung.
‹helfend konsumieren› kann? Wie beeinflusst                                                           Cechov von Jugendlichen interpretiert –
diese Art Hilfe unseren Alltag und unser Verhal-                                                      der Regisseur hat sich natürlich darüber
ten? Und was könnte man sonst tun?                                                                    Gedanken gemacht. Sehnsucht, Hoffnung
Mit solchen Fragen befasst sich die neue Produk-                                                      und Erwartung ans Leben sind bei jungen
tion ‹Let’s pretend to be human› von Marcel                                                           Menschen besonders aktuell, und der Kon-
Schwald. Der Basler Regisseur, Dramaturg, Per-                                                        flikt zwischen Festhalten und Loslassen,
former und Dozent (Jg. 1976) hat sich u.a. einen                                                      zwischen Altem und Neuem, ist ein Dauer­
Namen gemacht mit ‹Host Club›, einer Reihe von                                      Probenfoto zu     thema, auch auf der Schwelle zum Erwach-
Gesprächsperformances an der Kaserne Basel                                          ‹Kirschgarten›,   senenleben. Geiger kennt die Möglichkei-
                                                                                    Foto: Michael
und weiteren Orten: Ein Austausch mit dem                                           Bouvard           ten und Stärken seiner Gruppe. Die grosse
(thematisch nicht vorbereiteten) Publikum, der                                                        Schwierigkeit für Regie und Spielende sind
von künstlerischen Interventionen belebt wird.          Das Gymnasium Oberwil spielt Anton            die leisen Töne dieses Stücks: das feine
Schwald verbindet so Alltag und Kunst zu neuen          Cechovs ‹Kirschgarten›.                       Schwanken zwischen Melancholie und Hei-
Formen der Kommunikation und entwickelt ein          Die Theaterabende am Gym Oberwil sind            terkeit, das Aufeinandertreffen und Kom-
anderes Verhältnis zwischen Bühne und Zu-            längst kein Geheimtipp mehr. Seit Jahren         munizieren der vereinsamten und eigen­
schauenden. Hinzu kommt ein spezifisches Inte-       gelingen der jungen und engagierten Thea-        artigen Charaktere mit ihren individuellen
resse an gesellschaftspolitischen Themen.            tergruppe meist grossartige Aufführungen         Sehnsüchten, die kleinsten Entwicklungen
Dieses Interesse bringen auch die Mitwirkenden       unter der Regie von Kaspar Geiger, der an        und Veränderungen, welche die Figuren
der Produktion mit, die sonst auch mit eigenen       der Schule das Freifach Theater leitet.          durchlaufen. Proben und viel Feinarbeit
Projekten und Truppen (u.a. ‹CapriConnection›)       Unter den erarbeiteten Stücken finden sich       sind bis zur Premiere angesagt, und auf das
auftreten. In ‹Let’s pretend to be human› sind sie   nicht nur auf junge Menschen zugeschnit­         Resultat darf man gespannt sein.
sowohl als erzählende Privatpersonen wie als         tene Themen wie etwa in Wedekinds ‹Früh-         Anton Cechov, ‹Der Kirschgarten›, Komödie in vier
RollenträgerInnen präsent. In zwei Teilen zeigt      lingserwachen› oder Schillers ‹Die Räuber›,      Akten: Do 20. bis So 23.1., 20 h, Aula Gym Oberwil
die Inszenierung das Spektrum vom ‹Hilfe-            mit denen die Gruppe am Jugendtheater-           Regie und Dramaturgie: Kaspar Geiger,
                                                                                                      Musik: David Wohnlich
Supermarkt› bis zur Kunst des individuellen täg-     festival in Berlin eingeladen und auf Tour-
lichen Handelns, der Zivilcourage, auf.              nee war. Geiger und sein Ensemble haben
‹Let’s pretend to be human›: Sa 15. bis Mi 19.1.,    sich stets auch an anspruchsvolle Stoffe ge-
Kaserne Basel u S. 41                                wagt wie Shakespeares ‹Der Sturm› und
                                                                                                                               Januar 2011 |   ProgrammZeitung | 15
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