PR0GRAMMZEITUNG Das Kulturmagazin für den Raum Basel - Schwerpunkt zu Kultur und Migration * Vokalkunst aus der Türkei Museum: Arena der ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
m it PR0GRAMMZEITUNG ‹s w ix x ›- Sp ec ia l* Das Kulturmagazin für den Raum Basel Juni 2006 Schwerpunkt zu Kultur und Migration * Nr. 207 | 19. Jahrgang | CHF 6.90 | Euro 5 | Abo CHF 69 Vokalkunst aus der Türkei Museum: Arena der Auseinandersetzung
Donnerstag, 1 Juni 2006 20.15 Uhr II E Stactcosino Basel, Hans Huber-Saal MIT VIKTOR GIACOBBO Extrakonzert ARKADIEN IN DER Zw. W I E N E R KLASSIK Werke für Lira organizzata,Baryton, Dudelsack von Joseph Haydn u.a. B a s e l , Rosentalanlage Ensemble Baroque 8. - 21. J uni maiL d e Limoges Vorstellungen Werktags: 20.00 Uhr Christophe Coin Samstag und Mittwoc h: 15.00 + 20.00 Uhr U Sonntags: 14.30 + 18.00 Uhr Billette für 8.6.06, 20.00 Uhr, Premiere, zu stark ermässigten t 18.45 Uhr Preisen bei Migros Basel. Stadtcasino Basel, Hans Huber-Saal Zirkuszoo 09.00 - 19.30 Uhr Einfünrung und Demonstration der Instrumente Täglich von mit Matthias Loibner und Michel Uhlmann Vorverkauf Ticketcorner, Tel. 0900 800 800, www.knie.ch und an der Zirkuskasse: Donnerstag, 8. Juni 12.00 - 21.00 Uhr 11.11:11: Werktags: 10.00 - 21.00 Uhr Sonntags: 10.00 - 19.00 Uhr • K a r t e n v o r v e r k a u f : Mittwoch, 21. Juni 10.00 - 20.30 Uhr Musik Wyler TICKETCORNER A l i t B a s e l Schneidergasse Tel. 061-261 24,90 Basel 25 wwv v . k nie. c h 0 9 0 0 800 800 l M AS Cu lt u ra l/ Ge n d e r Stu d ie s Leitung: Prof. Dr. M . Strunk, Infoabend: 4.7.06 MAS und N D K Curating hochsch le Leitung: Dr. des. D. Richter, Dr. des. B. Drabble, für gestaltungtoi 1 Infoabend: 15.6./4.7.06 NDS/M AS De sig n Cu ltu re Leitung: Prof. R. Baur, Dr. A.V. Heiz, S.-V. Kockot, Infoabend: 1.6.129.6.06 NDS/M AS Sze n isch e s Gestalten Leitung: L . Wallen, Infoabend: 22.6.06 kunst zürich NDK Ars Rh e to rica master of advanced Leitung: Prof. Dr. H. Mühlmann, Infoabend: 13.6,06 NDK Corporate De sig n Leitung: U. Damm Infoabend: 1.6./15.6.06 NDK Em e rg e n cy Design Leitung: Y. Milev, Infoabend: 1.6./29.6.06 NDK Ge st a lt e risch e Pro je kt e f ü r Kin d e r und Ju g e n d lich e St dies und Leitung: C. Schuh, Infoabend: 1.6.06 NDK Sch rif t g e st a lt u n g / Typ e De sig n Leitung: R. Barmettler, Infoabend: 1.6./29.6.06 NDK Urbane Identität und De sig n harliGmkurse Leitung: Prof. R. Baur, M . von Lupin, Infoabend: 1.6./29.6.06 Informationsabende Ko n ta kt/An m e ld u n g Koordination Nachdiplom Studienbeginn im Oktober 2006 Telefon + 4 1 (0)43 446 40 20 E-Mail n a ch d ip lo m @ h g kz.ch Web w w w . h g k z . c h > Weiterbildung hgk — Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich Mitglied zfh
HAUSKULTUR «UND VIELE GRÜSSE AUS DER SCHWEIZ» Editorial Das letzte Heft, dachten wir, sei das dickste Während einer achtmonatigen Asienreise vor 25 Jahren machte ich eine wichtige aller Zeiten gewesen. Weit gefehlt! Das vorlie- Erfahrung: Fast überall interessierten sich die ‹Fremden› mehr für meine Herkunft als gende hat denselben Umfang, und wenn man für meine Person. Ich wurde nicht als Individuum wahrgenommen, sondern als Ver- die Postkarten in der Heftmitte dazurechnet, treterin der westlichen Welt, des Reichtums, der Bildung, all dessen, was ihnen erstre- sind das haargenau 100 Seiten! Und die krie- benswert und mir entbehrlich und belastend schien. Und wie habe ich ihre Welten gen Sie zum gleichen, seit Jahren unveränder- wahrgenommen? Ich realisierte, dass ich trotz viel Lektüre und Sympathie kaum etwas ten Preis! Es lohnt sich also, diese Zeitung zu über sie wusste, und dass sie mir vermutlich immer weitgehend fremd bleiben wür- abonnieren ... Was es mit den Postkarten auf den. Eine ernüchternde Lektion, die mich allerdings produktiv auf meine ‹eigene› sich hat, können Sie im nebenstehenden Edi- torial lesen. Jedenfalls hängt es mit jener Ak- Kultur zurückwarf und mir eine Ahnung von Migration vermittelte. «Noch schaffen tion zusammen, dass wir nicht nur das um- wir es nicht, wirklich zusammenzuleben, aber vielleicht ist das auch nicht menschlich fangreichste, sondern auch das farbigste Heft und auch nicht realistisch», sagte die Grüne Basler Grossrätin Sibel Arslan in einem seit bald 19 Jahren produzieren konnten. Doch Gespräch (s. Tages-Anzeiger-Magazin Nr. 19 in ‹Das Wunder von Basel› von Christoph dies wird eine Ausnahme bleiben, sagt unser Keller, einer subtilen Reportage über die Integration türkischer MigrantInnen). strenges Budget-Tier. Migration und Begegnungen zwischen den Kulturen sind auch die vorherrschenden Schön bunt war es auch auf der ‹BuchBasel›, Themen dieses Heftes, vor allem im Special S. 19–35. Die Grundidee dazu stammt vom wo wir mit unserer schwimmbadblauen Kom- Team des Kulturmagazins Luzern, das innerhalb des von Pro Helvetia lancierten Pro- büse positives Aufsehen erregten. Wir haben gramms ‹swixx› über die kulturellen Welten der Schweiz eine Ausgabe zu ‹Kultur und uns über alle Besuche, Feedbacks und Abo- Migration› plante. Auf Wunsch von Pro Helvetia sollten sich weitere Kulturzeitungen Bestellungen herzlich gefreut. Und sind über- an dem Projekt beteiligen, und das liessen wir uns natürlich nicht zweimal sagen! Das zeugt, dass sich dieser Auftritt, den die Messe Basel mit ihrer grosszügigen Spende des Stan- Konzept wurde in Kooperation mit uns und dem St. Galler Magazin ‹Saiten› über- des ermöglichte, ‹gelohnt› hat! arbeitet und innerhalb von zwei Monaten realisiert. Während wir einen 16-seitigen Ebenfalls gelohnt hat sich die Neugestaltung Schwerpunkt präsentieren, haben die Partner aus der Inner- und der Ostschweiz damit der Website, die rege besucht wird und erfreu- ihre aktuellen Themenhefte gestaltet. Für die Beiträge konnten namhafte Schreibende lichen Zuspruch findet. Bitte melden Sie uns, gewonnen werden. wenn Ihnen Unklarheiten, Fehler und Mängel Den Auftakt macht ein Essay über die Frage nach Gemeinsamkeiten von Kultur- begegnen, oder teilen Sie uns Ihre Anregun- schaffen und Migration. Es folgt ein Gespräch mit drei Fachleuten über Wirkung und gen mit. Grenzen interkultureller Projekte. Kernstück ist die achtseitige Reisereportage ‹Und Tipps für Ihren Ausgang bietet nicht nur un- viele Grüsse aus der Schweiz›, die sechs Kulturschaffende im Land porträtiert. Sie sere elektronische Tagesagenda (die Sie übri- erzählen von ihren Erfahrungen und zeigen auf den Postkarten in der Heftmitte ihre gens kostenlos abonnieren können), sondern Bilder der Schweiz. Dem Begriff ‹Globale Kunst› ist ein Beitrag aus ethnologischer auch das Display, das Anfang Mai zwischen den Bars ‹fumare› und ‹nonfumare› installiert Sicht gewidmet. Abschliessend werden ausgewählte Institutionen und Aktivitäten aus wurde. Es zeigt auf Knopfdruck u.a. die Pro- den drei Regionen der Zeitschriften vorgestellt. Die Lokalseiten, die Kurzmeldungen gramme und Trailer der ‹kult.kinos› sowie das (Notizen) und das Layout wurden individuell gestaltet. Pro Helvetia wird Hefte und gesamte Basler Kinoprogramm, die Veranstal- Postkarten an den weiteren ‹swixx›-Veranstaltungen auflegen. tungen des Unternehmens Mitte und unsere Das Thema ‹Kultur und Migration› ist komplex. Ziel unserer Aktion war, den Reich- Tagesagenda. Das Gemeinschaftsprojekt dient tum der kulturellen Welten in unserem Land exemplarisch zu beleuchten; dabei treten dem kulturinteressierten Publikum ebenso auch Schwachstellen zutage, etwa in der Kulturförderung. Sichtbar aber wird eine wie den Kunstschaffenden und Veranstaltern, kreative Wirklichkeit, die noch viel zu wenig beachtet und genutzt wird. die dadurch ein attraktives Schaufenster und zusätzliche Öffentlichkeit erhalten. Und es | Dagmar Brunner entspricht unserer Kernaufgabe, der Vernet- Mehr zum Thema ‹Kultur und Migration› in: www.saiten.ch; www.kulturluzern.ch zung. | Dagmar Brunner Ausserdem in: Mix, Die Migrationszeitung der Kantone AG, BL, BS, SO, Nr. 12, April 2006, und in fi Terra Cognita, Schweizerische Zeitschrift zu Integration und Migration, Nr. 8 S. 21 (Notiz) Tagesagenda mit Kultur pur: www.programmzeitung.ch/heute fi Abb. Museum der Kulturen Basel, ‹Urban Islam› S. 65 JUNI 2006 | PROGRAMM ZEITUNG | 3
IMPRESSUM Herausgeberin ProgrammZeitung Nr. 208 ProgrammZeitung Verlags AG Juni 2006, 19. Jahrgang, ISSN 1422-6898 Gerbergasse 30, Postfach 312, 4001 Basel Auflage: 6 500, erscheint 11 Mal pro Jahr T 061 262 20 40, F 061 262 20 39 Einzelpreis: CHF 6.90, Euro 5 info@programmzeitung.ch Jahresabo (1 1 Ausgaben inkl. ‹kuppler›): www.programmzeitung.ch CHF 69, Ausland CHF 74 Ausbildungsabo: CHF 49 (mit Ausweiskopie) Verlagsleitung Förderabo: ab CHF 169 * Klaus Egli, egli@programmzeitung.ch Tagesagenda gratis: www.programmzeitung.ch Redaktionsleitung Redaktionsschluss Ausgabe Juli/August Dagmar Brunner, brunner@programmzeitung.ch Veranstalter-Beiträge ‹Kultur-Szene›: Do 1.6. Kultur-Szene Redaktionelle Beiträge: Di 6.6. Barbara Helfer, helfer@programmzeitung.ch Agenda: Fr 9.6. Inserate: Mo 12.6. Agenda Erscheinungstermin: Fr 30.6. Ursula Correia, agenda@programmzeitung.ch Verkaufsstellen ProgrammZeitung Inserate Ausgewählte Kioske, Buchhandlungen und Claudia Schweizer, schweizer@programmzeitung.ch Kulturhäuser im Raum Basel Abo/Administration Sonja Fritschi, fritschi@programmzeitung.ch Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos übernimmt die Redaktion keine Haftung; Marketing für Fehlinformationen ist sie nicht verantwort- COVER ‹Unter den Bäumen› Sandra Toscanelli, toscanelli@programmzeitung.ch lich. Textkürzungen und Bildveränderungen db. Serge Hasenböhlers Fotoarbeiten sind der- Korrektur behält sie sich vor. Die AutorInnen verantworten zeit gleich an zwei Orten zu sehen: Die Galerie Karin Müller, karin.mueller@nextron.ch den Inhalt ihrer Beiträge selbst. Abos verlängern Gisèle Linder zeigt die neue Serie ‹Unter den sich nach Ablauf eines Jahres automatisch. Bäumen›, und in der Fondation Herzog treten Gestaltung * Die ProgrammZeitung ist als gemeinnützig neuere und ältere Aufnahmen Hasenböhlers in Anke Häckell, haeckell@programmzeitung.ch anerkannter Kulturbetrieb auf finanzielle einen kreativen Dialog mit historischen Fotos. Mitarbeit: Livie Davatz Unterstützung angewiesen. Beiträge von mindes- Die Bilder wirken ebenso ‹echt› wie inszeniert Druck tens CHF 100 über den Abo-Betrag hinaus — ein reizvolles Spiel mit Ambivalenzen. Schwabe AG, Farnsburgerstrasse 8, Muttenz sind als Spenden vom steuerbaren Einkommen fi Mehr dazu S. 17 T 061 467 85 85, www.schwabe.ch abziehbar. Helfen auch Sie uns durch ein Förder- abo (ab CHF 169). Besten Dank! Foto: ‹Rote Waldameise› (Ausschnitt) Visuelles Konzept 140 x 100 cm Digital Print, 2005 Susan Knapp Kunstbulletin_148x210_4C 08.05.2006 12:27 Uhr Seite 3 riebenbauer.net VANITAS 10.- 30.06. 2006 STEPHEN WADDELL MOSTLY UNFORESEEN ENCOUNTERS 12. Juni – 27. Oktober 2006 Selected works by Opening Reception: Mittwoch, 14. Juni 2006, 19 – 21 Uhr Laurent Ajina Ausstellung im Kunstforum Baloise Leonard Bullock Mo – Fr 8 – 18 Uhr Bâloise-Gruppe Francesca Gabbiani Aeschengraben 21, CH-4002 Basel Tel. +41 61 285 84 67, Fax +41 61 285 90 06 Marlene Haring E-Mail group.konzern@baloise.ch Leta Peer William Ryman Opening Samstag, 10.06. 2006 BAL_ProgrZ_92x67.indd 1 11.5.2006 11:11:22 Uhr Mario Spada 11-14 Uhr Uwe Walther Öffnungszeiten 12.-18.06.2006 Margret Weber-Unger 16-20 Uhr Christina Zurfluh Samstag, 24.06.2006 14-18 Uhr oder nach Vereinbarung Steinenring 56 4051 Basel T 061 271 41 60 www.puechredon.com MARCdePUECHREDON 4 | PROGRAMM ZEITUNG | JUNI 2006
INHALT REDAKTION Mehr als Döner Das ‹Stimmen›-Festival bringt u.a. Musik aus der Türkei zu Gehör | Alfred Ziltener 6 Arena der Auseinandersetzung Basel bekommt zwei neue Museumsdirektorinnen | Dominique Spirgi 15 Sinnliche Elektronik Der Musiker Kold alias Tomek Kolczynski legt drei neue CDs vor | Raphael Zehnder 7 Notizen Kurzmeldungen und Hinweise | Dagmar Brunner (db), Christine Weber (cw) 7—35 Sonne im Wappen Sol Gabettas 1. Musikfestival in Olsberg | Alfred Ziltener 8 Delikate Film-Kunst Das ‹Art›-Filmprogramm huldigt u.a. dem Regisseur Robert Wilson | Michael Lang 8 La Manchas tolle Weiber Pedro Almodovars Film ‹Volver› zeigt charmante Verbrecherinnen | Michael Lang 9 Powergirls und Theaterhelden Mädchenkulturtage und Kinder- und Jugendtheatertreffen | Tanja Holtze, db 10 Reisen im Kopf Monika Neuns neue Theaterproduktion zelebriert das Verschwinden | Felizitas Ammann 11 Planet Fussball Philippe Dubaths Buch ‹Zidane und ich› ist eine Fussballbeichte | Oliver Lüdi 12 Litera-pur Fussball-Lyrik zum ‹Team der Dichter› | Wolfgang Bortlik 12 Geballte Ladung Kommentar, Empfehlung und Stichwörter zum Weltthema Fussball | Matthias Buschle 13 Gastro.sophie ‹Chez Donati› ist ‹Der grosse Wagen› eine besondere Zierde | Oliver Lüdi 14 Kommt Sommer, kommt Art Verschiedene Kunstmessen präsentieren aktuelle internationale Kunst | Isabel Zürcher 16 Wundersame Welt Serge Hasenböhlers Fotokunst wirkt barock und modern zugleich | Dagmar Brunner 17 Die Bevölkerung ist gefragt Die CMS lanciert einen Ideenwettbewerb fürs St. Johann-Quartier | Dominique Spirgi 18 Rocknews Mitteilungen des Rockfördervereins der Region Basel (rfv) | Ramon Vaca 36/37 SPECIAL «Und viele Grüsse aus der Schweiz» Schwerpunkt zu Kultur und Migration 19—35 Kreative Unbehaustheit Was haben Kulturschaffen und Migration gemeinsam? | David Signer 20/21 «Offensein ist nicht leicht» Gespräch mit drei Fachleuten für interkulturelle Kommunikation | 22/23 Des Schweizers Fremde Eine Reise durch Helvetiens Kulturen | Perikles Monioudis | 24—31 Globale Kunst? Ist es berechtigt oder gefährlich, von ‹Weltkunst› zu sprechen? | Anna Schmid 32/33 Der Blues der Freiheit Das Theater Niemandsland bringt Migrationsthemen auf die Bühne | Anna Wegelin 34 Brüchige Existenz Der Verein Migrationsmuseum dokumentiert eine Gesellschaft im Wandel | Dagmar Brunner 35 Himmel über der Schweiz (Ausschnitt), Foto: Genny Russo KULTUR-SZENE Gastseiten der Veranstaltenden 38—66 Kunst Plattform.bl 45—52 ARK | Ausstellungsraum Klingental 62 Fondation Beyeler 62 Film Historisches Museum Basel 64 Kultkino Atelier | Camera | Club | Movie 39 iaab 59 Landkino 49 Kulturscheune Liestal 50 Stadtkino Basel 38 Kunsthalle Palazzo 49 Theater | Tanz Kunsthaus Baselland 63 Das Neue Theater am Bahnhof | NTaB 41 Kunstmuseum Basel 63 Ex/Ex Theater 42 Kunstmuseum Olten 66 Geschichten Home Delivery Service 42 Museum Tinguely 61 II resonanz II 41 Voltashow 02 Basel 2006 60 Theater auf dem Lande 46 Diverse Theater Basel 41 Forum für Zeitfragen 53 Theater Palazzo 49 Kaserne Basel 42 Theater Roxy 48 Kulturtage Kleinlützel 47 Musik Migration : Baustelle Schweiz 65 Basler Madrigalisten 58 Mission 21 53 Basler Vokalsolisten 57 Museum der Kulturen Basel 65 Benefizkonzert zugunsten der 58 Naturhistorisches Museum Basel 64 Steiner-Schule Basel Offene Kirche Elisabethen 44 Chor des Gymnasiums Muttenz 47 Römerstadt Augusta Raurica 51 colla'voce 58 Schule für gestalterische Weiterbildung | SGW 66 Kulturbüro Riehen 59 Unternehmen Mitte 56 Kulturraum Marabu Gelterkinden 46 Werkraum Warteck pp 54 | 55 Kunst in Riehen 59 Kuppel 55 Verlosung Gästekarten für die Liste 06 — 52 The Young Art Fair in Basel Museum Tinguely | Paul Sacher Stiftung 60 Neuer Basler Kammerchor 57 Satierique 58 Stimmen 06 43 The Bird’s Eye Jazz Club 53 Vogelfreiesingfrauen 44 AGENDA 67—87 SERVICE Museen | Kunsträume 88—91 Mehr Kulturanlässe in der kosten- Veranstalteradressen 92 | 93 losen Tagesagenda Restaurants, Bars & Cafés 94 www.programmzeitung.ch/heute JUNI 2006 | PROGRAMM ZEITUNG | 5
MUSIK leg Burhan Öçal (links), Aynur MEHR ALS DÖNER ‹Stimmen›-Festival mit einigen herausragenden Sufi-Musikern entwickelt. Das ‹Mevlud› wird noch ein zweites Mal zu hören sein – im Rahmen Ein Schwerpunkt des diesjährigen Festivals für Vokalkunst ist des diesjährigen ‹Wegs der Stimmen›, der die Kirchen St. Mar- der Musik der Türkei gewidmet. garethen (Binningen), St. Chrischona (Bettingen) und St. Otti- Wenn Helmut Bürgel, der Leiter des ‹Stimmen›-Festivals, von lien (Tüllingen) verbindet. In Tüllingen wird Sema Bischof, eine türkischem Essen erzählt, gerät er ins Schwärmen. Zu Unrecht der wenigen Interpretinnen der sonst den Männern vorbehalte- werde diese Küche bei uns auf Döner Kebap reduziert, man nen geistlichen Musik, u.a. diesen Gesang vortragen. finde im Gegenteil eine erstaunliche Fülle köstlicher Vor- Die Folk-Bigband ‹Kardes Türküler› aus Istanbul hat einst die speisen und eine grosse Vielfalt an Gemüsegerichten. Ebenso Wiederentdeckung der unterschiedlichen Volksmusiken der vielfältig sei auch die Musik der Türkei, mit einer langen Türkei eingeleitet und in die Gegenwart befördert; in ihren Geschichte und vielen stilistischen und regionalen Unterschie- Arrangements verbindet sie traditionelle Klänge mit Stil- den. Wir hätten im Allgemeinen die Musik Anatoliens im Ohr – elementen zeitgenössischer Pop- und Rockmusik. Sie tritt im jene melancholischen Gesänge, die eine weite Landschaft ahnen zweiten Teil des Programms ‹The heart of the turkish folk› im lassen. Die Musik des Südens sei demgegenüber feuriger und Walzwerk auf, nach dem anatolischen Barden Cengiz Özkan, expressiver, jene der Schwarzmeerküste wiederum wild, unge- einem Meister der leisen melancholischen Töne. Ins pulsie- stüm, von kräftigen Rhythmen geprägt. rende Grossstadtleben von heute führt am folgenden Abend die Kostproben dieser reichen Musikkultur sind am diesjährigen ‹Istanbul Calling Party› mit dem Rapper Ceza, verschiedenen ‹Stimmen›-Festival in einem Türkei-Schwerpunkt zu genies- DJs und Burhan Öçal als mitreissendem Drummer. sen. Vier der Konzerte werden im Walzwerk in Münchenstein Von Musik über Film bis Food stattfinden, wo das Festival, mit Unterstützung der Baselbieter Doch natürlich bleibt der Türkei-Schwerpunkt nicht auf das Kulturabteilung, zum ersten Mal gastiert. Die Reihe beginnt mit Walzwerk beschränkt. Zur Festivaleröffnung im Burghof hat ‹Ashura›, einem Musiktheater der Istanbuler Gruppe ‹5. Sokak Helmut Bürgel die kurdische Sängerin Aynur eingeladen – was Tiyatrosu›, einem der wenigen freien Ensembles des Landes mit prompt den Protest türkisch-nationalistischer Kreise in Lörrach internationalem Renommee. In sieben Sprachen wird die Ge- provozierte. Auf dem Marktplatz in Lörrach tritt eine der ganz schichte der türkischen Emigration im 20. Jahrhundert erzählt. grossen Stars der Türkei auf, die Popsängerin Sezen Aksu, eine Zwischen den einzelnen Szenen werden die Resultate von innovative Künstlerin, die auch mit Goran Bregovic und Sting Volkszählungen seit 1903 eingeblendet. Sie dokumentieren, wie gearbeitet hat. Schön ist, dass neben all der Prominenz auch Mi- der Anteil nichttürkischer Population rasant abnahm, und ma- grantInnen vor Ort zum Zug kommen: Beim Chorkonzert auf chen aus der szenischen Elegie über die verlorene Heimat unter der Burg Rötteln wirkt der Türkische Chor Müllheim mit. In den der Hand eine Anklage gegen eine nationalistische Bevölke- abschliessenden Konzerten im Lörracher Rosenfelspark sind rungspolitik, welche die minoritären Kulturen unterdrückte weitere Künstler vom Bosporus zu hören, darunter Mercan und verdrängte. Dede, dessen Oriental Trance in der Türkei heftig umstritten ist, Von traditionell bis aktuell mit dem neuen Projekt ‹Breathe›, das hier seine Uraufführung Das älteste Werk im ‹Stimmen›-Programm ist das ‹Mevlud›, erlebt. Eine türkische Filmreihe im Lörracher Cineplex Metro- eine Vita des Propheten Mohammed, verfasst vom 1422 gestor- polis und türkische Gastronomie bei den Rosenfels-Konzerten benen Dichter Suleyman Celebi. Es wird als Gebet bis heute ge- runden das Angebot ab – Döner gibt es dort allerdings nicht! lesen und rezitiert, sowohl in der Moschee als auch im Familien- | Alfred Ziltener kreis. Es bildet einen wesentlichen Bestandteil der ‹Sufi Music Night›, die der vielseitige türkische Perkussionist Burhan Öçal ‹Stimmen›-Festival: Mi 28.6. bis So 6.8., diverse Orte in der Regio, Pro- gramm: www.stimmen.com ‹SommerWerkstattGesang›: So 16.6. bis Fr 11.8., Burghof, Lörrach. Elf Workshops für alle Stufen und mit namhaften Unterrichtenden. Ausserdem: 24. Zeltmusikfestival ‹Zeltkick›: Mi 28.6. bis So 16.7., Frei- burg (D), www.zmf.de 6 | PROGRAMM ZEITUNG | JUNI 2006
MUSIK Leg Tomek Kolczynski Foto: Rebecca Mori NOTIZEN Lob des Singens db. Zwei engagierte Frauenchöre kommen mit einem gemeinsamen Programm auch nach Ba- sel: Die ‹Singfrauen Winterthur› unter der Lei- tung von Franziska Welti und ‹die vogelfreien› SINNLICHE ELEKTRONIK CD-Trilogie von Kold unter Magda Vogels Leitung, die zusammen fast hundert Mitwirkende haben. Unter dem Dass elektronische Musik weder unterkühlt noch mechanisch ist, beweist Kold alias Label ‹vogelfreiesingfrauen› unternehmen sie Tomek Kolczynski auf drei neuen fantastischen Einspielungen. eine ‹Tour du Monde›, d.h. sie bringen Lieder «Ich habe immer schon lieber mein Ding gemacht, als etwas zu reproduzieren», sagt aus verschiedenen Epochen, Kulturen und mu- Kold. Weil er nie ein Gruppenmensch gewesen sei, habe er sich bald von der Idee, in sikalischen Sparten zu Gehör. Beide Chöre verfügen über ein vielfältiges Repertoire, in- einer Band zu spielen, verabschiedet. «Ich war nie Hip-Hop oder Rock, schon als terpretieren Bekanntes neu und setzen sich Jugendlicher wechselte ich die ganze Zeit. Vielleicht hatte ich eine kurze Phase, in der speziell für Kompositionen von Frauen ein. ich viel Doors oder Jimi Hendrix hörte, dann kam Prince ... mich langweilt es, mich Ebenfalls dem Gesang verpflichtet sind die nur mit einem Stil zu beschäftigen.» Darum habe er – wie etwa das Duo Stimmhorn, SängerInnen des Internationalen Opernstu- mit dem er zwei Jahre arbeitete und bekannt wurde ( CD ‹Igloo›, 2004) – stets seine ei- dios Zürich. In Begleitung der ‹basel sinfo- gene musikalische Welt kultiviert. nietta› präsentieren junge StudienabgängerIn- Mitte Juni erscheinen drei neue CD s des 33-jährigen Wahlbaslers mit polnischen Wur- nen aus 14 Nationen in Basel ihr reichhaltiges zeln, der am Bodensee aufgewachsen ist. Sie bestätigen, dass es vorteilhaft ist, die Ver- Schlusskonzert. marktung der Musik nicht bereits beim Einspielen im Kopf zu haben. Die Kold-Trilo- Konzert ‹vogelfreiesingfrauen›: Sa 17.6., fi 20.00, Offene Kirche Elisabethen S. 44 gie, das sind die in Samt verpackte Balladen- CD ‹Inside›, das in Leder gewickelte Konzert Opernstudio: Di 27.6., Kaserne Basel, Pop-Album ‹Zap› und das instrumentale Elektronik-Teil ‹Vast›, das in Aluminium fi Reithalle S. 42 eingeschlagen ist. Kold entwickelt darauf eine reichhaltige Musikwelt: Prince’ ‹No- thing Compares 2 U› steht neben der Neuvertonung von Wilhelm Müllers ‹Am Brun- Lieder — mal anders nen vor dem Tore›, das einst Franz Schubert in Klänge übersetzte, an den Punk ange- db. Sie ist kein Geheimtipp mehr, aber ent- lehnte Strukturen treffen auf epische Film-Instrumentalstücke, Raues auf wickelt sich immer weiter: die Basler A-cap- Seidenweiches. Kold kann alles. Er serviert 32 Stücke, über zwei Stunden Musik. Ob- pella-Band The Glue. Die fünf jungen Sänger wohl die Trilogie vor Einfällen sprüht, wirkt sie zusammenhängend und verpufft nicht sind in den letzten acht Jahren rund 500 Mal in tausend bunte Feuerwerkchen. aufgetreten, haben drei CDs und eine DVD pu- bliziert und etliche Auszeichnungen erhalten. Eigenwillige Forschernatur Sie lassen sich stilistisch nicht einordnen, sin- Seit den frühen Neunzigern arbeitet Kold mit Elektronik, schon lange bevor er an der gen am liebsten Eigenkompositionen von Musikhochschule Basel Audiodesign studierte. Und er designt(e) Hörbares: Fürs Salsa über Reggae bis Country und Drum’n’- Theater Basel schuf er (mit Stimmhorn) die Musik zu ‹Faust 2› und gerade eben zum Bass mit gehaltvoll-skurrilen Texten, glaskla- Fussballstück ‹Wir im Finale› sowie zu ‹Stadt der Zukunft›. Er komponierte ferner ren Stimmen und charmant-originellen Auf- Filmmusiken, jüngst für Edgar Hagens «Roadmovie über Psychosen» (Kold), das kurz tritten. Demnächst sind sie erneut live zu vor der Vollendung steht. Für den Mozart-Hörpunkt von Radio DRS 2 spielte er elektro- erleben, Reservation wird empfohlen. Liedern ist auch die erste CD von Bettina Klöti nische Mozartminiaturen ein. Er unterrichtet Sampler und Computer an der Allgemei- und Vera Kappeler gewidmet, dem Duo ‹Ber- nen Musikschule Basel, war vier Jahre Sound-Layouter beim DRS -Radio Virus ... Müs- gerausch›. In Archiven haben sie nach ver- sig war er nicht. schollenen Schweizer Volksmelodien gesucht An seinem Musiker-Vater Wojtek rieb sich Tomek als Teenager: «Er ist ein grosser und sind dabei auf beeindruckende, schräge Jazzfan. Ich bin mit Motown aufgewachsen, Quincy Jones, Herbie Hancock. Mit 13, 14 Balladen, Liebes- und Tanzlieder gestossen. begann ich, mich zu emanzipieren, hörte Rock, und mein Vater ärgerte mich: ‹Das ist Diese haben sie zeitgemäss musikalisch über- doch keine Musik›.» Er habe darauf reagiert, indem er einfach sein Ding machte und setzt und präsentieren sie zusammen mit ver- sich vom Akademischen löste. «Ich habe nie gern nach Noten gespielt und lieber am tonten Gedichten von Adolf Wölfli auf ihrer Klavier für mich ausprobiert», sagt Kold. Denn Vorgefertigtes, Definiertes zu spielen, CD ‹Erdstern›. wäre ihm zu vorhersehbar, zu platt. «Das Forschen, das Suchen interessiert mich.» Konzert ‹The Glue›: Fr 9.6., 20.00, Schauspiel- haus Basel, www.theglue.ch Seine drei neuen CD s verdeutlichen dies meisterhaft. | Raphael Zehnder CD-Taufe ‹Erdstern›: Mi 7.6., 20.30 Die CDs ‹Inside›, ‹Zap› und ‹Vast› von Kold sind ab Mo 12.6. in einer limitierten Auflage von je 111 Exemplaren bei ‹kold electronics› zu haben, www.kold.ch JUNI 2006 | PROGRAMM ZEITUNG | 7
MUSIK | FILM Filmsstills aus ‹Pine Flat› (links) und ‹Volver› Sol Gabetta, Foto: Arens SONNE IM WAPPEN Solsberg-Festival Ganz zufällig habe sie die ehemalige Kloster- kirche im aargauischen Olsberg für sich ent- deckt, erzählt die junge Cellistin Sol Gabetta, und sofort gewusst: «Das ist es!» Der präch- tige, reich dekorierte Barockbau im idyllischen Flecken, nur wenige Autominuten von Rhein- DELIKATE FILM-KUNST felden entfernt, war der richtige Ort, um einen ‹Art Film› im Stadtkino Basel alten Wunsch zu verwirklichen: bei einem Festival mit guten Freunden spannende musi- Robert Wilson ist Ehrengast bei der Schweizer Premiere einer filmischen Hommage kalische Programme zu realisieren, so wie an sein Leben und Werk. Gidon Kremer in Lockenhaus oder ihre Freun- Die Kunstmesse ‹Art› lädt zum 37. Mal zur Auseinandersetzung mit Gegenwartskunst din, die Geigerin Patricia Kopatchinskaja, im ein. Und sie vermittelt im Rahmenprogramm ergänzende Einblicke in verwandte Dis- bernischen Rüttihubelbad. ziplinen. So werden etwa im Stadtkino Basel Beiträge gezeigt, die zeitgenössische Nun findet das Festival ‹SOLsberg› erstmals Kunst an der Film-Kunst spiegeln. Und umgekehrt. statt, kurz nach der Sommersonnenwende. Höhepunkt der Veranstaltung ist der Besuch einer Ikone des aktuellen Kulturschaf- Die Sonne (lat. sol) ziert denn auch das Em- fens, Robert Wilson. Er wird zur Schweizer Premiere von Katharina Otto-Bernsteins blem des Anlasses, und wer Sol Gabetta kennt, Langzeitbeobachtung ‹Absolute Wilson› anreisen. Der Film zeigt die Regietechnik weiss, dass der Bezug zur Sonne nicht nur mit ihrem Namen, sondern vor allem mit ihrem des Meisters am Beispiel seiner legendären Inszenierungen ‹Einstein on the Beach› Wesen zu tun hat. Als künstlerische PartnerIn- (1976) und ‹The CIVIL warS› (1983). Zudem sind Selbstzeugnisse über Stationen nen hat sie Patricia Kopatchinskaja eingeladen einer bewegten Jugend im texanischen Waco zu vernehmen und Würdigungen von und den Pianisten Gérard Wyss, der am Basler Freunden wie dem Pop-Musiker David Byrne, der Autorin Susan Sontag und der Konservatorium ihr Kammermusiklehrer war Operndiva Jessye Norman. und zu ihrem «musikalischen Vater» (so Ga- Die ‹Art Film›-Woche beginnt am Dienstag mit einem exquisiten internationalen betta) wurde. Kurzfilm-Mix. Am Mittwoch steht eine von zwei Schweizer Premieren an, ‹Pine Flat› Am ersten Abend spielt sie mit ihm zusammen der US-Künstlerin Sharon Lockhart. Während Jahren hat sie Kinder in einem Dorf in Musik von Bach, Beethoven, Mendelssohn und den Ausläufern der kalifornischen Sierra Nevada mit der Kamera beobachtet. Das Re- Castelnuovo-Tedesco. Das zweite Konzert wid- sultat ist ein formal bestechender, anthropologisch spannender Blick in ein spezielles met das Trio ganz Maurice Ravel. Sie interpre- Lebensumfeld. tiere oft russische Musik, vor allem Schostako- witsch, und Musik der Romantik, erzählt Am Donnerstag sind wieder internationale Kurzfilme zu sehen, und der Freitag Gabetta, nun wolle sie sich einmal mit einem gehört dem kalifornischen ‹visuellen Dichter› John Baldessari und Arbeiten aus den französischen Komponisten befassen. Der Siebzigerjahren, etwa ‹Ed Henderson Suggests Sound Tracks for Photographs› oder dritte Abend bringt Klaviertrios von Haydn, ‹Four Minutes of Trying to Tune Two Glasses› für das Sextett des Musikers Phil Glass. Beethoven und Brahms, dazu die Urauf- Den Samstag krönt Robert Wilson, und am Sonntag werden zum Abschluss brasilia- führung von Kopatchinskajas ‹Duo per Sol›. nische Film-Raritäten von Julio Bressane vorgeführt. Insgesamt ein Programm, das Ein Kompositionsauftrag soll übrigens jedes Denkanstösse gibt und Filmdelikatessen präsentiert, die im überfrachteten Kinoange- Jahr vergeben werden. Olsberg ist ab Magden bot nicht das Publikum finden würden, das sie verdienen. | Michael Lang mit einem kurzen Spaziergang zu erreichen, zudem wird ein Shuttle-Bus vom und zum Art Film: Di 13. bis So 18.6., Stadtkino. Zur Kunstmesse ‹Art› siehe auch fi S. 16 Bahnhof Rheinfelden verkehren. | Alfred Ziltener 1. SOLsberg Festival: Fr 23. bis So 25.6., Klos- terkirche Olsberg. Fr/Sa 20.00, So 18.30. www.kulturticket.ch, www.solsbergiade.ch 8 | PROGRAMM ZEITUNG | JUNI 2006
FILM LA MANCHAS TOLLE WEIBER und Sühne unter Umständen völlig anders interpretiert werden Pedro Almodóvars neuer Spielfilm können, als es die juristische Schulweisheit vorgibt. Wenigstens ‹Volver› ist ein gewitzt inszeniertes, famos gespieltes und ex- im Kino und besonders im intelligenten Schaubuden-Kino des trem weibliches Beziehungspuzzle aus Spanien. Pedro Almodóvar. Der Beginn des neuen Films von Pedro Almodóvar ist virtuos Skurril-grotesk geht die Handlung weiter. Als eine Tante Rai- choreografiert, verblüffend und Programm: Auf einem Friedhof mundas stirbt, taucht plötzlich bei deren Schwester ein Ge- in der Region La Mancha putzen und striegeln Dutzende von spenst auf, das keines ist. Sondern Irene, die schrullige Famili- Frauen unterschiedlichen Alters Steinplatten und Skulpturen enmutter, die angeblich vor Jahren mit dem Ehemann bei einer mit fast schon frivoler Hingabe. So, als sei unter allen Umstän- Feuersbrunst ums Leben gekommen ist. Aber Irene ist kein den zu vermeiden, dass die glatten Fassaden auch nur durch ein Phantom, sondern quicklebendig, und sie fordert ihren Platz im winziges Fleckchen getrübt werden. realen Leben zurück. Das geht zwar nicht ohne Versteckspiele Doch Vorsicht ist geboten, denn wie in jedem Werk des spani- ab, funktioniert aber dank der Improvisationsfähigkeit der schen Filmzauberers Pedro Almodóvar sind schillernde Bilder Töchter und der Enkelin bestens. Ja, der schalkhafte Almodóvar und schrille Gesten ein untrügliches Zeichen dafür, dass man hat halt auch für das Undenkbare immer eine plausible filmi- genauer hinschauen und zuhören sollte. Man ahnt, dass die sche Erklärung zur Hand. Und so fiebert man gerne mit den tol- lebensprallen Weiber von La Mancha gute Gründe haben, den len Weibern aus La Mancha mit, wenn sie ihr Beziehungspuzzle Schein aufzupolieren. Denn in den Gruften liegen nicht immer mit der Kraft der Toleranz und weiblichem Solidaritätsgefühl die, die man dort namentlich begraben hat, und einige, die zusammensetzen und so ein paar weitere unerhörte Geheim- tatsächlich im Dunkeln liegen, haben Geheimnisse mitgenom- nisse aufdecken. men, die ganz schnell ans Licht kommen und den Dagebliebe- ‹Volver› ist eine deftige Studie über das Menschlich-All- nen nicht geringe Probleme bereiten könnten. zumenschliche, aber nach dem Selbstzeugnis Almodóvars Wie vielleicht eines Tages der schönen, klugen, zupackenden auch politisch lesbar: ‹Volver› zerstöre die Gemeinplätze des Putzfrau Raimunda. Sie lebt mit ihrer pubertierenden Tochter schwarzen (faschistischen) Spaniens und stelle diesem ein und einem arbeitslosen Trunkenbold zusammen. Er soll der Spanien gegenüber, das ebenso real wie anders sei: spontan, Papa des Mädchens sein, was ihn aber nicht daran hindert, ihr vergnügt, kühn, solidarisch und gerecht. Dem möchte man bei- dauernd nachzustellen, kaum ist Mama aus dem Hause. Als der fügen: Und sehr weiblich, wie dieses Exempel einer blitz- geile Bock eines Tages allzu zudringlich wird, kommt es zur gescheiten Familiengeschichte zeigt. Mit brillanten Schauspie- Tragödie: Bei einem Gerangel ersticht das Mädchen den Mann lerinnen wie Penélope Cruz als Raimunda oder Carmen Maura mit einem Küchenmesser. Was nun? Die herbeigeeilte Mutter als Mutter Irene. Dass der originellste und wichtigste zeitgenös- reagiert gefasst. Sie bläut dem verstörten Kind ein, ab sofort den sische spanische Filmer gerne Frauencharaktere ins Zentrum Mund zu halten. Und dann entsorgt sie den Verblichenen kalt- rückt, schätzt man ja. Dass er aber dieses Mal sogar auf den blütig in der Gefriertruhe eines Restaurants nebenan. Das geht Flankenschutz transsexueller oder schwuler Mannsbilder ver- fast unauffällig, denn der Besitzer des Etablissements ist ver- zichtet, ist neu und erfrischend, Und auch den Macho-Ritter von reist und hat Raimunda beauftragt, nach dem Rechten zu sehen. der traurigen Gestalt in der Tiefkühltruhe hat man am Ende Charmante Verbrecherinnen schon fast vergessen. | Michael Lang Wir werden also ZeugInnen eines kuriosen Verbrechens und Der Film läuft derzeit im Kultkino Atelier sofort auch zu intimen Verbündeten einer sympathischen Frau- enclique. Sie macht uns klar, dass Begriffe wie Moral, Schuld JUNI 2006 | PROGRAMM ZEITUNG | 9
THEATER | MUSIK Eröffnet wird das Festival mit einer grossen Fete im Grüttpark in Lörrach. In Basel gibt es unter anderem Kurse für DJanes, einen Mädchenstadtrundgang und Disco auf dem Schiff, es wird Radio gemacht und politisiert. So kommen etwa Vertreterinnen regionaler Jugendparlamente zusammen, diskutieren verschie- dene Themen, analysieren, üben und erarbeiten Vorschläge und POWERGIRLS & THEATERHELDEN Laufbahnkonzepte. Mit einer ‹Girlsparade› und einer Salut- ‹Mädiale und 100 lebendige Weisen› /Salü-Party wird die ‹Mädiale› abgerundet. Lebendiges Theater Verschiedene Kulturanlässe fördern den grenzüberschreiten- den Austausch von Jugendlichen. Ende Monat wird der Grüttpark dann erneut Schauplatz jugend- Rund 3000 Mädchen von 11 bis 20 Jahren werden sich über licher Kulturaktivitäten. Zum 5. Kindertheaterfestival, das der Pfingsten im Dreiländereck zur siebten Auflage der ‹Mädiale› Soziale Arbeitskreis (SAK), das Nellie Nashorn und das Stadtju- treffen. Über 35 Gruppen aus der Nordwestschweiz, Österreich gendreferat Lörrach veranstalten, sind zehn Gruppen auf der und ganz Deutschland haben sich angemeldet. Sie wollen zei- Bühne im idyllischen Weidenpalast angemeldet. «Es ging gen, was Mädchen verschiedenster Kultur- und Subkulturkreise darum, eine Plattform für Schultheater mit ihren begrenzten interessiert und künstlerisch gestalten können. Mit Podien, Auftrittsmöglichkeiten zu schaffen», kommentiert Ingrid Wein- Workshops, Bühnenauftritten und Sport werden Austausch und mann-Zöllin das Vorhaben. Dieses Ziel scheint erreicht, denn Begegnung gefördert. in den letzten Jahren erfreut sich das Festival wachsender Be- Die ‹Mädiale› fand bisher innerhalb Deutschlands statt, nun liebtheit bei umliegenden – auch Schweizer – Laientheatern. sind erstmals auch Frankreich und die Schweiz daran beteiligt. Diese Entwicklung ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Als multikultureller Schmelztigel kann das Dreiländereck dem Bestrebungen zur Ganztagsschule in Deutschland und den da- Festival neue Impulse bieten. Gisela Schleidt und Stephanie mit einhergehenden ausserschulischen Projekten zu sehen. Wizent vom Kreisjugendreferat Lörrach hegten schon länger die Bei den Darbietungen darf man sich auf Komisches, Tragisches, Idee einer trinationalen ‹Mädiale› und suchten umgehend Kon- immer aber Dramatisches freuen. Besonders gespannt ist In- takte zu Institutionen im Elsass und der Region Basel. Involviert grid Weinmann-Zöllin auf die Produktionen Vaclav Spirits mit sind, koordiniert von der Agentur Pippilotta, u.a. der Mädchen- seiner Gruppe von der Tüllinger Höhe. «Die machen immer rat, das Gleichstellungsbüro, das Zentrum Gender Studies, der grandioses Theater.» | Tanja Holtze, Dagmar Brunenr Verein Frauenstadtrundgang, der Mädchentreff Mädona, der 7. Mädchenkulturfestival ‹Mädiale›: Sa 3. bis Mo 5.6., div. Orte, Infos: Frauenboxclub Basel und etliche Kulturhäuser. www.maediale06.de. Abb. Nicole Scherrer, www.milkandwodka.org 5. Kinder- und Jugendtheaterfestival ‹Hundert lebendige Weisen›: Di 27. bis Do 29.6., Lörrach, www.nellie-nashorn.de, www.sak-loerrach.de NOTIZEN Jugendtheatertreffen Grausames Spiel Musik an ungewohnten Orten db. Wer in der Jugend Theater spielt, wird db. Von einer despotischen Witwe und ihren db. Seit rund 30 Jahren sind jeweils im Juni so- auch später gern ins Theater gehen. Jedenfalls fünf lebenshungrigen Töchtern handelt das wie nach den Sommerferien bis Ende Septem- hoffen das die Schweizer Bühnen, die seit letzte Stück des spanischen Dichters Federico ber die ‹Altstadt-Serenaden› zu vernehmen. rund 15 Jahren so genannte Jugendclubs an- Garcia Lorca, ‹Bernarda Albas Haus›. Der Die rund einstündigen Konzerte mit vorwie- bieten. Mit Unterstützung von Profis aus Autor schrieb es 1936 kurz vor seiner Ermor- gend ‹klassischer› Musik finden in verschiede- Regie, Schauspiel und Technik erarbeiten dung, und es ist bis heute eine ergreifende nen Räumen links und rechts des Rheins statt, junge Leute zwischen 15 und 25 Jahren eigene Tragödie, die den Umgang mit Herrschaft und sind gratis und meist gut besucht. Es spielen Theaterkonzepte sowie Inszenierungen, die den Konflikt zwischen Norm und Individu- Mitglieder des Sinfonieorchesters, Ensembles sie dann auch aufführen. 1997 lancierten das alität thematisiert. Die Arlesheimer Regisseu- der Musikhochschule und freischaffende Mu- ‹junge theater basel› und das Theater Basel rin Ursula Hallepape bringt das ‹Frauenstück› sikerInnen jeden Alters. Das Angebot wird von das erste nationale Jugendtheaterclubtreffen mit neun Mitwirkenden in einer Halle des der Stiftung Basler Orchester-Gesellschaft ‹Spiilplätz›, das seither alle ein bis zwei Jahre Walzwerks zur Aufführung. Dabei kommen koordiniert und finanziert. Diese richtet auch stattfindet und jeweils 150 bis 250 junge Thea- Schauspiel, Tanz und Bewegung zum Einsatz einen ‹Förderpreis für junge MusikerInnen terfreaks zu Begegnung und Austausch zu- und es werden Bezüge zur Gegenwart her- aus›; und schon oft sind ihre PreisträgerInnen sammenbringt. Während vier Tagen präsentie- gestellt. Mit ihrem ‹theater on› hat Hallepape später international bekannt geworden, u.a. ren sie ihre aktuellen Produktionen in drei bereits sechs erfolgreiche Produktionen rea- fi Sol Gabetta ( nebenan). – Auch Konzerte in Spielstätten, nehmen an Workshops teil, ler- lisiert und möchte die neue Spielstätte peu à Kunsträumen sind beliebt. Die Reihe ‹les nen und feiern zusammen. Zum diesjährigen peu in einen Begegnungsort für darstellende muséiques› steht zum fünften und letzten Mal Motto ‹herz.eigen› sind insgesamt 13 Stücke Künste verwandeln. Ab September etwa steht unter der künstlerischen Leitung von Gidon zu sehen. Die auswärtigen Teilnehmenden Shakespeares ‹Sommernachtstraum› auf dem Kremer. Während elf Tagen sind hochkarätige können bei Basler Gastfamilien wohnen. Programm. MusikerInnen in 16 Museen zu hören; 7. Jugendtheaterclubtreffen ‹Spiilplätz›: Mi 14. ‹Theater on› spielt ‹Bernarda Albas Haus›: Schwerpunkte bilden Konzerte von Mozart, bis So 18.6., Theater Basel, Junges Theater Fr 9.6., 20.00 (Premiere) bis So 25.6., Walz- Robert Schumann und Sofia Gubaidulina. Basel, Vorstadt-Theater werk, Münchenstein. Karten: T 079 521 53 40, Altstadt-Serenaden: ab Mi 7., 14., 21. und 28.6. Infos: www.theateron.ch sowie ab 16.8. bis 27.9. Ausserdem: Theatertage Aarau, Festival des Schweizer Amateurtheaters: Fr 9. bis Sa 11.6., Festival ‹les muséiques›: Do 1. bis So 11.6., Theater Tuchlaube, Aarau, www.theatertage.ch www.lesmuseiques.ch, 30 bis 120 Franken 10 | PROGRAMM ZEITUNG | JUNI 2006
THEATER | MUSIK REISEN IM KOPF Theater in der Kaserne Basel Suchende, Reisende, Glücksritter: Monika Neuns aktuelle Theaterproduktion erzählt ‹Vom Vergnügen am Verschwinden›. Es ist schwer zu beschreiben, noch schwerer auf die Bühne zu bringen: Ein ganz be- NOTIZEN stimmtes gegenwärtiges Lebensgefühl, das geprägt ist von einer seltsamen Leere und einer vagen Sehnsucht. Dieses beschäftigt die Basler Regisseurin Monika Neun schon Mozarts Mysterium seit längerem, im Herbst 2004 spürte sie ihm in ihrer Theaterinstallation ‹Protect me db. Mozart überall, auch in Dornach. Nach der from what I want’ nach. Die erfolgreiche Produktion bespielte verschiedene Räume der vergnüglichen ‹Entführung aus dem Serail› Kaserne Basel, das Publikum bewegte sich frei zwischen den einzelnen Szenen. des Neuen Theaters am Bahnhof spielt nun die Neuns aktuelles Stück ‹Vom Vergnügen am Verschwinden› ist formal zwar eine nor- Goetheanum-Bühne ‹Die Zauberflöte›. Der male Bühnenproduktion, doch inhaltlich bildet sie eine Art Fortführung jener Arbeit: Literaturexperte Peter von Matt hat sie als eines der «grossen Rätselwerke unserer Kul- Waren die Figuren damals in ihren Konflikten gefangen und unfähig, neue Wege ein- tur» bezeichnet, und auch Goethe war davon zuschlagen, so geht es diesmal um Leute, die aufbrechen. Als eine «Liebeserklärung an so begeistert, dass er die Oper während seiner Menschen, die es wagen und alles zurücklassen, um ihr Glück zu finden» bezeichnet langjährigen Intendanz am Hoftheater in Wei- Neun ihr Stück. mar insgesamt 82-mal aufführen liess. Das Ein erster Auslöser für die Arbeit war eine Asienreise, auf der die Regisseurin Rei- Doppelbödige dieses Werks faszinierte und be- sende traf, die in fernen Ländern nach Erfüllung suchen. In ihrem Umfeld sei die flügelte ihn gar zu einer eigenen Fassung bzw. Frage, ob man sein geordnetes Leben für eine unsichere Zukunft aufgeben solle, sehr Fortsetzung, die bis auf den ersten Akt freilich aktuell, erzählt die 39-Jährige, die entsprechend ihre eigene Generation ins Zentrum Fragment blieb. Mozarts Singspiel ist bis stellt. Inspiration fand sie aber auch bei Marcel Proust, von dem sie zwar nur kurze, heute umstritten, manche halten es für über- aber stark prägende Textfragmente verwendet. Auch Texte von Rainald Goetz und schätzt. Am Goetheanum wird das märchen- Nicolas Bouvier kommen vor. Darum herum entwickelte Neun Figuren und Situatio- hafte Stück als heiter-ernstes Mysterienspiel präsentiert, das einen Einweihungsweg be- nen zu Fragen wie: In welchen Momenten hat man das Gefühl, wirklich zu leben? Was schreibt; das Gelände und die Architektur des ist die Erfüllung? Die junge Basler Autorin Renata Burckhardt, die schon bei der letz- Gebäudes werden in die Aufführung einbezo- ten Produktion mitgearbeitet hatte, schrieb die Szenen. gen. Regie führt Johannes Peyer, die ‹basel Unverhofft und unbeständig: das Glück sinfonietta› spielt unter Christof Escher. ‹Vom Vergnügen am Verschwinden› schildert Reisen im übertragenen und im konkre- ‹Die Zauberflöte›: So 4.6., 19.00 (Premiere) bis So 18.6., Goetheanum, Dornach, T 061 706 44 ten Sinn. Der täglichen Routine, der relativen Sicherheit werden Aus- und Aufbrüche 44. Infos: www.zauberfloete.goetheanum.org gegenübergestellt. Einzelne kurze Szenen stehen unverbunden nebeneinander, die Ausserdem: 24. Internationales Theaterfesti- sieben Darstellenden schlüpfen in unterschiedliche Rollen. «Ich hoffe, dass ich aus val Freiburg zum Thema ‹Glauben›: Fr 16. bis So der Kombination der einzelnen Schicksale und Träume dieses Lebensgefühl fassbar 25.6., diverse Orte, Freiburg (D) machen kann», beschreibt Neun ihre momentane eigene Suche. Am schwierigsten umzusetzen wird zweifellos das Ende der Suche sein: «Das Glück zeigt sich ja immer nur in kurzen Momenten. Man kann es nicht erzwingen. Plötzlich ist ein Glücksgefühl da – und schnell wieder verschwunden.» Entsprechend könne sie keine allgemein gültigen Antworten geben, «aber natürlich werden wir probieren, ein paar solche Momente auf die Bühne zu bringen.» Manche Träumenden müssen gar nicht reisen. Marcel Proust zum Beispiel, der in einem Interview sagte: «Meine schönsten Überfahrten, meine von Wind und Einsam- keit am heftigsten umspülten Aufstiege habe ich – mit geschlossenen Augen, aus- gestreckt auf dem Ruhebett – innerhalb meines Zimmers unternommen.» Für alle an- deren gibt es diesen Theaterabend. | Felizitas Ammann Monika Neun, ‹Vom Vergnügen am Verschwinden›: Fr 2. bis Sa 10.6., 20.00, Kaserne Basel fi S. 42 JUNI 2006 | PROGRAMM ZEITUNG | 11
LI TERATUR PLA N ET FU S S B A LL Buchbesprechung Am 9. J uni beginnt die Fussballweltmeisterschaft in Deutschland. Da wollen wir natürlich nicht abseits stehen; mal sicher nicht ohne dieses Buch im Reclam-Format, das einen Fussballspieler von Weltformat im Titel führt - . Für Fans: Das ist k e i n Buch über euren Zizou! Sondern eins, das auf knapp 8o Seiten nichts we- Wolfgang Bortlik niger als die Faszination Fussball erklären möchte. Und mehr als das. Philippe Dubath lässt seinen Ich-Erzähler einen Brief schreiben, einen int imen Brief Gedichte von an seine Frau, sagen wir eine Beichte. Darin erzählt er, wie er zum Fussball kam und Fussball warum er ihm, inzwischen knapp fünfzigjährig, treu geblieben ist; erzählt von seiner und so Kindheit und fugend in Frankreich und der Schweiz, von einem schüchternen Jungen, vom Fremd- und Anderssein. Wie ihm der Fussball zu überleben half, erfahren wir, auch und besonders, als er sexuell missbraucht wird. Fussball als Therapie, könnte man sagen, als Lebens- und Oberlebenshilfe, als Mittel zur Identitätsfindung und In- tegration. Gut, dass Dubath es versteht, durch seine Haltung und seinen Ton, durch sein einfa- ches, warmes und wahrhaftiges Erzählen vom Kind- und Mannsein (und vom Kind-im- Mann-Sein) nie auch nur entfernt an fiebrige Fangesänge oder eine Apotheose des Fussballsports denken zu lassen. Dem stünde auch entgegen, dass der Autor seinem Gegenstand erstaunliche, geradezu philosophische Seiten abgewinnt. Etwa wenn er LITER A -PU R wiederholt darauf besteht, dass Fussball recht eigentlich Kommunik at ion sei. «Ich meine, wenn du den Ball einem anderen zuspielst, ist dieser andere für dich jemand. Team der Dichter Eine Person. I h m gut den Ball zuzuspielen heisst, ihn respektieren. I hm den Ball Als Trainer der Poeten wegzunehmen heisst existieren.» Spätestens in Passagen wie diesen erweist sich, dass Werd ich dies Team vertreten dieser Text mittels Fussball aufs Ganze zielt, aufs Leben im Allgemeinen zu sprechen Viererkette: Goethe, Gleim k ommt (und jenes unter Männern im Besonderen), auf ein einfaches, gutes und mit- Aussen schliesslich Arp und Heym menschliches Leben, in dem ein Doppelpass auf dem Fussballplatz für das «Glück voll- Alors, im Tor der Eine kommenen Einvernehmens» steht. Einzig das Motiv des Missbrauchs überzeugt mich Natürlic h Heinric h Heine weniger, diese kleine Krit ik an einem ansonsten wunderbaren Buch sei gestattet. Es Links dann Hölderlin und Brecht würde nämlich auch ohne diesen auskommen, die Bedeutung des Fussballs Eichendorff und Benn spieln rechts für den Ich-Erzähler stünde auch so ausser Frage. Hermetisch zu die Räume Zum Schluss noch - die Gedankenkette reicht von Zidane und Algerien zu Camus (und So wie die Dichterträume Algerien) und zu von The Cure, die sich bekanntlich von Camus ins- Gross und einsam stürmt allein pirieren liessen, der Fussball liebte, - ein Buch, das nichts mit Fussball zu tun hat: . Ein Roman, der eine unvergleichliche Atmosphäre schafft (man spürt Algiers Direkt aus grosser Förne brutale Hitze und wünscht sich selbst ans Meer) und der demonstriert, wie ein Mensch Da schiesst der Ludwig Börne unausweichlich und gleichsam achselzuckend seinem Schicksal entgegentreibt. Auf der Bank Celan und Eich Albert Camus hütete übrigens Anfang der Dreissigerjahre bei Racing Universitaire Schiller auch, die sind zu weich! d'Alger und beim FC Oran das Tor. Heute kann man Postkarten kaufen, auf denen er I Wolfgang Bo r t lik sagt: «Alles, was ich über Solidarität weiss, habe ich beim Fussball gelernt.» Au s:
LITERATUR FUSS BALL Fuss-jäger Augen-ball Fuss-kampf Ca-ball Fuss-kette Dorf-ball Fuss-kissen Ehren-ball Fuss-kleid Erd-ball Fuss-knecht Erden-ball Fuss-korb Fang-ball Fuss-krankheit Fange-ball Fuss-kratzen Farbe-ball Fuss-kreuz Faust-ball Fuss-lage Feder-ball Fuss-lappe Feuer-ball Fuss-leiden Filz-ball Fuss-ling Frei-ball Fuss-liniensoldat Freimaurer-ball Fuss-losigkeit Glücks-ball Fuss-lumpe Golf-ball Fuss-mann Grisetten-ball Fuss-mehl Hand-ball Fuss-mensch Hochzeit-ball Fuss-muskel GEBALLTE LADUNG Hof-ball Fuss-nagel Kommentar und Empfehlung Kammer-ball Fuss-partie Kanonen-ball Fuss-patient Ehrlich, ich kann es nimmer hören, sehen, schmecken, dieses Gesülze über Fussball Katz-ball Fuss-platte überall! Gibt es eigentlich noch irgendwo ein Kulturwürstchen, das noch nicht seinen Kinder-ball Fuss-punct Kolb-ball Senf zu der Sache abgegeben hat? Theater, Kino, Buchhandel sind derzeit ganz auf Fuss-raum Kreis-ball Fuss-reiniger Fussball eingestellt: Fussballfilme, -gedichte, -stücke, -romane, -hörspiele – echt, es Luft-ball Fuss-reis wird mir schlecht. Dabei sollen die Jungs auf dem Spielfeld doch nur eines machen: Mondschein-ball Fuss-reise Fussball spielen. Das reicht mir völlig. Ich tue es ungern, aber hier muss ich dem alten Masken-ball Fuss-ring Mann vom Bodensee, Martin Walser, recht geben, wenn er sagt: «Sinnloser als Fuss- Nasen-ball Fuss-rolle Pritsche-ball ball ist nur noch eins: Nachdenken über Fussball.» Wobei ich die erste Hälfte des Sat- Fuss-rotz Purpur-ball Fuss-runzel zes nicht in Ordnung finde, die zweite dagegen umso mehr. Denn man drehe den Riesen-ball Fuss-sack Spiess doch einfach einmal um: Die gesamte Mannschaft des FCB, inklusive Trainer Sand-ball Fuss-salbe und Sponsoren, würden ihre Gedanken zur Holbein-Ausstellung äussern. Das will Sau-ball Fuss-scheit doch keiner hören, oder? Also, schweigen wir lieber und freuen uns auf den Anpfiff. Schlag-ball Fuss-schelle Schleuder-ball Denn Fussball ist vor allem – Fussball. Fuss-schmack Schnee-ball Fuss-schmerz Und jetzt kommt die Ausnahme von der Regel, denn natürlich gibt es auch Tolles im Schwamm-ball Fuss-schuh Begleitprogramm zur Fussball- WM . Das Allertollste sind die Fussball-Hörspiele von Schwarz-ball Fuss-siechung Ror Wolf, die jetzt auf 4 CD s herausgegeben wurden. Zwischen 1972 und 1979 hat See-ball Fuss-sohle Wolf zehn Fussballcollagen komponiert. Über die Jahre sammelte er Fussball-O-Töne: Sonnen-ball Fuss-soldat Spiel-ball Im Bus, im Stadion und hauptsächlich im Radio. Die Fussball-Konferenzschaltungen Fuss-spiel Sphären-ball Fuss-spitze am Samstagmittag, erinnern Sie sich daran? Wenn ja, dann werden Sie die Hörspiele Spring-ball Fuss-stank lieben. Wolf schneidet sein Material grandios, die Stücke sind Fussball-Dramen mit Stadt-ball Fuss-steg unglaublichem Witz. Und sie zeigen auch, wie absurd das Reden über Fussball ist. Stein-ball Fuss-streit Schon die mediale Übermittlung ist komisch. Drum machen wirs kurz, denn «Fussball Stoss-ball Fuss-strick Strahlen-ball ist unser Leben, König Fussball regiert die Welt». | Matthias Buschle Fuss-stuhl Studenten-ball Fuss-sucht Ror Wolf, ‹Gesammelte Fussball-Hörspiele›. Intermedium rec., über 240 Min., 4 CDs mit umfang- Sturm-ball Fuss-tritt reichen Booklets, ca. CHF 53 Unglücks-ball Fuss-truhe Fussball-WM: Fr 9.6. bis So 9.7. Grossleinwände u.a. in Kulturräumen wie Sudhaus, Gare du Nord, Volks-ball Fuss-truppe Unternehmen Mitte etc. Voll-ball Fuss-turnier Ausstellung ‹Fussballfieber›, ein Rückblick auf die Schweizer Fussballgeschichte: Do 8.6., 18.00 Waid-ball Fuss-ung (Vernissage) bis Do 14.12., Sportmuseum Schweiz, Missionsstr. 28 Wasser-ball Fuss-volk Welt-ball Fuss-wache «Fussball lehrt eine Masse in der Möglichkeitsform denken. Sie macht die Erfahrung, dass sich Wind-ball Fuss-wanne in Sekunden etwas verändern lässt. Fussball ist – zusammen mit der Erkenntnis, dass der Weg Winter-ball Fuss-waschung ins Spiel fast immer über den Kampf führt – Anschauungsunterricht für Revolutionäre. (..) Last, Wolken-ball Fuss-wasser not least wird einem für sein Geld auch ein gesunder Gegenwert an Gefühlsausbrüchen geboten. Wunder-ball Fuss-weg Wurf-ball Keine Theateraufführung verhilft auch nur einem Zuschauer zu ebensolcher Freude wie den Fuss-werk Würstel-ball 10 000 Anhängern ein Siegertor in der 89. Minute, keine Chopin- oder Hölderlin-Matinée ver- Fuss-wischer Witwen-ball setzt in so ehrliche Trauer wie der Verlusttreffer.» | Bertolt Brecht Fuss-zierde Zeit-ball Links und rechts: Stichwörter aus dem ‹Deutschen Wörterbuch› von Jacob und Wilhelm Grimm Abb. ‹Fussballbox for Kids›, Fingerfussballset, ars edition. Foto: Livie Davatz JUNI 2006 | PROGRAMM ZEITUNG | 13
Sie können auch lesen