PROGRAMMZEITUNG KULTUR IMRAUMBASEL - 25 JAHRE KULTURVERMITTLUNG
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25 Jahre Kulturvermittlung ProgrammZeitung CHF 8.00 | EUR 6.50 Dezember 2012 | Nr. 279 Kultur im Raum Basel Abendmusik, Kultur-Käpitän, Baukunst
30.11 .2 01 2 – 01 .04.2 013 Unterstützt von: In Zusammenarbeit mit: Hodlerstrasse 8 – 12 CH-3000 Bern 7 wo die Ausstellung vom www.kUnstmUseUmBern.CH 25.04. bis 29.07. 2013 dI 10H – 21H mI-so 10H – 17H gezeigt wird 7 . 8 . 9 Dez. 2012 Parc Expo Mulhouse 107_Ins_Kulturpool_Itten_klee_92x139mm.indd 1 07.11.2012 14:49:35 Freitag 11-21 Uhr Samstag 11-22 Uhr Sonntag 11-18 Uhr Weihnachtsausstellung 16.11.2012 –13.1.2013 W E I H NAC H TS G E S C H E N K E Schöne Bescherung Aussteller Kontakt Tel. 0033 3 89 59 02 40 contact@art3f.com www.art3f.com avec le soutien de Museum der Kulturen Basel Münsterplatz 20, 4051 Basel T +41 61 266 56 00, www.mkb.ch Offen Di–So 10.00–17.00 Jeden ersten Mittwoch im Monat 10.00 – 20.00
Frauen in Medien dagm a r bru n n e r Editorial. Jedes Jahr zwischen dem 25. November (Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen) und dem 10. Dezember (Internationaler Tag der Menschenrechte) läuft landesweit die Kampagne ‹16 Tage gegen Gewalt an Frauen›, die 2008 von der feministischen Friedensorgani- sation CFD (Christlicher Friedensdienst) ins Leben gerufen wurde. Sie koordiniert auch die vielfältigen Aktivitäten von über 50 beteiligten Institutionen, darunter Beratungs- stellen, Frauenhäuser, Gleichstellungsbüros, Frauen- und Menschenrechtsorganisationen sowie Selbstverteidigungs- vereine. Mit Strassenaktionen, Medien- und Informations- arbeit wird auf alle Formen von geschlechterspezifischer Gewalt aufmerksam gemacht. In diesem Jahr ist die Kampagne Frauenbildern in den Medien gewidmet. Denn obwohl sich in den letzten 20 Jah- ren diesbezüglich vieles verändert hat, liegt auch immer noch vieles im Argen. Einerseits sind Frauen generell in den Medien krass untervertreten, anderseits werden sie oft auf ihr Äusseres reduziert; ihr Alter, Zivilstand, Elternschaft Aus der Diskriminierung von Frauen bzw. Kunstschaffen- Ill.: Claudia Lozano für werden weitaus häufiger genannt als bei Männern. Frauen den ist auch die Schweizerische Gesellschaft bildender ‹16 Tage sind ggf. bei kulturellen oder gesellschaftlichen Themen Künstlerinnen (SGBK) entstanden, deren Basler Sektion gegen Gewalt› gefragt, aber Politik, Wirtschaft und Wissenschaft sind in soeben prämiert wurde (S. 20). Und wussten Sie, dass es Männerhand, ‹Experten› sind sowohl in Presse wie Radio nicht nur die Brüder, sondern auch die Schwestern Grimm und TV meist Männer. Als Stars oder VIPs sind Frauen zwar gibt (S. 16)? Oder was die neue Direktorin der HGK vorhat willkommen, doch entsprechen viele noch immer traditio- (S. 21)? Eine Autorin, die von männlichem Scheitern er- nellen Bildern, und Titelblätter von nicht berühmten, star- zählt, eine junge Regisseurin, die überzeugend Bubenstrei- ken Frauen fehlen. Klischees aber verleiten zu An- und che inszeniert und Frauen, die spannende Ausstellungen Übergriffen und reproduzieren Vorurteile. kuratieren, finden Sie auf S. 19, 15 und 20. Und natürlich Freilich ist die Diskriminierung von Frauen heute subtiler ist in diesem Heft auch von Männern die Rede. Wenig geworden, wird auch von Frauen oft nicht gleich bemerkt. schmeichelhaft betr. BaZ-Buch (S. 25), anerkennend von Umso mehr tut Aufklärung not. Übrigens schneiden ge- Helmut Bürgel, der nach fast 20 Jahren Kulturarbeit in mäss Gender- und Medienforschung die Deutschschweizer Lörrach ehrenvoll verabschiedet wurde (S. 13). Wir wün- Medien besonders schlecht ab, sie erwähnen weniger Frau- schen unserem PriCülTür-Preisträger 2009 eine stimmige en und beschäftigen weniger Journalistinnen als der Rest Zukunft! des Landes. Und insgesamt liegt die Schweiz unter dem glo- Kampagne ‹16 Tage gegen Gewalt›: www.16tage.ch, www.cfd-ch.org balen Durchschnitt. Ändern wir das! ‹Wer macht die Nachrichten in der Schweiz?›: www.equality.ch Hauskultur • für die freundschaftlichen Worte des Kaserne-Betriebsleiters Tom Keller und Was dieses Fest besonders auszeichnete: Fast die gesamte Gründungscrew der ProgrammZeitung db. Wer sich monatelang intensiv mit einer Sa- die versierte Ansprache des neuen Chef- war anwesend, so etwa Dominik Schaub, Martin che beschäftigt, ist froh, wenn sie gut heraus- redaktors der BZ Basel, Matthias Zehnder Girod und die erste Redaktorin, Claudia Acklin. kommt. Ganz so erging es uns mit dem Fest zum • für die wundervolle Akkordeonmusik Eine schöne Gelegenheit, ihre nachhaltige Glanz- 25-jährigen Bestehen unserer ProgrammZei- von Marcel Dreux idee feierlich zu würdigen. tung. Die Liste der angemeldeten Gäste wurde • für die fulminante, geistreiche Wort-Video- Auch die Medienbeachtung des Anlasses war immer länger, der Platz immer knapper, so dass performance von Beat von Wartburg (Text) durchaus erfreulich: BZ Basel, Art-TV, Surprise, wir aus feuerpolizeilichen Gründen leider auch und Hansmartin Siegrist (Film) Tageswoche, Badische Zeitung, Telebasel, Radio Publikum abweisen mussten. Die Mitfeiernden • für die Vinyl-Oldies-Disco von Michele DRS 2 und Persönlich.com brachten Beiträge. kamen, wie uns in vielen Rückmeldungen bestä- Cordasco und Silvia Fankhauser Besten Dank an die KollegInnen! tigt wurde, in den Genuss eines rundum gelun- • für die Hilfe der Mitwirkenden von Technik, Eine kleine Auswahl von Festfotos finden Sie auf genen Abends, den sie ebenso wie wir in bester Bar und Buffet S. 7 sowie auf unserer Website. Erinnerung behalten werden. Noch einmal sei • für die Spenden in Naturalien (Brauerei Wir wünschen Ihnen nun lustvolle Begegnungen hier gedankt: Fischerstube, Delinat Bio-Weine und mit dem Geschenksackträger und genussreiche • für die prägnanten und persönlichen Reden Holzofenbäckerei Bio Andreas) Jahresendschokoladenhohlkörper mit Flügeln der Kulturchefs beider Basel, Philippe • und für indirekte oder direkte finanzielle (angeblich DDR-Slang für Santiglaus und Bischof (BS) und Niggi Ullrich (BL) Unterstützungen von Privatpersonen. Schoggi-Engel) – kurz: Schöne Festtage! Dezember 2012 | ProgrammZeitung | 3
Das griechische Chanson - eine musikalische Reise durch die Geschichte Griechenlands Lernen Sie Griechenland von seiner musikalischen Seite kennen! Auch dieses Jahr wieder wird Werner van Gent Sie in der Adventzeit auf eine unvergessliche musikalische Reise durch die Geschichte Griechen- lands mitnehmen. Gesang: Ilektra Platiopoulou | Piano: Zoi Tsokanou Erläuterungen und Erzählungen von Werner van Gent Basel: Ackermannshof, Dienstag 18. Dezember, 20:00 Uhr Preis: CHF 35.–. Beschränkte Platzzahl; unbedingt reservieren! Das griechische Chanson - eine musikalische Reise durch die Geschichte Griechenlands Vorverkauf / Reservation:Basel (Ackermannshof): 044 271 20 64 mit: Werner van Gent - Ilektra Platiopoulou - Zoi Tsakanou musik@treffpunktorient.ch oder: theater_stok@bluewin.ch Schlafen Sie schön... minimal WG_13_ProZ_1_2_rz_Layout 1 19.11.12 Stefan 19:01 Seite Wenger, 1 Rosshofgasse 9, 4051 Basel, Tel. 061 262 01 40, www.minimal - design.ch Uns bleibt immer noch Paris! Réservez les dates! s.v.p. Samstag | 5. Januar 2013 | 19.30 Uhr Mittwoch | 16. Januar 2013 | 20 Uhr Reservationen & Vorverkauf: > Gare Du Nord > Basel > Fondation Beyeler > Riehen Burghof: www.burghof.com «Salon Parisien» – «Karte und Gebiet» ein literarisch-musikalischer von Michael Houllebecq Fondation Beyeler: Streifzug durch Paris www.fondationbeyeler.com Sonntag | 20. Januar 2013 | 11.15 Uhr Montag | 7. Januar 2013 | 20 Uhr > Burghof > Lörrach Gare du Nord: www.garedunord.ch oder > Theater > Basel «Arc de Triomphe» Bider & Tanner T +41 61 206 99 96 «Paris – ein Fest fürs Leben» von Erich Maria Remarque Theater Basel: www.theater-basel.ch oder von Ernest Hemingway Mittwoch | 23. Januar 2013 | 20 Uhr T +41 61 295 11 33 Donnerstag | 10. Januar 2013 | 18.30 Uhr > Neues Theater am Bahnhof > Arlesheim Neues Theater am Bahnhof: > Fondation Beyeler > Riehen «Der Ball» www.ticketino.ch oder T +41 61 702 00 83 «Karte und Gebiet» von Irene Némirowsky von Michael Houllebecq kulturelles@bl.ch oder T +41 61 552 50 67 Sonntag | 27. Januar 2013 | 20 Uhr Sonntag | 13. Januar 2013 | 16.30 Uhr > Burghof > Lörrach > Theater Palazzo > Liestal «Stille Tage in Clichy» WINTERGÄSTE ist eine Co-Produktion von «Die Kinder des Olymp» von Henry Miller von František Kožík
Inhalt 7–25 Redaktion 26–47 Kulturszene 48–73 Agenda 74 Impressum 75 Kurse 76 Ausstellungen 77 Museen 78 Bars & Cafés 78 Essen & Trinken 79 Kultursplitter Kammerorchester Basel, ‹Nachtklang›, Die andere Wiener Nacht: Mo 31.12., 22 h, Cover: ‹Himmel und Hölle› Ackermannshof u S. 31 Foto: Gerd Imbsweiler u S. 23
ACT ENTERTAINMENT Die Saison Tickets & Infos: QUALITY EVENTS DIE BEGEISTERN news.ch 2012/2013 DIE FASZINATION DER GREGORIANISCHEN GESÄNGE #3 Weisse Bewegung | Mo, 11.03.13, Gare du Nord P. Ronner, S. Keller, M. Lorenz, M. Schucan Werke von Alfred Zimmerlin und Edu Haubensak THE BIGGEST GESÄNGE AUS DEM LEBEN ORTHODOXER MÖNCHE SHOW EVER! #4 update 2013 | Di, 9.04.13, H95 (Horburgstrasse 95, Basel) 26.12.2012 Elisabethenkirche BASEL 16.01.2013 St. Jakob-Arena BASEL S4 | J. Butcher, Ch. Kobi, H. Koch und U. Leimgruber Neuestes aus eigener Werkstatt #5 in memoriam György Ligeti | Mo, 6.05.13, Gare du Nord Mondrian Ensemble | Werke von Detlev Müller-Siemens #6 Numen (Extrakonzert) | Mo, 20.05.13, Leonhardskirche Das neue ! Werke von B. Gysin, L. Langlotz, D. Ott, L. Thirvaudey und B. Kinzler Programm 18.01.2013 Stadtcasino BASEL 04.03.2013 Stadtcasino BASEL #7 Linienfelder | Mo, 27.05.13, Gare du Nord Asasello Quartett und Trio Catch | Werke von Márton Illés #8 Madrigali notturni | Fr, 28.06.13, Elisabethenkirche Aus organisatorischen Gründen fällt dieses Konzert aus. Auf Saison 2013/2014 verschoben. Programmänderungen vorbehalten. 11.05.2013 Musical Theater BASEL Bitte beachten Sie: es gelten unterschiedliche Eintrittspreise für unsere Veranstaltungen. Mehr dazu unter www.ignm-basel.ch 06.03.2012 Volkshaus BASEL Vernissage der Ausstellung Teilzeitstellen 20–40% Donnerstag, 6. Dezember, 18 Uhr Kulturhaus Palazzo Psychiatrie Baselland, Bienentalstrasse 7, 4410 Liestal Liestal Wir suchen berufserfahrene, gut ausgebildete Christian Vogt – Flaxen Diary und kulturinteressierte Mitarbeiter/innen in der Verwaltung (Direktion) des Kulturhauses Palazzo und zur allg. Mithilfe in Kunsthalle, Kino und Theater Annette Fischer – By the Way Erforderliche Berufsausbildung je nach Tätigkeit Ausstellung im Palazzo: kaufmännisch / handwerklich 7. Dezember 2012 bis 7. April 2013, technisch täglich von 8 bis 18 Uhr In der Nähe von Liestal wohnende, zuverlässige AIlrounder senden ihre schriftliche Bewerbung mit Foto und Unterlagen an: Kulturhaus Palazzo AG Herrn N. Messerli Postfach 572, 4410 Liestal
Fest 25 Jahre ProgrammZeitung v.l.n.r. Ackermannshof, Niggi Ullrich, 275 ProgrammZeitungen 1987–2012, Marcel Dreux, Eva Herzog und Helmut Bürgel, Dieter Kohler, Tom Keller und Brigitte Dubach, Philippe Bischof, Dominik Schaub, Nelly Leuthardt und Christoph Meury, Videostill, Desirée Meiser, Matthias Zehnder Fotos: Fee Peeper Dezember 2012 | ProgrammZeitung | 7
Wunderwerk? Kuriosum? Ärgernis? a l f r e d s c h l i e nge r Der Dokfilm ‹Sagrada – el misteri de la creacio› Vielseitiges Porträt. Stefan Haupt scheint eher zu den zeigt eine spannende ewige Baustelle. Bewunderern der Sagrada Familia zu gehören. Zumindest Es ist eines der wunderlichsten und wohl auch umstrittens- ist er fasziniert von ihrer Geschichte und der Ausdauer all ten Bauwerke der Welt: die Sagrada Familia in Barcelona. jener, die sie zu vollenden trachten. Er lässt Vorarbeiter, Eine Unvollendete, seit über 130 Jahren in Entstehung, vom Architekten, Bildhauer und Glasmaler zu Wort kommen, katalanischen Architekten Antoni Gaudi erdacht und von und immer mal wieder gleitet die Tänzerin Anna Huber ihm bis zu seinem Tod im Jahre 1926 unermüdlich weiter- mit sparsamsten Bewegungen durch die hohen, neugotisch gebaut. Bis 2026, also zu Gaudis 100. Todesjahr, soll das geprägten Sakralräume. Untermalt wird die weihevolle Werk, so sagen heutige Planungen voraus, vollendet sein. Stimmung durch Johann Sebastian Bachs H-moll-Messe, Drei Millionen Reisende jährlich besuchen heute die Kathe- die der katalanische Musiker und Dirigent Jordi Savall mit drale, das übertrifft in Spanien sowohl die Publikumszahl seinem Orchester im Kirchenraum wirkungsvoll intoniert. des Prado in Madrid als auch der Alhambra in Granada. Der Filmer zeigt aber auch den Architekten und Stadtpla- 22 Millionen Euro, die aus Spenden und Eintrittsgeldern ner David Mackay, der diesen gigantischen Magneten der zusammenkommen, können pro Jahr dafür verbaut wer- Tourismusindustrie in die Nähe eines sakralen Disneylan- den. Ein gigantisches Gebäude, in jeder Hinsicht. 18 Türme des rückt. Nicht verschwiegen werden die Gefährdungen, soll es in der Vollendung besitzen. Der Christusturm mit die dem Bauwerk drohen durch den Tunnelbau für einen 170 Metern wird dann der höchste Kirchturm der Welt sein. Hochgeschwindigkeitszug, der in Bälde nur 30 Meter unter Im November 2010 hat Papst Benedikt den fertiggestellten der Basilika durchbrausen wird. Innenraum eingeweiht. So entsteht ein vielseitiges filmisches Porträt dieser höchst Der Schweizer Filmer Stefan Haupt (‹How about love› 2010, ungewöhnlichen Kathedrale, das auf abwechslungsreiche ‹Utopia Blues› 2001) bietet mit ‹Sagrada – el misteri de la Weise Räume und Menschen würdigt und die der Natur ab- creacio› quasi eine filmische Biografie dieses monumen geschaute Formensprache dieser Architektur genauso the- talen Werks. Er leuchtet zurück bis zum Baubeginn Ende matisiert wie moderne städteplanerische Überlegungen. des 19. Jahrhunderts, dokumentiert die Unterbrüche der Interessant auch, dass an diesem Bau des Gotteslobs ein Arbeiten durch den Spanischen Bürgerkrieg und den Zwei- vom Buddhismus zum Katholizismus konvertierter japani- ten Weltkrieg, und er zeigt auch auf, dass sich in den frühen scher Bildhauer ebenso mitgewirkt hat wie ein erklärter- Fünfzigerjahren über 100 Architekten und Intellektuelle, massen agnostischer katalanischer Künstler – dessen nack- unter ihnen Le Corbusier und Gropius, in einem kritischen ter Christus am Kreuz allerdings für erhebliche Proteste Aufruf für ein Baumoratorium zwecks vertiefter Reflexion sorgte. – Wunderwerk? Kuriosum? Architektonisches Ärger eingesetzt haben. Auch heute gibt es nicht wenige Architek- nis? Der Film bietet Anschauungsmaterial für verschiedene turfans, die sich mit Grausen von dem Bauwerk abwenden, Sichtweisen. Man muss jedenfalls kein Fan von Gaudis das sie als unerträglichen Kitsch empfinden. Kunst sein, um ihn spannend zu finden. Und Gaudi-Fans kommen sowieso auf ihre Rechnung. Filmstill aus ‹Sagrada› läuft derzeit in einem der Kultkinos u S. 46 ‹Sagrada› 8 | ProgrammZeitung | Dezember 2012
Wofür eine gute Nase alles gut ist a l f r e d s c h l i e nge r Filmstill aus Ken Loach verknüpft vergnügt Sozialdrama outs Halt und Perspektive zu geben. Resozialisierung läuft ‹The Angels’ mit Whisky-Komödie. bei ihm auch über Geschmacksbildung, und so fährt er Share› (Robbie) ‹The Angels’ Share› beginnt mit einer Slapstick-Nummer, mit der Bande in eine Whisky-Brennerei, wo Robbie seine die sich gewaschen hat: Da balanciert ein Besoffener, dass gute Nase für das edle Gebräu entdeckt. Dabei kommt das uns gleich angst und bange wird, auf der äussersten Bahn- Quartett auf die Idee, an der Auktion eines Spitzenwhiskys steigkante; eine warnende Lautsprecherstimme eröffnet in den schottischen Highlands das begehrte Sammlerfass einen irrwitzigen Dialog mit dem Torkelnden und gibt sich anzuzapfen. Das Sozialdrama wandelt sich zur subversiv- dabei als ‹Gott› aus, und da fällt er auch schon auf die Gleise, ironischen Krimikomödie mit durchaus burleskem, aber verliert seine Brille und entkommt nur um Haaresbreite dem immer klassenbewusstem Einschlag. einfahrenden Zug. Ganz schön gefährlich komisch. Und Kämpferischer Humanismus. Der inzwischen 76-jährige, nicht weniger komisch endet der Film, mit Scherben, Lachen unerhört frisch und frech gebliebene Ken Loach gehört und nackten Hintern. zweifellos immer noch zu den bedeutendsten Autorenfil- Dazwischen bietet Ken Loach mit seinem neuen Werk eine mern Europas. Und auch in seinem jüngsten Werk ist alles Mischung aus packendem Sozialdrama und subversiver drin, was einen guten Film ausmacht und die unverkenn- Whisky-Komödie, wie nur er das kann. Der liebenswert bare Handschrift des unverwüstlichen Briten trägt. Span- tollpatschige Trunkenbold gehört zu einer Gruppe von nende Story, spritzige Dialoge, lebensechte Figuren mit all jugendlichen Straftätern aus der Unterschicht, die vom ihren Schwächen und Widersprüchlichkeiten – aber mit Gericht im Schnellverfahren zu mehreren hundert Stun einem Entwicklungspotenzial, das sie Krisen erkennen und den gemeinnütziger Arbeit verknurrt werden. Alle leben in auch überwinden lässt. einem Glasgower Problemviertel, wo die Familienfehden Es ist dieser ungebrochen kritische und kämpferische Huma das Einzige sind, was es zu vererben gibt. Hauptfigur nismus, in dem Drama und Humor eine unnachahmliche Robbie (wunderbar feinnervig: Paul Brannigan) ist gefan- Mischung eingehen, der diese Filme so menschlich und berüh gen in einer solchen Spirale der Gewalt. Doch als der junge rend macht. Und natürlich ist Ken Loach auch in ‹Angels’ Rowdy selber Vater wird, stellt seine Freundin Leonie Share› mit Genuss und Witz parteilich; seine Sympathie für (beeindruckend: Siobhan Reilly) ihn klipp und klar vor die strauchelnde Menschen und seine Wut auf die Verhältnisse, Alternative: Entweder ist Schluss mit den Schlägereien, die sie straucheln lassen, lässt sich der Altmeister nicht ab- oder ich ziehe unseren Sohn alleine auf. kaufen. Es gibt auch ein Leben ausserhalb der normierten Ungeschönte Figuren. Ken Loach leuchtet dieses Milieu Ordnungen. Der Titel ‹The Angels’ Share› (Der Schluck der aus, lebensecht, witzig, aber auch in seiner ganzen Härte. Engel) meint die etwa zwei Prozent, die der Whisky beim Er zeigt die Täter- und die Opferseite. Besonders eindrück- Alterungsprozess im Fass pro Jahr durch Verdunstung ver- lich, als Robbie sich der Familie stellen muss, deren Sohn liert. Das ist auch eine wunderbare Metapher für die Wahr- er fast totgeschlagen hat. Das geht gerade durch die un- nehmungs-, Genuss- und letztlich Bildungsfähigkeit, die gekünstelte, dokumentarische Art extrem unter die Haut. der ‹bildungsferne› Robbie in der Begegnung mit der frem- Wie in jedem Ken-Loach-Film sind die Figuren durch nichts den Whisky-Welt erlebt. In Cannes wurde Ken Loachs geschönt, sondern wie direkt aus dem Leben geschnitten. Film heuer mit dem Preis der Jury ausgezeichnet. Grossartig der unkonventionelle Bewährungshelfer Harry ‹The Angels’ Share› läuft derzeit in einem der Kultkinos u S. 46 (John Henshaw), der versucht, den jugendlichen Drop- Dezember 2012 | ProgrammZeitung | 9
Abschluss und Neubeginn a l f r e d z i lt e n e r In der Predigerkirche gibt es statt ‹Bachkantaten› neu ‹Abendmusiken›. Viele Basler Musikfans reservieren sich jeweils den zweiten Sonntag im Monat für die Konzertreihe ‹Bachkantaten in der Predigerkirche›. Am Ostersonntag 2004 wurde der Zyk- lus unter der Leitung des Organisten Jörg-Andreas Bötticher eröffnet, mit der Kantate BWV 249, dem sogenannten ‹Oster oratorium›. Der Bezug zum Festtag gehörte zum Konzept: Man wollte sämtliche geistlichen Kantaten J. S. Bachs auf- führen, jedes Mal zwei und stets in Beziehung zum Kirchen- jahr. Die Reihe etablierte sich rasch und gewann ein grosses Stammpublikum. Nun, nach fast neun Jahren, wird der Zyklus abgeschlossen – und ein neuer beginnt. Zu Rückblick und Ausblick treffe ich vier Mitglieder der Organisationsgruppe: neben dem Dirigenten und Organis- ten J.-A. Bötticher, dem Musikologen und Bach-Spezialis- ten Anselm Hartinger auch Regula Keller und Fanny Pesta- lozzi. Die beiden Geigerinnen gehören mit Katharina Bopp und Liane Ehlich zu den Intitiantinnen der Reihe und haben in Markus Hünninger, Albert Jan Becking und Bötticher rasch Bundesgenossen gefunden. Sie hätten da- mals einfach diese Musik spielen wollen, erzählen sie; es seien wunderbare Werke, die aber im heutigen Gottes- dienst keinen Platz mehr hätten und im Konzertsaal kaum aufgeführt würden, ergänzt Bötticher. Bach-Vorläufer und -Zeitgenossen. Natürlich kennt Bötti cher die Diskussionen darüber, in welcher Besetzung der Komponist selbst seine Kantaten aufgeführt hat. Bach habe sich flexibel den jeweiligen Gegebenheiten angepasst, sind sich Hartinger und er einig. Auch er hat sich angesichts der geringen finanziellen Mittel pragmatisch entschieden: für ein kleines Instrumentalensemble und, in der Regel, ein Solistenquartett, das auch die Chorsätze übernimmt. Das erlaubt ein transparentes, lebendiges Musizieren. Dafür steht ein Pool von rund 300 hervorragenden MusikerInnen zur Verfügung. Sie alle wirken aus Idealismus mit; grosse Letzte ‹Bachkantaten›: Sa 8.12., 19.30, und So 9.12., 17 h, Predigerkirche Foto: Albert Honorare liegen nicht drin, auch wenn die Reihe von zahl- Jan Becking Erstes Konzert der ‹Abendmusiken›: So 13.1., 17 h, Predigerkirche, mit reichen Privatleuten und einigen Stiftungen unterstützt Musik von Heinrich Schütz, www.abendmusiken-basel.ch wird. Mit einem (doppelt geführten) festlich instrumen Buchtipp: ‹Wie schön leuchtet der Morgenstern›. Johann Sebastians Bachs tierten Konzert endet nun der Bach-Zyklus. geistliche Kantaten: Werkeinführung und Dokumente der Basler Gesamt- Die Reihe der Nachmittagskonzerte aber wird – zunächst aufführung. Hg. A.J. Becking, J.-A. Bötticher, A. Hartinger. Schwabe Verlag, Basel, 2012. 840 S., gb., CHF 48 für ein Jahr – weitergeführt unter dem Titel ‹Abendmusi ken in der Predigerkirche›. Die Anlehnung an die berühm- ten ‹Abendmusiken› von Dietrich Buxtehude in Lübeck ist Mitsingkonzerte kein Zufall: Nach Bach soll nun jene Musik von seinen nord- db. In Londons Royal-Albert-Hall wird jährlich Händels ‹Messiah› und mitteldeutschen Vorläufern und Zeitgenossen zu hören unter Mitwirkung des Publikums aufgeführt. Nun veranstaltet sein, die er kannte und teilweise auch aufführte. Viele die- auch das hiesige Barockorchester La Cetra ein Mitsingkonzert ser Musiker sind heute vergessen, daher sind die Konzerte und möchte damit dieses Format in Basel etablieren. Unter der als Porträts einzelner Komponisten konzipiert und sollen Leitung von Andrea Marcon singen das La Cetra Vokalensemble mit Vokal- und Instrumentalmusik die Vielfalt ihres Schaf- und vier SolistInnen mit allen Interessierten das schöne Werk fens vorstellen. Das Januar-Konzert ist Heinrich Schütz ge- zum zweiten Advent. – Bereits am ersten Advent ist Bachs ‹Weih- widmet. Im Februar folgt Franz Tunder, Vorgänger Buxte- nachtsoratorium› in Theorie und Praxis zu erleben. Die Musik hudes an der Lübecker Marienkirche, im März der vorw iegend wissenschaftlerin Marion Fahrenkämper und die Organistin in Dresden und Hamburg tätige Matthias Weckmann. Das Susanne Doll laden zum offenen Singen ein. sind gute Gründe, den zweiten Sonntag im Monat weiterhin ‹Messiah›: So 9.12., 19 h, Musiksaal Stadtcasino, www.lacetra.ch u S. 31 rot anzustreichen! ‹Weihnachtsoratorium›: So 2.12., 16 h, Leonhardskirche u S. 41 10 | ProgrammZeitung | Dezember 2012
Gestörte Symbiose c h r i s t oph e r z i m m e r Daniel Fueters Kammeroper ‹Forelle Stanley› im Gare du Nord. Zwei Schwestern, grundverschiedene Zwillinge und doch symbiotisch an- einander gekettet, feiern ihren 30. Geburtstag – in Tumbler Ridge, einem Wohnzimmer Kaff in der nördlichen Pampa Kanadas. Grace, die als Aufseherin der Müll- t u m a s c h c l a lü n a kippe zur Lokalprominenz gehört, und Sugar, die ihre Tage im Trainingsan- zug der toten Mutter verbringt und keinen Fuss vor die Tür setzt. Gerade Die Jazz-Kulturscheune in Liestal. will Letztere ihrem tristen Leben ein Ende setzen, da taucht Forelle Stanley Zufrieden und entspannt sitzen Esther und Wer- auf – und wirbelt von da an den Alltag der Schwestern durcheinander. ner Leupin in ihrem Lokal. Gerade haben sie das Doch wer ist er: Lebensretter, skurriler Sonderling oder der Frauenmörder, 250. Konzert veranstaltet. Wie fast immer in den von dem das Fernsehen berichtet? letzten zehn Jahren stand dabei sie hinter der Als «Krimi, Komödie und Märchen zugleich» wird das dritte Theaterstück Bar und er sorgte auf und vor der Bühne dafür, der kanadischen Autorin Claudia Dey beschrieben. Ins Deutsche übertra- dass alles rund läuft. Einen Grossteil ihrer Frei- gen wurde es dank eines Förderprojekts, das die Dramatikerszene Kanadas zeit stecken beide bis heute in dieses Herzens im deutschsprachigen Raum zugänglich machen soll. Die Premiere der projekt, sei es für die Administration oder die deutschen Fassung fand im März 2007 in der Tuchlaube Aarau statt, die Suche nach potenziellen Auftretenden. Uraufführung der gleichnamigen Kammeroper des Schweizer Komponis- «Alle, die bei uns spielen, wollen wir nach Mög- ten, Pianisten und Musikpädagogen Daniel Fueter, in der Regie von Philipp lichkeit einmal live gesehen haben», erklärt Bartels, im September 2011 im Theater Rigiblick in Zürich. Esther Leupin. Mit diesem Einsatz haben sie Slang der Wortkargen. Für den Komponisten und die Librettistin Mona schon manche, auch bekannte Namen, für Auf- Petri war das Theaterstück mit seinen verschrobenen Figuren und ihren tritte in der Kulturscheune gewonnen, obwohl verschiedenen Lebenswelten – der hermetischen Innenwelt des Hauses und der stimmungsvolle Raum mit 70 Plätzen relativ der Aussenwelten des Niemandslands und des männlichen Eindringlings – klein ist. Immerhin funktioniert der Betrieb eine «ideale Vorlage». Doch geht das Libretto auch eigene Wege: etwa mit mittlerweile recht gut und erhält Unterstüt- der Erfindung einer toten Drillingsschwester, die den ganzen Abend prä- zung von Stadt, Kanton und einem Gönnerver- sent ist: als Kommentatorin, Stimme aus dem Jenseits, als instrumentaler ein. «Der Verein ist wahnsinnig wichtig, weil Teil des Ensemble für Neue Musik Zürich, zuständig u.a. für Alltagsgeräu- wir uns von ihm getragen fühlen.» sche wie das Fernsehprogramm. In den ersten Jahren war das noch anders. Als Fueters Kammeroper für drei Mezzosoprane, Bariton und kleines Instru- der ehemalige Kuhstall und Kornspeicher zum mentalensemble, die sich zwischen Elementen der Pop- und Rockmusik des Verkauf stand, bewarben sich Leupins und er- 20. Jahrhunderts, des Musicals und zeitgenössischer klassischer Musik be- hielten den Zuschlag. Kauf und Umbau finan- wegt, setzt die eigenwillige Sprache von Claudia Deys Stück in Klänge um zierten sie selbst. «Wir wollten nicht verkünden, Esther und – eine «ungeschliffene» Sprache, ein «Slang der Wortkargen», dessen Stil wir machen hier was, also gebt uns Geld.» Mit Werner Leupin, ein New Yorker Kritiker als ‹Canadian gothic› bezeichnete. Foto: Tino ihrer Art haben sie es geschafft, die Kulturscheu- Die Brüchigkeit des Lebens der Figuren spiegelt sich dabei nicht nur in Briner (oben) ne als wichtigen Ort auf der regionalen Kultur Sprache und Musik, sondern auch im Bühnenbild: Das Haus der Schwes- agenda zu etablieren. Dafür erhielten sie 2010 tern aus wieder verwendeten Reklametafeln schwebt auf Stelzen über dem ‹Forelle auch den Kulturpreis der Basellandschaftlichen Stanley›, Müll, der sie ernährt. Kantonalbank; den damit verbundenen Geld Foto: Manuel ‹Forelle Stanley›: Mi 19. und Do 20.12., 20 h, Gare du Nord u S. 34 Uebersax betrag investierten sie umgehend in eine neue Beschallungsanlage. Viele KünstlerInnen kommen einfach wegen der intimen Atmosphäre gerne in die Kulturscheune, und auch die Gäste sind zum grossen Teil Stammpublikum. «Es ist schön, nach den Kon- zerten mit allen noch gemütlich zusammenzu- sitzen.» Aufhören wollen Leupins noch lange nicht. Gerade optimieren sie ihren Mailversand und suchen nach weiterer Unterstützung. «Mit zehn- bis zwanzigtausend Franken mehr könn- ten wir gelassener wirtschaften.» Und wenn Gymnasiallehrer Werner Leupin einmal pensio- niert wird, dürften neue Programmpunkte für die Kulturscheune entstehen. Schliesslich haben Leupins dann noch mehr freie Zeit für ihr «er- weitertes Wohnzimmer». Baith Jaffe Klezmer Orchestra: Fr 14./Sa 15.12., 20.30 Mr. Blue and the Tight Groove: Fr 21.12., 20.30, Kulturscheune, Kasernenstr. 21A, Liestal u S. 40 Dezember 2012 | ProgrammZeitung | 11
Eine Oper von Rang pe t e r bu r r i 40 Jahre Opéra National de Strasbourg. Nicht nur der konservative Pariser ‹Figaro›, auch das deutsche Fachblatt ‹Opernwelt› setzte die Opéra national du Rhin (OnR) dieses Jahr im Rating um das attraktivste französische Opernhaus hinter Paris und Lyon auf den dritten Platz. Ein schönes Geschenk zum 40. Geburtstag dieser Institution, Hiebe statt Liebe die 1972 aus der Not geboren wurde. In Strassburg wie in Mulhouse und Colmar gab es vorher Stadttheater, die vor sich hin darbten. Um ihren c h r i s t oph e r z i m m e r Verfall zu stoppen, legte man sie im Bereich Musiktheater zusammen. So Donizetti-Oper in Arlesheim. bespielen nun sowohl die Strassburger Oper als auch die in Mulhouse Don Pasquale hat die Faxen satt. Er wirft den ansässige Ballettcompagnie regelmässig die andern Städte. faulen Neffen aus dem Haus und will selber heira Mindestens seit 2009, seit der Belgier Marc Clémeur das Haus leitet und ten, um diesen zu enterben. Doch der Arzt Mala- auch ein Opernstudio geschaffen hat, legte die OnR zu. Subventioniert mit testa spinnt eine Intrige und dreht dem Alten 21 Millionen Euro (Lyon: 35, Paris: 109), bedient sie ein Publikum, das sich Norina, die Geliebte des Neffen, als Unschuld zu 30 Prozent aus unter 26-Jährigen zusammensetzt. 23 Prozent kommen vom Lande an. Kaum unter der Schein-Haube, aus Deutschland und der Schweiz. Clémeur betont die Scharnierfunktion tanzt diese Don Pasquale auf der Nase herum, der am Nordost-Rand des Landes gelegenen OnR zwischen der franzö und statt Liebe gibt’s Hiebe. Als der Schwindel sischen und deutschen Kultur. Der Intendant, der Richard Strauss ebenso auffliegt, überlässt der Geplagte die Furie nur zu liebt wie Leos Janacek, programmiert auch mal Nino Rota (‹Aladin und die gern dem Neffen, nebst stattlicher Mitgift. Wunderlampe›) oder Raritäten wie die Oper ‹Louise› des lothringischen Mit seinem ‹Don Pasquale› von 1843 hat Gaetano Komponisten Gustave Charpentier (1860–1956), ein «verkanntes Meister- Donizetti (dessen ‹Anna Bolena› diesen Sommer werk», wie ‹Opernwelt› befand. Mit der französischen Erstaufführung von in Riehen aufgeführt wurde) eine klassische Franz Schrekers ‹Der ferne Klang› setzte die OnR diese Saison wieder einen Opera buffa geschrieben, die zum Standardreper deutschen Akzent. toire der Opernhäuser gehört – ein melodien Im Dezember hat mit der ‹Zauberflöte› ein Klassiker Premiere, inszeniert seliger Spass, dessen Personal auf die Figuren von Mariame Clément, einer jungen Pariserin mit iranischen Wurzeln, die der Commedia dell’ arte zurückgreift, wie diese auch schon in Bern auffiel, und mit dem alten Wiener Hasen Theodor aber nicht nur derben Witz, sondern auch echte Guschlbauer am Pult. Ansonsten hat das Orchestre philharmonique de Gefühle entfaltet. Strasbourg mit Marko Letonja eben einen Chefdirigenten verpflichtet, der Das Neue Theater am Bahnhof zeigt dieses Werk auch in Basel schon den Taktstock führte, bis er die Stadt nach Subven in seinem Arlesheimer Zwischenhalt nun als tionskürzungen verliess. Und neuer Ballettchef der OnR ist der Italiener achte Opern-Produktion, in der Regie von Georg Ivan Cavallari, viele Jahre Tänzer in Stuttgart und zuletzt Chef des West Darvas und unter der musikalischen Leitung von Australian Ballet, der ältesten Truppe auf dem fünften Kontinent. Bruno Leuschner. Zu erleben ist eine, an die Als weitere Premieren folgen Janaceks ‹Schlaues Füchslein›, Brittens ‹Owen Möglichkeiten des Hauses angepasste, schlanke, Wingrave›, Wagners ‹Tannhäuser› (in der Regie des Bayreuth-erprobten teilweise gekürzte Fassung der Oper, ohne Chor Keith Warner), Bizets ‹Perlenfischer› und Puccinis ‹Tosca› (Regie: Robert und mit einem achtköpfigen Orchester. Das er- Carsen). Ein Programm, das sich sehen und hören lässt. weist sich aber nicht als Manko, sondern macht Programm: www.operanationaldurhin.eu diesen Abend zu einer intimen Begegnung mit dem spielfreudigen Vokalensemble, das sich wahr haft hören lassen kann. Zum unbeschwerten Vergnügen trägt massgeb- lich die Regie von Georg Darvas bei, der ein liebe volles Spiel mit Anachronismen treibt und augen zwinkernden Mut zu sanftem Klamauk beweist. So badet etwa Don Pasquale wie Dagobert Duck im Geld, der Arzt Malatesta erscheint auf dem Tretroller, der Neffe wird via Kamera überwacht und per Mikro aufgescheucht, und wie Leitmotive sind auf vier Monitoren Szenen mit den Marx- Brothers oder aus einer Prinz-Eisenherz-Holly- ‹Don Pasquale› wood-Schmonzette zu sehen. Als sich selbst (Daniel Reu- inszenierende Dreingabe rattert vor dem Fenster miller, oben), Foto: Natascha das 10er-Tram im Fahrplantakt vorbei – an dieser Sommer kleinen Opernwundertüte für dunkle Wintertage oder einen beschwingten Jahresausklang. Opéra national de Strasbourg, ‹Don Pasquale›: bis So 20.1., Neues Theater am Foto: Alain Bahnhof, Stollenrain 17, Arlesheim u S. 39 Kaiser 12 | ProgrammZeitung | Dezember 2012
Loblied für einen Kultur-Kapitän m ic h a e l b a a s Helmut Bürgel verlässt seinen Dampfer ehrenvoll. Am Anfang war die Stimme! Die Idee, menschlichen Gesang ins Zentrum eines Festivals zu rücken, war der Beginn der Ära Helmut Bürgel in Lörrach. In fast zwei Jahrzehnten hat der vielseitig Aktive aus diesem Keim eine sowohl in der Brei- te wie auch der Tiefe bemerkenswerte Kulturlandschaft ge- formt – ohne dass diese einem von vornherein fixierten Mas- terplan folgt. Im Gegenteil: Das Bürgelsche Wirken ist nicht zuletzt eine Passionsgeschichte, und dass dieser ‹Jünger des Gesangs› nun aus seinen öffentlichen Funktionen ausschei- det, ist zweifellos eine Zäsur – persönlich, aber auch für Lör- rach. Denn Helmut Bürgel, der im Dezember 61 Jahre alt wird, steht wie kaum ein Zweiter für das neue Profil von Basels südbadischer Nachbarstadt. Faktisch ist er einer der Helmut Bürgel zwei, drei Gründerpersönlichkeiten der jungen Kulturstadt Hinter diesen Beweisen aber steckt nicht nur ausgeprägte mit Bobby Lörrach und hat bis zum sprichwörtlichen Umfallen daran Beharrlichkeit; vielmehr spiegeln sie ein klares Konzept, Mc Ferrin, ‹Stimmen› gearbeitet, dass diese ein urbanes Gesicht entwickelt, wel- eine Vision, um nicht zu sagen Mission. ‹Stadt der Stimmen› 2009, Foto: ches auch unter den langen Schatten der nahen Schweizer lautet deren griffiger Slogan und umschreibt als solcher Juri Junkov Kultur- und Wirtschaftsmetropole Konturen zeigt. nicht nur die Faszination für menschliche Stimmen, son- Die 1994 gegründeten ‹Stimmen› sowie der darum herum dern auch den tastenden, aber kontinuierlichen Aufbau konzipierte, 1998 eröffnete Burghof sind dabei fraglos die einer institutionellen Architektur, die Gesang als Sparte strahlenden Sterne dieser Kulturgalaxie und sichern der stützt und pflegt – und das auf allen Ebenen und in vielen Kleinstadt ihren Platz auf internationalen Festivallandkar- Formen. Diese Fokussierung ist der Kern des Lörracher Kul- ten. Zur Profilbildung gehörte aber auch Basisarbeit jen- turerfolges, und Helmut Bürgel stand denn auch nie für seits dieser Fixsterne, die Förderung des Singens in Schulen Kulturarbeit nach Kanon, auch nicht für das Kleinklein von und Kindergärten, kultureller Bildung überhaupt, die Ver- Sozio- und Stadtteilkulturen und letztlich nicht mal für die ankerung der Kulturförderung im kommunalen Haushalt, in den 68er-Jahren aufgeblühte ‹Kultur für alle›; sein Ding die Sensibilisierung für den Wert der Kultur als Standort- war der Gesang, und in Lörrach fand und nutzte er ein faktor und nicht zuletzt die Pflege kulturaffiner Schichten Klima, in dem dies gedeihen konnte. – ein Prozess, der bis heute nicht abgeschlossen ist. Schliess- Offen für Korrekturen und Experimente. Diese Entwick- lich ist es vergleichsweise schwierig, im Kleinstadtmilieu, lung aber folgte nie einer abgehobenen oder selbstsüch- wo das Erbe klassisch bildungsbürgerlicher Kultur schwach tigen Logik, im Gegenteil: Es gab immer Platz für neue war und ist, Begeisterung für ‹hohe Kultur› zu wecken. Ge- Impulse, für Kurskorrekturen und Häutungen – von der Ab- rade daher aber bleibt dieser Lörracher Aufbruch aus der sage an elitäre Ansätze bis zur Suche nach Antworten auf selbstverschuldeten Provinzialität zum selbstbewussten die wachsende Konkurrenz und fortschreitende Kommer- Subzentrum der trinationalen Region Basel dauerhaft ver- zialisierung des Kulturbetriebs, die auch der Burghof mit- knüpft mit dem Kulturreferenten, Festival- und Burghof- vollzieht. Und es gab das zähe Festhalten an den Pflichten Gründungsdirektor Helmut Bürgel, dem mediale Resonanz öffentlicher Kulturförderung, die Verteidigung kultureller in Basel oder Freiburg nicht zuletzt deshalb immer genauso Nischen und Freiräume gegen die Zumutung der Eventkul- wichtig war wie die vor Ort. tur, die Kritik am Effizienz- und Renditedenken, wie es sich Sinn für Beharrlichkeit und Fokussierung. Zwar verlief die etwa im Fetisch der Auslastungszahlen zeigt, sowie die nie Entwicklung dieses ‹Lörrach 2010› nicht immer reibungs erlahmende Bereitschaft zum Experiment. frei, nicht ohne Krisen und Verluste – z.B. die Schliessung «Wir wollten immer noch weiter gehen, weil wir glaubten, der Städtischen Galerie Villa Aichele in den finanziell nicht weit genug gekommen zu sein, auch wenn das Ziel schwierigen Jahren von 2002 bis 2004, die nicht zuletzt unterwegs hinter dem Horizont zu entschwinden drohte», der Kultur-Fachbereichsleiter Bürgel betrieb. Inzwischen beschrieb der Baselbieter Kulturbeauftragte Niggi Ullrich aber ist das Konstrukt Burghof und der zu grossen Teilen die Zusammenarbeit beim vergangenen ‹Stimmen›-Festival. dorthin verlagerte kommunale Kulturveranstaltungsbetrieb In diesem Geist hat Helmut Bürgel, dieser ‹Missionar der ein Modell für andere geworden; auch die Paranoia einer Stimme(n)›, aus dem Kulturflösschen, das er vor zwei Jahr- One-Man-Show, die in die Verballhornung des Hauses zum zehnten im Rathaus Lörrach vorfand, wo ihn eine einzige ‹Bürgelhof› mitschwang, hat sich verflüchtigt, und die einst Mitarbeiterin als Kulturamtsleiter unterstützte, eine statt vor allem im alternativen Spektrum lange argwöhnisch liche Flotte geformt und auf einen konstruktiven Kurs beäugte Reizfigur ist auch da akzeptiert und beweist seit navigiert. Die Auszeichnung als Ehrenbürger Lörrachs an- Jahren, dass es möglich ist, «grosse Welt ins kleine Lörrach lässlich seines Abschieds Mitte November hat er allemal zu holen», wie Gare du Nord-Chefin Desirée Meiser Helmut verdient. Bürgels Wirken vor drei Jahren anlässlich der Verleihung Aktuelles Burghof-Programm u S. 35 des PriCülTür umschrieb. Dezember 2012 | ProgrammZeitung | 13
Im Sog der leisen Töne i ng o s ta r z er sich eigenen Projekten zu. Mit seinem Debüt ‹Patience Camp›, das an der Kaserne Basel Premiere feierte, wurde er 2009 an das renommierte Festival ‹Theaterformen› nach Hannover eingeladen. Zuletzt zeigte die Kaserne sein Pro- jekt ‹Tag der hellen Zukunft›. Im Gespräch erweist sich Luz als eloquent und charisma- tisch. Der musikalische Autodidakt, der als Rockmusiker mit seiner Band ‹My Heart belongs to Cecilia Winter› gern Lautes produziert, neigt auf der Bühne zu leisen Tönen. Mit Verve spricht er von einem musikalischen Theater, das keine bestimmte Lesart einfordere und auf die Widerstän- digkeit der Musik vertraue. Der Satz «Was man hört, ist wichtiger, als was man sieht», steht seiner Arbeit voran. Die poetische Gestimmtheit der Inszenierungen Christoph Mar thalers, die instrumentale Personenführung Ruedi Häuser- manns, die formstrenge Ästhetik von Robert Wilson oder Antonin Artauds präzise, «tobende Ordnung» sind ihm wegweisend. Immer wieder kommt er auf John Cage zu sprechen und den Eindruck, den dessen Monument der Stille, die Komposition ‹4'33"› auf ihn gemacht hat. Dem Klang unserer Welt, dem Abenteuer des Hörens ist auch Thom Luz zugewandt. Wie Goethe klingt. Luz’ Bühnenversion von Goethes ‹Die Leiden des jungen Werther›, die am Theater Basel gezeigt wird, eröffnet ebenfalls einen akustischen Raum. Der narziss tische, ungestüme Liebende ist dabei nurmehr als Echo prä- sent. Die Schauspielerinnen Joanna Kapsch, Cathrin Störmer und Vera von Gunten bringen den Text zum Klingen. Der Weg der Aufführung verfolge nicht die im Tod endende Abwärts- spirale, sondern markiere im Gegenteil, wie Luz erläu- tert, eine Aufwärtsbewegung vom Tod des Helden hin zur ‹Stunde, da wir nichts voneinander wussten› (womit er Peter Handke zitiert). In dieser Richtung endet das Erzäh- len von Werther in einer heiteren Stimmung. Thom Luz, Thom Luz lädt zu neuen Theatererfahrungen ein. Dieser ungewöhnlichen Annäherung entspricht die beson- Foto: Basil Stücheli Die Schweiz ist bekanntlich ein Hort des Gemeinsinns und dere Raumsituation: Werther ist als Figur abwesend, nur geselliger Vereinsmeierei. Christoph Marthaler erinnert Nebelschwaden füllen die Bühne und künden als roman mit seinen Gesangsvereinen immer wieder daran. Der jun- tisches Relikt von dessen unstetem, gefährdeten Ich. Die ge Theatermacher Thom Luz erklärt mit seinem Projekt Schauspielerinnen sind im Orchestergraben platziert und ‹There Must Be Some Kind of Way Out of Here› die Schweiz vertonen dort Auszüge aus Goethes Text. Je weiter das nun zum Turnplatz. Darauf tummeln sich Profis und Laien Stück voranschreitet, desto mehr treten die Worte zuguns- und zeigen in individuellen und kollektiven Bewegungsab- ten des Gefühls zurück: Der Schluss solle nurmehr fühlbar läufen vor allem eins: die Macht der Wiederholung. Dabei sein, meint Thom Luz. geht es in dieser ‹exorzistischen Turnübung› um die Über- Den jungen Theatermacher interessieren nicht Figurendar- windung der Alpenrepublik. Mit schweisstreibenden Übun- stellung, perfekte Illusion oder umtriebiges Bühnengesche- gen und schamanenhaften Tänzen sollen Herr und Frau hen. Er nimmt Goethes Text als Partitur, mit der er frei um- Schweizer von ihrer mythenbeladenen Identität befreit gehend klangliche und imaginative Räume öffnet. Sprache werden. Raus aus dem geistigen Reduit, rein in eine Gegen- und Musik gerinnen unter den Händen von Thom Luz zu wart, in der Heimat transkulturell geworden und Herkunft einem vieldeutigen Code, in dem das Publikum sich selber eher hinderlich ist. Mit dem Choreografen Arthur Kugge- lesen kann. Dass er mit seiner Spurensuche am Ende und leyn und dem Musiker Mathias Weibel hat Luz die Schweiz von dort aus zu erzählen beginnt – ‹I am a story backwards konsequent zu einem Wimmelbild geformt. told›, heisst es in einer Anmerkung zur Aufführung – macht Dem Klang zugetan. Eigentlich sei das Gewimmel, das in den Blick freier. Und es mag die Ohren der Theatergäste der Kaserne zur Aufführung gelangt, gar nicht seine Sache, öffnen für ein aussergewöhnliches Hörvergnügen. erklärt Thom Luz; die Stille interessiere ihn viel mehr. 2005 ‹Die Leiden des jungen Werther›: ab Sa 1.12., Schauspielhaus u S. 38 schloss der 30-jährige Zürcher seine Schauspielausbildung ‹There Must Be Some Kind of Way Out of Here›: Mi 5. bis Fr 7.12., an der Zürcher Hochschule der Künste ab. Früh wandte Kaserne Basel, Reithalle u S. 36 14 | ProgrammZeitung | Dezember 2012
Irrfahrt zu zweit a l f r e d z i lt e n e r Das Junge Theater Basel setzt mit ‹Tschick› einen Roman temporeich um. Auf den ersten Blick passen sie überhaupt nicht zusammen: der unauffäl lige Bürgerbub Maik und Tschick, der eigentlich Andrej Tschichatschow heisst, der kleinkriminelle Sohn russischer Einwanderer am Existenzmini- mum. In seinem mehrfach preisgekrönten Erfolgsroman ‹Tschick› schickt der Hamburger Autor Wolfgang Herrndorf die beiden vierzehnjährigen Klassenkameraden mit einem geklauten Lada auf eine abenteuerliche Reise durch den heruntergekommenen deutschen Osten. Maik erzählt im Rück- Theaterzauber blick die Geschichte, und wir erleben mit, wie aus seiner anfänglichen c h r i s t oph e r z i m m e r Abneigung gegen Tschick eine echte Freundschaft wird. Maik lernt dabei Comeback der Lufthunde. nicht nur Auto fahren und Benzin klauen, er gewinnt Selbstvertrauen, wird In der Jubiläumsbeilage der ProgrammZeitung mit Alter und Vergänglichkeit konfrontiert – und mit dem weiblichen Kör- haben 25 ihrer ‹Edelfedern› von prägenden Kul- per. Kurz: Er wird erwachsen. Das macht Spass bei der Lektüre, vor allem, turerlebnissen aus 25 Jahren berichtet. Müsste weil der Autor Maik in der genau beobachteten Sprache der jungen Genera- ich dies tun, wäre das Zürcher Clownduo Die tion berichten lässt. Lufthunde (Ueli Bichsel und Marcel Joller Kunz), Energie und Empfindsamkeit. Das Junge Theater Basel hat den Roman das nach zehnjähriger Pause wieder unterwegs nun in Basler Mundart für die Bühne adaptiert und die Handlung in der ist, ein heisser Favorit für einen Ehrenplatz in Region angesiedelt. Natürlich waren dabei Kürzungen unumgänglich, dass meiner Kulturprägungsvita. Allerdings liegt mein aber von all den (teils sehr skurrilen) Figuren, denen die Jungs begegnen, Erlebnis beileibe nicht nur ein ‹gefühltes› Viertel- nur gerade das Mädchen Isa übrig bleibt, ist etwas schade. jahrhundert zurück. Das genaue Datum kann ich Zu sehen ist eine ausgezeichnet gespielte Inszenierung mit Witz und Tempo. zwar nicht erinnern, aber dass es ein Festival auf Die junge Regisseurin Suna Gürler und die Ausstatterin Ursula Leuenber- der Kasernenwiese war und ich ein Jungspund. ger füllen – passend zum szenischen Roadmovie – die Bühne mit gegen 100 Und noch heute sehe ich den Lulatsch (Marcel Autopneus, die von den jugendlichen Darstellern mal zu Abfallbergen Joller) vor mir, der einen Kühlschrank liefert, gehäuft, mal zum Bergmassiv geschichtet werden und beim Autounfall aus dem erst verdächtige Geräusche ertönen, bedrohlich gegen das Publikum kippen. Sina Keller ist eine forsche, sehr denen bald darauf ein Derwisch von Wirt (Ueli direkte Isa. Julius Schröder gibt Maik viele Facetten und zeigt glaubwürdig Bichsel) folgt, der den verwirrten Gast mit rauer seine Empfindsamkeit und seine Verwirrung bei Isas Aufforderung zum Sex. Herzlichkeit verköstigt –, wobei sich das Innere Marco Jenni als Tschick ist ein Energiebündel mit akrobatischen Fähigkeiten, des Kühlschranks nicht nur als unerschöpflich ein lausbubenhafter Lebenskünstler, den man einfach mögen muss. Dass erweist, sondern auch als Wirkungsstätte der die Figur damit stark verharmlost wird, ist nicht ihm anzulasten. unsichtbaren Wirtegattin, die Anlass zu allerlei ‹Tschick›: bis Sa 12.1., Junges Theater Basel, Kasernenareal u S. 37 Ehedrama gibt. Theaterzauber pur, der mir un- ‹Tschick›, Buch Wolfgang Herrndorf, ‹Tschick›, Roman, 256 S., Rowohlt TB, CHF 13.50 Foto: vergesslich geblieben ist. Uwe Heinrich Jugendhörbuch im Argon-Verlag Nun gibt es Gelegenheit, diesem Zauber erneut zu erliegen: Mit eben dem aberwitzigen Kühl- schrank-Klassiker und noch einigen clownesken Nummern mehr gastieren Die Lufthunde in Birs- felden. Und damit ein Komikerpaar, das klassi- sche Vorbilder zum Leben erweckt: Stan Laurel und Oliver Hardy, Pat und Patachon oder auch andere Variationen von ‹dummer› August und ‹weis(s)er› Clown. Gegründet wurden Die Lufthunde 1981, bis 1998 war die Formation in Europa und Afrika auf Tournee. Daneben betrieben Bichsel und Joller auch das Zirkus Theater Federlos oder waren un- abhängig voneinander und mit anderen Partne- rInnen auf der Bühne oder wie Bichsel, der Schweizer Kleinkunst-Preisträger 2010, auch im Film zu sehen. Als wiedererstandenes Duo brin- gen sie uns nun erneut zum Lachen, weil sie die Absurditäten des Alltags entlarven und damit listig entschärfen. Die Lufthunde: Fr 14./Sa 15.12., 20 h, Theater Roxy u S. 37 Foto: zVg Dezember 2012 | ProgrammZeitung | 15
Märchenhafter Ohrenschmaus d oro t h e a koe l bi ng 200 Märchen – frei erzählt von den Schwestern Grimm. zählt. Es sind Live-Mitschnitte der Auffüh- rungen, welche die Atmosphäre vor Ort Festtägliches Grimms Märchen? – Die kennen wir doch widerspiegeln. Dazu gibt es ein wunder- dagm a r bru n n e r alle! Damit sind wir aufgewachsen, sie haben schönes, umfangreiches und informatives Bekömmliche (Vor-)Weihnachtskultur. unsere Fantasie beflügelt und unsere Bild- Booklet. Ideal für lange Winterabende so- Wie jedes Jahr bietet das Theater Basel seinen welten geprägt – warum denn jetzt wieder wie als Geschenk. kostenlosen ‹Adventskalender› an, der täglich Grimms Märchen? Weil wir sie eben nicht ‹Ganz Grimm›, Audio-DVD (MP3-Format) unter: kleine, meist originelle Bühnenhäppchen von kennen, befanden die Münchner Märchener www.ganzgrimm.de Ensemblemitgliedern präsentiert. zählerinnen Gabi Altenbach, Cordula Gerndt Der Contrapunkt Chor hat mit seiner jungen und Katharina Ritter und machten sich als Grimm-Veranstaltungen in der Region (s. Agenda) Dirigentin Abélia Nordmann Lieder von Fahren- Die Schwestern Grimm neugierig und lust- ab So 2.12., Der Froschkönig. Theatergruppe Reinach den aus ganz Europa einstudiert und auf der voll auf den Weg, der berühmten Samm- ab So 2.12., Schneewittchen. Basler Kindertheater hörenswerten CD ‹Djelem, Djelem!› veröffent- ab So 2.12., Aschenbrödel. Atelier-Theater Riehen lung der Brüder Grimm ihre «Mündlich- licht; in seinem Weihnachtskonzert lässt der Mo 10.12., Vom Fischer und seiner Frau. Szenisches keit» zurückzugeben. Konzert, Theater Triebwerk, Burghof, Lörrach Chor alte und neuere Musik unter dem Titel «Ein unsichtbarer roter Faden wird spürbar, Do 13.12., Grimms Märchen. Michael Quast & Philipp ‹Geheimnisumwoben› erklingen. der KHM 1–200 auf einzigartige Weise mit- Mosetter, Teufelhof u S. 36 Georg Hausammann, der den Contrapunkt Chor einander verbindet; diese Märchenkom So 23.12., Rumpelstilzchen. Für Erwachsene, Fauteuil gegründet und 28 Jahre lang geleitet hat, tritt Fr 28.12., Aschenputtel. Tamerlan-Theater, Theater position wird in unserem Erzählprojekt ein letztes Mal mit dem Chor ‹SÿndiCats› auf, Arlecchino zum ersten Mal hörbar», freut sich Cordula gemeinsam mit dem Kabarettisten Joachim Ritt- Bücher: Martus Steffen, ‹Die Brüder Grimm›. Eine Gerndt. Mit ‹KHM 1–200› sind die ‹Kinder- Biografie. Rowohlt Verlag, 2009. 606 S., gb., CHF 46.70 meyer. Geboten wird ‹O du fröhliche – Ein weih- und Hausmärchen› Nr. 1 bis 200 gemeint, (rororo TB 21.90) nächtlicher Sonderfall› mit Liedern und poin gemäss der Grimm’schen Reihenfolge der ‹Die 100 schönsten Märchen der Brüder Grimm›, tierten Texten. Sammlung, wie sie im Dezember 1812 zum Ill. Daniela Drescher, Verlag Urachhaus/Geistesleben, Innovativer Volksmusik widmet sich ein nationa- ersten Mal erschien. Bekanntes folgt hier Stuttgart, 2012. 344 S., Hln., CHF 35.40 les Projekt, bei dem die jeweils gleichen Instru- auf Unbekanntes und umgekehrt, lange ‹Grimms Märchen›, vollständige Ausgabe. Anhang mentalensembles mit lokal verankerten Jugend- Märchen auf kurze, grausame oder sorgen- mit umfangreichem Wörterbuch und Märchenlexikon. chören aufspielen, in Basel etwa mit dem Kin- Hg. Günter Jürgensmeier, Ill. Charlotte Dematons, volle auf solche mit Happy-End. derchor Saltando der Musikschule Basel. Es sind Verlag Sauerländer, 2011. 560 S., gb., CHF 75.90 Befreiendes Erzählen. «Ganz Grimm – spezielle Arrangements zu Schweizer Weih- 200 Märchen werden befreit!», heisst das nachtsliedern zu hören. Motto der drei Frauen. Und das ist wörtlich Als ‹Ohratorium für die ganze Familie› künden zu nehmen: Befreiung aus den Buchdeckeln, Birkenmeiers und Team ihre Produktion ‹Weih- Befreiung vom ganz und gar festgelegten nachtsformat› an. Versprochen wird eine heiter- Text. Die Schwestern Grimm sind keine poetische Verbindung von Kabarett mit Bachs Märchentanten, sondern Meisterinnen des formidablem Weihnachtsoratorium. direkten freien Erzählens, heutig mit teils Die zwei Schauspielprofis Peter Rinderknecht modernisierter Sprache, zuhause im ver- und Hansjürg Müller geben im Vorstadttheater trauten Inhalt. «‹Ganz Grimm› sind für mich das köstliche Stück ‹Ox & Esel› zum Besten, das zuerst zwei Kolleginnen, mit denen ich aus tierischer Optik von Heiligabend erzählt; ein trotz aller Unterschiede eine gemeinsame Spass für Gross und Klein. ‹Sprache› spreche: jede von uns hat einen In Liestal gastieren die zwei Basler Gruppen ganz direkten Zugriff auf die Geschichten, ‹Theater zwischen den Welten› und ‹Nil›, die frei von Pathos, aber mit grosser Klarheit Produktionen mit physisch und psychisch beein- und viel Humor», so Gabi Altenbach. trächtigten Menschen erarbeiten. Sie themati- Schauspielerische Mittel, Dialekte, Lieder, sieren u.a. ihr ‹Anderssein› und ihre ambiva ein Rap – überraschend und ausdrucks- lenten Erlebnisse mit der Weihnachtszeit. stark in der Gefühls- und Bilderwelt der Adventskalender: Sa 1.–So 23.12., 17 h, Theater Basel Geschichten – die drei Performerinnen Contrapunkt: Sa 8./So 9.12., 20 h, Leonhardskirche könnten kaum unterschiedlicher sein in der SÿndiCats: Sa 22.12., 20 h, Leonhardskirche Art des Erzählens. Und man wird mitgeris- Kinderchor Saltando: Fr 7.12., 19.30, Matthäuskirche sen vom Sog der Märchen, möchte immer Theaterkabarett Birkenmeier: Sa 21.12., 20.15, und weiter hören, was geschieht – schade, schon So 22.12., 18 h, Ackermannshof u S. 41 wieder Pause! Rinderknecht/Müller: Fr 14.–So 23.12., Vorstadttheater Damit niemand auf dieses Erlebnis verzich- Zwischen den Welten & Nil: Fr 7./Sa 8.12., ten muss, ist seit kurzem eine Audio-DVD und Do 13./Fr 14.12., Theater Palazzo, Liestal mit 33 Stunden Hörgenuss erhältlich: 200 Märchen, nicht gelesen, sondern frei er- ‹Ganz Grimm› Zeichnung: Gisela Mehren 16 | ProgrammZeitung | Dezember 2012
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