PROGRAMMZEITUNG KULTUR IMRAUMBASEL - MENSCHEN, HÄUSER, ORTE, DATEN

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PROGRAMMZEITUNG KULTUR IMRAUMBASEL - MENSCHEN, HÄUSER, ORTE, DATEN
Menschen, Häuser, Orte, Daten

ProgrammZeitung
                                                 CHF 8.00 | EUR 6.50

                                       März 2013 | Nr. 282
 Kultur   im Raum Basel

                                                               Tangofieber, Modefrühling, Kunstkino
PROGRAMMZEITUNG KULTUR IMRAUMBASEL - MENSCHEN, HÄUSER, ORTE, DATEN
AnzeigeProgramm_Basel2013_Anzeige Basel 16.1.2006 13.02.13 14:19 Seite

            8. I K O N E N
   Ve r k a u f s a u s s t e l l u n g
   15. – 18. März 2013
   AM HEUBERG 24, BS
   Telefon               079 – 767 66 61
   Täglich               11 Uhr – 19 Uhr
   Fr & Mo               17 Uhr Führung

                                           München

                                                                         eine gemeinsame Ausstellung
                                                                         Museum für Kommunikation www.mfk.ch | Naturhistorisches Museum Bern www.nmbe.ch
PROGRAMMZEITUNG KULTUR IMRAUMBASEL - MENSCHEN, HÄUSER, ORTE, DATEN
Kosmopolitisch und kreativ
dagm a r bru n n e r

    Editorial. Sie hat ein sperriges Format, einen anspruchs-
vollen Inhalt und sei «rein publizistisch ein Wahnsinn»,
schrieb ‹Die Tageszeitung› (taz) und meinte damit ein Medi-
um, das demnächst sein 25-jähriges Bestehen feiern kann:
‹Lettre International›. Just bei der Berliner ‹taz›, die er 1979
mitbegründet hatte, war Frank Berberich tätig, bevor er
sich 1988 entschloss, eine deutsche Ausgabe von ‹Lettre› ins
Leben zu rufen – und damit ein markantes Zeichen zu set-
zen für ein freies Geistesleben über alle nationalen, sprach-
lichen und kulturellen Grenzen hinweg. Das Konzept zu
diesem Forum stammte vom Tschechen Antonin J. Liehm,
der 1984 in Paris die erste französische Edition herausgab
und (eigenverantwortliche) Ableger in andern Ländern
plante. Die Zeit war reif dafür im damals noch politisch ge-
trennten Europa, und so entstanden in enger Kooperation
weitere Ausgaben zunächst in Italien und Spanien, später
auch in etlichen osteuropäischen Ländern und Dänemark.
Heute sind insgesamt sechs Redaktionen aktiv, im Osten
nurmehr in Rumänien und Ungarn.
International, interdisziplinär und unabhängig – eine
Herausforderung, der sich Frank Berberich mit Herzblut,
Sachverstand und grossem Erfolg stellte. Denn ‹Europas                                                                                                   Frank
                                                                                                                                                         Berberich,
Kulturzeitung›, wie sich die deutsche ‹Lettre› im Untertitel           Deutschlands. Diese Weltoffenheit habe der Zeitschrift ge-                        ‹Lettre
selbstbewusst nennt, galt schon bald und ist bis heute eine            holfen, «dem eigenen kulturellen Provinzialismus entge-                           International›,
publizistische Perle und wurde auch mehrfach ausgezeich-               genzuwirken» und «sich mit den Augen anderer zu sehen»,                           Berlin, 1990er-
                                                                                                                                                         Jahre,
net. Viermal jährlich erscheint das Magazin, mit inspirie-             wie Berberich festhält. Zum Frühlingsanfang und 25. Ge-                           Foto: zVg
rendem Lese- und Bildstoff, der mindestens bis zur nächs-              burtstag wird nun das 100. Heft publiziert – eine ‹Goldene
ten Ausgabe reicht. Die mitwirkenden Wort- und Kunst-                  Nummer› mit je 50 Text- und Bildbeiträgen von renommier-
schaffenden in aller Welt gehören zur Topliga heutiger                 ten Kulturschaffenden, die das vergangene Vierteljahrhun-
Intellektueller, die sich kompetent, engagiert und nach-               dert aus ihrer Optik Revue passieren lassen: vom Ende des
haltig zu Zeitfragen und zum Weltgeschehen äussern.                    Kommunismus bis zur digitalen Revolution. Eine Gelegen-
Dabei kommt auch die Poesie nicht zu kurz, denn ‹Lettre›               heit, in die jüngste Vergangenheit einzutauschen – um
hat einen journalistisch-literarischen Anspruch und bietet             Veränderungen zu erkennen und die Gegenwart vielleicht
Platz für alle möglichen Textsorten.                                   besser zu verstehen.
Es ist klar, dass ein solches Medium nur existieren kann               Lettre International Nr. 100 erscheint am Do 21.3., 180 S.,
dank einem grossen Netzwerk, das intensiv und freund-                  Format 27 x 37 cm, CHF 23, erhältlich an Kiosken und in Buchhandlungen
schaftlich gepflegt werden muss. Etwa 3’000 Artikel hat                oder bei www.lettre.de

‹Lettre› seit 1988 veröffentlicht, zu 80 Prozent stammen sie
von Schreibenden aus etwa hundert Ländern ausserhalb

             Hauskultur                               de› aktiv, und junge Kreative lancierten für ih-
                                                      resgleichen das ‹Quottom›. Last but not least
                                                                                                             Raum Basel vorstellt (S. 14). Als deutschsprachi-
                                                                                                             ge Zeitschrift sind wir kein Medium für die hiesi-
db. Im kulturellen Blätterwald rauscht’s, es wird     laufen auch in Winterthur Vorbereitungen für           gen ‹Expats›, aber als Kulturinteressierte möch-
gefeiert: Die ‹New York Review of Books› (eines       ein neues Kulturmagazin namens ‹Coucou›, das           ten wir zu Begegnungen mit solchen beitragen.
der wichtigsten literarisch-intellektuellen Maga-     vielleicht sogar von der Stadt unterstützt wird.       Anlässlich der beiden Messen Natur und Blick-
zine in englischer Sprache) wurde 50 – und wird       Nun haben wir ja schon etliche Medien-Neu-             fang (S. 20) erscheint dieses Heft in höherer Auf-
noch immer vom selben Herausgeber betreut,            gründungen, aber auch -Schiffbrüche erlebt.            lage und wird dort ausliegen. Gerne verweisen
ebenso die deutsche Ausgabe von ‹Lettre Inter-        Samuel Becketts lakonischer Ratschlag ‹Wieder          wir in diesem Zusammenhang darauf, dass die
national›, die auf 25 Jahre zurückblickt (s. Edito-   versuchen / Wieder scheitern / Besser scheitern›,      ProgrammZeitung auf Werbeeinnahmen (etwa
rial). Und auch hierzulande gab oder gibt es An-      lässt sich auch in andern Lebensbereichen be-          Beilagen) angewiesen ist. Dies bedingt den Ver-
lass zum Anstossen: Das Luzerner Kulturmagazin        herzigen ...                                           sand in einer Folie, deren Umwelt- und Sozial-
‹041› wird heuer 25 (wir kommen darauf zurück),       Als neue Lektüre empfehlen wir in diesem Heft          verträglichkeit wir mit unserer Druckerei konti-
das Berner ‹ensuite› mit seinem unverwüstlichen       die Kolumne ‹Spotlight› von Franziska Mazi, die        nuierlich überprüfen. Genauere Informationen
Gründer behauptet sich seit 10 Jahren, für Zü-        mit der letzten Ausgabe startete und jeweils aus-      können wir Ihnen bei Bedarf gerne zustellen.
rich und das Limmattal ist seit kurzem ‹Escapa-       gewählte englischsprachige Veranstaltungen im

                                                                                                                                        März 2013 |   ProgrammZeitung | 3
PROGRAMMZEITUNG KULTUR IMRAUMBASEL - MENSCHEN, HÄUSER, ORTE, DATEN
Malerei
                                                                                             Jeden Montag
                                                                                             drei Ausgeh-Tipps der

                                                       und                                   ProgrammZeitung
                                                                                             im ‹KulturKlick› auf:
                                                       Kunst
                                                       Studium

                                                       Anmeldung
                                                       begonnen                                         Online-Aktualitäten aus
                                                                                                        Politik, Wirtschaft, Kultur,
                                                                                                        Gesellschaft und Ökologie.
                                                       www.neuekunstschule.ch                           www.onlinereports.ch
                                                                                                        Das Basler News-Portal
                                                                          neuekunstschule
                                                       Birsstr.16 4052 Basel 061 311 41 40

B I N N I N G E N
ENLIGHTED

 w w w . b i n n i n g e n - e n l i g h t e d . c h

Info-Veranstaltung
MAS Arts Management
DAS Fundraising Management
Dienstag, 16. April 2013
Restaurant Au Premier im Hauptbahnhof Zürich

ZHAW School of Management and Law – 8400 Winterthur
Zentrum für Kulturmanagement – Telefon +41 58 934 78 54
www.zkm.zhaw.ch

Building Competence. Crossing Borders.

Zürcher Fachhochschule
PROGRAMMZEITUNG KULTUR IMRAUMBASEL - MENSCHEN, HÄUSER, ORTE, DATEN
Cornelia Huber ‹GrenzFall›,

                                           Inhalt                  Redaktion
Ackermannshof u S. 11, 42
Produktionsstill
                                                         7–25

                                                       26–52       Kulturszene
                                                       53–82       Agenda
                                                            83     Impressum
                                                            83     Kurse
                                                            84     Ausstellungen
                                                            85     Museen
                                                            86     Bars & Cafés
                                                            86     Essen & Trinken
                                                            87     Kultursplitter
                                                    Die ProgrammZeitung Verlags AG ist unabgängig und
                                                    wird von rund 70 Aktionärinnen und Aktionären getragen.
                                                    Sie finanziert sich ausschliesslich aus Abo­erträgen und
                                                    Werbeeinnahmen, erhält keine Subventionen und ist als
Cover: Tango Schule Basel, Cécile Sidler            gemeinnützige Institution anerkannt.
und Romeo Orsini, Foto: Arsène Saheurs
u S. 11, 34
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CHRONOS MOVEMENT                                             Kunst und Kunsttherapie
                                                 TANZ- uND BE WEguNgSSTuDIO
  Besseres Sehen für                                                                                          Kurse           Fortbildungen           Seminar
                                                 BEWEguNg ERlEBEN
  Fortgeschrittene.                              Balancing alignment®
                                                 Ballett
                                                 Body Discovery                                               Plastizieren
                                                 Modern Jazz Basic & - Training                               Kopfmodellieren
                                                 Company Class CSDE
                                                                                                              Steinbildhauen
                                                 Contemporary
                                                 Dancing Yoga & Butoh                                         Naturgestaltung
                                                 Sanftes Rückentraining
                                                 Kreativer Kindertanz
Picasso Platz 4 4052 Basel                                                                                    Kursbeginn
                                                 Franklin Methode® 60+                                        ab April 2013
T +41 61 271 57 27 F +41 61 271 57 28            Movement Skills
th@optometriezentrum.ch                          Elisabethenstrasse 22    4051 Basel     Tel. 061 272 69 60
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                                                                                                              www.atelier-wernerkleiber.ch
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                                   LESBISCH-SCHWULE KULTUR IN BAS EL
                                                               www.gaybasel.ch

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                                                                                       Earl Thomas, GEorG                                       BEsuchT WEil
                                                                                                                                               am sTrinG-TimE-
                                                                                                                                                  fEsTiVal
                                                                                       schroETEr, marc                                            22.3.2013

                                                                                       BrEiTfEldEr, sharriE
                                                                                       Williams, PhiliPP fankhausEr,
                                                                                       mz dEE & maurizio PuGno orGan
                                                                                       Trio, BoB marGolin mEETs mikE
                                                                                       sPonza, lurriE BEll & sam
                                                                                       BurckhardT und ViElE mEhr...
                                                                                       Vorverkauf: www.ticketcorner.ch / www.eventim.de
PROGRAMMZEITUNG KULTUR IMRAUMBASEL - MENSCHEN, HÄUSER, ORTE, DATEN
Wo ist Heimat?
                                                         dagm a r bru n n e r

              Welt-Bilder                                                   Das Cinema Querfeld lädt zu interkulturellen Begegnungen ein.
                                                                        Die Gründe, warum Menschen ihre Heimat verlassen, sind vielfältig, aber
              dagm a r bru n n e r                                      oft wenig erfreulich. Seltener sind es die grosse Liebe und die Abenteuer-
    Die 18. Filmtage Nord/Süd ‹gobal21›.                                lust, die sie zum Domizilwechsel verführen als die schiere Not. Doch der
Alle zwei Jahre touren die ‹Filmtage Nord/Süd›                          Weggang führt meist nicht ins Paradies, sondern in Sackgassen oder zu
durchs Land, organisiert von ‹Filme für eine                            ungeahnten neuen Herausforderungen.
Welt›, einer Fachstelle der Stiftung ‹éducation21›,                     Dieser Thematik ist das diesjährige interkulturelle Kinofestival Cinema
welche die Bildung für Nachhaltige Entwicklung                          Querfeld gewidmet. Bereits zum achten Mal haben es verschiedene Vereine
(BNE) in der Schweiz fördert. Die Filmtage fin-                         der Migrationsbevölkerung und der Verein Querfeld ehrenamtlich auf die
den in Basel jeweils im Museum der Kulturen                             Beine gestellt. Die gemeinsame Projektentwicklung und Programmgestal-
statt und stellen neue, für Bildungsarbeit und                          tung erfordert und fördert den Austausch zwischen den Kulturen – mit Er-
Unterricht ausgewählte und empfohlene Filme                             folg, denn das dreitägige, auch kulinarisch reizvolle Festival wird jeweils
vor. Diese sollen dazu anregen, Themen «aus                             gut besucht. Erstmals erhält das Integrationsprojekt in diesem Jahr Unter-
ganzheitlicher Optik zu betrachten, vernetzt zu                         stützung aus einem gemeinsamen Förderprogramm von Migros-Kulturpro-
denken, Verantwortung für eine nachhaltige                              zent und der Eidgenössischen Kommission für Migrationsfragen.
Entwicklung zu übernehmen und couragiert zu                                 Bleiben oder Gehen? Gezeigt werden diesmal acht Dokumentar- und
handeln», wie es in der Selbstdefinition heisst.                        Spielfilme aus Europa, dem Nahen Osten, den USA und Lateinamerika,
An zwei Abenden sind elf Filme zu sehen, neun                           immer in Originalsprache und (mit einer Ausnahme) mit deutschen Unter-
davon sind Dokumentarfilme, die sich schwer-                            titeln. Sie erzählen unter dem Titel ‹Bleiben oder Gehen ...› auf ganz unter-
punktmässig mit dem Thema Abfall sowie mit                              schiedliche Weise von Aufbruch, Hoffnung und Enttäuschung und geben
den Folgen und Perspektiven globalisierter Wirt-                        so Einblick in existenzielle Lebenssituationen und -fragen, die uns letztlich
schaft befassen. Den Auftakt macht ‹Zartbitter›                         alle betreffen.
von Angela Spörri (Gewinnerin Basler Filmpreis                          Drei der Filme beleuchten Schweizer Geschichte(n): Der Regisseur Yusuf
Zoom 2012), der einem Anbauprojekt von Bio-                             Yesilöz etwa porträtiert drei Ehepaare aus der Türkei und dem Balkan, die
Kakao in Ghana gewidmet ist. In den weiteren                            seit rund 40 Jahren in der Schweiz leben und eigentlich immer in ihre Hei-
Filmen geht es um Lebensmittelverschwendung,                            mat zurückkehren wollten, die ihnen nun fremd geworden ist. In einem
die Problematik von Elektroschrott-Recycling,                           Langzeitprojekt dokumentiert Christoph Müller, wie es einem Schwei-
um kreative Wiederverwertung von Müll und                               zer Schnapsbrenner als Auswanderer in der Dominikanischen Republik
abfallsammelnde Kinder, um die lange Reise von                          erging, und Alvaro Bizzarri, der in den Fünfzigerjahren selbst als ‹Gast­
Second Hand-Kleidern und die Billigkonkurrenz                           arbeiter› in die Schweiz gekommen war, schildert die oft unmenschlichen
für handgenähte Fussbälle, um den Ausverkauf                            Lebensbedingungen der italienischen ‹Saisonniers›. Zu den fünf weiteren
landwirtschaftlicher Nutzflächen und die Schul-                         Filmen gehören Aki Kaurismäkis so aktuelles wie märchenhaftes Flücht-
denfalle. Dazu gibt’s einen Kinder-Spielfilm, der                       lingsdrama ‹Le Havre› und Charlie Chaplins Stummfilm ‹The Immigrant›
in den Slums von Nairobi gedreht wurde und                              sowie berührende Geschichten aus Äthiopien bzw. Israel, Bulgarien und
einen kurzen Animationsfilm zum Verzicht auf                            Kuba. Die Filme werden von Gesprächen mit Kulturschaffenden und feiner
Flaschenwasser.                                          Filmstill      Kost aus aller Welt ergänzt.
18. Filmtage Nord/Süd ‹global21›: Mi 13. und Do 14.3.,   aus ‹Familie   8. Kinofestival Cinema Querfeld: Fr 15. bis So 17.3., Querfeld-Halle, Gundeldinger Feld,
17.30–21 h, Museum der Kulturen, Basel,                  Feierabend›,   Dornacherstr. 192, www.querfeld-basel.ch. Fr ab 18 h, Sa ab 17 h, So ab 10 h u S. 43
Infos: www.filmeeinewelt.ch, www.education21.ch          Cinema
                                                                        Ausserdem: 27. Festival International de Films de Fribourg, FIFF: Sa 16. bis Sa 23.3., www.fiff.ch
                                                         Querfeld

                                                                                                                                              März 2013 |   ProgrammZeitung | 7
PROGRAMMZEITUNG KULTUR IMRAUMBASEL - MENSCHEN, HÄUSER, ORTE, DATEN
Che bel paese … !?
                                                     a l f r e d s c h l i e nge r

                                                          Silvio Soldinis sur(-)reale Filmkomödie ‹Il comandante e la cigogna›.
                                                     Leo hat es nicht gerade leicht. Die attraktive Frau ist ihm weggestorben, mit
                                                     seiner kleinen Sanitärbude hält er sich knapp über Wasser, und zu Hause
                                                     wollen die Teenies Elia und Maddalena versorgt sein. Familie und Beruf
                                                     unter einen Hut zu bringen, ist seine tägliche Herausforderung als allein­
                                                     erziehender Vater. Aber wenn es nur das wäre. Elia entpuppt sich als Schul-
                                                     versager und beschäftigt sich lieber mit versponnen philosophischen Fra-
                                                     gen und der heimlichen Aufzucht eines Storches als mit Hausaufgaben.
                                                     Endgültig ist der Teufel los, als Maddalenas schweinischer Freund sie hin-
                                                     terrücks beim Blowjob filmt und das Video ins Internet stellt. Che casino!
                                                     Regisseur Silvio Soldini entwirft mit wenigen Strichen eine turbulente Pro-
     Beziehungszügelei                               blemlandschaft über diese Kleinfamilie hinaus, alltagsgesättigt, skurril,
                                                     satirisch, poetisch – und sehr italienisch.
              a l f r e d s c h l i e nge r          Beim schmierig korrupten Anwalt Malaffano (Luca Zingaretti), einer herr-
        Spielfilm ‹3 Zimmer/Küche/Bad›.              lichen Berlusconi-Karikatur, bündeln sich die verschiedenen Handlungs-
Die Grundidee ist bestechend: ein Generationen-      stränge. Hier lernt Leo (Valerio Mastandrea) die glücklose Künstlerin
gefühl einfangen im Zügelverhalten der Figuren.      Diana (Jungstar Alba Rohrwacher) kennen – und, wir wollen’s nicht ver-
Beziehungen und Kisten im dauernden Umzug.           schweigen, nach weiteren Verwicklungen auch lieben. So viel Trost muss
Von der WG ins Pärchen(un)glück und zurück,          sein angesichts der desolaten Verhältnisse im einstigen Bel Paese.
vom Süden Deutschlands ins hippe Berlin, aus              Überlebenskünstler. Soldini lässt ironisch überhöht seine ganze Wut auf
dem Familiennest zum Punkerfreund. Da tum-           die Berlusconisierung aller Lebensbereiche seiner Heimat, aber auch seine
melt sich ein gutes Dutzend Personen in ver-         ganze unerschütterliche Liebe zu diesem verwirrten Land in seinen Film
schiedenen (und wechselnden) Konstellationen,        einfliessen. Ein Land, in dem jeder jeden abzockt, wo man beim kleins-
so dass man in den schnellen Schnitten anfäng-       ten Parkplatzstreit sofort heftig ausflippt, wo aber diese einfachen Über-
lich fast den Überblick verliert. Als Zentrum        lebenskünstler beim verzweifelten Tricksen auch schrecklich liebenswert
schälen sich drei Geschwister heraus (Jacob          sind. Umwerfend sympathisch gibt Valerio Mastandrea diesen immer leicht
Matschenz, Katharina Spiering, Amelie Kiefer),       überforderten Leo. Er spart sich jede Überzeichnung und wirkt gerade
die auf je eigene Art Orientierung im ständigen      dadurch als Seele des Films.
Wechsel suchen. Und im Kontrast dazu ihre            ‹Il comandante e la cigogna› spielt im heutigen Turin und enthält auch eine
Eltern (Corinna Harfouch und Hans-Heinrich           eigenwillige Expedition in die Schweiz. Ganz so leichtfüssig wie sein Welt-
Hardt), die zusammengeblieben sind, obwohl           erfolg ‹Pani e tulipani› ist Soldinis jüngstes Werk aber nicht gelungen. Ein-
ihre Ehe seit 19 Jahren tot ist. Und die nun, als    zelne Pointen bleiben bleischwer am Boden. Und auch die Idee, die Statuen
die Jüngste flügge wird, ihren Kindern eine          von Garibaldi, da Vinci, Leopardi und anderen Heroen, die so viele Plätze
wahre Weihnachtsüberraschung bereiten.               Italiens schmücken, über ihre Heimat räsonieren zu lassen, wirkt eher be-
Der Film von Dietrich Brüggemann lebt von            tulich. Wir hätten’s auch ohne steinerne Zeugen begriffen. Dennoch weht
knappen und witzigen Dialogen, hübsch lakoni-        ein frecher, schräger Wind durch diesen Film, der Alltag, Satire und Poesie
schen Szenen mit einigem Wiedererkennungs­           erfrischend verbindet.                                                          Filmstill aus
effekt (hinter dem bekanntlich immer auch das        Der Film läuft ab Mitte März in einem der Kultkinos u S. 44                     ‹Il comandante
                                                                                                                                     e la cigogna›
Klischee droht) und von der Vielfalt der Tempe-
ramente, von verschnarcht bis überdreht. Man
schaut dem frischen Treiben gerne zu. Und doch
schleicht sich in der zweiten Hälfte ein Gefühl
der Überlänge ein. Das hängt auch damit zusam-
men, dass die dramaturgische Konstruktion die
Figuren immer mehr zu überlagern beginnt und
in ihrem Eigenleben hemmt. Wenn schliesslich
zwei, die eben noch das Bett geteilt haben,
urplötzlich herausfinden, dass sie den gleichen,
nie gesehenen Vater haben, werden die Zufällig-
keiten des Daseins doch etwas arg strapaziert.
Das Leben aber bleibt ein ständiger Umzug. Es
kommt einfach mal die Zeit, wo man dafür ein
professionelles Unternehmen engagiert.
Der Film läuft ab Do 14.3. in einem der Kultkinos.

Filmstill aus ‹3 Zimmer/Küche/Bad/›

8 | ProgrammZeitung | März 2013
PROGRAMMZEITUNG KULTUR IMRAUMBASEL - MENSCHEN, HÄUSER, ORTE, DATEN
Du musst dein Leben ändern
a l f r e d s c h l i e nge r

                                                                                                                                      Filmstill aus
    Mit ‹Nachtzug nach Lissabon› kommt die Verfilmung          Gedeck als portugiesische Augenärztin darf wenigstens                  ‹Nachtzug nach
    des Weltbestsellers mit Starbesetzung ins Kino.            etwas südlichen Akzent in ihr Englisch mischen, während                Lissabon›
Millionen haben den Roman gelesen und geliebt. Schon der       Bruno Ganz als Prados Studienfreund heftig chargierend
Titel hat einen magischen Klang, evoziert Aufbruch, Fern-      durch Lissabons nächtliche Gassen torkelt. Und wer will
weh, lusitanisches Licht. Bis heute ist die Geschichte des     noch Charlotte Ramplings ewig gleichen Bittermund sehen,
langjährigen Berner Lateinlehrers Raimund Gregorius, der       den sie diesmal Prados Schwester leiht?
auf der Suche nach dem bisher ungelebten Leben nach Lissa­        Gepflegte Äusserlichkeiten. Am verhängnisvollsten aber
bon und tief in die brutale Vergangenheit der Salazar-Dik-     wirkt sich aus, dass die vielschichtige innere Gedankenwelt
tatur gerät, in 32 Sprachen übersetzt worden.                  Prados, die Bieri dem ‹Goldschmied der Worte› in den Mund
Eigentlich erzählt der Welterfolg ‹Nachtzug nach Lissabon›     legt, zu kleinen, bebilderten Häppchen verbraten wird. Die
den alten Traum von einem Buch, das unser Leben verän-         grossen existenziellen Fragen schrumpfen zu kurzatmigem
dert. Denn was den Altphilologen so unwiderstehlich nach       Sentenzengeklingel, zu Konfirmationssprüchen mit hübsch
Portugal lockt, ist das dünne Büchlein ‹Um ourives das pala­   fotografiertem Hintergrund. Es gibt eine Szene, in der das
vras› (Ein Goldschmied der Worte), das ihm unversehens in      nicht der Fall ist, Prados Abitur-Rede, die mutig mit Kirche,
die Finger gerät und ihn nicht mehr loslässt. Geschrieben      Religion und Diktatur abrechnet. Da werden Emotion und
und nach dem Ende der Salazar-Diktatur veröffentlicht hat      Gedankenschärfe, gesellschaftliche Konvention und Rebel-
es der Arzt und Philosoph Amadeu Inacio de Almeida             lion klug gebündelt. An anderen Stellen verrät eine plumpe
Prado, auf dessen Spuren sich Gregorius nun begibt. Der        Anschaulichkeit den lebenslangen inneren Schmerz der
meistzitierte Satz des Bändchens hat es in sich: «Wenn es so   Figuren, etwa dort, wo dem klavierspielenden Jugend-
ist, dass wir nur einen kleinen Teil von dem leben können,     freund Prados, den Gregorius im Altersasyl besucht, von
was in uns ist – was geschieht mit dem Rest?»                  Salazars Geheimdienstknechten in einer Rückblende die
    Marketing erzeugt keine Kunst. Die gute Nachricht ist:     Hände zerschlagen werden.
Millionen werden sich auf die Verfilmung dieses wichtigen      Regisseur Bille August, Cannes-Sieger und Oscar-Preis­
Romans des Philosophen und Autors Peter Bieri (alias Pas-      träger (für ‹Pelle, der Eroberer›) und eigentlich geübt in
cal Mercier) freuen. Die schlechte Nachricht: Wenn man         Literaturverfilmungen (‹Das Geisterhaus›, ‹Fräulein Smillas
sich nicht entsprechend wappnet, wird der Film zur gros-       Gespür für Schnee›) verliert sich diesmal im Äusserlichen.
sen Enttäuschung. Das hat mehrere Gründe, und sie liegen       Gepflegtes Sightseeing, vier Schnitte, und wir haben Lissa-
definitiv nicht im ewigen (und falschen) Klischee-Vergleich,   bon von seinen attraktivsten Seiten gesehen, eine Prise
dass ein Film gegen das Buch nur verlieren kann.               romantischen Kitsch beim Candle-Light-Dinner über den
Die erste Schutzhaut muss man sich schon überziehen, weil      Dächern der weissen Stadt, eine schwülstige musikalische
alle Figuren, von den Berner GymnasiastInnen bis zu den        Untermalung – dieser Film wird kein Leben verändern. Er
portugiesischen Salazar-Schergen, englisch sprechen. Das       legt eher die Schwächen der überkonstruierten Vorlage
raubt dem Film Atmosphäre und Authentizität. Das zweite        bloss. Wer Bieris Bewusstseinskrimi auf der Suche nach
Handicap ist die internationale Starbesetzung. Marketing       dem anderen Leben gelesen hat, wird dennoch neugierig
erzeugt keine Kunst. Der elegante Jeremy Irons überan-         sein. Und das ist gut so. Man hat ja im Kino zum Vergleich
strengt sich redlich, als Gregorius so trottelig zu wirken,    auch noch den eigenen Film im Kopf.
wie er sich einen Berner Altphilologen vorstellt. Martina      Der Film läuft ab Do 7.3. in einem der Kultkinos.

                                                                                                                     März 2013 |   ProgrammZeitung | 9
PROGRAMMZEITUNG KULTUR IMRAUMBASEL - MENSCHEN, HÄUSER, ORTE, DATEN
Neue Chancen für Freiburg
m ic h a e l b a a s

                                                                                         chor – auch in der Spitze nach wie vor eine beachtliche
                                                                                         Breite. Möglicherweise also birgt der Verlust Chancen für
                                                                                         andere(s) – zumal es bei der klassischen Musik um ein
                                                                                         Genre geht, dessen Publikum da und dort auch Erosions­
                                                                                         erscheinungen zeigt und es Freiburg keineswegs an reprä-
                                                                                         sentativer Kultur fehlt, im Gegenteil: Das Stadttheater
                                                                                         absorbiert vergleichsweise viele Ressourcen genau dafür.
                                                                                            Kultur- statt Konzerthaus. Die Entwicklung hat zumin-
                                                                                         dest noch eine zweite Seite. Ein Rückblick in die jüngere
                                                                                         Freiburger Geschichte offenbart parallel zur Inbetriebnah-
                                                                                         me des Konzerthauses 1996, um dessen Nutzung und Aus-
                                                                                         lastung es beim SWR-Orchester von vornherein auch ging
                                                                                         und geht, den schleichenden Niedergang anderer Genres:
                                                                                         Die bis in die Neunzigerjahre rege Film- und Videoszene hat
                                                                                         fast alle Dynamik verloren. Ähnliches gilt für die Tanz-, ja
                                                                                         die freie Szene insgesamt. Selbst in der populären Musik,
                                                                                         im Pop, Rock, auch im Jazz sind die Optionen der ‹Musik-
                                                                                         stadt› eher dünn. Freiburg war nie eine breit aufgestellte
                                                                                         Musikstadt, sondern eher eine der klassischen Musik. Das
Konzerthaus                                                                              Rad kann und muss nicht zurückgedreht werden, aber
Freiburg                 Freiburgs ‹Orchesterverlust› könnte auch                        eine durch den SWR-Entscheid erzwungene Nachjustie-
(Ausschnitt),
Foto: Daniel             ein Gewinn sein.                                                rung könnte, stimmig angepackt, durchaus Spannenderes
Schoenen              Das SWR-Orchester Freiburg/Baden-Baden ist ein Auslauf-            stimulieren: Schliesslich ist die Stadt jung.
                      modell, und auch als Standort des fusionierten SWR-                Allein das Konzerthaus hat ein Problem. Dieses wird mit
                      Orchesters hatte Freiburg keinen Stich, der Klangkörper            dem Ende des alten SWR-Orchesters zur eigentlichen Bau-
                      soll von 2016 an in Stuttgart residieren. Doch was bedeutet        stelle; selbst wenn das Fusionierte dort nach 2016 weiter
                      das mit etwas Distanz für Freiburg, wo manche nach wie             auftreten wird, ist sein Charakter als weitgehend profillose
                      vor von einer Bewerbung als ‹Europäische Kulturhaupt-              Abspielstation im Tournee-Tingeltangel endgültig nicht
                      stadt› träumen? Ist das tatsächlich «der Niedergang der            mehr zu kaschieren. Aber auch da gibt’s Ideen: Eine Inten-
                      Musikstadt», wie ihn die Kulturliste im Gemeinderat in der         danz und bessere Etats für einzelne Sparten, forderte etwa
                      ersten Betroffenheit Ende 2012 an die Wand malte?                  die Kulturliste. Der Lörracher Burghof oder die Kaserne
                      In der Tat ist Musik, vor allem klassische, elementar im kul-      Basel lassen grüssen: In dieser Spur wäre ein – dann eher
                      turellen Selbstverständnis Freiburgs. Dieses aber einzig an        – Kulturhaus, das sich z.B. auch zeitgenössischem Tanz
                      einem auf repräsentative Kultur fixierten Orchester festzu-        widmet, allemal ein Gewinn, vielleicht nicht primär für die
                      machen, bleibt gleichwohl eindimensional. Gibt es doch mit         Musik-, aber bestimmt für die Kulturstadt Freiburg.
                      Philharmonischem Orchester, Barockorchester, Ensemble              www.swr.de
                      Recherche und einigen Chören – vom Barock- bis zum Jazz-

        Stimmen-Vielfalt                              Eine eigenwillige Grenzgängerin zwischen Volks­
                                                      musik und Avantgarde-Jazz ist auch die US-hel-
                                                                                                          treten sie wie immer bewusst altmodisch in
                                                                                                          Knickerbockern, Hosenträgern und Cordjacken
                dagm a r bru n n e r                  vetische Sängerin, Akkordeonistin und Enter­        auf und taufen ihre zweite CD. –
           Spezielle Gesangs-Abende.                  tainerin Erika Stucky, die erst kürzlich mit Sina   Armenische Kunstlieder aus den letzten 300 Jah-
Was einen erwartet, wenn Christoph Marthaler          in Basel aufgetreten ist. Nun kommt sie erneut      ren und persische Poesie aus einem Jahrtausend
Regie führt, bleibt stets bis zur Premiere ein        für ein Konzert und spielt mit dem Musiker und      werden in einem Konzert am Karfreitag zu Ge-
Geheimnis. So ist es auch bei der als ‹Lieder-        Sounddesigner Knut Jensen ‹Ping Pong›, eine         hör gebracht. Der Tenor und Komponist Masis
abend› angekündigten Produktion ‹King Size›,          Weiterentwicklung ihres Soloprogramms ‹Suici-       Arakelian und der Pianist Symeon Ioannidis
deren Uraufführung am Tag der Frau geplant ist        dal Yodels› – mit Mini-Akkordeon, Ukulele und       gestalten den Abend, der von Heimatlosigkeit,
und von vielseitigen, erprobten Gefährten des         Laptop; dazu vertont das Duo live Trash-Super       Liebe, Vergänglichkeit und Wiedergeburt erzählt.
Zürcher Theatermannes bestritten wird: dem            8-Filme. –                                          ‹King Size›: ab Fr 8.3., 20 h, Theater Basel,
Dirigenten Bendix Dethleffsen, der Sängerin           Vor fünf Jahren formierten sich die Männer­         Kleine Bühne u S. 40
Tora Augestad und dem Sänger Michael von der          stimmen Basel, die sich inzwischen zum inter­       ‹Ping Pong› mit Stucky und Jensen: Fr 8.3., 20 h,
Heide, die u.a. in ‹Eine faire Dame› mitgewirkt       national preisgekrönten Chor entwickelt haben.      Gare du Nord u S. 33, Foto u S. 26

haben. Im Zentrum steht das Areal der Nacht­          Viele der Mitglieder entstammen der Knaben-         Männerstimmen Basel, CD-Taufe: Fr 22.3., 20 h,
ruhe mit einer Schlafstätte im King Size-Format,      kantorei und sind breit interessierte Sänger, die   Bar du Nord u S. 33

wo sich wundersame zwischenmenschliche Ver-           mühelos sowohl Renaissance- wie zeitgenössi-        Armenische Kunstlieder: Fr 29.3., 20 h,
                                                                                                          H95 Raum für Kultur, Horburgstrasse 95
wandlungen ereignen. –                                sche Schweizer Chorliteratur erarbeiten. Nun

10 | ProgrammZeitung | März 2013
Tango in seiner ganzen Vielfalt
c h r i s t oph e r z i m m e r

                                                                                                            Ohne Grenzen
                                                                                                                dagm a r bru n n e r
                                                                                                        Musik, Bewegung, Experimente.
                                                                                                 Etwa alle zwei Jahre meldet sich Cornelia
                                                                                                 Salome Huber mit einer neuen Produktion, die
                                                                                                 in keine Schublade passt. Die Basler Künstlerin
                                                                                                 tanzt, singt, komponiert, forscht, schreibt, ge-
                                                                                                 staltet und performt alleine und mit Kolleg­
                                                                                                 Innen, die ebenso vielseitig und experimentier-
                                                                                                 freudig Grenzen ausloten, überschreiten und zu
                                                                                                 andern Sehweisen einladen.
                                                                                                 Der Titel ihres neuen Stücks heisst denn auch
                                                                                                 ‹GrenzFall›, und versprochen wird ein unter­
                                                                                                 haltsamer «raumgreifender Liederabend, der
                                                                                                 das Herz berührt, die Gedanken bewegt und zu
                                                                                                 neuen Horizonten entführt». Im Zentrum stehen
                                                                                                 zwölf eigene Kompositionen zum Thema Gren-
                                                                                                 zen, die Huber am Klavier und mit ihrer Stimme
                                                                                                 entwickelt hat. Mit dem Perkussionisten Sebas­
                                                                                                 tian Apert, dem Pianisten Gabriel Walter und
                                                                                 Cécile Sidler
    Die Tango Schule Basel macht Ostern zur Jubiläums-Milonga.                   und Romeo
                                                                                                 dem Raum-und Lichttechniker Heini Weber ver-
Das Tangofieber hat Basel schon lange erfasst. Kaum ein Ort, den die Aficio­     Orsini,         dichtet sie ihre Erkenntnisse und Erfahrungen
nados und Liebhaberinnen des Tango Argentino nicht erobert haben. Es             Foto: Marike    zu einem vielschichtigen Spiel mit verschiede-
                                                                                 Gwind
gibt Vollmond-Tango im Volkshaus, Tango Sensacion im Gare du Nord, Tango                         nen Elementen; der Schlagzeuger Fritz Hauser
Rouge im Union, Milongas in der Mitte und der Mägd, im Tanzpalast im                             wirkte beratend mit. –
Gundeli, sommers auch auf dem Gellertgut oder dem Petersplatz – und das                          ‹Klassische› Konzerte aller Epochen einem jun-
ist nur eine bescheidene Auswahl.                                                                gen Publikum zugänglich zu machen – und zwar
Epizentrum dieser Leidenschaft ist seit 25 Jahren die Tango Schule Basel:                        in unkonventioneller Umgebung –, das möchte
ein stetig brodelnder Vulkan, der alljährlich ausbricht, wenn zum inter­                         die ‹Klassikkuppel›. In ihrer dritten Ausgabe
nationalen Festival ‹OsterTango› geladen wird, das ein breites tanzfreudi-                       bringt sie ausgewählte Sinfonie-Werke zu Gehör,
ges Publikum anzieht. Denn längst ist dieser Termin kein Geheimtipp mehr,                        die von jungen Profis gespielt werden. Einer der
sondern festes Date in den Agenden der Infizierten von nah und fern. Trei-                       fünf Konzerttage ist speziell Schulklassen und
bende Kraft hinter dieser Bewegung (im wahrsten Sinne des Wortes) ist                            Leuten in Ausbildung gewidmet. –
Cécile Sidler, die selber vom Tangofieber befallen wurde, als sie zum ersten                     Viele Menschen in Basel interessieren sich für
Mal die Musik von Astor Piazzolla hörte. Was folgte, ist Basler Tango-                           afrikanische Kultur. Nun haben sich fünf Grup-
Geschichte: 1984 gab sie die ersten Tangokurse in Basel, seit 1988 leitet sie,                   pen, die in der Region afrikanischen Tanz,
gemeinsam mit ihrem Tanz- und Lebenspartner Romeo Orsini, die Tango                              Gesang oder Musik unterschiedlicher Prägung
Schule Basel, und begründete mit diesem 2000 das Oster-Tango-Festival –                          betreiben, unter dem Label ‹BâleAfrikArt› zu-
ermutigt von Gustavo Naveira, der mit ihr seit 1995 Kurse in Basel gibt.                         sammengeschlossen. Die Mitwirkenden stam-
    Lebendige Kunstform. Dieser und andere Weggefährten der ersten Stun-                         men aus verschiedenen Herkunftsländern und
den und ihre TanzpartnerInnen dürfen deshalb auch nicht fehlen, wenn bei                         laden zu abwechslungsreichen, stimmungsvol-
der 14. Ausgabe des Oster-Tangos das Jubiläum der Schule gefeiert wird:                          len Veranstaltungen ein. Geplant sind auch Kon-
mit einer Eröffnung, an der u.a. Kunst-Tangovideos zu sehen sind, mit                            zerte und Darbietungen mit Gästen aus Afrika
Konzert (Carla Pugliese, die ihr neues Album ‹Milonga Sola› präsentiert)                         sowie ein langfristiger kultureller Austausch.
und Shows (‹Historia de Tango› und das witzige ‹Los Abuelitos/Die Gross­                         ‹GrenzFall› mit Cornelia Huber: Sa 9. bis Do 21.3., 19.30,
eltern›), mit Jubiläums-Party und nicht endenden Milongas sowie einem                            Druckerei im Ackermannshof u S. 42, Foto u S. 5
wie immer reichen Angebot an Kursen und Seminaren. Festivalzentrum ist                           Klassikkuppel: So 17. bis Do 21.3., Kuppel u S. 52,
das Volkshaus, zum Ausklang geht’s ins Unternehmen Mitte.                                        www.klassikkuppel.ch

Der Grundgedanke dieses Anlasses ist bis heute derselbe geblieben: Tango                         ‹BâleAfrikArt›: Sa 23.3. und Sa 22.6., 20 h, Fakt,
in seiner ganzen Vielfalt zu zeigen – und den Gästen Gelegenheit zu geben,                       Viaduktstr. 10, www.F-A-K-T.ch

neue Entwicklungsrichtungen kennenzulernen, Tango als lebendige, nicht
in der Tradition verharrende Kunstform zu erleben. Als Dialog mit dem
Gegenüber, als ein Spiel mit Provokation und Drama, Hingabe und Wider-
stand, ein intimes Tanztheater, das, wie Cécile Sidler in einem Interview
sagte, aus zwei Menschen «ein Herz auf vier Beinen» macht.
‹14. OsterTango›: Do 28.3. bis Mo 1.4., Volkshaus, www.tangobasel.ch u S. 43

                                                                                                                             März 2013 |   ProgrammZeitung | 11
Radikales Musikrennen
                                                                               r a ph a e l z e h n de r

                              Sounds & Poetry                                      Das ‹Radicalis Music Race› tourt durchs Land.
                                                                               In Zeiten des kulturellen Grossangebots muss man sich etwas einfallen
                                      dagm a r bru n n e r                     lassen. Und manchen fällt wirklich etwas ein. Zum Beispiel das ‹Radicalis
                                   Rock belebt Stadt und Land.                 Music Race›. Dominic Stämpfli vom Radicalis Music Management in Aesch
                      Seit seiner Erstausgabe 1997 hat es sich zu einem        arbeitet seit drei Jahren vollberuflich und Dominic Oehen teilzeitlich mit
                      prächtig krachenden Grossanlass entwickelt,              mehr als zwei Dutzend Bands: Management, Booking, Promotion, Label,
                      das Basler Clubfestival ‹BScene›, das vielfältig         Produktion von Veranstaltungen – die ganze Dienstleistungspalette.
                      Einblick in die regionale Musikszene vermittelt.         20 ihrer Betreuten absolvieren seit Mitte Januar ein ‹Rennen› durch 15 Kon-
                      Auf neun verschiedenen Bühnen finden heuer               zertlokale in 10 Deutschschweizer Städten. Das zeigt einerseits, welche
                      17 Konzerte mit 221 MusikerInnen in 60 Forma­            «super-tollen» (Stämpfli) Konzertlokale hier existieren: vom Nordportal
                      tionen statt. Die Festival-Jury hat sowohl ältere        und dem Merkker in Baden über die Grabenhalle in St. Gallen, das Exil und
                      wie ganz junge VertreterInnen der Szene aus­             das Helsinki in Zürich bis zu den Basler Austragungsorten Kuppel, Hinter-
                      gewählt und präsentiert unter dem Motto ‹The             hof Bar und Kaserne. Anderseits sind die auftretenden Formationen eine
                      Golden Triangle› im Dreieck zwischen Klingen-            schöne Visitenkarte nicht nur dieser Agentur, sondern der Schweizer Inde-
                      tal, Wettstein und Zolli neben den lokalen Bands         pendent-Szene überhaupt, verstärkt um zwei deutsche, eine italienische
                      weitere aus dem In- und Ausland. Auch der                und eine englische Band. Stilistisch bietet das ‹Radicalis Music Race› ein
                      Kunst, Rhythmus und Klänge lediglich mit Mund            breites Spektrum, «Populärmusik von Indie-Rock über Electro bis Folk»,
                      und Mikrophon zu produzieren, wird ausgiebig             beschreibt es der 26-jährige Stämpfli.
                      gefrönt; der bereits legendäre ‹Grand Beatbox                Kräftige Wurzel. Das musikalische Rennen funktioniert zunächst als
                      Battle› wird erstmals an beiden Tagen durch­             Bildkonzept. Die Bands sind auf dem Werbematerial der Tour mit jedem
                      geführt. Dabei haben die z.T. namhaften Teil-            erdenklichen Vehikel unterwegs: mit Einkaufswagen und einem Oldtimer,
                      nehmenden aus aller Welt zwischen vier und               mit einer Dampfwalze und auf dem Karrussell. «An den Konzerten selbst
                      sechs Minuten Zeit, ihr Können zu zeigen und             ist der Renngedanke, dass also eine Band besser ist und deshalb gewinnt,
                      werden von einer Jury beurteilt – ein höchst             nicht entscheidend», sagt Dominic Stämpfli. Die Anwärter seien zu ver-
                      unterhaltsames Spektakel! Die Bühnenauftritte            schieden und ein Vergleich deshalb sinnlos. Gleichwohl wählt das Publi-
                      werden von drei Workshops ergänzt, in denen              kum: «Die Gäste können an den Veranstaltungen auf einem Flyer drei von
                      es um Songwriting und Musik-Lyrics, um juris­            den 20 Bands ankreuzen, auch solche, die bei ihnen nicht aufgetreten sind.
                      tische Fragen wie Zweitnutzungsrechte und um             Wer die meisten Stimmen erhält, ist im Finale», erklärt er das Vorgehen.
                      erste Studio-Aufnahmen geht. –                           Will heissen: Die Methode birgt viele Zufälle in sich. «Wir machen das
                      Vor fast 30 Jahren wurde in Reinach nach einem           extra oldschool-mässig mit Handzetteln, weil wir die grassierenden Votings
                      langen Prozess das Jugendhaus Palais noir eröff-         überall nicht so cool finden.»
                      net, das dann auch als Konzertort national be-           ‹Radicalis› übrigens ist ein lateinisches Adjektiv: ‹zur Wurzel gehörend›.
                      kannt wurde. Nun möchte dessen Team mit der              Von der musikalischen Bedeutung her (‹Roots›) trifft das die Sache sicher
                      neuen Konzertreihe ‹musique noir› an diese Tra-          nicht. Er habe eher daran gedacht, dass ein Management eine kräftige
                      dition anknüpfen und das Kulturzentrum auch              Wurzel sein müsse, auf der starke Bands als Blüten und Früchte wachsen
                      ausserhalb der regulären Öffnungszeit und für            könnten, sagt Stämpfli. Auch das eine sehr schöne Idee.
                      ein breiteres Publikum bespielen. Einmal im              ‹Radicalis Music Race Finale›: Mi 27.3., 21 h, Kaserne Basel u S. 38
                      Monat treten vorwiegend lokale Musikschaf­               Programm: www.radicalis.ch/music-race-2013/
                      fende auf, dabei können sich die ehrenamtlich
                      engagierten Jugendlichen in Eventorganisation
                      und Bühnentechnik üben. Den nächsten Termin
                      bestreitet der bekannte junge Slampoet Laurin
                      Buser, der sein Projekt ‹Earth Shaking› vorstellt.
                      17. ‹BScene›: Fr 15. und Sa 16.3., 20.30, Sud, Singer-
                      haus, Volkshaus, Hirscheneck, Kuppel, Kaserne,
                      The Bird’s Eye Jazz Club und Parterre, www.bscene.ch
                      ‹Musique noir› mit Laurin Buser: Do 21.3., 19 h (Bar),
                      20 h (Konzert), Palais noir, Bruggstr. 95, Reinach,
                      www.palaisnoir.ch
                      Ausserdem: Neueröffnung ‹Das Schiff› im Hafen:
                      Fr 8.3., ab 18 h Eröffnungsparty mit Apéro, Dinner
                      (Reservation erforderlich) und Konzert,
                      www.dasschiff.ch

                                                               We Loyal,
                                                               BScene 2012,
                                                               Foto: zVg

12 | ProgrammZeitung | März 2013
«Das Ziel ist pure Poesie»
                                                          c h r i s t oph e r z i m m e r

          Bobelogs Welt
               a l f r e d z i lt e n e r
    Familienstück mit Figuren und Musik.
Ein Tisch, einige Alltagsgegenstände – fertig ist
die Welt. Mit einfachen Mitteln zeigt das Figuren­
theater Michael Huber in seiner neuen Produk­
tion ‹Bobelog oder warum tanzen die Sterne?›
die Geschichte des kleinen Jungen Bobelog, der
sich einen Hund als Spielgefährten wünscht und
in seinen Träumen durch das All reist bis zu
dem Planeten, auf dem das Tier lebt. Unterwegs
muss er Prüfungen und Gefahren bestehen und
wichtige Erfahrungen fürs Lebens machen, be-
vor er den Hund schliesslich von seinen Eltern
geschenkt bekommt.
Der Musiker, Performer und Theatermann Chris-
tian Zehnder hat als Regisseur die Aufführung
mit dem Figurenspiel-Duo Suzanne Nketia und
Michael Huber erarbeitet. Dabei sind sie von
jenen scheinbar einfachen Fragen ausgegangen,
                                                          ‹Etwas
mit denen Kinder ihre Eltern in Erklärungsnot             Morgenstern
                                                                                 Ein Schattenspiel mit Musik rund um Texte von Christian Morgenstern.
bringen: ‹Was ist hinter dem Horizont?› oder              am Abend›,         «Als Kind habe ich gerne Schattenfangen gespielt. Ich war begeistert, wenn
eben ‹Warum tanzen die Sterne?›. Zehnder hat es           Foto: Sylwia       mein Schatten weit über mich hinauswuchs. Wurde er klein und schlüpfte
                                                          Zytynska
aber nicht interessiert, Theater mit konventio-                              mir fast in die Schuhe, war er mir beinahe unheimlich. Die Lust am Spiel ist
nellen Spielfiguren zu machen. Nur zwei sind                                 mir bis heute geblieben.» – Mit diesen Worten beschreibt Adelheid Kreisz
auf der Bühne: Bobelog und der Hund; beide hat                               auf ihrer Website ihre Faszination für das Phänomen Schatten. Seit der
Michael Huber mit spürbarer Liebe gestaltet.                                 Gründung der eigenen Schattenbühne Cadrage 1996 hat sie sich ganz auf
Alle übrigen Spielelemente sind Gegenstände                                  diese Kunst konzentriert. Davor waren es Marionetten, Hand- und Stab­
des Alltags. Da wird ein Gaskocher zum Raum-                                 figuren, mit denen sie Stadttheater-Produktionen bespielte, etwa ‹Die
schiff, werden Plastiksäcke zu Planeten. Wenn                                Erschöpfung der Welt› von Mauricio Kagel, eine ‹Freischütz›-Inszenierung
Bobelog dorthin reist, taucht er in den Sack ein;                            von Achim Freyer oder auch ein Singspiel von Haydn.
was er dort erlebt, wird als Schattentheater sicht­                          Mit Cadrage begann das Experimentieren mit Licht-, Schatten- und Klang-
bar. In den Säcken befinden sich auch Musik­                                 farben, oft in Zusammenarbeit mit Musikerinnen und Komponisten. Be-
instrumente; das Publikum sieht sie nicht, kann                              reits im Gründungsjahr 1996 war Sylwia Zytynska, heute u.a. Leiterin des
sie aber hören.                                                              Gare des enfants, mit von der Partie. Auf die erste gemeinsame Produktion
So laden Kinder Alltagsdinge mit ihrer eigenen                               – ‹Das Eine oder Andere›, sieben Szenen um Macht und Vorurteile nach
Fantasie auf, und dieser kindliche Blick auf die                             dem Grimmschen Märchen ‹Der Jude im Dorn› – folgte 1997 ‹Schattenbilder
Welt ist Zehnder wichtig. Viele Kunstschaffen-                               leicht bewegt› zu Gedichten von Christian Morgenstern.
den, sagt er, hätten ihn sich bewahrt und so ihre                                In der Wärme des Bildes. Nun vereint Morgenstern die beiden Künstle-
eigenen Welten geschaffen, Jean Tinguely etwa                                rinnen erneut. Diesmal sind es drei wenig bekannte Geschichten des Dich-
und das Duo Fischli/Weiss. ‹Bobelog› funktio-                                ters – ‹Der Spiegelgeist›, ‹Neues Preislied› und ‹Egon und Emilie› –, um die
niert ohne Sprache und ist auch kleinen Kindern                              sich einige seiner Gedichte ranken. Neben Sylwia Zytynska musiziert die
zugänglich; das erwachsene Publikum wird viel-                               Saxofonistin Noëmi Schwank, Sprecher ist der Schauspieler David Berger,
leicht seinen eigenen Kinderblick wieder ent­                                der sowohl aus dem Off spricht, als auch selber zum Schatten in einem
decken und das Theater bereichert verlassen.                                 Spiel wird, in dem Menschliches und Tierisches nicht klar voneinander
Michael Huber/Christian Zehnder, ‹Bobelog›: Fr 15.3.,                        getrennt sind. Die Bilder und Figuren von Adelheid Kreisz passen dabei, so
19 h, und So 17.3., 11 h, Vorstadttheater Basel u S. 40                      Zytynska, bestens zu Morgensterns Ironie, Skurrilität und Humor.
Schulvorstellungen: Do 14., Fr 15. und Mo 18.3., 10.30                       Die Musik, die in einem langen Prozess von Improvisation und Aufeinan-
Ausserdem: Figurentheater Margrit Gysin u S. 42                              der-Hören entstanden ist, will nicht der Versuchung erliegen, zu illustrie-
Basler Marionetten Theater u S. 42
                                                                             ren, wie Zytynska sagt, sondern soll die Mitwirkenden gegenseitig in ihren
Figurenspieltage am Goetheanum: Fr 15. bis So 17.3.,
Dornach, www.goetheanum-buehne.ch
                                                                             Gefühlen bestätigen, «das Ziel ist pure Poesie». Zytynskas eigenes Bekennt-
                                                                             nis klingt wie eine Antwort auf den eingangs zitierten Text von Adelheid
                                                                             Kreisz: «Bei Bildern verliert man sich. Bei Schattenfiguren findet man sich.
                                                                             Man steht in der Wärme des Bildes.»
                                                                             ‹Etwas Morgenstern am Abend›: Do 14. und Fr 15.3., 20 h, Unternehmen Mitte, Salon u S. 46

                                                                                                                                             März 2013 |   ProgrammZeitung | 13
Krise und Aufbruch
s a bi n e e h r e n t r e ic h

    In Lörrachs freier Kulturszene brodelt es.
Das Lörracher Kulturzentrum Nellie Nashorn kommt nicht zur Ruhe. Eine
                                                                                                                  Spotlight
schwere Krise zwang im vergangenen Jahr zum Umlenken, ein hohes Defi-                                            f r a nz i sk a m a z i
zit hatte das Haus an den Rand der Insolvenz geführt. Die finanzielle Lücke                              Theater und Tagung in Englisch.
ist zu einem guten Teil geschlossen, in der Gastronomie ist der Neuanfang                         ‹England ist ein grosses Land, bewohnt von den
geglückt. Auf gutem Weg schien auch der Kulturbereich: Mit Paulo Silva,                           kältesten Fischen der ganzen Welt›, lässt Salman
der im norddeutschen Oldenburg viele Jahre ein Kulturzentrum betrieb,                             Rushdie einen pakistanischen Ausreiseberater in
hatte der rührige Vorstand des Trägervereins für die Gesamtleitung einen                          seiner Erzählung ‹Good Advice is Rarer than
Profi gewonnen, der viel Schwung und neue Ideen mit nach Lörrach brachte.                         Rubies› (1987) sagen. Damit beschreibt Rushdie
Doch nun hat man sich zum Ende der halbjährigen Probezeit ohne Angabe                             das zwiespältige Verhältnis zwischen dem frü-
von Gründen getrennt – die Ära Silva bleibt Episode.                                              heren ‹Empire› und vielen seiner ehemaligen
Angetreten war der gebürtige Portugiese mit dem Vorsatz, das vor 25 Jahren                        Kolonien. Die Produktion ‹One Language – Many
von fünf Frauen gegründete Haus mit gebührendem Respekt zu ‹entstau-                              Voices› zeigt anhand der Inszenierungen dreier
ben› und auch wieder ein jüngeres Publikum anzuziehen. Kabarett sollte                            weiterer berühmter Kurzgeschichten von Joseph
ein Gastspiel-Schwerpunkt bleiben, dafür Musik mehr ins Zentrum rücken,                           Conrad (‹An Outpost of Progress›, 1897), Somer-
etwa mit der Reihe ‹Monday Jazz›, die auch der Lörracher Musikszene auf                           set Maugham (‹The Force of Circumstances›,
die Sprünge helfen wollte. Nun muss eine neue Geschäftsleitung her, und                           1924) und Chinua Achebe (‹Dead Men’s Path›,
das in einer denkbar schwierigen Situation. Das hauseigene Junge Theater                          1953) auf, wie es zu diesem Verhältnis kommen
hat seine Heimat inzwischen im Alten Wasserwerk, dem Lörracher Jugend-                            konnte. Diesen fiktiv-historischen Streifzug insze­
zentrum. Und Nellie-Mitbegründerin Annegret Brake hat angekündigt, den                            niert das multiethnische Ensemble des TNT The-
Taktstock niederzulegen – also auch als Leiterin des renommierten Jazz-                           ater Britain (Regie Paul Stebbings) auf fantasie-
chors Flat & Co aufzuhören, der zu den ‹Hausmarken› im Nellie gehört. So                          volle, dynamische und humorvolle Weise, ohne
ist es um das einst so quirlige Zentrum im Moment sehr still.                                     dem Ernst des Themas Abbruch zu tun. Das phy-
    Schillernde Fülle. Erfreuliche Entwicklungen gibt es dagegen für Tempus                       sische Schauspiel à la Meyerhold wird dabei ge-
fugit. Das freie Theater, das nicht nur wegen seiner hochkarätigen Büh-                           schickt mit Musik, Tanz und Gesang kombiniert
nenproduktionen, sondern auch wegen einer Vielzahl an theaterpädago-                              und findet damit zu einem eigenen antirealis­
gischen Projekten aus Stadt und Region längst nicht mehr wegzudenken                              tischen Ausdruck. –
ist, bekommt endlich eine feste Adresse. Der alte Güterbahnhof am Rande                           Weshalb sollen Tiere Rechte haben? Was bedeutet
der Lörracher Innenstadt, der zuletzt ein Restaurant beherbergte, soll zum                        Tierwürde? Soll man Menschenrechte auf Tiere
Theater umgebaut werden. Bis die Finanzierung steht, wird noch einige                             übertragen? Mit solchen und anderen Fragen be-
Zeit vergehen, aber die Grundsatzentscheidung ist gefällt – eine sehr gute                        schäftigt sich das Doktoratsprogramm ‹Law and
Nachricht für das Theater, das zwar Büros und Probenräume besitzt, aber                           Animals: Ethics at Crossroads› an der Juristi-
für seine Aufführungen stets neue Orte suchen musste. Tempus fugit mit                            schen Fakultät der Universität Basel. Es folgt
seiner schillernden Fülle an Projekten war bislang für viele, die sich in der   Tempus fugit,     damit einem immer stärker werdenden gesell-
Szene nicht so auskennen, wenig greifbar. Mit einer festen Adresse, einer       ‹Vom Fluss –      schaftlichen Bedürfnis nach rechtlicher Regulie-
zentral gelegenen und für Theater ideal geeigneten zumal, wird sich das         und niemand
                                                                                                  rung der Mensch-Tier-Beziehung. Dies betrifft
                                                                                erzählt mehr
wohl ändern.                                                                    von Siddharta›,   Tierversuche ebenso wie die Nahrungsmittelin-
www.nellie-nashorn.de, www.fugit.de                                             Foto: Thomas      dustrie, die Tierhaltung und die Jagd. Die Eröff-
                                                                                Quartier
                                                                                                  nungskonferenz soll einer breiten Öffentlichkeit
                                                                                                  die Fragen, Widersprüche und Kontroversen im
                                                                                                  Zusammenhang mit Tierrechten darlegen. Gary
                                                                                                  Francione, der den Leitgedanken der Konferenz
                                                                                                  formuliert, fordert die radikale Aufhebung des
                                                                                                  Status des Tieres als Besitztum des Menschen.
                                                                                                  Dass Francione dafür den Begriff ‹Abolution›
                                                                                                  (auch ‹Aufhebung der Sklaverei›) verwendet, ist
                                                                                                  wohl weniger Zufall als Programm.
                                                                                                  ‹One Language – Many Voices›: Do 7.3., 19 h, Burghof,
                                                                                                  Lörrach, www.burghof.com
                                                                                                  ‹Animal Law: Reform or Revolution?›: Fr 1.3., 13.30,
                                                                                                  Juristische Fakultät, Uni Basel, Peter Merian Weg 8,
                                                                                                  https://ius.unibas.ch/news/
                                                                                                  ‹Spotlight› stellt ausgewählte englischsprachige
                                                                                                  Veranstaltungen im Raum Basel vor.

14 | ProgrammZeitung | März 2013
Worte und Masken
c h r i s t oph e r z i m m e r

‹Schönmatt›,
Foto: Christian       Theater im Teufel- und im Burghof.                         Poesie ihrer Masken. Ob ‹Teatro Delusio› ein chaplineskes
Reichenbach
                   Die Schauspielerin Anna-Katharina Rickert und der Autor       Spiel mit Träumen und Eitelkeiten hinter den Theater­
                   Ralf Schlatter, seit 2000 gemeinsam auf der Kabarett-Bühne,   kulissen treibt, in ‹Infinita› Riesenbabys den Laufstall und
                   haben ein wundersames Figurenduo ersonnen, in das sie         ulkige Opas ein Altersheim aufmischen oder ein komischer
                   seit ihrem ersten abendfüllenden Programm ‹Eine Liebes-       Reigen um Liebe und Leichen Personal und Gäste im ‹Hotel
                   geschichte› (2003) hineinschlüpfen und mit dem sie 2004       Paradiso› herumscheucht, stets könnte man am Ende
                   prompt den Salzburger Stier gewannen: Katharina Gut,          schwören, die Darstellenden hätten gesprochen, obwohl
                   Matrosentochter aus Hamburg mit Wurzeln im Emmental,          nicht ein Wort gefallen ist. Die Magier dieses stummen
                   und Georg Schön, Metzgerssohn, nie gross aus Grosshöchstet­   Spiels, Familie Flöz, ein Pool von Theaterschaffenden aus
                   ten rausgekommen, dem Nabel ihrer skurrilen Geschich-         zehn Nationen, sind nun mit der Neufassung von ‹Garage
                   tenwelt. Dort nahm die Saga aus dem Emmental ihren liebes­    d’or› zu sehen. Darin folgen drei überforderte Familienväter
                   zarten Beginn auf dem Bahnsteig, spürte 2006 einem            ihrer Sehnsucht nach Freiheit und verlieren sich nicht nur
                   Kamel im neuen Verkehrskreisel nach und wollte 2009 mit       in den Tiefen des Weltraums, sondern auch in den Untiefen
                   Kuh Ida die Viehschau gewinnen, um nun zum vierten            ihrer selbst.
                   Streich ‹Schönmatt› auszuholen (Regie wie stets Roland        Schön & Gut, ‹Schönmatt›: Do 28.2. bis Sa 9.3., 20.30, Teufelhof u S. 41
                   Suter, Ko-Leiter des Teufelhof-Theaters). Diesmal will Herr   Familie Flöz, ‹Garage d’or›: Mo 18.3., 20 h, Burghof Lörrach u S. 34,
                   Schön endlich um die Hand von Frau Gut anhalten, doch         Foto u S. 53
                   die Fusionsgelüste von Grosshöchstetten und Konolfingen
                   stürzen nicht nur die Hauptpersonen in einen Reigen von
                   Liebeswirren.
                      Magier des stummen Spiels. Was Schön & Gut an Fanta-
                   siebildern mit ihrem Wortwitz heraufbeschwören, das ge-
                   lingt Familie Flöz mit der stummen und doch so beredten
                                                                                                                                 März 2013 |   ProgrammZeitung | 15
Die Kraft grenzen-
loser Liebe
i ng o s ta r z

   Die Volksbühne Basel zeigt eine ungewöhnliche Version
   von ‹Romeo und Julia›.
Kultur von und für eine Gesellschaft mit Migrationshinter-
grund blüht: AutorInnen und Theaterhäuser im In- und Aus­
land geben Einblicke in den Umgang mit dem Fremdsein
und den Alltag Zugewanderter. Dabei werden noch häufig
Grenzen zwischen Einheimischen und ‹Anderen› themati-
siert. Die neu gegründete Volksbühne Basel wählt mit ‹Selam
Habibi. Die ganz vorzügliche und höchst beklagenswerte
Geschichte von Romeo und Julia› einen anderen Fokus. Sie
zeigt eine Gesellschaft, in der das Zusammenleben der Kul-
turen Normalität ist. Die Konflikte, die Shakespeares Tragö­                                                                                             Probenbild
die auszeichnen, werden in Hinblick auf Individuum und                 inwiefern Empathie erlernbar ist. Jendreyko begreift die                          zu ‹Selam
                                                                                                                                                         Habibi –
Gruppe betrachtet, ohne dass dabei kulturelle Grenzzie-                Liebe von Romeo und Julia als Veränderung und Aufbruch                            Romeo und
hungen als Erklärungsmuster herhalten müssen.                          und kann im Tod keine Lösung sehen: Ihre Liebenden zieht                          Julia›,
Die Besetzung der Produktion schafft eine aussergewöhn­                es entschieden ins Leben und nicht in die Gruft.                                  Foto: zVg

liche Konstellation. Sie präsentiert einerseits junge, aus                 Eine Volksbühne für Basel. Mit einer Max-Frisch-Per-
dem Projekt ‹fremd?!› hervorgegangene Kräfte, wie Zeynep               formance hatte die Volksbühne Basel im letzten November
Yasar als Julia oder Musa Küsne als Mercutio. Daneben tre-             an der Buch Basel ihren ersten kurzen Auftritt. Das Kollek-
ten Bühnenprofis aus dem deutschsprachigen Raum wie                    tiv speist sich personell und ideell aus dem transkulturel-
Yasin El Harrouk als Romeo, Ferhat Feqî als Julias Vater               len Theater- und Bildungsprojekt ‹fremd?!›, das seit 2006
oder Robert Baranowski als Tybalt auf. Begleitet wird die              das kreative Potenzial junger Leute weckt und nutzt. Mit
Handlung von den Musikern Süleyman Çarnewa, Arjin Haki                 der Volksbühne hat sich nun eine Theaterproduktions­
und Umut Yilmaz. Die Liebesgeschichte wird als grosses                 gemeinschaft formiert. Professionell besetzte Produktio-
Fest in Szene gesetzt. So gerinnt die Idee einer Kulturen              nen und partizipative Projekte spiegeln Lebensgeschichten.
zusammenführenden Gesellschaft zu einem starken Bild,                  Individuelle Erzählungen und Erfahrungsräume sollen in
in dem auch gleich noch das Publikum Platz findet.                     neue und alte Theaterstoffe hineingetragen werden. Nicht
   Ins Leben statt in die Gruft. Anina Jendreyko, die das              Nationalitäten oder Konfessionen sind Gegenstand der thea­
Theaterprojekt initiiert und die Regie übernommen hat,                 tralen Erkundungen, sondern Menschen unterschiedlicher
rückt die gestaltende Kraft der Liebe ins Zentrum ihrer In-            kultureller Prägungen. Die Volksbühne Basel überschrei-
szenierung. Sie möchte, wie sie im Gespräch erklärt, aus               tet Grenzen, weil sie erst gar keine zulässt. Die Vielfalt der
dem erzählerischen Reichtum ihrer DarstellerInnen schöp-               modernen Gesellschaft ist dort anzutreffen. Der kreative
fen. Aus sich heraus sollen sie Position beziehen, ihre Erfah-         Pool um Anina Jendreyko plädiert für eine Theatererfah-
rungen und kulturellen Praktiken in die Rollengestaltung               rung auf Augenhöhe: «Sich im Antlitz des Anderen wieder-
miteinbringen. Das bunt zusammengesetzte Team, das die                 erkennen, emotional angeregt und aufgefordert zu werden,
Realität unserer Gesellschaft widerspiegelt, umgeht so                 sich auseinanderzusetzen mit unserer Gesellschaft oder
gängige Rollenzuweisungen und -klischees, weil es das                  einfach: mit den Menschen, die in Basel leben.»
Drama als Begegnung unterschiedlicher Geschichten auf-                 ‹Selam Habibi – Romeo und Julia›: Mi 6. bis Sa 23.3., Schalandersaal im
fasst. Dabei steht die Frage im Raum, welche persönlichen              Restaurant Altes Warteck, Clarastrasse 59, www.volksbuehne-basel.ch
wie gesellschaftlichen Kräfte die Liebe entfachen kann und

          Flucht & Terror                             Nun zeigt das Dalit Bloch Ensemble seine neue
                                                      Produktion ‹AUSland – Theater über Menschen
                                                                                                               palästinensische Selbstmordattentäterin reisst
                                                                                                               eine gleichaltrige Israelin in den Tod. Später
                dagm a r bru n n e r                  im Aufbruch›. Erzählt werden 4 Fluchtgeschich-           treffen sich die Mütter der beiden zu einem
        Zwei freie Theaterproduktionen.               ten, die auf wahren Begebenheiten beruhen; der           Gespräch und ringen um Versöhnung. Georg
Sie ist seit rund 35 Jahren im freien Theater­        junge Dramatiker Lukas Linder hat die Gesprä-            Darvas, Ko-Leiter des Neuen Theaters am Bahn-
leben Basels präsent, sei es als Schauspielerin,      che mit den Betroffenen ‹fiktionalisiert› und zu         hof und ebenfalls mit Wurzeln in Israel, hat aus
Sprecherin und Moderatorin oder als Regisseu-         einem Bühnenstück verdichtet, das von Entschlos­         der Filmvorlage eine Bühnenfassung erstellt, die
rin, Theaterpädagogin und Körpertherapeutin:          senheit und Sehnsucht, von Heimat, Fremdsein             am tragischen Schicksal dieser vier Frauen den
Dalit Bloch. In Israel geboren, hat sie eine beson-   und tragikomischem Überleben handelt. –                  individuellen Umgang mit einem unlösbar schei-
dere Beziehung zum Nahen Osten und dessen             Im Nahen Osten ist auch das Drama angesiedelt,           nenden Konflikt aufzeigt.
Herausforderungen und entwickelte vor zwei            das im Dokumentarfilm ‹To die in Jerusalem›              ‹AUSland›: bis So 10.3., 20 h (So 18 h), Theaterfalle,
Jahren mit dem Arab-Hebrew-Theatre in Jaffa           von Hilla Medalia geschildert wird: Eine junge           Dornacherstr. 192, Gundeldingerfeld, sowie Ende Mai
das Stück ‹Yalla!› mit arabisch-palästinensischen                                                              im Neuen Theater am Bahnhof, Arlesheim

und jüdisch-israelischen Jugendlichen, das auch                                                                ‹To die in Jerusalem›: Sa 2. bis So 17.3., Neues Theater
                                                                                                               am Bahnhof, Stollenrain 17, Arlesheim u S. 52
in Basel gastierte.

16 | ProgrammZeitung | März 2013
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