PROGRAMMZEITUNG KULTUR IMRAUMBASEL - MENSCHEN, HÄUSER, ORTE, DATEN
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Menschen, Häuser, Orte, Daten ProgrammZeitung CHF 8.00 | EUR 6.50 März 2013 | Nr. 282 Kultur im Raum Basel Tangofieber, Modefrühling, Kunstkino
AnzeigeProgramm_Basel2013_Anzeige Basel 16.1.2006 13.02.13 14:19 Seite 8. I K O N E N Ve r k a u f s a u s s t e l l u n g 15. – 18. März 2013 AM HEUBERG 24, BS Telefon 079 – 767 66 61 Täglich 11 Uhr – 19 Uhr Fr & Mo 17 Uhr Führung München eine gemeinsame Ausstellung Museum für Kommunikation www.mfk.ch | Naturhistorisches Museum Bern www.nmbe.ch
Kosmopolitisch und kreativ dagm a r bru n n e r Editorial. Sie hat ein sperriges Format, einen anspruchs- vollen Inhalt und sei «rein publizistisch ein Wahnsinn», schrieb ‹Die Tageszeitung› (taz) und meinte damit ein Medi- um, das demnächst sein 25-jähriges Bestehen feiern kann: ‹Lettre International›. Just bei der Berliner ‹taz›, die er 1979 mitbegründet hatte, war Frank Berberich tätig, bevor er sich 1988 entschloss, eine deutsche Ausgabe von ‹Lettre› ins Leben zu rufen – und damit ein markantes Zeichen zu set- zen für ein freies Geistesleben über alle nationalen, sprach- lichen und kulturellen Grenzen hinweg. Das Konzept zu diesem Forum stammte vom Tschechen Antonin J. Liehm, der 1984 in Paris die erste französische Edition herausgab und (eigenverantwortliche) Ableger in andern Ländern plante. Die Zeit war reif dafür im damals noch politisch ge- trennten Europa, und so entstanden in enger Kooperation weitere Ausgaben zunächst in Italien und Spanien, später auch in etlichen osteuropäischen Ländern und Dänemark. Heute sind insgesamt sechs Redaktionen aktiv, im Osten nurmehr in Rumänien und Ungarn. International, interdisziplinär und unabhängig – eine Herausforderung, der sich Frank Berberich mit Herzblut, Sachverstand und grossem Erfolg stellte. Denn ‹Europas Frank Berberich, Kulturzeitung›, wie sich die deutsche ‹Lettre› im Untertitel Deutschlands. Diese Weltoffenheit habe der Zeitschrift ge- ‹Lettre selbstbewusst nennt, galt schon bald und ist bis heute eine holfen, «dem eigenen kulturellen Provinzialismus entge- International›, publizistische Perle und wurde auch mehrfach ausgezeich- genzuwirken» und «sich mit den Augen anderer zu sehen», Berlin, 1990er- Jahre, net. Viermal jährlich erscheint das Magazin, mit inspirie- wie Berberich festhält. Zum Frühlingsanfang und 25. Ge- Foto: zVg rendem Lese- und Bildstoff, der mindestens bis zur nächs- burtstag wird nun das 100. Heft publiziert – eine ‹Goldene ten Ausgabe reicht. Die mitwirkenden Wort- und Kunst- Nummer› mit je 50 Text- und Bildbeiträgen von renommier- schaffenden in aller Welt gehören zur Topliga heutiger ten Kulturschaffenden, die das vergangene Vierteljahrhun- Intellektueller, die sich kompetent, engagiert und nach- dert aus ihrer Optik Revue passieren lassen: vom Ende des haltig zu Zeitfragen und zum Weltgeschehen äussern. Kommunismus bis zur digitalen Revolution. Eine Gelegen- Dabei kommt auch die Poesie nicht zu kurz, denn ‹Lettre› heit, in die jüngste Vergangenheit einzutauschen – um hat einen journalistisch-literarischen Anspruch und bietet Veränderungen zu erkennen und die Gegenwart vielleicht Platz für alle möglichen Textsorten. besser zu verstehen. Es ist klar, dass ein solches Medium nur existieren kann Lettre International Nr. 100 erscheint am Do 21.3., 180 S., dank einem grossen Netzwerk, das intensiv und freund- Format 27 x 37 cm, CHF 23, erhältlich an Kiosken und in Buchhandlungen schaftlich gepflegt werden muss. Etwa 3’000 Artikel hat oder bei www.lettre.de ‹Lettre› seit 1988 veröffentlicht, zu 80 Prozent stammen sie von Schreibenden aus etwa hundert Ländern ausserhalb Hauskultur de› aktiv, und junge Kreative lancierten für ih- resgleichen das ‹Quottom›. Last but not least Raum Basel vorstellt (S. 14). Als deutschsprachi- ge Zeitschrift sind wir kein Medium für die hiesi- db. Im kulturellen Blätterwald rauscht’s, es wird laufen auch in Winterthur Vorbereitungen für gen ‹Expats›, aber als Kulturinteressierte möch- gefeiert: Die ‹New York Review of Books› (eines ein neues Kulturmagazin namens ‹Coucou›, das ten wir zu Begegnungen mit solchen beitragen. der wichtigsten literarisch-intellektuellen Maga- vielleicht sogar von der Stadt unterstützt wird. Anlässlich der beiden Messen Natur und Blick- zine in englischer Sprache) wurde 50 – und wird Nun haben wir ja schon etliche Medien-Neu- fang (S. 20) erscheint dieses Heft in höherer Auf- noch immer vom selben Herausgeber betreut, gründungen, aber auch -Schiffbrüche erlebt. lage und wird dort ausliegen. Gerne verweisen ebenso die deutsche Ausgabe von ‹Lettre Inter- Samuel Becketts lakonischer Ratschlag ‹Wieder wir in diesem Zusammenhang darauf, dass die national›, die auf 25 Jahre zurückblickt (s. Edito- versuchen / Wieder scheitern / Besser scheitern›, ProgrammZeitung auf Werbeeinnahmen (etwa rial). Und auch hierzulande gab oder gibt es An- lässt sich auch in andern Lebensbereichen be- Beilagen) angewiesen ist. Dies bedingt den Ver- lass zum Anstossen: Das Luzerner Kulturmagazin herzigen ... sand in einer Folie, deren Umwelt- und Sozial- ‹041› wird heuer 25 (wir kommen darauf zurück), Als neue Lektüre empfehlen wir in diesem Heft verträglichkeit wir mit unserer Druckerei konti- das Berner ‹ensuite› mit seinem unverwüstlichen die Kolumne ‹Spotlight› von Franziska Mazi, die nuierlich überprüfen. Genauere Informationen Gründer behauptet sich seit 10 Jahren, für Zü- mit der letzten Ausgabe startete und jeweils aus- können wir Ihnen bei Bedarf gerne zustellen. rich und das Limmattal ist seit kurzem ‹Escapa- gewählte englischsprachige Veranstaltungen im März 2013 | ProgrammZeitung | 3
Malerei Jeden Montag drei Ausgeh-Tipps der und ProgrammZeitung im ‹KulturKlick› auf: Kunst Studium Anmeldung begonnen Online-Aktualitäten aus Politik, Wirtschaft, Kultur, Gesellschaft und Ökologie. www.neuekunstschule.ch www.onlinereports.ch Das Basler News-Portal neuekunstschule Birsstr.16 4052 Basel 061 311 41 40 B I N N I N G E N ENLIGHTED w w w . b i n n i n g e n - e n l i g h t e d . c h Info-Veranstaltung MAS Arts Management DAS Fundraising Management Dienstag, 16. April 2013 Restaurant Au Premier im Hauptbahnhof Zürich ZHAW School of Management and Law – 8400 Winterthur Zentrum für Kulturmanagement – Telefon +41 58 934 78 54 www.zkm.zhaw.ch Building Competence. Crossing Borders. Zürcher Fachhochschule
Cornelia Huber ‹GrenzFall›, Inhalt Redaktion Ackermannshof u S. 11, 42 Produktionsstill 7–25 26–52 Kulturszene 53–82 Agenda 83 Impressum 83 Kurse 84 Ausstellungen 85 Museen 86 Bars & Cafés 86 Essen & Trinken 87 Kultursplitter Die ProgrammZeitung Verlags AG ist unabgängig und wird von rund 70 Aktionärinnen und Aktionären getragen. Sie finanziert sich ausschliesslich aus Aboerträgen und Werbeeinnahmen, erhält keine Subventionen und ist als Cover: Tango Schule Basel, Cécile Sidler gemeinnützige Institution anerkannt. und Romeo Orsini, Foto: Arsène Saheurs u S. 11, 34
CHRONOS MOVEMENT Kunst und Kunsttherapie TANZ- uND BE WEguNgSSTuDIO Besseres Sehen für Kurse Fortbildungen Seminar BEWEguNg ERlEBEN Fortgeschrittene. Balancing alignment® Ballett Body Discovery Plastizieren Modern Jazz Basic & - Training Kopfmodellieren Company Class CSDE Steinbildhauen Contemporary Dancing Yoga & Butoh Naturgestaltung Sanftes Rückentraining Kreativer Kindertanz Picasso Platz 4 4052 Basel Kursbeginn Franklin Methode® 60+ ab April 2013 T +41 61 271 57 27 F +41 61 271 57 28 Movement Skills th@optometriezentrum.ch Elisabethenstrasse 22 4051 Basel Tel. 061 272 69 60 Auskunft: www.atelier-wernerkleiber.ch www.optometriezentrum.ch W W W.CH RONOSMOV E M E NT.CH Werner Kleiber Schachenstrasse 15 6030 Ebikon Inserat-ProZ-2013-1-wo.indd 1 15.02.13 09:34 LESBISCH-SCHWULE KULTUR IN BAS EL www.gaybasel.ch BasEl Earl Thomas, GEorG BEsuchT WEil am sTrinG-TimE- fEsTiVal schroETEr, marc 22.3.2013 BrEiTfEldEr, sharriE Williams, PhiliPP fankhausEr, mz dEE & maurizio PuGno orGan Trio, BoB marGolin mEETs mikE sPonza, lurriE BEll & sam BurckhardT und ViElE mEhr... Vorverkauf: www.ticketcorner.ch / www.eventim.de
Wo ist Heimat? dagm a r bru n n e r Welt-Bilder Das Cinema Querfeld lädt zu interkulturellen Begegnungen ein. Die Gründe, warum Menschen ihre Heimat verlassen, sind vielfältig, aber dagm a r bru n n e r oft wenig erfreulich. Seltener sind es die grosse Liebe und die Abenteuer- Die 18. Filmtage Nord/Süd ‹gobal21›. lust, die sie zum Domizilwechsel verführen als die schiere Not. Doch der Alle zwei Jahre touren die ‹Filmtage Nord/Süd› Weggang führt meist nicht ins Paradies, sondern in Sackgassen oder zu durchs Land, organisiert von ‹Filme für eine ungeahnten neuen Herausforderungen. Welt›, einer Fachstelle der Stiftung ‹éducation21›, Dieser Thematik ist das diesjährige interkulturelle Kinofestival Cinema welche die Bildung für Nachhaltige Entwicklung Querfeld gewidmet. Bereits zum achten Mal haben es verschiedene Vereine (BNE) in der Schweiz fördert. Die Filmtage fin- der Migrationsbevölkerung und der Verein Querfeld ehrenamtlich auf die den in Basel jeweils im Museum der Kulturen Beine gestellt. Die gemeinsame Projektentwicklung und Programmgestal- statt und stellen neue, für Bildungsarbeit und tung erfordert und fördert den Austausch zwischen den Kulturen – mit Er- Unterricht ausgewählte und empfohlene Filme folg, denn das dreitägige, auch kulinarisch reizvolle Festival wird jeweils vor. Diese sollen dazu anregen, Themen «aus gut besucht. Erstmals erhält das Integrationsprojekt in diesem Jahr Unter- ganzheitlicher Optik zu betrachten, vernetzt zu stützung aus einem gemeinsamen Förderprogramm von Migros-Kulturpro- denken, Verantwortung für eine nachhaltige zent und der Eidgenössischen Kommission für Migrationsfragen. Entwicklung zu übernehmen und couragiert zu Bleiben oder Gehen? Gezeigt werden diesmal acht Dokumentar- und handeln», wie es in der Selbstdefinition heisst. Spielfilme aus Europa, dem Nahen Osten, den USA und Lateinamerika, An zwei Abenden sind elf Filme zu sehen, neun immer in Originalsprache und (mit einer Ausnahme) mit deutschen Unter- davon sind Dokumentarfilme, die sich schwer- titeln. Sie erzählen unter dem Titel ‹Bleiben oder Gehen ...› auf ganz unter- punktmässig mit dem Thema Abfall sowie mit schiedliche Weise von Aufbruch, Hoffnung und Enttäuschung und geben den Folgen und Perspektiven globalisierter Wirt- so Einblick in existenzielle Lebenssituationen und -fragen, die uns letztlich schaft befassen. Den Auftakt macht ‹Zartbitter› alle betreffen. von Angela Spörri (Gewinnerin Basler Filmpreis Drei der Filme beleuchten Schweizer Geschichte(n): Der Regisseur Yusuf Zoom 2012), der einem Anbauprojekt von Bio- Yesilöz etwa porträtiert drei Ehepaare aus der Türkei und dem Balkan, die Kakao in Ghana gewidmet ist. In den weiteren seit rund 40 Jahren in der Schweiz leben und eigentlich immer in ihre Hei- Filmen geht es um Lebensmittelverschwendung, mat zurückkehren wollten, die ihnen nun fremd geworden ist. In einem die Problematik von Elektroschrott-Recycling, Langzeitprojekt dokumentiert Christoph Müller, wie es einem Schwei- um kreative Wiederverwertung von Müll und zer Schnapsbrenner als Auswanderer in der Dominikanischen Republik abfallsammelnde Kinder, um die lange Reise von erging, und Alvaro Bizzarri, der in den Fünfzigerjahren selbst als ‹Gast Second Hand-Kleidern und die Billigkonkurrenz arbeiter› in die Schweiz gekommen war, schildert die oft unmenschlichen für handgenähte Fussbälle, um den Ausverkauf Lebensbedingungen der italienischen ‹Saisonniers›. Zu den fünf weiteren landwirtschaftlicher Nutzflächen und die Schul- Filmen gehören Aki Kaurismäkis so aktuelles wie märchenhaftes Flücht- denfalle. Dazu gibt’s einen Kinder-Spielfilm, der lingsdrama ‹Le Havre› und Charlie Chaplins Stummfilm ‹The Immigrant› in den Slums von Nairobi gedreht wurde und sowie berührende Geschichten aus Äthiopien bzw. Israel, Bulgarien und einen kurzen Animationsfilm zum Verzicht auf Kuba. Die Filme werden von Gesprächen mit Kulturschaffenden und feiner Flaschenwasser. Filmstill Kost aus aller Welt ergänzt. 18. Filmtage Nord/Süd ‹global21›: Mi 13. und Do 14.3., aus ‹Familie 8. Kinofestival Cinema Querfeld: Fr 15. bis So 17.3., Querfeld-Halle, Gundeldinger Feld, 17.30–21 h, Museum der Kulturen, Basel, Feierabend›, Dornacherstr. 192, www.querfeld-basel.ch. Fr ab 18 h, Sa ab 17 h, So ab 10 h u S. 43 Infos: www.filmeeinewelt.ch, www.education21.ch Cinema Ausserdem: 27. Festival International de Films de Fribourg, FIFF: Sa 16. bis Sa 23.3., www.fiff.ch Querfeld März 2013 | ProgrammZeitung | 7
Che bel paese … !? a l f r e d s c h l i e nge r Silvio Soldinis sur(-)reale Filmkomödie ‹Il comandante e la cigogna›. Leo hat es nicht gerade leicht. Die attraktive Frau ist ihm weggestorben, mit seiner kleinen Sanitärbude hält er sich knapp über Wasser, und zu Hause wollen die Teenies Elia und Maddalena versorgt sein. Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, ist seine tägliche Herausforderung als allein erziehender Vater. Aber wenn es nur das wäre. Elia entpuppt sich als Schul- versager und beschäftigt sich lieber mit versponnen philosophischen Fra- gen und der heimlichen Aufzucht eines Storches als mit Hausaufgaben. Endgültig ist der Teufel los, als Maddalenas schweinischer Freund sie hin- terrücks beim Blowjob filmt und das Video ins Internet stellt. Che casino! Regisseur Silvio Soldini entwirft mit wenigen Strichen eine turbulente Pro- Beziehungszügelei blemlandschaft über diese Kleinfamilie hinaus, alltagsgesättigt, skurril, satirisch, poetisch – und sehr italienisch. a l f r e d s c h l i e nge r Beim schmierig korrupten Anwalt Malaffano (Luca Zingaretti), einer herr- Spielfilm ‹3 Zimmer/Küche/Bad›. lichen Berlusconi-Karikatur, bündeln sich die verschiedenen Handlungs- Die Grundidee ist bestechend: ein Generationen- stränge. Hier lernt Leo (Valerio Mastandrea) die glücklose Künstlerin gefühl einfangen im Zügelverhalten der Figuren. Diana (Jungstar Alba Rohrwacher) kennen – und, wir wollen’s nicht ver- Beziehungen und Kisten im dauernden Umzug. schweigen, nach weiteren Verwicklungen auch lieben. So viel Trost muss Von der WG ins Pärchen(un)glück und zurück, sein angesichts der desolaten Verhältnisse im einstigen Bel Paese. vom Süden Deutschlands ins hippe Berlin, aus Überlebenskünstler. Soldini lässt ironisch überhöht seine ganze Wut auf dem Familiennest zum Punkerfreund. Da tum- die Berlusconisierung aller Lebensbereiche seiner Heimat, aber auch seine melt sich ein gutes Dutzend Personen in ver- ganze unerschütterliche Liebe zu diesem verwirrten Land in seinen Film schiedenen (und wechselnden) Konstellationen, einfliessen. Ein Land, in dem jeder jeden abzockt, wo man beim kleins- so dass man in den schnellen Schnitten anfäng- ten Parkplatzstreit sofort heftig ausflippt, wo aber diese einfachen Über- lich fast den Überblick verliert. Als Zentrum lebenskünstler beim verzweifelten Tricksen auch schrecklich liebenswert schälen sich drei Geschwister heraus (Jacob sind. Umwerfend sympathisch gibt Valerio Mastandrea diesen immer leicht Matschenz, Katharina Spiering, Amelie Kiefer), überforderten Leo. Er spart sich jede Überzeichnung und wirkt gerade die auf je eigene Art Orientierung im ständigen dadurch als Seele des Films. Wechsel suchen. Und im Kontrast dazu ihre ‹Il comandante e la cigogna› spielt im heutigen Turin und enthält auch eine Eltern (Corinna Harfouch und Hans-Heinrich eigenwillige Expedition in die Schweiz. Ganz so leichtfüssig wie sein Welt- Hardt), die zusammengeblieben sind, obwohl erfolg ‹Pani e tulipani› ist Soldinis jüngstes Werk aber nicht gelungen. Ein- ihre Ehe seit 19 Jahren tot ist. Und die nun, als zelne Pointen bleiben bleischwer am Boden. Und auch die Idee, die Statuen die Jüngste flügge wird, ihren Kindern eine von Garibaldi, da Vinci, Leopardi und anderen Heroen, die so viele Plätze wahre Weihnachtsüberraschung bereiten. Italiens schmücken, über ihre Heimat räsonieren zu lassen, wirkt eher be- Der Film von Dietrich Brüggemann lebt von tulich. Wir hätten’s auch ohne steinerne Zeugen begriffen. Dennoch weht knappen und witzigen Dialogen, hübsch lakoni- ein frecher, schräger Wind durch diesen Film, der Alltag, Satire und Poesie schen Szenen mit einigem Wiedererkennungs erfrischend verbindet. Filmstill aus effekt (hinter dem bekanntlich immer auch das Der Film läuft ab Mitte März in einem der Kultkinos u S. 44 ‹Il comandante e la cigogna› Klischee droht) und von der Vielfalt der Tempe- ramente, von verschnarcht bis überdreht. Man schaut dem frischen Treiben gerne zu. Und doch schleicht sich in der zweiten Hälfte ein Gefühl der Überlänge ein. Das hängt auch damit zusam- men, dass die dramaturgische Konstruktion die Figuren immer mehr zu überlagern beginnt und in ihrem Eigenleben hemmt. Wenn schliesslich zwei, die eben noch das Bett geteilt haben, urplötzlich herausfinden, dass sie den gleichen, nie gesehenen Vater haben, werden die Zufällig- keiten des Daseins doch etwas arg strapaziert. Das Leben aber bleibt ein ständiger Umzug. Es kommt einfach mal die Zeit, wo man dafür ein professionelles Unternehmen engagiert. Der Film läuft ab Do 14.3. in einem der Kultkinos. Filmstill aus ‹3 Zimmer/Küche/Bad/› 8 | ProgrammZeitung | März 2013
Du musst dein Leben ändern a l f r e d s c h l i e nge r Filmstill aus Mit ‹Nachtzug nach Lissabon› kommt die Verfilmung Gedeck als portugiesische Augenärztin darf wenigstens ‹Nachtzug nach des Weltbestsellers mit Starbesetzung ins Kino. etwas südlichen Akzent in ihr Englisch mischen, während Lissabon› Millionen haben den Roman gelesen und geliebt. Schon der Bruno Ganz als Prados Studienfreund heftig chargierend Titel hat einen magischen Klang, evoziert Aufbruch, Fern- durch Lissabons nächtliche Gassen torkelt. Und wer will weh, lusitanisches Licht. Bis heute ist die Geschichte des noch Charlotte Ramplings ewig gleichen Bittermund sehen, langjährigen Berner Lateinlehrers Raimund Gregorius, der den sie diesmal Prados Schwester leiht? auf der Suche nach dem bisher ungelebten Leben nach Lissa Gepflegte Äusserlichkeiten. Am verhängnisvollsten aber bon und tief in die brutale Vergangenheit der Salazar-Dik- wirkt sich aus, dass die vielschichtige innere Gedankenwelt tatur gerät, in 32 Sprachen übersetzt worden. Prados, die Bieri dem ‹Goldschmied der Worte› in den Mund Eigentlich erzählt der Welterfolg ‹Nachtzug nach Lissabon› legt, zu kleinen, bebilderten Häppchen verbraten wird. Die den alten Traum von einem Buch, das unser Leben verän- grossen existenziellen Fragen schrumpfen zu kurzatmigem dert. Denn was den Altphilologen so unwiderstehlich nach Sentenzengeklingel, zu Konfirmationssprüchen mit hübsch Portugal lockt, ist das dünne Büchlein ‹Um ourives das pala fotografiertem Hintergrund. Es gibt eine Szene, in der das vras› (Ein Goldschmied der Worte), das ihm unversehens in nicht der Fall ist, Prados Abitur-Rede, die mutig mit Kirche, die Finger gerät und ihn nicht mehr loslässt. Geschrieben Religion und Diktatur abrechnet. Da werden Emotion und und nach dem Ende der Salazar-Diktatur veröffentlicht hat Gedankenschärfe, gesellschaftliche Konvention und Rebel- es der Arzt und Philosoph Amadeu Inacio de Almeida lion klug gebündelt. An anderen Stellen verrät eine plumpe Prado, auf dessen Spuren sich Gregorius nun begibt. Der Anschaulichkeit den lebenslangen inneren Schmerz der meistzitierte Satz des Bändchens hat es in sich: «Wenn es so Figuren, etwa dort, wo dem klavierspielenden Jugend- ist, dass wir nur einen kleinen Teil von dem leben können, freund Prados, den Gregorius im Altersasyl besucht, von was in uns ist – was geschieht mit dem Rest?» Salazars Geheimdienstknechten in einer Rückblende die Marketing erzeugt keine Kunst. Die gute Nachricht ist: Hände zerschlagen werden. Millionen werden sich auf die Verfilmung dieses wichtigen Regisseur Bille August, Cannes-Sieger und Oscar-Preis Romans des Philosophen und Autors Peter Bieri (alias Pas- träger (für ‹Pelle, der Eroberer›) und eigentlich geübt in cal Mercier) freuen. Die schlechte Nachricht: Wenn man Literaturverfilmungen (‹Das Geisterhaus›, ‹Fräulein Smillas sich nicht entsprechend wappnet, wird der Film zur gros- Gespür für Schnee›) verliert sich diesmal im Äusserlichen. sen Enttäuschung. Das hat mehrere Gründe, und sie liegen Gepflegtes Sightseeing, vier Schnitte, und wir haben Lissa- definitiv nicht im ewigen (und falschen) Klischee-Vergleich, bon von seinen attraktivsten Seiten gesehen, eine Prise dass ein Film gegen das Buch nur verlieren kann. romantischen Kitsch beim Candle-Light-Dinner über den Die erste Schutzhaut muss man sich schon überziehen, weil Dächern der weissen Stadt, eine schwülstige musikalische alle Figuren, von den Berner GymnasiastInnen bis zu den Untermalung – dieser Film wird kein Leben verändern. Er portugiesischen Salazar-Schergen, englisch sprechen. Das legt eher die Schwächen der überkonstruierten Vorlage raubt dem Film Atmosphäre und Authentizität. Das zweite bloss. Wer Bieris Bewusstseinskrimi auf der Suche nach Handicap ist die internationale Starbesetzung. Marketing dem anderen Leben gelesen hat, wird dennoch neugierig erzeugt keine Kunst. Der elegante Jeremy Irons überan- sein. Und das ist gut so. Man hat ja im Kino zum Vergleich strengt sich redlich, als Gregorius so trottelig zu wirken, auch noch den eigenen Film im Kopf. wie er sich einen Berner Altphilologen vorstellt. Martina Der Film läuft ab Do 7.3. in einem der Kultkinos. März 2013 | ProgrammZeitung | 9
Neue Chancen für Freiburg m ic h a e l b a a s chor – auch in der Spitze nach wie vor eine beachtliche Breite. Möglicherweise also birgt der Verlust Chancen für andere(s) – zumal es bei der klassischen Musik um ein Genre geht, dessen Publikum da und dort auch Erosions erscheinungen zeigt und es Freiburg keineswegs an reprä- sentativer Kultur fehlt, im Gegenteil: Das Stadttheater absorbiert vergleichsweise viele Ressourcen genau dafür. Kultur- statt Konzerthaus. Die Entwicklung hat zumin- dest noch eine zweite Seite. Ein Rückblick in die jüngere Freiburger Geschichte offenbart parallel zur Inbetriebnah- me des Konzerthauses 1996, um dessen Nutzung und Aus- lastung es beim SWR-Orchester von vornherein auch ging und geht, den schleichenden Niedergang anderer Genres: Die bis in die Neunzigerjahre rege Film- und Videoszene hat fast alle Dynamik verloren. Ähnliches gilt für die Tanz-, ja die freie Szene insgesamt. Selbst in der populären Musik, im Pop, Rock, auch im Jazz sind die Optionen der ‹Musik- stadt› eher dünn. Freiburg war nie eine breit aufgestellte Musikstadt, sondern eher eine der klassischen Musik. Das Konzerthaus Rad kann und muss nicht zurückgedreht werden, aber Freiburg Freiburgs ‹Orchesterverlust› könnte auch eine durch den SWR-Entscheid erzwungene Nachjustie- (Ausschnitt), Foto: Daniel ein Gewinn sein. rung könnte, stimmig angepackt, durchaus Spannenderes Schoenen Das SWR-Orchester Freiburg/Baden-Baden ist ein Auslauf- stimulieren: Schliesslich ist die Stadt jung. modell, und auch als Standort des fusionierten SWR- Allein das Konzerthaus hat ein Problem. Dieses wird mit Orchesters hatte Freiburg keinen Stich, der Klangkörper dem Ende des alten SWR-Orchesters zur eigentlichen Bau- soll von 2016 an in Stuttgart residieren. Doch was bedeutet stelle; selbst wenn das Fusionierte dort nach 2016 weiter das mit etwas Distanz für Freiburg, wo manche nach wie auftreten wird, ist sein Charakter als weitgehend profillose vor von einer Bewerbung als ‹Europäische Kulturhaupt- Abspielstation im Tournee-Tingeltangel endgültig nicht stadt› träumen? Ist das tatsächlich «der Niedergang der mehr zu kaschieren. Aber auch da gibt’s Ideen: Eine Inten- Musikstadt», wie ihn die Kulturliste im Gemeinderat in der danz und bessere Etats für einzelne Sparten, forderte etwa ersten Betroffenheit Ende 2012 an die Wand malte? die Kulturliste. Der Lörracher Burghof oder die Kaserne In der Tat ist Musik, vor allem klassische, elementar im kul- Basel lassen grüssen: In dieser Spur wäre ein – dann eher turellen Selbstverständnis Freiburgs. Dieses aber einzig an – Kulturhaus, das sich z.B. auch zeitgenössischem Tanz einem auf repräsentative Kultur fixierten Orchester festzu- widmet, allemal ein Gewinn, vielleicht nicht primär für die machen, bleibt gleichwohl eindimensional. Gibt es doch mit Musik-, aber bestimmt für die Kulturstadt Freiburg. Philharmonischem Orchester, Barockorchester, Ensemble www.swr.de Recherche und einigen Chören – vom Barock- bis zum Jazz- Stimmen-Vielfalt Eine eigenwillige Grenzgängerin zwischen Volks musik und Avantgarde-Jazz ist auch die US-hel- treten sie wie immer bewusst altmodisch in Knickerbockern, Hosenträgern und Cordjacken dagm a r bru n n e r vetische Sängerin, Akkordeonistin und Enter auf und taufen ihre zweite CD. – Spezielle Gesangs-Abende. tainerin Erika Stucky, die erst kürzlich mit Sina Armenische Kunstlieder aus den letzten 300 Jah- Was einen erwartet, wenn Christoph Marthaler in Basel aufgetreten ist. Nun kommt sie erneut ren und persische Poesie aus einem Jahrtausend Regie führt, bleibt stets bis zur Premiere ein für ein Konzert und spielt mit dem Musiker und werden in einem Konzert am Karfreitag zu Ge- Geheimnis. So ist es auch bei der als ‹Lieder- Sounddesigner Knut Jensen ‹Ping Pong›, eine hör gebracht. Der Tenor und Komponist Masis abend› angekündigten Produktion ‹King Size›, Weiterentwicklung ihres Soloprogramms ‹Suici- Arakelian und der Pianist Symeon Ioannidis deren Uraufführung am Tag der Frau geplant ist dal Yodels› – mit Mini-Akkordeon, Ukulele und gestalten den Abend, der von Heimatlosigkeit, und von vielseitigen, erprobten Gefährten des Laptop; dazu vertont das Duo live Trash-Super Liebe, Vergänglichkeit und Wiedergeburt erzählt. Zürcher Theatermannes bestritten wird: dem 8-Filme. – ‹King Size›: ab Fr 8.3., 20 h, Theater Basel, Dirigenten Bendix Dethleffsen, der Sängerin Vor fünf Jahren formierten sich die Männer Kleine Bühne u S. 40 Tora Augestad und dem Sänger Michael von der stimmen Basel, die sich inzwischen zum inter ‹Ping Pong› mit Stucky und Jensen: Fr 8.3., 20 h, Heide, die u.a. in ‹Eine faire Dame› mitgewirkt national preisgekrönten Chor entwickelt haben. Gare du Nord u S. 33, Foto u S. 26 haben. Im Zentrum steht das Areal der Nacht Viele der Mitglieder entstammen der Knaben- Männerstimmen Basel, CD-Taufe: Fr 22.3., 20 h, ruhe mit einer Schlafstätte im King Size-Format, kantorei und sind breit interessierte Sänger, die Bar du Nord u S. 33 wo sich wundersame zwischenmenschliche Ver- mühelos sowohl Renaissance- wie zeitgenössi- Armenische Kunstlieder: Fr 29.3., 20 h, H95 Raum für Kultur, Horburgstrasse 95 wandlungen ereignen. – sche Schweizer Chorliteratur erarbeiten. Nun 10 | ProgrammZeitung | März 2013
Tango in seiner ganzen Vielfalt c h r i s t oph e r z i m m e r Ohne Grenzen dagm a r bru n n e r Musik, Bewegung, Experimente. Etwa alle zwei Jahre meldet sich Cornelia Salome Huber mit einer neuen Produktion, die in keine Schublade passt. Die Basler Künstlerin tanzt, singt, komponiert, forscht, schreibt, ge- staltet und performt alleine und mit Kolleg Innen, die ebenso vielseitig und experimentier- freudig Grenzen ausloten, überschreiten und zu andern Sehweisen einladen. Der Titel ihres neuen Stücks heisst denn auch ‹GrenzFall›, und versprochen wird ein unter haltsamer «raumgreifender Liederabend, der das Herz berührt, die Gedanken bewegt und zu neuen Horizonten entführt». Im Zentrum stehen zwölf eigene Kompositionen zum Thema Gren- zen, die Huber am Klavier und mit ihrer Stimme entwickelt hat. Mit dem Perkussionisten Sebas tian Apert, dem Pianisten Gabriel Walter und Cécile Sidler Die Tango Schule Basel macht Ostern zur Jubiläums-Milonga. und Romeo dem Raum-und Lichttechniker Heini Weber ver- Das Tangofieber hat Basel schon lange erfasst. Kaum ein Ort, den die Aficio Orsini, dichtet sie ihre Erkenntnisse und Erfahrungen nados und Liebhaberinnen des Tango Argentino nicht erobert haben. Es Foto: Marike zu einem vielschichtigen Spiel mit verschiede- Gwind gibt Vollmond-Tango im Volkshaus, Tango Sensacion im Gare du Nord, Tango nen Elementen; der Schlagzeuger Fritz Hauser Rouge im Union, Milongas in der Mitte und der Mägd, im Tanzpalast im wirkte beratend mit. – Gundeli, sommers auch auf dem Gellertgut oder dem Petersplatz – und das ‹Klassische› Konzerte aller Epochen einem jun- ist nur eine bescheidene Auswahl. gen Publikum zugänglich zu machen – und zwar Epizentrum dieser Leidenschaft ist seit 25 Jahren die Tango Schule Basel: in unkonventioneller Umgebung –, das möchte ein stetig brodelnder Vulkan, der alljährlich ausbricht, wenn zum inter die ‹Klassikkuppel›. In ihrer dritten Ausgabe nationalen Festival ‹OsterTango› geladen wird, das ein breites tanzfreudi- bringt sie ausgewählte Sinfonie-Werke zu Gehör, ges Publikum anzieht. Denn längst ist dieser Termin kein Geheimtipp mehr, die von jungen Profis gespielt werden. Einer der sondern festes Date in den Agenden der Infizierten von nah und fern. Trei- fünf Konzerttage ist speziell Schulklassen und bende Kraft hinter dieser Bewegung (im wahrsten Sinne des Wortes) ist Leuten in Ausbildung gewidmet. – Cécile Sidler, die selber vom Tangofieber befallen wurde, als sie zum ersten Viele Menschen in Basel interessieren sich für Mal die Musik von Astor Piazzolla hörte. Was folgte, ist Basler Tango- afrikanische Kultur. Nun haben sich fünf Grup- Geschichte: 1984 gab sie die ersten Tangokurse in Basel, seit 1988 leitet sie, pen, die in der Region afrikanischen Tanz, gemeinsam mit ihrem Tanz- und Lebenspartner Romeo Orsini, die Tango Gesang oder Musik unterschiedlicher Prägung Schule Basel, und begründete mit diesem 2000 das Oster-Tango-Festival – betreiben, unter dem Label ‹BâleAfrikArt› zu- ermutigt von Gustavo Naveira, der mit ihr seit 1995 Kurse in Basel gibt. sammengeschlossen. Die Mitwirkenden stam- Lebendige Kunstform. Dieser und andere Weggefährten der ersten Stun- men aus verschiedenen Herkunftsländern und den und ihre TanzpartnerInnen dürfen deshalb auch nicht fehlen, wenn bei laden zu abwechslungsreichen, stimmungsvol- der 14. Ausgabe des Oster-Tangos das Jubiläum der Schule gefeiert wird: len Veranstaltungen ein. Geplant sind auch Kon- mit einer Eröffnung, an der u.a. Kunst-Tangovideos zu sehen sind, mit zerte und Darbietungen mit Gästen aus Afrika Konzert (Carla Pugliese, die ihr neues Album ‹Milonga Sola› präsentiert) sowie ein langfristiger kultureller Austausch. und Shows (‹Historia de Tango› und das witzige ‹Los Abuelitos/Die Gross ‹GrenzFall› mit Cornelia Huber: Sa 9. bis Do 21.3., 19.30, eltern›), mit Jubiläums-Party und nicht endenden Milongas sowie einem Druckerei im Ackermannshof u S. 42, Foto u S. 5 wie immer reichen Angebot an Kursen und Seminaren. Festivalzentrum ist Klassikkuppel: So 17. bis Do 21.3., Kuppel u S. 52, das Volkshaus, zum Ausklang geht’s ins Unternehmen Mitte. www.klassikkuppel.ch Der Grundgedanke dieses Anlasses ist bis heute derselbe geblieben: Tango ‹BâleAfrikArt›: Sa 23.3. und Sa 22.6., 20 h, Fakt, in seiner ganzen Vielfalt zu zeigen – und den Gästen Gelegenheit zu geben, Viaduktstr. 10, www.F-A-K-T.ch neue Entwicklungsrichtungen kennenzulernen, Tango als lebendige, nicht in der Tradition verharrende Kunstform zu erleben. Als Dialog mit dem Gegenüber, als ein Spiel mit Provokation und Drama, Hingabe und Wider- stand, ein intimes Tanztheater, das, wie Cécile Sidler in einem Interview sagte, aus zwei Menschen «ein Herz auf vier Beinen» macht. ‹14. OsterTango›: Do 28.3. bis Mo 1.4., Volkshaus, www.tangobasel.ch u S. 43 März 2013 | ProgrammZeitung | 11
Radikales Musikrennen r a ph a e l z e h n de r Sounds & Poetry Das ‹Radicalis Music Race› tourt durchs Land. In Zeiten des kulturellen Grossangebots muss man sich etwas einfallen dagm a r bru n n e r lassen. Und manchen fällt wirklich etwas ein. Zum Beispiel das ‹Radicalis Rock belebt Stadt und Land. Music Race›. Dominic Stämpfli vom Radicalis Music Management in Aesch Seit seiner Erstausgabe 1997 hat es sich zu einem arbeitet seit drei Jahren vollberuflich und Dominic Oehen teilzeitlich mit prächtig krachenden Grossanlass entwickelt, mehr als zwei Dutzend Bands: Management, Booking, Promotion, Label, das Basler Clubfestival ‹BScene›, das vielfältig Produktion von Veranstaltungen – die ganze Dienstleistungspalette. Einblick in die regionale Musikszene vermittelt. 20 ihrer Betreuten absolvieren seit Mitte Januar ein ‹Rennen› durch 15 Kon- Auf neun verschiedenen Bühnen finden heuer zertlokale in 10 Deutschschweizer Städten. Das zeigt einerseits, welche 17 Konzerte mit 221 MusikerInnen in 60 Forma «super-tollen» (Stämpfli) Konzertlokale hier existieren: vom Nordportal tionen statt. Die Festival-Jury hat sowohl ältere und dem Merkker in Baden über die Grabenhalle in St. Gallen, das Exil und wie ganz junge VertreterInnen der Szene aus das Helsinki in Zürich bis zu den Basler Austragungsorten Kuppel, Hinter- gewählt und präsentiert unter dem Motto ‹The hof Bar und Kaserne. Anderseits sind die auftretenden Formationen eine Golden Triangle› im Dreieck zwischen Klingen- schöne Visitenkarte nicht nur dieser Agentur, sondern der Schweizer Inde- tal, Wettstein und Zolli neben den lokalen Bands pendent-Szene überhaupt, verstärkt um zwei deutsche, eine italienische weitere aus dem In- und Ausland. Auch der und eine englische Band. Stilistisch bietet das ‹Radicalis Music Race› ein Kunst, Rhythmus und Klänge lediglich mit Mund breites Spektrum, «Populärmusik von Indie-Rock über Electro bis Folk», und Mikrophon zu produzieren, wird ausgiebig beschreibt es der 26-jährige Stämpfli. gefrönt; der bereits legendäre ‹Grand Beatbox Kräftige Wurzel. Das musikalische Rennen funktioniert zunächst als Battle› wird erstmals an beiden Tagen durch Bildkonzept. Die Bands sind auf dem Werbematerial der Tour mit jedem geführt. Dabei haben die z.T. namhaften Teil- erdenklichen Vehikel unterwegs: mit Einkaufswagen und einem Oldtimer, nehmenden aus aller Welt zwischen vier und mit einer Dampfwalze und auf dem Karrussell. «An den Konzerten selbst sechs Minuten Zeit, ihr Können zu zeigen und ist der Renngedanke, dass also eine Band besser ist und deshalb gewinnt, werden von einer Jury beurteilt – ein höchst nicht entscheidend», sagt Dominic Stämpfli. Die Anwärter seien zu ver- unterhaltsames Spektakel! Die Bühnenauftritte schieden und ein Vergleich deshalb sinnlos. Gleichwohl wählt das Publi- werden von drei Workshops ergänzt, in denen kum: «Die Gäste können an den Veranstaltungen auf einem Flyer drei von es um Songwriting und Musik-Lyrics, um juris den 20 Bands ankreuzen, auch solche, die bei ihnen nicht aufgetreten sind. tische Fragen wie Zweitnutzungsrechte und um Wer die meisten Stimmen erhält, ist im Finale», erklärt er das Vorgehen. erste Studio-Aufnahmen geht. – Will heissen: Die Methode birgt viele Zufälle in sich. «Wir machen das Vor fast 30 Jahren wurde in Reinach nach einem extra oldschool-mässig mit Handzetteln, weil wir die grassierenden Votings langen Prozess das Jugendhaus Palais noir eröff- überall nicht so cool finden.» net, das dann auch als Konzertort national be- ‹Radicalis› übrigens ist ein lateinisches Adjektiv: ‹zur Wurzel gehörend›. kannt wurde. Nun möchte dessen Team mit der Von der musikalischen Bedeutung her (‹Roots›) trifft das die Sache sicher neuen Konzertreihe ‹musique noir› an diese Tra- nicht. Er habe eher daran gedacht, dass ein Management eine kräftige dition anknüpfen und das Kulturzentrum auch Wurzel sein müsse, auf der starke Bands als Blüten und Früchte wachsen ausserhalb der regulären Öffnungszeit und für könnten, sagt Stämpfli. Auch das eine sehr schöne Idee. ein breiteres Publikum bespielen. Einmal im ‹Radicalis Music Race Finale›: Mi 27.3., 21 h, Kaserne Basel u S. 38 Monat treten vorwiegend lokale Musikschaf Programm: www.radicalis.ch/music-race-2013/ fende auf, dabei können sich die ehrenamtlich engagierten Jugendlichen in Eventorganisation und Bühnentechnik üben. Den nächsten Termin bestreitet der bekannte junge Slampoet Laurin Buser, der sein Projekt ‹Earth Shaking› vorstellt. 17. ‹BScene›: Fr 15. und Sa 16.3., 20.30, Sud, Singer- haus, Volkshaus, Hirscheneck, Kuppel, Kaserne, The Bird’s Eye Jazz Club und Parterre, www.bscene.ch ‹Musique noir› mit Laurin Buser: Do 21.3., 19 h (Bar), 20 h (Konzert), Palais noir, Bruggstr. 95, Reinach, www.palaisnoir.ch Ausserdem: Neueröffnung ‹Das Schiff› im Hafen: Fr 8.3., ab 18 h Eröffnungsparty mit Apéro, Dinner (Reservation erforderlich) und Konzert, www.dasschiff.ch We Loyal, BScene 2012, Foto: zVg 12 | ProgrammZeitung | März 2013
«Das Ziel ist pure Poesie» c h r i s t oph e r z i m m e r Bobelogs Welt a l f r e d z i lt e n e r Familienstück mit Figuren und Musik. Ein Tisch, einige Alltagsgegenstände – fertig ist die Welt. Mit einfachen Mitteln zeigt das Figuren theater Michael Huber in seiner neuen Produk tion ‹Bobelog oder warum tanzen die Sterne?› die Geschichte des kleinen Jungen Bobelog, der sich einen Hund als Spielgefährten wünscht und in seinen Träumen durch das All reist bis zu dem Planeten, auf dem das Tier lebt. Unterwegs muss er Prüfungen und Gefahren bestehen und wichtige Erfahrungen fürs Lebens machen, be- vor er den Hund schliesslich von seinen Eltern geschenkt bekommt. Der Musiker, Performer und Theatermann Chris- tian Zehnder hat als Regisseur die Aufführung mit dem Figurenspiel-Duo Suzanne Nketia und Michael Huber erarbeitet. Dabei sind sie von jenen scheinbar einfachen Fragen ausgegangen, ‹Etwas mit denen Kinder ihre Eltern in Erklärungsnot Morgenstern Ein Schattenspiel mit Musik rund um Texte von Christian Morgenstern. bringen: ‹Was ist hinter dem Horizont?› oder am Abend›, «Als Kind habe ich gerne Schattenfangen gespielt. Ich war begeistert, wenn eben ‹Warum tanzen die Sterne?›. Zehnder hat es Foto: Sylwia mein Schatten weit über mich hinauswuchs. Wurde er klein und schlüpfte Zytynska aber nicht interessiert, Theater mit konventio- mir fast in die Schuhe, war er mir beinahe unheimlich. Die Lust am Spiel ist nellen Spielfiguren zu machen. Nur zwei sind mir bis heute geblieben.» – Mit diesen Worten beschreibt Adelheid Kreisz auf der Bühne: Bobelog und der Hund; beide hat auf ihrer Website ihre Faszination für das Phänomen Schatten. Seit der Michael Huber mit spürbarer Liebe gestaltet. Gründung der eigenen Schattenbühne Cadrage 1996 hat sie sich ganz auf Alle übrigen Spielelemente sind Gegenstände diese Kunst konzentriert. Davor waren es Marionetten, Hand- und Stab des Alltags. Da wird ein Gaskocher zum Raum- figuren, mit denen sie Stadttheater-Produktionen bespielte, etwa ‹Die schiff, werden Plastiksäcke zu Planeten. Wenn Erschöpfung der Welt› von Mauricio Kagel, eine ‹Freischütz›-Inszenierung Bobelog dorthin reist, taucht er in den Sack ein; von Achim Freyer oder auch ein Singspiel von Haydn. was er dort erlebt, wird als Schattentheater sicht Mit Cadrage begann das Experimentieren mit Licht-, Schatten- und Klang- bar. In den Säcken befinden sich auch Musik farben, oft in Zusammenarbeit mit Musikerinnen und Komponisten. Be- instrumente; das Publikum sieht sie nicht, kann reits im Gründungsjahr 1996 war Sylwia Zytynska, heute u.a. Leiterin des sie aber hören. Gare des enfants, mit von der Partie. Auf die erste gemeinsame Produktion So laden Kinder Alltagsdinge mit ihrer eigenen – ‹Das Eine oder Andere›, sieben Szenen um Macht und Vorurteile nach Fantasie auf, und dieser kindliche Blick auf die dem Grimmschen Märchen ‹Der Jude im Dorn› – folgte 1997 ‹Schattenbilder Welt ist Zehnder wichtig. Viele Kunstschaffen- leicht bewegt› zu Gedichten von Christian Morgenstern. den, sagt er, hätten ihn sich bewahrt und so ihre In der Wärme des Bildes. Nun vereint Morgenstern die beiden Künstle- eigenen Welten geschaffen, Jean Tinguely etwa rinnen erneut. Diesmal sind es drei wenig bekannte Geschichten des Dich- und das Duo Fischli/Weiss. ‹Bobelog› funktio- ters – ‹Der Spiegelgeist›, ‹Neues Preislied› und ‹Egon und Emilie› –, um die niert ohne Sprache und ist auch kleinen Kindern sich einige seiner Gedichte ranken. Neben Sylwia Zytynska musiziert die zugänglich; das erwachsene Publikum wird viel- Saxofonistin Noëmi Schwank, Sprecher ist der Schauspieler David Berger, leicht seinen eigenen Kinderblick wieder ent der sowohl aus dem Off spricht, als auch selber zum Schatten in einem decken und das Theater bereichert verlassen. Spiel wird, in dem Menschliches und Tierisches nicht klar voneinander Michael Huber/Christian Zehnder, ‹Bobelog›: Fr 15.3., getrennt sind. Die Bilder und Figuren von Adelheid Kreisz passen dabei, so 19 h, und So 17.3., 11 h, Vorstadttheater Basel u S. 40 Zytynska, bestens zu Morgensterns Ironie, Skurrilität und Humor. Schulvorstellungen: Do 14., Fr 15. und Mo 18.3., 10.30 Die Musik, die in einem langen Prozess von Improvisation und Aufeinan- Ausserdem: Figurentheater Margrit Gysin u S. 42 der-Hören entstanden ist, will nicht der Versuchung erliegen, zu illustrie- Basler Marionetten Theater u S. 42 ren, wie Zytynska sagt, sondern soll die Mitwirkenden gegenseitig in ihren Figurenspieltage am Goetheanum: Fr 15. bis So 17.3., Dornach, www.goetheanum-buehne.ch Gefühlen bestätigen, «das Ziel ist pure Poesie». Zytynskas eigenes Bekennt- nis klingt wie eine Antwort auf den eingangs zitierten Text von Adelheid Kreisz: «Bei Bildern verliert man sich. Bei Schattenfiguren findet man sich. Man steht in der Wärme des Bildes.» ‹Etwas Morgenstern am Abend›: Do 14. und Fr 15.3., 20 h, Unternehmen Mitte, Salon u S. 46 März 2013 | ProgrammZeitung | 13
Krise und Aufbruch s a bi n e e h r e n t r e ic h In Lörrachs freier Kulturszene brodelt es. Das Lörracher Kulturzentrum Nellie Nashorn kommt nicht zur Ruhe. Eine Spotlight schwere Krise zwang im vergangenen Jahr zum Umlenken, ein hohes Defi- f r a nz i sk a m a z i zit hatte das Haus an den Rand der Insolvenz geführt. Die finanzielle Lücke Theater und Tagung in Englisch. ist zu einem guten Teil geschlossen, in der Gastronomie ist der Neuanfang ‹England ist ein grosses Land, bewohnt von den geglückt. Auf gutem Weg schien auch der Kulturbereich: Mit Paulo Silva, kältesten Fischen der ganzen Welt›, lässt Salman der im norddeutschen Oldenburg viele Jahre ein Kulturzentrum betrieb, Rushdie einen pakistanischen Ausreiseberater in hatte der rührige Vorstand des Trägervereins für die Gesamtleitung einen seiner Erzählung ‹Good Advice is Rarer than Profi gewonnen, der viel Schwung und neue Ideen mit nach Lörrach brachte. Rubies› (1987) sagen. Damit beschreibt Rushdie Doch nun hat man sich zum Ende der halbjährigen Probezeit ohne Angabe das zwiespältige Verhältnis zwischen dem frü- von Gründen getrennt – die Ära Silva bleibt Episode. heren ‹Empire› und vielen seiner ehemaligen Angetreten war der gebürtige Portugiese mit dem Vorsatz, das vor 25 Jahren Kolonien. Die Produktion ‹One Language – Many von fünf Frauen gegründete Haus mit gebührendem Respekt zu ‹entstau- Voices› zeigt anhand der Inszenierungen dreier ben› und auch wieder ein jüngeres Publikum anzuziehen. Kabarett sollte weiterer berühmter Kurzgeschichten von Joseph ein Gastspiel-Schwerpunkt bleiben, dafür Musik mehr ins Zentrum rücken, Conrad (‹An Outpost of Progress›, 1897), Somer- etwa mit der Reihe ‹Monday Jazz›, die auch der Lörracher Musikszene auf set Maugham (‹The Force of Circumstances›, die Sprünge helfen wollte. Nun muss eine neue Geschäftsleitung her, und 1924) und Chinua Achebe (‹Dead Men’s Path›, das in einer denkbar schwierigen Situation. Das hauseigene Junge Theater 1953) auf, wie es zu diesem Verhältnis kommen hat seine Heimat inzwischen im Alten Wasserwerk, dem Lörracher Jugend- konnte. Diesen fiktiv-historischen Streifzug insze zentrum. Und Nellie-Mitbegründerin Annegret Brake hat angekündigt, den niert das multiethnische Ensemble des TNT The- Taktstock niederzulegen – also auch als Leiterin des renommierten Jazz- ater Britain (Regie Paul Stebbings) auf fantasie- chors Flat & Co aufzuhören, der zu den ‹Hausmarken› im Nellie gehört. So volle, dynamische und humorvolle Weise, ohne ist es um das einst so quirlige Zentrum im Moment sehr still. dem Ernst des Themas Abbruch zu tun. Das phy- Schillernde Fülle. Erfreuliche Entwicklungen gibt es dagegen für Tempus sische Schauspiel à la Meyerhold wird dabei ge- fugit. Das freie Theater, das nicht nur wegen seiner hochkarätigen Büh- schickt mit Musik, Tanz und Gesang kombiniert nenproduktionen, sondern auch wegen einer Vielzahl an theaterpädago- und findet damit zu einem eigenen antirealis gischen Projekten aus Stadt und Region längst nicht mehr wegzudenken tischen Ausdruck. – ist, bekommt endlich eine feste Adresse. Der alte Güterbahnhof am Rande Weshalb sollen Tiere Rechte haben? Was bedeutet der Lörracher Innenstadt, der zuletzt ein Restaurant beherbergte, soll zum Tierwürde? Soll man Menschenrechte auf Tiere Theater umgebaut werden. Bis die Finanzierung steht, wird noch einige übertragen? Mit solchen und anderen Fragen be- Zeit vergehen, aber die Grundsatzentscheidung ist gefällt – eine sehr gute schäftigt sich das Doktoratsprogramm ‹Law and Nachricht für das Theater, das zwar Büros und Probenräume besitzt, aber Animals: Ethics at Crossroads› an der Juristi- für seine Aufführungen stets neue Orte suchen musste. Tempus fugit mit schen Fakultät der Universität Basel. Es folgt seiner schillernden Fülle an Projekten war bislang für viele, die sich in der Tempus fugit, damit einem immer stärker werdenden gesell- Szene nicht so auskennen, wenig greifbar. Mit einer festen Adresse, einer ‹Vom Fluss – schaftlichen Bedürfnis nach rechtlicher Regulie- zentral gelegenen und für Theater ideal geeigneten zumal, wird sich das und niemand rung der Mensch-Tier-Beziehung. Dies betrifft erzählt mehr wohl ändern. von Siddharta›, Tierversuche ebenso wie die Nahrungsmittelin- www.nellie-nashorn.de, www.fugit.de Foto: Thomas dustrie, die Tierhaltung und die Jagd. Die Eröff- Quartier nungskonferenz soll einer breiten Öffentlichkeit die Fragen, Widersprüche und Kontroversen im Zusammenhang mit Tierrechten darlegen. Gary Francione, der den Leitgedanken der Konferenz formuliert, fordert die radikale Aufhebung des Status des Tieres als Besitztum des Menschen. Dass Francione dafür den Begriff ‹Abolution› (auch ‹Aufhebung der Sklaverei›) verwendet, ist wohl weniger Zufall als Programm. ‹One Language – Many Voices›: Do 7.3., 19 h, Burghof, Lörrach, www.burghof.com ‹Animal Law: Reform or Revolution?›: Fr 1.3., 13.30, Juristische Fakultät, Uni Basel, Peter Merian Weg 8, https://ius.unibas.ch/news/ ‹Spotlight› stellt ausgewählte englischsprachige Veranstaltungen im Raum Basel vor. 14 | ProgrammZeitung | März 2013
Worte und Masken c h r i s t oph e r z i m m e r ‹Schönmatt›, Foto: Christian Theater im Teufel- und im Burghof. Poesie ihrer Masken. Ob ‹Teatro Delusio› ein chaplineskes Reichenbach Die Schauspielerin Anna-Katharina Rickert und der Autor Spiel mit Träumen und Eitelkeiten hinter den Theater Ralf Schlatter, seit 2000 gemeinsam auf der Kabarett-Bühne, kulissen treibt, in ‹Infinita› Riesenbabys den Laufstall und haben ein wundersames Figurenduo ersonnen, in das sie ulkige Opas ein Altersheim aufmischen oder ein komischer seit ihrem ersten abendfüllenden Programm ‹Eine Liebes- Reigen um Liebe und Leichen Personal und Gäste im ‹Hotel geschichte› (2003) hineinschlüpfen und mit dem sie 2004 Paradiso› herumscheucht, stets könnte man am Ende prompt den Salzburger Stier gewannen: Katharina Gut, schwören, die Darstellenden hätten gesprochen, obwohl Matrosentochter aus Hamburg mit Wurzeln im Emmental, nicht ein Wort gefallen ist. Die Magier dieses stummen und Georg Schön, Metzgerssohn, nie gross aus Grosshöchstet Spiels, Familie Flöz, ein Pool von Theaterschaffenden aus ten rausgekommen, dem Nabel ihrer skurrilen Geschich- zehn Nationen, sind nun mit der Neufassung von ‹Garage tenwelt. Dort nahm die Saga aus dem Emmental ihren liebes d’or› zu sehen. Darin folgen drei überforderte Familienväter zarten Beginn auf dem Bahnsteig, spürte 2006 einem ihrer Sehnsucht nach Freiheit und verlieren sich nicht nur Kamel im neuen Verkehrskreisel nach und wollte 2009 mit in den Tiefen des Weltraums, sondern auch in den Untiefen Kuh Ida die Viehschau gewinnen, um nun zum vierten ihrer selbst. Streich ‹Schönmatt› auszuholen (Regie wie stets Roland Schön & Gut, ‹Schönmatt›: Do 28.2. bis Sa 9.3., 20.30, Teufelhof u S. 41 Suter, Ko-Leiter des Teufelhof-Theaters). Diesmal will Herr Familie Flöz, ‹Garage d’or›: Mo 18.3., 20 h, Burghof Lörrach u S. 34, Schön endlich um die Hand von Frau Gut anhalten, doch Foto u S. 53 die Fusionsgelüste von Grosshöchstetten und Konolfingen stürzen nicht nur die Hauptpersonen in einen Reigen von Liebeswirren. Magier des stummen Spiels. Was Schön & Gut an Fanta- siebildern mit ihrem Wortwitz heraufbeschwören, das ge- lingt Familie Flöz mit der stummen und doch so beredten März 2013 | ProgrammZeitung | 15
Die Kraft grenzen- loser Liebe i ng o s ta r z Die Volksbühne Basel zeigt eine ungewöhnliche Version von ‹Romeo und Julia›. Kultur von und für eine Gesellschaft mit Migrationshinter- grund blüht: AutorInnen und Theaterhäuser im In- und Aus land geben Einblicke in den Umgang mit dem Fremdsein und den Alltag Zugewanderter. Dabei werden noch häufig Grenzen zwischen Einheimischen und ‹Anderen› themati- siert. Die neu gegründete Volksbühne Basel wählt mit ‹Selam Habibi. Die ganz vorzügliche und höchst beklagenswerte Geschichte von Romeo und Julia› einen anderen Fokus. Sie zeigt eine Gesellschaft, in der das Zusammenleben der Kul- turen Normalität ist. Die Konflikte, die Shakespeares Tragö Probenbild die auszeichnen, werden in Hinblick auf Individuum und inwiefern Empathie erlernbar ist. Jendreyko begreift die zu ‹Selam Habibi – Gruppe betrachtet, ohne dass dabei kulturelle Grenzzie- Liebe von Romeo und Julia als Veränderung und Aufbruch Romeo und hungen als Erklärungsmuster herhalten müssen. und kann im Tod keine Lösung sehen: Ihre Liebenden zieht Julia›, Die Besetzung der Produktion schafft eine aussergewöhn es entschieden ins Leben und nicht in die Gruft. Foto: zVg liche Konstellation. Sie präsentiert einerseits junge, aus Eine Volksbühne für Basel. Mit einer Max-Frisch-Per- dem Projekt ‹fremd?!› hervorgegangene Kräfte, wie Zeynep formance hatte die Volksbühne Basel im letzten November Yasar als Julia oder Musa Küsne als Mercutio. Daneben tre- an der Buch Basel ihren ersten kurzen Auftritt. Das Kollek- ten Bühnenprofis aus dem deutschsprachigen Raum wie tiv speist sich personell und ideell aus dem transkulturel- Yasin El Harrouk als Romeo, Ferhat Feqî als Julias Vater len Theater- und Bildungsprojekt ‹fremd?!›, das seit 2006 oder Robert Baranowski als Tybalt auf. Begleitet wird die das kreative Potenzial junger Leute weckt und nutzt. Mit Handlung von den Musikern Süleyman Çarnewa, Arjin Haki der Volksbühne hat sich nun eine Theaterproduktions und Umut Yilmaz. Die Liebesgeschichte wird als grosses gemeinschaft formiert. Professionell besetzte Produktio- Fest in Szene gesetzt. So gerinnt die Idee einer Kulturen nen und partizipative Projekte spiegeln Lebensgeschichten. zusammenführenden Gesellschaft zu einem starken Bild, Individuelle Erzählungen und Erfahrungsräume sollen in in dem auch gleich noch das Publikum Platz findet. neue und alte Theaterstoffe hineingetragen werden. Nicht Ins Leben statt in die Gruft. Anina Jendreyko, die das Nationalitäten oder Konfessionen sind Gegenstand der thea Theaterprojekt initiiert und die Regie übernommen hat, tralen Erkundungen, sondern Menschen unterschiedlicher rückt die gestaltende Kraft der Liebe ins Zentrum ihrer In- kultureller Prägungen. Die Volksbühne Basel überschrei- szenierung. Sie möchte, wie sie im Gespräch erklärt, aus tet Grenzen, weil sie erst gar keine zulässt. Die Vielfalt der dem erzählerischen Reichtum ihrer DarstellerInnen schöp- modernen Gesellschaft ist dort anzutreffen. Der kreative fen. Aus sich heraus sollen sie Position beziehen, ihre Erfah- Pool um Anina Jendreyko plädiert für eine Theatererfah- rungen und kulturellen Praktiken in die Rollengestaltung rung auf Augenhöhe: «Sich im Antlitz des Anderen wieder- miteinbringen. Das bunt zusammengesetzte Team, das die erkennen, emotional angeregt und aufgefordert zu werden, Realität unserer Gesellschaft widerspiegelt, umgeht so sich auseinanderzusetzen mit unserer Gesellschaft oder gängige Rollenzuweisungen und -klischees, weil es das einfach: mit den Menschen, die in Basel leben.» Drama als Begegnung unterschiedlicher Geschichten auf- ‹Selam Habibi – Romeo und Julia›: Mi 6. bis Sa 23.3., Schalandersaal im fasst. Dabei steht die Frage im Raum, welche persönlichen Restaurant Altes Warteck, Clarastrasse 59, www.volksbuehne-basel.ch wie gesellschaftlichen Kräfte die Liebe entfachen kann und Flucht & Terror Nun zeigt das Dalit Bloch Ensemble seine neue Produktion ‹AUSland – Theater über Menschen palästinensische Selbstmordattentäterin reisst eine gleichaltrige Israelin in den Tod. Später dagm a r bru n n e r im Aufbruch›. Erzählt werden 4 Fluchtgeschich- treffen sich die Mütter der beiden zu einem Zwei freie Theaterproduktionen. ten, die auf wahren Begebenheiten beruhen; der Gespräch und ringen um Versöhnung. Georg Sie ist seit rund 35 Jahren im freien Theater junge Dramatiker Lukas Linder hat die Gesprä- Darvas, Ko-Leiter des Neuen Theaters am Bahn- leben Basels präsent, sei es als Schauspielerin, che mit den Betroffenen ‹fiktionalisiert› und zu hof und ebenfalls mit Wurzeln in Israel, hat aus Sprecherin und Moderatorin oder als Regisseu- einem Bühnenstück verdichtet, das von Entschlos der Filmvorlage eine Bühnenfassung erstellt, die rin, Theaterpädagogin und Körpertherapeutin: senheit und Sehnsucht, von Heimat, Fremdsein am tragischen Schicksal dieser vier Frauen den Dalit Bloch. In Israel geboren, hat sie eine beson- und tragikomischem Überleben handelt. – individuellen Umgang mit einem unlösbar schei- dere Beziehung zum Nahen Osten und dessen Im Nahen Osten ist auch das Drama angesiedelt, nenden Konflikt aufzeigt. Herausforderungen und entwickelte vor zwei das im Dokumentarfilm ‹To die in Jerusalem› ‹AUSland›: bis So 10.3., 20 h (So 18 h), Theaterfalle, Jahren mit dem Arab-Hebrew-Theatre in Jaffa von Hilla Medalia geschildert wird: Eine junge Dornacherstr. 192, Gundeldingerfeld, sowie Ende Mai das Stück ‹Yalla!› mit arabisch-palästinensischen im Neuen Theater am Bahnhof, Arlesheim und jüdisch-israelischen Jugendlichen, das auch ‹To die in Jerusalem›: Sa 2. bis So 17.3., Neues Theater am Bahnhof, Stollenrain 17, Arlesheim u S. 52 in Basel gastierte. 16 | ProgrammZeitung | März 2013
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