Qualität des politischen Nachrichtenangebots in Deutschland: empirische Kernbefunde aus dem Projekt "Media Performance and Democracy"
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Zurich Open Repository and Archive University of Zurich Main Library Strickhofstrasse 39 CH-8057 Zurich www.zora.uzh.ch Year: 2021 Qualität des politischen Nachrichtenangebots in Deutschland: empirische Kernbefunde aus dem Projekt ”Media Performance and Democracy” Stark, Birgit ; Riedl, Andreas ; Eisenegger, Mark ; Schneider, Jörg ; Udris, Linards ; Jandura, Olaf Abstract: Die Studie „Media Performance and Democracy“ liefert mit einem mehrteiligen Qualitäts- begriff wichtige Einblicke in den Ist-Zustand der reichweitenstärksten Nachrichtenangebote in Deutsch- land. Analysiert wurden die Relevanz der politischen Berichterstattung, ihre Vielfalt sowie deren Einord- nungsleistung und Professionalität. Das in Anlehnung an die Praxis in der Schweiz gebildete Qualitätss- coring quantifiziert und bündelt die gemessenen Qualitätsdimensionen. Insgesamt steht in Deutschland ein hochwertiges Qualitätsangebot zur Verfügung, das durch eine vielfältige Medienlandschaft garantiert wird. Die untersuchten Angebote berichten vielfältig über gesellschaftlich relevante Themen. Besonders hinsichtlich der Themen- und Akteursvielfalt kann den deutschen Medien ein gutes Zeugnis ausgestellt werden. Was sich jedoch abzeichnet, ist ein Berichterstattungsschwerpunkt auf die Exekutive bzw. auf politische Eliten – sowohl was die Themen- als auch die Akteursauswahl anbelangt. Insbesondere bei der Einordnungsleistung und Professionalität positionieren sich die einzelnen Medienangebote abweichend. Wenig überraschend kommt die einordnende Hintergrundberichterstattung in der Wochen- und Qualität- spresse stärker zum Tragen als in anderen Medientypen. In den Nachrichtenangeboten des Rundfunks dominiert die Weitergabe von Informationen und Nachrichten. Die „Tagesschau“- Angebote zeichnen sich durch hohe professionelle Standards aus, denn sie berichten sachlich, können auf ein gut ausge- bautes Korrespondentenund Recherchenetzwerk zurückgreifen und punkten somit bei der journalistischen Eigenleistung. Zusätzliche Pluspunkte sammeln die Angebote des öffentlich- rechtlichen Rundfunks im Onlinebereich, weil sie hier thematisch vielfältiger berichten. In der Boulevardpresse zeigen sich nicht nur große Defizite in der Quellentransparenz, sondern auch bei weiteren professionellen Standards und der journalistischen Einordnungsleistung. Hier positionieren sich auch Online- und Facebook-Angebote auf den hinteren Plätzen. Bewertet man die Ergebnisse aus der Nutzungsperspektive, wird deutlich, wie wesentlich ein breites Medienrepertoire ist. Denn begrenzen sich Nutzerinnen und Nutzer auf bestimmte Nachrichtenquellen, erreicht sie möglicherweise ein eingeschränktes Angebot, das sie nicht mit qualitativ hochwertigen News versorgt. Posted at the Zurich Open Repository and Archive, University of Zurich ZORA URL: https://doi.org/10.5167/uzh-207954 Journal Article Published Version Originally published at: Stark, Birgit; Riedl, Andreas; Eisenegger, Mark; Schneider, Jörg; Udris, Linards; Jandura, Olaf (2021). Qualität des politischen Nachrichtenangebots in Deutschland: empirische Kernbefunde aus dem Projekt ”Media Performance and Democracy”. Media Perspektiven, (9):430-449.
Media 430 Perspektiven 9/2021 Empirische Kernbefunde aus dem ländervergleichenden Projekt „Media Performance and Democracy“ Qualität des politischen Nachrichtenangebots in Deutschland Von Birgit Stark*, Andreas Riedl*, Mark Eisenegger**, Jörg Schneider**, Linards Udris** und Olaf Jandura*** Medienqualität Die Sicherstellung einer hohen Qualität von Nach- zesse einzuordnen. Denn Medien leisten einen un- unter digitalen richtenmedien gehört zu den drängendsten und he- verzichtbaren Beitrag zum Funktionieren der Demo- Bedingungen rausforderndsten Aufgaben, denen sich die Medien- kratie: Ein qualitativ hochwertiges publizistisches branche aktuell zu stellen hat. (1) Denn die durch Angebot ist Grundvoraussetzung für den freien in- den digitalen Strukturwandel ausgelösten Verände- dividuellen und öffentlichen Meinungsbildungspro- rungen der Medienlandschaft haben das Potenzial, zess. (8) Medienqualität nachhaltig zu gefährden. Den tradi- tionellen Medien erwächst massive Konkurrenz im Kurz und knapp Kampf um Publikumsaufmerksamkeit und Werbe- gelder. Dadurch schwinden die ökonomischen Res- • Die Studie untersucht die Qualität der reichweitenstärksten sourcen für klassischen, hochwertigen Journalismus, Nachrichtenangebote in Deutschland. für den Nutzerinnen und Nutzer aufgrund der „Gra- • Analysiert werden Relevanz, Vielfalt, Einordnungsleistung und tismentalität“ im Netz zudem kaum zu zahlen bereit Professionalität der politischen Berichterstattung. sind. Der durch das Internet steigende Aktualitäts- • In Deutschland steht insgesamt ein hochwertiges Qualitätsangebot druck beschneidet zusehends die Zeit für sorgfälti- in einer vielfältigen Medienlandschaft zur Verfügung. ge, umfassende Recherchen – obwohl die Orientie- • Die Angebote der „Tagesschau“ zeichnen sich durch hohe rungsleistung des Journalismus angesichts der In- Professionalität aus. formationsflut und der immer zahlreicheren nicht- • Die Wochen- und Qualitätspresse punktet durch ihre einordende publizistischen Angebote wichtiger denn je wird. (2) Hintergrundberichterstattung. • Die Boulevardpresse zeigt Defizite bei der Quellentransparenz, bei Neue Zudem entsteht im Zuge der Verlagerung von Pub- professionellen Standards und journalistischer Einordnung. Aufmerksamkeits- lika zu Social-Media-Plattformen eine neue Auf- ökonomie durch merksamkeitsökonomie. (3) Soziale Medien messen Social Media Aufmerksamkeit algorithmenbasiert in Echtzeit an Obwohl die wissenschaftliche Auseinandersetzung Kein kontinuierliches der Häufigkeit von Interaktionen und bevorzugen mit Qualitätsmaßstäben und Messmethoden eine Qualitätsmonitoring emotionale Themen, die hohe Reichweiten schaffen. lange Tradition hat, fehlt in Deutschland ein kontinu- in Deutschland Als „reaktionsschnelle Emotionsmedien“ (4) prägen ierliches Qualitätsmonitoring, wie es beispielsweise Social-Media-Angebote demzufolge ganz eigene in der Schweiz seit mehr als zehn Jahren durchge- Kommunikationslogiken und verändern traditionelle führt wird (9) und Standards für Qualitätsmessungen Qualitätsstandards. Medienorganisationen wird des- liefert. Empirische Daten für den deutschsprachigen halb eine zunehmende Publikumsorientierung auf Raum bietet vor allem die kontinuierliche Pro- Kosten substanzieller Hintergrundberichterstattung grammforschung, welche die Nachrichtenqualität attestiert. (5) der Öffentlich-Rechtlichen vor dem Hintergrund des dualen Systems bewertet. (10) Qualitätsjournalismus Insgesamt wird befürchtet, dass sich der Wettbe- ist Grundvoraus- werb um Publikumsaufmerksamkeit und Werbeein- Generell wird Qualität als relationales Konzept be- Qualität ist relational setzung für freie nahmen im Netz negativ auf die Qualität von Nach- griffen. Denn was als qualitätsvoll eingeordnet wird, – es gibt keine Meinungsbildung richten auswirkt (6), nicht zuletzt durch angepasste ist das Ergebnis eines Bewertungsprozesses, diver- allgemeingültigen Relevanzzuweisungen, die online zu einer Umge- giert also nach dem Standpunkt der Betrachtung, Kriterien wichtung klassischer Nachrichtenfaktoren führen. nach dem Objekt und dem Kontext der Qualitätsein- (7) Vor diesem Hintergrund braucht es valide und schätzung. Beispielsweise gibt es im Journalismus, vergleichbare Analysen, um den Status quo der Qua- der Programmplanung, innerhalb des Publikums so- lität des politischen Nachrichtenangebots in Deutsch- wie der Wissenschaft mitunter unterschiedliche An- land zu erheben und die Bedeutung des Qualitäts- sichten darüber, welche Medien(inhalte) qualitativ journalismus für funktionierende demokratische Pro- hochwertig sind. (11) Zudem unterscheiden sich die Kriterien in Abhängigkeit vom betrachteten Genre * Johannes Gutenberg-Universität Mainz. (z. B. Information, Kultur oder Unterhaltung) oder der ** Universität Zürich. Mediengattung (z. B. Print oder Rundfunk) und der *** Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Zielgruppe des Mediums. (12) Schließlich orientie-
Qualität des politischen Nachrichtenangebots in Deutschland Media Perspektiven 431 9/2021 ren sich die Kriterien an der Übertragung von nor- lität der Medien“ des fög – Forschungszentrum Öf- mativ-rechtlichen Ansprüchen, die sich allgemein fentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich) aus öffentlichkeitstheoretischen Ansätzen auf Medi- entwickelt das Forscherteam eine mehrdimensiona- eninhalte oder auch spezifisch beispielsweise aus le, theoretisch fundierte Messung demokratischer dem Funktionsauftrag für öffentlich-rechtliche An- Medienqualität und validiert diese im Rahmen einer bieter herleiten lassen. Diese normative Sichtweise breit angelegten manuellen Inhaltsanalyse (Print, bewertet Qualität insbesondere im Hinblick darauf, Fernsehen, Radio, Online, Facebook), die hier im Fo- wie gut oder schlecht Journalismus gemessen an kus steht. theoretisch definierten Idealen seine demokratiepo- litische Funktion erfüllt. Das Gesamtprojekt beurteilt Medienperformanz in einem integrativen Ansatz, da für jeden Qualitäts- Weil Qualität also relational ist und es keine fest- standard ein Abgleich der inhaltsanalytischen Er- stehende Begriffsdefinition oder allgemeingültige gebnisse mit externen Vergleichsmaßstäben durch- Kriterien geben kann, müssen sich Qualitätsanaly- geführt wird. Benchmark der Relevanz der Bericht- sen von Medienprodukten zwangsläufig für eine erstattung sind die Agenden der politischen Parteien Perspektive auf Qualität entscheiden. Je nachdem, sowie die Aktivitäten zivilgesellschaftlicher Akteurs- welche Benchmarks zugrunde liegen, kommen sehr gruppen. Die mediale Deutung politischer Themen unterschiedliche Kriterienkataloge zum Einsatz. Der wurde entlang politischer Wertorientierungen (soge- normativ-demokratietheoretische Zugang hat sich nannter „value frames“) – auch in einem Teilprojekt vor allem im angelsächsischen Raum (13) entwi- zum Thema Migration – erfasst. (20) Um zu klären, ckelt, wurde aber bald in die deutschsprachige For- welche Bevölkerungssegmente faktisch mit welchen schung übernommen. Heribert Schatz und Winfried inhaltlichen Qualitätsstandards konfrontiert werden, Schulz definierten bereits 1992 richtungsweisende wird die relationale Betrachtung um eine weitere Kriterien für Qualität (14): Sie formulierten Vielfalt, Komponente, nämlich die Nutzungsperspektive er- Relevanz, Professionalität, Akzeptanz und Rechtmä- gänzt. ßigkeit als normative Qualitätsdimensionen im öf- fentlich-rechtlichen Rundfunk. Im Anschluss an die- Herzstück des Projekts ist eine großangelegte ma- Quantitative se Pionierarbeiten folgte im Laufe der Jahrzehnte nuelle quantitative Inhaltsanalyse politischer Be- Inhaltsanalyse eine Vielzahl von Qualitätsmessungen mit unter- richterstattung mit nationalem Bezug. (21) Anhand politischer schiedlichen Kriterienkatalogen. (15) Mehrheitlich unterschiedlicher Dimensionen wird die Qualität der Berichterstattung wird in den Studien Vielfalt als zentrale Qualitätsdi- Berichterstattung in einem breit angelegten Medien- mension bzw. als Metanorm definiert und ist dem- sample mit für die Meinungsbildung relevanten Me- entsprechend auch die am intensivsten erforschte dienangeboten gemessen. Das Qualitätskonzept ori- Dimension. (16) Darüber hinaus führen vor allem entiert sich an grundlegenden Qualitätsansprüchen, strukturelle Veränderungen im Mediensystem häufig die auch in unterschiedlichen Demokratiemodellen zu einer Intensivierung gesellschaftlicher Qualitäts- mit drei zentralen Fragen verankert sind. (22) Das debatten, da sie den kommerziellen Druck auf Me- „Was?“ der Medienqualität bezieht sich auf die Fra- dienunternehmen verschärfen. Gleichzeitig können ge, welche Themen in der Berichterstattung aufge- sich dadurch nicht nur etablierte Qualitätsstandards griffen werden sollten. Die Frage nach dem „Wer?“ und die Begründung für den Kanon gemessener Kri- legt fest, welche Akteure aus normativer Perspektive terien, sondern auch Analyseperspektiven verän- im öffentlichen Diskurs gehört werden sollten. Au- dern, so wie sich derzeit der Fokus von der ange- ßerdem bezieht sich das „Wie?“ auf die Frage, wel- bots- auf die nutzungszentrierte Qualitätsmessung cher Kommunikationsstil in demokratietheoretischer verlagert (17) – auch unter Einbezug nicht-journalis- Hinsicht erwünscht bzw. zulässig ist. tischer Quellen. (18) In der vorliegenden Analyse konzentrieren wir uns D-A-CH-Projekt „Media Performance and auf die deutschen Daten der Inhaltsanalyse, um den Democracy“ Grundstein für ein zeit- und ländervergleichendes Empirischer Ansatz Das ländervergleichende Projekt „Media Perfor- Qualitätsmonitoring auch in Deutschland zu legen. zur Messung von mance and Democracy“, das eine Forschergruppe Sie werden abschließend ausgewählten Schweizer Medienqualität seit 2018 an verschiedenen Universitäten und For- Daten gegenübergestellt. (23) Um dabei die Ver- schungseinrichtungen in Deutschland, Österreich und gleichbarkeit mit dem validierten Messmodell in der der Schweiz (19) durchführt, arbeitet mit einem neu Schweiz zu gewährleisten, lehnt sich der vorliegen- entwickelten empirischen Ansatz zur Messung von de Beitrag bestmöglich an das Schweizer Messmo- Medienqualität. Gefördert durch die Deutsche For- dell an und integriert auch das dort etablierte Quali- schungsgemeinschaft (DFG) und ihren Partnerorga- tätsscoring. Dieses Scoring ordnet jedem Beitrag nisationen in Österreich und der Schweiz und inspi- einen bestimmten Wert für die gemessenen Quali- riert durch das seit Jahren etablierte kontinuierliche tätsindikatoren zu und repräsentiert damit ein Spek- Qualitätsmonitoring in der Schweiz („Jahrbuch Qua- trum von minimaler bis maximaler Qualität (in Form
Birgit Stark/Andreas Riedl/Mark Eisenegger/Jörg Schneider/Linards Udris/Olaf Jandura Media 432 Perspektiven 9/2021 Abbildung 1 Konzeptualisierung der Qualitätsmessung Qualität des politischen Nachrichtenangebots Vielfalt Relevanz Einordnungsleistung Professionalität Thematische Vielfalt Sozialebene Themenorientierung Sachlichkeit Akteursvielfalt Interpretationsleistung Quellentransparenz Eigenleistung Quelle: Eigene Darstellung basierend auf fög (Anm. 9) und Bachmann/Eisenegger/Ingenhoff (Anm. 24). eines Punktesystems). Die zugrundeliegenden Be- Die Qualitätsdimension Vielfalt wird über zwei ver- Qualitätsdimension rechnungsformeln geben das seit Jahren in der schiedene Indikatoren abgebildet. Über die themati- Vielfalt Schweiz erprobte und im Austausch mit Wissen- sche Vielfalt wird geprüft, inwieweit das jeweilige schaft und Praxis validierte Qualitätsverständnis im Medienangebot einen vollständigen Überblick über Zusammenspiel der Einzeldimensionen wieder. (24) alle wichtigen, relevanten Ereignisse gibt. Codiert wurde, was das zentrale Thema des Beitrags ist, Vier Analyse- Medienqualität wird anhand von vier zentralen Qua- worauf der inhaltliche Schwerpunkt liegt. Über das dimensionen von litätsstandards untersucht, die sich aus den Kern- Maß der Akteursvielfalt wurde zudem erfasst, wel- Medienqualität funktionen der Medien ableiten lassen: eine Arena che Personen und Personengruppen (u.a. politische für den pluralistischen Austausch verschiedener Akteure, Experten, Akteure aus der Zivilgesellschaft, Positionen bereitzustellen (Forumsfunktion), die po- Privatpersonen) in der Berichterstattung repräsen- litische Macht, den politisch-rechtlichen Geltungs- tiert sind. Denn das Vielfaltsprinzip setzt als wichtige bereich und die institutionell verankerten Verfah- Grundvoraussetzung für den politischen Willensbil- rensprozesse auf Basis von Transparenz und Ratio- dungsprozess der Bürgerinnen und Bürger unter- nalität zu sichern (Legitimationsfunktion) und dafür schiedliche politische Themen, Positionen und Pers- zu sorgen, dass Bürgerinnen und Bürger sich selbst pektiven zu Sachverhalten voraus. Liberale Demo- als Mitglieder der Gesellschaft wahrnehmen können kratietheorien weisen der Öffentlichkeit hier die (Integrationsfunktion). Wenn die Medien diese Funk- Aufgabe zu, als „Marktplatz der Ideen“ zu fungieren. tionen nicht mehr hinreichend erfüllen, kann das die Medien sollen thematisch vielfältig und ausgegli- Demokratie und damit die gesamte Gesellschaft in chen berichten und sich nicht auf einen oder wenige ihrem Bestand gefährden. (25) Themenbereiche oder bestimmte Personen oder Personengruppen konzentrieren. Analysiert werden die vier Qualitätsdimensionen Vielfalt, Relevanz, Einordnungsleistung und Profes- Die Qualitätsdimension Relevanz wird über den Fo- Qualitätsdimension sionalität (vgl. Abbildung 1). Alle vier Kriterien tragen kus auf gesellschaftlich relevante Themen erhoben. Relevanz zur Gesamtqualität eines Angebots bei. Sie beziehen Sie wird über die drei Sozialebenen – Makroebene sich nicht nur auf die publizistischen Leistungen in (Gesellschaft), Mesoebene (Organisationen/Instituti- den öffentlichkeitstheoretisch begründeten Dimen- onen) und Mikroebene (Personen) – gemessen. Eine sionen, sondern integrieren auch allgemeine profes- Thematisierung auf der Makroebene bedeutet, dass sionelle journalistische Regeln, wie sie für Leitbilder ein Beitrag den Fokus schwerpunktmäßig auf Hand- und Verhaltenskodizes in der journalistischen Praxis lungen und Begebenheiten legt, die die Gesamtge- bedeutsam sind. sellschaft (z. B. „die Bevölkerung“) oder ihre Teilsys-
Qualität des politischen Nachrichtenangebots in Deutschland Media Perspektiven 433 9/2021 teme oder Institutionen (z. B. „die Wirtschaft“ oder entsprechend anerkannter journalistischer Arbeits- „die Ehe für alle“) betreffen. Bei einem hauptsächli- regeln und Normen, das heißt die Art und Weise der chen Fokus auf der Mesoebene liegt der Fokus auf Darstellung relevanter Themen (Professionalität). In Handlungen und Begebenheiten, die eine einzelne der Literatur gibt es keinen Konsens über die rele- oder mehrere Organisationen (z. B. Partei oder Un- vanten Kriterien (28), im Vordergrund stehen aber ternehmen) betreffen. Ein Mikrofokus ist gegeben, meist das Gebot der Aktualität sowie Forderungen wenn einzelne Personen im Zentrum des Beitrags nach Sachgerechtigkeit und Unparteilichkeit der Dar- stehen und deren Wirken hauptsächlich auf der Indi- stellung. (29) In der vorliegenden Analyse wurden vidualebene thematisiert wird. Damit wertet diese die Kriterien Sachlichkeit, Quellentransparenz und Qualitätsdimension das Geschehen auf gesamtge- Eigenleistung herangezogen. Dabei untersucht Sach- sellschaftlicher Ebene höher als Themen, die einzel- lichkeit die Ausprägung der sprachlichen Darstel- nen Individuen zuzuordnen sind. Auf der Mikroebene lung, das heißt sie erfasst den dominierenden Argu- können Personen darüber hinaus rollennah, also in mentationsstil in einem Artikel. Einer emotionalen ihrer politischen oder gesellschaftlichen Funktions- Darstellung, die durch gefühlsbetonte Begriffe, Me- rolle (z. B. „Krisenmanagerin Merkel“), rollenfern, taphern, Superlative und Übertreibungen charakteri- also in ihrer privaten Lebenswelt (z. B. „Liebes-Aus“ siert ist, steht eine sachliche, rationale Argumenta- bei einem Politiker) oder anonym, in Form von nicht tion gegenüber, die sich durch eine vergleichsweise identifizierbaren Einzelnen (z. B. „die Täterin“), dar- nüchterne Darbietung auszeichnet. Der moralisch- gestellt werden. Rollenferne Thematisierungen be- emotionale Argumentationsstil wird im gängigen sitzen aus normativer Sicht die geringste Qualität. Qualitätsverständnis als niedrig qualitativ eingeord- net, da er den rationalen Diskurs und die Verständi- Qualitätsdimension Die Qualitätsdimension Einordnungsleistung adres- gung einschränken kann. Wichtig ist zudem im In- Einordnungsleistung siert die Frage, wie stark die Berichterstattung Er- ternetzeitalter die Quellentransparenz, das heißt das eignisse kontextualisiert und so über bloße Ereignis- Kenntlichmachen der Herkunft einer Nachricht. meldungen hinausgeht. Der erste Indikator, die The- menorientierung, formuliert den Qualitätsanspruch Darüber hinaus zieht die vorliegende Konzeptuali- an Medien, dass zu relevanten Ereignissen auch sierung von Medienqualität die Eigenleistung heran. Hintergrundinformationen geliefert werden sollten. Eigene redaktionelle Leistungen werden dabei höher Es gilt Zusammenhänge aufzudecken und aktuelles eingestuft als die bloße Übernahme von Agentur- Geschehen in längerfristige Entwicklungen einzu- meldungen. Implizit wird davon ausgegangen, dass ordnen. Diese kontextualisierende Berichterstattung sich einerseits innerhalb von Redaktionen über die ist – gerade im Zeitalter einer rasanten Beschleuni- Zeit thematische Expertise aufbaut und andererseits gung des Nachrichtengeschäfts – für das Publikum eine zu starke Orientierung an Agenturen die Diver- zentral, denn ihr wird auch ein positiver, diskursför- sität von Perspektiven einschränkt. Außerdem wird dernder Effekt zugesprochen. Die analytische Quali- angenommen, dass Redaktionen Agenturmeldun- tätsmessung in der vorliegenden Studie orientiert gen oft unverändert und ungeprüft übernehmen und sich am Framing-Konzept und hat vier zentrale Ele- es damit im Rechercheprozess zu Qualitätsmängeln mente eines Frames (Kontext, Bewertung, Nennung kommen kann. von Gründen und Folgen) (26) erhoben. Damit kann vor allem eine Einschätzung vorgenommen werden, Mediensample ob ein stärker „thematisches“ (Darstellung von Hin- Das Untersuchungssample der Politikberichterstat- Verschiedene tergrundinformationen) oder „episodisches“ Framing tung in Deutschland umfasst Medien verschiedener Mediengattungen (Präsentation ausgewählter Einzelereignisse oder Gattungen, die für die Gesellschaft oder Teile der Ge- untersucht Einzelfälle – oft auch personifizierte Geschehnisse) sellschaft relevant sind (vgl. Tabelle 1). Dazu zählen (27) stattfindet. Der zweite Indikator, die Interpreta- die reichweitenstärksten Rundfunkangebote (öffent- tionsleistung, geht einen Schritt weiter, da er das lich-rechtlich und privat), Tages- und Wochenzeitun- Potenzial der Vermittlungsleistung und die Einfluss- gen sowie ausgewählte Onlineableger und Online- nahme auf Meinungsbildungsprozesse über das Bei- Stand-alone-Angebote (n=6 293 Nachrichtenbeiträ- tragsformat beurteilt. Es wird davon ausgegangen, ge). Um auch zu überprüfen, inwiefern sich die be- dass interpretative, kontextualisierende Formate wie schriebene Plattformisierung öffentlicher Kommuni- Reportagen oder Kommentare unterschiedliche Po- kation auf Medienqualität auswirkt, wurden mit aus- sitionen und kontroverse Standpunkte besser ver- gewählten Facebookseiten auch Social-Media-An- mitteln und damit auch die Qualität von Meinungs- gebote einbezogen. Dabei wurden die auf Facebook bildungsprozessen verbessern. verlinkten Artikel untersucht, wodurch Aussagen darüber getroffen werden können, welche „Logik“ Qualitätsdimension Untrennbar mit den bislang vorgestellten Qualitäts- der Auswahl der dort geposteten Nachrichtenbeiträ- Professionalität dimensionen verbunden ist die Erfassung professio- ge zugrunde liegt. Analysiert wurden insgesamt acht neller Standards des Journalismus. Gemeint ist da- Wochen – vier Wochen in den Monaten Mai bis Juli mit die Aufbereitung und Präsentation von Themen und vier Wochen im September und Oktober 2018 –,
Birgit Stark/Andreas Riedl/Mark Eisenegger/Jörg Schneider/Linards Udris/Olaf Jandura Media 434 Perspektiven 9/2021 Tabelle 1 Mediensample und Fallzahlen der quantitativen Inhaltsanalyse Nachrichten- Codierte Kategorie Medienangebot beiträge Akteure Rundfunk Tagesschau 193 414 WDR aktuell – Der Tag 161 238 RTL Aktuell 183 329 Tages- und Wochenzeitungen Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) 618 1 252 Süddeutsche Zeitung (SZ) 573 1 128 BILD 264 374 Rheinische Post 256 428 taz, die tageszeitung 282 488 Die ZEIT 117 227 Der Spiegel 149 297 Onlinemedien tagesschau.de 486 1 100 faz.net 491 995 bild.de 440 857 spiegel.de 594 1 251 t-online.de 286 600 Social Media tagesschau@facebook 254 485 FAZ@facebook 480 1 021 BILD@facebook 146 246 Spiegelonline@facebook 320 681 Gesamt 6 293 12 411 Quelle: Projekt „Media Performance and Democracy“. die anhand der Sitzungstage der Parlamente in den le Akteure – Personen oder Kollektive, die mit einer drei Ländern ausgewählt wurden. Aus Gründen der eigenen Einschätzung oder Meinung thematisiert Vergleichbarkeit wurden Sitzungstage und sitzungs- wurden – in jedem Artikel festgehalten. Die Codie- freie Tage gleichermaßen einbezogen. rung wurde von intensiv und kontinuierlich geschul- ten Codiererinnen und Codierern durchgeführt. Um Ereignishintergrund Die Lage war in diesen Wochen von Ereignissen aus die Intersubjektivität der Codierung sicherzustellen, dem Themenkomplex Migration geprägt, wie bei- wurden wiederholte Reliabilitätstests durchgeführt, spielsweise dem („vermeintlichen“) „BAMF-Skan- welche zu zufriedenstellenden Ergebnissen führten dal“ (30), dem „Asylstreit“ zwischen Merkel und See- (vgl. Tabelle 2). (36) Die folgende Ergebnisdarstel- hofer (31) oder dem EU-Gipfel zum Thema Migration lung orientiert sich zunächst an der deskriptiven Be- (32). Sie tangierte, wie beispielsweise im „Fall Maa- schreibung der einzelnen Qualitätsdimensionen und ßen“ rund um den ehemaligen Verfassungsschutz- fasst dann das Qualitätsscoring für die untersuchten präsidenten (33), auch generelle Fragen nach der Medientitel zusammen. Verfassung des politischen Gemeinwesens. Auch internationale und außenpolitische Ereignisse präg- Vielfalt des politischen Nachrichtenangebots ten den Zeitraum wie die Kontroverse um den dama- Ausgehend von der theoretischen Prämisse, dass eine ligen US-Botschafter Richard Grenell (34) oder der ausgeglichene Verteilung der Themen wünschens- „Eklat“ um einen Tweet von Donald Trump nach dem wert ist, (37) zeigt die thematische Vielfalt tatsäch- G7-Gipfel. (35) lich ein relativ ausgewogenes Bild. Die anhand von rund 30 Politikfeldern gemessenen Themen wurden Im Rahmen der Inhaltsanalyse wurden die vorge- zu neun Kategorien zusammengefasst. Die Syste- stellten Qualitätsindikatoren für jeden der ausge- matik umfasst politische Strukturen, Institutionen wählten Artikel erhoben. Codiert wurde auf der Bei- und Prozesse (sogenannte „Polity“- und „Politics“- trags- und Akteursebene, das heißt für bestimmte Felder), aber auch inhaltliche politische Themenfel- Variablen war der Nachrichtenbeitrag der Bezugs- der (sogenannte „Policies“ (38)). Die Befunde zeigen punkt und für andere die Charakteristika der zu Wort insbesondere, dass die untersuchten Nachrichten- kommenden Akteure. Es wurden ein bis drei zentra- angebote einen starken Fokus auf Themen der poli-
Qualität des politischen Nachrichtenangebots in Deutschland Media Perspektiven 435 9/2021 Tabelle 2 Gesamtbewertung auf Basis des Qualitätsscorings Dimensionen mit Indikatoren, Variablen, Ausprägungen und Scorepunkten Qualitätsdimension Qualitätsindikator Variable Ausprägung Scorepunkte Vielfalt Thematische Vielfalt Thema Zusammenfassung von 31 Codes zu 9 Kategorien Shannon's H (std.) (0-10) Akteursvielfalt Akteure: Funktion Zusammenfassung von 146 Codes zu 8 Kategorien Shannon's H (std.) (0-10) Relevanz Sozialebene Sozialebene Makroebene 10 Mesoebene 8 Mikroebene rollennah 6 Mikroebene anonym 3 Mikroebene rollenfern 1 Einordnungsleistung Themenorientierung Diskursindex (0-8) Positive Werte der z-Standardisierung 10 Negative Werte der z-Standardisierung 2 Interpretationsleistung Stilform Reportage, Feature, Porträt 10 Kommentar, Kolumne, Glosse, Leitartikel 10 Interview 9 Nachricht, Bericht 8 Professionalität Sachlichkeit Sachlichkeit (1-5) Positive Werte der z-Standardisierung 10 Negative Werte der z-Standardisierung 2 Quellentransparenz Urheber*in Quelle angegeben 10 keine Quelle angegeben 1 Eigenleistung Urheber*in Korrespondent*innen 10 Redaktionsmitglieder 9 Redaktion/eigenes Medium, ohne Angabe konkreter Autor*innen 9 Gastautor*innen 7 Nachrichtenagentur und Journalist*innen / Redaktion 3 Nachrichtenagentur (z. B. dpa) 1 Quelle: Adaption von fög (Anm. 9) und Bachmann/Eisenegger/Ingenhoff (Anm. 24). tischen Struktur und Kultur legen, aber auch über gegen bei Bild@facebook, wo ein Fünftel der ver- politische Akteure (Parteien sowie Politikerinnen und linkten Artikel das Thema Migration behandeln und Politiker als (Privat-)Personen) intensiv berichten bei t-online.de, wo sich mehr als ein Viertel der Bei- (vgl. Abbildung 2) – was angesichts des Untersu- träge mit politischen Strukturen befassen sowie bei chungsschwerpunkts auf politische Berichterstat- Spiegelonline@facebook, wo die größte Zentrierung tung nicht überrascht. Innerhalb der thematischen auf politischen Akteuren liegt. Auch die thematische Policy-Felder entfällt die meiste Berichterstattung Vielfalt der drei untersuchten Angebote der „Tages- auf das Themenfeld der Außen- und internationalen schau“ (im Ersten und in den Dritten Programmen), Politik sowie auf Migrationspolitik, wie es mit der tagesschau.de und tagesschau@facebook ist be- skizzierten Ereignislage korrespondiert. Themen aus grenzt. Dieser Befund dokumentiert jedoch auch, den Bereichen Kultur, Medien, Bildung und Sport dass die „Tagesschau“ in 15 Minuten täglicher Sen- oder Innere Sicherheit und Justiz werden in dieser dezeit ein vergleichbar ausgewogenes Themen- Nachrichtenlage dagegen kaum beleuchtet. spektrum abdeckt, wie es Tageszeitungen in ihren vollumfänglichen Gesamtausgaben tun. Insgesamt Insgesamt geringe Im direkten Vergleich der Medienangebote berichtet unterscheiden sich die untersuchten Medienange- Vielfaltsunterschiede die FAZ mit am ausgeglichensten, weil sie sich – ge- bote hinsichtlich ihrer thematischen Vielfalt wenig bei den einzelnen mäß ihrer Blattlinie – durch einen vergleichsweise und weisen ähnliche Schwerpunktsetzungen wäh- Medienangeboten hohen Anteil an Wirtschafts- und Finanzthemen ab- rend des Untersuchungszeitraums auf. hebt, die bei der journalistischen Konkurrenz wenig Berücksichtigung finden. Vergleichsweise ausgewo- Für die Messung der Akteursvielfalt wurden anhand Berichterstattung mit gene inhaltliche Themenagenden weisen auch SZ einer umfangreichen Liste vordefinierter Codes für starker Fokussierung und „WDR aktuell – Der Tag“ auf. Eine vergleichs- die Auswertung acht Kategorien (39) gebildet (vgl. auf Akteure der weise starke thematische Verengung findet sich da- Abbildung 3). Zentrale Akteure sind dabei Personen Exekutive
Birgit Stark/Andreas Riedl/Mark Eisenegger/Jörg Schneider/Linards Udris/Olaf Jandura Media 436 Perspektiven 9/2021 Abbildung 2 Thematische Vielfalt des politischen Nachrichtenangebots in Deutschland in % Tagesschau 16 14 6 18 6 11 4 19 7 WDR aktuell - Der Tag 20 9 10 12 9 12 4 12 12 RTL Aktuell 20 15 7 14 6 14 16 9 FAZ 13 12 6 14 18 12 8 9 8 SZ 14 16 7 15 11 13 5 11 7 BILD 16 22 6 14 10 9 3 17 3 Rheinische Post 21 15 6 15 9 11 4 10 10 taz 23 16 5 8 4 13 6 10 14 ZEIT 27 24 3 13 10 10 5 4 4 Spiegel 19 25 5 15 10 8 2 7 9 tagesschau.de 20 16 5 16 8 6 2 19 8 faz.net 17 20 5 13 10 10 4 15 7 bild.de 17 24 10 13 6 6 16 7 spiegel.de 16 21 8 17 10 6 3 13 7 t-online.de 28 25 8 9 4 6 2 14 4 tagesschau@facebook 23 15 7 15 6 7 20 6 FAZ@facebook 20 24 4 13 7 8 4 15 5 BILD@facebook 20 22 13 13 2 4 2 20 4 Spiegelonline@facebook 21 29 6 13 4 6 2 15 4 Politische Struktur und Kultur Politische Akteur*innen Innere Sicherheit und Recht/Justiz Außenpolitik/ internationale Politik Wirtschaft/ Finanzen Sozialpolitik (inkl. Gesundheit, Beschäftigung) Kultur, Medien, Bildung, Sport Migrationspolitik Agrar-, Umwelt- und Energiepolitik Basis: n=6 265; Prozentwerte ab 2 % beschriftet. Quelle: Projekt „Media Performance and Democracy“. (z. B. Politiker, Experten oder Betroffene) oder Kollek- merksamkeit schenkt. Erneut berichtet die FAZ ver- tive (z. B. Parteien, Gerichte oder zivilgesellschaftli- gleichsweise balanciert, wieder durch ein höheres che Organisationen). Insgesamt weisen die unter- Maß der Aufmerksamkeit auf Vertreter aus dem Be- suchten Nachrichtenangebote eine starke Fokussie- reich Wirtschaft als die anderen Medienangebote. rung auf die Exekutive als ausführende Gewalt in Auch das Akteursspektrum der taz zeigt sich relativ einer Demokratie auf – deutlich stärker als dies zum vielseitig, wobei die Tageszeitung die niedrigsten Beispiel in der Schweiz der Fall ist –, während Legis- Werte hinsichtlich der Exekutive und gleichzeitig das lative und vor allem Judikative als Instanzen der Ge- höchste Maß an zivilgesellschaftlichen Stimmen waltenteilung wenig mediales Gehör bekommen. aufweist. Wenig ausgeglichen ist die Bandbreite der Auch politische Akteure aus dem Ausland bzw. trans- Bild, wo mit mehr als 50 Prozent der höchste Anteil nationale Akteure finden vergleichsweise starke Be- auf die Exekutive entfällt. Auch „RTL Aktuell“ ent- rücksichtigung – diejenigen abseits dieses politi- fernt sich weit vom Ideal eines gleichberechtigten schen Zentrums, wie zum Beispiel zivilgesellschaft- Spektrums, vor allem durch dessen geringen Stel- liche Organisationen oder Bürgerinnen und Bürger, lenwert von Zivilgesellschaft, Experten und Wirt- aber weniger. schaft – wenngleich Bürgerinnen und Bürger hier stärker medial berücksichtigt werden als in allen Hoher Stellenwert Im Vergleich der Medienangebote weist die Wochen- Vergleichsangeboten. Neben dem allgemeinen Be- der Qualitätspresse zeitung Die Zeit eine relativ hohe Ausgeglichenheit fund einer gewissen Elitenzentrierung der Bericht- für plurale Bericht- der thematisierten Akteure auf, wobei sie vor allem erstattung hinsichtlich der Akteure betont die Ana- erstattung Expertinnen und Experten vermehrte mediale Auf- lyse der beiden Vielfaltsdimensionen (siehe auch
Qualität des politischen Nachrichtenangebots in Deutschland Media Perspektiven 437 9/2021 Abbildung 3 Akteursvielfalt des politischen Nachrichtenangebots in Deutschland in % Tagesschau 46 19 14 32 8 6 WDR aktuell - Der Tag 49 13 5 11 5 4 10 3 RTL Aktuell 49 11 9 2 7 3 18 FAZ 39 14 2 14 8 8 10 5 SZ 46 10 2 15 7 8 8 5 BILD 51 16 14 3 6 4 6 Rheinische Post 43 20 10 3 8 8 7 taz 33 18 7 2 12 16 11 ZEIT 32 8 14 4 21 7 12 Spiegel 43 17 3 10 7 12 5 3 tagesschau.de 47 15 2 16 3 8 5 4 faz.net 45 14 13 5 10 7 6 bild.de 44 16 2 12 3 11 6 7 spiegel.de 41 16 15 4 9 6 7 t-online.de 45 13 10 2 12 6 11 tagesschau@facebook 44 17 14 2 10 4 7 FAZ@facebook 47 13 13 4 10 5 6 BILD@facebook 48 13 2 9 3 8 7 11 Spiegelonline@facebook 44 18 12 2 9 4 10 Politik Inland: Exekutive Politik Inland: Legislative Politik Inland: Judikative Politik Ausland / Transnational (inkl. EU) Wirtschaft Expert*innen Zivilgesellschaft Bürger*innen/Bevölkerung Anmerkung: n=10 024 (Akteure); Prozentwerte ab 2 % beschriftet. Quelle: Projekt „Media Performance and Democracy“. zusammenfassend Tabelle 3) den hohen Stellenwert Den größten Anteil an gesamtgesellschaftlichen Höchste gesell- der klassischen Printausgaben der Qualitätspresse Themen weisen „WDR aktuell – Der Tag“ und die schaftliche Relevanz für eine plurale Berichterstattung. FAZ sowie „Tagesschau“ und taz auf. Dies lässt auf bei ö.-r. Rundfunk eine hohe Relevanz der Themeneinordnung im öf- und Tageszeitungen Relevanz des politischen Nachrichten- fentlich-rechtlichen Rundfunk und in Tageszeitun- abseits des angebots gen abseits des Boulevards schließen. Im Gegenzug Boulevards Um die Relevanz des Nachrichtenangebots in weist die Bild als klassische Boulevardzeitung den Deutschland einschätzen zu können, wurde festge- niedrigsten Makroanteil und gleichzeitig den höchs- halten, auf welcher Sozialebene die jeweiligen The- ten Mikroanteil auf. Hinsichtlich der Relevanz lässt men der Berichterstattung verortet werden (vgl. Ab- sich ein Effekt der Kanäle bzw. ihrer Logik feststel- bildung 4). Die höchste Relevanz besitzen dabei len: Die auf Facebook verlinkten Artikel aller Medi- Nachrichtenbeiträge, welche den Berichterstattungs- enmarken – mit Ausnahme der Bild – zeigen einen anlass auf der Makroebene anlegen und damit des- niedrigeren Makroanteil als in ihrem Offlinependant, sen gesamtgesellschaftliche Relevanz betonen. Die was sich als erster Hinweis auf eine spezifische niedrigste Qualität wird absteigend der rollenfernen Auswahl der Nachrichtenbeiträge zur Kommunikati- Mikroebene zugesprochen, welche die Relevanz nur on über Social Media deuten lässt. Wenn die Medi- für den vergleichsweise kleinsten Teil der Gesell- enangebote innerhalb ihrer politischen Berichter- schaft und losgelöst von politischen und gesell- stattung einen Mikrofokus wählen, dann immerhin schaftlichen Funktionen demonstriert. im weiten Gros der Fälle auf rollennahe Art und Wei- se – ein rollenferner Mikrofokus kommt lediglich bei
Birgit Stark/Andreas Riedl/Mark Eisenegger/Jörg Schneider/Linards Udris/Olaf Jandura Media 438 Perspektiven 9/2021 Tabelle 3 Qualitätsdimensionen und Gesamtqualität des politischen Nachrichtenangebots in Deutschland Scorepunkte (max. 10) „Einord- nungs- „Profes- „Gesamt- Vielfalt Rang Relevanz Rang leistung“ Rang sionalität“ Rang qualtität“ Rang FAZ 9,2 1 9,1 2 6,5 5 4,9 6 7,4 1 tagesschau.de 8,5 11 8,9 7 6,5 5 5,7 2 7,4 1 Tagesschau 8,5 11 9,2 1 5,9 13 5,4 4 7,3 3 taz 9,0 2 9,1 2 6,5 5 4,6 8 7,3 3 WDR aktuell – Der Tag 8,7 6 9,1 2 5,0 16 6,4 1 7,3 3 Rheinische Post 8,8 4 9,1 2 5,8 14 5,0 5 7,2 6 tagesschau@facebook 8,4 14 8,8 9 6,1 11 5,6 3 7,2 6 ZEIT 8,7 6 8,6 13 8,3 1 2,8 17 7,1 8 faz.net 8,7 6 9,0 6 6,3 9 3,7 11 7,0 9 spiegel.de 8,8 4 8,8 9 6,5 5 4,0 10 7,0 9 SZ 8,9 3 8,8 9 6,3 9 4,1 9 7,0 9 Spiegel 8,6 9 8,5 14 6,9 2 3,7 11 6,9 12 FAZ@facebook 8,5 11 8,7 12 6,7 3 3,4 13 6,8 13 RTL Aktuell 8,4 14 8,9 7 4,9 18 4,9 6 6,8 13 Spiegelonline@facebook 8,3 16 8,5 14 6,7 3 3,2 16 6,7 15 t-online.de 8,3 16 8,5 14 6,0 12 3,3 14 6,5 16 bild.de 8,6 9 8,4 17 5,6 15 2,8 17 6,3 17 BILD 8,2 19 8,2 19 4,7 19 3,3 14 6,1 18 BILD@facebook 8,3 16 8,4 17 5,0 16 2,3 19 6,0 19 Anmerkung: n=6 293; jeweils maximal 10 Scorepunkte pro Qualitätsdimension. Quelle: Projekt „Media Performance and Democracy“. den drei untersuchten Angeboten der Bild und bei Die Analyse der Themenorientierung dokumentiert Qualitätszeitungen t-online.de zum Tragen. ein relativ klares Bild: Die Zeit – als Wochenzeitung mit ausgeprägter durch einen großen Anteil breit angelegter „long Themenorientierung Einordnungsleistung des politischen reads“ auch prädestiniert für diesen Qualitätsindika- Nachrichtenangebots tor – hebt sich hier mit einer stark überdurchschnitt- Die Themenorientierung bildet ab, inwiefern Themen lichen Themenorientierung positiv ab. Mit einigem in einen größeren thematischen Kausalzusammen- Abstand dazu weisen auch die drei untersuchten hang eingebettet werden. Die vier Komponenten Medienangebote der zweiten untersuchten Wochen- (Kontext, Bewertungen, Gründe und Folgen) wurden zeitung, dem Spiegel, überdurchschnittliche Werte zu einem sogenannten „Diskursindex“ (40) (0 bis 8) hinsichtlich der thematischen Einordnung auf, und addiert. Ein niedriger Wert bedeutet dabei, dass ein auch die Angebote der FAZ positionieren sich über Thema nur „episodisch“, also losgelöst von dessen dem Durchschnitt. Stark episodenhaft, also losge- Kausalzusammenhang präsentiert wird, wie es als löst von einer wünschenswerten thematischen Ein- Kennzeichen von niedrig-qualitativen „Soft News“ bettung in Kausalzusammenhänge, präsentiert sich begriffen wird (41); ein hoher Wert bedeutet, dass die Berichterstattung der Bild, wobei die Printaus- der Berichterstattungsanlass „thematisch“ einge- gabe die niedrigste Themenorientierung aufweist. ordnet wird (42), wie es als Kennzeichen von Medi- enqualität bzw. qualitätsvollen „Hard News“ begrif- Ein stark differenziertes Bild ergibt sich mit Blick auf Spezifische fen wird. Um die Ergebnisse unterschiedlich skalier- die untersuchten öffentlich-rechtlichen Angebote: öffentlich-rechtliche ter Variablen besser miteinander vergleichen zu kön- Dass „WDR aktuell – Der Tag“ – mit einem Fokus Angebote erbringen nen (z. B. Sachlichkeit), wurde eine z-Standardisie- auf kompakte Meldungen – die episodenhafteste spezifische rung durchgeführt. (43) Negative Werte geben in die- Berichterstattung aufweist, muss im Kontext des Leistungen ser Berechnung – vereinfacht gesagt – an, dass ein spezifischen Radioformats interpretiert werden. Da- Medienangebot unter dem jeweiligen Durchschnitts- bei entspricht es durchaus dem Grundgedanken des wert der gesamten Medienauswahl liegt; positive Binnenpluralismus öffentlich-rechtlicher Angebote Werte, dass es darüber liegt (vgl. Abbildung 5). (44), dass spezifische Angebote auch spezifische Leistungen erbringen – Radio also klassisches „Be-
Qualität des politischen Nachrichtenangebots in Deutschland Media Perspektiven 439 9/2021 Abbildung 4 Relevanz des politischen Nachrichtenangebots in Deutschland in % Tagesschau 73 16 10 WDR aktuell - Der Tag 74 10 16 RTL Aktuell 68 15 15 2 FAZ 74 11 13 SZ 66 14 18 BILD 52 14 29 23 Rheinische Post 72 10 17 taz 73 13 13 ZEIT 62 9 26 Spiegel 57 15 26 tagesschau.de 67 17 14 2 faz.net 67 16 15 bild.de 57 16 21 3 3 spiegel.de 65 13 19 2 t-online.de 59 17 20 22 tagesschau@facebook 64 17 17 2 FAZ@facebook 60 20 18 BILD@facebook 58 14 23 4 Spiegelonline@facebook 55 17 27 Makroebene Mesoebene Mikroebene rollennah Mikroebene anonym Mikroebene rollenfern Basis: n=6 293; Prozentwerte ab 2 % beschriftet. Quelle: Projekt „Media Performance and Democracy“. gleitmedium“ mit hoher Nutzung unterwegs zum nungsbildung. Die höchste Interpretationsleistung Beispiel eher kompakte Information als breite Ein- liegt dabei bei Reportagen, Features und Porträts, ordnung (45) –, wobei Rezipienten üblicherweise die dementsprechend recherche- und damit auch mehrere öffentlich-rechtliche Angebote parallel nut- ressourcenintensiv sind, sowie bei Kommentaren, zen. (46) Dabei sieht auch die hier vorgeschlagene Kolumnen und Glossen, wobei Letztere als solche Konzeption von Medienqualität vor, dass sich unter- ausgewiesen werden müssen. Auch Interviews wird schiedliche Qualitätsdimensionen gegenseitig aus- eine höhere Interpretationsleistung zugerechnet. Am gleichen können, wodurch auch „Medienangebote niedrigsten sind hier einfache Nachrichten und Be- auf unterschiedliche Art und Weise ‚gut‘ sein kön- richte einzuordnen. nen“. (47) Während sich die „Tagesschau“ hinsicht- lich ihrer Themenorientierung im Mittelfeld einord- Hier heben sich – wie schon bei der Themenorien- Wochenzeitungen net, erreicht tagesschau.de überdurchschnittliche tierung als weitere Komponente der Einordnungs- haben höchsten Werte. Dieser Befund unterstreicht, wie wichtig er- leistung – Die Zeit und mit etwas Abstand der Spie- Anteil an gänzende Onlineangebote sind, die neben kompak- gel als Wochenzeitungen klar positiv ab, indem sie kommentierenden ten und zeitlich begrenzten Fernseh- und Radioan- einen hohen Anteil an Reportagen und Ähnlichem, Formaten geboten tiefergehende Einordnung leisten können. aber auch an kommentierenden Formate sowie In- terviews aufweisen (vgl. Abbildung 6). Auch die Be- Der zweite Qualitätsindikator für die Einordnungs- richterstattung der taz stützt sich in einem über- leistung bezieht sich auf das Beitragsformat und durchschnittlichen Maß auf Formate, wie sie Mei- erfasst das Potenzial für eine angemessene Mei- nungsbildungsprozesse unterstützen können. Fast
Birgit Stark/Andreas Riedl/Mark Eisenegger/Jörg Schneider/Linards Udris/Olaf Jandura Media 440 Perspektiven 9/2021 Abbildung 5 Themenorientierung des politischen Nachrichtenangebots in Deutschland Tagesschau -0,020 WDR aktuell - Der Tag -0,603 RTL Aktuell -0,472 FAZ 0,108 SZ 0,012 BILD -0,680 Rheinische Post -0,240 taz -0,064 ZEIT 0,623 Spiegel 0,223 tagesschau.de 0,232 faz.net 0,083 bild.de -0,201 spiegel.de 0,145 t-online.de 0,034 tagesschau@facebook -0,016 FAZ@facebook 0,244 BILD@facebook -0,511 Spiegelonline@facebook 0,173 Anmerkung: Basis: n=6 293; z-standardisierte Werte des vierteiligen additiven Diskursindex (0-8) bestehend aus dem Vorhandensein von Kontext, Bewertungen, Gründe und Folgen (je 0=nicht vorhanden, 1=grundsätzlich vorhanden, 2=ausführlich)) (für das der z-Standardisierung zugrunde liegende arithmetische Mittel wurden die Daten gemäß des Verhältnisses zwischen Stichprobengröße und Grundgesamtheit der jeweiligen Medienangebote gewichtet). Quelle: Projekt „Media Performance and Democracy“. ausschließlich auf Nachrichten und Berichte bauen gen, welche in einer Variablen erfasst wurden (vgl. die beiden kompakten TV-Formate „Tagesschau“ Abbildung 8). Die Quellentransparenz stützt sich auf und „RTL Aktuell“ sowie tagesschau.de. die simple Unterscheidung, ob nachvollziehbar ist, wer einen Beitrag verfasst oder produziert hat. (49) Professionalität des politischen Nachrichten- Innerhalb des Print- und Onlinesektors zeigt sich angebots hier eine klare Achse, die zwischen den Angeboten Sachlichste Bericht- Sachlichkeit als ein Indikator der Professionalität der Bild als Boulevardzeitung und den Qualitätsme- erstattung bei journalistischer Berichterstattung überprüft, inwie- dien verläuft: Während die Qualitätsmedien konsis- Regionalpresse und fern Nachrichtenbeiträge kognitiv und rational oder tent nur im kleineren einstelligen Prozentbereich die ö.-r. Medien aber emotional und affektiv verfasst sind. (48) Bei Quellen ihrer Nachrichtenbeiträge nicht offenlegen diesem Qualitätsindikator hebt sich die Rheinische – die taz „führt“ hier mit 7 Prozent –, liegt dieser Post als Repräsentantin für die Regionalzeitungen Anteil bei der Bild bei mehr als einem Viertel, bei positiv ab, indem sie Nachrichten auf überdurch- bild.de und Bild@facebook sogar bei über der Hälf- schnittlich rationale und sachliche Weise präsentiert te, wie es als klares Defizit der Quellentransparenz (vgl. Abbildung 7). Außerdem positionieren sich die für das Publikum zu werten ist. untersuchten öffentlich-rechtlichen Medienangebo- te an oberster Stelle: Allen voran „WDR aktuell – Der Die Eigenleistung spiegelt abschließend wider, in Hohes Maß an Eigen- Tag“, aber auch „Tagesschau“, tagesschau.de und welchem Ausmaß ein Nachrichtenbeitrag das Resul- leistung bei ö.-r. tagesschau@facebook zeichnen sich durch die hohe tat von eigenen redaktionellen Leistungen ist. Am Angeboten und auch Sachlichkeit ihrer Berichterstattung aus. Überdurch- positivsten werden hier demnach Nachrichtenbei- bei „RTL Aktuell“ schnittlich emotionalisierend zeigen sich in der Ana- träge von der Redaktion gesehen, innerhalb dieser lyse dagegen nicht nur die untersuchten Medien- jene von Korrespondentinnen und Korrespondenten. angebote der Bild, sondern auch Zeit und Spiegel Es folgen in der abgestuften Reihenfolge Beiträge weisen in der Berichterstattung häufiger emotionali- von Gastautorinnen und Gastautoren und am Ende sierende Elemente auf. der Skala finden sich (un)bearbeitete Meldungen von Nachrichtenagenturen. Dem liegt die Idee zugrunde, Angebote der Bild- Als weitere Qualitätsindikatoren für die Professiona- dass eine zu starke Orientierung an Agenturmeldun- zeitung mit geringer lität des politischen Nachrichtenangebots werden gen zu einem Gleichklang der massenmedial the- Quellentransparenz Quellentransparenz und Eigenleistung herangezo- matisierten Perspektiven führen kann. In der Quali-
Qualität des politischen Nachrichtenangebots in Deutschland Media Perspektiven 441 9/2021 Abbildung 6 Interpretationsleistung des politischen Nachrichtenangebots in Deutschland in % Tagesschau 98 WDR aktuell - Der Tag 73 12 15 RTL Aktuell 91 32 4 FAZ 74 9 16 SZ 73 7 18 2 BILD 78 3 17 3 Rheinische Post 77 6 14 3 taz 57 7 26 10 ZEIT 26 32 32 10 Spiegel 54 25 12 9 tagesschau.de 88 3 7 faz.net 75 5 18 2 bild.de 86 4 8 2 spiegel.de 80 7 10 3 t-online.de 81 5 9 4 tagesschau@facebook 83 14 2 FAZ@facebook 74 5 17 4 BILD@facebook 83 2 11 4 Spiegelonline@facebook 76 5 16 3 Nachricht, Bericht Reportage, Feature; Porträt Kommentar, Kolumne, Glosse, Leitartikel Interview Basis: n=6 293; Prozentwerte ab 2 % beschriftet. Quelle: Projekt „Media Performance and Democracy“. tätsbewertung führend zeigen sich hier die öffent- zu können und zu einer Gesamtbewertung zu ge- lich-rechtlichen Angebote, die ein hohes Maß an Ei- langen, sieht die als Benchmark dienende Qualitäts- genleistung einerseits durch ihr Korrespondenten- messung in der Schweiz ein Qualitätsscoring vor: netz, aber auch andererseits durch den Verzicht auf Anhand langjähriger Erfahrungswerte wurde ein Mo- die Verbreitung bestenfalls bearbeiteter Agentur- dell entwickelt, das den verschiedenen Ausprägun- meldungen sicherstellen. Auch „RTL Aktuell“ fällt gen der einzelnen Qualitätsindikatoren einen be- hier mit dem für privat organisierte Medien höchsten stimmten Wert zuweist, wobei die einzelnen Scores Anteil an Meldungen von Korrespondenten und eben- jeweils maximal den Wert 10 annehmen können falls dem weitgehenden Verzicht auf Agenturma- (vgl. Tabelle 2). Einzig die beiden Qualitätsindikato- terial positiv auf. Ein sehr niedriges Maß an Eigen- ren thematische Vielfalt und Akteursvielfalt werden leistung beweist t-online.de, wo nur rund ein Drittel nicht auf Beitragsebene durch ein Scoring quantifi- der Berichterstattung nicht originär einer Agentur ziert, sondern in diesen beiden Fällen wurde auf entstammt. Auch faz.net und FAZ@facebook fallen Ebene der gesamten Berichterstattung eines Ange- durch ihre niedrige Eigenleistung auf – obwohl die bots mit dem Shannon-Index (Shannon’s H) ein eta- FAZ in ihrer Printausgabe überwiegend als solche bliertes Maß der Vielfaltsmessung angewendet. (50) deklarierte, redaktionell erarbeitete Berichterstat- In der hier verwendeten standardisierten Variante tung anbietet. kann er Werte von 0 (keine Vielfalt: ein Medienange- bot berichtet z. B. nur zu einem Thema) bis zu 10 Gesamtqualität des politischen Nachrichten- (volle Vielfalt: ein Medienangebot berichtet z. B. über angebots alle Themen im gleichen Umfang) annehmen. Die so Qualitätsscoring Die bisherige Analyse hat gezeigt, welche spezifi- auf Ebene der Qualitätsindikatoren erfassten Werte nach Vorbild der schen Charakteristika die untersuchten Medienana- werden zu Scores auf Ebene der vier Qualitätsdi- Schweiz gebote hinsichtlich ihrer Vielfalt, Relevanz, Einord- mensionen zusammengefasst, welche ebenfalls je- nungsleistung und Professionalität auszeichnen. Um weils maximal den Wert 10 annehmen können. (51) diese systematisch in Beziehung zueinander setzen Diese vier Qualitätsdimensionen fließen abschlie-
Birgit Stark/Andreas Riedl/Mark Eisenegger/Jörg Schneider/Linards Udris/Olaf Jandura Media 442 Perspektiven 9/2021 Abbildung 7 Sachlichkeit des politischen Nachrichtenangebots in Deutschland Tagesschau 0,130 WDR aktuell - Der Tag 0,257 RTL Aktuell 0,004 FAZ 0,071 SZ -0,010 BILD -0,514 Rheinische Post 0,263 taz 0,077 ZEIT -0,766 Spiegel -0,417 tagesschau.de 0,236 faz.net 0,039 bild.de -0,317 spiegel.de -0,047 t-online.de 0,009 tagesschau@facebook 0,176 FAZ@facebook -0,064 BILD@facebook -0,297 Spiegelonline@facebook -0,383 Anmerkung: Basis: n=6 293; z-standardisierte Werte der fünfstufigen Skala (1="emotional“ bis 5="sachlich- nüchtern“) (für das der z-Standardisierung zugrunde liegende arithmetische Mittel wurden die Daten gemäß des Verhältnisses zwischen Stichprobengröße und Grundgesamtheit der jeweiligen Medienangebote gewichtet). Quelle: Projekt „Media Performance and Democracy“. ßend gleichgewichtet in einen Score der Gesamt- gabe der FAZ und tagesschau.de mit äußerst knap- qualität ein, der ebenfalls einen Maximalwert von 10 pem Vorsprung an. Die FAZ hebt sich dabei primär annehmen kann: durch eine höhere Vielfalt der Themen und Akteure ab (vgl. auch Tabelle 3), indem sie, wie dargelegt, Vielfalt + Relevanz + das bestehende Spektrum der Perspektiven anderer Einordungsleistung + Professionalität Medienangebote um eine wirtschaftliche erweitert. Gesamt- = –––––––––––––––––––––––––––––– tagesschau.de zeichnet sich vor allem durch eine qualität 4 überdurchschnittliche Professionalität in der Bericht- erstattung aus, welche in hoher Sachlichkeit und Ei- Die hier realisierte Qualitätsmessung und -berech- genleistung der redaktionellen Inhalte begründet liegt. nung entspricht damit weitgehend jener des Schwei- zer Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesell- Die taz folgt mit konstant etwas überdurchschnittli- schaft (fög) und weicht nur in einigen Aspekten ab, chen Werten gleich dahinter, genauso wie „WDR die sich primär aus dem hier spezifischen Fokus auf aktuell – Der Tag“ mit der höchsten Professionalität, politische Nachrichten ergeben. (52) aber unausgeschöpften Potenzialen bei der Einord- nungsleistung, sowie der „Tagesschau“, die eine ver- Medien unterscheiden sich vor allem bei gleichsweise niedrige Vielfalt und Einordnungsleis- Professionalität und Einordnungsleistung tung ebenfalls durch ihre Professionalität kompen- FAZ und In der Gesamtschau (vgl. Abbildung 9) zeigt sich, dass siert. Im Mittelfeld positionieren sich zum einen tagesschau.de vor allem die Professionalität die am stärksten diffe- Nachrichtenangebote mit spezifischen Stärken, aber haben höchste renzierende Dimension von qualitativ hoch- und nied- auch Schwächen wie beispielsweise Die Zeit, die Gesamtqualität rigwertigen Angeboten in der deutschen Medienland- sich durch ihre stark einordnende Berichterstattung schaft darstellt. Auch hinsichtlich der Einordnungs- prägnant von allen anderen Angeboten abhebt, durch leistung der untersuchten Nachrichtenbeiträge kommt einen hohen Grad der Emotionalisierung die hier ver- es auf der Ebene der Medienangebote zu deutlich tretene Auffassung eines professionellen Standards positiven wie negativen Diskrepanzen – bezüglich der Sachlichkeit aber nicht erfüllt. Andererseits be- Vielfalt und Relevanz unterscheiden sich die analy- finden sich Medienangebote im Mittelfeld, welche sierten Angebote jedoch vergleichsweise wenig. Das auf allen vier Qualitätsdimensionen ausgewogen Ranking der Gesamtqualität des politischen Nach- im Schnitt scoren, wie beispielsweise die SZ oder richtenangebots in Deutschland führen die Printaus- spiegel.de. Auf allen Achsen unterdurchschnittlich
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