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iaf informationen Ausgabe 1 / 2021 ISSN 1430-8614 BU ND ES TA 1 20 GS 2 W AH L Qual der Wahl DEMOKRATISCHE PARTIZIPATION AUS SICHT MIGRANTISCHER FAMILIEN
Editorial |2 Liebe Leserin, lieber Leser, Wir haben uns in einem Online Panel mit der politischen Soziali- sation von jungen Migrant:innen auseinandergesetzt und dabei Ekin Deligöz, kinder- und familienpolitische Sprecherin der es steht eine wichtige Entscheidung für Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, als Diskussionsgast dieses Land an, und zwar die Bundestags- eingeladen. wahlen 2021. Am Wochenende entscheidet Last but not least möchte ich Euch/Sie noch auf unsere Verbands- sich, welche Parteien mehrheitlich in den forderungen für diese Wahlen aufmerksam machen. Zentralle Bundestag ziehen und welche Parteien Themen sind dabei die Familienzusammenführung, das migran- miteinander für die nächsten vier Jahre tische Familienleben in Deutschland sowie Bildung & Vielfalt. koalieren werden. Politische Forderungen sind das Kerngeschäft der Interessen- Wir haben dies zum Anlass genommen, um Euch/Sie darüber zu vertretung. Der Verband hat in seiner langjährigen Lobbyarbeit informieren, welche Themen unser Verband mit den Bundes- vieles erreicht. Steter Tropfen höhlt den Stein: im Juni diesen tagswahlen in Verbindung bringt. Unser Motto ist: Wer wählen Jahres wurde die geschlechterspezifische Diskriminierung und geht, ist klar im Vorteil! Um Euch/Ihnen die Entscheidung für den der daraus resultierende Generationenschnitt im Staatsange- 26. September 2021 einfacher zu machen, haben wir typische hörigkeitsrecht endlich aufgehoben. Verbandsfragen an unsere Politiker:innen gestellt und daraus Wahlprüfsteine erstellt. Ich wünsche Euch/Ihnen viel Spaß beim Lesen und Migrant:innen mit eigener Zuwanderungsgeschichte bis hin in herzliche Grüße! den weiteren Generationen fühlen sich der Bundesrepublik Deutschland auch nach vielen Jahren hier lebend oft nicht zu- C Chryyssovalantou Va ry Chrysovalantou V n eltz ng t iki tz Vangeltziki gehörig. Deutsche Politik kann sogar befremdlich sein. Bundesgeschäft f sführerin ft Bundesgeschäftsführerin Woran liegt das?
QUAL DER WAHL - DEMOKRATISCHE PARTIZIPATION AUS SICHT MIGRANTISCHER FAMILIEN | 3 Inhalt Erkenntnisse aus der Wahlforschung 5 Prof. Dr. Sigrid Roßteutscher Online-Diskussion 6 Politische Partizipation von Migrant:innen 12 Von Zäunen und Bäumen 13 Ekin Deligöz Wahlprüfstein: Migrantisches Familienleben in 17 Deutschland Wahlprüfstein: Bildung & Vielfalt 22 Wahlprüfstein: Migration ist ein 26 Familienprojekt Für mehr Vielfalt 31 Warum ich in die Politik ging Drei Beispiele aus Leipzig 32 #walman 33 Interview mit Ali Can
QUAL DER WAHL - DEMOKRATISCHE PARTIZIPATION AUS SICHT MIGRANTISCHER FAMILIEN | 4 Junge Wähler:innen Rund 2,8 Millionen junge Menschen in Deutschland dürfen dieses Jahr zum ersten Mal den Bundestag wählen. Erstwähler:innen machen 4,6 Prozent aller Wahlberechtigten aus. Wählen sie? Wollen sie überhaupt wählen? Was bedeutet das für die politische Repräsentation? Wie bringen junge Menschen sich ein? Wie und wo werden sie politisch sozialisiert? Wo muss angesetzt werden, um die Wahlbeteiligung junger Menschen und insbesondere migrantischer junger Menschen zu erhöhen? Als Schwarzer aus einem Drittstaat bin ich für die Politik hier nicht relevant. Selbst wenn ich auch die deutsche Staats- angehörigkeit hätte und wählen dürfte, wüsste ich nicht, welcher Partei ich meine Stimme geben könnte, welche Ich habe mich schon in Syrien als Student politisch engagiert und Partei meine Interessen hier vertreten könnte. als ich nach Deutschland kam, habe ich gesehen, dass sich eine Bundestagsabgeordnete der SPD sehr für die Demokratie- Adeo B. bewegungen dort interessiert und engagiert hat. So bin ich SPD Mitglied geworden. Als ich dann zum ersten Mal bei einer Sitzung der Ortgruppe war, war ich sehr enttäuscht. Es waren meist ältere Männer und Frauen, die sich überhaupt nicht für mich interessierten. Sie waren nett und höflich, aber ich verstand nicht, was ihre politische Arbeit war. Ich bin wie meine Eltern auch in der kurdischen Shero J. Gemeinde organisiert. Vor einiger Zeit bin ich Mitglied bei den Linken geworden, weil sie die einzige Partei hier sind, die die Kurden immer in ihrem politischen Kampf unterstützt haben. Ferhad A.
QUAL DER WAHL - DEMOKRATISCHE PARTIZIPATION AUS SICHT MIGRANTISCHER FAMILIEN | 5 Erkenntnisse aus der Wahlforschung Prof. Dr. Sigrid Roßteutscher Familie als Hauptort der politischen Sozialisation Die Familie ist tatsächlich der Hauptinitiator. Also wenn in der Familie über Politik geredet wird, wenn die Eltern wählen gehen, dann braucht man sich über den jungen Menschen überhaupt gar keine Sorgen mehr machen. Man kann davon ausgehen: er ist angekommen in der Politik. Sorgen muss man sich machen um diejenigen, die in Elternhäusern aufwachsen, wo nicht mehr über Noch ein Satz zur zunehmenden räumlichen Segregation, die Politik geredet wird, wo keine klassischen Medien konsumiert wir auch in Deutschland haben. Es gibt Stadtteile mit niedriger werden, wo die Eltern schon nicht Wählen gehen. Wahlbeteiligung, Stadtteile mit hoher Wahlbeteiligung. Viele Menschen wachsen auf in Stadtteilen, in Kommunen, wo der Nachbar nicht wählt, wo der Onkel nicht wählt, wo der Bäcker nicht wählt oder überhaupt gar nicht mehr über Politik Veränderungen im Wahlverhalten gesprochen wird. Noch für die 1980er Jahre galt, dass Bildung beim Wahlverhalten fast keine Rolle spielte. Die Leute haben gewählt, egal ob sie einen Migrantische junge Menschen gehen seltener zur Wahl als höheren Bildungsabschluss hatten oder niedrigere. Nun, irgend- nicht migrantische. wann in den 90er Jahren geht die Schere auf und weniger ge- Wenn man den Faktor Schicht mit einbezieht, ist ganz viel des bildete Schichten gehen immer seltener zur Wahl, während es bei Unterschieds zwischen migrantischem und nicht migrantischem höher Gebildeten mehr oder weniger gleichbleibt. Diese Schere Wahlverhalten erklärt. Hinzu kommt, wenn Jugendliche mit geht bei den Jungen auf, nicht bei den Alten. Da wählen auch Migrationshintergrund Diskriminierungserfahrungen machen, weiterhin die, die immer gewählt haben. Wir sind mittler-weile in dann ist das auch kein Stachel, sich jetzt erst recht zu engagieren, einer Situation, wo Abiturient:innen eine doppelt so hohe sondern eher ein Schritt in Richtung Apathie. Das Land will mich Wahlbeteiligung haben wie andere junge Menschen mit einem nicht, die lehnen mich ab. niedrigen Abschluss oder ohne Schulabschluss. Das ist drama- In vielen Familien mit migrantischen Hintergrund haben die Eltern tisch, weil die Letztgenannten genau die Gruppen sind, die keine deutsche Staatsbürgerschaft und genau aus diesem Grund eigentlich Hilfe von der Politik bräuchten. auch kein großes Interesse an Politik in Deutschland.
QUAL DER WAHL - DEMOKRATISCHE PARTIZIPATION AUS SICHT MIGRANTISCHER FAMILIEN | 6 Online-Diskussion Ekin Deligöz, kinder- und familienpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen Baran Fakir, Young Voice, Türkische Gemeinde Deutschland e.V. Prof. Sigrid Roßteutscher, Wahlforscherin an der JWG-Universität Frankfurt Wo und wie wurden Sie politisch sozialisiert? EKIN DELIGÖZ: Also ehrlich gesagt, ich glaube tatsächlich an erster Stelle in der Familie. Ich hatte eine sehr, sehr engagierte Großmutter und sie war ein Vorbild für mich. Sie war die erste Stadträtin in einem sehr männlich dominierten patriarchalen System. Sie hat sich wahnsinnig stark engagiert für Schule, für Bildung, für Gesundheit, für sauberes Wasser und für vieles mehr. Und dieses Engagement hat sich fortgesetzt, auch meine Mutter war sehr engagiert. Und für mich war es auch selbstverständlich, dass ich mich engagiere. BARAN FAKIR: Tatsächlich zunächst einmal in der Familie. Ich bin in eine alevitische Familie hineingeboren. Die politische Sozialisation war bei mir sehr vielfältig. Meine Mutter kam aus Istanbul nach Deutschland und über sie habe ich eine doch sehr, ich sage jetzt mal wertkonservative, humanistische Bildung be- kommen. Mein Vater, geboren und aufgewachsen in Ostanatolien war links, also er war überzeugter Marxist und hat sich dann auch hier engagiert. Zwischen diesen beiden Welten war es unmöglich, nicht politisiert oder politisch zu werden. Politik war immer Thema zu Hause. Es war eine Notwendigkeit, vor allem in Deutschland als Migrant:in, als Migrantenkind.
QUAL DER WAHL - DEMOKRATISCHE PARTIZIPATION AUS SICHT MIGRANTISCHER FAMILIEN | 7 SIGRID ROßTEUTSCHER: Ich bin in einer extrem politisierten Familie aufgewachsen. Also wenn Wahlen waren, das fand damals, als ich klein war in den 70er, 80er Jahren noch am Radio statt, da mussten alle Kinder leise sein. Mein Vater war unglaub- lich engagiert in der SPD. Politik war heilig. Es war ein Riesen- thema und wenn die Partei nicht gewonnen hat, dann war erst mal Krise, dann war Depression in der Familie angesagt. Wir haben als kleine Kinder schon mitbekommen, dass Politik etwas mit Identität zu tun hat.
QUAL DER WAHL - DEMOKRATISCHE PARTIZIPATION AUS SICHT MIGRANTISCHER FAMILIEN | 8 Online-Diskussion Wie sehen Sie die politische Sozialisation in migrantischen Familien? EKIN DELIGÖZ: Politisch sind die Menschen schon, aber nicht in BARAN FAKIR: Es gibt Diskrepanzen in der Wahrnehmung was die den Strukturen, wie wir sie uns vorstellen. Sie sind engagiert in politische Sozialisation in migrantischen Familien betrifft: Zum den Moscheevereinen, in den Kulturvereinen, sie orientieren sich Beispiel in türkischen Familien wird zwar auch häufig über Politik nach wie vor an der türkischen Politik und fahren in die Türkei, um gesprochen, aber es ist vielfach die türkische Politik. Auch weil sie dort zu wählen und nicht hier. keinen Einfluss auf die deutsche Politik nehmen konnten, jenseits Für mich war klar: du bleibst hier und versuchst hier die Dinge zu der Gewerkschaften, wo sie sich als Arbeiter:innen engagierten, verändern. Man muss sich entscheiden und ich habe die deutsche war die deutsche Politik ziemlich uninteressant. Die Kinder in Staatsbürgerschaft beantragt, habe sie bekommen, habe selbst diesen Familien sehen türkische Nachrichten, lernen die türkische kandidiert und sitze jetzt im Bundestag. Aber letztendlich war es politische Sprache, sie übernehmen Stereotype aus der Türkei, die Entscheidung zu sagen: Wenn dir etwas nicht gefällt, dann Hinzu kommt die eigene Lebenssituation. Wenn man Rassismus musst du das selbst anpacken und verändern, denn dir wird im und Diskriminierung erfährt, führt das zu Verdruss und Unzu- Leben nichts geschenkt. Selbst als Bundestagsabgeordnete, auf friedenheit: Warum soll ich mich für die Politik in diesem Land jedem Podium, bei jedem Auftritt muss ich drei, vier, fünfmal so interessieren, wenn ich hier nicht willkommen bin? Es ist letzt- gut sein wie alle anderen, um die gleiche Anerkennung, Wert- endlich eine Frage der Verbundenheit. Vielen migrantischen schätzung, Akzeptanz zu bekommen. Das zieht sich durch unser Familien fehlt ein Verbundenheitsgefühl mit dieser Gesellschaft. Leben. Und ja, es gibt Zeiten, wo man sagt: Hey, das ist nicht fair. Migrationsgeschichte ist ein sehr wichtiger Faktor, wenn es darum Warum messt ihr mit zweierlei Maß? Warum ist meine Leistung geht, junge Menschen zu politisieren. nicht gut genug? Und warum komme ich trotz meiner Leistung nicht so weit wie andere mit weit weniger Leistung, mit weniger Kenntnissen und Können? Aber sich davon abschrecken zu lassen, ist noch viel schlimmer. Wenn es meiner Generation nicht gelingt, die Türen zu öffnen, dann werden sie auch für unsere Kinder verschlossen sein. Und deshalb lohnt es sich jeden einzelnen Tag aufzustehen, weiter zumachen und zu sagen: Ja, es lohnt sich. Dieses Land ist bunt, vielfältig und wir sind auch das Volk. BARAN FAKIR: Politik oder politisch sein kann für uns auch überlebenswichtig werden. Für meine Generation ist Hanau das, was Rostock, Solingen, Mölln für die Generation vorher war. Hanau hat sehr stark politisiert. Menschen, die keine Lust oder Idee von Politik hatten, wurden politisch. Auch das muss man realisieren.
QUAL DER WAHL - DEMOKRATISCHE PARTIZIPATION AUS SICHT MIGRANTISCHER FAMILIEN | 9 Online-Diskussion Was tun? EKIN DELIGÖZ: Vor allen Dingen dort, wo sich soziale Benach- Also man gibt Leuten Wahlrecht zu dem Zeitpunkt, wo sie bereits teiligung kumuliert, müssen wir ansetzen. Eine weitere Antwort aus der Schule sind, nicht mehr im Elternhaus wohnen und mit ist das Kommunalwahlrecht für Migrant:innen aus Drittländern. anderen Dingen beschäftigt sind. Und die Wahrscheinlichkeit Warum nicht? Das betrifft die Menschen. Da geht es um die wählen zu gehen ist viel geringer, als wenn man 16 Jahre alt ist. eigene Schule, die eigene Straße, den Wohnort. Mut zu mehr Wir brauchen einen Ausgleich zu der riesigen Gruppe sehr alter Demokratie heißt für mich auch Mut, das Wahlrecht auszuweiten, Wähler:innen, damit die Politik sich nicht nur um Rentenfragen z.B. das. Wahlalter auf 16 Jahre herabsetzen. Wir müssen viel kümmert, sondern auch um Zukunftsfragen. mehr junge Menschen mit einbeziehen, weil wer mit einbezogen wird, interessiert sich. Für mich fängt Demokratie aber schon viel früher an, mit einem Mitspracherecht im Kindergarten, in der BARAN FAKIR: Ich sehe auch die Verantwortung bei den zivil- Schule, die Schülermitverwaltung ernst nehmen, mitmachen bei gesellschaftlichen Vereinen und Gruppen. Viele migrantische Schülerversammlungen. Familien, waren und sind es nicht gewohnt, ihre Rechte einzu- Den Menschen die Zusammenhänge klar machen ist wichtig. Das fordern. Auch meine Eltern haben es einfach so hingenommen, ist tatsächlich in der Parteipolitik am schwierigsten, weil es keinen wenn ich z. B in der Schule ungerecht behandelt wurde. Und das unmittelbaren Zusammenhang zwischen unserem Engagement sagen viele Eltern: Wir haben uns nicht getraut, wir hätten etwas und dem Ergebnis gibt. Weil á la Max Weber: Politik ist immer das sagen müssen, es war Unrecht. Also da fängt es an, hier kommt Bohren dicker Bretter. Und gerade in Deutschland sind die Bretter migrantischen Vereinen eine wichtige Aufgabe zu, die Eltern zu besonders dick. Bis ich von einer Idee zu einem Ergebnis komme, informieren und zu unterstützen. Ich bin dagegen, zu sehr auf das dauert, das erlebe ich vielleicht selbst gar nicht mehr in Parteien zu setzen oder darüber zu diskutieren, wie viele meiner Abgeordnetenzeit. migrantische Vertreter:innen haben wir in den Parteien. Aber in der Zivilgesellschaft sehe ich sehr viel, wo man sich engagieren sollte. SIGRID ROßTEUTSCHER: Es gibt keinen empirischen Grund, warum man das Wahlalter nicht auf 16 Jahre absenken sollte. Im EKIN DELIGÖZ: Also ich glaube, dass wir als Parteien eigentlich Gegenteil, 16-Jährige sind motivierter und interessierter als die schon sehr präsent sind, dass viele meiner Kolleg:innen nicht nur Altersgruppe 18 plus. Denn wer mit 18 wählen darf, ist im Durch- im Wahlkampf, sondern darüber hinaus präsent sind. Parteien schnitt 20 und dies ist eine kritische Phase: Studium oder Berufs- haben auch einen Verfassungsauftrag: sie sollen die politische findung, Familiengründung, Partnerschaft. Willensbildung des Volkes mitgestalten. Es braucht aber viel mehr positive Begegnungen mit Politiker:innen und zwar jenseits der Berichterstattung von 10 Sekunden in den Nachrichten.
QUAL DER WAHL - DEMOKRATISCHE PARTIZIPATION AUS SICHT MIGRANTISCHER FAMILIEN | 10 Online-Diskussion Wäre Wahlpflicht eine Alternative? EKIN DELIGÖZ: Ich bin eine Freiheitsrechtlerin. Ich finde, Wahl- recht ist ein Recht. Und es gehört auch die Freiheit dazu, es nicht in Anspruch zu nehmen. Das prägt unsere Wertegesellschaft, dass BARAN FAKIR: Dadurch, dass wir uns bei der Wahlpflicht auf es eben nicht den einen Menschen gibt, der dir sagt, was du zu Wahlen fokussieren, erwecken wir den Eindruck, dass Demokratie tun und zu lassen hast. Auch das ist Demokratie. nur durch Wahlen entsteht. Das stimmt aber nicht. Diesen Ein- druck dürfen wir nicht vermitteln. Wählen ist eine Gewissens- entscheidung, eine Meinungsfreiheit und dazu gehört auch die SIGRID ROßTEUTSCHER: Ich bin keine hundertprozentige, aber Freiheit „nein“ zu sagen. eine achtzigprozentige Unterstützerin der Wahlpflicht. Wir haben Steuerpflicht, wir haben alle möglichen Pflichten. Warum nicht die Pflicht, wählen zu gehen? Was unsere Demokratie aufrecht erhält. Mit einer Pflicht zu wählen, kommt hoffentlich auch die Selbst- verpflichtung zur Information.
QUAL DER WAHL - DEMOKRATISCHE PARTIZIPATION AUS SICHT MIGRANTISCHER FAMILIEN | 11 Junge Wähler:innen Letzthin war ich an einem Infostand der CDU/CSU, weil ich wissen wollte, welche Positionen die Partei zur Familienpolitik So lange ich denken kann, war immer Merkel hat. Ich fühlte mich sehr unwohl, die Leute waren wohl erstaunt, Kanzlerin und für mich die Politikvertreterin. Jetzt dass ich mich als junge Kopftuchträgerin für ihre Partei sehe ich eine Chance für einen positiven Wechsel, interessierte. Sie waren höflich, aber irgendwie distanziert. Sie deshalb werde ich jetzt wählen gehen, das erste Mal haben mich gar nicht als potentielle Wählerin wahrgenommen. in meinem Leben. Und ich bin schon 22 Jahre alt. Amira S. Carmen V. Die Bundes-Politiker interessieren sich nur für ihre eigenen Kreise. Was die jungen Leute betrifft, die so wie ich wenig Chancen auf einen guten Job haben, darüber denken die nicht nach. Deshalb hat es auch keinen Sinn, wählen zu gehen. Ali M.
QUAL DER WAHL - DEMOKRATISCHE PARTIZIPATION AUS SICHT MIGRANTISCHER FAMILIEN | 12 Politische Partizipation von Migrant:innen Im Bereich der Partizipationsförderung in politischen Kontexten gibt es verschiedene Ansätze, die wiederum über verschiede Akteur:innen umgesetzt werden. So finden wir im Bildungswesen Akteur:innen, die im vorschulischen und schulischen Bereich die Demokratiekompetenzen und partizipatorischen Ressourcen Aber: Reicht das? Wenn Familien der Hauptort der politischen stärken wollen. In der Schule bezieht sich dies meist auf den Sozialisation sind, muss auch in den Familien angesetzt werden. Politik- oder Sozialkundeunterricht. In der Ausbildung von Das würde bedeuten, dass Familienbildung über das bisher Erzieher:innen oder Lehrer:innen, spielt diese Kompetenz- Übliche hinausgehen muss. Stärker als bisher müssen hier förderung jedoch keine zentrale Rolle. Hier gibt es Aufholbedarf konkrete Projekte entwickelt werden, um Familien in ihrer in den Ausbildungscurricula. Rechtewahrnehmung zu stärken. Das beinhaltet jenseits von Bildungs- oder Erziehungsunterstützung oder Beratung im In diesem Zusammenhang wäre auch die Absenkung des Kontext von staatlichen Leistungen, gezielt die Rechtskundigkeit Wahlalters auf 16 wünschenswert, um möglichst viele junge zu fördern. Familien müssen Kenntnisse der Strukturen gewinnen Menschen noch in der Schule zu erreichen. und ihre Kompetenzen entwickeln können. Hier ist eine starke Zusammenarbeit mit Migrant:innenorganisationen wichtig. Sie Daneben befassen sich die Landes- oder Bundeszentralen für haben Zugänge in die Communities und können niedrigschwellig politische Bildung mit dem außerschulischen Bereich. Wer aber Angebote bereitstellen. Demokratiekompetenz braucht diese wird hier wirklich erreicht? Wer greift auf diese Inhalte zu jenseits Rechtskundigkeit, damit Eltern und ihre Kinder ihre eigenen von pädagogischem Fachpersonal oder sowieso schon politisch Rechte einfordern und wahrnehmen können. Das beinhaltet Interessierten und Versierten? auch das Wahlrecht. Last but not least stehen die Parteien als weitere Akteur:innen mit ihrem Verfassungsauftrag der politischen Bildung in der Verantwortung. Angesichts demographischer Entwicklungen und dem nicht gerade irrelevanten, womöglich wahlentscheidenden 12,6 prozentigen Anteil migrantischer Wähler:innen an der Wahlbevölkerung, müssen die Parteien hier auf diverseres Personal und Themen der Einwanderungsgesellschaft setzen.
QUAL DER WAHL - DEMOKRATISCHE PARTIZIPATION AUS SICHT MIGRANTISCHER FAMILIEN | 13 Von Zäunen und Bäumen Ekin Deligöz Geboren bin ich in der Türkei. Im Herbst 1979 kam ich mit meiner Mutter aus der Türkei nach Deutschland. Als Gepäck hatten wir zwei Koffer. Ein Koffer mit dem täglichen Bedarf, ein Koffer voller Kinderbücher, die zu der Zeit in der Türkei verboten wurden und Haushaltspolitik gilt im Bundestag als die Königsdisziplin, die sehr inzwischen längst vergessen sind. Meine erste Begegnung mit viel politisches Wissen und Erfahrung voraussetzt. Ehrenamtlich Deutschland war die Bahnhofstrasse in München. Wir liefen durch bin ich Vizepräsidentin des Kinderschutzbundes (DKSB), Mitglied eine Straße in der rechts und links türkische Händler ihre Döner- im Komitee von UNICEF Deutschland und im Verein "Gegen imbisse und Kleinwarenhandel hatten. Meine erste Reaktion Vergessen und für Demokratie". darauf war: „Mama, dafür hätten wir den langen Weg nicht In den Augen der deutschen Mehrheitsgesellschaft bin ich und machen müssen!“ b aber häufig eine Migrantin aus der Türkei. bleibe ich a Von dort führte uns unser Weg nach Senden in Bayern. Ich wurde Auf u Wikipedia, die Enzyklopädie unserer Zeit, wo wohl die meisten Schülerin der türkischen Schule in der Grundschule Engelhard. Menschen Me nachschlagen, wenn sie schnell etwas wissen wollen, n nachschlag Unsere Lehrer unterrichteten uns auf Türkisch, nach dem wird rd der MMigrant wie folgfolgt definiert: „Migrant (das lateinische Verb türkischen Lehrplan, in einem eigenen Schulflügel. Selbst die migrare ra bedeutet mit seine seiner Habe usw. nach einem anderen Orte Pausenhöfe der türkischen und der deutschen Schüler waren ziehen,n, um m da zu wohnen; o wegziehen, ausziehen, übersiedeln) ist we getrennt. Ich erinnere mich, wie wir an den dazwischen ange- ein unpräziser npräz Begriff fff für eine PPerson, die ihren brachten Eisengittertoren hingen, um einen Blick in die deutsche Lebensmittelpunkt itt verlegt. e Aus S Sicht ihres Herkunftslandes sind Welt zu erspähen. Wir waren Zaungäste. Die einen waren drinnen Migranten A Auswanderere (Emigranten), aus Sicht des (Emigrant und wir waren draußen. Ich wollte aber unbedingt dazu gehören Aufnahmelandes fn n Einwanderer n (Immigranten). Die Umschreibung e (Imm und nicht außen vor bleiben. „Menschenh mi Migrationshintergrund“ mit Migrationshintergrun g t fasst Migranten und ihre Ich wollte teilhaben an dieser bunten Welt. Meine Mutter meinte, Nachkommen u unabhängig a von tatsächlichen n der tat wenn ich das wolle, müsse ich Deutsch lernen. Also lernte ich Staatsbürgerschafthaft f zusammen.“ . Deutsch mit Hilfe von Langenscheidt-Wörterbüchern und der Diese D Definition lässt ss mich immer wandern, aber niemals m wande Sendung mit der Maus. Es waren Stunden mit vielen Tränen, Frust ankommen. me und Anstrengung. Damit öffnete sich für mich jedoch die Tür, eine Chance. Nach einem halben Jahr wechselte ich in eine deutsche Klasse. Ich begann Deutsch zu reden, zu denken und zu leben. Das eröffnete mir Perspektiven. Es führte aber auch dazu, dass sich meine türkischen Freunde von mir entfernten. Es war leider die Zeit von Entweder-Oder. Denn es trennte uns ein Zaun. Das machte einsam.
QUAL DER WAHL - DEMOKRATISCHE PARTIZIPATION AUS SICHT MIGRANTISCHER FAMILIEN | 14 Mein Weg führte mich auf das Gymnasium. Dort gab es keine Als Türkin wurde ich von den anderen in der türkischen Zäune mehr. Die Einsamkeit löste sich auf. Ich war zwar die Gemeinschaft für eine „Verlorene“ gehalten. Es gab wenig einzige Türkin in der Klasse, aber das war irgendwie egal. Ich war Verständnis dafür, dass ich in die Schule ging, statt als Putzhilfe ein ganz normales Mädchen, eine Schülerin. Ich gehörte dazu und Geld zu verdienen. Ich war in ihren Augen der türkischen Heimat glaubte endlich angekommen zu sein. Eine ganz normale Schulzeit verfremdet. Die Tatsache, dass ich mich dank der Bildung meiner in einer ganz normalen Kleinstadtschule begann. Mutter in der türkischen Kultur gut auskannte, die Sprache sehr gut beherrschte, galt nicht. In ihren Augen war ich eine, die Ich erinnere mich gerne an die AG Umwelt, die unser sehr enga- deutsch sprechen konnte, die mit den Schweinefressern zu- gierter Biolehrer anbot. Bei der alljährlichen Froschwanderung, sammensaß, womöglich selber welches aß. So wurde ich auf die wollten wir Frösche davor retten bei der Überquerung einer Zuschauerbank verdonnert. Auf den Festen tanzte man nicht mit Straße, direkt hinter der Schule, unter die Räder der Autos zu mir, auf der Straße grüßte man mich nicht. Mit mir spielte man kommen. Also starteten wir mit Gummistiefeln, Eimern, Plastik- nicht. Ich gehörte nicht mehr dazu. handschuhen und Taschenlampen, machten wir uns in der Dunkelheit auf den Weg, um Frösche aufzuspüren. Klinge ich wie Damit kam ich zurecht. Sie brauchten meine Fähigkeiten als eine typische Grüne, die von der Rettung der Frösche redet? Ja Dolmetscherin. Meine Aufgaben waren vielfältig: Nachhilfe geben, genau, aber so fand ich zu meinem ökologischen Gewissen! Nicht Hausaufgabenbetreuung anbieten, kostenlose Übersetzerin bei als Migrantin oder Ausländerin, sondern als Schülerin unter vielen Ämtern, Ärzten, Ausfüllen von Unterlagen. Ich war da und ich half. Gleichaltrigen. Im Gegenzug nahm ich mir die Freiheit, in die Schule zu gehen. Ich musste nicht dazu gehören. Das tat ich in der Schule. Dachte ich Auch für mich gab es eine normale Kindheit. Ich habe aber zumindest. gelernt, dass eine solche Kindheit nur möglich war, weil es Menschen gab, für die meine Herkunft keine Rolle gespielt hat, Für eine Hausarbeit über „Argumente für und gegen den Bau sondern nur meine Fähigkeiten. einer Müllverbrennungsanlage.“ bekam ich mal die Note „5“. Ich beschwerte mich und mein damaliger Lehrer entgegnete mir: Die Schule war also eine gute Vorbereitung auf meinen Beruf „Türken gehören nicht auf das Gymnasium und du nicht hierher. als Politikerin! Ich will dir nur einen Gefallen tun.“ Max Weber schreibt über die Voraussetzungen zu meinem Beruf, dass drei Qualitäten vornehmlich entscheidend sind für den Diese Ungerechtigkeit, die ich verspürte, blieb und verwandelte Politiker: Leidenschaft – Verantwortungsgefühl - Augenmaß. 1 sich in Wut. Leidenschaft und Verantwortungsgefühl bekam ich mit auf den Da war er wieder, der Zaun. Ich gehörte nicht dazu. Nur diesmal Weg. Nur Augenmaß musste ich noch lernen. gehörte ich weder zu der einen noch zu der anderen Seite. Dabei Ich war ein ganz normales Mädchen, aber ich war dennoch anders war ich nur eine Schülerin, eine Teenagerin. Ich wollte lernen, ich als die anderen. Ich hatte zwei Welten. war neugierig. Aber alle schlossen die Türen vor mir zu. Gab es denn gar keinen Platz für mich? 1 Weber, Max (1926): Politik als Beruf, Ausgabe Reclam, Stuttgart 1992, S. 61f.
QUAL DER WAHL - DEMOKRATISCHE PARTIZIPATION AUS SICHT MIGRANTISCHER FAMILIEN | 15 Dieser Lehrer, der mit seines achtens „einen Gefallen tun wollte“, Ich arbeite, damit es nicht mehr „die da drinnen und die draußen“ hat mich auf das wirkliche Leben vorbereitet. Denn er lehrte mich gibt. Ich will diese Gesellschaft mitgestalten und verändern und mit Augenmaß zu messen. ich will meinen Beitrag dazu leisten, dass wir aus Fehlern lernen. Ich war deshalb vorbereitet, als ich mich während meines Herausforderung Die Herausf e unserer Gesellschaft liegt darin, ob es uns Studiums auf Wohnungssuche begab und bei einer Besichtigung „Aufstiegsgesellschaft“ für alle zu werden. Dazu gelingtt eine „Aufs g zu hören bekam „Wie, ich dachte da kommt eine Studentin, jetzt gehört hö e es, Vorurteile zzu überwinden und Chancen zu schaffen. kommt eine Türkin?“ Ich war vorbereitet, als mich bei meiner Dabei sspielt u eine ssehr große Rolle und die Schulen haben ie Bildung Einbürgerung die Sachbearbeiterin fragte, ob ich schon mal was eine große oße Verantwortung. nt von einer Verfassung gehört habe.“ Ich war auch vorbereitet, als Mein damaliger ali Deutschlehrer ha D hat mir ein Gedicht in mein zahlreiche Morddrohungen und Fatwas (Islamische Urteils- Poesiealbum esi me eingetragen g und so mmir mit auf den Weg sprüche) mich erreichten, weil ich mich für Frauenrechte im Islam mitgegeben, ben weweil er damalss wusste, was w ich nicht erahnen konnte, einsetzte und mich gegen Kopftücher positionierte. dass mein Weg ststeiniger sein der von meinen i wird als d Ich war vorbereitet auf diese Formen des Mikrorassismus, den Mitschülerinnen unund Mitschülern. h viele ja nicht „so meinen“. Es sind tausende kleine Stiche, die Der Pflaumenbaum me m (Bert B Brecht) immer wieder wehtun und uns das Leben schwer machen und Im Hofe steht ein Pflaumenbaum, fla e uns mürbe machen. Dem setzte ich Mut entgegen. Für alle Der ist so klein, man gl glaubt u es kaum. Generationen von Migranten-Kindern, die nach mir kommen. Er hat ein Gitter drum, so tritt ihn Denn sie sollen als mündige, selbstbewusste Bürgerinnen und keiner er um. Bürger dieses Landes aufwachsen: Als Demokraten in einem Rechtsstaat, optimistisch, zuversichtlich und mutig. Sie sollen die Der Kleine ine kann nnnicht größer er wer’n, Chance bekommen selber zu bestimmen, wer sie sind und wohin Ja – größerr wer’n, das möcht’ er ger gern! sie gehören. ’s ist keine Red ed davon: Er hat zu wenig Sonn’. Verantwortung, Leidenschaft und Augenmaß machen mich mutig und stark in schwierigen Situationen. Dem Pflaumenbaum, man glaubt ihm kaum, Ich bin Politikerin aus Überzeugung, weil ich ein Ziel habe: Weil er nie eine Pflaume hat. Brücken zu bauen, Zäune niederzureißen, Türen zu öffnen. Ich Doch er ist ein Pflaumenbaum: kämpfe für den Zusammenhalt einer Gesellschaft, in die ich mich Man kennt es an dem Blatt. selbst einst reinkämpfen musste. Ich arbeite, damit es nicht mehr „die da drinnen und die draußen“ gibt. Ich will diese Gesellschaft Danke an all diejenigen, die den Baum in mir erkannt haben und mitgestalten und verändern und ich will meinen Beitrag dazu in ihren Schülerinnen und Schülern immer wieder erkennen. leisten, dass wir aus Fehlern lernen. Dieser Text wurde uns freundlicherweise von Ekin Deligöz zur Verfügung gestellt.
QUAL DER WAHL - DEMOKRATISCHE PARTIZIPATION AUS SICHT MIGRANTISCHER FAMILIEN | 16 Migrantische Wähler:innen machen 12,2 Prozent aller Wahlberechtigten aus. Laut einer Studie von Citizens For Europe könnten ihre Stimmen in 167 von 299 Wahlkreisen (56 Prozent) mit ihrer Erst-stimme das Direktmandat für den Bundestag entscheiden. In den nächsten Jahren wird ihr Anteil noch zunehmen. Der Anteil migrantischer Kinder und Jugendlicher in deutschen Großstädten steigt kontinuierlich, in einigen Städten liegt er mittlerweile bei Wer vertritt ihre Interessen? Spielen Themen der Einwanderungs- über 60 Prozent. Migrantische Wähler:innen können also wahlentscheidend gesellschaft überhaupt eine Rolle in den Parteiprogrammen? sein. Und mit ihnen die Themen einer Einwanderungsgesellschaft. Nimmt man noch die Bürger:innen hinzu, die nicht wählen dürfen, weil sie keine Wir haben den Parteien unsere Fragen geschickt: deutsche Staatsbürgerschaft haben, derzeit sind das 9,7 Millionen in Was gedenken die Parteien gegen eine durch Corona weiter ver-schärfte Deutschland lebende Erwachsene, so steigt die Relevanz dieser Themen in Bildungsbenachteiligung migrantischer Kinder zu unter-nehmen? Welche Bezug auf die repräsentative Demokratie weiter. Maßnahmen planen sie, um nachhaltig Diskrimi-nierung und Rassismus zu verhindern und Betroffene auch zu schützen? Wie wollen sie dafür sorgen, dass migrantische Familien bessere Zugänge zu Familienleistungen wie Kindergeld, KindergeldPlus oder Elterngeld erhalten? Wie stehen sie zu vereinfachten und proaktiven Einbürgerungspolitik? Wie zur doppelten Staatsbürger-schaft? Was sagen sie zu Familiennachzug oder Mehrsprachigkeit? Alles Themen der binationalen, migrantischen und globalen Familien.
QUAL DER WAHL - DEMOKRATISCHE PARTIZIPATION AUS SICHT MIGRANTISCHER FAMILIEN |17 BUNDESTAGSWAHL 2021 – UNSERE FORDERUNGEN & WAHLPRÜFSTEINE Migrantisches Familienleben in Deutschland - Antworten der Parteien Den Optionszwang im Staatsangehörigkeitsrecht wollen wir abschaffen und Mehrstaatigkeit anerkennen. Das Verbot der Mehrstaatigkeit wird den Realitäten in Deutschland als Ein- wanderungsland nicht gerecht. Die Staatsangehörigkeit stellt Entscheidend für die Familien ist, wie gut sie im Lebensumfeld ein dauerhaftes Band rechtlicher Gleichheit, Teilhabe und zurechtkommen und sich einbringen können. Für eine gesell- Zugehörigkeit sicher. Wir GRÜNE setzen uns für eine erleicht- schaftliche Partizipation sind sowohl die individuellen Ressourcen erte Einbürgerung ein: Wer in Deutschland geboren wird, soll der Familien selbst, als auch rechtliche und politische Rahmen- die Möglichkeit erhalten, deutsche*r Staatsbürger*in zu bedingungen von Bedeutung. Wir fordern: werden, wenn ein Elternteil rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Für Menschen, die hier jahrelang Doppelte Staatsbürgerschaft und erleichterte Einbürgerung! leben und Teil dieser Gesellschaft geworden sind, sollen Quoten, affirmative Maßnahmen und anonymisierte Einbürgerungen früher möglich werden. Nach fünf Jahren Bewerbungsverfahren, um Vielfalt adäquat zu repräsentieren! Aufenthalt in Deutschland sollen alle einen Antrag auf Ein- Diversitäts- und rassismuskritisches Management im Rahmen bürgerung stellen können. Die vorgenommenen Aushöhlungen der Organisationsentwicklung fester Bestandteil jeder des Staatsangehörigkeitsrechts wollen wir zurücknehmen. wirtschaftlichen, gemeinnützigen oder öffentlich-rechtlichen Hindernisse bei der Identitätsklärung, die nicht in der Hand der Unternehmenskultur umsetzen! Einzubürgernden liegen, dürfen ihnen nicht angelastet werden. Unbürokratische Anerkennung von ausländischen Ab- Rassismus und andere Formen gruppenbezogener Menschen- schlüssen und beruflichen Erfahrungen für einen schnellen feindlichkeit sind tief in unserer Gesellschaft, ihren Strukturen Einstieg ins Arbeitsleben! und Institutionen verwurzelte Probleme. Wir sehen Maß- Familienleistungen zusammenfassen und allen Familien nahmen zur Gleichstellung von rassistisch diskriminierten einfach zugänglich machen! Menschen als notwendig an (BT-Drs. 19/24434). Deshalb wollen wir ein Partizipations- und Teilhabegesetz vorlegen und darin Gleichstellungsmaßnahmen wie beispielsweise verbindliche Zielvorgaben zur gleichberechtigten Teilhabe von strukturell diskriminierten Menschen einführen.
QUAL DER WAHL - DEMOKRATISCHE PARTIZIPATION AUS SICHT MIGRANTISCHER FAMILIEN | 18 Migrantisches Familienleben in Deutschland - Antworten der Parteien Wir stehen für eine klare Einbürgerungsperspektive für Zu- Um die Anzahl von Bewerbungen aus diskriminierten Gruppen wanderer, die schon über Jahre bei uns leben, arbeiten und gut zu erhöhen, soll eine gezielte Ansprache in der Stellenaus- integriert sind. Wir halten es für wichtig, dass gut integrierte schreibung und gezielte Anwerbung erfolgen. Wir GRÜNE Zuwanderer mit der Einbürgerung alle staatsbürgerlichen wollen eine diversitätsorientierte und rassismuskritische Rechte und Pflichten erhalten. Vereinfachte Verfahren oder Öffnung der Verwaltung, von Behörden und gesellschaftlichen verkürzte Fristen sind aber nicht geplant. CDU und CSU setzen Institutionen, Vielfaltsbeauftragte als Vertreter*innen von sich weiterhin dafür ein, dass Mehrstaatigkeit grundsätzlich diskriminierten Menschen und eine diversitätsorientierte vermieden wird und nur im Ausnahmefall möglich sein sollte. Haushaltsbudgetierung einführen sowie das Bundesgremien- Chancengerechtigkeit soll es in der gesamten Gesellschaft gesetz reformieren. geben – in der Wirtschaft, in der Bildung und auch im öffent- Wir GRÜNE setzen uns für mehr Teilhabemöglichkeiten für lichen Dienst. Wir werben dafür, dass sich mehr junge Men- migrantische Familien ein. Insbesondere wollen wir ein schen für eine berufliche Laufbahn im öffentlichen Dienst flächendeckendes Netz von Migrationsberatungsstellen entscheiden. Dies stärkt auch die Identifikation von Menschen schaffen und diese finanziell und strukturell absichern. So mit Zuwanderungsgeschichte mit unserem Staat. Die Vielfalt wollen wir zeitlich unbefristete bedarfsorientierte, individuelle unserer Gesellschaft soll auch im öffentlichen Dienst sichtbar Grundberatungsangebote für Migrant*innen mit Unter- sein. stützungsbedarf, gerade auch für Familien, schaffen. Ein CDU und CSU wollen die Familienleistungen für alle Leistungs- solches breites Beratungsangebot ist insbesondere wichtig, um berechtigten bündeln und vereinfachen. Sie sollen auto- einen unterschiedslosen Zugang zu Sozialleistungen sowie zu matisiert, digital und aus einer Hand Familien zur Verfügung Kitas, Bildungseinrichtungen, Ausbildung und Arbeit, Wohn- stehen. Geburtsurkunde, Kindergeld, Elterngeld und Kinder- raum, Gesundheitsfürsorge zu gewährleisten. Auch auf euro- zuschlag sowie das Bildungs- und Teilhabepaket sollen digital päischer Ebene wollen wir einen kommunalen Integrations- beantragt werden können. Wir wollen es so unbürokratisch und fonds auflegen, um europaweit das Ankommen in den einfach wie möglich machen, Familienleistungen zu bekommen. Kommunen direkt zu unterstützen und zivilgesellschaftliche Leistungen müssen, wo immer möglich, automatisiert erfolgen. Unterstützungsstrukturen zu fördern. Außerdem treten wir Familien mit Migrationsgeschichte wollen wir durch gezielte dafür ein, dass alle neu ankommenden Migrant*innen von Informations- und Sprachförderungsmaßnahmen besser Anfang an ein Recht auf einen kostenfreie Sprach- und unterstützen. Integrationskurse haben.
QUAL DER WAHL - DEMOKRATISCHE PARTIZIPATION AUS SICHT MIGRANTISCHER FAMILIEN | 19 Migrantisches Familienleben in Deutschland - Antworten der Parteien Die Einbürgerungszahlen in Deutschland stagnieren seit Ferner fordern wir Maßnahmen, um Führen in Teilzeit zu Jahren. Ein Hauptgrund dafür ist das Festhalten am Prinzip der normalisieren; inklusive Ausbau der Möglichkeiten zum Vermeidung der Mehrstaatigkeit. Wir wollen das Staats- mobilen Arbeiten sowie familienfreundliche Anwesenheits- angehörigkeitsrecht umfassend zu modernisieren. DIE LINKE. reglungen, die auch binationale Partner*innenschaften und fordert Mehrfachstaatsangehörigkeiten infolge einer Ein- Familien entlasten sollen. Ausländerrechtliche Voraussetz- bürgerung oder aufgrund der Geburt in Deutschland zu ungen für den Erhalt von Familienleistungen sind oft schwer zu akzeptieren und die Pflicht zur Aufgabe der bisherigen verstehen. Die Fragen nach Beantragung entsprechender Staatsangehörigkeit aus dem Staatsbürgerschaftsrecht zu Familienleistungen übernehmen die Einrichtungen der streichen. Auch bisherige Einbürgerungsvoraussetzungen, wie Migrationsberatungen für Erwachsene Zuwanderer (MBE). Anforderungen zu Einkommens- oder Sprachnachweisen Bundesweit wurden 2019 durch die MBE mehr als eine halbe stellen erhöhte Anforderungen dar, die einer gleichberecht- Millionen Personen erreicht. Leider ist die MBE seit Jahren igten Teilhabe der hier lebenden Menschen mit Migrations- unterfinanziert. Die von der Bundesregierung veranschlagten geschichte im Wege stehen. Haushaltsmittel werden 2021 nicht ausreichen, um die weiter Die LINKE. setzt sich für eine umfassende 50%-Quote auf allen steigende Nachfrage nach qualifizierter Migrationsberatung vor Führungsebenen innerhalb der Unternehmen ein. Dies Ort zu befriedigen. DIE LINKE. hat für das Haushaltsjahr 2021 beinhaltet Vorstände und Aufsichtsräte. Dazu gehört auch eine eine Mittelerhöhung um 8 Mio. € gefordert. Quote, um den Anteil von Menschen mit Migrationshinter- grund in der öffentlichen Verwaltung entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung zu erhöhen, und ein Partizipations- rat, der in wichtige Entscheidungen in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik einbezogen wird. Natürlich wird man nicht alles mit Das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht sollte im Fall einer Quoten regeln können, da z.B. eine Repräsentanz mithilfe Einbürgerung grundsätzlich auch die Mehrstaatigkeit zulassen. einer Quote von queeren Menschen ein (Zwangs-)Outing Ab der Enkelgeneration der Ersteingebürgerten sollten sich voraussetzen würde, sollte hier mit proaktiven Maßnahmen Menschen dann für eine Staatsangehörigkeit entscheiden um queere Mitarbeiter*innen geworben und ein Klima der müssen, außer wenn mit dem Verlust der Aufgabe der zweiten Vielfalt im Unternehmen etabliert werden. Staatsangehörigkeit rechtliche oder wirtschaftliche Nachteile verbunden sind, sie nicht auf sie verzichten können oder es sich um die Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedstaates handelt.
QUAL DER WAHL - DEMOKRATISCHE PARTIZIPATION AUS SICHT MIGRANTISCHER FAMILIEN |20 Migrantisches Familienleben in Deutschland - Antworten der Parteien Wir fordern für Einwanderinnen und Einwanderer zudem einen öffentlichen Druck hin zu einem Kulturwandel in Unternehmen, vereinfachten Zugang zur deutschen Staatsangehörigkeit nach Wissenschaft und Verwaltung. insgesamt vier Jahren. Eine Niederlassungserlaubnis soll Wir verstehen Vielfalt als Bereicherung und setzen uns für eine bereits nach drei Jahren gewährt werden, wenn die Antrag- lebendige Partei- und Diskussionskultur innerhalb der Freien stellerin oder der Antragsteller in dieser Zeit mit gültigem Demokraten ein. Uns ist es daher wichtig, die Vielfalt in unserer Aufenthaltstitel straffrei in Deutschland gelebt hat und Sprach- Partei zu stärken: Bei uns soll jedes Mitglied faire Chancen kenntnisse sowie die vollständige Deckung des Lebensunter- haben, seine Talente in die Partei einzubringen und Verant- haltes auch der Familie nachweisen kann. wortung zu übernehmen. Dafür wollen wir die Vereinbarkeit Der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit soll unabhängig von Familie, Beruf und Parteiarbeit vereinfachen, die Nutzung vom Einwanderungsweg möglich sein, wenn zusätzlich ein von geeigneten Online-Beteiligungsmöglichkeiten erproben, Einbürgerungstest absolviert und das Bekenntnis zur Rechts- moderne und ansprechende Veranstaltungsformate ent- ordnung unseres Grundgesetzes abgelegt werden. wickeln, sowie bestehende Formate attraktiver und effizienter Wir Freie Demokraten setzen uns für mehr Vielfalt in Unter- gestalten. nehmen sowie im öffentlichen Dienst und in der Politik ein. Wir Freie Demokraten wollen ein Kinderchancengeld. Es Gesetzliche Quoten lehnen wir jedoch ab. Für uns steht hier besteht aus: Grundbetrag, Flexibetrag und nichtmateriellem der gleiche Zugang zu öffentlichen Ämtern nach Eignung, Chancenpaket. Die Angebote für bessere Chancen, Bildung und Befähigung und fachlicher Leistung im Vordergrund. Teilhabe werden ausgeweitet und können von Kindern und Stattdessen fordern wir für die Arbeitswelt ein ganzheitliches Jugendlichen selbstständig über ein Kinderchancenportal Diversity Management (Management der Vielfalt) als Teil der kinderleicht abgerufen werden. Das Kinderchancengeld ist ökonomischen Modernisierung. So schaffen wir gleiche einfach, digital und ermöglicht echte Aufstiegschancen. Chancen für Aufstieg durch Leistung – unabhängig von Die Berechnung aller familienpolitischen Leistungen soll Geschlecht, Alter, ethnischer Herkunft, Behinderung, sexueller digitalisiert werden wie auch die Beantragung von Elterngeld Orientierung oder Religion. Gerade der Mittelstand soll bei der und anderen Leistungen. Wir wollen den Eltern den Zugang zu Entwicklung von Konzepten unterstützt werden. Im öffentlichen Familienleistungen so einfach und schnell wie möglich machen. Dienst sind die Strukturen der Gleichstellungs- und Behinder- Eine vollständig digital arbeitende Verwaltung und Bearbeitung tenbeauftragten in ein ganzheitliches Diversity Management der Anträge stellen eine schnelle Auszahlung sicher. einzubinden. Wir Freie Demokraten wollen eine Integrationspolitik, die Auch Transparenz der Maßnahmen für mehr Diversität und Vielfalt begrüßt und daher Einwanderinnen und Einwanderer Talentmanagement in Gleichstellungsberichten erhöht den einlädt, Teil unserer Gesellschaft zu werden, ihnen aber auch eine eigene Integrationsleistung abverlangt.
QUAL DER WAHL - DEMOKRATISCHE PARTIZIPATION AUS SICHT MIGRANTISCHER FAMILIEN | 21 Migrantisches Familienleben in Deutschland - Antworten der Parteien Wir wollen die Chancen der Einwanderung für Deutschland Bedürfnissen von Menschen mit Migrationsgeschichte nutzen, denn unser Land ist auf Einwanderung angewiesen. auszurichten, wollen wir anonymisierte Bewerbungsverfahren Integration ist der Schlüssel dafür, dass Einwanderinnen und einführen, die der Zielrichtung des Allgemeinen Gleich- Einwanderer zu einem Teil unserer Gesellschaft werden und zu behandlungsgesetzes entsprechen. Die mangelnde Gleich- ihrem Gelingen beitragen. Deshalb wollen wir Integration – stellung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt trifft Frauen mit auch von Familien - fördern: durch Angebote zum Erlernen Migrationsgeschichte besonders. Ihr Zugang zum Arbeitsmarkt unserer Sprache und unserer Gesellschaftsordnung, Inte- muss durch gezielte, niedrigschwellige Beratungsangebote grationspaten nach kanadischem Vorbild sowie zusätzliche verbessert werden. Arbeitsrechtliche Diskriminierung von Integrationsmaßnahmen, die sich gezielt an Frauen, Kinder und Frauen wegen ihrer ethnischen oder religiösen Herkunft muss Senioren, aber auch an besonders schutzbedürftige Personen- abgebaut werden. Zudem sollen im öffentlichen Dienst und in gruppen richten. der Privatwirtschaft Zielvereinbarungen, für einen höheren Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte, getroffen werden. Der öffentliche Dienst muss dabei eine Vorreiterrolle übernehmen. Wir haben ein Konzept der Kindergrundsicherung entwickelt, Unsere Gesellschaft des Respekts braucht ein modernes das aus zwei zentralen Bereichen besteht. Zum einen aus einer Staatsangehörigkeitsrecht. Nachdem die SPD bereits dafür Infrastruktur, die gerechte Bildung und Teilhabe für alle Kinder gesorgt hat, dass grundsätzlich alle in Deutschland geborenen ermöglicht. Sie beinhaltet gute und beitragsfreie Kitas, ein Kinder mit der Geburt auch deutsche Staatsbürger*innen sind, Ganztagsangebot für Schulkinder, eine soziale Infrastruktur für werden wir zudem die generelle Möglichkeit von Mehrstaatig- Kinder und Jugendliche und freie Fahrt in Bus und Bahn im keit gesetzlich verankern. Wir wollen bestehende Hürden bei Nahverkehr sowie ein Recht auf Mobilität vor allem für den Einbürgerungen abschaffen und hierfür auch die geltende ländlichen Raum. Die Kindergrundsicherung besteht zum Regelaufenthaltsdauer von bisher acht Jahren verkürzen. anderen aus einem neuen existenzsichernden, automatisch Wir unterstützen Programme, die eine vielfältige Kultur in ausgezahlten Kindergeld, das nach Einkommen der Familie Unternehmen und Behörden fördern. gestaffelt ist – je höher der Unterstützungsbedarf, desto höher Um Diskriminierung zu beseitigen und das arbeitsmarkt- das Kindergeld. Damit machen wir das Leben der Familien politische Instrumentarium an den spezifischen leichter, die es besonders schwer haben. Wir stellen sicher, dass die Informationen über die Kindergrundsicherung niederschwellig und mehrsprachig vorgehalten werden.
QUAL DER WAHL - DEMOKRATISCHE PARTIZIPATION AUS SICHT MIGRANTISCHER FAMILIEN | 22 Bildung & Vielfalt - Antworten der Parteien Alle Menschen sollen die gleichen Chancen haben und aktiv die Gesellschaft mitgestalten können. Antirassismus, Antidis- Bildung bestimmt die Existenz und Lebensqualität von Familien. kriminierung und Postkolonialismus wollen wir in Lehrplänen Die Zugänge zu Bildung und Beratung sind jedoch nicht für alle verankern. Kinder und Jugendliche müssen vor Diskriminierung Familien in gleichem Maße gegeben. Nach wie vor ist Bildungs- geschützt sein. Sie brauchen dafür Ansprechpersonen und erfolg eng an die soziale Herkunft gekoppelt. Gesellschaftliche Angebote zu Antidiskriminierung, Diversität und Demokratie- Realitäten wie z.B. Mehrsprachigkeit werden von einer mono- verständnis. Rassismuskritische Kompetenz soll als Teil von lingual ausgerichteten Bildungspolitik weiterhin nicht aufgegriffen. Diversity Kompetenzen für Beschäftigte der öffentlichen Diversitäts- und migrationsbezogene Kompetenzen im Bildungs- Verwaltung insbesondere durch Fortbildungen vermittelt bereich sind nach wie vor wenig relevant. Wir fordern: werden und bei der Beurteilung der Beschäftigten und Bewerber*innen berücksichtigt werden. Wir wollen unab- Bildungs- und Beratungsangebote müssen migrations- und hängige Forschung zu Antirassismus und anderen Formen diversitätssensibel sein! gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sowie die Erhebung In Kitas (Gute-Kita-Gesetz) und in der Ganztagsbetreuung von Antidiskriminierungsdaten fördern, um Benachteiligungs- (Rechtsanspruch ab 2026) Diversitätssensible strukturen sichtbar zu machen. Gemeinsam mit den Ländern Qualitätsstandards umsetzen! wollen wir die Rassismusforschung an Hochschulen stärken. Anspruch auf Entwicklung einer eigenen sprachlichen und Dafür braucht es eigene Studiengänge, Lehrstühle und kulturellen Identität! Forschungsinstitutionen. Berücksichtigung der mehrsprachigen Realität in allen Mehrsprachigkeit und Vielfalt sind in einem Einwanderungsland Bildungsinstitutionen! und für eine Gesellschaft der Vielen ein großer Wert. Deshalb Ausweitung der Anerkennung von migrantischen setzen wir GRÜNE uns für eine Förderung und Erhalt der Familiensprachen als schulische Fremdsprachen! Muttersprache entlang der gesamten Bildungskette ein, so dass Politische Bildung und schulische Curricula müssen Migration kein Kind seine Muttersprache verstecken muss. Schulen mit und Kolonialismus thematisieren! besonderen Herausforderungen wollen wir dabei unterstützen, systematische Vorsorgearbeit zu leisten und deutsche wie auch muttersprachliche Sprachfertigkeiten zu fördern. Mehrsprachigkeit begreifen wir dabei als Reichtum und nicht als Defizit. Außerdem treten wir dafür ein, dass alle neu ankommenden Migrant*innen von Anfang an ein Recht auf kostenfreie Sprach- und Integrationskurse haben.
QUAL DER WAHL - DEMOKRATISCHE PARTIZIPATION AUS SICHT MIGRANTISCHER FAMILIEN | 23 Bildung & Vielfalt - Antworten der Parteien CDU und CSU wollen die politische Bildung in allen Jahrgangs- Gesellschaftliche Vielfalt in der Bildung sollte kein Randthema stufen der allgemeinbildenden und beruflichen Schulen sein, sondern gelebter Alltag. Dies muss sich auf allen Ebenen stärken. Unsere rechtsstaatlich verfasste, freiheitliche, plurale des Bildungssystems widerspiegeln: in den Unterrichtsinhalten und repräsentative Demokratie ist nicht selbstverständlich. Sie sowie der Unterrichtsorganisation, in der Ausbildung der muss stets aufs Neue erlernt, gelebt und verteidigt werden. Lehrenden und in der Zusammensetzung des Personals. Wir Dazu brauchen wir überzeugte Demokratinnen und Demo- sehen die Mehrsprachigkeit bei Lernenden mit Migrations- kraten, die sich den komplexen Anforderungen der Welt im 21. hintergrund als eine Bereicherung und eine Chance, die von Jahrhundert stellen. den Bildungseinrichtungen anerkannt und für gemeinsames Für den Erwerb von Mehrsprachigkeit ist uns zunächst der Lernen genutzt werden soll. In den Lehrplänen muss sich die frühe Erwerb der deutschen Sprache ein wichtiges Anliegen. Vielfalt der Lebensentwürfe und die der (sozialen und kultur- Wir werden den Erwerb der deutschen Sprache so früh wie ellen) Hintergründe von Kindern und Jugendlichen wider- möglich fördern, insbesondere durch verbindliche, fortlaufende spiegeln. Interkulturelle und inklusive Bildung sollte Teil der und standardisierte Diagnoseverfahren. Ab einem Alter von Lehrer:innenausbildung sein. Wir wollen eine Schule für alle: drei Jahren kommen verbindliche Sprachstands-Tests mit Eine Gemeinschaftsschule, in der alle Kinder gemeinsam qualitativ wirksamen Sprachförderangeboten für alle Kinder lernen, die kein Kind zurücklässt, sozialer Ungleichheit ent- hinzu. Dort, wo ein besonderer Sprachförderbedarf festgestellt gegenwirkt und einen nachhaltigen Beitrag zur gegenseitigen wird, muss eine verpflichtende, qualitativ wirksame und Anerkennung und Wertschätzung leistet. durchgehende Sprachförderung in einer Kindertagesstätte oder Eine mehrsprachige Sozialisation wird in Deutschland nur bei Vorschule erteilt werden. ökonomisch als wichtig erachteten Sprachen geschätzt. Wir Für jedes dieser Kinder soll ein individueller Sprachförderplan sehen die Mehrsprachigkeit bei Menschen mit Migrations- erstellt werden, der Förderziele, Dauer und Umfang der kon- hintergrund als eine Bereicherung und eine Chance, die von kreten Maßnahmen neben der durchgängigen, integrierten Bildungseinrichtungen anerkannt und für gemeinsames Sprachförderung umfasst. Jedes Grundschulkind muss grund- Lernen genutzt werden soll. Die Muttersprache beim Erlernen sätzlich vor seiner Einschulung der deutschen Sprache mächtig weiterer Sprachen einzubeziehen ist wichtig, um in diesen sein, um dem Unterricht von der ersten Klasse an folgen zu Sprachen einen sicheren Stand zu erwerben. Die Herkunfts- können. Das ist auch die Grundlage für den Erwerb anderer sprache soll bei Prüfungen als erste oder zweite Sprache Sprachen. anerkannt werden. Wir betrachten Regional- oder Minder- heitensprachen als Ausdruck des kulturellen Reichtums und fördern ihr Angebot in Schulen.
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