GBE-Themenheft Blindheit und Sehbehinderung - GESUNDHEITSBERICHTERSTATTUNG DES BUNDES GEMEINSAM GETRAGEN VON RKI UND DESTATIS

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GESUNDHEITSBERICHTERSTATTUNG DES BUNDES
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Blindheit und Sehbehinderung
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GESUNDHEITSBERICHTERSTATTUNG DES BUNDES
GEMEINSAM GETRAGEN VON RKI UND DESTATIS

GBE-Themenheft
Blindheit und Sehbehinderung

Robert Koch-Institut, Berlin 2017
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung                                     3

Inhaltsverzeichnis

               1        Einleitung .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 5

               2        Sehen und Sehbehinderung .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 5
               2.1      Das Auge .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  5
               2.2      Störungen des Sehvermögens .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  6
               2.3      Definition von Blindheit und Sehbehinderun  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  6

               3        Verbreitung von Blindheit und Sehbehinderung .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 7
               3.1      Datenlage .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  7
               3.2      Prävalenz und Inzidenz .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 8
               3.3      Internationaler Vergleich .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  9

               4        Erblindungsursachen in Deutschland .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .                           11
               4.1      Altersabhängige Makuladegeneration .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .                           11
               4.2      Grüner Star (Glaukom)  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .               12
               4.3      Diabetische Retinopathie .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .                13
               4.4      Andere Erblindungsursachen  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .                      14
               4.4.1    Grauer Star (Katarakt) .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .               14
               4.4.2    Retinitis pigmentosa .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .              15
               4.4.3    Augenerkrankungen im frühen Kindesalter .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .                               15

               5        Prävention .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .      16
               5.1      VISION 2020 .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .           16
               5.2      Früherkennung .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .            16
               5.2.1    Glaukom  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .        16
               5.2.2    Diabetische Retinopathie .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .                16
               5.2.3    Augenuntersuchungen im Kindesalter .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .                           17

               6	Folgen von hochgradiger Sehbehinderung und Blindheit  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 17

               7     Versorgung .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .            17
               7.1 	Versorgungsstruktur und Qualität der Versorgung .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .                                      17
               7.2 Stationäre Versorgung  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .                    18
               7.3 Medizinische Rehabilitation  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .                       18
               7.4 Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .                                 19
               7.5 Hilfsmittel .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .          20
               7.6 Blindengeld und Blindenhilfe .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .                       20
               7.7 Barrierefreiheit .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .              21
               7.8 Selbsthilfe und Verbände  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .                    22

               8        Kosten  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .   22
               8.1      Daten der Krankheitskostenrechnung .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .                           22
               8.2      Blindengeld und Blindenhilfe .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .                  23
               8.3      Arbeitsunfähigkeit und Rentenzugänge .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .                            23

               9        Zusammenfassung und Perspektiven .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 23

               10       Literatur  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 26
4   Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung    5

Blindheit und Sehbehinderung

1 Einleitung                                                 2 Sehen und Sehbehinderung
Sehbehinderungen entstehen in den meisten Fäl-               2 1 Das Auge
len durch Augenerkrankungen. Während Blindheit
und Störungen des Sehvermögens in Entwicklungs-              Der Augapfel (Abbildung 1) formt, zusammen mit
ländern vorwiegend durch Erkrankungen verur-                 der knöchernen Augenhöhle, den Augenlidern,
sacht werden, die eigentlich gut behandelbar wären,          dem Tränenapparat und den Augenmuskeln, das
sind in Ländern mit guter Versorgungssituation               Lichtsinnesorgan. Er ist annähernd kugelförmig
altersbedingte Leiden die häufigsten Blindheits-             (Durchmesser ca. 25 mm) und besteht aus drei
ursachen. In Deutschland sind die Chancen groß,              Augenhäuten sowie der Linse und dem Glaskörper.
das Augenlicht von Erkrankten zu erhalten, da es                 Die äußere Augenhaut (Lederhaut, Sclera) ist
vielfältige Möglichkeiten der Prävention und The-            sehr straff. Sie schützt den Augapfel vor mecha-
rapie von Augenerkrankungen gibt. Für einen Teil             nischen Schäden und fängt den Innendruck des
der Erkrankten ist eine Erblindung dennoch nicht             Auges auf. Im vorderen Abschnitt geht die Leder-
vermeidbar: Die Betroffenen erhalten in Deutsch-             haut in die dünnere, durchsichtige Hornhaut (Cor-
land institutionelle Hilfen, und es gibt engagierte          nea) über.
Interessenverbände.                                              Die mittlere Augenhaut (Aderhaut, Uvea) ist
   Im Folgenden werden die Verbreitung von                   reich an Blutgefäßen und Pigmentzellen. Den
Blindheit und Sehbehinderung sowie die zugrunde              vorderen Abschnitt der Aderhaut bildet die Iris
liegenden Krankheiten dargestellt. Weiterhin wer-            (Regenbogenhaut) mit der Pupille. Die Iris trennt
den Aktivitäten zur Prävention beschrieben, wich-            die zwei Augenkammern voneinander, die beide
tige Elemente der Versorgungslandschaft skizziert            vor der Linse liegen. Beide Augenkammern sind
und die entstehenden Kosten geschätzt.                       mit Kammerwasser gefüllt. Dieses wird in der hin-
   Andere, weniger schwerwiegende Einschrän-                 teren Augenkammer produziert und gelangt durch
kungen des Sehvermögens, die ebenfalls die Teil-             die Pupille in die vordere Augenkammer. Von dort
habe am öffentlichen Leben beeinflussen können,              fließt es über den Kammerwinkel ins Gefäßsys-
werden hier nicht berücksichtigt. Insgesamt sind             tem. Für einen gleichbleibenden Augeninnendruck
Sehstörungen in Deutschland weit verbreitet: Laut            spielt das Gleichgewicht zwischen Produktion und
der Studie »Gesundheit in Deutschland aktuell«               Abfluss des Kammerwassers eine wichtige Rolle.
(GEDA) des Robert Koch-Instituts gibt mehr als                   Die innere Augenhaut (Netzhaut, Retina) besteht
ein Fünftel der erwachsenen Bevölkerung bei der              aus Sinnes- und Nervenzellen sowie aus funk­
Befragung Schwierigkeiten beim Sehen an. Diese               tionsunterstützenden Gewebeanteilen. Durch die
werden überwiegend als »leicht« eingeschätzt [1].            Sinneszellen wird das einfallende Licht in elektri-
Abbildung 1
Aufbau des Augapfels (Querschnitt linkes Auge, Ansicht von oben)
Quelle: Robert Koch-Institut 2013

           Lederhaut                                                     Netzhaut

            Aderhaut                                                     Sehnerv

            Hornhaut                                                     Sehnervenkopf

                  Iris                                                   Makula

Vordere Augenkammer                                                      Linse

       Kammerwinkel                                                      Glaskörper

Hintere Augenkammer
6     Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung

    sche Impulse umgewandelt. Die Nervenzellen lei-          Deformation von Teilen des Auges, für Erblindung
    ten die Signale über den Sehnervenkopf (Papille)         in jungen Jahren sind es eher vererbte Degenera-
    durch den Sehnerv (Nervus opticus) an die Sehrinde       tionserscheinungen (siehe Kapitel 4.4.2 Retinitis
    (visueller Cortex) im hinteren Teil des Großhirns.       pigmentosa) oder Verletzungen.
        Der Ort des schärfsten Sehens auf der Netzhaut
    (Gelber Fleck, Makula) ist mit besonders vielen Sin-
    neszellen ausgestattet. Von seinem Zentrum (Seh-         2 3 Definition von Blindheit und Sehbehinderung
    grube, Fovea centralis) geht etwa die Hälfte der Ner-
    venzellen des Sehnervs aus.                              Welches Ausmaß eines Sehverlustes als Blindheit,
        Die klare Linse liegt hinter der Pupille. Sie bün-   hochgradige Sehbehinderung oder Sehbehinde-
    delt das einfallende Licht auf die Netzhaut.             rung gilt, ist eine Frage der Definition. Sowohl für
        Der Glaskörper füllt als gallertiger, transparen-    sozialrechtliche Belange (einschließlich der Gewäh-
    ter Körper den Raum zwischen Linse und innerer           rung von Hilfen für betroffene Menschen) als auch
    Augenhaut aus. Er bestimmt die kugelige Form             beispielsweise für epidemiologische Analysen ist
    des Auges und besteht zu fast 99 % aus Wasser,           eine einheitliche Begriffsbestimmung wichtig. In
    das gelartig gebunden ist [2, 3].                        der Versorgungsmedizin-Verordnung des Bundes-
                                                             ministeriums für Arbeit und Soziales sowie der
                                                             dazu ergangenen Anlage »Versorgungsmedizini-
    2 2 Störungen des Sehvermögens                           sche Grundsätze« [4] sind die Begriffe »Blindheit«,
                                                             »hochgradige Sehbehinderung« und »Sehbehin-
    Das Auge und die Gehirnareale, in denen visuelle         derung« definiert. Die Versorgungsmedizin-Ver-
    Reize verarbeitet werden, bilden das visuelle Sys-       ordnung sowie die auf § 2 beruhende Anlage haben
    tem. Jede Störung einer Struktur im visuellen Sys-       im Jahr 2009 die »Anhaltspunkte für die ärztliche
    tem kann zu Sehbehinderung oder Blindheit füh-           Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht
    ren. Ihr liegt häufig eine degenerative Erkrankung       und nach dem Schwerbehindertenrecht« [5] abge-
    (Abbauprozess) zugrunde.                                 löst:

    ▶▶ Ist die Makula geschädigt, verliert der Betroffene    Blindheit liegt vor, wenn
       die Fähigkeit scharf zu sehen (siehe Kapitel 4.1      ▶▶ das Augenlicht vollständig fehlt,
       Altersabhängige Makuladegeneration).                  ▶▶ der Visus (Sehschärfe) auf dem besseren Auge
    ▶▶ Ist der Sehnervenkopf (Papille) geschädigt,             nach optischer Korrektur höchstens 0,02 beträgt,
       kommt es fortschreitend zu gebietsweisen Aus-         ▶▶ andere Störungen des Sehvermögens vorliegen,
       fällen im Blickfeld (siehe Kapitel 4.2 Glaukom).         die dieser Beeinträchtigung gleichkommen (z. B.
    ▶▶ Ist die Netzhaut betroffen, verringern sich die          durch Gesichtsfeldausfälle) oder
       Sehschärfe und das Gesichtsfeld (siehe Kapitel        ▶▶ ein vollständiger Ausfall der Sehrinde nachge-
       4.3 Diabetische Retinopathie).                           wiesen ist.
    ▶▶ Ist die Linse krankhaft eingetrübt, wird das Licht
       nur noch diffus gestreut auf die Netzhaut proji-      Hochgradige Sehbehinderung liegt vor, wenn
       ziert (siehe Kapitel 4.4.1 Katarakt).                 ▶▶ der Visus auf keinem Auge und auch nicht bei
    ▶▶ Gibt es einen Verschluss von Blutgefäßen oder           beidäugiger Prüfung mehr als 0,05 beträgt oder
       eine Blutung in entsprechenden Arealen des            ▶▶ andere gleichzuachtende Störungen der Sehfunk-
       Gehirns (Schlaganfall), können die Sinnesreize          tion vorliegen (d. h., wenn die Einschränkung
       nicht mehr weitergeleitet bzw. verarbeitet werden.      des Sehvermögens einen Grad der Behinderung
                                                               (GdB) von 100 bedingt und noch nicht Blindheit
       Bei den selteneren Blindheitsursachen, wie              vorliegt).
    zum Beispiel einem Verschluss von Blutgefäßen
    im Auge, Verletzungen des Auges und Infektio-            Sehbehinderung liegt vor
    nen fällt ebenfalls die entsprechende Funktion der       ▶▶ ab einer Visus-Kombination im Bereich zwischen
    betroffenen Struktur aus. Ursachen für angebo-             0,4/0,02 und 0,2/0,2 oder
    rene Blindheit sind die fehlende Ausbildung oder         ▶▶ bei gleich zu bewertenden Gesichtsfeldausfällen.
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung      7

Tabelle 1
Internationale Definitionen von Sehbehinderung und Blindheit
Quelle: modifiziert nach Pfeiffer 2008 [6]

 WHO                         Visus*               Deutschland     ICD-10-GM Version               WHO                    USA
 Grad                                                      [4]              2014 [7]                [8]                   [9]
8     Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung

    borene Behinderung«, »Arbeitsunfall« oder               3 2 Prävalenz und Inzidenz
    »Verkehrs­unfall«. »Krankheiten als Ursache der
    Behinderung« sind zu einer Kategorie zusammen-          Im Jahr 2013 waren in Deutschland 560.787 Per-
    gefasst. Welche Erkrankungen der Behinderung            sonen unter der Kategorie »Blindheit und Seh-
    zugrunde liegen, ist aus der Statistik somit nicht      behinderung« in der Schwerbehindertenstatistik
    ersichtlich.                                            verzeichnet. Darunter waren 357.018 Personen
        Die Einteilung der Behinderungsarten orientiert     (209.263 Frauen und 147.755 Männer), bei denen
    sich an den körperlichen Funktionseinschränkun-         die Blindheit oder Sehbehinderung die schwerste
    gen. Sie wird anhand von 55 Kategorien erfasst,         Behinderung ist. Zu diesen gibt die Statistik detail-
    darunter die Kategorie »Blindheit und Sehbehinde-       liertere Auskünfte:
    rung«, die nochmals in drei Unterkategorien auf-
    geteilt ist: »Blindheit oder Verlust beider Augen«,     ▶▶ 53,9 % (192.495) der Personen mit amtlich aner-
    »hochgradige Sehbehinderung« und »sonstige                 kannter Schwerbehinderung und Blindheit oder
    Sehbehinderung«. Diese Einteilung entspricht im            Sehbehinderung als schwerster Behinderung
    Wesentlichen den Definitionen der Versorgungs-             haben einen Grad der Behinderung von 100
    medizin-Verordnung (siehe Kapitel 2.3). Das heißt,         (Tabelle 2).
    dass Personen, bei denen die versorgungsmedizi-         ▶▶ Bei 21,0 % (74.889 Personen) liegt »Blindheit
    nische Begutachtung »Blindheit« oder »hochgra-             oder Verlust beider Augen« und bei 13,8 % (49.103
    dige Sehbehinderung« ergab, den entsprechenden             Personen) eine »hochgradige Sehbehinderung«
    Unterkategorien der Schwerbehindertenstatistik             vor. 65,3 % der Fälle (233.026 Personen) sind als
    zugeordnet werden. Die Unterkategorie »sonsti-             »sonstige Sehbehinderung« ausgewiesen.
    ge Sehbehinderung« enthält die Daten der Per-           ▶▶ Etwas weniger als die Hälfte hat keine weitere
    sonen, die als »sehbehindert« eingestuft wurden            Behinderung.
    und solche, die sich nicht zuordnen ließen. Wenn        ▶▶ 35,9 % (128.159 Personen) sind Frauen im Alter
    nicht anders ausgewiesen, ist in diesem Heft mit           von 75 Jahren und älter. Der Anteil der gleichalt-
    dem Begriff »Blindheit und Sehbehinderung« die             rigen Männer beträgt 16,2 % (58.004 Personen).
    Hauptkategorie der Schwerbehindertenstatistik
    gemeint.                                                   Es sind also über 52 % aller Blinden und Seh-
        Die Schwerbehindertenstatistik weist keine Neu-     behinderten 75 Jahre alt und älter. Bei den unter
    erblindungen (Inzidenzen) aus.                          75-Jährigen sind Männer etwas häufiger betroffen,
        Eine weitere Datenquelle sind Aufzeichnungen        in den Altersgruppen darüber sind es zunehmend
    der Länder über Zahlungen von Landesblinden-            häufiger Frauen (Abbildung 2). Insgesamt gibt es
    geld. Der Empfang von Blindengeld wird in den           mehr Frauen, die unter Blindheit oder Sehbehinde-
    Stadtverwaltungen und Landratsämtern registriert.
    Aus diesen Daten können Aussagen zur Inzidenz            Tabelle 2
    und zu den Ursachen der Erblindung gewonnen              Menschen mit amtlich anerkannter Schwerbehinderung und
    werden. Allerdings sind die Archive uneinheitlich        »Blindheit und Sehbehinderung« als schwerster Behinde-
    und die Daten werden nicht zentral zusammen-             rung, nach Grad der Behinderung (GdB), 31 12 2013
                                                             Quelle: Statistik der schwerbehinderten Menschen 2013 [10]
    geführt. Einzelne Studien und Forschungsprojek-
    te liefern Auswertungen aus solchen regionalen           Grad der Behinderung                          Personen
    Archiven. Die Ergebnisse aus großen Regionen
                                                                                            Anzahl           Prozent
    erlauben, zumindest bei den Aussagen über die
    Ursachen von Blindheit, Schätzungen für Deutsch-         50                             51.857              14,5
    land [11].                                               60                             29.558               8,3
        Da ein Antrag auf die Anerkennung einer              70                             29.395               8,2
    Schwerbehinderung beim Versorgungsamt die                80                             29.537               8,3
    Voraussetzung für mögliche finanzielle Zuwen-            90                             24.176               6,8
    dungen ist, kann man davon ausgehen, dass der
                                                             100                           192.495              53,9
    Erfassungsgrad blinder Menschen in Deutschland
                                                             Gesamt (50 bis 100)           357.018             100,0
    relativ hoch ausfällt.
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung   9

Abbildung 2
Menschen mit amtlich anerkannter Schwerbehinderung und »Blindheit und Sehbehinderung« als schwerster
Behinderung, nach Alter und Geschlecht (Prozentanteil an der gleichaltrigen Bevölkerung), 31 12 2013
Quelle: Zensusdaten mit dem Stand vom 10.04.2014 [12], Statistik der schwerbehinderten Menschen 2013 [10]

               Alter (Jahre)
80 und älter
     75–79
     70–74
     65–69
     60–64
     55–59
     50–54
     45–49
     40–44
     35–39
     30–34
     25–29
     20–24
     15–19
     10–14
        5–9
        0–4
               0               0,5         1,0            1,5          2,0          2,5           3,0         3,5
                                                                                                               Prozent
                   Weiblich          Männlich

rung leiden. Einer der Gründe hierfür ist die höhere                  Daten zu einzelnen Erkrankungen als Ursa-
Lebenserwartung von Frauen in Kombination mit                     che können aus regionalen Blindengeldarchiven
der Tatsache, dass im Alter die Erblindungswahr-                  gewonnen werden. Eine aktuelle Studie zu den
scheinlichkeit zunimmt.                                           Haupterblindungsursachen in Deutschland basiert
    Aufgrund des mit dem Alter steigenden Risikos                 auf den Daten des Blindengeldarchivs des Land-
ist im Zuge des demografischen Wandels insgesamt                  schaftsverbands Rheinland (siehe Kapitel 4 Erblin-
mit einem Anstieg der Häufigkeit (Prävalenz) zu                   dungsursachen in Deutschland, Abbildung 4) [11].
rechnen. Dennoch blieb von 2003 bis 2013 die Zahl                 Auch Untersuchungen zur Inzidenz von Blindheit
der Menschen mit Blindheit oder Sehbehinderung                    liegen aus einzelnen Regionen bzw. Ländern vor
in der Schwerbehindertenstatistik nahezu konstant.                (Hessen 1999 und 2002, Baden 2004, Württem-
Fortschritte in der Behandlung von Augenkrankhei-                 berg-Hohenzollern 1999, 2001, 2003 und Bayern
ten konnten den Trend bisher abfangen [11].                       1992), lassen sich jedoch nicht verallgemeinern
    Bei 3,4 % der Menschen mit Blindheit oder                     [13–17].
Sehbehinderung als schwerster Behinderung ist
diese angeboren, bei 1,4 % ist sie die Folge eines
Unfalls, bei 0,5 % ist sie eine anerkannte Kriegs-,               3 3 Internationaler Vergleich
Wehrdienst- oder Zivildienstbeschädigung und
bei 86,7 % ist eine Krankheit die Ursache (Frauen:                Internationale Vergleiche sind bislang aufgrund
88,7 %, Männer: 83,8 %). Welche Krankheiten das                   der Datenlage erschwert. Einerseits unterscheidet
sind, ist aus der Schwerbehindertenstatistik nicht                sich der Erfassungsgrad blinder und sehbehinder-
zu entnehmen. Der Rest von 8,0 % entfiel auf sons-                ter Menschen von Land zu Land. Er fällt generell
tige, mehrere oder ungenügend bezeichnete Ursa-                   höher aus, wenn die Registrierung an finanzielle
chen [10].                                                        Zuwendungen gekoppelt ist, wie das in Deutsch-
10     Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung

     Tabelle 3
     Vergleichbarkeit der Daten: Verbreitung von Blindheit und Sehbehinderung in Deutschland
     und den Vereinigten Staaten von Amerika, 2011 (Prozentanteil an der Gesamtbevölkerung)
     Quellen: Statistik der Länder, WHO-Schätzung

                                                                    Landeseigene Daten                    WHO-Schätzung [20]
                                                      Deutschland [18]           USA [19]       Deutschland             USA
      Vision Impairment & Blindness                             1,00 %             2,94 %              1,2 %           1,3 %
      Sehbehinderung und Blindheit
      Blindness                                                 0,14 %             0,90%               0,2 %           0,2 %
      Blindheit
      Vision Impairment                                         0,86%              2,04 %              1,4 %           1,5 %
      Sehbehinderung

     land der Fall ist. Andererseits werden unterschied-          Sehbehinderung (Vision Impaiment) Betroffenen
     liche Kriterien zur Definition von Blindheit ange-           in Entwicklungsländern leben. 42 % der Sehbe-
     wandt (siehe Tabelle 1).                                     hinderungen bzw. 3 % der Fälle von Blindheit sind
        So fallen im Jahr 2011 nach nationalen Statisti-          bedingt durch Refraktionsfehler (Weit-, Kurz- und
     ken die Angaben zur Häufigkeit von Sehbehinde-               Stabsichtigkeit) [21], denn in einigen Gegenden der
     rung in den Vereinigten Staaten drei Mal höher aus           Welt sind auch heute noch viele Menschen faktisch
     als in Deutschland. Blindheit wird sechs Mal häu-            blind oder hochgradig sehbehindert, weil ihnen
     figer registriert [18, 19]. Beide Länder haben jedoch        keine geschliffenen Brillengläser zur Verfügung
     in der WHO-Schätzung von 2004 [20] fast identi-              stehen.
     sche Werte, da hier einheitliche Kriterien zugrunde             Die internationale Verteilung der Erblindungs-
     gelegt wurden (Tabelle 3).                                   ursachen, mit ihren hohen Anteilen vermeidbarer
        Weltweit schätzte die WHO für das Jahr 2014               bzw. heilbarer Augenerkrankungen, ähnelt der Situ-
     etwa 246 Millionen Sehbehinderte (Visus
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung       11

Abbildung 4
Anteil der häufigsten Erblindungsursachen bei Neuerblindungen (Rheinland 2006)
Quelle: Finger 2012 [11]

                                                      Altersbedingte Makuladegeneration (AMD)
                                                      40,7 %
                                                      Glaukom (Grüner Star)
                                                      15,4 %
                                                      Diabetische Retinopathie
                                                      9,7 %
                                                      Retinitis pigmentosa
                                                      7,0 %
                                                      Hohe Myopie (starke Kurzsichtigkeit)
                                                      5,3 %
                                                      Andere Ursachen
                                                      21,9 %

4 Erblindungsursachen in Deutschland                        den zwei Spätformen unterschieden, die trockene
                                                            (nicht-exsudative) und die feuchte (exsudative)
In Deutschland werden »Blindheit und Sehbehin-              AMD.
derung« am häufigsten durch folgende drei Erkran-              Bei der frühen AMD führen Alterungsprozes-
kungen verursacht (Abbildung 4):                            se dazu, dass Stoffwechselprodukte in der Netz-
                                                            haut unzureichend abgebaut werden und sich als
▶▶ Altersbedingte Makuladegeneration (AMD)                  sogenannte Drusen ablagern. Frühe AMD führt in
▶▶ Grüner Star (Glaukom)                                    den meisten Fällen nicht zu Sehverlust. Betroffene
▶▶ Netzhautschädigungen durch Diabetes mellitus             beklagen teilweise nur einen Verlust von Kontrast-
  (diabetische Retinopathie).                               sehschärfe und eine verzögerte Anpassung an ver-
                                                            änderte Lichtverhältnisse.
    Von der WHO wird der Anteil der altersbeding-              Bei ca. 10 – 15 % der Betroffenen schreitet die frü-
ten Makuladegeneration (AMD) an allen Erblin-               he AMD zu einer späten AMD voran [22]. Spätsta-
dungsursachen für die meisten europäischen Staa-            dien der AMD teilen sich etwa zu zwei Dritteln auf
ten (Region »Europa A«) auf 50 Prozent geschätzt            die feuchte und zu einem Drittel auf die trockene
[20].                                                       AMD auf [23].
    Die AMD ist bis heute eine schwer aufzuhalten-             Die trockene späte AMD führt zu einem Abster-
de Erkrankung, und das Glaukom sowie die diabe-             ben (Atrophie) von Photorezeptoren (Sinneszellen)
tische Retinopathie lassen sich nur im Frühstadi-           und Zellschichten, die darunter liegen. Hierdurch
um gut behandeln. Neuerblindungen durch den                 kommt es zu einem langsam voranschreitenden
Grauen Star (Katarakt) kommen in Deutschland                Sehverlust im zentralen Gesichtsfeld bis hin zur
relativ selten vor; die Katarakt ist auch im späten         Erblindung. Allerdings kann die trockene auch in
Stadium noch heilbar.                                       die feuchte Form übergehen.
                                                               Die feuchte Form der AMD entsteht durch
                                                            Gefäßneubildungen unter der Netzhaut. Die
4 1 Altersabhängige Makuladegeneration                      neuen Gefäße können zu einer Einblutung füh-
                                                            ren oder auch, durch den vermehrten Austritt
Die altersabhängige Makuladegeneration (AMD)                von Flüssigkeit, zum Anschwellen der Netzhaut.
ist eine Netzhauterkrankung, bei der es im Spätsta-         Die feuchte AMD ist für schätzungsweise
dium zu einer Schädigung der Stelle des schärfs-            60 – 80 % aller Blindheitsfälle durch AMD ver-
ten Sehens (Makula, Gelber Fleck) kommt. Es wer-            antwortlich [17].
12       Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung

         Die Symptome der Netzhautdegeneration bei                      Für die Entstehung der AMD spielen auch gene-
     beiden Spätstadien werden von den Betroffenen                  tische Faktoren eine Rolle. Die genetische Grund-
     zunächst durch Verzerrungen im Bereich des                     lage und die Wechselwirkungen von genetischen
     schärfsten Sehens bemerkt. Gerade Linien wer-                  und nicht-genetischen Faktoren werden derzeit in
     den gekrümmt wahrgenommen, und es kann eine                    einem vom Bundesministerium für Bildung und
     Abschattung im Bereich des schärfsten Sehens vor-              Forschung (BMBF) geförderten Forschungsprojekt
     kommen.                                                        untersucht [30]. Ein weiteres Projekt beschäftigt
         Die Häufigkeit altersbedingter Makuladegenera-             sich mit Wissensvermittlung und Präventionsleit-
     tion nimmt in höheren Altersgruppen deutlich zu.               bildern bei Krankheiten mit genetischen Risiken
     Eine Zusammenfassung von drei großen epidemio-                 am Beispiel der AMD [31].
     logischen Studien ergab eine AMD bei 0,2 % der
     55- bis 64-Jährigen und bei 13 % der ab 85-Jährigen
     [24]. In neueren Studien wurden frühe Formen der               4 2 Grüner Star (Glaukom)
     AMD bereits bei den unter 55-Jährigen gefunden
     [25, 26]. Das Risiko für die Entstehung einer AMD              Beim Grünen Star (Glaukom) kommt es zu einer
     steigt durch Tabakkonsum, wie verschiedene Stu-                irreversiblen Schädigung des Sehnervenkopfes.
     dien zeigen [24, 27, 28].                                      Diese geht meist mit einer Erhöhung des Augenin-
         Um die feuchte AMD von der trockenen Form                  nendrucks einher. Gleichwohl gibt es Menschen,
     zu unterscheiden, werden in der Diagnostik die                 bei denen ein hoher Augeninnendruck (okuläre
     Fluoreszenzangiografie und die optische Kohären-               Hypertension) gut toleriert wird, wie auch solche,
     ztomographie eingesetzt.                                       bei denen es trotz eines relativ niedrigen Drucks
         Für die trockene Form der altersbedingten                  zu einer Sehnervenschädigung kommt (Nieder-
     Makuladegeneration gibt es bislang keine ursäch-               druckglaukom).
     liche Therapie. Bei der feuchten Form der AMD                      Primäre Glaukome werden in zwei Typen unter-
     haben sich in den letzten Jahren neue Therapie-                teilt. Zum einen sind es Offenwinkelglaukome
     möglichkeiten ergeben. Durch Maßnahmen zur                     (Weitwinkelglaukome), bei denen der Abflussweg
     Abschwellung der Netzhaut kann das Sehvermögen                 des Kammerwassers im Kammerwinkel offen ist.
     der Betroffenen wieder verbessert und langfristig              Sie sind mit mehr als 90 % die häufigsten aller
     erhalten werden [29].                                          Glaukome [32]. Zum andern sind es Winkelblock-

     Abbildung 5
     Erkrankungsrisiko für Grünen Star (Glaukom), differenziert nach Alter und Geschlecht
     Quelle: RKI, Telefonischer Gesundheitssurvey 2005
           Prozent
     9

     8
     7

     6
     5
     4

     3
     2

     1

         40    42    44   46    48   50   52   54   56   58   60   62   64   66   68   70   72   74   76   78   80     82    84
                                                                                                                     Alter (Jahre)
              Frauen           Männer
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung   13

glaukome (Engwinkelglaukome), bei denen es zu             Zur Diagnostik des Glaukoms werden vor allem
einem – oft plötzlichen – Verschluss des Abfluss-     die Augeninnendruckmessung (Tonometrie), die
weges kommt. Letzteres trifft auf weniger als 5 %     Spiegelung des Augenhintergrundes (Fundusko-
aller Glaukome zu. Sekundäre Glaukome sind sehr       pie) und die Messung des Gesichtsfeldes (Perime-
selten. Sie sind die Folge oder Komplikation von      trie) eingesetzt.
anderen Augen- oder Allgemeinerkrankungen.                Therapeutisch steht zunächst die Lokaltherapie
Noch seltener finden sich angeborene Glaukome         durch Augentropfen zur Senkung des Augeninnen-
bei Neugeborenen (1:20.000).                          drucks im Vordergrund. Bei schweren Fällen kann
    Beim Offenwinkelglaukom treten in der An­­­       auch durch Tabletten der Augeninnendruck gesenkt
fangsphase keine Symptome und keine Schmerzen         werden. Daneben stehen verschiedene chirurgische
auf. Erst bei Schädigung des Sehnervs kommt es zu     Verfahren zur Verfügung.
einem langsam fortschreitenden Verlust des Seh-
vermögens und zu Ausfallsarealen im Blickfeld der
Betroffenen. Beim Winkelblockglaukom hingegen         4 3 Diabetische Retinopathie
kommt es zu einer akuten Sehverschlechterung bei
oft sehr hohen Augeninnendruckwerten. Es treten       Die diabetische Retinopathie ist eine Erkrankung
Allgemeinsymptome auf, wie Übelkeit oder auch         der Netzhaut. Es handelt sich um eine Folgekrank-
starke Schmerzen.                                     heit des Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit), die
    Die Prävalenz des Offenwinkelglaukoms wurde       sowohl bei Typ 1- als auch bei Typ 2-Diabetikern
in einer im Jahr 1982 veröffentlichten Studie auf     auftreten kann. Vier ineinander übergehende Sta-
1,5 % bis 2 % bei den über 40-Jährigen und 7 % bei    dien der diabetischen Retinopathie werden unter-
den ab 80-Jährigen geschätzt. Mehr als 95 % aller     schieden: drei nicht-proliferative (mild, mäßig,
Glaukome traten nach dem 40. Lebensjahr auf [33].     schwer) und ein proliferatives (gefäßbildendes)
    Eine Lebenszeitprävalenz des Glaukoms von         Stadium.
2,7 % bei den Frauen und 1,8 % bei den Männern            In den nicht-proliferativen Stadien wird die
ergibt sich aus dem Telefonischen Gesundheitssur-     Netzhaut durch diabetesbedingte Stoffwechselver-
vey des Robert Koch-Instituts im Jahr 2005. Es wur-   änderungen zunächst schlechter durchblutet. Es
de gefragt: »Hatten Sie jemals einen grünen Star,     können Ausbuchtungen der Gefäße (Mikroaneurys-
auch Glaukom genannt?«. Die statistische Analyse      men) entstehen, feine Punkt- oder Fleckblutungen
zeigt ein ab dem 40. Lebensjahr ansteigendes Risi-    auftreten und Flüssigkeiten, Fette und Eiweiße in
ko. Bei den 80-Jährigen liegt demnach die Wahr-       die Netzhaut eingelagert werden.
scheinlichkeit, an einem Grünen Star erkrankt zu          Das proliferative Stadium entsteht bei Fort-
sein, zwischen 7 % und 8 % (Abbildung 5).             schreiten der Erkrankung. Es kommt zur Bildung
    Als Risikofaktoren bei der Entstehung des Grü-    neuer Blutgefäße (Proliferation). Diese können das
nen Stars gelten, neben erhöhtem Augeninnen-          Sehvermögen gefährden, indem sie in das Innere
druck, ein Glaukom bei Verwandten ersten Grades       des Auges einwachsen oder Einblutungen verur-
und ein höheres Lebensalter; ein weiterer Einfluss-   sachen. Weitere Komplikationen des Gefäßwachs-
faktor ist z. B. die ethnische Zugehörigkeit [34].    tums sind die Ablösung der Netzhaut und die Schä-
    Es wird davon ausgegangen, dass in Deutsch-       digung der Makula (diabetische Makulopathie bzw.
land weniger als die Hälfte aller Offenwinkelglau-    diabetisches Makulaödem).
kome den Betroffenen bekannt sind [35]. Eine früh-        Die diabetische Retinopathie bleibt zu Beginn
zeitige Diagnostik des Glaukoms ist wichtig, weil     symptomlos. Erst im fortgeschrittenen Stadium
erkennbare strukturelle Veränderungen am Seh-         sehen die Betroffenen beispielsweise unscharf,
nervenkopf noch vor den funktionellen Beeinträch-     oder es treten dunkle Flecken und rote Schleier im
tigungen entstehen. Hier gibt es bislang unausge-     Gesichtsfeld auf. Die Netzhautablösung macht sich
schöpfte Möglichkeiten der Prävention von Seh-        durch Sehstörungen wie Lichtblitze, das Sehen von
behinderungen. Wird nämlich die Erkrankung            Spinnweben, schwarzen Punktwolken, eine gene-
innerhalb dieses frühen Stadiums diagnostiziert       relle Sehverschlechterung oder Gesichtsfeldausfäl-
und behandelt, kann die Schädigung abgewendet         le (Skotome) bemerkbar. Werden Blutungen und
werden.                                               Netzhautablösung nicht behandelt, kommt es zur
14     Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung

     irreversiblen Verschlechterung des Sehvermögens          4 4 Andere Erblindungsursachen
     und schließlich zur Erblindung.
         Regionale Studien aus Deutschland belegen,           4 4 1 Grauer Star (Katarakt)
     dass 14 bis 15 % der Diabetikerinnen und Diabeti-
     ker an einer Retinopathie leiden [36, 37]. Entschei-     Beim Grauen Star (Katarakt) kommt es zu einer
     denden Einfluss auf die Entstehung der Retinopa-         Eintrübung der Augenlinse. In den meisten Fällen
     thie haben die Einstellung des Blutzuckers sowie         ist die Katarakt altersbedingt und bildet sich erst
     die Erkrankungsdauer. Da viele Typ-1-Diabetiker          jenseits des 60. Lebensjahres aus.
     schon im Kindes- oder Jugendalter erkranken, ist
     bei ihnen das Risiko zur Entwicklung einer diabe-           Zu den Ursachen der Linsentrübung zählen:
     tischen Retinopathie am höchsten [36, 38].               ▶▶ Altern
         Eine Studie aus Baden-Württemberg (2008 bis          ▶▶ Stoffwechselerkrankungen (hier vor allem Dia-
     2009) kommt in einer Hochrechnung auf jähr-                 betes mellitus)
     lich knapp 700 Neuerblindungen durch diabetische         ▶▶ andere Augenerkrankungen
     Retinopathie in Deutschland [39]. Die Erblindungs-       ▶▶ Augenverletzungen und -operationen
     rate steigt dabei ab einem Alter von 60 Jahren steil     ▶▶ Umwelteinflüsse wie Hitze, Röntgenstrahlen,
     an. Sie beträgt für die unter 60-Jährigen noch 0,2          Infrarotstrahlen, UV-Strahlen
     pro 100.000 Einwohner im Jahr, für die 60- bis           ▶▶ Vergiftungen sowie
     79-Jährigen 2,4 und für die über 80-Jährigen 3,7 pro     ▶▶ die längere Einnahme bestimmter Medikamente
     100.000 Einwohner im Jahr. Im Vergleich mit einer           (beispielsweise Cortison).
     ähnlichen Studie aus den Jahren 1994 bis 1998 [40]
     zeigt sich eine deutliche Abnahme der Inzidenzen            Sie kann aber auch angeboren sein oder durch eine
     von 1,7 auf 0,7 pro 100.000 Einwohner im Jahr. Als       vorgeburtliche Infektion der Mutter (z. B. mit Röteln,
     Gründe werden Verbesserungen im Screening, in            Windpocken, Mumps) hervorgerufen werden.
     der Therapie sowie in der Diabetesversorgung (z. B.         Die Katarakt geht mit einer zunehmend vermin-
     im Zusammenhang mit Disease Management Pro-              derten Sehleistung einher. Die diffuse Lichtstreu-
     grammen, siehe Kapitel 5.2.2) diskutiert [39, 41].       ung der eingetrübten Linse bewirkt ein verstärktes
         Zur Diagnostik der diabetischen Retinopathie         Blendungsempfinden der Betroffenen. Die Linsen-
     werden Sehschärfebestimmung, Untersuchung der            trübung führt außerdem zu einer Abschwächung
     vorderen Augenabschnitte sowie Untersuchung der          der Wahrnehmung von Farben, wobei eine trübe,
     Netzhaut beider Augen bei erweiterter Pupille ein-       gelb gefärbte Linse insbesondere den blauen Anteil
     gesetzt. In fortgeschrittenen Retinopathiestadien        des Lichtes filtert. Durch die unregelmäßige Bre-
     sollte der Augeninnendruck gemessen werden, und          chung des Lichtes im Auge können einseitige Dop-
     bei bestimmten Konstellationen ist eine Fluores-         pelbilder auftreten.
     zenzangiografie angezeigt. Regelmäßige augenärzt­           Informationen zur Häufigkeit des Grauen Star
     liche Untersuchungen sind für Diabetiker wichtig,        in Deutschland können aus Befragungsdaten des
     um die diabetische Retinopathie frühzeitig diag-         Robert Koch-Instituts entnommen werden. Im Tele-
     nostizieren und therapieren zu können. Wenn die          fonischen Gesundheitssurvey 2005 wurde gefragt:
     Tendenz einer Gefäßneubildung besteht, kann eine         »Hatten Sie jemals einen Grauen Star, auch Kata-
     Lasertherapie dazu dienen, die Sauerstoffversor-         rakt genannt?«. Die aus diesem Survey ermittel-
     gung der Netzhaut wieder zu verbessern. Ein gut          te Lebenszeitprävalenz des Grauen Star liegt bei
     eingestellter Blutzucker und Blutdruck sind die          7,6 %. Hier gibt es einen deutlichen Geschlech-
     wichtigsten Voraussetzungen für eine Erhaltung           terunterschied. 10,2 % der Frauen und 4,9 % der
     des Augenlichts [38, 42].                                Männer waren erkrankt.
                                                                 Wie auch beim Grünen Star steigt das Erkran-
                                                              kungsrisiko ab dem 40. Lebensjahr an. Im Alter
                                                              von 85 Jahren liegt die Wahrscheinlichkeit, jemals
                                                              an Grauem Star erkrankt zu sein, für Frauen
                                                              bereits über 60 %, für Männer bei knapp 50 %
                                                              (Abbildung 6).
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung                15

Abbildung 6
Erkrankungsrisiko für Grauen Star (Katarakt), differenziert nach Alter und Geschlecht
Quelle: RKI, Telefonischer Gesundheitssurvey 2005

70    Prozent

60

 50
40

 30
20
 10

      40    42   44   46    48   50   52   54   56   58   60   62   64   66    68   70   72   74   76   78   80     82    84
                                                                                                                  Alter (Jahre)
           Frauen          Männer

   Weltweit ist die Katarakt die häufigste Erblin-             pheren Sehens. Im Spätstadium der Erkrankung
dungsursache. Der Grund ist ein Mangel an Ope-                 reduziert sich die Sehfähigkeit häufig bis zur blo-
rationsmöglichkeiten zur Entfernung der einge-                 ßen Lichtwahrnehmung.
trübten Linse in vielen Teilen der Erde. In Deutsch-               In Deutschland ist etwa einer von 4.000 Men-
land hingegen ist die Kataraktchirurgie ein fester             schen von Retinitis pigmentosa betroffen [43]. Die
Bestandteil der medizinischen Versorgung und                   Erkrankung wird häufig bereits im Jugendalter
wird flächendeckend eingesetzt. Dementsprechend                diagnostiziert.
gibt es hier nur wenige Erblindungsfälle durch den                 Zur Diagnostik wird vor allem die Spiegelung
Grauen Star. Die Hochrechnung aus einer regiona-               des Augenhintergrundes eingesetzt. Eine ursäch-
len Studie ergab 460 Fälle pro Jahr [40].                      liche Therapie gibt es bisher nicht. Ziel der For-
   Zur Diagnostik des Grauen Stars werden eine                 schung ist es daher, Therapieansätze – z. B. gen-
Spaltlampenuntersuchung sowie bei Bedarf weitere               therapeutische Maßnahmen [44] – zu entwickeln,
Untersuchungen angewandt, sofern die Linsentrü-                um die Funktion der Netzhaut und somit das Seh-
bung nicht bereits mit bloßem Auge erkennbar ist.              vermögen zu verbessern. Das Bundesministerium
Die Therapie besteht in einer operativen Entfer-               für Bildung und Forschung (BMBF) förderte in den
nung der getrübten Linse. Stattdessen wird eine                letzten Jahren zwei Forschungsvorhaben zur Diag-
Linse aus Kunststoff eingesetzt.                               nose und Therapie von Retinitis pigmentosa; eines
                                                               davon wurde im April 2016 abgeschlossen [45, 46].

4 4 2 Retinitis pigmentosa
                                                               4 4 3 Augenerkrankungen im frühen Kindesalter
Retinitis pigmentosa oder Retinopathia pigmen-
tosa umfasst eine Gruppe von genetisch bedingten               Bei Kindern im Alter von unter einem Jahr gab
Erkrankungen der Netzhaut, die zu einer fortschrei-            es im Jahr 2014 673 Fälle, die wegen einer augen-
tenden Einschränkung der Sehfähigkeit führen.                  lichtbedrohenden Erkrankung bzw. Fehlbildung
Dabei kommt es zum Verlust von Photorezeptoren                 (ICD-10: Q11–Q15, H26, H27, H30–H36, H40–H42)
(Sinneszellen), vor allem in der peripheren Netz-              in deutschen Krankenhäusern behandelt wurden
haut. Die Erkrankung kann unterschiedlich schnell              [47].
fortschreiten.                                                    Die häufigsten Augenerkrankungen in den
   Typische Symptome für die Betroffenen sind                  ersten Lebensmonaten mit Gefahr für das Augen-
Nachtblindheit sowie die zunehmende Ausprägung                 licht sind die angeborene Katarakt, das Glaukom,
eines »Tunnelblicks« durch den Verlust des peri-               die Frühgeborenenretinopathie und das Retino­
16     Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung

     blastom. Diese Krankheiten sind selten, spielen          5 2 Früherkennung
     aber wegen ihrer schweren Folgen eine wich-
     tige Rolle in der Neugeborenendiagnostik (sie-           5 2 1 Glaukom
     he auch Kapitel 5.2.3 Augenuntersuchungen im
     Kindes­alter). Durch frühzeitige Therapie kann die       Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat
     Sehfähigkeit in den meisten Fällen erhalten wer-         im Jahr 2004 den Beschluss gefasst, ein Glau-
     den.                                                     komscreening nicht als bevölkerungsweite Früh-
                                                              erkennungsuntersuchung, die sich an symptom-
                                                              lose bzw. beschwerdefreie Personen richtet, in den
     5 Prävention                                             Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversi-
                                                              cherung aufzunehmen. Hauptgrund dafür ist, dass
     5 1 VISION 2020                                          keine hinreichend gesicherten wissenschaftlichen
                                                              Daten vorliegen, um zu belegen, dass mit Hilfe
     Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation              eines entsprechenden bevölkerungsbezogenen
     ergaben, dass sich die Zahl der weltweit von             Screenings die Zahl der Erblindungen reduziert
     Blindheit betroffenen Personen (Visus
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung    17

5 2 3 Augenuntersuchungen im Kindesalter                 Um eine solide Datenbasis zur Teilhabe von
                                                      Menschen mit Behinderungen zu liefern und beste-
Die Frühgeborenen-Retinopathie kann durch             hende Datenlücken zu schließen, gab das Bundes-
gezielte Vorsorgeuntersuchungen rechtzeitig           ministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) eine
erkannt werden. Seit 1999 gibt es in Deutschland      Studie in Auftrag, in der ein Konzept für eine Reprä-
für diese Netzhauterkrankung ein Screening für        sentativbefragung zur Teilhabe von Menschen mit
Neugeborene mit erhöhtem Risiko. Die Unter­           Behinderungen entwickelt wurde [59]. Eine solche
suchung wird bei Kindern durchgeführt, die vor        Befragung soll nicht nur Teilhabeeinschränkungen
der 32. Schwangerschaftswoche geboren werden          ermitteln, sondern auch individuelle und umwelt-
bzw. bei einem Geburtsgewicht unter 1.500 g und       bezogene Ressourcen, durch die Behinderungen
bei Frühgeborenen, die mehr als drei Tage lang        abgebaut werden können und eine bessere Teil-
beatmet wurden [55].                                  habe möglich wird. Ein wichtiges Ziel ist auch die
   Der Gemeinsame Bundesausschuss hat in den          Einbeziehung von Gruppen, die für herkömmliche
»Kinder-Richtlinien« die ärztlichen Maßnahmen         Studien schwer zu erreichen sind [59].
zur Früherkennung von Krankheiten bei Kindern
bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres festgelegt.
Die Kindervorsorgeuntersuchungen (U-Unter-            7 Versorgung
suchungen) werden im gelben Kinder-Untersu-
chungsheft (»Gelbes Heft«) des Gemeinsamen            7 1 Versorgungsstruktur und Qualität der
Bundesausschusses dokumentiert [56].                      Versorgung
   Bei neun der Untersuchungen sind Kontrol-
len des Sehsystems vorgesehen [57]. Die U-Unter­      Zur Versorgung von Patientinnen und Patienten
suchungen können von allen Ärzten durchgeführt        mit Augenerkrankungen existiert in Deutschland
werden, »welche die vorgesehenen Leistungen           ein dichtes Netz von ambulanten und stationä-
auf Grund ihrer Kenntnisse und Erfahrungen            ren augenärztlichen Einrichtungen. Am Stichtag
erbringen können, nach der ärztlichen Berufs-         31.12.2015 waren 3.402 Fachärztinnen und 3.896
ordnung dazu berechtigt sind und über die erfor-      Fachärzte für Augenheilkunde ärztlich tätig. Davon
derlichen Einrichtungen verfügen.« Gibt es hier-      waren 6.020 ambulant (82,8 %), 990 stationär
bei auffällige Befunde bezüglich des Sehsystems,      (13,3 %) und 288 (3,9 %) in Behörden/Körperschaf-
wird eine augenärztliche Untersuchung in die          ten und sonstigen Bereichen tätig [60].
Wege geleitet.                                            Nach Angaben der Deutschen Ophthalmologi-
   Außerdem wird bei der sogenannten Schulein-        schen Gesellschaft existierten im Jahr 2016 deutsch-
gangsuntersuchung neben anderen Fähigkeiten,          landweit 70 städtische Augenkliniken und 42 Uni-
die für die Teilnahme am Schulunterricht von          versitätsaugenkliniken [61].
Bedeutung sind, auch die Sehfähigkeit geprüft.            Seit dem Jahr 2002 wurden seinerzeit im Rah-
                                                      men des »Risikostrukturausgleichs in der gesetz­
                                                      lichen Krankenversicherung« strukturierte Behand-
6 Folgen von hochgradiger Sehbehinde-                 lungsprogramme (DMP) sukzessive eingeführt, um
  rung und Blindheit                                  die Versorgung chronisch Erkrankter zu verbes-
                                                      sern. Im Kontext der Blindheitsprävention sind die
Bislang fehlen systematisch und periodisch wie-       DMP zum Diabetes mellitus Typ 1 (seit 2004) und
derholte Bestandsaufnahmen zur Lebensqualität         zum Typ 2 (seit 2002) relevant. Inzwischen wurde
und zu sozialen Folgen von hochgradiger Sehbe-        dem Gemeinsamen Bundesausschuss die Aufgabe
hinderung und Blindheit in Deutschland. Auch          übertragen, die medizinisch-inhaltlichen Anforde-
insgesamt ist die Datenlage zu den Lebenslagen        rungen an die Programme in seinen Richtlinien
von Menschen mit Beeinträchtigungen unzurei-          festzulegen. Die je nach individuellem Risikoprofil
chend. Der Teilhabebericht der Bundesregierung        ein- bis zweijährlich durchgeführte augenärzt­liche
von 2013 benennt die Datenlücken und die dadurch      Untersuchung zur Diagnostik der diabetischen
bedingte eingeschränkte Aussagekraft der Bericht-     Retinopathie ist fester Bestandteil der Programme.
erstattung [58].                                      Um die Inanspruchnahmerate weiter zu erhöhen
18     Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung

     ist es wichtig, bei den Betroffenen ein größeres         und nicht die Blindheit selbst, als Ursache oder
     Risikobewusstsein zu wecken [41].                        Folge der Erkrankung.
         Zurzeit existieren für die Augenheilkunde eine          Die Diagnosedaten der Krankenhäuser belegen
     aktuelle Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wis-      für das Jahr 2014 die Behandlung von 323 Frauen
     senschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften         und 242 Männern wegen »Blindheit und Sehschwä-
     (AWMF) zum Thema »Uveitis bei juveniler idiopa-          che« (ICD-10: H54). Die durchschnittliche Verweil-
     thischer Arthritis: Diagnostik und antientzündliche      dauer im Krankenhaus betrug 3,8 Tage.
     Therapie« [62]. Die Leitlinie zur »Prävention und           Auch zur stationären Versorgung einzelner
     Therapie von Netzhautkomplikationen« der »Nati-          Augenerkrankungen, die unbehandelt zur Blind-
     onalen Versorgungs-Leitlinie zum Typ-2-Diabetes          heit führen würden, und zur Inanspruchnahme
     ist im Oktober 2015 in 2. Auflage veröffentlicht wor-    rehabilitativer Leistungen liegen Daten vor. Für sta-
     den [42].                                                tionäre Behandlungen von Augenerkrankungen
         Darüber hinaus werden »Praxisorientierte Hand-       wurden im Jahr 2014 in der amtlichen Statistik fol-
     lungsleitlinien für Diagnose und Therapie in der         gende Fallzahlen registriert [47]:
     Augenheilkunde« vom Berufsverband der Augen-
     ärzte Deutschlands e. V. (BVA) und der Deutschen         ▶▶ Katarakt (ICD-10: H25–H28): 106.084 Fälle
     Ophthalmologischen Gesellschaft e. V. (DOG) kon-         ▶▶ Glaukomerkrankungen (ICD-10: H40): 69.554
     tinuierlich weiterentwickelt [63].                         Fälle
         Die Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung         ▶▶ Degeneration der Makula und des hinteren Poles
     (BQS), die bis 2009 mit der Qualitätssicherung in          (ICD-10: H35.3): 24.232 Fälle
     deutschen Krankenhäusern beauftragt war (externe         ▶▶ Retinopathien (ICD-10: H35.0, H35.2): 1.245 Fälle
     stationäre Qualitätssicherung nach § 137a), befass-
     te sich zuletzt in ihrem Qualitätsreport 2003 mit           Stationäre Behandlungen von Verletzungen, die
     einem augenheilkundlichen Thema, der Katarakt­           infolge von Blindheit entstanden sind, können in
     operation [64]. Die Gesamtrate der registrierten         der Krankenhausstatistik nicht identifiziert werden.
     Komplikationen lag im Vergleich zur Literatur im         Daten zur Nicht-Inanspruchnahme von medizini-
     unteren erwarteten Bereich. Aufgrund des zuneh-          schen Leistungen wegen Blindheit liegen ebenfalls
     menden Anteils ambulant durchgeführter Eingrif-          nicht vor.
     fe wurde dieser Leistungsbereich seit 2004 nicht
     mehr dokumentiert.
         Im Jahr 2009 beauftragte der Gemeinsame              7 3 Medizinische Rehabilitation
     Bundesausschuss (G-BA) das AQUA-Institut
     (Institut für angewandte Qualitätsförderung und          Medizinische Rehabilitationsleistungen sind in
     Forschung im Gesundheitswesen), ein sektoren-            Deutschland Aufgabe der verschiedenen Sozial-
     übergreifendes Qualitätssicherungsverfahren zur          versicherungsträger, das heißt, der gesetzlichen
     Kataraktoperation zu entwickeln. Die Durchfüh-           Kranken-, Renten- und Unfallversicherung. Die
     rung des Verfahrens im Probebetrieb hat jedoch           Träger der Deutschen Rentenversicherung (DRV)
     aus Sicht des G-BA hartnäckige Umsetzungshür-            erbringen für ihre Versicherten Leistungen zur
     den deutlich gemacht, weswegen derzeit auf eine          medizinischen Rehabilitation, um den Eintritt
     Umsetzung in den Regelbetrieb verzichtet wurde           einer Erwerbsminderung zu verhindern bzw. eine
     [65, 66].                                                bereits geminderte Erwerbsfähigkeit wesentlich
                                                              zu verbessern, wiederherzustellen oder deren Ver-
                                                              schlechterung abzuwenden. Versicherte müssen
     7 2 Stationäre Versorgung                                dafür bestimmte Beitrags- bzw. Wartezeiten in der
                                                              gesetzlichen Rentenversicherung nachgewiesen
     Daten zur Inanspruchnahme der medizinischen              haben.
     Versorgung wegen »Blindheit und Sehschwäche«                Laut Statistik der Deutschen Rentenversiche-
     (ICD-10: H54) sind zwar vorhanden, aber wenig            rung wurden im Jahr 2014 »stationäre Leistungen
     aussagekräftig. In den Krankenhausdiagnosedaten          zur medizinischen Rehabilitation« und »sonsti-
     wird eher die behandelte Erkrankung dokumentiert         ge Leistungen zur Teilhabe für Erwachsene« von
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung   19

49 Frauen und 51 Männern mit der Diagnose »Seh-        tation) genannten Voraussetzungen, allerdings
störungen und Blindheit« (ICD-10: H53–H54) in          sind die Anforderungen an die zurückgelegten
Anspruch genommen. Das Durchschnittsalter der          Beitragszeiten höher. Bei teilweise erwerbsgemin-
Frauen betrug 51,0 Jahre, das der Männer 51,2 Jahre.   derten Versicherten ohne wesentliche Aussicht auf
Die Rehabilitationsmaßnahme dauerte bei Frauen         Besserung der Erwerbsfähigkeit können darüber
und Männern im Mittel 26 Tage [67].                    hinaus Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
    Fälle, in denen mehrere Krankheiten gleichzei-     erbracht werden, um den bisherigen Arbeitsplatz
tig vorliegen (Multimorbidität), werden in dieser      zu erhalten. Unabhängig vom Vorliegen bestimm-
Statistik unter der Diagnose »Sehstörungen und         ter Beitrags- bzw. Wartezeiten erfolgt eine Förde-
Blindheit« nicht erfasst, wenn die erste Diagnose      rung durch die DRV auch dann, wenn ohne die-
eine andere ist.                                       se Leistungen eine Rente wegen verminderter
    Leistungen zur medizinischen Rehabilitation,       Erwerbsfähigkeit gezahlt werden müsste oder wenn
die von anderen Kostenträgern übernommen wer-          sie im unmittelbaren Anschluss an eine Leistung
den, sind hier ebenfalls nicht enthalten. So erbrin-   zur medizinischen Rehabilitation erforderlich sind.
gen die Träger der gesetzlichen Krankenversiche-           Die Leistungen umfassen insbesondere
rung Leistungen zur medizinischen Rehabilita­          ▶▶ Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines
tion, um eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit         Arbeitsplatzes,
abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszu-          ▶▶ Aus- und Weiterbildung (z. B. Anpassungsquali-
gleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder            fizierungen sowie Maßnahmen der beruflichen
ihre Folgen zu mildern. Sie sind jedoch gegenüber          Weiterbildung in Berufsförderungswerken für
den anderen Rehabilitationsträgern (DRV, gesetz-           sehbehinderte und blinde Menschen),
liche Unfallversicherung) nachrangig zuständig.        ▶▶ Leistungen an Arbeitgeber zur Unterstützung
Mobilitätstraining und medizinisches Basistraining         der Beschäftigungsbereitschaft sowie
(§ 43 SGB V) wie auch das Training lebensprakti-       ▶▶ Leistungen in einer anerkannten Werkstatt für
scher Fähigkeiten (§ 26 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX) werden        behinderte Menschen.
vorwiegend von den Krankenkassen finanziert. Ist
das Krankheitsbild Folge eines Arbeits- oder Wege­        Wegen Sehstörungen oder Blindheit zählte
unfalls oder einer Berufskrankheit, sind die gesetz-   die Rentenversicherung im Jahr 2014 insgesamt
lichen Unfallversicherungsträger für alle insoweit     834 abgeschlossene Leistungen zur Teilhabe am
zu erbringenden Leistungen zuständig. Dies gilt        Arbeitsleben, davon 473 Hilfen zur Erhaltung oder
auch für die nachfolgend genannten Bereiche der        Erlangung eines Arbeitsplatzes, 127 berufliche Bil-
Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben und der         dungsleistungen und 18 blindentechnische oder
Hilfsmittelversorgung.                                 vergleichbare Grundausbildungen im Rahmen der
                                                       Berufsvorbereitung.
                                                          Die Bundesagentur für Arbeit ist gegenüber
7 4 Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben             den anderen Rehabilitationsträgern nachrangig
                                                       zuständig. Sie finanziert berufliche Rehabilitation
Zur Integration von Menschen mit Behinderung in        und berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen für
den allgemeinen Arbeitsmarkt besteht ein breites       junge Menschen mit Behinderung sowie Wieder-
Spektrum an gesetzlichen Fördermöglichkeiten. So       eingliederungsmaßnahmen für Erwachsene. Wei-
erbringen die Träger der gesetzlichen Rentenversi-     terhin finanziert sie Umschulungen, wenn eine
cherung, der Arbeitslosenversicherung, der gesetz-     Tätigkeit bei zunehmender Sehbeeinträchtigung
lichen Unfallversicherung, aber auch der öffent­       nicht mehr ausgeübt werden kann. Die Umschu-
lichen Jugend- und Sozialhilfe sowie der Kriegsop-     lung erfolgt in Berufsförderungswerken oder bei
ferversorgung bzw. Kriegsopferfürsorge Leistungen      anderen Bildungsträgern.
zur Teilhabe am Arbeitsleben, wenn die hierfür            Daten zu diesen Fördermaßnahmen werden seit
erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind.           2004 nicht mehr im Detail veröffentlicht, da aus
   Die Deutsche Rentenversicherung (DRV)               datenschutzrechtlichen Gründen die statistische
erbringt Leistungen zur Teilhabe am Arbeits­leben      Berichterstattung zur Art der Behinderung nicht
unter den in Kapitel 7.3 (Medizinische Rehabili-       mehr zulässig ist. Deshalb wird im Folgenden auf
20     Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung

     Zahlen des Jahres 2003 zurückgegriffen, um die          Menschen bei der Erstellung und Fortschreibung
     Größenordnung zu veranschaulichen.                      der Verzeichnisse einbezogen.
        Im Jahr 2003 verzeichnete die Bundesagentur             Primäre Blindenhilfsmittel sind Blindenlang-
     für Arbeit 124 Eintritte in blindentechnische und       stöcke (Taststöcke) sowie ausgebildete Blinden-
     vergleichbare spezielle Grundausbildungslehrgän-        führhunde. Diese ermöglichen eine selbstständige
     ge, darunter 53 Frauen und 71 Männer. Darüber           Fortbewegung. Bei erstmaliger Verordnung eines
     hinaus gab es 1.528 Eintritte von behinderten Men-      Lang-/Taststocks ist eine Schulung im Umgang mit
     schen mit Blindheit oder geringem Sehvermögen in        dem Hilfsmittel erforderlich. Gleiches gilt für den
     berufsfördernde und berufsvorbereitende Bildungs-       Umgang mit einem Blindenführhund.
     maßnahmen (566 Frauen und 962 Männer) [68].                Sekundäre Hilfsmittel dienen als Ergänzung zu
                                                             den primären. Dazu zählen beispielsweise Hinder-
                                                             nismelder, die eine räumliche Orientierung ermög-
     7 5 Hilfsmittel                                         lichen, Farberkennungsgeräte mit Sprachausgabe
                                                             oder Geräte zur Schriftumwandlung, sogenannte
     Die Aufrechterhaltung der selbstständigen Lebens-       Lesegeräte, die das Erfassen von gedruckten und
     führung ist ein wichtiges Ziel für viele erblindete     handgeschriebenen Texten ermöglichen. Auch ein
     Menschen. Professionelle oder semi-professionelle       Barcode-Lesegerät mit digitaler Sprachausgabe
     personelle Hilfen werden eingesetzt, um beispiels-      (sog. Einkaufsfuchs), der es einer erblindeten Per-
     weise das Einkaufen, Behördengänge, Arztbesuche         son ermöglicht, die hauswirtschaftliche Versorgung
     sowie den Briefverkehr zu ermöglichen [69].             des eigenen Haushalts einschließlich des Einkau-
         Im Allgemeinen übernimmt die gesetzliche            fens weitgehend selbständig auszuführen, ist ein
     Krankenversicherung die Kosten für verschiedene         Hilfsmittel im Sinne des § 33 SGB V [71].
     Orientierungs-, Wahrnehmungs- und Fortbewe-                Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe an
     gungshilfen. Es kommen jedoch auch andere Kos-          nicht-erstattungsfähigen Hilfsmitteln, wie zum
     tenträger in Betracht. Neben den Sozialversiche-        Beispiel sprechende Uhren, Fieberthermometer
     rungsträgern können das beispielsweise die Träger       und Taschenrechner oder auch modifizierte Gesell-
     der Eingliederungshilfe sein. Kosten für Hilfsmittel    schaftsspiele, Sportgeräte, Küchenhelfer etc., die
     und technische Arbeitshilfen, die wegen Art oder        den Betroffenen mehr Selbstständigkeit im Alltag
     Schwere der Behinderung zur Berufsausübung              ermöglichen können [72].
     erforderlich sind, werden von der Deutschen Ren-
     tenversicherung im Rahmen der Leistungen zur
     Teilhabe am Arbeitsleben getragen, sofern keine         7 6 Blindengeld und Blindenhilfe
     Verpflichtung der gesetzlichen Krankenversiche-
     rung oder des Arbeitgebers besteht.                     Blindengeld und Blindenhilfe dienen dem Aus-
         Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen           gleich blindheitsbedingter Mehraufwendun-
     erstellt ein Hilfsmittel- und Pflegemittelverzeich-     gen. Voraussetzung für die Beantragung ist der
     nis [70], das laufend aktualisiert wird. Die Aufnah-    Nachweis der Sehbehinderung (z. B. durch einen
     me von Produkten in dieses Verzeichnis erfolgt          Schwerbehindertenausweis, in dem die Blindheit
     auf Antrag des Herstellers. Der Antragsteller muss      bestätigt wurde).
     die Funktionstauglichkeit, die Sicherheit und den          Das Blindengeld ist eine einkommens- und
     medizinischen bzw. pflegerischen Nutzen des Pro-        vermögensunabhängige, monatlich fortlaufend
     dukts sowie seine Qualität nachweisen. Die Auf-         gewährte Pauschale, deren Höhe durch Landes-
     nahme erfolgt durch den Spitzenverband Bund             gesetze geregelt ist. Auch die Altersgrenzen variie-
     der Krankenkassen. Er kann vom Medizinischen            ren von Land zu Land. In einigen Ländern gibt es
     Dienst (MDS) prüfen lassen, ob die medizinischen        darüber hinaus auch für hochgradig sehbehinderte
     und technischen Voraussetzungen zur Aufnahme            Menschen eine Unterstützung (»Sehbehinderten-
     in das Verzeichnis erfüllt sind. Daneben werden         geld«) (siehe Tabelle 5 mit Stand vom 30.04.2016).
     u. a. medizinische Fachgesellschaften, Spitzen­            Die Blindenhilfe gemäß § 72 des Sozialgesetz-
     organisationen der Leistungserbringer und Hilfs-        buch Zwölftes Buch (SGB XII) wird als Sozialhil-
     mittelhersteller sowie die Verbände behinderter         feleistung nachrangig gegenüber anderen gleich-
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