GBE-Themenheft Blindheit und Sehbehinderung - GESUNDHEITSBERICHTERSTATTUNG DES BUNDES GEMEINSAM GETRAGEN VON RKI UND DESTATIS
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GESUNDHEITSBERICHTERSTATTUNG DES BUNDES GEMEINSAM GETRAGEN VON RKI UND DESTATIS GBE-Themenheft Blindheit und Sehbehinderung
GESUNDHEITSBERICHTERSTATTUNG DES BUNDES GEMEINSAM GETRAGEN VON RKI UND DESTATIS GBE-Themenheft Blindheit und Sehbehinderung
GESUNDHEITSBERICHTERSTATTUNG DES BUNDES GEMEINSAM GETRAGEN VON RKI UND DESTATIS GBE-Themenheft Blindheit und Sehbehinderung Robert Koch-Institut, Berlin 2017
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung 3 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2 Sehen und Sehbehinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2.1 Das Auge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2.2 Störungen des Sehvermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2.3 Definition von Blindheit und Sehbehinderun . . . . . . . . . . . . . . . . 6 3 Verbreitung von Blindheit und Sehbehinderung . . . . . . . . . . . . . . . 7 3.1 Datenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 3.2 Prävalenz und Inzidenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 3.3 Internationaler Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 4 Erblindungsursachen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 4.1 Altersabhängige Makuladegeneration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 4.2 Grüner Star (Glaukom) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 4.3 Diabetische Retinopathie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 4.4 Andere Erblindungsursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 4.4.1 Grauer Star (Katarakt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 4.4.2 Retinitis pigmentosa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 4.4.3 Augenerkrankungen im frühen Kindesalter . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 5 Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 5.1 VISION 2020 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 5.2 Früherkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 5.2.1 Glaukom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 5.2.2 Diabetische Retinopathie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 5.2.3 Augenuntersuchungen im Kindesalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 6 Folgen von hochgradiger Sehbehinderung und Blindheit . . . . . . . . . . 17 7 Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 7.1 Versorgungsstruktur und Qualität der Versorgung . . . . . . . . . . . . . 17 7.2 Stationäre Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 7.3 Medizinische Rehabilitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 7.4 Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 7.5 Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 7.6 Blindengeld und Blindenhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 7.7 Barrierefreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 7.8 Selbsthilfe und Verbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 8 Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 8.1 Daten der Krankheitskostenrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 8.2 Blindengeld und Blindenhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 8.3 Arbeitsunfähigkeit und Rentenzugänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 9 Zusammenfassung und Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 10 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
4 Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung 5 Blindheit und Sehbehinderung 1 Einleitung 2 Sehen und Sehbehinderung Sehbehinderungen entstehen in den meisten Fäl- 2 1 Das Auge len durch Augenerkrankungen. Während Blindheit und Störungen des Sehvermögens in Entwicklungs- Der Augapfel (Abbildung 1) formt, zusammen mit ländern vorwiegend durch Erkrankungen verur- der knöchernen Augenhöhle, den Augenlidern, sacht werden, die eigentlich gut behandelbar wären, dem Tränenapparat und den Augenmuskeln, das sind in Ländern mit guter Versorgungssituation Lichtsinnesorgan. Er ist annähernd kugelförmig altersbedingte Leiden die häufigsten Blindheits- (Durchmesser ca. 25 mm) und besteht aus drei ursachen. In Deutschland sind die Chancen groß, Augenhäuten sowie der Linse und dem Glaskörper. das Augenlicht von Erkrankten zu erhalten, da es Die äußere Augenhaut (Lederhaut, Sclera) ist vielfältige Möglichkeiten der Prävention und The- sehr straff. Sie schützt den Augapfel vor mecha- rapie von Augenerkrankungen gibt. Für einen Teil nischen Schäden und fängt den Innendruck des der Erkrankten ist eine Erblindung dennoch nicht Auges auf. Im vorderen Abschnitt geht die Leder- vermeidbar: Die Betroffenen erhalten in Deutsch- haut in die dünnere, durchsichtige Hornhaut (Cor- land institutionelle Hilfen, und es gibt engagierte nea) über. Interessenverbände. Die mittlere Augenhaut (Aderhaut, Uvea) ist Im Folgenden werden die Verbreitung von reich an Blutgefäßen und Pigmentzellen. Den Blindheit und Sehbehinderung sowie die zugrunde vorderen Abschnitt der Aderhaut bildet die Iris liegenden Krankheiten dargestellt. Weiterhin wer- (Regenbogenhaut) mit der Pupille. Die Iris trennt den Aktivitäten zur Prävention beschrieben, wich- die zwei Augenkammern voneinander, die beide tige Elemente der Versorgungslandschaft skizziert vor der Linse liegen. Beide Augenkammern sind und die entstehenden Kosten geschätzt. mit Kammerwasser gefüllt. Dieses wird in der hin- Andere, weniger schwerwiegende Einschrän- teren Augenkammer produziert und gelangt durch kungen des Sehvermögens, die ebenfalls die Teil- die Pupille in die vordere Augenkammer. Von dort habe am öffentlichen Leben beeinflussen können, fließt es über den Kammerwinkel ins Gefäßsys- werden hier nicht berücksichtigt. Insgesamt sind tem. Für einen gleichbleibenden Augeninnendruck Sehstörungen in Deutschland weit verbreitet: Laut spielt das Gleichgewicht zwischen Produktion und der Studie »Gesundheit in Deutschland aktuell« Abfluss des Kammerwassers eine wichtige Rolle. (GEDA) des Robert Koch-Instituts gibt mehr als Die innere Augenhaut (Netzhaut, Retina) besteht ein Fünftel der erwachsenen Bevölkerung bei der aus Sinnes- und Nervenzellen sowie aus funk Befragung Schwierigkeiten beim Sehen an. Diese tionsunterstützenden Gewebeanteilen. Durch die werden überwiegend als »leicht« eingeschätzt [1]. Sinneszellen wird das einfallende Licht in elektri- Abbildung 1 Aufbau des Augapfels (Querschnitt linkes Auge, Ansicht von oben) Quelle: Robert Koch-Institut 2013 Lederhaut Netzhaut Aderhaut Sehnerv Hornhaut Sehnervenkopf Iris Makula Vordere Augenkammer Linse Kammerwinkel Glaskörper Hintere Augenkammer
6 Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung sche Impulse umgewandelt. Die Nervenzellen lei- Deformation von Teilen des Auges, für Erblindung ten die Signale über den Sehnervenkopf (Papille) in jungen Jahren sind es eher vererbte Degenera- durch den Sehnerv (Nervus opticus) an die Sehrinde tionserscheinungen (siehe Kapitel 4.4.2 Retinitis (visueller Cortex) im hinteren Teil des Großhirns. pigmentosa) oder Verletzungen. Der Ort des schärfsten Sehens auf der Netzhaut (Gelber Fleck, Makula) ist mit besonders vielen Sin- neszellen ausgestattet. Von seinem Zentrum (Seh- 2 3 Definition von Blindheit und Sehbehinderung grube, Fovea centralis) geht etwa die Hälfte der Ner- venzellen des Sehnervs aus. Welches Ausmaß eines Sehverlustes als Blindheit, Die klare Linse liegt hinter der Pupille. Sie bün- hochgradige Sehbehinderung oder Sehbehinde- delt das einfallende Licht auf die Netzhaut. rung gilt, ist eine Frage der Definition. Sowohl für Der Glaskörper füllt als gallertiger, transparen- sozialrechtliche Belange (einschließlich der Gewäh- ter Körper den Raum zwischen Linse und innerer rung von Hilfen für betroffene Menschen) als auch Augenhaut aus. Er bestimmt die kugelige Form beispielsweise für epidemiologische Analysen ist des Auges und besteht zu fast 99 % aus Wasser, eine einheitliche Begriffsbestimmung wichtig. In das gelartig gebunden ist [2, 3]. der Versorgungsmedizin-Verordnung des Bundes- ministeriums für Arbeit und Soziales sowie der dazu ergangenen Anlage »Versorgungsmedizini- 2 2 Störungen des Sehvermögens sche Grundsätze« [4] sind die Begriffe »Blindheit«, »hochgradige Sehbehinderung« und »Sehbehin- Das Auge und die Gehirnareale, in denen visuelle derung« definiert. Die Versorgungsmedizin-Ver- Reize verarbeitet werden, bilden das visuelle Sys- ordnung sowie die auf § 2 beruhende Anlage haben tem. Jede Störung einer Struktur im visuellen Sys- im Jahr 2009 die »Anhaltspunkte für die ärztliche tem kann zu Sehbehinderung oder Blindheit füh- Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht ren. Ihr liegt häufig eine degenerative Erkrankung und nach dem Schwerbehindertenrecht« [5] abge- (Abbauprozess) zugrunde. löst: ▶▶ Ist die Makula geschädigt, verliert der Betroffene Blindheit liegt vor, wenn die Fähigkeit scharf zu sehen (siehe Kapitel 4.1 ▶▶ das Augenlicht vollständig fehlt, Altersabhängige Makuladegeneration). ▶▶ der Visus (Sehschärfe) auf dem besseren Auge ▶▶ Ist der Sehnervenkopf (Papille) geschädigt, nach optischer Korrektur höchstens 0,02 beträgt, kommt es fortschreitend zu gebietsweisen Aus- ▶▶ andere Störungen des Sehvermögens vorliegen, fällen im Blickfeld (siehe Kapitel 4.2 Glaukom). die dieser Beeinträchtigung gleichkommen (z. B. ▶▶ Ist die Netzhaut betroffen, verringern sich die durch Gesichtsfeldausfälle) oder Sehschärfe und das Gesichtsfeld (siehe Kapitel ▶▶ ein vollständiger Ausfall der Sehrinde nachge- 4.3 Diabetische Retinopathie). wiesen ist. ▶▶ Ist die Linse krankhaft eingetrübt, wird das Licht nur noch diffus gestreut auf die Netzhaut proji- Hochgradige Sehbehinderung liegt vor, wenn ziert (siehe Kapitel 4.4.1 Katarakt). ▶▶ der Visus auf keinem Auge und auch nicht bei ▶▶ Gibt es einen Verschluss von Blutgefäßen oder beidäugiger Prüfung mehr als 0,05 beträgt oder eine Blutung in entsprechenden Arealen des ▶▶ andere gleichzuachtende Störungen der Sehfunk- Gehirns (Schlaganfall), können die Sinnesreize tion vorliegen (d. h., wenn die Einschränkung nicht mehr weitergeleitet bzw. verarbeitet werden. des Sehvermögens einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 bedingt und noch nicht Blindheit Bei den selteneren Blindheitsursachen, wie vorliegt). zum Beispiel einem Verschluss von Blutgefäßen im Auge, Verletzungen des Auges und Infektio- Sehbehinderung liegt vor nen fällt ebenfalls die entsprechende Funktion der ▶▶ ab einer Visus-Kombination im Bereich zwischen betroffenen Struktur aus. Ursachen für angebo- 0,4/0,02 und 0,2/0,2 oder rene Blindheit sind die fehlende Ausbildung oder ▶▶ bei gleich zu bewertenden Gesichtsfeldausfällen.
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung 7 Tabelle 1 Internationale Definitionen von Sehbehinderung und Blindheit Quelle: modifiziert nach Pfeiffer 2008 [6] WHO Visus* Deutschland ICD-10-GM Version WHO USA Grad [4] 2014 [7] [8] [9]
8 Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung borene Behinderung«, »Arbeitsunfall« oder 3 2 Prävalenz und Inzidenz »Verkehrsunfall«. »Krankheiten als Ursache der Behinderung« sind zu einer Kategorie zusammen- Im Jahr 2013 waren in Deutschland 560.787 Per- gefasst. Welche Erkrankungen der Behinderung sonen unter der Kategorie »Blindheit und Seh- zugrunde liegen, ist aus der Statistik somit nicht behinderung« in der Schwerbehindertenstatistik ersichtlich. verzeichnet. Darunter waren 357.018 Personen Die Einteilung der Behinderungsarten orientiert (209.263 Frauen und 147.755 Männer), bei denen sich an den körperlichen Funktionseinschränkun- die Blindheit oder Sehbehinderung die schwerste gen. Sie wird anhand von 55 Kategorien erfasst, Behinderung ist. Zu diesen gibt die Statistik detail- darunter die Kategorie »Blindheit und Sehbehinde- liertere Auskünfte: rung«, die nochmals in drei Unterkategorien auf- geteilt ist: »Blindheit oder Verlust beider Augen«, ▶▶ 53,9 % (192.495) der Personen mit amtlich aner- »hochgradige Sehbehinderung« und »sonstige kannter Schwerbehinderung und Blindheit oder Sehbehinderung«. Diese Einteilung entspricht im Sehbehinderung als schwerster Behinderung Wesentlichen den Definitionen der Versorgungs- haben einen Grad der Behinderung von 100 medizin-Verordnung (siehe Kapitel 2.3). Das heißt, (Tabelle 2). dass Personen, bei denen die versorgungsmedizi- ▶▶ Bei 21,0 % (74.889 Personen) liegt »Blindheit nische Begutachtung »Blindheit« oder »hochgra- oder Verlust beider Augen« und bei 13,8 % (49.103 dige Sehbehinderung« ergab, den entsprechenden Personen) eine »hochgradige Sehbehinderung« Unterkategorien der Schwerbehindertenstatistik vor. 65,3 % der Fälle (233.026 Personen) sind als zugeordnet werden. Die Unterkategorie »sonsti- »sonstige Sehbehinderung« ausgewiesen. ge Sehbehinderung« enthält die Daten der Per- ▶▶ Etwas weniger als die Hälfte hat keine weitere sonen, die als »sehbehindert« eingestuft wurden Behinderung. und solche, die sich nicht zuordnen ließen. Wenn ▶▶ 35,9 % (128.159 Personen) sind Frauen im Alter nicht anders ausgewiesen, ist in diesem Heft mit von 75 Jahren und älter. Der Anteil der gleichalt- dem Begriff »Blindheit und Sehbehinderung« die rigen Männer beträgt 16,2 % (58.004 Personen). Hauptkategorie der Schwerbehindertenstatistik gemeint. Es sind also über 52 % aller Blinden und Seh- Die Schwerbehindertenstatistik weist keine Neu- behinderten 75 Jahre alt und älter. Bei den unter erblindungen (Inzidenzen) aus. 75-Jährigen sind Männer etwas häufiger betroffen, Eine weitere Datenquelle sind Aufzeichnungen in den Altersgruppen darüber sind es zunehmend der Länder über Zahlungen von Landesblinden- häufiger Frauen (Abbildung 2). Insgesamt gibt es geld. Der Empfang von Blindengeld wird in den mehr Frauen, die unter Blindheit oder Sehbehinde- Stadtverwaltungen und Landratsämtern registriert. Aus diesen Daten können Aussagen zur Inzidenz Tabelle 2 und zu den Ursachen der Erblindung gewonnen Menschen mit amtlich anerkannter Schwerbehinderung und werden. Allerdings sind die Archive uneinheitlich »Blindheit und Sehbehinderung« als schwerster Behinde- und die Daten werden nicht zentral zusammen- rung, nach Grad der Behinderung (GdB), 31 12 2013 Quelle: Statistik der schwerbehinderten Menschen 2013 [10] geführt. Einzelne Studien und Forschungsprojek- te liefern Auswertungen aus solchen regionalen Grad der Behinderung Personen Archiven. Die Ergebnisse aus großen Regionen Anzahl Prozent erlauben, zumindest bei den Aussagen über die Ursachen von Blindheit, Schätzungen für Deutsch- 50 51.857 14,5 land [11]. 60 29.558 8,3 Da ein Antrag auf die Anerkennung einer 70 29.395 8,2 Schwerbehinderung beim Versorgungsamt die 80 29.537 8,3 Voraussetzung für mögliche finanzielle Zuwen- 90 24.176 6,8 dungen ist, kann man davon ausgehen, dass der 100 192.495 53,9 Erfassungsgrad blinder Menschen in Deutschland Gesamt (50 bis 100) 357.018 100,0 relativ hoch ausfällt.
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung 9 Abbildung 2 Menschen mit amtlich anerkannter Schwerbehinderung und »Blindheit und Sehbehinderung« als schwerster Behinderung, nach Alter und Geschlecht (Prozentanteil an der gleichaltrigen Bevölkerung), 31 12 2013 Quelle: Zensusdaten mit dem Stand vom 10.04.2014 [12], Statistik der schwerbehinderten Menschen 2013 [10] Alter (Jahre) 80 und älter 75–79 70–74 65–69 60–64 55–59 50–54 45–49 40–44 35–39 30–34 25–29 20–24 15–19 10–14 5–9 0–4 0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5 Prozent Weiblich Männlich rung leiden. Einer der Gründe hierfür ist die höhere Daten zu einzelnen Erkrankungen als Ursa- Lebenserwartung von Frauen in Kombination mit che können aus regionalen Blindengeldarchiven der Tatsache, dass im Alter die Erblindungswahr- gewonnen werden. Eine aktuelle Studie zu den scheinlichkeit zunimmt. Haupterblindungsursachen in Deutschland basiert Aufgrund des mit dem Alter steigenden Risikos auf den Daten des Blindengeldarchivs des Land- ist im Zuge des demografischen Wandels insgesamt schaftsverbands Rheinland (siehe Kapitel 4 Erblin- mit einem Anstieg der Häufigkeit (Prävalenz) zu dungsursachen in Deutschland, Abbildung 4) [11]. rechnen. Dennoch blieb von 2003 bis 2013 die Zahl Auch Untersuchungen zur Inzidenz von Blindheit der Menschen mit Blindheit oder Sehbehinderung liegen aus einzelnen Regionen bzw. Ländern vor in der Schwerbehindertenstatistik nahezu konstant. (Hessen 1999 und 2002, Baden 2004, Württem- Fortschritte in der Behandlung von Augenkrankhei- berg-Hohenzollern 1999, 2001, 2003 und Bayern ten konnten den Trend bisher abfangen [11]. 1992), lassen sich jedoch nicht verallgemeinern Bei 3,4 % der Menschen mit Blindheit oder [13–17]. Sehbehinderung als schwerster Behinderung ist diese angeboren, bei 1,4 % ist sie die Folge eines Unfalls, bei 0,5 % ist sie eine anerkannte Kriegs-, 3 3 Internationaler Vergleich Wehrdienst- oder Zivildienstbeschädigung und bei 86,7 % ist eine Krankheit die Ursache (Frauen: Internationale Vergleiche sind bislang aufgrund 88,7 %, Männer: 83,8 %). Welche Krankheiten das der Datenlage erschwert. Einerseits unterscheidet sind, ist aus der Schwerbehindertenstatistik nicht sich der Erfassungsgrad blinder und sehbehinder- zu entnehmen. Der Rest von 8,0 % entfiel auf sons- ter Menschen von Land zu Land. Er fällt generell tige, mehrere oder ungenügend bezeichnete Ursa- höher aus, wenn die Registrierung an finanzielle chen [10]. Zuwendungen gekoppelt ist, wie das in Deutsch-
10 Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung Tabelle 3 Vergleichbarkeit der Daten: Verbreitung von Blindheit und Sehbehinderung in Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika, 2011 (Prozentanteil an der Gesamtbevölkerung) Quellen: Statistik der Länder, WHO-Schätzung Landeseigene Daten WHO-Schätzung [20] Deutschland [18] USA [19] Deutschland USA Vision Impairment & Blindness 1,00 % 2,94 % 1,2 % 1,3 % Sehbehinderung und Blindheit Blindness 0,14 % 0,90% 0,2 % 0,2 % Blindheit Vision Impairment 0,86% 2,04 % 1,4 % 1,5 % Sehbehinderung land der Fall ist. Andererseits werden unterschied- Sehbehinderung (Vision Impaiment) Betroffenen liche Kriterien zur Definition von Blindheit ange- in Entwicklungsländern leben. 42 % der Sehbe- wandt (siehe Tabelle 1). hinderungen bzw. 3 % der Fälle von Blindheit sind So fallen im Jahr 2011 nach nationalen Statisti- bedingt durch Refraktionsfehler (Weit-, Kurz- und ken die Angaben zur Häufigkeit von Sehbehinde- Stabsichtigkeit) [21], denn in einigen Gegenden der rung in den Vereinigten Staaten drei Mal höher aus Welt sind auch heute noch viele Menschen faktisch als in Deutschland. Blindheit wird sechs Mal häu- blind oder hochgradig sehbehindert, weil ihnen figer registriert [18, 19]. Beide Länder haben jedoch keine geschliffenen Brillengläser zur Verfügung in der WHO-Schätzung von 2004 [20] fast identi- stehen. sche Werte, da hier einheitliche Kriterien zugrunde Die internationale Verteilung der Erblindungs- gelegt wurden (Tabelle 3). ursachen, mit ihren hohen Anteilen vermeidbarer Weltweit schätzte die WHO für das Jahr 2014 bzw. heilbarer Augenerkrankungen, ähnelt der Situ- etwa 246 Millionen Sehbehinderte (Visus
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung 11 Abbildung 4 Anteil der häufigsten Erblindungsursachen bei Neuerblindungen (Rheinland 2006) Quelle: Finger 2012 [11] Altersbedingte Makuladegeneration (AMD) 40,7 % Glaukom (Grüner Star) 15,4 % Diabetische Retinopathie 9,7 % Retinitis pigmentosa 7,0 % Hohe Myopie (starke Kurzsichtigkeit) 5,3 % Andere Ursachen 21,9 % 4 Erblindungsursachen in Deutschland den zwei Spätformen unterschieden, die trockene (nicht-exsudative) und die feuchte (exsudative) In Deutschland werden »Blindheit und Sehbehin- AMD. derung« am häufigsten durch folgende drei Erkran- Bei der frühen AMD führen Alterungsprozes- kungen verursacht (Abbildung 4): se dazu, dass Stoffwechselprodukte in der Netz- haut unzureichend abgebaut werden und sich als ▶▶ Altersbedingte Makuladegeneration (AMD) sogenannte Drusen ablagern. Frühe AMD führt in ▶▶ Grüner Star (Glaukom) den meisten Fällen nicht zu Sehverlust. Betroffene ▶▶ Netzhautschädigungen durch Diabetes mellitus beklagen teilweise nur einen Verlust von Kontrast- (diabetische Retinopathie). sehschärfe und eine verzögerte Anpassung an ver- änderte Lichtverhältnisse. Von der WHO wird der Anteil der altersbeding- Bei ca. 10 – 15 % der Betroffenen schreitet die frü- ten Makuladegeneration (AMD) an allen Erblin- he AMD zu einer späten AMD voran [22]. Spätsta- dungsursachen für die meisten europäischen Staa- dien der AMD teilen sich etwa zu zwei Dritteln auf ten (Region »Europa A«) auf 50 Prozent geschätzt die feuchte und zu einem Drittel auf die trockene [20]. AMD auf [23]. Die AMD ist bis heute eine schwer aufzuhalten- Die trockene späte AMD führt zu einem Abster- de Erkrankung, und das Glaukom sowie die diabe- ben (Atrophie) von Photorezeptoren (Sinneszellen) tische Retinopathie lassen sich nur im Frühstadi- und Zellschichten, die darunter liegen. Hierdurch um gut behandeln. Neuerblindungen durch den kommt es zu einem langsam voranschreitenden Grauen Star (Katarakt) kommen in Deutschland Sehverlust im zentralen Gesichtsfeld bis hin zur relativ selten vor; die Katarakt ist auch im späten Erblindung. Allerdings kann die trockene auch in Stadium noch heilbar. die feuchte Form übergehen. Die feuchte Form der AMD entsteht durch Gefäßneubildungen unter der Netzhaut. Die 4 1 Altersabhängige Makuladegeneration neuen Gefäße können zu einer Einblutung füh- ren oder auch, durch den vermehrten Austritt Die altersabhängige Makuladegeneration (AMD) von Flüssigkeit, zum Anschwellen der Netzhaut. ist eine Netzhauterkrankung, bei der es im Spätsta- Die feuchte AMD ist für schätzungsweise dium zu einer Schädigung der Stelle des schärfs- 60 – 80 % aller Blindheitsfälle durch AMD ver- ten Sehens (Makula, Gelber Fleck) kommt. Es wer- antwortlich [17].
12 Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung Die Symptome der Netzhautdegeneration bei Für die Entstehung der AMD spielen auch gene- beiden Spätstadien werden von den Betroffenen tische Faktoren eine Rolle. Die genetische Grund- zunächst durch Verzerrungen im Bereich des lage und die Wechselwirkungen von genetischen schärfsten Sehens bemerkt. Gerade Linien wer- und nicht-genetischen Faktoren werden derzeit in den gekrümmt wahrgenommen, und es kann eine einem vom Bundesministerium für Bildung und Abschattung im Bereich des schärfsten Sehens vor- Forschung (BMBF) geförderten Forschungsprojekt kommen. untersucht [30]. Ein weiteres Projekt beschäftigt Die Häufigkeit altersbedingter Makuladegenera- sich mit Wissensvermittlung und Präventionsleit- tion nimmt in höheren Altersgruppen deutlich zu. bildern bei Krankheiten mit genetischen Risiken Eine Zusammenfassung von drei großen epidemio- am Beispiel der AMD [31]. logischen Studien ergab eine AMD bei 0,2 % der 55- bis 64-Jährigen und bei 13 % der ab 85-Jährigen [24]. In neueren Studien wurden frühe Formen der 4 2 Grüner Star (Glaukom) AMD bereits bei den unter 55-Jährigen gefunden [25, 26]. Das Risiko für die Entstehung einer AMD Beim Grünen Star (Glaukom) kommt es zu einer steigt durch Tabakkonsum, wie verschiedene Stu- irreversiblen Schädigung des Sehnervenkopfes. dien zeigen [24, 27, 28]. Diese geht meist mit einer Erhöhung des Augenin- Um die feuchte AMD von der trockenen Form nendrucks einher. Gleichwohl gibt es Menschen, zu unterscheiden, werden in der Diagnostik die bei denen ein hoher Augeninnendruck (okuläre Fluoreszenzangiografie und die optische Kohären- Hypertension) gut toleriert wird, wie auch solche, ztomographie eingesetzt. bei denen es trotz eines relativ niedrigen Drucks Für die trockene Form der altersbedingten zu einer Sehnervenschädigung kommt (Nieder- Makuladegeneration gibt es bislang keine ursäch- druckglaukom). liche Therapie. Bei der feuchten Form der AMD Primäre Glaukome werden in zwei Typen unter- haben sich in den letzten Jahren neue Therapie- teilt. Zum einen sind es Offenwinkelglaukome möglichkeiten ergeben. Durch Maßnahmen zur (Weitwinkelglaukome), bei denen der Abflussweg Abschwellung der Netzhaut kann das Sehvermögen des Kammerwassers im Kammerwinkel offen ist. der Betroffenen wieder verbessert und langfristig Sie sind mit mehr als 90 % die häufigsten aller erhalten werden [29]. Glaukome [32]. Zum andern sind es Winkelblock- Abbildung 5 Erkrankungsrisiko für Grünen Star (Glaukom), differenziert nach Alter und Geschlecht Quelle: RKI, Telefonischer Gesundheitssurvey 2005 Prozent 9 8 7 6 5 4 3 2 1 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 Alter (Jahre) Frauen Männer
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung 13 glaukome (Engwinkelglaukome), bei denen es zu Zur Diagnostik des Glaukoms werden vor allem einem – oft plötzlichen – Verschluss des Abfluss- die Augeninnendruckmessung (Tonometrie), die weges kommt. Letzteres trifft auf weniger als 5 % Spiegelung des Augenhintergrundes (Fundusko- aller Glaukome zu. Sekundäre Glaukome sind sehr pie) und die Messung des Gesichtsfeldes (Perime- selten. Sie sind die Folge oder Komplikation von trie) eingesetzt. anderen Augen- oder Allgemeinerkrankungen. Therapeutisch steht zunächst die Lokaltherapie Noch seltener finden sich angeborene Glaukome durch Augentropfen zur Senkung des Augeninnen- bei Neugeborenen (1:20.000). drucks im Vordergrund. Bei schweren Fällen kann Beim Offenwinkelglaukom treten in der An auch durch Tabletten der Augeninnendruck gesenkt fangsphase keine Symptome und keine Schmerzen werden. Daneben stehen verschiedene chirurgische auf. Erst bei Schädigung des Sehnervs kommt es zu Verfahren zur Verfügung. einem langsam fortschreitenden Verlust des Seh- vermögens und zu Ausfallsarealen im Blickfeld der Betroffenen. Beim Winkelblockglaukom hingegen 4 3 Diabetische Retinopathie kommt es zu einer akuten Sehverschlechterung bei oft sehr hohen Augeninnendruckwerten. Es treten Die diabetische Retinopathie ist eine Erkrankung Allgemeinsymptome auf, wie Übelkeit oder auch der Netzhaut. Es handelt sich um eine Folgekrank- starke Schmerzen. heit des Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit), die Die Prävalenz des Offenwinkelglaukoms wurde sowohl bei Typ 1- als auch bei Typ 2-Diabetikern in einer im Jahr 1982 veröffentlichten Studie auf auftreten kann. Vier ineinander übergehende Sta- 1,5 % bis 2 % bei den über 40-Jährigen und 7 % bei dien der diabetischen Retinopathie werden unter- den ab 80-Jährigen geschätzt. Mehr als 95 % aller schieden: drei nicht-proliferative (mild, mäßig, Glaukome traten nach dem 40. Lebensjahr auf [33]. schwer) und ein proliferatives (gefäßbildendes) Eine Lebenszeitprävalenz des Glaukoms von Stadium. 2,7 % bei den Frauen und 1,8 % bei den Männern In den nicht-proliferativen Stadien wird die ergibt sich aus dem Telefonischen Gesundheitssur- Netzhaut durch diabetesbedingte Stoffwechselver- vey des Robert Koch-Instituts im Jahr 2005. Es wur- änderungen zunächst schlechter durchblutet. Es de gefragt: »Hatten Sie jemals einen grünen Star, können Ausbuchtungen der Gefäße (Mikroaneurys- auch Glaukom genannt?«. Die statistische Analyse men) entstehen, feine Punkt- oder Fleckblutungen zeigt ein ab dem 40. Lebensjahr ansteigendes Risi- auftreten und Flüssigkeiten, Fette und Eiweiße in ko. Bei den 80-Jährigen liegt demnach die Wahr- die Netzhaut eingelagert werden. scheinlichkeit, an einem Grünen Star erkrankt zu Das proliferative Stadium entsteht bei Fort- sein, zwischen 7 % und 8 % (Abbildung 5). schreiten der Erkrankung. Es kommt zur Bildung Als Risikofaktoren bei der Entstehung des Grü- neuer Blutgefäße (Proliferation). Diese können das nen Stars gelten, neben erhöhtem Augeninnen- Sehvermögen gefährden, indem sie in das Innere druck, ein Glaukom bei Verwandten ersten Grades des Auges einwachsen oder Einblutungen verur- und ein höheres Lebensalter; ein weiterer Einfluss- sachen. Weitere Komplikationen des Gefäßwachs- faktor ist z. B. die ethnische Zugehörigkeit [34]. tums sind die Ablösung der Netzhaut und die Schä- Es wird davon ausgegangen, dass in Deutsch- digung der Makula (diabetische Makulopathie bzw. land weniger als die Hälfte aller Offenwinkelglau- diabetisches Makulaödem). kome den Betroffenen bekannt sind [35]. Eine früh- Die diabetische Retinopathie bleibt zu Beginn zeitige Diagnostik des Glaukoms ist wichtig, weil symptomlos. Erst im fortgeschrittenen Stadium erkennbare strukturelle Veränderungen am Seh- sehen die Betroffenen beispielsweise unscharf, nervenkopf noch vor den funktionellen Beeinträch- oder es treten dunkle Flecken und rote Schleier im tigungen entstehen. Hier gibt es bislang unausge- Gesichtsfeld auf. Die Netzhautablösung macht sich schöpfte Möglichkeiten der Prävention von Seh- durch Sehstörungen wie Lichtblitze, das Sehen von behinderungen. Wird nämlich die Erkrankung Spinnweben, schwarzen Punktwolken, eine gene- innerhalb dieses frühen Stadiums diagnostiziert relle Sehverschlechterung oder Gesichtsfeldausfäl- und behandelt, kann die Schädigung abgewendet le (Skotome) bemerkbar. Werden Blutungen und werden. Netzhautablösung nicht behandelt, kommt es zur
14 Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung irreversiblen Verschlechterung des Sehvermögens 4 4 Andere Erblindungsursachen und schließlich zur Erblindung. Regionale Studien aus Deutschland belegen, 4 4 1 Grauer Star (Katarakt) dass 14 bis 15 % der Diabetikerinnen und Diabeti- ker an einer Retinopathie leiden [36, 37]. Entschei- Beim Grauen Star (Katarakt) kommt es zu einer denden Einfluss auf die Entstehung der Retinopa- Eintrübung der Augenlinse. In den meisten Fällen thie haben die Einstellung des Blutzuckers sowie ist die Katarakt altersbedingt und bildet sich erst die Erkrankungsdauer. Da viele Typ-1-Diabetiker jenseits des 60. Lebensjahres aus. schon im Kindes- oder Jugendalter erkranken, ist bei ihnen das Risiko zur Entwicklung einer diabe- Zu den Ursachen der Linsentrübung zählen: tischen Retinopathie am höchsten [36, 38]. ▶▶ Altern Eine Studie aus Baden-Württemberg (2008 bis ▶▶ Stoffwechselerkrankungen (hier vor allem Dia- 2009) kommt in einer Hochrechnung auf jähr- betes mellitus) lich knapp 700 Neuerblindungen durch diabetische ▶▶ andere Augenerkrankungen Retinopathie in Deutschland [39]. Die Erblindungs- ▶▶ Augenverletzungen und -operationen rate steigt dabei ab einem Alter von 60 Jahren steil ▶▶ Umwelteinflüsse wie Hitze, Röntgenstrahlen, an. Sie beträgt für die unter 60-Jährigen noch 0,2 Infrarotstrahlen, UV-Strahlen pro 100.000 Einwohner im Jahr, für die 60- bis ▶▶ Vergiftungen sowie 79-Jährigen 2,4 und für die über 80-Jährigen 3,7 pro ▶▶ die längere Einnahme bestimmter Medikamente 100.000 Einwohner im Jahr. Im Vergleich mit einer (beispielsweise Cortison). ähnlichen Studie aus den Jahren 1994 bis 1998 [40] zeigt sich eine deutliche Abnahme der Inzidenzen Sie kann aber auch angeboren sein oder durch eine von 1,7 auf 0,7 pro 100.000 Einwohner im Jahr. Als vorgeburtliche Infektion der Mutter (z. B. mit Röteln, Gründe werden Verbesserungen im Screening, in Windpocken, Mumps) hervorgerufen werden. der Therapie sowie in der Diabetesversorgung (z. B. Die Katarakt geht mit einer zunehmend vermin- im Zusammenhang mit Disease Management Pro- derten Sehleistung einher. Die diffuse Lichtstreu- grammen, siehe Kapitel 5.2.2) diskutiert [39, 41]. ung der eingetrübten Linse bewirkt ein verstärktes Zur Diagnostik der diabetischen Retinopathie Blendungsempfinden der Betroffenen. Die Linsen- werden Sehschärfebestimmung, Untersuchung der trübung führt außerdem zu einer Abschwächung vorderen Augenabschnitte sowie Untersuchung der der Wahrnehmung von Farben, wobei eine trübe, Netzhaut beider Augen bei erweiterter Pupille ein- gelb gefärbte Linse insbesondere den blauen Anteil gesetzt. In fortgeschrittenen Retinopathiestadien des Lichtes filtert. Durch die unregelmäßige Bre- sollte der Augeninnendruck gemessen werden, und chung des Lichtes im Auge können einseitige Dop- bei bestimmten Konstellationen ist eine Fluores- pelbilder auftreten. zenzangiografie angezeigt. Regelmäßige augenärzt Informationen zur Häufigkeit des Grauen Star liche Untersuchungen sind für Diabetiker wichtig, in Deutschland können aus Befragungsdaten des um die diabetische Retinopathie frühzeitig diag- Robert Koch-Instituts entnommen werden. Im Tele- nostizieren und therapieren zu können. Wenn die fonischen Gesundheitssurvey 2005 wurde gefragt: Tendenz einer Gefäßneubildung besteht, kann eine »Hatten Sie jemals einen Grauen Star, auch Kata- Lasertherapie dazu dienen, die Sauerstoffversor- rakt genannt?«. Die aus diesem Survey ermittel- gung der Netzhaut wieder zu verbessern. Ein gut te Lebenszeitprävalenz des Grauen Star liegt bei eingestellter Blutzucker und Blutdruck sind die 7,6 %. Hier gibt es einen deutlichen Geschlech- wichtigsten Voraussetzungen für eine Erhaltung terunterschied. 10,2 % der Frauen und 4,9 % der des Augenlichts [38, 42]. Männer waren erkrankt. Wie auch beim Grünen Star steigt das Erkran- kungsrisiko ab dem 40. Lebensjahr an. Im Alter von 85 Jahren liegt die Wahrscheinlichkeit, jemals an Grauem Star erkrankt zu sein, für Frauen bereits über 60 %, für Männer bei knapp 50 % (Abbildung 6).
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung 15 Abbildung 6 Erkrankungsrisiko für Grauen Star (Katarakt), differenziert nach Alter und Geschlecht Quelle: RKI, Telefonischer Gesundheitssurvey 2005 70 Prozent 60 50 40 30 20 10 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 Alter (Jahre) Frauen Männer Weltweit ist die Katarakt die häufigste Erblin- pheren Sehens. Im Spätstadium der Erkrankung dungsursache. Der Grund ist ein Mangel an Ope- reduziert sich die Sehfähigkeit häufig bis zur blo- rationsmöglichkeiten zur Entfernung der einge- ßen Lichtwahrnehmung. trübten Linse in vielen Teilen der Erde. In Deutsch- In Deutschland ist etwa einer von 4.000 Men- land hingegen ist die Kataraktchirurgie ein fester schen von Retinitis pigmentosa betroffen [43]. Die Bestandteil der medizinischen Versorgung und Erkrankung wird häufig bereits im Jugendalter wird flächendeckend eingesetzt. Dementsprechend diagnostiziert. gibt es hier nur wenige Erblindungsfälle durch den Zur Diagnostik wird vor allem die Spiegelung Grauen Star. Die Hochrechnung aus einer regiona- des Augenhintergrundes eingesetzt. Eine ursäch- len Studie ergab 460 Fälle pro Jahr [40]. liche Therapie gibt es bisher nicht. Ziel der For- Zur Diagnostik des Grauen Stars werden eine schung ist es daher, Therapieansätze – z. B. gen- Spaltlampenuntersuchung sowie bei Bedarf weitere therapeutische Maßnahmen [44] – zu entwickeln, Untersuchungen angewandt, sofern die Linsentrü- um die Funktion der Netzhaut und somit das Seh- bung nicht bereits mit bloßem Auge erkennbar ist. vermögen zu verbessern. Das Bundesministerium Die Therapie besteht in einer operativen Entfer- für Bildung und Forschung (BMBF) förderte in den nung der getrübten Linse. Stattdessen wird eine letzten Jahren zwei Forschungsvorhaben zur Diag- Linse aus Kunststoff eingesetzt. nose und Therapie von Retinitis pigmentosa; eines davon wurde im April 2016 abgeschlossen [45, 46]. 4 4 2 Retinitis pigmentosa 4 4 3 Augenerkrankungen im frühen Kindesalter Retinitis pigmentosa oder Retinopathia pigmen- tosa umfasst eine Gruppe von genetisch bedingten Bei Kindern im Alter von unter einem Jahr gab Erkrankungen der Netzhaut, die zu einer fortschrei- es im Jahr 2014 673 Fälle, die wegen einer augen- tenden Einschränkung der Sehfähigkeit führen. lichtbedrohenden Erkrankung bzw. Fehlbildung Dabei kommt es zum Verlust von Photorezeptoren (ICD-10: Q11–Q15, H26, H27, H30–H36, H40–H42) (Sinneszellen), vor allem in der peripheren Netz- in deutschen Krankenhäusern behandelt wurden haut. Die Erkrankung kann unterschiedlich schnell [47]. fortschreiten. Die häufigsten Augenerkrankungen in den Typische Symptome für die Betroffenen sind ersten Lebensmonaten mit Gefahr für das Augen- Nachtblindheit sowie die zunehmende Ausprägung licht sind die angeborene Katarakt, das Glaukom, eines »Tunnelblicks« durch den Verlust des peri- die Frühgeborenenretinopathie und das Retino
16 Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung blastom. Diese Krankheiten sind selten, spielen 5 2 Früherkennung aber wegen ihrer schweren Folgen eine wich- tige Rolle in der Neugeborenendiagnostik (sie- 5 2 1 Glaukom he auch Kapitel 5.2.3 Augenuntersuchungen im Kindesalter). Durch frühzeitige Therapie kann die Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat Sehfähigkeit in den meisten Fällen erhalten wer- im Jahr 2004 den Beschluss gefasst, ein Glau- den. komscreening nicht als bevölkerungsweite Früh- erkennungsuntersuchung, die sich an symptom- lose bzw. beschwerdefreie Personen richtet, in den 5 Prävention Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversi- cherung aufzunehmen. Hauptgrund dafür ist, dass 5 1 VISION 2020 keine hinreichend gesicherten wissenschaftlichen Daten vorliegen, um zu belegen, dass mit Hilfe Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation eines entsprechenden bevölkerungsbezogenen ergaben, dass sich die Zahl der weltweit von Screenings die Zahl der Erblindungen reduziert Blindheit betroffenen Personen (Visus
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung 17 5 2 3 Augenuntersuchungen im Kindesalter Um eine solide Datenbasis zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu liefern und beste- Die Frühgeborenen-Retinopathie kann durch hende Datenlücken zu schließen, gab das Bundes- gezielte Vorsorgeuntersuchungen rechtzeitig ministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) eine erkannt werden. Seit 1999 gibt es in Deutschland Studie in Auftrag, in der ein Konzept für eine Reprä- für diese Netzhauterkrankung ein Screening für sentativbefragung zur Teilhabe von Menschen mit Neugeborene mit erhöhtem Risiko. Die Unter Behinderungen entwickelt wurde [59]. Eine solche suchung wird bei Kindern durchgeführt, die vor Befragung soll nicht nur Teilhabeeinschränkungen der 32. Schwangerschaftswoche geboren werden ermitteln, sondern auch individuelle und umwelt- bzw. bei einem Geburtsgewicht unter 1.500 g und bezogene Ressourcen, durch die Behinderungen bei Frühgeborenen, die mehr als drei Tage lang abgebaut werden können und eine bessere Teil- beatmet wurden [55]. habe möglich wird. Ein wichtiges Ziel ist auch die Der Gemeinsame Bundesausschuss hat in den Einbeziehung von Gruppen, die für herkömmliche »Kinder-Richtlinien« die ärztlichen Maßnahmen Studien schwer zu erreichen sind [59]. zur Früherkennung von Krankheiten bei Kindern bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres festgelegt. Die Kindervorsorgeuntersuchungen (U-Unter- 7 Versorgung suchungen) werden im gelben Kinder-Untersu- chungsheft (»Gelbes Heft«) des Gemeinsamen 7 1 Versorgungsstruktur und Qualität der Bundesausschusses dokumentiert [56]. Versorgung Bei neun der Untersuchungen sind Kontrol- len des Sehsystems vorgesehen [57]. Die U-Unter Zur Versorgung von Patientinnen und Patienten suchungen können von allen Ärzten durchgeführt mit Augenerkrankungen existiert in Deutschland werden, »welche die vorgesehenen Leistungen ein dichtes Netz von ambulanten und stationä- auf Grund ihrer Kenntnisse und Erfahrungen ren augenärztlichen Einrichtungen. Am Stichtag erbringen können, nach der ärztlichen Berufs- 31.12.2015 waren 3.402 Fachärztinnen und 3.896 ordnung dazu berechtigt sind und über die erfor- Fachärzte für Augenheilkunde ärztlich tätig. Davon derlichen Einrichtungen verfügen.« Gibt es hier- waren 6.020 ambulant (82,8 %), 990 stationär bei auffällige Befunde bezüglich des Sehsystems, (13,3 %) und 288 (3,9 %) in Behörden/Körperschaf- wird eine augenärztliche Untersuchung in die ten und sonstigen Bereichen tätig [60]. Wege geleitet. Nach Angaben der Deutschen Ophthalmologi- Außerdem wird bei der sogenannten Schulein- schen Gesellschaft existierten im Jahr 2016 deutsch- gangsuntersuchung neben anderen Fähigkeiten, landweit 70 städtische Augenkliniken und 42 Uni- die für die Teilnahme am Schulunterricht von versitätsaugenkliniken [61]. Bedeutung sind, auch die Sehfähigkeit geprüft. Seit dem Jahr 2002 wurden seinerzeit im Rah- men des »Risikostrukturausgleichs in der gesetz lichen Krankenversicherung« strukturierte Behand- 6 Folgen von hochgradiger Sehbehinde- lungsprogramme (DMP) sukzessive eingeführt, um rung und Blindheit die Versorgung chronisch Erkrankter zu verbes- sern. Im Kontext der Blindheitsprävention sind die Bislang fehlen systematisch und periodisch wie- DMP zum Diabetes mellitus Typ 1 (seit 2004) und derholte Bestandsaufnahmen zur Lebensqualität zum Typ 2 (seit 2002) relevant. Inzwischen wurde und zu sozialen Folgen von hochgradiger Sehbe- dem Gemeinsamen Bundesausschuss die Aufgabe hinderung und Blindheit in Deutschland. Auch übertragen, die medizinisch-inhaltlichen Anforde- insgesamt ist die Datenlage zu den Lebenslagen rungen an die Programme in seinen Richtlinien von Menschen mit Beeinträchtigungen unzurei- festzulegen. Die je nach individuellem Risikoprofil chend. Der Teilhabebericht der Bundesregierung ein- bis zweijährlich durchgeführte augenärztliche von 2013 benennt die Datenlücken und die dadurch Untersuchung zur Diagnostik der diabetischen bedingte eingeschränkte Aussagekraft der Bericht- Retinopathie ist fester Bestandteil der Programme. erstattung [58]. Um die Inanspruchnahmerate weiter zu erhöhen
18 Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung ist es wichtig, bei den Betroffenen ein größeres und nicht die Blindheit selbst, als Ursache oder Risikobewusstsein zu wecken [41]. Folge der Erkrankung. Zurzeit existieren für die Augenheilkunde eine Die Diagnosedaten der Krankenhäuser belegen aktuelle Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wis- für das Jahr 2014 die Behandlung von 323 Frauen senschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften und 242 Männern wegen »Blindheit und Sehschwä- (AWMF) zum Thema »Uveitis bei juveniler idiopa- che« (ICD-10: H54). Die durchschnittliche Verweil- thischer Arthritis: Diagnostik und antientzündliche dauer im Krankenhaus betrug 3,8 Tage. Therapie« [62]. Die Leitlinie zur »Prävention und Auch zur stationären Versorgung einzelner Therapie von Netzhautkomplikationen« der »Nati- Augenerkrankungen, die unbehandelt zur Blind- onalen Versorgungs-Leitlinie zum Typ-2-Diabetes heit führen würden, und zur Inanspruchnahme ist im Oktober 2015 in 2. Auflage veröffentlicht wor- rehabilitativer Leistungen liegen Daten vor. Für sta- den [42]. tionäre Behandlungen von Augenerkrankungen Darüber hinaus werden »Praxisorientierte Hand- wurden im Jahr 2014 in der amtlichen Statistik fol- lungsleitlinien für Diagnose und Therapie in der gende Fallzahlen registriert [47]: Augenheilkunde« vom Berufsverband der Augen- ärzte Deutschlands e. V. (BVA) und der Deutschen ▶▶ Katarakt (ICD-10: H25–H28): 106.084 Fälle Ophthalmologischen Gesellschaft e. V. (DOG) kon- ▶▶ Glaukomerkrankungen (ICD-10: H40): 69.554 tinuierlich weiterentwickelt [63]. Fälle Die Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung ▶▶ Degeneration der Makula und des hinteren Poles (BQS), die bis 2009 mit der Qualitätssicherung in (ICD-10: H35.3): 24.232 Fälle deutschen Krankenhäusern beauftragt war (externe ▶▶ Retinopathien (ICD-10: H35.0, H35.2): 1.245 Fälle stationäre Qualitätssicherung nach § 137a), befass- te sich zuletzt in ihrem Qualitätsreport 2003 mit Stationäre Behandlungen von Verletzungen, die einem augenheilkundlichen Thema, der Katarakt infolge von Blindheit entstanden sind, können in operation [64]. Die Gesamtrate der registrierten der Krankenhausstatistik nicht identifiziert werden. Komplikationen lag im Vergleich zur Literatur im Daten zur Nicht-Inanspruchnahme von medizini- unteren erwarteten Bereich. Aufgrund des zuneh- schen Leistungen wegen Blindheit liegen ebenfalls menden Anteils ambulant durchgeführter Eingrif- nicht vor. fe wurde dieser Leistungsbereich seit 2004 nicht mehr dokumentiert. Im Jahr 2009 beauftragte der Gemeinsame 7 3 Medizinische Rehabilitation Bundesausschuss (G-BA) das AQUA-Institut (Institut für angewandte Qualitätsförderung und Medizinische Rehabilitationsleistungen sind in Forschung im Gesundheitswesen), ein sektoren- Deutschland Aufgabe der verschiedenen Sozial- übergreifendes Qualitätssicherungsverfahren zur versicherungsträger, das heißt, der gesetzlichen Kataraktoperation zu entwickeln. Die Durchfüh- Kranken-, Renten- und Unfallversicherung. Die rung des Verfahrens im Probebetrieb hat jedoch Träger der Deutschen Rentenversicherung (DRV) aus Sicht des G-BA hartnäckige Umsetzungshür- erbringen für ihre Versicherten Leistungen zur den deutlich gemacht, weswegen derzeit auf eine medizinischen Rehabilitation, um den Eintritt Umsetzung in den Regelbetrieb verzichtet wurde einer Erwerbsminderung zu verhindern bzw. eine [65, 66]. bereits geminderte Erwerbsfähigkeit wesentlich zu verbessern, wiederherzustellen oder deren Ver- schlechterung abzuwenden. Versicherte müssen 7 2 Stationäre Versorgung dafür bestimmte Beitrags- bzw. Wartezeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung nachgewiesen Daten zur Inanspruchnahme der medizinischen haben. Versorgung wegen »Blindheit und Sehschwäche« Laut Statistik der Deutschen Rentenversiche- (ICD-10: H54) sind zwar vorhanden, aber wenig rung wurden im Jahr 2014 »stationäre Leistungen aussagekräftig. In den Krankenhausdiagnosedaten zur medizinischen Rehabilitation« und »sonsti- wird eher die behandelte Erkrankung dokumentiert ge Leistungen zur Teilhabe für Erwachsene« von
Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung 19 49 Frauen und 51 Männern mit der Diagnose »Seh- tation) genannten Voraussetzungen, allerdings störungen und Blindheit« (ICD-10: H53–H54) in sind die Anforderungen an die zurückgelegten Anspruch genommen. Das Durchschnittsalter der Beitragszeiten höher. Bei teilweise erwerbsgemin- Frauen betrug 51,0 Jahre, das der Männer 51,2 Jahre. derten Versicherten ohne wesentliche Aussicht auf Die Rehabilitationsmaßnahme dauerte bei Frauen Besserung der Erwerbsfähigkeit können darüber und Männern im Mittel 26 Tage [67]. hinaus Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben Fälle, in denen mehrere Krankheiten gleichzei- erbracht werden, um den bisherigen Arbeitsplatz tig vorliegen (Multimorbidität), werden in dieser zu erhalten. Unabhängig vom Vorliegen bestimm- Statistik unter der Diagnose »Sehstörungen und ter Beitrags- bzw. Wartezeiten erfolgt eine Förde- Blindheit« nicht erfasst, wenn die erste Diagnose rung durch die DRV auch dann, wenn ohne die- eine andere ist. se Leistungen eine Rente wegen verminderter Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, Erwerbsfähigkeit gezahlt werden müsste oder wenn die von anderen Kostenträgern übernommen wer- sie im unmittelbaren Anschluss an eine Leistung den, sind hier ebenfalls nicht enthalten. So erbrin- zur medizinischen Rehabilitation erforderlich sind. gen die Träger der gesetzlichen Krankenversiche- Die Leistungen umfassen insbesondere rung Leistungen zur medizinischen Rehabilita ▶▶ Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines tion, um eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit Arbeitsplatzes, abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszu- ▶▶ Aus- und Weiterbildung (z. B. Anpassungsquali- gleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder fizierungen sowie Maßnahmen der beruflichen ihre Folgen zu mildern. Sie sind jedoch gegenüber Weiterbildung in Berufsförderungswerken für den anderen Rehabilitationsträgern (DRV, gesetz- sehbehinderte und blinde Menschen), liche Unfallversicherung) nachrangig zuständig. ▶▶ Leistungen an Arbeitgeber zur Unterstützung Mobilitätstraining und medizinisches Basistraining der Beschäftigungsbereitschaft sowie (§ 43 SGB V) wie auch das Training lebensprakti- ▶▶ Leistungen in einer anerkannten Werkstatt für scher Fähigkeiten (§ 26 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX) werden behinderte Menschen. vorwiegend von den Krankenkassen finanziert. Ist das Krankheitsbild Folge eines Arbeits- oder Wege Wegen Sehstörungen oder Blindheit zählte unfalls oder einer Berufskrankheit, sind die gesetz- die Rentenversicherung im Jahr 2014 insgesamt lichen Unfallversicherungsträger für alle insoweit 834 abgeschlossene Leistungen zur Teilhabe am zu erbringenden Leistungen zuständig. Dies gilt Arbeitsleben, davon 473 Hilfen zur Erhaltung oder auch für die nachfolgend genannten Bereiche der Erlangung eines Arbeitsplatzes, 127 berufliche Bil- Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben und der dungsleistungen und 18 blindentechnische oder Hilfsmittelversorgung. vergleichbare Grundausbildungen im Rahmen der Berufsvorbereitung. Die Bundesagentur für Arbeit ist gegenüber 7 4 Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben den anderen Rehabilitationsträgern nachrangig zuständig. Sie finanziert berufliche Rehabilitation Zur Integration von Menschen mit Behinderung in und berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen für den allgemeinen Arbeitsmarkt besteht ein breites junge Menschen mit Behinderung sowie Wieder- Spektrum an gesetzlichen Fördermöglichkeiten. So eingliederungsmaßnahmen für Erwachsene. Wei- erbringen die Träger der gesetzlichen Rentenversi- terhin finanziert sie Umschulungen, wenn eine cherung, der Arbeitslosenversicherung, der gesetz- Tätigkeit bei zunehmender Sehbeeinträchtigung lichen Unfallversicherung, aber auch der öffent nicht mehr ausgeübt werden kann. Die Umschu- lichen Jugend- und Sozialhilfe sowie der Kriegsop- lung erfolgt in Berufsförderungswerken oder bei ferversorgung bzw. Kriegsopferfürsorge Leistungen anderen Bildungsträgern. zur Teilhabe am Arbeitsleben, wenn die hierfür Daten zu diesen Fördermaßnahmen werden seit erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind. 2004 nicht mehr im Detail veröffentlicht, da aus Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) datenschutzrechtlichen Gründen die statistische erbringt Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben Berichterstattung zur Art der Behinderung nicht unter den in Kapitel 7.3 (Medizinische Rehabili- mehr zulässig ist. Deshalb wird im Folgenden auf
20 Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Blindheit und Sehbehinderung Zahlen des Jahres 2003 zurückgegriffen, um die Menschen bei der Erstellung und Fortschreibung Größenordnung zu veranschaulichen. der Verzeichnisse einbezogen. Im Jahr 2003 verzeichnete die Bundesagentur Primäre Blindenhilfsmittel sind Blindenlang- für Arbeit 124 Eintritte in blindentechnische und stöcke (Taststöcke) sowie ausgebildete Blinden- vergleichbare spezielle Grundausbildungslehrgän- führhunde. Diese ermöglichen eine selbstständige ge, darunter 53 Frauen und 71 Männer. Darüber Fortbewegung. Bei erstmaliger Verordnung eines hinaus gab es 1.528 Eintritte von behinderten Men- Lang-/Taststocks ist eine Schulung im Umgang mit schen mit Blindheit oder geringem Sehvermögen in dem Hilfsmittel erforderlich. Gleiches gilt für den berufsfördernde und berufsvorbereitende Bildungs- Umgang mit einem Blindenführhund. maßnahmen (566 Frauen und 962 Männer) [68]. Sekundäre Hilfsmittel dienen als Ergänzung zu den primären. Dazu zählen beispielsweise Hinder- nismelder, die eine räumliche Orientierung ermög- 7 5 Hilfsmittel lichen, Farberkennungsgeräte mit Sprachausgabe oder Geräte zur Schriftumwandlung, sogenannte Die Aufrechterhaltung der selbstständigen Lebens- Lesegeräte, die das Erfassen von gedruckten und führung ist ein wichtiges Ziel für viele erblindete handgeschriebenen Texten ermöglichen. Auch ein Menschen. Professionelle oder semi-professionelle Barcode-Lesegerät mit digitaler Sprachausgabe personelle Hilfen werden eingesetzt, um beispiels- (sog. Einkaufsfuchs), der es einer erblindeten Per- weise das Einkaufen, Behördengänge, Arztbesuche son ermöglicht, die hauswirtschaftliche Versorgung sowie den Briefverkehr zu ermöglichen [69]. des eigenen Haushalts einschließlich des Einkau- Im Allgemeinen übernimmt die gesetzliche fens weitgehend selbständig auszuführen, ist ein Krankenversicherung die Kosten für verschiedene Hilfsmittel im Sinne des § 33 SGB V [71]. Orientierungs-, Wahrnehmungs- und Fortbewe- Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe an gungshilfen. Es kommen jedoch auch andere Kos- nicht-erstattungsfähigen Hilfsmitteln, wie zum tenträger in Betracht. Neben den Sozialversiche- Beispiel sprechende Uhren, Fieberthermometer rungsträgern können das beispielsweise die Träger und Taschenrechner oder auch modifizierte Gesell- der Eingliederungshilfe sein. Kosten für Hilfsmittel schaftsspiele, Sportgeräte, Küchenhelfer etc., die und technische Arbeitshilfen, die wegen Art oder den Betroffenen mehr Selbstständigkeit im Alltag Schwere der Behinderung zur Berufsausübung ermöglichen können [72]. erforderlich sind, werden von der Deutschen Ren- tenversicherung im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben getragen, sofern keine 7 6 Blindengeld und Blindenhilfe Verpflichtung der gesetzlichen Krankenversiche- rung oder des Arbeitgebers besteht. Blindengeld und Blindenhilfe dienen dem Aus- Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen gleich blindheitsbedingter Mehraufwendun- erstellt ein Hilfsmittel- und Pflegemittelverzeich- gen. Voraussetzung für die Beantragung ist der nis [70], das laufend aktualisiert wird. Die Aufnah- Nachweis der Sehbehinderung (z. B. durch einen me von Produkten in dieses Verzeichnis erfolgt Schwerbehindertenausweis, in dem die Blindheit auf Antrag des Herstellers. Der Antragsteller muss bestätigt wurde). die Funktionstauglichkeit, die Sicherheit und den Das Blindengeld ist eine einkommens- und medizinischen bzw. pflegerischen Nutzen des Pro- vermögensunabhängige, monatlich fortlaufend dukts sowie seine Qualität nachweisen. Die Auf- gewährte Pauschale, deren Höhe durch Landes- nahme erfolgt durch den Spitzenverband Bund gesetze geregelt ist. Auch die Altersgrenzen variie- der Krankenkassen. Er kann vom Medizinischen ren von Land zu Land. In einigen Ländern gibt es Dienst (MDS) prüfen lassen, ob die medizinischen darüber hinaus auch für hochgradig sehbehinderte und technischen Voraussetzungen zur Aufnahme Menschen eine Unterstützung (»Sehbehinderten- in das Verzeichnis erfüllt sind. Daneben werden geld«) (siehe Tabelle 5 mit Stand vom 30.04.2016). u. a. medizinische Fachgesellschaften, Spitzen Die Blindenhilfe gemäß § 72 des Sozialgesetz- organisationen der Leistungserbringer und Hilfs- buch Zwölftes Buch (SGB XII) wird als Sozialhil- mittelhersteller sowie die Verbände behinderter feleistung nachrangig gegenüber anderen gleich-
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