Rehwild (Capreolus capreolus) - Bayerischer Jagdverband eV
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Rehwild (Capreolus capreolus) Sündenbock für Managementfehler B ereits vor einer halben Million Jahren lebten Rehe gemeinsam mit dem Frühmen- FOTO: REINHARD SIEGEL / PICLEASE schen Homo erectus in Europa. Die Verbreitung ist heute fast lückenlos. In Irland, den Mittelmeerinseln und Nordskandinavien hingegen ist es nicht anzutreffen. Im Osten grenzt das Vorkommen des Europäischen Rehes (Capreolus capreolus capre- Auf einen Blick olus) an das seines größeren Verwandten Capreolus capreolus pygargus, des Sibrischen Rehes. Rehe haben die Zerstörungen der Wälder im Mittelalter, alle Revolutionen und 60 bis 75 cm Widerristhöhe Kriege aber auch alle Hege- und Bejagungsrichtlinien überlebt. Die Zeiten, wo das „Schießen und Fangen von Rehgeißen und Rehkitzen zu keiner Zeit gestattet war“ (vgl. Bayerische Verordnung vom 5.10.1863; Regierungsblatt p. 1657), sind längst vor- 18 bis 30 kg bei; vorbei auch die Zeiten, wo man glaubte, Rehe im Wald zählen zu können oder zumindest so tat, als ob man es könnte; vorbei auch die Zeiten, wo Rehe zumindest Blattzeit, Brunft: Juli/August auf dem Papier keine Populationsschwankungen zeigten, da das bei der Festlegung der Abschussplanzahlen unnötigen Streit mit dem Reviernachbarn heraufbeschwor; Ein bis drei, normalerweise zwei leider noch nicht vorbei die Zeit, wo dem Reh die Verantwortung für waldbauliche Kitze, Mai/Juni Fehler zugeschrieben wurde. Unterliegt dem Jagdrecht, Jährlich werden in Deutschland über eine Million Rehe erlegt, über 300.000 davon Jagdzeiten in Bayern: in Bayern. Als ein relativer „r-Stratege“ mit hoher Anpassungsfähigkeit erreichen Rehe Kitze/Geissen: 1.9. – 15.1., heute in Mitteleuropa Populationsdichten, die von keiner anderen heimischen Hirschart Schmalrehe: 1.5. – 15.1., Böcke: 1.5. – 15.10. erreicht werden. Möglich wird das auch durch biotopangepasste soziale Organisati- onsmodelle, durch große individuelle Unterschiede und variable Anpassungsstrategien. RL *; sh (2017) Das früher übliche „Zählen“ des Frühjahrsbestandes von Rehen ist heute, nachdem die Fragwürdigkeit längst erkannt wurde, unterschiedlichen sekundären Indikatoren gewi- chen. Während die Mehrheit der Bundesländer dabei auf Forstleute vor Ort setzt, die bei aller manchmal vorhandenen Subjektivität sicherlich erkennen sollten, warum ihre Naturverjüngungen nicht gelingen, verstecken sich andere hinter scheinbarer „Objekti- vität“ forstlicher Gutachten. Völlig unbestritten ist aber auch, dass Jäger Mitverantwor- tung tragen für das Erreichen waldbaulicher Ziele. Forstliche Gutachten können dabei allerdings nur eine großräumige Orientierung geben. Das hat vor allem mit der Langfristigkeit forstlichen Wirtschaftens und mit den bis heute fehlenden Sollwerten für eine Waldverjüngung in einem mehr oder weniger naturnahen Mischwald zu tun (vergl. Herzog 2010 a, b, 2019). Gleichzeitig bergen Wildtiermonitoring 2021 Seite 231
Rehwild langfristige landesweite Datenerhebungen, wie wir sie in Bayern vorliegen haben, durchaus die Möglichkeit, daraus langfristige, waldbauliche, aber auch forstpolitische Entscheidungen herzuleiten (vergl. Hunger & Herzog 2011). Revierweise Aussagen, Herleitungen von Bejagungsplänen oder gar „Soll-Ist-Vergleiche“ sind allerdings nicht möglich, weil der vorhandene Ansatz einerseits zu großräumig und zu fehleranfällig ist, und weil andererseits keine verlässlichen Sollwerte vorhanden sind. Unabhängig davon gilt auch für das Rehwild, was beim Rotwild zunehmend erkannt wird, dass nämlich die Fraßeinwirkung auf die Vegetation weniger eine Funktion der ab- soluten Dichte, sondern mehr des Umgangs mit der Art darstellt. Wenn die waldbauliche Strategie und die Bejagungsstrategie professionell konzipiert sowie räumlich und zeitlich aufeinander abgestimmt sind, hält sich der Verbiss durch Rehwild durchaus in Grenzen. Dies bedeutet für die Zukunft einen Prozess des Lernens und Umdenkens. Rehwild (wie auch Rotwild) wird aus forstlichen, aber auch aus Gründen des Tierwohls in Zu- kunft immer weniger auf großflächigen Drück-Stöber-Jagden erlegt werden. Diese sind zur Lösung lokaler Probleme in forstlichen Verjüngungsflächen kaum geeignet und im Übrigen der Biologie der Art als einem „Duikertyp“1 nicht angemessen. Hier sollten wir in Zukunft mehr mit Schwerpunktbejagungskonzepten arbeiten, welche mittels in- tensiver Bejagung von Verjüngungsflächen durch Einzelansitze einen Reduktions-, aber auch einen Lenkungseffekt haben. Rehwild im Spannungsfeld der Interessen Dipl.-Forsting. Ramona Fehringer Das komplexe Ökosystem „Wald“ besteht aus Pflanzen und Tieren die in ständiger Wechselwirkung zueinanderstehen. Pflanzen und Tiere beeinflussen sich also gegen- seitig, sowohl positiv, wie auch negativ. Den „negativen“ Einfluss des Schalenwildes, insbesondere des Rehwildes, auf die Waldverjüngung versucht man in Bayern durch das sogenannte „Forstliche Gutachten“ alle drei Jahre zu ermitteln. Dabei werden pro Hegegemeinschaft, soweit möglich, 30-40 Stichprobenpunkte aufgenommen. Pro Punkt sollten mindestens 75 junge Bäume zwischen 20cm bis 130cm aufgenommen werden können um eine halbwegs brauchbare Datenbasis zu liefern. Letztendlich bleibt es aber eine nur recht grobe Stichprobenerhebung die bestenfalls Hinweise, je- doch keine Beweise liefern kann. 1 benannt nach kleinen Antilopen der Wald- und Buschlandschaften Afrikas: kennzeichnend für das Fluchtverhalten ist der kurze Sprint in die nächste Deckung Seite 232 Landesjagdverband Bayern
Rehwild Neben den systematischen Erhebungen, welche die gesamte Hegegemeinschaft hinsichtlich Verbisseinwirkung bewerten sollen, werden in roten Hegegemeinschaften, also diejenigen die im vorangegangenen Gutachten mit „zu hoch“ oder „deutlich zu hoch“ bewertet wurden, pro Revier noch zusätzlich ergänzende revierweise Aussagen durchgeführt. Auch wenn es laut den Erhebungen mitunter deutlichen Verbiss durch Rehwild ge- ben mag, bleiben viele Fragen nach wie vor offen. Problematisch ist bereits das Erken- nen des Verursachers, was faktisch mit dem Auge nie 100% möglich ist. Es bleibt also immer eine Grauzone mit entsprechend hoher Fehlerquote die für einige Kritiker des Gutachtens viel zu wenig berücksichtigt wird. Auch ist die Einwirkung des Schalenwildes längst nicht ausreichend erforscht, sondern basiert viel mehr auf Beobachtungen und subjektiven Wahrnehmungen/Mei- nungen. Klar ist, dass das Nutzen von Pflanzen durch Schalenwild nicht automatisch zum Absterben und zum kompletten Niedergang von Wäldern führt. Ein verzögertes Höhenwachstum und Einfluss auf die Zusammensetzung der Vegetation, ist dagegen unstrittig. Absolut offen ist allerdings die Frage nach der Aussagefähigkeit der Verbiss- gutachten in Bezug auf den Zielzustand zum Erntezeitpunkt, also in beispielsweise 150 Jahren. Es sind nämlich viele Faktoren, die auf das Ankommen und Wachsen junger Bäume einwirken und letztendlich auch das Gesicht unserer Wälder gestalten. Das Rehwild und andere Schalenwildarten, sind dabei nur Einer von vielen Stellgrößen. Daneben spielen Lichtstärke, Standortbedingungen, Konkurrenz, Wetter und waldbauliche Ein- griffe eine sehr wichtige Rolle. Dennoch gerät insbesondere das Rehwild immer mehr in das Kreuzfeuer der Dis- kussionen zwischen Forst, Jägern und Wildbiologen. Vertreter des Forstes forcieren dabei meist einen möglichst hohen Abschuss, wo hingegen namhafte Wildbiologen permanent vor zu hohem und falschem Jagddruck warnen, der zum Teil schon tier- schutzrechtlich bedenkliche Ausmaße angenommen hat. Denn gerade Stress schadet nicht nur der Gesundheit, sondern verursacht im Wald auch Schäden, wenn enorme Energiedefizite wieder ausgeglichen werden müssen. Viele haben selbst die Erfahrung gemacht, wenn man zu oft Jagddruck ausübt, sieht man nichts mehr. Das Wild wird heimlich, und geht dann unter Umständen erst recht zu Schaden. Daher wäre der vernünftige Weg, Wald und Wild in Einklang zu bringen und den Jagddruck auf diejenigen Bereiche zu konzentrieren, von denen man das Wild fernhalten möchte. Schwerpunktbejagung kann jedoch nur dann Erfolg bringen, wenn es auch geeignete Flächen gibt, auf welche man das Wild vergrämen kann. Wildtiermonitoring 2021 Seite 233
Rehwild Es empfiehlt sich, wenn nicht ausreichend vorhanden, Wildruhezonen anzulegen. In Wildruhezonen oder auf Äsungsflächen (Wildwiesen oder Wildäcker) sollte keines- falls gejagt werden, da man das Wild ansonsten wieder verstärkt zum Äsen in die Waldverjüngung drückt. Abb. 1: Mischwald in der Oberpfalz mit ge- ringem Verbiss trotz gutem Rehwildbestand Abb. 2: Wildacker im Winter wird gern von Rehen angenommen Um sich selbst einen ausreichenden Überblick über die Situation im eigenen Revier verschaffen, und um sinnvolle Maßnahmen ergreifen zu können, wurde der BJV-Revierbe- ABB.: RAMONA FEHRINGER; BJV (2) REVIERBEWERTUNGSBOGEN wertungsbogen neu aufgelegt (Abb. 3). Die Beschreibung, Be- wertung und Maßnahmenplanung sollte immer zusammen mit für den Revier- und Waldbegang am dem Jagdvorstand erfolgen. Der Bewertungsbogen kann von besichtigte Waldorte Jagdgenossenschaft beiden Parteien unterschrieben, auch für die Abschussplanung Jagdrevier der unteren Jagdbehörde vorgelegt werden. Damit zeigen die Reviergröße ha Reviernummer Bewaldungs-% Große Waldkomplexe Gemengelage Beteiligten vor Ort Engagement und Kompetenz. Besitzart (en): Privatwald Staatswald Körperschaftswald Teilnehmer Abb. 3: Revier- bewertungsbogen – Neuauflage Seite 234 Landesjagdverband Bayern
Rehwildstrecken in Bayern 1990 – 2020 Seite 235 Rehwild Wildtiermonitoring 2021 020 2019/2 019 2018/2 018 2017/2 017 2016/2 016 2015/2 015 2014/2 014 2013/2 013 2012/2 012 2011/2 011 2010/2 010 2009/2 009 2008/2 008 2007/2 007 2006/2 006 2005/2 005 2004/2 004 2003/2 003 2002/2 002 2001/2 001 2000/2 000 1999/2 999 1998/1 Rehwildstrecken für Bayern 998 1997/1 997 1996/1 996 1995/1 995 1994/1 994 1993/1 993 1992/1 992 1991/1 991 1990/1 350000 300000 250000 200000 150000 100000 50000 0 INDIVIDUEN QUELLE: BAYSTMELF; GRAFIK: TAUSENDBLAUWERK
Bearbeitung: Regina Gerecht, Bayerischer Jagdverba Erfurt Rehwild DATENQUELLE: BAYERISCHES STAATSMINISTERIUM FÜR ERNÄHRUNG, LANDWIRTSCHAFT UND FORSTEN; KARTENGRUNDLAGEN: ESRI; BEARBEITUNG: REGINA GERECHT (BJV) Rehwildstrecken auf Landkreisebene im Jagdjahr 2019/2020 (Individuen pro 100 ha) Würzburg Prag Bayreuth Würzburg Ansbach Pilsen Stuttgart Ansbach Kartengrundlagen: Esri Regensburg Au Stuttgart Landshut Augsburg und Forsten München Vaduz aatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft Salzburg Rehwildstrecken Dichte pro 100 ha JJ 2019/20 0,3 - 2,0 2,1 - 3,8 3,9 - 5,5 Vaduz 5,6 - 7,4 Skalierung: 0 25 50 75 100 km N gleiches 0 12,5 25 7,5 - 9,2 Intervall Seite 236 Landesjagdverband Bayern
Erfurt ! Rehwild Würzburg ! Bearbeitung: Regina Gerecht, Bayerischer Jagdverband DATENQUELLE: BAYERISCHER JAGDVERBAND; KARTENGRUNDLAGEN: ESRI; TSCHECHIEN: OPENSTREETMAP, ODBL 1.0; BEARBEITUNG: REGINA GERECHT (BJV) Gemeldete Rehwild-Vorkommen 2019 A ! Prag ! Stuttgart Bayreuth ! ! Würzburg ! Pilsen ! Ansbach ! Regensburg Kartengrundlagen: Esri; Tschechien: OpenStreetMap, ODbL 1.0 ! Stuttgart ! Landshut ! Augsburg Vaduz ! ! München ! Salzburg ! Rehwild 2016 und 2019 2019 2016 Vaduz kein Nachweis ! 0 25 50 75 100 km N keine Angabe dverband Wildtiermonitoring 2021 Seite 237
Rehwild Zum Nach- und Weiterlesen Herzog, S. Der Wald soll wachsen: Was müssen Moog, M. Das Schalenwild aus der Kostenpers- forstliche Gutachten leisten? Schriftenreihe des pektive – können wir uns den Rothirsch leisten? Landesjagdverbandes Bayern e.V. 19, 33–40, 2010a Schriftenreihe des Landesjagdverbandes Bayern e. V. 19, 27–32, 2010 Herzog, S. Der Jäger, der Förster und das Wild: Gedanken zu einer Konfliktsituation. Forst und Holz Müller, P. Ökosystemgerechtes Wildlife-manage- 65, 16–19, September 2010 b ment. Rundgespräche der Kommission für Ökologie 25, 95–132, 2002 Herzog, S. Der 40-jährige Konflikt: Was macht das Thema „Wald und Wild“ zum Dauerbrenner? Müller, P. Verbiss-Gutachten: Objektiver Weiser oder Allgemeine Forst Zeitschrift – Der Wald 16–18, 6. Herrschaftsinstrument. GCDNachrichten 18: 1–9, Juni 2011 2008 Herzog, S. Das Reh, der Wald und der Förster: Müller, P. (2009): Die Zukunft der Jagd & die Jäger Rehwild im Lichte unterschiedlicher Nutzungsinteres- der Zukunft. Melsungen 2009 sen. Schriftenreihe des Landesjagdverbandes Bayern e.V. 20, 23-32, 2013 Onderscheka, K. Das Rehwild – seine Ernährung und Fütterung. Schriftenreihe des Landesjagdverbandes Herzog, S. Wieviel Ricke braucht das Kitz? Unsere Bayern e.V. 7, 37–60, 1999 Jagd, 52-55, Oktober 2016. ISSN 0566-2621 Pirsch, 44-47, 2. November 2016. ISSN 1437-4420 Otto, H.-J. Entwicklungen der forstlichen Produktion Niedersächsischer Jäger 2. November 2016. ISSN in den Niedersächsischen Landesforsten und ihre 0048-0339 Wechselwirkungen mit dem Schalenwild. Der Forst- und Holzwirt 34, 513–520, 1979 Herzog, S. Wildtiermanagement. Quelle & Meyer Verlag, Wiebelsheim 2019. Reimoser, F. Waldbau, Wildverbiss und Rehwild. Schriftenreihe des Landesjagdverbandes Bayern e.V. Hunger, M.; Herzog, S. Auswertung der bayeri- 7, 121–132, 1999 schen Verbissgutachten von 1991 bis 2009: Was können Verbissgutachten leisten? Allgemeine Forst Schwenk, S. Historische Aspekte zum Rehwild. Zeitschrift – Der Wald, 23–25, 18. Juli 2011 Schriftenreihe des Landesjagdverbandes Bayern e.V. 7, 189–196, 1999 Kurt, F. Das Reh in der Kulturlandschaft. Hamburg 1991 Moog, M. Bewertung von Wildschäden im Wald. Melsungen 2008 Seite 238 Landesjagdverband Bayern
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