Neue Medien in der Jungenarbeit: Chat und MUD

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Neue Medien in der Jungenarbeit: Chat und MUD                         129

                     Renato Liermann / Dirk Loose

  Neue Medien in der Jungenarbeit: Chat und MUD

Mit den Selbsteinschätzungen „Im Internet erfinde ich mich neu“ oder
„Im Net bin ich der, der ich vorgebe zu sein“ bezeichnen jugendliche In-
ternetuser Freiräume, die sie sich im Widerspruch zu öffentlichen Bil-
dungs- und Erziehungsinteressen und insbesondere zu wirtschaftlichen
Verwertungsinteressenschaffen schaffen bzw. im WWW nutzen. Öffent-
liche Interessen zielen neben präventiven Aspekten auf die „Zukunftsfä-
higkeit“ der jungen Heranwachsenden, auf didaktisierbare Lerninhalte
und die Vermittlung von „Schlüsselqualifikationen“ vor allem für das spä-
tere Berufsleben und somit auf einzelne Schüler/innen und Auszubil-
dende und bislang nur punktuell auf die Jugendlichen in der Jugendar-
beit ab. Zum anderen werden Kinder und Jugendliche als Kunden mit
attraktiver Kaufkraft ins Visier genommen. Hier versuchen Marketingex-
perten allgegenwärtig ihre Vermarktungsstrategien möglichst präzise auf
einzelne Jugendliche und ihr Konsumentenprofil abzustimmen und be-
reits Kinder als Konsumenten ihrer Produkte zu binden.

Zwischen diesen öffentlichen und wirtschaftlichen „Erziehungsbemü-
hungen“ und Lebensorientierungen, die sich an den Erfordernissen der
– zukünftigen - Erwachsenenwelt, der Arbeit und des Konsums ausrich-
ten, nutzen Jugendliche und gerade männliche Jugendliche das neue
Medium Internet auf ihre Weise. Ganz egoistisch geben Jugendliche ih-
rer Neugier, ihrem Wunsch, sich und anderen intensiv zu begegnen, ihre
Träume und Möglichkeiten virtuell zu erproben eine Chance. Selbst-
ständig agieren Jungen in Chatrooms und gestalten Lebensentwürfe in
den MUDs/MUSESs, in denen männliche Jugendliche ihre Männlich-
keitsentwürfe, ihre sozialen, emotionalen und kommunikativen Kompe-
tenzen virtuell und spielerisch ausprobieren. Die nachfolgenden Überle-
gungen thematisieren diesen virtuellen Bereich der Selbsterfahrungen
und Selbsterfindungen männlicher Jugendlicher und zeigen praxisorien-
tiert Chancen für die Jungenarbeit auf.

Das Internet als Kommunikationsmedium

Das Internet hat sich seit 1969 aus einer militärisch veranlassten einfa-
chen Vernetzung der Computer einiger kalifornischer Forschungseinrich-
tungen (APRANET) als Schutzstrategie gegen mögliche Atombomben-
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angriffe im „kalten Krieg“ über das 1986 von der National Science Foun-
dation (NSF)/USA gegründete NSFNET zu einem weltumspannenden
interaktiven Massenmedium, eben dem World Wide Web mit vielen Mil-
lionen Teilnehmern/innen entwickelt. Das WWW stellt mit
·     Information,
·     Kommunikation,
·     Markt (e-commerce usw)

drei zentrale Funktionen zur Verfügung, die allen, auch den jugendlichen
Nutzern fast uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Durchdrungen wer-
den diese Funktionen mittlerweile bei fast allen Angeboten im Internet
von der zentralen Dimension
·     Entertainment.

Gegen erwerbswirtschaftliche und kommerzielle Interessen und
manchmal gegen – nationale - gesetzliche Bestimmungen schaffen bis-
lang noch insbesondere männliche Jugendliche ihre eigenen Märkte im
WWW wie z.B. Tauschbörsen für Musik, Filme und Computerspiele und
Software. Im Bereich der Information, deren Gesamtheit im Internet e-
benso Jugendlichen wie Erwachsenen zugänglich ist, fällt Erwachsenen
bei männlichen Jugendlichen deutlich das Interesse an Web Sites mit
sexuellem bis pornographischem Inhalt auf. Praxiserfahrungen deuten
darauf hin, dass Internetseiten mit gewaltorientiertem Inhalt ebenfalls
bevorzugt von Jungen aufgesucht werden.

Neben einem allgemein medienpädagogisch geprägten Umgang mit
dem Internet, schul- und berufsbezogenen Formen des E-Learning per
WWW, konzentriert sich die jugendpolitische und demzufolge ebenfalls
meistens die pädagogische Diskussion der Möglichkeiten des Internets
auf die pädagogische Ablehnung dieser Sex- und Gewaltangebote bzw.
vor allem auf deren Verbot im Net. Wenige Pädagogen diskutieren bis-
lang den angemessenen Umgang mit den Erfahrungen, die Jungen ma-
chen, wenn sie auf sexistische, gewaltverherrlichende oder auch rassis-
tische oder andere menschenverachtende Seiten im WWW stoßen. Da-
bei findet meistens keine Auseinandersetzung mit den spezifischen (se-
xual-)pädagogischen Anknüpfungsmöglichkeiten aufgrund des entspre-
chenden Konsums von Jungen statt. Insgesamt bleibt das Informations-
angebot des Internets als Chance geschlechtsbewusster Jungenarbeit
bislang weitgehend unerschlossen.

Das gilt abgesehen von wenigen Praxisbeispielen weitgehend auch für
den Kommunikationsaspekt des Internets. Jugend- und Schulprojekte
wie in Teilen das NRW-Modellprojekt „Schulen am Netz“ schätzen den
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gekonnten Gebrauch der Neuen Medien und der Wissensangebote des
Internets als wichtige Voraussetzung für die spätere Berufstätigkeit ein.
Die außerordentlich vielfältigen kommunikativen und unterhaltsamen
Möglichkeiten des Internets spielen bei den Zielsetzungen dieser Projek-
te eine untergeordnete Rolle und kommen eher reduziert als Formen
des Informationsaustausches vor.

Das Marktforschungsunternehmen NetValue hat die Internetnutzung von
13- bis 19-Jährigen im Januar 2002 in ausgewählten Ländern Europas
gemessen.     Die    nachfolgenden      Daten     geben     den  Anteil
 männlich/weiblich bei den 13 bis 19-jährigen Internetnutzern und die
geschlechtsspezifische Verteilung bei erwachsenen Usern an:

-     Deutschland 53,7/46,3 (59,8/41,8),
-     Frankreich 52,7/47,3 (57,9/42,1),
-     Großbritannien 53,8/46,2 (58,2/40,2),
-     Spanien 55,8/44,2 (62,4/37,6),
-     Dänemark 50,8/49,2 (56,7/43,3).

(c)2002 NetValue Quelle http://de.netvalue.com/

Weltweit sind mittlerweile (Im Jahr 2002) weit mehr als 400 Millionen
Personen online, davon über 25 Millionen in der Bundesrepublik
Deutschland. Der Anteil Jugendlicher bis 19 Jahren liegt mittlerweile bei
etwa 9 % in Deutschland mit steigender Tendenz.

Aus geschlechtsbewusster und medienpädagogischer Sicht ergeben
sich mit den wachsenden Zugangsmöglichkeiten für Jungen - und Mäd-
chen - zum Internet neben den oben genannten Aspekten besondere
Perspektiven für die Jungenarbeit, die sich in folgenden Thesen zu-
sammenfassen lassen:

·     Durch Neue Medien wie Handy, PC und Internet und insbesonde-
      re durch den Gebrauch des WWW erweitern und verändern
      männliche Jugendliche ihre Kommunikationsformen und –inhalte
      erheblich.
·     Jungen wie Mädchen nutzen das Internet zur Kommunikation. Der
      Zugang von Jungen zum PC und zum Internet beruht auf kommu-
      nikativen und sozialen Bedürfnissen und weniger auf haptischen
      und kognitiv-technischen Interessen.
·     Die Kommunikationsplattformen im Internet ermöglichen Jungen
      ungewohnte und intensive Erfahrungen in der virtuellen Begeg-
      nung mit anderen Menschen.
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·     Die – mögliche - Anonymität der Teilnehmer/innen im Internet regt
      zur Darstellung und Projektion eigener Fantasien und ge-
      schlechtsbezogener Entwürfe an.
·     Die Anonymität und Intensität der Kommunikation im Internet legt
      eine pädagogische Begleitung nahe.

Neben Internettelefonie zu Billigpreisen und dem kostenlosen SMS-
Versand über bestimmte Provider bietet das WWW den Versand von E-
mails und Mailboxen seit den 80er Jahren, weltweite Videokonferenzen
und Foren, Chatrooms und MUDs/MUSEs mit selbst zu erfindenden
Charakteren in virtuellen Situationen an. Insbesondere die zuletzt ge-
nannten Kommunikationsplattformen erlauben eine zeitlich äußerst auf-
wendige und sehr kreative Kommunikation, die bis zum Erfinden eines
neuen, anderen Ichs und eigener – virtueller – Sozialräume in
Chatrooms und MUDs/MUSESs reichen. Obwohl die dabei gemachten
Erlebnisse der Jungen auf virtuellen Situationen beruhen, gehen sie mit
einer realen intensiven Erfahrungen der eigenen Möglichkeiten, Gefüh-
len, Fantasien und Vorstellungen einher. Damit öffnet sich für viele Jun-
gen eine bedeutende Welt, die weit mehr interessiert als die technischen
und rein kognitiven Aspekte des Internets. Der hier nicht abwertend ge-
meinte Unterhaltungs- und verführerische Charakter dieser kommunika-
tiven Angebote und hier insbesondere der Rollenspiele trägt zur Faszi-
nation Jugendlicher für diese virtuellen Welt entschieden bei.

Diese technisch neue, einen weltweiten Kontakt und damit räumliche
und zeitliche Grenzen und persönliche Einschränkungen überschreiten-
de Kommunikation kommt den individuellen Bedürfnissen der Jungen
und den gesellschaftlich-kulturellen Anforderungen an Jungen im Zuge
der Globalisierung und innerhalb postmoderner Gesellschaften, situativ
bezogen verschiedene Rollen und Identitäten leben zu können, entge-
gen. Die Anonymität dieser virtuellen Welten, kein Teilnehmer muss sei-
ne tatsächliche Persönlichkeit preisgeben, und das ähnliche Interesse
der Beteiligten regen zu einem äußerst kreativen Spiel mit Meinungen,
Fantasien und Identitäten an. Verschiedene Männlichkeitsentwürfe kön-
nen in der virtuellen Begegnung mit anderen Personen scheinbar ohne
Risiko erprobt werden. Die Intensität der Erfahrungen mit geschlechts-
bezogenen Entwürfen fordert allerdings ebenso die Begleitung durch
Erwachsene heraus wie die Möglichkeit übergriffiger Verhaltensweisen
oder das unter Umständen suchfördernde Potential insbesondere der
MUDs/MUSESs.
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Chatroom und MUD: Räume der Begegnung, Selbstfindung und
–erfindung

Viele Internetangebote bieten bereits über ihren reinen Angebots- und
Informationscharakter hinaus in unterschiedlichem Umfang interaktive
Reaktions- und Aktionsmöglichkeiten: Manche Website bietet ein Gäs-
tebuch für Eintragungen, eine Seite von Schaf-Fans lädt zur musikali-
schen Komposition mit dem Blöken der Schafe per Mausklick ein, bei
kommerziellen Anbietern wie Ebay können Produkte ersteigert werden,
andere Sites bieten die Teilnahme an Spielen an. Chatroom und MUD
unterscheiden sich im Umfang interaktiver Kommunikationsmöglichkei-
ten hiervon sehr deutlich.

Chatrooms oder einfach Chats bieten neben den Computer-Konferenz-
Diensten, speziellen Foren, den News- und Mailgroups den fünften zent-
ralen Bereich der Internetkommunikation. Im Gegensatz zur traditionel-
len Kommunikation auf dem Postwege (Snail-Mail) kommunizieren die
Beteiligten in Echtzeit. Die ersten Chat-Bereiche wurden von Online-
Diensten angeboten, die auf Computerkonferenzen spezialisiert waren.
Hier hatte es sich gezeigt, dass viele der an einer solchen Konferenz
Beteiligten es bevorzugten, statt über fachliche Themen über Persönli-
ches zu „reden“. In einem Chatroom kommunizieren die Beteiligten mit
verschriftlichter Sprache unter Nicknamen (Pseudonymen) miteinander.
Die Wahl eines Nicknamen bewirkt, dass die wirkliche Person und deren
Leben erst einmal für die anderen Beteiligten nicht zugänglich ist. Zur
Voraussetzung für die Beteiligung an einem solchen Chatroom gehört
allerdings die persönliche Anmeldung beim zuständigen Provider (Onli-
ne-Dienst) und die Entscheidung für einen Nicknamen und das übliche
Passwort. Überaus wichtig ist weiterhin, dass sich der Teilnehmer im
Rahmen des sprachlichen Codes des jeweiligen Chats mitteilen und
verständlich machen kann. Routiniertere Chatteilnehmende unterstützen
meistens Neueinsteiger bei ihren ersten Kommunikationsversuchen.

Die Teilnehmer/innen sind gehalten sich an Regeln zu halten, so dass
übergriffiges, beleidigendes, sexistisches und rassistisches Verhalten,
das als Flame und dessen Verursacher als Flamer bezeichnet wird, ge-
genüber anderen Chattern nicht zugelassen sind. Ein Administrator
oder auch Operator überwacht oftmals ehrenamtlich das Geschehen im
Chatroom und kann Teilnehmende, die gegen die Regeln verstoßen,
aus dem Chatroom verweisen und ihnen ganz den Zugang verwehren.
Diese Perspektive ersetzt aber nicht die Notwendigkeit, dass Teilnehmer
selber Grenzen ziehen. Das Angebot an Chats umfasst weltweit einige
Tausend Plattformen für alle möglichen Zielgruppen und eine Themen-
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palette, die der von Talkshows in nichts nachsteht. Die Internetseite
www.webchat.de listet aktuelle Chats und die Anzahl der Chatter/innen
auf. Bei – männlichen – Jugendlichen besonders beliebt sind

·     Chatcity.de (alle Themen),
·     Edencity.de (Flirt),
·     Puschkin.de (Flirt und Barchat des gleichnamigen Wodkas, Män-
      nerorientiert),
·     Binichsexy.de (Flirt mit Selbsteinschätzung),
·     Hotornot.de (Attraktivitätstest und Flirtchat)
·     und Chats in der jeweiligen Landessprache der Besucher.

Allgemein von und für Jugendliche gemachte Chats sind beispielsweise
-    www.virtuellewelt.de (ein Chat des Cyberland-Projektes),
-    www.spickzettel.de (von und für Schüler/innen).

Ein MUD (Multi User Dungeon) oder MUSE (Multi-User Simulation
Enviroment) bietet Möglichkeiten, die weit über den Chatroom hinaus-
gehen. Als MUDs und MUSEs werden heute eine Vielzahl virtueller
Spiel- und Sozialräume bezeichnet, die ausschließlich im Internet bzw.
den angeschlossenen Computern existieren. Die mittelalterlich ange-
hauchten und als Abenteuerwelt konzipierten MUDs haben ihren Ur-
sprung in dem Anfang der 70er Jahre mit großem Erfolg vermarkteten
Rollenspiel „Dungeons and Dragons“. Ein Dungeon-Meister (Dungeon,
engl.: Burgverlies, Kerker) erfindet dabei Welten mit Charakteren, die
dann ausgefeilte Abenteuer bestehen. Diese Spielvorlage wurde erstma-
lig von dem z.T. mit Texten arbeitenden Computersimulationsspiel „Ad-
venture“ aufgegriffen. In einem MUSE, die häufig auf universitären
Computern installiert sind, schaffen die Teilnehmenden ebenfalls meis-
tens Abenteuerlandschaften, die allerdings mittels der versendeten spe-
ziellen Computersprachen sehr individuell gestaltet werden können und
sich gegenseitig beeinflussen sollen.

Bereits Anfang der 90er Jahre gab es über 200 Multi-User-Spiele im in-
ternationalen Computernetzwerk. Die Gruppe dieser „Netzwerspieler“
wächst weiterhin stark. Allein im Bereich der LAN-Szene (Local Area
Network), einer Gruppe, die sich selbstorganisiert bundesweit zu Spiel-
turnieren mit eigenem lokalem Intranet (lokales, z.B. firmeninternes
Computernetzwerk) verabredet und ein ausgesprochen faires und hilfs-
bereites Miteinander pflegt und keineswegs die Gewalttätigkeit ihrer Mit-
glieder wie in den Medien immer wieder behauptet provoziert, wird sich
die Zahl der zur Zeit noch eher männlichen Teilnehmer von ca. 125000
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im Jahr 2002 nach Schätzungen der Arbeitsgruppe Jugendszene (Prof.
Hitzler/Universität Dortmund) in den nächsten beiden Jahren mindestens
verdoppeln. Sogenannte Ego-Shooter-Spiele wie Counter-Strike, dessen
erstes Vorläufermodell Ende der 80er Jahre (Gun Shot) programmiert
wurde, unterscheiden sich mit ihrer vorrangig strategischen und team-
orientierten Zielsetzung und ihrer Schwarz-Weiß-Welt ebenso wie der
Funny-Spielebereich grundsätzlich von der Komplexität der Rollenspiel-
variante der MUD´s und MUSEs. Besonders beliebte bzw. erfolgreiche
kommerzielle Rollenspielangebote im Internet sind aktuell

-     Everquest (weltweit über 300000 Spieler, 1999 ediert, mittlerweile
      Gold Edition mit den „Expansion-Packs“ „Ruins of Kunark“ usw.),
-     Diablo 2,
-     Baldurs Gate 2.

Besonders das erfolgreiche Everquest bietet dem Spieler sehr viele rea-
listische Gestaltungsmöglichkeiten, die eine Auswahl zwischen 14
Gruppentypen, 15 verschiedenen Klassifizierungen und hunderter Fä-
higkeiten erlauben.

Bei – männlichen – Jugendlichen besonders beliebt sind:
·     Counter-Strike (Ballerspiel, Egoshooter),
·     Quake 3 (Egoshooter),
·     Unreal Tournament (Egoshooter),
·     Diablo 2 (Adventure/Rollenspiel),
·     Warcraft 3 (Strategiespiel).

In einem MUD ersinnt der Beteiligte sich eine oder mehrere – männliche
oder weibliche, mehr- oder ungeschlechtliche - Identitäten, die über den
Nicknamen hinaus mit einem erfundenen Aussehen und Lebensraum
einhergeht. Einige MUDs wie Diablo 2 geben den Beteiligten Stereoty-
pen mit einer überschaubaren Palette an körperlichem Aussehen und
einer Reihe von verschiedenen Kleidungsmöglichkeiten, Geräten/Waffen
und Fähigkeiten vor. Andere erlauben eine Vielfalt von Gestaltungsmög-
lichkeiten, die das Äußere, den Lebensraum oder auch die gleichzeitige
Aktion mit verschiedenen Avataren (Kunstfiguren) durch einen Akteur
umfassen.

Die möglichen Interaktionen finden in einem von den erfundenen Figu-
ren abgestecktem Rahmen statt. Mit Hilfe einer einfachen Programmier-
sprache bzw. entsprechend vorgegebener Menüs erzeugen die Beteilig-
ten ihre Handlungsbühne mit eigenen Regeln im jeweiligen MUD. Insge-
samt entwickeln sich die Charaktere und Handlungen im Rahmen des
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Themas des MUDs, von denen viele in mittelalterliche – wie Everquest -
oder Science-fiction-Welten (ent-)führen. Es gibt aber auch offene An-
gebote, die der Fantasie freien Lauf lassen, in denen z.B. junge Jugend-
liche Räume mit Schatztruhen einrichten. Hierhin laden sie ihre virtuellen
Freunde ein zum Flirten, oder um gemeinsam zu Abenteuern auf
Schatzinseln oder zu Partys aufzubrechen.

Die Komplexität der Kommunikation und Interaktion, die Erfindung von
sozialen Regeln, Lebensentwürfen und –verläufen insbesondere im
MUD und noch mehr in MUSE spiegelt durchaus die Komplexität realer
Sozialräume wieder. Diese virtuellen Welten erweisen sich eindeutig als
postmoderne Räume mit einer fehlenden eindeutigen Orientierung bzw.
mit einer Vielzahl von Orientierungsmöglichkeiten. Die Star-Trek-Welt
existiert gleichzeitig neben der der Hobbits und der von Madonna. Alles
kann mit allem kommunizieren, agieren und reagieren.

Das Ich des Users wird seines realen Zentrums enthoben, es reist in alle
zeitlichen Richtungen, ist gleichzeitig an mehreren Orten mit verschie-
denen Identitäten. Die erfundene Figur präsentiert im virtuellen Raum
das tatsächliche Ich des Users ebenso wie sie es gleichzeitig anonymi-
siert. Damit kann sich das künstliche Ich ähnlich wie bei der im
Chatroom vorgestellten Person sehr nah oder sehr weit entfernt vom
tatsächlichen Ich des Erfinders befinden oder genauer gesagt präsen-
tiert und inszeniert werden. Die Wechselwirkung zwischen erwarteter
Rezeption und der Gestaltung des virtuellen Ichs kann soweit gehen,
dass dieses nur noch im Hinblick auf die erwartete Reaktion inszeniert
wird. Kein anderer „Sozialraum“ lädt dermaßen zum Spiel mit der eige-
nen Identität und zum Ausprobieren anderer Identitäten ein. Im Bereich
der Jugendszenen weist das Verhalten der Teilnehmer bei den Events
der Technoiden oder Rollenspieler Parallelen zu dieser durchaus expe-
rimentellen Lebenseinstellung auf.

Mit den Chats und MUDs/MUSEs bieten sich Jungen eine einzigartige
Möglichkeit persönliche Vorstellungen und Probleme virtuell zu über-
denken und Lösungen und Fantasien auszuprobieren, Resultate dieser
individuellen Prozesse in der virtuellen Welt sofort wahrzunehmen und
zu erleben und in dieser direkten und schnellen Wechselwirkung von Ak-
tion und Reaktion Veränderungen umgehend und beliebig vornehmen
zu können. Entsprechend direkt und unverblümt ist die Sprache in den
meisten Chats.

Bei diesen Prozessen der Selbstfindung und Selbsterfindung müssen
Jungen sich nicht an die Männlichkeitsentwürfe ihrer Vorbilder halten,
Neue Medien in der Jungenarbeit: Chat und MUD                           137

wie Jungen es oftmals aus Unsicherheit heraus im wirklichen Leben ma-
chen, also z.B. so mit einer vermeintlichen Frau im Internet flirten, wie es
ihnen ihr Leinwandheld vormacht. Erwartungen von Müttern, Vätern,
Lehrer und „Kollegen“ an die männliche Orientierung und das tatsächli-
che Verhalten des Jungen als heranwachsender Mann verlieren eben-
falls ihren Einfluss auf das Auftreten des Jungen im Chat. Denn ein Jun-
ge kann sich jederzeit dazu entscheiden, als ein Mädchen, eine Frau
oder ein Mann im Chat aufzutreten, um Einsichten darüber zu gewinnen,
wie ein Mann sich z.B. bei einem Flirt – erfolgreich – verhalten kann.
Spielerisch lernt ein männlicher Jugendlicher gerade durch den Wechsel
der eigenen Identität sich selber und seine Möglichkeiten kennen. Er
entwickelt aus der Kommunikation mit virtuellen Männern/Jungen und
Frauen/Mädchen seine männliche Orientierung.

Dabei verwischen sich die Grenzen zwischen der virtuellen Welt und
dem was User als TRW (The Real World) oder RW (Real World) be-
zeichnen. Der in einem MUD/MUSE virtuell geführte Diskurs der Betei-
ligten über die kulturellen und sozialen Verhältnisse und Regeln im ent-
sprechenden MUD/MUSE kann als Modell zu einem Diskurs bzw. als
zukünftiger grundlegender Umgang mit realen Sozialräumen wie z.B.
Szenen angesehen werden. Traditionen und allgemeine gesellschaftli-
che Normen und Verpflichtungen werden zunehmend weniger diese rea-
len und virtuellen Lebensräume prägen. Damit gehen die Möglichkeiten
eines Chats und MUDs aber auch weit über die Funktionen eines einfa-
chen Rollenspiels hinaus. Deren Möglichkeiten potenzieren sich in den
virtuellen Welten, nicht zuletzt dadurch, dass das Spiel Teil des Alltags
des Users wird, aber, ein Teil des Alltags, in dem die beteiligten Jungen
ihre Vorstellungen und Probleme durchleben und durcharbeiten und kei-
neswegs vor ihnen flüchten (Sherry Turkle 1998). Jungen lernen in
Chats und MUDs über die Kontrolle - mittels der PC-Technik und ihrer
Software - ihres eigenen Handels hinaus, Grenzen zu ziehen und zu
achten, mit anderen Menschen zu kommunizieren und zu interagieren.
Mit der dabei möglichen und erlebten Vielfalt an Ich-Anteilen und Ich-
Projektionen, an denen Personen mit posttraumatischen Dissoziation-
serscheinungen sonst leiden, gehen Jungen spielerisch-konstruktiv und
gewinnbringend um.

Insofern erfahren Jungen virtuelle Welten auch nicht als eine düstere,
destruktive, gefährliche und ausschließlich problembeladene Welt und in
der entsprechenden Jungenarbeit erwartet sie damit schon gar keine
„Schwarze Pädagogik“. Das andere Stereotyp, dass Jugendlichen in die
virtuellen Welten entfliehen, entbehrt durch die enge Verzahnung realer
und virtueller Welten und deren Bedeutung für die Entwicklung der Per-
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sönlichkeit des Users ebenfalls einer nachweisbaren Grundlage. Der
Realitätscharakter virtueller Sozialräume eignet sich nur – zeitlich - be-
grenzt zur Wirklichkeitsflucht.

Die Sorge mancher Eltern, Politiker, Medienvertreter und Pädagogen,
das Chats und MUDs und insbesondere letztere durch ihren Spielcha-
rakter ein hohes Suchtpotential bergen, ist ebenfalls so nicht gegeben.
Zwar können aktuelle Lebenskrisen zu einer extrem zeitaufwendigen
Nutzung insbesondere von MUDs führen, mit deren – virtueller - Durch-
arbeitung allerdings auch die Nutzung nachlässt bzw. aufhört (Sherry
Turkle 1998/ www.chatsucht.de). Als vorbeugende Maßnahme einer
derartigen. auch sehr kostenintensiven Nutzung von Chats und MUDs
lässt sich u.a. durch zeitliche Limitierungen und einen methodischen
Wechsel in den Arbeitsphasen begegnen. Diese sollten auch die fehlen-
den Sinnlichkeit und Körperlichkeit des Chattens und des Spielens im
MUD ausgleichen.

Praxismodell J

Das nachfolgende Praxismodell skizziert einzelne Schritte und Möglich-
keiten der Jungenarbeit mit virtuellen Welten. Im Mittelpunkt stehen da-
bei die erst einmal einfacher zu handhabenden Chats. Das Praxismodell
beruht neben den oben gemachten Überlegungen auf den Grundlagen
Geschlechtsbewusster Jungenarbeit und damit auf einem Verständnis
von Männlichkeit, dass über die biologischen Grundlagen hinaus (Sex)
Männlichkeit als soziales und kulturelles Produkt (Gender) versteht bzw.
dekonstruiert. Männlichkeitsentwürfe, deren Gestaltung und ansatzweise
Reflektion mit den beteiligten Jungen, stehen im Mittelpunkt der Vor-
schläge. Medienpädagogische Überlegungen wie die Auseinanderset-
zung mit den Medium Chat/MUD und deren „Konsum“ durch Jungen und
die aktive Nutzung dieses Mediums für eigene Wünsche fließen in das
Projekt ein. Neben der Beachtung der oben genannten Bedenken im
Zusammenhang mit der Nutzung dieses Mediums wird hier besonderer
Wert auf das Erlernen kommunikativer Grundlagen gelegt:

·     Einhalten und Setzen von Grenzen,
·     Eingehen auf die Beiträge anderer,
·     Achtung der eigenen Bedürfnisse,
·     Differenzierung des kommunikativen Vermögens.

Deswegen entwickeln die Jungen zusammen mit dem Jungenarbeiter
eine Netiquette. Für diese wie für das gesamte Beispiel besteht die Not-
Neue Medien in der Jungenarbeit: Chat und MUD                          139

wendigkeit, alle Vorschläge auf die zur Verfügung stehenden Ressour-
cen und die Interessen der Jungen hin abzustimmen. Zur Verfügung
stehen sollte ein Internetcafe bzw. ein PC mit Internetzugang pro Junge.
Die Jungen sollten 14 –16 Jahre alt sein und erste Erfahrungen im Um-
gang mit PCs haben und die Tastatur usw. zügig bedienen können. Si-
cherheit in Rechtschreibung und Grammatik spielen keine Rolle. Neben
dem Internetraum steht ein weiterer, gemütlich eingerichteter Raum für
Gespräche und Körperübungen zur Verfügung.

Der anleitende Jungenarbeiter verfügt über eigene Erfahrungen mit
Chats und MUDs. Insbesondere die Jungenarbeit mit neuen Medien –
etwa vergleichbar mit der Arbeit mit bestimmten Jugendszenen – relati-
viert die Vorbildfunktion des Jungenarbeiters im Verhältnis zu anderen
Arbeitssituationen in der Jugendhilfe. Selbst jüngere männliche Jugend-
liche verfügen manchmal bereits über ein Expertenwissen, was die Nut-
zung des Internets oder von Spielen angeht, das das Know-how des
Jungenarbeiters bei weitem übertrifft. So haben diese jungen Experten
auf ihrem Gebiet ebenfalls eine Vorbildfunktion nicht nur für andere Jun-
gen in der Gruppe sondern auch für den Jungenarbeiter, zumindest, was
den Umgang mit diesem Medium angeht. Die Vorbildfunktion dieser
Jungen, die entsprechenden Respekt vom erwachsenen Jungenarbeiter
erwarten (dürfen), und deren Reflektion durch den Teamer fließen in die
Planung und Durchführung des Modells ein.

Die Vorbereitung der praktischen Arbeit ist langfristig zu planen, schließ-
lich gilt es geeignete Chats auszusuchen oder noch besser, Kooperati-
onspartner aus der Jugendarbeit zu finden, die einen eigenen Chat
betreiben oder für den Zeitraum des Praxismodells einrichten können.
Eine Kooperation hat den Vorteil, das die Jungen verschiedener Grup-
pen im Verlauf der Durchführung ihre wahre Identität offen legen können
und zusätzlich die Chance haben, sich auch real kennen zu lernen und
sich zudem auf einer Chat-Party zum Abschluss zu treffen. Die nachfol-
genden Überlegungen gehen von der Entscheidung für einen Chat als
einfachste Arbeitsmöglichkeit aus.

Nettiquette (Dauer ca. 1,5 – 2 Stunden)

Um allen Usern in Chaträumen einen guten Einstieg zu ermöglichen,
gehen mehr und mehr Anbieter/innen von Chatrooms dazu über, ent-
sprechende unterstützende Angebote zu formulieren. Oft sind die ein-
fachsten Benimmregeln in einer netten Etikette verpackt. Das nennt sich
dann einfach Nettiquette oder Chattiquette. Diese "Benimm Dich Tips"
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bieten Jungen und Mädchen die Möglichkeit ihr eigenes Handeln zu re-
flektieren und zu verändern. Die gemeinsame Entwicklung einer "Netti-
quette" bietet z.B. in der Jungenarbeit die Möglichkeit, sich mit jungen
Männern über gelingende und misslingende Kommunikation auseinan-
der zusetzen. Zudem erschließen sich (Verhaltens-) Regeln, die man
selber entwickelt, besser als wenn andere sie einem vorsetzen.
Zu Beginn werden mögliche Erfahrungen oder gehörte Geschichten zum
Thema Chatten angesprochen und es wird kurz erläutert, was ein Chat
ist: Chat als Raum im Internet mit einem Austausch in Echtzeit, die Ano-
nymität des Chats, beliebte Themen, Flirts, verwendete Sprache, Smi-
leys und vor allem Regeln des Austausches und erlebte Irritationen wie
Beleidigungen und sexistische Anmache. Die letzten beiden Stichworte
bilden die Grundlage für die Entwicklung der Netiquette. Ausgiebig dis-
kutieren die Jungen hier meistens, wie sie angeredet und behandelt
werden möchten. Anmerkungen notiert der Jungenarbeiter z.B. auf einer
Wandzeitung im Rahmen der Umrisszeichnung eines „Chatbaums“, bei
dem die oben genannten Stichwörter die Äste bilden. Der Jungenarbei-
ter spricht zumindest den Umgang mit sexistischen Äußerungen - eige-
nen und fremden - an.

Es erfolgt ebenfalls ein Hinweis auf die Funktion des Administrators im
Chat und auf den „passenden“ Auftritt (vgl. weiter unten den Abschnitt
„Sprache im Chat“). Ferner wird von allen beschlossen keine persönli-
chen Daten wie Namen, Anschriften und Telefonnummern herauszuge-
ben, geschweige denn ein Treffen zu vereinbaren, ohne dass die Identi-
tät des anderen eindeutig klar ist! Also, handelt es sich tatsächlich um
einen Jungen oder ein Mädchen, den/die man kennen gelernt hat, oder
um einen Erwachsenen, der einem dann mit welchem Interesse begeg-
net? Es ist nicht auszuschließen, das sich Erwachsene oder auch Pä-
dophile als Jugendliche getarnt in den Chat einloggen, um andere für
ihre Zwecke auszunutzen.

Die folgende Chattiquette ist ein Produkt gemeinsamer Auseinanderset-
zung aus dem Internetcafé Komm@Pott in der Dortmunder Nordstadt
(Träger ist die Ev. Jugend), in dem vornehmlich Migrantenjugendlichen
zu Gast sind. Auszug aus der Komm@Pott Chattiquette oder ein paar
"Tuh et" und "Lattet bessa seien!" für das Leben im Chat:

·     Wähle einen originellen Nick! Oder sprichst Du gerne Leute an, die
      Peter19 oder Mausi16 heißen?
·     Wenn Du in einen Chatroom kommst, sage artig "Hi". Eine nette
      Begrüßung hat schon so mancher spannenden Plauderei Tür und
      Tor geöffnet.
Neue Medien in der Jungenarbeit: Chat und MUD                         141

·     Wenn Du zum ersten Mal in einem Chatroom bist (z.B. in unse-
      rem Tip des Monats), schaue Dich um, wie die Stimmung und die
      Themen sind. Es sei denn, Du möchtest Dich als sympathischer
      "Hallo, hier bin ich!" -Typ outen.
·     Wenn sich gerade nur Unhöflinge im Chat tummeln und Dich nie-
      mand rehit, stelle eine pfiffige Eröffnungsfrage - und damit meine
      ich nicht so abgedroschene Phrasen wie: "Hat jemand Lust mit mir
      zu chatten?" oder "Tolle Frauen aus dem Ruhrgebiet hier?“ Im
      Chat gibt´s natürlich auch Dummschwätzer/innen. Wenn sie Dich
      annerven, lege Dich nicht mit Ihnen an, sondern ignoriere sie!
      Hierfür gibt es in fast jedem Chatroom einen Befehl, den Du ein-
      geben kannst.
·     Sei zögerlich bei der Verbreitung von persönlichen Daten (Adres-
      se, Telefonnummer...). Denn wie sicher bist Du, dass wirklich eine
      vertrauensvolle Person am anderen Bildschirm sitzt, die kein
      Schindluder mit Deinen Angaben macht und "für Dich" ein paar
      Kühlschränke bestellt?
·     SCHREI NICHT IMMER SO RUM!!! Dauerblinken nervt genauso!
      Sag´ beim Abschied leise „servus“ oder ein simples „cu@all“.

In einem weiteren Schritt vergleichen die Jungen ihre Nettiquette mit der
offiziellen des Chats, die ausgedruckt als große Kopie vorliegen sollte
oder von den Jungen selber ausgedruckt wird: Gibt es Übereinstimmun-
gen? Warum finden sich in der Chat-Nettiquette andere Regeln. Manche
Chats bieten ein Schwarzes Brett (Forum) auf dem die Jungen ihre Ü-
bereinstimmung oder Vorschläge zur Veränderung der Chat-Nettiquette
mitteilen können, die dann wiederum andere User in diesem Forum dis-
kutieren.

Wahl eines Nicknamen (Dauer 1 – 1,5 Stunden)

Die Entscheidung für einen Nicknamen, der den anderen nicht mitgeteilt
wird, wenn sich anschließend alle im gleichen Chat einloggen, erfolgt
aufgrund einer sorgfältigen Vorbereitung. Schließlich bildet der Nickna-
me einen Ansatzpunkt, um das virtuelle Ich zu kreieren. Als Nickname
eines Jungen kommt neben seinem Spitznamen oft der seines Vorbilds,
die meistens aus Filmen oder aus dem Leistungssport stammen, infra-
ge. Manche Jungen wählen den Popstar ihre Szene wie z.B. einen be-
rühmten Skater. Trotzdem sollte es ein Gespräch über Vorbilder geben,
in dem wichtige – geschlechtsspezifische – Eigenschaften und Erwar-
tungen, Orientierungen, Handlungen und Vorlieben angesprochen wer-
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den, bevor sich jeder Junge für einen Nicknamen entscheidet. Ansons-
ten sind der Fantasie im Rahmen der Netiquette keine Grenzen gesetzt.

Alternativ regt der Jungenarbeiter die Wahl des Nicknamen über das
Vorlesen einer Story oder eine Fantasiereise an. Findet das Vorhaben
als Projekt mit zwei Jungengruppen statt, so stellen die Jungen ihren
Nicknamen in ihrer jeweiligen Gruppe vor und diskutieren dessen mögli-
che Eigenschaften und ob diese zum Namen passen. Besteht die Mög-
lichkeit mit Avataren zu arbeiten, besprechen die Jungen auch deren
mögliches Aussehen. Jeder Junge vermerkt diesen Namen auf einem
vorbereiteten Blatt, auf dem er in der nächsten Phase schließlich weitere
Angaben über sein virtuelles Ich notiert.

Entwurf des Lebenslaufs des Nicknamen-Ichs (1 – 1,5 Stunden)

Aufgrund der vorherigen Überlegungen konkretisiert jeder Junge sein
virtuelles Ich und schreibt auf den vorbereiteten Lebenslaufbogen Stich-
worte zum Alter, dem Wohnort, seiner Clique, seinem Motto, Vorlieben
und Hobbys und zu dem, was man nicht mag auf. Diese Notizen er-
gänzt jeder Junge um eine Abbildung, also nicht nur um ein Porträtfoto
sondern auch um eine Zeichnung, ein Tag (Schriftzug eines Sprayers),
ein Ornament u.ä.. Zur Vorbereitung des nächsten Schrittes scannen die
Jungen diese Abbildungen ein und speichern die Datei auf ihrem Com-
puter.

Im nächsten Schritt meldet sich jeder Junge im Chat an und schützt sei-
nen Nicknamen mit einem Passwort, soweit der Nickname nicht schon
vergeben ist. Nur selten ist die Wahl eines anderen Nicknamen erforder-
lich. Die meisten Chats bieten die Möglichkeit biographischen Angaben
zum User in Form eines Userprofils zu präsentieren. Hier geben die
Jungen Stichworte aus ihren virtuellen Lebensläufen ein. Andere User
haben die Möglichkeit sich dieses Profil anzusehen und natürlich die
Chance, ihr Wissen in den Chat einzubringen. Hat der User sich jetzt
angemeldet, kann er mit dem Chatten beginnen.

Exkurs: Verständigung im Chat

Die Gespräche verlaufen sehr schnell und spontan im Chat. Ständig
wird agiert und reagiert, so dass für ausschweifende Erläuterungen, ver-
schachtelte Sätze und lange Worte kaum Zeit bleibt. Das Niveau der
Sprache orientiert sich an den Überlegungen zur Nettiquette
Neue Medien in der Jungenarbeit: Chat und MUD                        143

Geläufige Icons und Smileys:
Abkürzungen und Emoticons oder Icons sind zwar keine Bedingung
beim Chatten, machen es aber doch spaßiger und kurzweiliger. Dahinter
verbirgt sich eine Insider-Sprache. Die meisten Abkürzungen beziehen
sich auf englische Redewendungen, von daher ist es gut ein bisschen
Englisch zu können. Nachfolgend eine kleine Auswahl von Emoticons
und Abkürzungen. Bei den Emoticons einfach den Kopf zur linken Schul-
ter neigen und sich das ganze noch mal ansehen, die Smileys erklären
sich dann wie von selbst...Besonders beliebt sind die unter Jugendlichen
meistens schon per SMS bekannten Icons bzw. Smileys:

:-)               Standardsmiley, Teilnehmer freut sich
:)                Smiley-Kurzversion für Eilige
:-)) :-)))        Teilnehmer freut sich sehr (bedeutet eher selten Dop-
                  pelkinn oder Neigung zu Übergewicht bedeuten)
:-(               unglücklich oder enttäuscht
:(                Kurzversion für unglücklich
:-* :-x           Kuss
:-I               weiß nicht, ich habe hierzu keine Meinung
:->               das war sarkastisch
:-/               skeptisch
:-D               Teilnehmer lacht (dich aus)
:'-(              Teilnehmer weint
:@                Teilnehmer kreischt
:-#               Teilnehmer ist verschwiegen
:-Q               Raucher/in
;-}               Flirt bzw. "meine Aussage ist nicht so ernst gemeint"
;-)               zwinkern
>:>               Teilnehmer macht eine miese Bemerkung
%)                Teilnehmer ist betrunken
IO                Teilnehmer gähnt
X(                Teilnehmer ist gerade vor Schreck gestorben
O:)               Teilnehmer ist ein Engel (zumindest in seinem tiefsten
                  Inneren)
@))->->-          Cyber-Rose
%%%))----         Cyber-Blume
\_P               Teetasse
I_B               Kaffeebecher
\_/               Glas oder Becher
@Á@               Brille
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(((((( ))))))     Umarmung (wobei der Name des gemeinten Teilneh-
                  mers zwischen die Klammern geschrieben wird. Die
                  Klammeranzahl variiert je nach ausgedrückter Zunei-
                  gung.)

und einige immer wieder verwendete Akronyme:
[blush]         errötet, ist verlegen
[chuckle]       gluckst, lacht leise in sich hinein
[confused]      ist verwirrt
[curious]       ist neugierig
[frown]         runzelt die Stirn
[giggle]        kichert
[hugs]          Umarmung
[innocent look] schaut ganz unschuldig drein
[mumble]        murmelt in sich hinein
[nod]           nickt
[ponder]        überlegt
[pout]/ [sulk]  ist beleidigt
[sigh]          seufzen
[wave]          Winken
[weg]           wide evil grin (grinst teuflisch)
[wink]          zwinkert
[g]/[bg]/[vbg]  grin/big grin/very big grin (grinst/grinst breit/sehr breites
                Grinsen)
[s]/[bs] /[vbs] smile/big smile)/ very big smile (lächelt/lächelt breit,
                schmunzelt sehr breites lächeln)

AFK               away from Keyboard (gerade nicht am PC)
B4N               bye for now (Auf wiedersehen für heute)
BAK               back at the Keyboard (bin wieder zurück)
BBL               be back later (komme später nochmal)
BRB               be right back (bin gleich wieder da)
BSF               be serious, folks (seid doch bitte ernst, Leute)
BTW               by the way (übrigens..)
CU                see you (bis bald)
f                 female (weiblich)
F2F               face to face (unter 4 Augen)
FOAD              fuck off and die (verpiss dich)
FOC               free of charge (kostenlos)
FSRD              flying shit in a rolling Donut (das ist absoluter Blödsinn)
FYA/ FYE          for your amusement/ for your entertainment (hab Spaß
                  damit/zu deiner Unterhaltung)
FYI               for your information (zu deiner Information)
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GA                go ahead (mach weiter)
GLGH              good luck and good hunting (Viel Glück und guten Er-
                  folg)
GR&D              grinning, running & ducking (grinsen, schnell weglaufen
                  und sich ducken)
HHOJ              hehe, only joking (Haha, mach doch nur Spaß)
IAE               in any event (auf jeden Fall)
ILU/ ILU2         I like you/I like you too (ich mag dich/ich mag dich
                  auch)
IMO               in my opinion (meiner Meinung nach)
IOW               in other words (mit anderen Worten)
KISS              keep it simple and stupid (erklär das doch bitte einfa-
                  cher)
LOL               Laughing out loudly (lacht laut)
LTNS              Long time no see (wir haben uns lange nicht gesehen)
m                 male (männlich)
NSS               no Shit, shylock (nein, geht leider nicht, ich bin zu
                  schüchtern)
OIC               oh, I see (aha, verstehe..)
PMFBI             pardon me for butting in (entschuldige das ich mich
                  einmische)
ROFL              rolling on floor, laughing (lacht sich tot)
TA4N              thats all for now (das war's für jetzt)
*poof*            ich schalte jetzt endgültig ab

Im Chat (4 – 5 Stunden)

Bevor die Jungen mit dem Chatten beginnen einigen sich alle auf die
Zeit für eine erste Auswertung und Pause, z.B. nach 1,5 Stunden. Stand
der Jungenarbeiter zuvor noch beratend zur Seite, so agieren die Jun-
gen jetzt selbständig. Ausgehend von ihren Vorbereitungen entwickeln
sich die Gespräche im Chat in der Regel schnell. Die zuvor entworfenen
virtuellen Ichs konkretisieren und verändern sich jetzt im Rahmen der
wechselseitigen Kommunikation.

Nach anderthalb Stunden folgt eine erste Pause und ein Erfahrungsaus-
tausch:
-    habe ich Gesprächspartner gefunden,
-    wie komme ich an,
-    wer sind meine Gesprächspartner,
-    funktioniert die Nettiquette,
-    bin ich zufrieden mit meinem virtuellen Ich.
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Zeigen sich mehrere Jungen unzufrieden mit ihrem virtuellen Ich, emp-
fiehlt sich in dieser Phase ein weiterer Input. Dieser kann als Fantasie-
reise durchgeführt werden. Anregungen zur Konkretisierung der Eigen-
schaften des virtuellen Ichs oder Berichte über erfolgreiche Gesprächs-
verläufe sind ebenso möglich. Bevor es dann weitergeht, lockern alle mit
Bewegungsübungen ihre Muskulatur, insbesondere die des Rückens,
der Arme und Hände. Erneut setzen sich die Beteiligten ein zeitliches
Limit. Die jungen Chatter entscheiden wiederum selber über ihre Pau-
sen.

In der zweiten Phase intensivieren die Jungen ihre Erfahrungen mit ih-
rem virtuellen Ich, differenzieren dessen Eigenschaften aus. Das Erle-
ben der Reaktionen und Aktionen wird nach der Aufregung der ersten
Phase intensiver. Diese zweite Chatphase verläuft in der Regel länger.
Der Jungenarbeiter steht beratend zur Seite und achtet auf die Einhal-
tung des zeitlichen Limits.

Die nachfolgende Auswertung thematisiert erst einmal den Verlauf die-
ser Chatphase und orientiert sich an den ersten drei der oben genann-
ten Stichworte. In einem zweiten Schritt schätzen alle die Qualität ihres
virtuellen Ichs ein:
-     wie hat sich mein Chat-Ich entwickelt,
-     welche meiner – männlichen - Eigenschaften und Aktionen sind
      angekommen bei anderen Chattern,
-     wie waren die Reaktionen der anderen,
-     war deutlich, ob der/die Gesprächspartner/in ein anderer Junge,
      ein Mädchen oder ein Erwachsener war,
-     was hat mir besonders gut, was überhaupt nicht gefallen,
-     bin ich zufrieden mit meinem Chat-Ich?

In nächsten Schritt sprechen die Jungen Situationen an, in denen sie
sich von den Äußerungen anderer abgegrenzt haben oder zurück- bzw.
zurecht gewiesen wurden. Der Jungenarbeiter spricht dabei mögliche
Unterschiede in den Reaktionen „männlicher“ oder „weiblicher“ Ge-
sprächpartner an. Hier werden die Gründe für die Abgrenzungen und die
Art und Weise, wie Jungen sich von den übergriffigen Äußerungen an-
derer abgegrenzt haben ebenso angesprochen wie die persönliche Ein-
schätzung der Abgrenzungen seitens der Jungen und die daraus gezo-
genen oder zu ziehenden Konsequenzen. Dabei stellen die Jungen
meistens fest, dass es Situationen gab, in denen sich alle ähnlich von
übergriffigen Äußerungen abgegrenzt haben, es also einen Konsens
über das korrekte und respektvolle Miteinander im Net gab. Dieser Kon-
Neue Medien in der Jungenarbeit: Chat und MUD                          147

sens wird anschließend mit den Anforderungen der Netiquette vergli-
chen und auf seine Gültigkeit im Alltag der Jungen hin thematisiert.

Haben sich mehrere Jungengruppen an einem gemeinsamen Chat be-
teiligt, folgt jetzt die Offenlegung der wahren Identität (Dauer ca. 3 – 4
Stunden). Hierfür werden vergleichbar mit den obigen Steckbriefen tat-
sächliche Lebensläufe erstellt und an die anderen Gruppen verschickt.
Meistens folgt jetzt eine große Überraschung, weil sich das attraktive
Mädchen des Chats oder der coole Typ als ein in etwa gleichaltriger
Junge herausstellt. Die daraus resultierenden Erlebnisse werden im ge-
meinsamen Abschlussplenum angesprochen, Reaktionen und Vorschlä-
ge werden den anderen Gruppe nochmals mitgeteilt. Eine Einladung zu
einer Chatparty stellt Weichen für die Fortführung des Modells.

Ausblick auf die Arbeit mit MUDs

Das skizzierte Modellprojekt zur Arbeit mit Chats läßt sich in ähnlicher
Weise mit einem MUD durchführen. Die Vorbereitung, Durchführung und
Auswertung eines MUD-Projektes geht allerdings mit größerem und in-
tensiveren - zeitlichem - Aufwand einher und setzt längere Erfahrung in
der Arbeit mit dem Internet bzw. im Umgang mit Menus voraus. Die Su-
che nach einem geeigneten MUD lässt sich ebenfalls mit einigen Jungen
der Gruppe vorbereiten. Die Gestaltung der Avatare und ihrer Umge-
bung erfordert Zeit, so dass dafür eine eigenen Phase in den Verlauf
des Modells zu integrieren ist. Das gilt ebenso für die – geschlechtsbe-
wusste -Auswertung der entstandenen virtuellen Lebensräume und der
Regeln, die für das „Zusammenleben“ in den diesen Räumen entwickelt
wurden. Die Dauer der Aufenthalts im MUD erfordert demzufolge länge-
re und/oder mehr ebenfalls zeitlich limitierte Phasen. Insgesamt emp-
fiehlt es sich, ein MUD-Projekt mit Jungen als (Wochenend-)Tagung o-
der mehrtägigen Workshop umzusetzen.
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Literatur

Baumann, Zygmunt: Unbehagen in der Postmoderne. Hamburg 1999

Beisswenger, Michael: Kommunikation in virtuellen Welten: Sprache,
Text und Wirklichkeit. Stuttgart 2000

Bollmann, Stefan/Heibach, Christiane (Hg.): Kursbuch Internet. An-
schlüsse an Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Kultur. Reinbek
1998

Döring, Nicola: Sozialpsychologie des Internet. Göttingen u.a.O. 1999

Hunneshagen,       Heike     u.a.:    Schulen   am    Netz.    In:
Rolff/Bos/Klemm/Pfeiffer/Schulz-Zander: Jahrbuch der Schulentwick-
lung. Bd. 11. Weinheim 2000, Seite 155 -180

Marx, Eva-Maria: Gier nach Kontakt im World Wide Web. Praxisangebo-
te für Jugendliche von 14 – 18 Jahren. In: Hentschel, Markus u.a. (Hg.):
Knochin´on Heaven´s Door. Satt kenn ich nicht! – Gier nach Leben. Pra-
xismodelle für KU – RU – Jugendarbeit. Gütersloh 2001, Seite 110 - 121

Schindler/ Bader: Menschen am Computer. Zur Theorie und Praxis der
Computermedienpädagogik in Jugendarbeit und Erwachsenenbildung.
Framkfurt/Main 1995

Turkle, Sherry: Identität in virtueller Realität. Multi-User Dungeons als
Identity Workshops. In: Bollmann, Stefan/Heibach, Christiane (Hg.):
Kursbuch Internet. Anschlüsse an Wirtschaft und Politik, Wissenschaft
und Kultur. Reinbek 1998
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