"Schuhe, wie die Jungs sie tragen" - Kleidung als Ausdruck des Habitus von Juniorprofessor*innen
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Beiträge Lara Altenstädter „Schuhe, wie die Jungs sie tragen“ – Kleidung als Ausdruck des Habitus von Juniorprofessor*innen Vestis virum reddit oder auch „Kleider machen symbolisch aufgeladenes kodifiziertes Vermitt- Leute“ (Keller 1874). Das Sprichwort, das auf lungsmedium dar. Sie trägt dazu bei, dass sich die Novelle von Gottfried Keller zurückgeht, ver- die durch das omnipräsente meritokratische weist darauf, dass Bekleidung als bewusst ein- Ideal suggerierte Chancengleichheit im Feld gesetztes Distinktionsmittel fungieren kann. Die Hochschule als Illusion entpuppt. Die Daten und Kleidung einer Person beeinflusst nahezu reflex Zahlen dokumentieren deutlich, dass sich beson- artig die Beurteilung durch das Gegenüber. Sie ders die Spitzenpositionen in Hochschulen als wird nicht nur zum Schutz, aus Scham oder als sozial bereinigt darstellen. Erste Bemühungen, Schmuck getragen, sondern ist immer auch habi dieser Chancenungleichheit – die auch in den tuell geprägt (Bourdieu 1982: 666) und kann langwierigen und wenig planbaren Qualifika folglich darauf Einfluss haben, inwieweit jemand tionswegen innerhalb der Hochschullandschaft einer bestimmten Gruppe zugehörig erscheint. begründet liegen – entgegenzuwirken, schienen Dabei ist Souveränität im Auftreten, indem Habit dabei zunächst erfolgversprechend. So stiegen und Habitus kongruent sind, entscheidend, um mit der 2002 eingeführten Personalkategorie Anerkennung von jenen Personen zu erfahren, Juniorprofessur die Frauenanteile sprunghaft an. zu denen eine Zugehörigkeit angestrebt wird. Die Studie von Möller (2015) macht allerdings Der Habitus ist dabei weder naturgegeben noch auf einen Prozess der sozialen Schließung auf- frei wählbar, sondern vielmehr ein sozial hervor- merksam und zeigt, dass der Weg zur Professur gebrachtes Denk-Wahrnehmungs- und Disposi- in hohem Maße sozial selektiv bleibt, wenn er tionssystem und kann mit Bourdieu (1993: 98) nicht sogar durch die Juniorprofessur verschärft als „modus operandi“ verstanden werden. wird (Möller 2015: 126). Eine Juniorprofessur zu Im Kontext von Hochschulaufstiegen wird die erreichen, die als habilitationsäquivalenter Weg These einer Passung oder Nicht-Passung des Habi zu einer Lebenszeitprofessur geschaffen wurde, tus zum Feld Hochschule (vgl. Bourdieu/Passeron ist keinesfalls leicht, gewöhnlich oder wahr- 1971; Bourdieu 1993) bereits seit Jahrzehnten scheinlich und bleibt vor allem für Erstakademi- diskutiert. Es wird davon ausgegangen, dass ker*innen in der Mehrzahl unerreichbar. Fraglich Frauen, Migrant*innen und sogenannte Arbei- bleibt an dieser Stelle, wie Juniorprofessor*innen terkinder die Universität, anders als Männer als Akteur*innen in Hochschulen, die sprunghaft aus Akademikerhaushalten etwa, häufiger und auf die professorale Ebene erhoben wurden und über mehrere Qualifikationsstufen hinweg als dabei zunächst nur auf ‚Bewährung‘ dieser Sta- verunsichernd und ausgrenzend erleben. Diese tusgruppe angehören, mit den impliziten hoch- Wahrnehmung einer Nicht-Passung zwischen schulischen Normen umgehen. Inwiefern drückt Institution Hochschule und bestimmten Ak- sich in ihrer Kleidungspraxis ihr Habitus aus? teur*innen hängt u. a. mit der Hochschulalltags- Diese Fragen ins Zentrum rückend, fokussiert der kultur zusammen, in der sich nach wie vor impli- vorliegende Beitrag auf die Handlungswirklich- zite Normen mit Appellcharakter und distinktiv keit von Juniorprofessor*innen und auf ihre Stra- wirkende Praktiken gehalten haben. Die Institu- tegien und Alltagsentscheidungen im Kontext tion Hochschule kann in diesem Kontext als ein von Kleidung. Speicher von Sozialordnungen begriffen werden, der als Handlungsregulativ Wirkung entfaltet Kleidungspraxis an Hochschulen (Douglas 1991: 81 f.). Eine Nicht-Passung kommt dabei über eine spannungsgeladene Inkongru- Besonders im Kontext von Beruf hat Kleidungs- enz zwischen Habitus und wahrgenommenen praxis eine wirkmächtige Symbolkraft. Das so Normen zustande, die sich in Distinktionsbemü- ziale Feld Hochschule ist dabei keine Ausnahme. hungen und damit verbundenen Aushandlungs- In den Anfängen der Universität trugen die Ge- prozessen dokumentiert. Passung hingegen lehrten dabei Kleidung, die dem klerikalen Habit zeigt sich darin, dass normative Erwartungen entsprach. Erst später entkoppelte sich die Uni- als positiver Horizont erscheinen, denen unkri- versität aus dem Einflussbereich der Kirche und tisch entsprochen wird (Meister/Sotzek 2017: 4). die unterschiedliche Stellung der hochschulin- Kleidung stellt in diesem Zusammenhang ein ternen Statusgruppen wurde durch verschiedene Journal Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW Nr. 47/2020 51
Beiträge Quasten an den Talaren hervorgehoben (Füssel aufnahmen stellen dabei ein Medium dar, mit 2009: 268). Dass die Amtsuniform von Profes- dem sich vorreflexive Blickwinkel auf Dinge, sor*innen heute nicht mehr im Alltag getragen Personen und Situationen rekonstruieren lassen. wird, ist ein Ergebnis der Student*innenrevolu- Aus diesem Grund wurde als Erhebungsinstru- tion von 1968, die unter dem Kampfruf „Unter ment eine Fotobefragung, eine partizipative Er- den Talaren, den Muff von tausend Jahren“ den hebungsmethode der visuellen Soziologie (Kolb professoralen Standeshabit abzuschaffen such- 2008), genutzt. Konkret wurden 15 Juniorpro- te (Füssel 2009: 245). Erste Erkenntnisse zu der fessor*innen aus NRW gebeten: Fotografieren aktuellen Kleidungspraxis von Professor*innen Sie bitte alltägliche oder auch besondere Situ- hat Stegmann (2005) mit ihrer qualitativ ange- ationen, Dinge und Personen aus Ihrem Leben legten Fallstudie generieren können. Sie kam zu als Wissenschaftler*in. Nachfolgend wurden auf dem Ergebnis, dass insbesondere „(vermodete) Basis der gewonnenen Fotos Interviews geführt Kleidung […] pejorativ-vergeschlechtlicht zu – sogenannte Fotointerviews, die vom metho- sein scheint“ und aus Sicht von Professor*innen dischen Design dem episodischen Interview etwas Anrüchiges habe (Stegmann 2005: 275). nahekommen. Zentrale theoretische Anknüp- Sie stellte überdies fest, dass eine „antimodi- fungspunkte waren die Habitus-Feld-Theorie sche Attitüde“ im Kontext von Bekleidung in von Bourdieu (1970) sowie das Konzept der der Hochschule nicht beliebig sei, sondern viel- vergeschlechtlichten Organisation (gendered mehr dem Modus entspreche, visuell die wis- organizations) nach Acker (1991). Ausgewertet senschaftliche Persona zu repräsentieren und wurden die Daten mit der Dokumentarischen damit als passend zum Feld Hochschule (an) Methode (Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl erkannt zu werden (Stegmann 2005: 213). Die 2013), die einen Umgangsweg mit beiden Daten- Symbolik der Kleidung wird besonders deutlich, quellen anbietet. wenn man die unterschiedlichen fachkulturellen Kleidungsstile betrachtet. Schultz et al. (2018) Zwischen Konvention und Innovation: explizieren in ihrer Studie zu Professorinnen in Empirische Befunde den Rechtswissenschaften, dass sich in der Klei- derpraxis die Akzeptanz der Norm auszudrücke, Aus dem empirischen Material konnten ver- die Fachkonventionen zu akzeptieren und fort- schiedene Strategien rekonstruiert werden, wie zuführen, um Zugang zu der Gemeinschaft zu die interviewten Juniorprofessor*innen mit der erreichen. impliziten hochschulischen Kleiderordnung um- Implizite Bekleidungskodizes an Hochschulen, gehen. Wie genau sich ihre Kleiderpraxis dar- als Teil der institutionalisierten Grammatik, die stellt, wird im Folgenden skizziert. sowohl die Fachkultur als auch den Status einer Person dokumentieren, tragen zur Konstruktion Bewusst ‚nicht-passend‘ bis vorsichtig provokant der wissenschaftlichen Persona bei bzw. sind ein Ein Muster, das sich in zwei Fällen rekonstruieren Teil dieser Idealvorstellung, wie eine Person sein lies, ist die konflikthafte Auseinandersetzung zwi- sollte, um als passend zur Hochschule beurteilt schen der wahrgenommenen Norm nach außen, zu werden. Die Untersuchung dieser kulturellen die wissenschaftliche Persona zu demonstrieren, Praktiken im Feld Hochschule stellen folglich und der habituellen Überzeugung, dass es auf einen Weg dar, um die Vorstellung von Profes- das inhaltliche Ausfüllen dieser Rolle ankommt. sorabilität zu dekonstruieren und ihr damit ent- Dies äußert sich in einer Kleidungspraxis, die als gegenzuwirken. bewusst nicht-passend bis vorsichtig provokant zur Konvention beschrieben werden kann. Diese Rekonstruktion von habitueller (Nicht-) Kleidungspraxis dokumentiert sich deutlich in ei- Passung: Untersuchungsdesign nem Foto, das JP8, alias Juniorprofessorin Silber, im Kontext der Bildserie zum beruflichen Alltag In dem Dissertationsprojekt „Der berufliche angefertigt hat: Habitus von Juniorprofessor*innen“ wurde der Bei Betrachtung des Fotos ist die starke Mittel- Annahme gefolgt, dass an Juniorprofessor*innen zentrierung auffällig, die durch den farblichen verschiedene berufliche Erwartungen heran Kontrast zwischen Bildhintergrund und Bildvor- getragen werden. Diese zum Teil impliziten dergrund unterstrichen wird. Die szenische Cho- Normen sollen sie bestenfalls nicht nur regis reografie zeigt einen Fuß bzw. einen Strumpf und trieren, sondern sich diese auch aneignen. Soll einen Schuh, welche diesen bekleiden. In diesem nun ihre habituelle (Nicht-)Passung zu sowie klar strukturierten, klinischen Bild rufen überdies Aneignungen von Hochschulnormen rekonstru- die weißen Augen auf dem schwarzen Socken iert werden, müssen ihre alltäglichen Praktiken eine Irritation bei der betrachtenden Person in den Blick rücken. Fotos als visuelle Moment- hervor, da Tierabbildungen eher einer kindlichen 52 Journal Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW Nr. 47/2020
Beiträge Präferenz entsprechen, jedoch der Fuß einer er- wachsenen Person abgebildet ist. Sich auf das Bild beziehend, fragt die Inter- viewerin nach, was hier genau abgebildet ist. Frau Silber, die als Geisteswissenschaftlerin in einem MINT-Fach eine Juniorprofessur besetzt, was einem Sonderfall entspricht, antwortet Fol- gendes: „Also man darf sich auch nicht zu ernst neh- men. Und die Kollegen tendieren teilweise dazu Quelle: Foto aus der Fotoserie von JP8. (lacht). Und irgendwie, also ich suche halt so ei- nen guten Mittelweg mich anzupassen und ernst genommen zu werden, aber trotzdem meine Per- sönlichkeit nicht zu verlieren. […] Und wenn wir dann in unseren Besprechungen sitzen und die sich wieder streiten und aufführen wie die Jungs in der Sandkiste, dann muss ich immer so mal anfangen so [schlägt das Bein über und wippt mit dem Fuß], um ihnen das Zeichen zu geben. Weil das sind andere Tische, das ist eine große erfolgt, ist durchaus riskant, denn sie birgt die Runde, die sehen alle auf meine Socken. […] Gefahr, die aktuelle Position zu verschlechtern (lacht) Um so ein bisschen, ja, nicht ganz in die- und angestrebte Positionen nicht zu erreichen. sen, wie soll ich sagen, Alphamännchen Habitus Diese Handlungspraxis hat jedoch auch das Po- zu verfallen oder da das auch ein bisschen mit tenzial, neue Wahrnehmungs- und Ausdrucks- Humor zu nehmen, das muss man ja machen. muster in die Hochschule zu implementieren. (JP8, Z. 390 ff.) Kleidung nutzt Frau Silber als Mittel, um sich der Angepasst, um ‚passend‘ zu erscheinen gängigen Konvention zu widersetzen, diese zu Ein gegensätzliches Muster, das sich in acht In- konterkarieren und durch Sichtbarmachung der terviews zeigte und damit am häufigsten rekon Normativität eine ironische Distanz zu ihr ein- struierbar war, zeigt sich als vollständige Konven- zunehmen. Ihre Kleidungspraxis verweist dabei tionserfüllung. Hierbei wird eine gehorsame, den auf eine habituelle Passungsdiskrepanz zu den Normen und Gepflogenheiten entsprechende Per- impliziten Fach- bzw. Hochschulnormen, was formanz unternommen, die wiederum auf einen in ihrer fachfremden beruflichen Sozialisation feldkonformen Habitus verweist. Kleidung wird begründet werden kann. Das Tragen der un- indes als performativer Ausdruck von Sozialität, orthodoxen Socken bei Sitzungen mit anderen als Instrument, um sich einen Vorteil zu verschaf- Professor*innen ist ihre Art der Kommunikation fen, genutzt: „Vor allem wenn es um Sachen und Provokation, ohne dabei als Gefahr oder Be- geht. Wenn die Wahl meiner Kleidung einen drohung wahrgenommen zu werden. Sie drückt Vorteil bringt, dann ziehe ich mich entsprechend damit aus, dass ihr das „Sandkasten“-Spiel, bei an“ (JP1, Z. 397 ff.), so beschreibt es JP1, alias dem durch Äußerlichkeiten Macht demonstriert Herr Kupfer1. Er ist ebenfalls Juniorprofessor in wird, zuwider ist, sie sich daran weder beteiligen einem MINT-Fach an einer Hochschule in NRW. noch diese reproduzieren möchte, und stellt das Aus seiner Sicht fungiert seine textile Hülle als meritokratische Ideal infrage. Für sie ist ihre Klei- Kapital, um weiteres Kapital zu akkumulieren, derwahl eine Gratwanderung zwischen Akzep- und verweist auf eine habitualisierte Wenn- tanz und Widerstand zu den impliziten Normen, Dann-Logik. Im Kontext von Kleidung handelt indem sie versucht, einerseits die Norm nicht zu Herr Kupfer also eher reaktiv, indem er den deklassieren und sie andererseits bewusst zu immanenten Fachkonventionen entsprechend durchkreuzen, um mit einem ‚Augenzwinkern‘ agiert. Er versucht dabei, gegenüber den Stu- auf die Irrelevanz äußerer Erscheinung aufmerk- dierenden seine Rolle als Vorbild und Autoritäts- sam zu machen. Mit Butler kann dabei ihr Wi- person durch seine Kleidung zu unterstreichen. derstand gegen die Norm „als Effekt eben der Schließt man diese Rekonstruktion an Bourdieus Macht, gegen die er sich richten soll“ (Butler Theorie der feinen Unterschiede (1982) zurück, 2001: 94), verstanden werden. Er ist damit zwar so zeigt sich in dem „modus operandi“ der Klei- ausgerichtet gegen die bestehende Konvention, dung die Abhängigkeit Herrn Kupfers von der Be- 1 Die Interviewbeispiele aber gleichzeitig eben auch Ausdruck dieser. Die- wertung anderer Personen. Seine gewissenhafte für diesen Beitrag wurden se Strategie, in der eine Umdeutung und Neube- Kleidungspraxis versteht er dabei als synonymes ausgewählt, da sich hier das Typische im Individuellen wertung des hochschulischen Bekleidungscodes Symbol für seine gegenstandbezogene und zeigt (Hilliard 1993). Journal Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW Nr. 47/2020 53
Beiträge wissenschaftliche Genauigkeit. Nachlässiger und Zurückzuführen ist dies auch auf die größere lockerer könnte er sich nur kleiden, wenn man Auswahlmöglichkeit, welche die Konvention vor- ihn besser kenne und bereits von seiner inneren schreibt, und auch darauf, dass die Anforderun- Passung überzeugt sei, so seine Argumentation. gen an Männer eher dem entsprechen, was auch Dies wiederum verweist auf seinen unsicheren sonst im sozialen Raum bei festlichen Anlässen Status als Juniorprofessor, demgemäß er for- von ihnen erwartet wird. Frauen haben dabei in mell zwar bereits die professorale Ebene erreicht Bezug auf die Kombinationsmöglichkeiten einen hat, jedoch hier zunächst ‚auf Probe‘ verbleiben weiteren Spielraum, der allerdings immer auch kann, bis seine Leistung als auf Lebenszeit pro- das Risiko birgt, ‚daneben zu liegen‘. fessorabel, durch eine Berufung in Form einer ordentlichen Professur, bestätigt wird. Resümee Die Juniorprofessor*innen, bei denen sich diese beiden Orientierungsrahmen rekonstruieren Es ist auffällig, dass alle Juniorprofessor*innen ließen, haben die Vorstellung der wissenschaft einen impliziten Kleidungskodex wahrnehmen lichen Persona internalisiert und versuchen, und sich zu diesem verhalten. Dabei haben dieser nahezukommen. Dies zeigt sich unter die Bekleidungserwartungen nicht nur einen anderem daran, dass sie Kleidung zum Teil zwar normativen, sondern auch einen Kon struk als Distinktionsmittel nutzen, jedoch in der tionscharakter, indem bestimmte Vorstellungen Hauptsache ihre Wahl nach dem Prinzip der An- sowohl von Geschlecht als auch der wissen- gemessenheit gegenüber dem Gegenstand der schaftlichen Persona hierin impliziert sind. Als Wissenschaft treffen. Was dabei als angemessen übergreifende Passung zwischen professora- betrachtet wird, variiert von Person zu Person. lem Habitus und institutionellen Normen wird So lehnt es Frau Silber ab, unhinterfragt Konven eine wissenschaftliche Persona entworfen, tionen zu übernehmen, da sie dies als unange- die männlich ist, Student*innen inspiriert und bracht betrachtet. Auch Herr Kupfer wählt seine den professoralen Stand würdevoll nach außen Kleidung entsprechend dem aus, was er als an- vertritt. Die berufliche Kleiderkonvention wird gebracht bewertet. Dabei scheinen die impliziten dabei von einigen wenigen Erstakademiker*in- Bekleidungserwartungen keinen inneren Konflikt nen hinsichtlich ihrer Grenzen austariert und auszulösen. Dies wiederum deutet darauf hin, als etwas betrachtet, das in Spannung zu ihrer dass er bereits einen passenden Habitus zum herkömmlichen Kleidungspraxis steht. Dies sozialen Feld Hochschule (entwickelt) hat. Ihm führt zu einer spannungsgeladenen, inneren geht es darum, durch Kleidung Akzeptanz und Auseinandersetzung, die wiederum als hoch- Respekt gegenüber dem Wissenschaftssystem schulkulturelles Entwicklungspotenzial bezeich- immanenten, impliziten Regeln auszudrücken, net werden kann, indem die tradierte Sozial- um auf diese Weise selber Akzeptanz und Aner- ordnung dekonstruiert wird. Betont werden kennung zu erfahren. muss dabei, dass die überwiegende Mehrzahl Strategie übergreifend scheinen zudem Schuhe der Juniorprofessor*innen sich widerstandslos ein zentrales Kleidungsstück zu sein, das Zuge- normkonform kleidet, was darauf hindeutet, hörigkeit erzeugt. Einige der Interviewpartne- dass sie bereits eine gewisse Passung zum rinnen wählen Halbschuhe, „wie sie die Jungs Hochschulsystem (entwickelt) hat. hier auch alle anhaben“ (JP8, Z. 353 f.), oder Überdies zeigte sich im Datenmaterial, dass tragen Schuhe mit breitem, geräuscherzeugen- Frauen versuchen, ihr Geschlecht in den Hin- dem Absatz (vgl. bspw. JP13). Hierdurch erhoffen tergrund zu rücken, und bewusst auf männlich sie sich, antistereotype Merkmale zu demonst- konnotierte Kleidungsstücke wie Hosen und An- rieren und als emanzipiert, selbstbewusst und zugschuhe zurückgreifen. Die Vermeidung von führungskompetent wahrgenommen zu werden. Nacktheit, insbesondere im Brustbereich scheint Dass Frauen ihr körperbezogenes Geschlecht ein kollektiv wahrgenommener Kleidercode zu als leistungsabwertend einschätzen, wird auch sein, dem entsprochen wird, auch um Angriffs- dadurch erkennbar, dass sieben der acht Inter- fläche zu reduzieren. Dass er nicht als illegitim viewpartnerinnen sowohl im Alltag als auch bei zurückgewiesen wird, deutet darauf hin, dass die Probevorträgen in Berufungsverfahren auf einen Demonstration von körperlicher Weiblichkeit den hochgeschlossenen Schnitt des Oberteils achten. Juniorprofessor*innen als Nachteil erscheint. Bi- In der absichtsvollen Handlungspraxis, die Weib- lanzierend lässt sich feststellen, dass alle Junior- lichkeit zu ‚neutralisieren‘, dokumentiert sich, professor*innen des Samples nach Anerkennung dass sie sich stärker als ihre männlichen Kollegen ihrer Passfähigkeit zur Professor*innenschaft mit ihrer eigenen Bekleidungskompetenz ausein- streben und die Passung mit ihrem beruflichen andersetzen müssen und sie die impliziten Erwar- Kleidungsstil zu betonen versuchen. tungen eines männlichen Ideals stärker spüren. 54 Journal Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW Nr. 47/2020
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