SELBSTSTÄNDIG LEBEN MIT PROMENZ
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SELBSTSTÄNDIG LEBEN MIT PROMENZ Impressum: Herausgeberin und Verlegerin: Volkshilfe Österreich Auerspergstraße 4 • 1010 Wien E-Mail: office@volkshilfe.at in Zusammenarbeit mit PROMENZ Bergmillergasse 8/1/17 • 1140 Wien Gesamtverantwortung: Dir. Mag. (FH) Erich Fenninger, DSA Redaktion: Raphael Schönborn, MA Katharina Klee Mag. Teresa. Millner-Kurzbauer Grafik und Layout: David Gruber Bilder: PROMENZ/Klee (Cover), PROMENZ/Schönborn (Seite 10, Seite 13) shutterstock.com (Seite 23) Erscheinungsjahr: 2019 www.promenz.at 2 PROMENZ | Volkshilfe Österreich
SELBSTSTÄNDIG LEBEN MIT PROMENZ INHALT 1 Vorwort 4 2 Wir vergessen. Verluste, Ängste, Vorurteile 5 2.1 Was ist Demenz? 5 2.2 Wozu braucht es eine Diagnose? 7 2.3 Wie und wo wird eine Diagnose gestellt? 7 2.4 Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es? 8 2.5 Wie können An- und Zugehörige unterstützt werden? 9 3 Wir erinnern. Ressourcen, Wohlbefinden, Unterstützung 11 3.1 Wie erleben Menschen Vergesslichkeit? 11 3.2 Zwischen Akzeptanz und Verdrängung 12 3.3 Wie bewältigen Menschen mit Vergesslichkeit ihre Beeinträchtigungen? 13 3.4 Wie sprechen Menschen mit Vergesslichkeit über ihre Beeinträchtigungen? 14 3.5 Wie können Menschen mit Vergesslichkeit unterstützt werden? 14 4 Wir helfen. PROMENZ Selbsthilfe und Selbstvertretung 15 4.1 Was ist unterstützte Selbsthilfe? 15 4.2 Was ist unterstützte Selbstvertretung? 17 4.3 Wer sind die NutzerInnen? 18 4.4 Was ist uns wichtig in der Unterstützung von Menschen mit Vergesslichkeit? 19 5 Was macht PROMENZ? 20 6 Wofür setzt sich PROMENZ ein? 20 7 Was sind BotschafterInnen? 20 7.1 Was sind leitende bzw. begleitende UnterstützerInnen? 21 7.2 Wie können die NutzerInnen erreicht werden? 21 8 Wissenswertes, Unterstützungsangebote, Kontakte 25 PROMENZ | Volkshilfe Österreich 3
SELBSTSTÄNDIG LEBEN MIT PROMENZ 1 VORWORT Zuerst ist es nur ein verpasster Termin, ein vergessener Vorname der Freundin. Später verschwinden schleichend ganze Lebensphasen aus der Erinnerung. Die Diagnose Demenz belastet und verunsichert. Der Name PROMENZ bedeutet so viel wie „für den Geist“. Entwickelt haben diesen Namen die Mitglieder der gleichnamigen Selbsthilfegruppe von Menschen mit Vergesslichkeit (MmV). Er soll einen bewussten Gegenpol zum Begriff Demenz – „ohne Geist“ bilden. In dieser Broschüre erfahren Sie, was Gedächtnisschwäche für Betroffene bedeutet und dass Demenz mehr als nur eine Erkrankung ist. Wir geben Einblick in die PROMENZ-Gruppen, wie diese aufgebaut sind und wie sie funktionieren. Und wir verraten Ihnen, wie Sie unterstützen können und welches „Handwerkszeug“ Sie als UnterstützerIn benötigen. Auf Wunsch der NutzerInnen von PROMENZ versuchen wir den Begriff „Demenz“ so weit wie möglich zu vermeiden. Ganz ohne ihn kommen wir (noch) nicht aus. Um ein möglichst breites Verständnis zu erzielen, haben wir versucht, diese Broschüre in einfach lesbarer Sprache zu verfassen, um gemeinsam neue Wege mit Menschen mit Vergesslichkeit zu gehen. Dir. Mag. (FH) Erich Fenninger, DSA Mag.a Reingard Lange, MAS Bundesgeschäftsführer Volkshilfe Österreich Gründerin und Obfrau der PROMENZ Initiative 4 PROMENZ | Volkshilfe Österreich
SELBSTSTÄNDIG LEBEN MIT PROMENZ 2 WIR VERGESSEN - VERLUSTE, ÄNGSTE, VORURTEILE „Bin ich schon ganz dement?“ fragt die Freundin Krankheit? Ist das die „Pest unserer Zeit!“, wie zwischen Scherz und Beunruhigung, die bunten Zeitungen titeln? Oder ist es einfach wenn sie schon wieder etwas vergessen hat. „Honig im Kopf“ wie im Film? Weder das eine Der „reinste Alzi“ sei der andere Freund, der noch das andere verheißen Gutes. Vielleicht ist immer wieder Termine verschwitzt. Man hört sie es auch „das 4. Lebensalter“ oder einfach nur fast täglich, diese Sätze. Was ist das für eine „anders“. 2.1 Was ist Demenz? „Dieses Wort Demenz. Gotteswillen. Das ist neben der „Alzheimer Krankheit“ die „Lewy- ja Verlust des Verstandes. Geisteskrankheit.“ Körperchen“- und die „Frontotemporale (Herr Panonikus, Betroffener) Demenz“. Das sind so genannte primäre Demenzformen. Das Wort Demenz kommt aus dem lateinischen. Die empfindlichen Nervenzellen können aber „De-mens“. Das bedeutet „vom Geist, ohne Ver- auch – bei den sekundären Demenzformen stand“. Kein Wunder, dass Betroffene sich damit – aus anderen Gründen wie beispielsweise nicht gerne identifizieren. Dieses Wort steht nicht „Morbus Parkinson“ oder „Multiple Sklerose“ für eine einzige Krankheit. Es ist ein Oberbegriff geschädigt werden. Auch Arzneistoffe, Gifte und für verschiedene Krankheiten, bei denen sich die Alkohol können zum Absterben der Nervenzellen Leistungsfähigkeit des Gehirns verringert und führen. Die gefäßbedingte (vaskuläre) Demenz sich die Persönlichkeit verändern kann. Demenz ist die zweithäufigste Form nach Alzheimer. Sie kann unterschiedliche Ursachen haben. Die wird durch Durchblutungsstörungen im Gehirn „Alzheimer-Krankheit“ ist die häufigste Form. verursacht. Wenn Blutgefäße, die das Gehirn Mehr als die Hälfte der Erkrankten leiden an ihr. versorgen, verengt oder gar verschlossen sind, Die Symptome einer Demenz hängen vor allem leiden die Gehirnzellen an Sauerstoffmangel davon ab, welche Bereiche des Gehirns und sterben in der Folge ab. Im Falle von betroffen sind. Je nach Ursache des Verlusts Schlaganfällen kann sich eine Multi-Infarkt- unterscheidet die Medizin verschiedene Demenz entwickeln. Demenzformen. Zu den häufigsten gehören Demenzformen Unterschieden werden primäre (Alzheimer Krankheit, Lewy-Körperchen und Frontotemporale Demenz) und sekundäre (Morbus Parkinson, Multiple Sklerose, gefäßbedingte und toxische) Demenzformen. Die Alzheimer Krankheit ist die weitaus häufigste Form. Das Hauptmerkmal der Demenz ist, dass sich Für Betroffene wird es immer schwieriger, sich geistige (kognitive) Fähigkeiten im Vergleich zu neue Informationen zu merken, sie können sich früher verschlechtern. Immer davon abhängig, schlecht auf Gedanken und Dinge konzentrieren, welche Bereiche des Gehirns geschädigt sind. sie haben Probleme, die „richtigen“ Worte zu Da das Gedächtnis viele Regionen des Gehirns finden oder andere zu verstehen. Sie verlieren beansprucht, ist Vergesslichkeit eines der ersten den Überblick in Situationen, können Zusammen- auftretenden Symptome. Neben dem Gedächt- hänge nicht mehr erkennen. Es fällt ihnen immer nis können die Aufmerksamkeit, die Sprache, schwerer, zu organisieren, zu planen, sich örtlich die Auffassungsgabe und der Orientierungssinn und zeitlich zurecht zu finden. Die Schädigung beeinträchtigt sein. mancher Hirnregionen kann auch zu Persönlich- keitsveränderungen führen. PROMENZ | Volkshilfe Österreich 5
SELBSTSTÄNDIG LEBEN MIT PROMENZ Schließlich können Alltagstätigkeiten nicht mehr gehen manchmal verloren. Manche vergessen, wie gewohnt erledigt werden. Die Krankheit dass sie rauchen, andere verlieren ihre Flug- kann viele Jahre lang unbemerkt bleiben, weil angst. Friedliche Menschen reagieren jähzornig. noch keine Symptome auftauchen. Die meisten Das Gefühl für den eigenen Körper kann sich Betroffenen sind über eine Zeit nur leichtgradig verändern. Bei einigen Menschen dreht sich eine beeinträchtigt. Dazu kommen verschiedene Zeit lang, das Gefühl für Tag oder Nacht um. Zu Faktoren wie die Lebensführung, die Prognosen den häufig als „herausfordernden Situationen“ über den Verlauf der Krankheit erschweren. definierten Symptomen zählen Teilnahmslosig- keit, Orientierungsschwierigkeiten, Essstörung, Im Krankheitsverlauf kann es zu einer Verände- Gereiztheit, Empfindsamkeit, körperliche oder rung des Verhaltens und der psychischen Ver- verbale Aggression, Schlafstörungen, vermin- fassung kommen. Diese Veränderungen können derte Hemmschwellen und Euphorie. Als psych- sich im Bereich der Gefühlskontrolle, in verän- iatrische Symptome gelten Depression, Angst, dertem Erleben, Befinden und (Sozial-)Verhalten wahnhafte und halluzinatorische Zustände. äußern. Soziale Konventionen und Gewohnheiten Hauptmerkmale Anzeichen einer demenziellen Entwicklung lassen sich an Veränderungen kognitiver Fähigkeiten im Vergleich zu früher (mindestens ein halbes Jahr) erkennen. Hauptmerkmale können sein: Vergesslichkeit, verminderte Aufmerksamkeit, Beeinträchtigung der Sprache, der Auffassung und der Orientierung. Demenz ist also nur ein Überbegriff für unter- Demenz ist bisher nicht heilbar, nicht umkehrbar, schiedliche Formen degenerativer Erkrankungen der Verlauf kann bei frühzeitiger Erkennung und des Gehirns. Degeneration steht in diesem Fall Behandlung verzögert werden. für Abbau, auch Abnutzung (der Nervenzellen). Das Wort Demenz kommt aus dem lateinischen und bedeutet „vom Geist, ohne Verstand“ Die Symptome einer Demenz hängen vor allem davon ab, welche Gehirnbereiche betroffen sind. Die Krankheit kann über viele Jahre unbemerkt bleiben. 6 PROMENZ | Volkshilfe Österreich
SELBSTSTÄNDIG LEBEN MIT PROMENZ 2.2 Wozu braucht es eine Diagnose? Wie hieß der Film bloß, der mich neulich so oder schon wieder die Hälfte vom aufgetrage- beeindruckt hat? Wo ist mein Schlüssel? nen Einkauf fehlt, belastet das die Beziehung Vergesslichkeit verunsichert – auch weil man in und das Familienleben. Deswegen wird Demenz den Medien viel über die Volkskrankheit liest. gerne als „Wir-Erkrankung“ bezeichnet. Die Das macht Angst. So was betrifft doch immer Krankheit wirkt auf das ganze System. eher die anderen, hoffentlich nie einen selbst. Und wir alle kennen Bilder von meist alten Auch deshalb ist eine frühzeitige Diagnose Menschen, in denen wir uns nicht wiederfinden für Erkrankte und An- und Zugehörige oft eine möchten. Wir wollen, wenn möglich bis zum Erleichterung nach dem ersten Schock. Wenn Tod, die bleiben, die wir sind – mit unseren man Gewissheit hat, kann man sich eher mit Erinnerungen, Erfahrungen, dem Leben, das der Situation auseinandersetzen. Man kann sich wir uns aufgebaut haben. Wir haben unsere informieren. Die oft alarmierenden Symptome Selbständigkeit, unsere Hobbies, unsere haben einen Namen. Interessen. All das zu verlieren, erscheint uns wie eine Katastrophe. Wir wollen nicht pflege- Die Betroffenen können sich so auf den bedürftig werden und jemandem zur Last fallen. möglichen Krankheitsverlauf einstellen. Medikamentöse und therapeutische Maß- Und so kommt es, dass die ersten Anzeichen nahmen können begonnen werden. Dadurch der sich einschleichenden Krankheit oft von können Symptome gemildert und der Krank- den Betroffenen ignoriert oder auch überspielt heitsverlauf verzögert werden. werden. Viele finden kreative Lösungen, um das gewohnte Leben möglichst aufrecht zu erhalten. Eine frühe Diagnose ermöglicht den Menschen Auch die An- und Zugehörigen bemerken mit Vergesslichkeit länger selbstbestimmt, manchmal lange nichts. Auch sie wollen oft, selbstständig leben zu können. Sie können dass das Leben so weiter geht wie gewohnt. Vorsorgemaßnahmen treffen. Sie können Selbst wenn sie einen Verdacht haben. Finanzielles und Rechtliches regeln und sich an der Planung der familiären Zukunft und der Wenn sich aber der Partner, die Partnerin nicht Pflege und Betreuung beteiligen. daran erinnern, was man gestern gesagt hat, wenn der Geburtstag der Kinder vergessen wird 2.3 Wie und wo wird eine Diagnose gestellt? Vergesslichkeit ist nur eines der Warnzeichen Auch wenn Dinge plötzlich nicht mehr klappen, für eine beginnende Demenz. Sie kann sich auf obwohl sie früher ganz einfach waren, wie eine verschiedene Weise zeigen. Da gibt es die Mahlzeit kochen oder Bankgeschäfte erledigen, Schwierigkeit sich an vor kurzem stattgefundene sollte man sich Gedanken machen. Dazu kom- Gespräche oder Ereignisse zu erinnern. Man men andere auffällige Verhaltensänderungen, findet abgelegte Gegenstände nicht mehr oder die auch mit dem Wahrnehmen der eigenen Ver- wird auf oftmaliges Wiederholen hingewiesen. luste zu tun haben können, wie unbegründetes Manchmal zeigt sich die Störung der Nerven- Misstrauen, Verlangsamung, Rückzug, Aggres- zellen auch durch Probleme in der Kommuni- sivität etc. kation. Da ist es schwierig, die richtigen Worte zu finden oder einem Gespräch zu folgen. Auch Zu Bedenken ist aber bei allen Symptomen, für die räumliche und zeitliche Orientierung sind dass ein Unterschied zu früher bestehen sollte. mehrere Gehirnregionen zuständig. Kommt es Wer sich nie Namen merken konnte, wird das hier zu Ausfällen, kann es schon sein, dass man auch nicht mit zunehmendem Alter können. Mühe hat, sich in vertrauter Umgebung zurecht Auch sollten die Symptome eine gewisse Zeit – zu finden oder Dinge zeitgerecht zu erledigen. mindestens sechs Monate – bestehen. PROMENZ | Volkshilfe Österreich 7
SELBSTSTÄNDIG LEBEN MIT PROMENZ Die Diagnose beginnt mit einem Gespräch mit Schritt sind neuropsychologische Tests zu Ge- der Hausärztin, dem Hausarzt. Darin werden dächtnisleistung sowie räumlicher und zeitlicher körperliche, seelische und soziale Aspekte Orientierung. Zu den bekanntesten gehören der abgeklärt. Zusätzlich wird eine Bezugsperson Mini-Mental-Test (MMSE) und der Uhren-Test. befragt. Betroffene empfinden die Symptome anders und stellen sie daher anders dar. Es wird Computertomographie oder Magnetresonanz- auch abgeklärt, wann die ersten Auffälligkeiten tomographie können bei Demenzverdacht den aufgetaucht sind. Zustand des Gehirns darstellen. Im Rahmen des ärztlichen Gesprächs wird auch Untersuchungen zur Feststellung der Krankheit eine körperliche Untersuchung gemacht. Blut- dürfen nur mit dem Einverständnis der Betroffenen druck, Herzgeräusche, Herzrhythmusstörungen vorgenommen werden. Sie haben ein Recht auf und Atemprobleme sowie frühere Erkrankungen Aufklärung. Sie haben auch ein Recht darauf, werden abgeklärt. Dem folgen Laboruntersuch- die Diagnose nicht zu erfahren, wenn das ihr ungen und EKG. Wunsch ist. Dann werden FachärztInnen der Neurologie und/oder Psychiatrie beigezogen. Der nächste Zur Diagnosestellung können AllgemeinmedizinerInnen, FachärztInnen für Psychiatrie und/oder Neurologie oder PsychologInnen angefragt werden. Es müssen verschiedene Tests durchgeführt werden, um konkret die Diagnose Demenz stellen zu können. Eine Anlaufstelle ist das GerontoPsychiatrische Zentrum Modecenterstraße 14/C/1.OG • 1030 Wien Telefon (01) 4000/5309 2.4 Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es? Verschiedene Demenzerkrankungen haben zugelassen, z. B. die Alzheimer Krankheit. Je verschiedene Ursachen. Das und auch die nach zugrunde liegender Ursache werden individuelle Verfassung der Betroffenen machen verschiedene Wirkstoffgruppen eingesetzt. einen auf die Person abgestimmten Gesamt- Die Substanzen wirken individuell sehr unter- behandlungsplan sinnvoll. Wichtig sind ärztliche schiedlich. Da eine Demenz laufend fortschreitet, Beratungsgespräche zum Zeitpunkt der Dia- ist es bereits ein Behandlungserfolg, wenn sie gnose, aber auch im weiteren Verlauf. Dabei sich nicht verschlechtert. Medikamente können müssen – je nach Fortschreiten der Krankheit Symptome lindern und geistige Fähigkeiten – verschiedene Berufsgruppen ein Team bilden: vorübergehend stabilisieren. Medizin, Pflege, Ergo-/Physiotherapie, Psycho- logie, Psychotherapie, Heimhilfen, Besuchs- Eine ausgewogene Ernährung, Bewegung, dienste, um die wichtigsten zu nennen. Frischluft und gute soziale Kontakte unter- stützen den Menschen bei jeder Krankheitsform. Die meisten Medikamente und Antidementiva sind nur für bestimmte Demenzformen Es gibt medikamentöse oder nicht medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten. Diese können mit dem/der VertrauensärztIn besprochen werden. 8 PROMENZ | Volkshilfe Österreich
SELBSTSTÄNDIG LEBEN MIT PROMENZ 2.5 Wie können An- und Zugehörige unterstützt werden? 80 Prozent der pflegebedürftigen Menschen in veränderungen, die mit der Krankheit einhergehen, Österreich leben zuhause und werden dort von erschweren das Zusammenleben. Dazu kommt ihren An- und Zugehörigen unterstützt. Es sind die schwierige Balance zwischen Verantwortung meist Frauen – drei Viertel – die diese wertvolle und der Notwendigkeit den Betroffenen auch gesellschaftliche Arbeit leisten. Ohne ihren Freiräume zu lassen. Beitrag würde unsere Gesellschaft nicht funktio- nieren. Doch ihre notwendige Arbeit der Pflege Weniger als ein Viertel der An- und Zugehörigen und Betreuung findet oft im für die Öffentlichkeit nimmt professionelle Dienste in Anspruch. Oft unsichtbaren privaten Raum statt. So erhalten werden die hohen Kosten und die mangelnde sie kaum Anerkennung und Wertschätzung. Flexibilität und Kontinuität der Dienste kritisiert. Im Fall der Demenz kommen noch die Dabei könnte professionelle Entlastung die oft Stigmatisierung durch die Krankheit und schwerwiegenden Folgen von seelischer und vielfältige eigene Ängste dazu. körperlicher Überlastung vermeiden. Haupt- ziel ist, ihnen zu helfen, eine Balance zwischen Angehörige von Menschen mit Vergesslichkeit Wünschen und Bedürfnissen der pflegebedürfti- sorgen sich nicht nur pflegerisch. Sie unter- gen Personen und den eigenen Bedürfnissen zu stützen bei der Gestaltung des Alltags. Sie finden. An- und Zugehörige können in Österreich helfen bei der Informationsbeschaffung (soziale/ ein kostenloses Beratungsgespräch als prä- rechtliche Fragen, Unterstützungsmaßnahmen, ventive und qualitätssichernde Maßnahme in Therapiemöglichkeiten etc.). Sie leisten seeli- Anspruch nehmen, gefördert vom Sozial- sche Betreuung. Sie begleiten bei und zu der ministerium. Dadurch können Entlastungsmög- medizinischen Therapie. Und sie unterstützen lichkeiten ausfindig gemacht und eingeleitet bei administrativen Tätigkeiten, bei Koordination werden und die Gesundheitsförderung kann er der Behandlung und Betreuung. Kurz gesagt sie halten bzw. verbessert werden. Die BeraterInnen kompensieren all das, was die Betroffenen nicht sind hauptsächlich PsychologInnen und kommen mehr eigenständig bewältigen können. auf Wunsch auch ins eigene Zuhause. Es ist für viele sehr belastend, den Betroffenen in seiner veränderten Position, Rolle im System zu erleben. Persönlichkeits- und Verhaltens- Das Angehörigengespräch sowie das Angebot des Hausbesuches kann auf Wunsch unter der Telefonnummer 01/79706-2705 bzw. qualitaetsicherung@svb.at / angehoerigengespraech@svb.at beantragt werden. Entlastende Angebote und hilfreiche Informationen finden Sie in der VOLKS- HILFE-Broschüre „Demenz – Rat und Hilfe für pflegende Angehörige“. PROMENZ | Volkshilfe Österreich 9
SELBSTSTÄNDIG LEBEN MIT PROMENZ Foto: PROMENZ/Schönborn 10 PROMENZ | Volkshilfe Österreich
SELBSTSTÄNDIG LEBEN MIT PROMENZ 3 WIR ERINNERN – RESSOURCEN, WOHLBEFINDEN, UNTERSTÜTZUNG In den unterstützten Selbsthilfegruppen von schildern auch ihre Lösungen für die Mühen des PROMENZ und diversen Demenzangeboten Alltags. Wir alle können viel von Menschen mit der Volkshilfe teilen Betroffene ihre Erfahrungen Vergesslichkeit (MmV) lernen. mit uns. Sie berichten aus ihrem Leben, von Schwierigkeiten, die sich ihnen stellen und 3.1 Wie erleben Menschen Vergesslichkeit? „Es ist eine Schwächung, so wie die Kondition Unser Gehirn verarbeitet Milliarden von Informa- schwächer wird, werden halt gewisse andere tionen. In Nanosekunden werden unsere Sinnes- Dinge auch etwas schwächer.“ eindrücke ein- und zugeordnet. Ein rotweißes (Frau Gordon, Betroffene) Schild signalisiert uns „Einfahrt verboten“ – ohne dass wir gesondert darüber nachdenken müssen. Es beginnt schleichend. Fähigkeiten lassen Wir haben es unbewusst und bewusst gelernt nach, da oder dort vergisst man etwas. Es fällt und abgespeichert. Ein Lied erinnert an die erste schwerer, sich zu konzentrieren. So manches, Liebe. Der Duft von Zimt löst Weihnachtserin- was einem früher leicht von der Hand ging, er- nerungen aus. Manchmal fühlt sich die Sonne fordert mehr und mehr Aufmerksamkeit. Aber plötzlich wie damals am Meer an. Eine be- ist das nicht normal? Das Risiko einer demen- stimmte Berührung lässt uns erschauern. Diese tiellen Veränderung steigt mit dem Alter. Mit 60 Erinnerungen sind gut verankert, unser Gehirn Jahren ist eine/r von 100 betroffen, bei den über hat sie uns oft bestätigt. Sie bleiben auch bei 90jährigen jede/r Dritte. Im Grunde fühlen wir Menschen mit demenziellen Beeinträchtigungen uns meistens jünger, als wir tatsächlich sind. sehr lange erhalten. Trotzdem merken wir mit zunehmenden Jahren, wie die körperliche Leistungsfähigkeit abnimmt. Schwieriger ist es mit den Dingen, die wir im Da und dort gibt es Abnutzungserscheinungen Kurzzeitgedächtnis speichern. Sie sind zwar an Muskeln und Gelenken. Die Augen werden auch in mehreren zusammenarbeitenden Regio- schwächer, das Gehör lässt nach. Und auch nen des Gehirns abgelegt, aber nicht verankert. der Kopf funktioniert nicht mehr so schnell wie Dazu müssten wir sie bewusst „lernen“. in jüngeren Jahren. Wir sind langsamer beim Lernen neuer Dinge. Kennen Sie das? Sie betreten einen Raum und wissen plötzlich nicht mehr, was Sie gewollt Die meisten Menschen mit Vergesslichkeit haben. Meistens hilft es den Weg wieder retour (MmV) bemerken Gedächtnisprobleme, Schwie- zu gehen – vielleicht auch nur im Kopf, um rigkeiten beim Ausdruck eigener Gedanken in wieder drauf zu kommen. Dieser „kurze Weg Gesprächen und Orientierungs- und Konzent- retour“ wird für MmV immer schwieriger. rationsschwierigkeiten. Meistens sogar längere Gehirnzellen, die diese Arbeit erledigen sollten, Zeit bevor ihr Umfeld sie bemerkt. Die Symp- sind blockiert. Reize werden fehlgeleitet, können tome zeigen sich aber nicht stetig, sie werden nicht am richtigen Ort andocken. Unser Gehirn auch nicht immer wahrgenommen. ist darauf ausgerichtet Lösungen zu finden – intern wie extern. Es leistet Schwerarbeit. Unmittelbar wahrgenommene Beeinträchtigun- Es wird schwieriger sich in Raum und Zeit zu gen werden von den Betroffenen häufig wieder orientieren. „Einen Filmriss im Gedankenstrom“ vergessen. Manche geben an, überhaupt keine nennt der Züricher Gerontopsychiater Christoph Beeinträchtigungen zu haben. MmV bestehen Held die Veränderungen der Selbstwahrneh- daher häufig darauf, überhaupt keine Probleme mung bei Demenz. zu haben. Ist ja auch verständlich. Wer will schon ständig seine eigenen Schwächen vor Augen haben, noch dazu, wenn man diese nicht ändern kann? PROMENZ | Volkshilfe Österreich 11
SELBSTSTÄNDIG LEBEN MIT PROMENZ 3.2 Zwischen Akzeptanz und Verdrängung „Das bin doch nicht ich“, ist ein logischer Ge- Auch damit ist zu erklären, dass manche danke. „Die Geldtasche muss mir wer gestohlen Betroffene sich erst nach einer Zeit Informatio- haben.“ „Das hast du mir nicht gesagt.“ nen über Verlauf, Ursache und Behandlungs- Misstrauen taucht auf. Wem soll man trauen, möglichkeiten beschaffen. Die Aufklärung wenn man sich selbst nicht mehr traut? muss einfühlsam erfolgen – ein hohes Maß an Flexibilität und Diskretion ist notwendig. Daher Wir Menschen haben einen starken Selbst- sollte die Diagnoseeröffnung kein einmaliges erhaltungstrieb. Wir vermeiden Schmerz und Ereignis sein. Die MmV brauchen Zeit, um die körperliche Schäden. Würden wir uns ständig Diagnose zu verarbeiten. Und sie brauchen mit unseren Ängsten konfrontieren, wären wir Unterstützung, BegleiterInnen bei ihren Sorgen, handlungsunfähig. Angst lähmt. Um weiter im Ängsten und Bedürfnissen. Nahestehende Leben zu bleiben, richten wir unseren Blick auf Menschen spielen – neben professioneller Hilfe das, was wir können. MmV lenken also ihre – hierbei eine besonders wichtige Rolle. Aufmerksamkeit darauf, dass ihr Leben mög- lichst so weitergeht, wie es ist. Ihre Beeinträch- Häufig richten sich Aufklärungsgespräche, tigungen sind ihnen immer wieder bewusst, sie -broschüren und Beratungsangebote eher an sehen sie aber nicht als zentrales Problem. Sie An- und Zugehörige. Dabei geht es sehr stark wollen, dass alles normal bleibt. Oft begründen um die Defizite und Verluste durch die „Krank- sie ihre Schwächen mit einem „normalen heit Demenz“. Und um den möglichen Verlauf. Alterungsprozess“. Selbst praktische Hinweise wie Pflegestufen, Vorsorgeerklärung oder Testament können be- Die Anstrengung, das gewohnte Leben, die an- drohlich wirken, wenn es um die eigene Zukunft gestammte, verdiente Rolle zu erhalten, macht geht. Und mit den meisten Bildern möchte man die Sache nicht besser. Es kommt häufig zu sich nicht identifizieren. Missverständnissen. Das versetzt Betroffene und ihre Umwelt in Stress. Auch deshalb Oft weiß auch das soziale Umfeld nicht ganz, empfiehlt sich eine rechtzeitige Diagnose. Oft wie es nun mit der Diagnose umgehen soll. können Betroffene erst später positive Seiten Demenz kann nur im gemeinsamen Team von der „anderen Lebensphase“ sehen: „Ich traue Betroffenen, An-/Zugehörigen und Professionellen mich jetzt viel mehr.“ bewältigt werden. Eine Selbsthilfegruppe wie PROMENZ, der Austausch mit Menschen, die Es ist trotzdem ein mutiger Schritt, es wissen von ihrem Lebensalter unabhängig ähnliche zu wollen. Manchmal geht dem auch ein Erfahrungen haben, unterstützt dabei. Unsere Drängen der Nahestehenden voraus, manchmal NutzerInnen berichten von guten Erfahrungen ist es auch ganz allein die eigene Ahnung. trotz/mit der Krankheit: „Ich habe meine Flug- Die Diagnosestellung wird von den meisten angst vergessen.“ „Ich kann loslassen.“ „Ich Betroffenen als unangenehm empfunden. erlebe jeden Tag als neu.“ Es ist völlig normal, wenn man so eine Bot- schaft fürs Erste nicht wahrhaben will. Immer wieder erscheinen wissenschaftliche Studien zur Krankheitseinsicht bei Menschen mit Demenz. Manche Untersuchungen stellen das Leugnen der Krankheit sogar in die Nähe der Symptome für neurokognitive Erkrankungen. Wenn Menschen die Diagnose vor allem am Anfang leugnen, heißt das auch, dass sie nicht mitten in der Be- drohung sämtlicher ihrer Lebensbereiche und ihrer Rollen in der Gesellschaft, auf die Rolle „Demenzkranke/r“ reduziert werden wollen. „Wem sage ich es? Was werden die denken? Was mach ich jetzt: Tanzen für Demente?“ 12 Volkshilfe Österreich | PROMENZ
SELBSTSTÄNDIG LEBEN MIT PROMENZ 3.3 Wie bewältigen Menschen mit Vergesslichkeit ihre Beeinträchtigungen? Jeder Mensch hat eigene Strategien, um mit unserer NutzerInnen haben fast täglich Termine den Klippen des Lebens umzugehen. Es hängt und nutzen viele Angebote zu einem guten von verschiedenen Faktoren ab, ob wir im Falle Leben. Sie machen regelmäßig Bewegung vom einer Bedrohung erstarren, fliehen oder kämpfen. Laufen bis hin zu ausgedehnten Spaziergängen. Das vermindert die Unruhe, die zu den Sympto- Die PROMENZ-NutzerInnen tauschen sich in men gehört. Es stärkt aber auch den Allgemein- der Gruppe häufig über ihre Bewältigungsstrate- zustand, die Orientierung, das Körpergefühl und gien aus. Die Achtsamkeit, die sie in ihrem Alltag die Gedächtnisleistung. an den Tag legen, erstaunt die UnterstützerInnen oft. Sie bereiten sich sehr aufmerksam auf Manche stehen das erste Mal vor der Frage: kommende Situationen vor, sind sich möglicher „Was tut mir gut?“ Und schon das darüber Gefahren bewusst. Sie achten auf ihre Sicher- Nachdenken, gibt ein gutes Gefühl. Sie nützen heit. Eine PROMENZ-Botschafterin: „Früher bin vielleicht Angebote aus der Musik- und Kunst- ich oft bei Rot über die Straße gegangen. Heute therapie. Ob Gesangsunterricht oder Malen, weiß ich, mein Gesichtsfeld ist eingeschränkt.“ Vielen tut es gut, da endlich über ihren Schatten Und was macht man, wenn man einen Topf am zu springen. Wieder andere heben die Schätze Herd vergisst? Eieruhr mitnehmen, Herd mit ihrer Erinnerungen oder trainieren allein und in Zeitschaltautomatik, die Kindersicherung der Gruppen gerne auch spielerisch ihr Gehirn. Wir Tochter wieder auspacken. Die vielen „Merk- Menschen sind soziale Wesen, darum ist auch würdigkeiten des Alltags“ schreiben manche das Wichtigste in unserem Leben der Kontakt in Bücher und/oder nutzen aufgehängte Notiz- zu anderen Menschen – mit und ohne irgend- zettel. Stehkalender sind beliebt zum Vermer- welchen Diagnosen. Dazu gibt es die unter- ken von Terminen. Einige nutzen auch digitale schiedlichsten Angebote, je nach Interessens- Medien und ihre vielen Funktionen. lage (nähere Informationen finden Sie unter www.demenz-hilfe.at oder www.volkshilfe.at) Es empfiehlt sich für Betroffene, den Alltag klar zu strukturieren. Ein Tages- und Woch- Vieles ist lange möglich, manches wird neu enablauf mit verschiedenen Aktivitäten hilft lange entdeckt. die Selbstbestimmung zu behalten. Manche Foto: PROMENZ/Schönborn PROMENZ | Volkshilfe Österreich 13
SELBSTSTÄNDIG LEBEN MIT PROMENZ 3.4 Wie sprechen Menschen mit Vergesslichkeit über ihre Beeinträchtigungen? Keine/r von uns spricht gerne über seine ArbeitskollegInnen. Andere wiederum sprechen Schwächen. Seien wir ehrlich, die meisten von in ihrem Umfeld lieber mit Umschreibungen über uns haben ein leicht idealisiertes Bild von sich ihre Symptome: „Ich bin vergesslich.“ „Ich bin selbst vor dem inneren Auge. Dem versuchen verwirrt.“ „Mir ist gerade eine Masche herunter- wir nach außen zu entsprechen. Wir freuen gefallen.“ „Ach, das ist ja auch das Alter.“ uns, wenn wir darin erkannt werden. Und wir Unsere PROMENZ-NutzerInnen beweisen uns leiden, wenn wir vermeintlich verkannt werden. auch immer wieder, dass Humor eine sehr Menschen möchten nicht auf ihre Krankheiten, wichtige Quelle von Lebensenergie ist. „Demenz Behinderungen, ihr Aussehen, ihre Religion wird jetzt modern.“ Viele Betroffene sind aber reduziert werden. durchaus bereit über ihr Leben mit Vergesslich- keit Auskunft zu geben. Sie möchten so ihre Manche MmV haben auch erfahren, dass in im- Lebenswelt und auch die anderer Betroffener mer mehr ihrer Alltagssituationen Unterstützung mitgestalten. Sie sind ExpertInnen ihres eigenen notwendig ist. Sie gehen daher offen auf ihr Lebens. Sie wissen, was sie mögen, was sie Umfeld – Freunde, Familie, Nachbarschaft – zu ablehnen, was ihr Leben im öffentlichen Raum und informieren diese über ihre Krankheit. erschwert. „Redet mit uns nicht über uns“, wenn Sie holen sich auch in Alltagssituationen Hilfe dieses Prinzip berücksichtigt wird, sprechen und sprechen dabei offen über ihre Beeinträch- Menschen mit Vergesslichkeit auch über ihre tigungen. Andere wollen lieber anonym bleiben. Beeinträchtigungen. Sie fürchten das Getuschel von Nachbarn oder 3.5 Wie können Menschen mit Vergesslichkeit unterstützt werden? Haben Sie das Gefühl, jemand bräuchte Hilfe, – auch wenn es schwer fällt. Es darf schwer zögern Sie nicht, ihn anzusprechen. „Kann ich sein und muss – ja sollte sogar – nicht schön- etwas für Sie tun?“ In jedem Fall ist die Privat- geredet werden. sphäre des Menschen zu akzeptieren. • S steht für Struktur. Menschen in Krisen Das Hilfsangebot kann auch abgewiesen werden. brauchen Halt. Sie sehen sich meist nicht Das gilt in den wenigsten Fällen Ihnen persönlich. in der Lage, nächste Schritte zu planen Es kann sein, dass die/der Betroffene erst später oder sich durch den Dschungel von Hilfs- in der Lage ist, über die Probleme zu reden und angeboten zu kämpfen. Sie können helfen, dann auf Ihr Angebot zurückkommt. indem Sie klare Sätze formulieren. • I steht für Information. Besprechen Sie mit Jede Krankheit ist eine Krise für den einzelnen der Betroffenen/dem Betroffenen die Menschen und sein System. Das BASIS-Modell, nächsten Schritte, und thematisieren das aus der Notfallpsychologie stammt, kann Sie etwaige damit verbundene Ängste und auch für eine Krise wie die Diagnose und das Sorgen. Es ist möglich, dass es in schweren Fortschreiten der demenzieller Erkrankungen Belastungssituationen zu Reaktionen Orientierung bieten. kommt, die Betroffene für ungewöhnlich und besorgniserregend halten. Das BASIS-Modell: • S steht für Soziales. Die Umgebung soll • B steht für Beziehung aufbauen. Durch eine einbezogen werden. Wer kann helfen, wertschätzende Haltung und ein echtes wer unterstützt? Am besten ist eine Unter- Interesse an der Person kann eine stützung durch vertraute Personen, sofern vertrauensvolle Atmosphäre entstehen. diese in der Lage dazu sind. Menschen • A steht für Anerkennen. Das bedeutet eine in Ausnahmesituationen brauchen Akzeptanz des Ereignisses, der „Realität ins Geborgenheit. Auge blicken“ und das Gegebene annehmen 14 PROMENZ | Volkshilfe Österreich
SELBSTSTÄNDIG LEBEN MIT PROMENZ Bewertungen und simple Tipps sollten ver- hilfe Österreich und Demenz Support Stuttgart mieden werden. Für Nahestehende ist es oft setzen sich für mehr Möglichkeiten zur Selbst- nicht einfach, entsprechend zu helfen. Durch bestimmung und gegen Stigmatisierung ein. die Nähe beschäftigen sie oft eigene Gefühle, Betroffene, wie unsere PROMENZ-Botschafte- Gedanken und Ängste sehr. Professionelle rInnen, melden sich zu Wort. Sie zeichnen nicht und andere UnterstützerInnen bringen die oft nur ein anderes Bild demenzieller Beeinträchti- notwendige Distanz sowie Aus- und Weiter- gungen, sie verlangen auch anders wahrgenom- bildung mit, um bei manchen Herausforderun- men zu werden. PROMENZ versteht sich auch gen weiterzuhelfen. als Ansprechpartner für alle, die dazu beitragen können, bestehende Barrieren zur sozialen Teil- Menschen mit Vergesslichkeit sind vor allem habe und Selbstbestimmung zu beseitigen. Dies Menschen. Sie haben viel erlebt, sind Söhne, können soziale oder auch kulturelle Barrieren Töchter, Brüder, Schwestern, Geliebte, Väter, sein, wie zum Beispiel eine negative Sicht des Mütter, Mann, Frau. Sie sind Angestellte oder Alterns und ein Menschenbild, das Menschen Vorgesetzte, MeisterInnen, LehrerInnen, Künst- nach ihrem „Funktionieren“ beurteilt. Sprache lerInnen, sie haben studiert, hart gearbeitet. und Bilder verändern unser Denken, unseren Sie sind Genussmenschen und Asketen, homo- Umgang mit den Problemen dieser Welt. oder heterosexuell, und was auch immer noch PROMENZ will dazu beitragen, dass Demenz uns unterscheidet. Wir sollten sie – im optimalen ausgewogen dargestellt wird und sich Menschen Fall uns alle – als solche wertschätzend wahr- mit Vergesslichkeit in privaten und öffentlichen nehmen. Immer mehr nationale und interna- Umgebungen sicher und verstanden fühlen tionale Organisationen, wie die Plattform der können. Österreichischen Demenzstrategie, die Volks- 4 WIR HELFEN. PROMENZ SELBSTHILFE UND SELBSTVERTRETUNG Ausgehend von den Erfahrungen der Pionier- Unterstützte Selbsthilfegruppen von Menschen gruppe PROMENZ in Wien in den ersten fünf mit Vergesslichkeit in Österreich etabliert werden. Jahren sollen bis Ende 2020 mindestens fünf 4.1 Was ist unterstützte Selbsthilfe? Selbsthilfegruppen unterstützen NutzerInnen zum Thema Demenz interviewte sie so genannte dabei, ihren Alltag mit ihren Beeinträchtigungen Frühbetroffene. Immer wieder betonten diese, zu bewältigen. Oft hat das Umfeld Schwierig- dass sie ernst genommen werden wollen und keiten mit dem „veränderten“ Menschen umzu- unter dem Umgang der Gesellschaft mit diesem gehen. Manche Betroffenen ziehen sich darauf- Thema leiden hin zurück. In der Selbsthilfegruppe erleben sie Kontakt auf Augenhöhe. Sie finden ein Forum Aus dieser Erfahrung heraus entwickelte sie ein für ihre persönlichen Themen. Sie werden nicht Konzept für unterstützte Selbsthilfe, das auf das reduziert, was sie nicht mehr können. sie 2012 veröffentlichte. Sie werden als die Menschen gesehen, die eine Kaplaneck beschreibt acht Basiselemente Menge schaffen und fähig sind, Situationen und der unterstützten Selbsthilfe: Dinge auch anders zu betrachten. 1. Menschen mit Demenz verfügen über Die PROMENZ-Gruppen arbeiten auf der Basis ein Selbsthilfepotenzial. des unterstützten Selbsthilfe-Konzeptes von Sie verfügen über viele Ressourcen. Sie Michaela Kaplaneck. Sie hat nach zehn Jahren entwickeln Lösungen für die Probleme, Tätigkeit als Krankenpflegerin in Kiel „Soziale die sich ihnen durch ihre Krankheit stellen. Arbeit“ studiert. Im Zuge ihrer Forschungsarbeit Sie wollen im öffentlichen Raum da sein. PROMENZ | Volkshilfe Österreich 15
SELBSTSTÄNDIG LEBEN MIT PROMENZ 2. Selbsthilfe ist keine Fremdhilfe. überschaubaren Rahmen stattfinden kann. Für Die NutzerInnen tauschen sich mit Menschen mit Vergesslichkeit ist es oft schwierig Menschen aus, die ähnliche Erfahrungen sich zu konzentrieren, wenn zu viele Menschen wie sie haben. Jeder hat andere Fähig- um sie herum sprechen. Manche hören aufgrund keiten und Bewältigungsformen. Kluge ihres Alters nicht mehr so gut. In zu großen Ratschläge von Nicht-Betroffenen sind Gruppen bleibt oft zu wenig Zeit und Raum unangebracht. für die oder den Einzelnen. 3. Die Gruppe ist ein geschützter Raum. Das wird bei PROMENZ-Treffen durch Die Themen und Anliegen der NutzerInnen gemeinsam erarbeitete Regeln gesichert. stehen im Mittelpunkt. Die UnterstützerInnen Eine sehr wichtige Regel ist: „Alles, was in sehen sich als Dienstleistende und Assistenz: der Gruppe besprochen wird, bleibt in der Sie erinnern auf Wunsch an die Termine und Gruppe.“ unterstützen bei der An- und Abreise. Sie geben 4. Die Betroffenen sind die BestimmerInnen kein Programm vor. Sie ermutigen, dokumentieren (Selbstbestimmung). Die Themen der und sichern den Gesprächs- und Arbeitsprozess PROMENZ-Treffen bestimmen die Nutzer- der NutzerInnen. Innen. Ihre Bedürfnisse stehen im Vorder- grund. Vor der Aufnahme in die PROMENZ-Selbsthilfe- 5. Es geht um Selbsthilfe – mit Unterstützung. gruppe findet ein Abklärungsgespräch statt. Eine Selbsthilfegruppe erfordert viel Was erwartet sich die oder der Betroffene von Organisation: Termine planen, einladen, der Selbsthilfegruppe? Will sie oder er freiwillig das Treffen selbst gestalten. Gerade diese kommen? Falls dem so ist, gelten drei Treffen Dinge sind für Menschen mit demenziellen mit der Gruppe als so genannte „Check-In- Beeinträchtigungen besonders schwierig. Phase“, eine Art Eingewöhnungs- und Test- 6. Nicht-Betroffene sind „DienstleisterInnen“ phase. und Assistenz. Es geht um die NutzerInnen. Sie sind die ExpertInnen für ihre Lebens- Verschiedene Umstände – auch der Krank- welt. Die UnterstützerInnen erledigen die heitsverlauf – können zu einem Verlassen der Organisation und Moderation. Gruppe führen. In einer so genannten „Check- Die Ressourcen und Bedürfnisse der Out-Phase“ wird dieser Schritt mit offenen Betroffenen sind entscheidend. Gesprächen mit den Betroffenen und An- und 7. In der Gruppe sind nur Betroffene. Zugehörigen begleitet. Betroffene sind Menschen mit Vergesslich- keit, die den Verdacht auf Demenz haben Die Selbsthilfetreffen bieten den NutzerInnen oder bereits mit einer Demenzdiagnose einen geschützten Ort. Hier erleben sie Ver- leben. An- und Zugehörige werden außer- ständnis und Akzeptanz. Sie können frei über halb der Selbsthilfegruppe beraten. Sie ihre Gedanken und Gefühle sprechen. Und es werden über Angehörigen-Gruppen und wird auch viel gelacht. Sie können Ideen für ein -Beratung informiert. gutes Leben mit Vergesslichkeit entwickeln. 8. Die Teilnahme ist immer freiwillig. Selbst- Ganz nach dem Motto: hilfe kann nicht erzwungen werden und setzt das Bedürfnis nach Auseinanderset- „Wir nehmen unsere Schwäche an und zung und Austausch in der Gruppe voraus. bringen unsere Stärken ein. Wir lernen, achtsam und tolerant zu sein, zu uns Die PROMENZ-Selbsthilfetreffen finden alle zwei selbst und anderen. Zur Teilhabe brauchen Wochen statt. Sie dauern etwa zwei Stunden. wir Verständnis und Unterstützung.“ Die Teilnahme ist kostenlos. An jedem Treffen nehmen höchstens 12 Personen sowie nach Möglichkeit zwei UnterstützerInnen teil. Wenn ausreichend UnterstützerInnen anwesend sind und es die Räumlichkeiten zulassen, empfiehlt es sich unter Umständen, die Gruppe zu teilen, damit das Gespräch in einem vertrauten, 16 PROMENZ | Volkshilfe Österreich
SELBSTSTÄNDIG LEBEN MIT PROMENZ 4.2 Was ist unterstützte Selbstvertretung? Wenn es in der Öffentlichkeit um das Thema PROMENZ-BotschafterInnen Demenz geht, kommen sehr oft ExpertInnen • treffen z. B. VertreterInnen von demenz- und An- und Zugehörige zu Wort. Die direkt freundlichen Bezirken und Gemeinden, Betroffenen, die Menschen mit Vergesslichkeit, • nehmen an Arbeitsgruppen teil, werden selten aktiv angesprochen. Noch seltener • geben Interviews in verschiedenen Medien, melden sie sich zu Wort. Das soll und muss • treten bei Podiumsdiskussionen und sich ändern. Und der Prozess ist im Laufen. Pressekonferenzen auf, In Deutschland, Österreich und der Schweiz • wirken bei Schulungen, Workshops sprechen immer öfter Betroffene über ihr Leben. und Vorträgen mit, Diese Frauen und Männer verändern das Bild • beteiligen sich an Kunstprojekten, der Krankheit, nehmen ihr auch ein wenig von • sind auch auf internationalen Veranstaltungen ihrem Schrecken. Sie stärken damit Betroffene, wie der „Demenz Meet“ in Zürich. An- und Zugehörige und letztendlich unsere Gesellschaft. PROMENZ beteiligt sich aktiv an All das ist für die wenigsten Menschen einfach. diesem Prozess und will Teilhabebarrieren Umso schwieriger ist es für Menschen mit einer abbauen. von Vorurteilen belasteten Krankheit wie Demenz. Es gehört viel Mut dazu mit Namen und Gesicht PROMENZ setzt sich ein für die eigenen Interessen einzutreten. Dazu • für ein ausgewogenes Bild des Alterns und kommt die große Anstrengung, die durch des Lebens mit Vergesslichkeit bzw. Demenz kognitive Beeinträchtigungen verstärkt wird. • für demenzfreundliche Gemeinschaften und öffentliche Räume sowie nicht stig- PROMENZ-BotschafterInnen sprechen matisierende Darstellungen und wert- für sich – nicht für alle Menschen mit schätzende Sprache in den Medien und Vergesslichkeit. in der Fachwelt UnterstützerInnen begleiten BotschafterInnen • für Selbstbestimmung und Lebensqualität zu den Veranstaltungen. Dazu wird im Vorfeld von Betroffenen und von betreuenden vereinbart, welche Art von Begleitung für den/ An- und Zugehörigen, besonders für die BotschafterIn passend ist. Der oder die bedarfsgerechte und leistbare Unter- UnterstützerIn bewertet die Aussagen der stützungsangebote BotschafterInnen nicht, und bringt eigene • für Selbsthilfe und Vernetzung von Meinungen nur ein, wenn ausdrücklich Menschen mit Vergesslichkeit. gefragt oder mit dem/der BotschafterIn vereinbart. UnterstützerInnen kümmern sich Über die Website www.promenz.at und um mögliche Risiken, helfen, wo sinnvoll unserem Facebook-Auftritt wollen wir mehr und begleiten. Menschen mit Vergesslichkeit – aber auch UnterstützerInnen – ansprechen. So können Auch um die Nachbereitung kümmern sich die wir Mitglieder und Interessierte regelmäßig UnterstützerInnen. Sie halten Kontakt zum Ver- informieren. Mehrmals jährlich nimmt PROMENZ anstalter und organisieren für die BotschafterIn an öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen teil. Dokumentationen, Unterlagen und Ergebnisse Die PROMENZ-BotschafterInnen treten öffen- in vorher vereinbarter Form. UnterstützerInnen tlich für ihre Anliegen ein. Sie sind positive und BotschafterInnen treffen sich, um aus der Modelle und wirken am glaubwürdigsten gegen Erfahrung zu lernen und die „Sternstunden“ zu das Stigma und die Angst in der Bevölkerung feiern. Meist wird auch kurz in der Gruppe von vor der Demenz. der Erfahrung berichtet. PROMENZ | Volkshilfe Österreich 17
SELBSTSTÄNDIG LEBEN MIT PROMENZ Unterstützte Selbstvertretung bedeutet: • Individuelle Unterstützung und der Aufbau • PROMENZ bietet kompetente Ansprech- von Kapazitäten – angepasst an den partnerInnen für Akteure im öffentlichen jeweiligen Anlass. Raum (Medien, Politik, Fachöffentlichkeit, • Gemeinsamer Selbstermächtigungsprozess Sozialwirtschaft u. a.) in der Selbsthilfegruppe, Erarbeiten von Positionen und Schwerpunkten für die Öffentlichkeit. 4.3 Wer sind die NutzerInnen? PROMENZ richtet sich an Personen, die sich Ohne Unterstützung ist Selbsthilfe und durch kognitive Beeinträchtigungen wie Selbstvertretung für Menschen mit Ver- Vergesslichkeit oder Orientierungsschwierig- gesslichkeit kaum machbar. Es sind gerade keiten in der Alltagsbewältigung eingeschränkt die kognitiven Beeinträchtigungen, die durch das erleben. Sie können den Verdacht auf Demenz Krankheitsbild entstehen, die Organisatorisches haben oder bereits mit einer Demenzdiagnose für Betroffene sehr schwierig machen. Daher leben. Das Lebensalter spielt dabei eine unter- benötigen sie unser Mitwirken. geordnete Rolle. Selbsthilfe und Selbstvertretung stärken die Viele unserer NutzerInnen kommen durch Ver- Selbstbestimmung und sozialen Teilhabemög- mittlung ihrer An- und Zugehörigen zu PROMENZ. lichkeiten auf vielen Ebenen. Sie fördern die Wenn von den NutzerInnen gewünscht, unter- Gesundheitskompetenz der NutzerInnen. Sie stützt PROMENZ auch die An- und Zugehörigen tauschen sich über Sport, Ernährung, Krank- und berät sie. heitsverläufe und neue Informationen über die verschiedenen Krankheitsbilder aus. Weshalb braucht es unterstützte Selbst- hilfe und Selbstvertretung? ExpertInnen z. B. zu medizinischen Fragen oder Vorsorgevollmacht können eingeladen werden. PROMENZ bezweckt die Förderung von Betroffene ohne Diagnose können sich mit den Menschen mit Vergesslichkeit und ihren An- Vorteilen einer frühzeitigen diagnostischen Ab- und Zugehörigen und zwar im Hinblick auf: klärung auseinandersetzen. Dadurch kann der a. die Verbesserung der Lebensqualität Verlauf demenzieller Beeinträchtigungen positiv und der Hilfen für Inklusion, Selbsthilfe beeinflusst werden. Behandelbare Formen und Selbstvertretung können identifiziert werden. b. Bewusstseinsbildung in der Gesellschaft: Anerkennung dieser Form des Alterns, ressourcenorientierte Sichtweise und Entstigmatisierung von Demenz c. Verbesserung der Sozial- und Gesund- heitsversorgung sowie der öffentlichen Infrastruktur, um Teilhabebarrieren für Menschen mit Vergesslichkeit und ihre An- und Zugehörigen zu beseitigen d. Forschung zur Verbesserung der Lebens- qualität. 18 PROMENZ | Volkshilfe Österreich
SELBSTSTÄNDIG LEBEN MIT PROMENZ 4.4 Was ist uns wichtig in der Unterstützung von Menschen mit Vergesslichkeit? PROMENZ orientiert sich an einem ganzheitlichen Medien. In einer Gesellschaft die auf „Funktio- Menschenbild in der Tradition der humanistischen nieren“ setzt, wo eher weggeworfen als repariert Psychologie, der Logotherapie bzw. Existenz- wird, sieht man oft vor allem die Nachteile des analyse, der themenzentrierten Interaktion, der Alters. Und das obwohl wir in einer alternden Familientherapie und des personzentrierten Gesellschaft leben. Ansatz. Soziale, kulturelle und rechtliche Aspekte sind Bei diesen Denkansätzen wird der Mensch als in diesem Verständnis höchst bedeutsam für Einheit von Körper, Geist und Seele in einem das Wohlbefinden und die Lebenschancen der lebendigen System mit seiner Umwelt verbun- Person. Wir verstehen Demenz daher auch als den gesehen. Menschen können und wollen ihr „WIR-Erkrankung“, die uns als Mitmenschen Leben selbst bestimmen, ihm Sinn und Ziele und als Gesellschaft herausfordert. Dabei orien- geben. Wir wollen dabei eher auf die schöpferi- tieren wir uns an der UN-Behindertenrechts- schen Fähigkeiten des Menschen schauen, als konvention und ihrer Definition für Menschen ihn über Störungen zu definieren. mit Behinderungen: „Menschen, die lang- fristige körperliche, seelische, geistige oder Wir alle sind in erster Linie Menschen, Persön- Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie lichkeiten mit individueller Lebensgeschichte und in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrie- Lebensumfeld. Jede/r von uns kann irgendwann ren an der vollen, wirksamen und gleich- betroffen sein. Demenzielle Beeinträchtigungen berechtigten Teilhabe an der Gesellschaft sind eine Lebenskrise, wie andere schwere hindern können.“ Erkrankungen, Unfälle, Tragödien. Demenzielle Beeinträchtigungen fordern von den Betroffenen, Diese Barrieren können strukturelle oder auch sich stetig dem fortlaufenden Abbau ihrer kog- kulturelle Barrieren sein, wie zum Beispiel eine nitiven Fähigkeiten zu stellen. Die Verluste und defizitorientierte Sicht des Alterns und der Ver- Veränderungen belasten nicht nur den gesslichkeit und ein Menschenbild, mit dem wir Menschen in seiner Person, sie belasten auch Menschen ihren Wert aufgrund ihres „Funktio- das Beziehungsgeschehen. nierens“ zu- oder absprechen. Unser Leben im dritten Jahrtausend fordert uns einiges ab. Alles ist schneller geworden. Allen voran die Kommunikation mittels digitaler PROMENZ | Volkshilfe Österreich 19
SELBSTSTÄNDIG LEBEN MIT PROMENZ 5 WAS MACHT PROMENZ? • Unterstützte Selbsthilfe(gruppen) sichern, fördern und weiterentwickeln • Unterstützte Selbstvertretung und Öffentlichkeitsarbeit (Demenzstrategie, demenzfreundliche Kommunen, Veranstaltungen, partizipative Forschung, Medien, Tagungen etc.) • Vernetzung • Qualifizieren von UnterstützerInnen 6 WOFÜR SETZT SICH PROMENZ EIN? • Für ein leichteres Leben mit Vergesslichkeit • Für einen ressourcenorientierten Zugang • Für Selbstfürsorge, Selbstbestimmung, Selbstvertretung und soziale Teilhabe • Für Anerkennung und Unterstützung der Perspektiven von Menschen mit Vergesslichkeit • Für Interessensvertretung von und für Menschen mit Vergesslichkeit 7 WAS SIND BOTSCHAFTERINNEN? Einige NutzerInnen treten als BotschafterInnen in der Öffentlichkeit für ihre Anliegen ein. Sie sind positive Modelle und wirken am glaubwürdigsten gegen das Stigma und die Angst in der Bevölkerung vor der Demenz. Somit setzt sich PROMENZ auch das Ziel, Öffentlichkeitsarbeit und Lobbying anwaltschaftlich für Menschen mit Vergesslichkeit sowie deren An- und Zu- gehörige zu leisten. Solche Auftritte sind in der Regel mit besonderem Stress verbunden. PROMENZ-BotschafterInnen können dabei auf unsere Unter- stützung zählen: Wir beschaffen nützliche Information zur Entscheidungs- findung und begleiten sie von der Vorbereitung bis zur Reflexion danach. 20 PROMENZ | Volkshilfe Österreich
SELBSTSTÄNDIG LEBEN MIT PROMENZ 7.1 Was sind leitende bzw. begleitende UnterstützerInnen? Die leitende Unterstützung ist verantwortlich für Daher sind sie bereit, mit anderen, besonderes den Rahmen eines Selbsthilfetreffens – nicht der begleitenden Unterstützung, das eigene für die Inhalte. Sie sorgt für ein sicheres Umfeld Verhalten und seine Wirkung zu reflektieren. und fördert einen ressourcenorientierten, wert- schätzenden Umgang. Sie trägt eine besondere Leitende UnterstützerInnen werden auf ihre Verantwortung für die Sicherheit der Personen Rolle und Funktion schrittweise vorbereitet und im Hinblick auf Missbrauch und Gewalt. qualifiziert. Sie erhalten das Qualitätshandbuch und arbeiten sich in die Inhalte und Abläufe der UnterstützerInnen sind aufmerksam und PROMENZ-Initiative ein. Sie werden von einer/ orientieren sich am Wohl der Teilnehmenden. einem Verantwortlichen auf dieser Grundlage Sie sind sich dieser Verantwortung bewusst. eingeführt. 7.2 Wie können die NutzerInnen erreicht werden? NutzerInnen werden häufig über deren An- und meinem Lebensalter überhaupt geeignet?“ Zugehörige bzw. Freunde und Bekannte auf uns „Wie können An- und Zugehörige Unterstützung aufmerksam gemacht. Diese leisten im Vorfeld in Anspruch nehmen?“ In diesem Fall nimmt häufig Motivierungsarbeit oder unterstützen bei unsere erfahrene fachliche Leitung gerne mit der An-/Abreise. Nahestehende sollten deshalb den AnruferInnen Kontakt auf. Diese begleitet auch bei der Bewerbung und Kommunikation auch unsere UnterstützerInnen und Angebote angesprochen werden. fachlich. Was sollte bei Anfragen und beim Wie wird eine Gruppe vorbereitet? Erstkontakt beachtet werden? Die Termine für die 14-tägigen Gruppentreffen Für eingehende Anfragen benötigt es eine werden etwa sechs Monate im Voraus verein- geschulte Erstkontaktstelle. In Wien wird dies bart. Sie können so auch auf einer Aktivierungs- durch das PROMENZ Office gewährleistet. karte zur Erinnerung vermerkt werden. AnruferInnen können ihre Anliegen und Der/ die leitende UnterstützerIn erhält vor jedem Fragen einbringen, schildern ihre Situation. Treffen folgende Dinge von der Office Leitung: Die Büroleitung macht auf Gruppen in der Nähe • Eine NutzerInnenliste (ohne Gewähr und die kommenden Termine aufmerksam. auf Vollständigkeit!) Sie bereitet auf die Selbsthilfegruppentreffen • Informationen, ob NutzerInnen Unterstüt- vor, indem sie den Anreiseweg erklärt und zung bei An- und Abreise wünschen abklärt, ob Unterstützung für den Hin- und • Aufträge zur Weitergabe und Beschaffung Rückweg benötigt wird, die wir nach Möglich- von Informationen, zur Einholung von Ein- keit gewährleisten. verständniserklärungen, Unterschriften etc. Angehörige bzw. Zugehörige werden informiert, Die Office-Leitung erinnert die NutzerInnen wie sie Menschen mit Vergesslichkeit auf die auf Wunsch per Telefon oder SMS am Vortag Gruppe vorbereiten können. Das Wort Demenz an die Treffen. Zudem setzen wir Erinnerungs- muss dafür nicht verwendet werden. karten für anstehende Aktivitäten ein. Helfen kann darauf hinzuweisen, dass es eine Diese geben wir bei den Gruppentreffen Gruppe von Menschen ist, die sich für das geis- an interessierte NutzerInnen aus. tige Wohl einsetzen und sich dabei gegenseitig unterstützen und bestärken. Manchmal tauchen Fragen auf wie: „Ist das Angebot für mich mit meinem Krankheitsbild, in PROMENZ | Volkshilfe Österreich 21
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