Sexuelle Gesundheit und Migration in Essen - Maßnahmen zum Innovationshaushalt im Rahmen der "Strategie Interkulturelle Orientierung" - Aidshilfe ...
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Sexuelle Gesundheit und Migration in Essen Maßnahmen zum Innovationshaushalt im Rahmen der „Strategie Interkulturelle Orientierung“ Projekterfahrungen und Perspektiven Januar 2018
Inhaltsverzeichnis 1. Arbeitskreis sexuelle Gesundheit und Migration Seite 5 1.1 Arbeitskreis-Mitglieder Seite 5 2. Ausgangssituation Seite 6 2.1 Schwerpunkte Seite 6 3. Förderung über den Innovationshaushalt Seite 7 3.1 Maßnahmen 2014 – 2017 Seite 7 4. Weitere Entwicklung und Ausblick Seite 8 4.1 Maßnahmen 2017 – 2019 Seite 8 5. Anhang: Projektberichte Seite 9 5.1 Sozial- und Gesundheitsberatung für Seite 9 afrikanische Migrantinnen und Migranten aus der Subsahara, Caritas Aidsberatung 5.2 Psychosoziale Beratung und Vernetzung Seite 11 für Migrantinnen und Migranten in der Berufsfindungsphase, Aidshilfe Essen 5.3 Entstigmatisierung von Männer, die Sex mit Seite 13 Männern haben (MSM) in der breiten muslimischen Öffentlichkeit, Aidshilfe Essen 5.4 Liebes-Welten Interkultureller Parcours zur Seite 15 sexuellen Gesundheit, AWO Lore-Agnes-Haus 5.5 Integrations- und Ausstiegshilfen für Seite 17 Sexarbeiterinnen mit Zuwanderungsgeschichte, Fach- und Beratungsstelle Nachtfalter 3
1. Arbeitskreis sexuelle Gesundheit und Migration Der Arbeitskreis “sexuelle Gesundheit und Migration“ wurde 2012 vom Gesundheitsamt gegründet und arbeitet seitdem unter dessen Feder- führung zum Themenfeld „sexuelle Gesundheit und Migration“. Dazu gehören die Themen: • Liebe, Partnerschaft, Sexualität Familienplanung, Sexualpädagogik, Verhütung, Schwangerschaft, Vergabe von Mitteln der Bundesstiftung Mutter und Kind in Not, ungewollte Schwangerschaft und Schwangerschaftskonflikt, Schwangerschaft und HIV • HIV/AIDS und sexuell übertragbare Infektionen (STI) Übertragung, Schutz, Beratung, Test/Untersuchung, Behandlungsmöglichkeiten, HIV/STI und Migration, positive Familienmitglieder, Entstigmatisierung • Sexuelle Vielfalt – sexuelle Lebensstile sexuelle Orientierung, Homosexualität, Bisexualität, Transsexualität, Intersexualität, Coming-out, HIV und Homosexualität, Antidiskriminierung • Sexuelle Gewalt und sexueller Missbrauch • • Prostitution/Sexarbeit (männlich und weiblich) auch in Verbindung mit Menschenhandel 1.1 Arbeitskreis-Mitglieder Arbeiterwohlfahrt Beratungszentrum Lore-Agnes-Haus Aidshilfe Essen e.V. Caritasverband für die Stadt Essen e.V., Aidsberatung und Nachtfalter Ev. Beratungsstelle für Schwangerschaft, Familie und Sexualität Gesundheitsamt Essen, Beratungsstelle zu HIV/AIDS und anderen se- xuell übertragbaren Infektionen, Geschäftsführung Kommunales Integrationszentrum Essen 5
2. Ausgangssituation Der Arbeitskreis organisierte am 15. Juli 2013 einen Fachtag zur Umsetzung des Strategiekonzeptes interkulturelle Orientierung mit dem Ziel, sowohl die interkulturelle Öffnung bestehender Angebote weiter zu entwickeln, sie dem gesellschaftlichen Wandel anzupassen, als auch neue bedarfsorientierte Angebote für Migrantinnen und Migranten zu schaffen. Eine Bestands- und Bedarfsanalyse wurde durchgeführt, um unter Berück- sichtigung der Bevölkerungszusammensetzung in Essen relevante Arbeits- felder und gefährdete Gruppen herauszuarbeiten um ihnen den Zugang zu Informationen, Beratung und Versorgung zu ermöglichen. Die Einrichtungen legten in gemeinsamer Abstimmung fest, welche Träger sich welchen Aufgaben bzw. Schwerpunkten in den folgenden Jahren wid- men würden. Die Ergebnisse, die Ausrichtung u. Schwerpunktsetzung der Arbeit wurden im Rahmenkonzept „Sexuelle Gesundheit und Migration in Essen“ festge- halten. 2.1 Schwerpunkte • Communities stärken/Angebote für Menschen aus Subsahara-Afrika • • Männergesundheit und –sexualität sowie sexuelle Identität und LSBTI • (Lesbisch, Schwul, Bi-Trans-Intersexuell), insbesondere mit Blick auf muslimische Männer) • • Lebensweltbezogene Information und Prävention für Migrantinnen und Migranten zur sexuellen Gesundheit • • Stadtteil- und lebensweltbezogene Information, Beratung und Untersu- chung zum Themenfeld HIV und sexuell übertragbare Infektionen (STI) • • Aufsuchende lebensortnahe Angebote zum Themenfeld HIV, sexuell übertragbare Infektionen, sexuelle Gesundheit in Verbindung mit so- zialen Hilfen für Frauen in der Armutsprostitution 6
3. Förderung über den Innovationshaushalt Auf der Grundlage des Rahmenkonzeptes und der erarbeiteten Bedarfslage wurden fünf Maßnahmen in enger Abstimmung und mit Unterstützung des Kommunalen Integrationszentrums zur Förderung mit Finanzmitteln aus dem Innovationshaushalt der Stadt Essen angemeldet. Die Maßnahmen wurden bewilligt und es wurden Fördermittel in unter- schiedlicher Höhe über einen Zeitraum von 3 Jahren bereitgestellt. Alle Ein- richtungen beteiligten sich im Rahmen der Kooperation an der Gestaltung und Durchführung innovativer Angebote. 3.1 Maßnahmen 2014 - 2017 Aidshilfe Essen: Psychosoziale Beratung und Vernetzung für und von Migrantinnen und Migranten in der Berufsfindungsphase (01.04.2014-31.12.2016) Caritas-Aidsberatung: Sozial- und Gesundheitsberatung für Migrantin- nen und Migranten aus der Subsahara-Afrika (01.01.2014-31.12.2016) Diesen Maßnahmen liegt ein gemeinsames Konzept der beiden Ein- richtungen zur Weiterentwicklung der Angebote für Menschen aus der Subsahara-Afrika zugrunde. Aidshilfe Essen: Entstigmatisierung von MSM (Männer, die Sex mit Männern haben) in der breiten muslimischen Öffentlichkeit (01.04.2014-31.12.2016) AWO Beratungszentrum Lore-Agnes-Haus: Interkultureller Wander- parcours „Liebes-Welten“ zur sexuellen Gesundheit für Migrantin- nen und Migranten (01.05.2014-31.12.2016) Fach- und Beratungsstelle Nachtfalter des Caritasverbandes für die Stadt Essen e.V. : Integrations- und Ausstiegshilfen für Sexarbeite- rinnen mit Zuwanderungsgeschichte (01.10.2014-30.06.2017) Die beteiligten Akteure arbeiteten in den Projekten eng vernetzt unterei- nander, mit dem Gesundheitsamt und dem kommunalen Integrationszen- trum. Zahlreiche fruchtbare Kooperationen entstanden. Schulungen und Veranstaltungen wurden gemeinsam organisiert und durchgeführt. Die Arbeitskreis-Mitglieder nahmen z. B. auch gemeinsam an der Interkultu- rellen Woche (Arche Noah) teil, wo sie über sexuelle Gesundheit und die Angebotsstruktur in Essen informierten und sich für die Entstigmatisie- rung von Menschen mit HIV einsetzten. 7
4. Weitere Entwicklung und Ausblick Bei einem 2. Fachtag am 11. Februar 2015 wurden die Erfahrungen aus den Arbeitsfeldern zusammengetragen und evaluiert. Eine neue Bedarfslage an- gesichts der veränderten Situation (Flüchtlingsbewegung) wurde festgestellt. Anhand der Ergebnisse und der Erfahrungen aus den Projekten wurde im September 2016 das Rahmenkonzept überarbeitet und dem aktuellen Stand angepasst. Die neue Ausrichtung der Arbeit (insbesondere der Sozial- raumbezug der Angebote) und Schwerpunktsetzung zum Themenfeld „se- xuelle Gesundheit“ wurden festgehalten. Die Evaluation der Projekte (s. Berichte im Anhang) ergab, dass die Maßnah- men das Ziel erreicht haben, einen Zugang zu schwer erreichbaren Commu- nities und vulnerablen Gruppen zu finden sowie neue und besser vernetzte Angebote in Antwort auf die Bedarfslage zu etablieren und weiter zu entwi- ckeln. Auf dieser Grundlage der Erkenntnisse wurden vier weitere neue Maßnah- men zur Förderung beim Kommunalen Intergrationszentrum für den Inno- vationshaushalt angemeldet. 4.1 Maßnahmen 2017 - 2019 Aidshilfe Essen: Netzwerkarbeit, Teilhabe, Prävention und Beglei- tung von Menschen aus Subsahara-Afrika als Gesundheitsbotschaf- terinnen und -botschafter zur sexuellen Gesundheit in den Essener Communities (bewilligt) Caritas Aidsberatung: HIV/STI-Prävention in afrikanischen Glaubens- gemeinschaften „Glaube und Gesundheit“ (bewilligt) Aidshilfe Essen: Entstigmatisierung von Männer, die Sex mit Männern haben (MSM) in Essener Bevölkerungsgruppen mit Migrationshin- tergrund (bewilligt für ein Jahr/Überführungsstrategie erforderlich) AWO Lore-Agnes-Haus: Liebes-Welten erobern Lebenswelten (bewil- ligt für ein Jahr/Überführungsstrategie erforderlich) 8
5. Anhang: Projektberichte 5.1 Sozial- und Gesundheitsberatung für afrikanische Migrantinnen Projektberichte und Migranten aus der Subsahara, Caritas Aidsberatung Die in der Gesellschaft üblichen Präventionsbotschaften erreichen afrikani- sche Migrantinnen und Migranten nicht. Aus diesem Grunde benötigt diese Zielgruppe spezielle und aufsuchende Angebote. Für viele Afrikanerinnen und Afrikaner stellt Gesundheitsprävention oder auch das Handeln im Vor- feld einer Erkrankung eine befremdliche Handlungsweise dar. Die Maßnahme zielte darauf, den Zugang zu dieser sehr schwer erreichba- ren Zielgruppe in der HIV/Aids- und STI-Prävention zu verbessern. Das Ziel, über die psychosoziale Stabilisierung der Lebenssituation dieser Migrantin- nen und Migranten und über die Vernetzung der in der Kirchengemeinde St. Gertrud stattfindenden verschiedenen Angebote die Voraussetzungen zu schaffen, um Botschaften zu Gesundheits- und HIV-Prävention besser platzieren zu können, konnte durch diese Maßnahme erfolgreich umgesetzt werden. Der Einsatz einer in der afrikanischen Community verankerten Fachkraft mit vielfältigen Fremdsprachenkenntnissen erleichterte hier den Zugang. Das Angebot der Sozial- und Gesundheitsberatung in der Kirchengemeinde St. Gertrud und Umgebung für afrikanische Migrantinnen und Migranten wurde im Essener Stadtgebiet sehr gut etabliert. Die 839 afrikanischen Kli- entinnen und Klienten fanden den Zugang zur Beratung. Es fand darüber hinaus eine niederschwellige Vermittlung von Präventionsbotschaften statt. 9
Mit Hilfe der von dem Mitarbeiter erworbenen Kompetenzen und seiner Projektberichte Vertrauensstellung in der Community sowie der Teilnahme an der Studie1 zur Präventionsbereitschaft für Migrantinnen und Migranten aus der Sub- sahara-Afrika 2015 - 2016 konnte die Zahl der ratsuchenden Migrantinnen und Migranten im Jahr 2016 nahezu verdoppelt werden. Angesicht der knappen Ressourcen (ca. 11 Stunden wöchentlich) und der zunehmenden Beratungsanfragen im Jahr 2016 konnten intensive Begleitungen und fach- spezifische Beratungen nur noch in begrenztem Umfang erfolgen. Durch weitreichende Vernetzungsarbeit bestand eine regelmäßige Zusam- menarbeit mit den Kooperationspartnerinnen und -partnern, insbesondere mit der Aidshilfe Essen, die zum Erfolg der Maßnahme maßgeblich beige- tragen hat. Über die Sozial- und Gesundheitsberatung wurden Themen wie HIV/ STI in der afrikanischen Community zwar platziert und tabuisierte Themen zur se- xuellen Gesundheit angesprochen, jedoch war die praktische Umsetzung von Präventionsbotschaften und Schutzmaßnahmen aufgrund der bestehenden religiösen und kulturellen Barrieren, insbesondere in afrikanischen Kirchen- gemeinden in Essen, sehr schwierig. Hierzu ist es erforderlich, über die Ak- teure in den Kirchengemeinden einen Zugang zu erlangen sowie Akzeptanz und Umsetzung von Präventionsmaßnahmen weiter zu entwickeln. Das Projekt der „Sozial- und Gesundheitsberatung für afrikanische Migran- tinnen und Migranten aus der Subsahara“ wurde aufgrund fehlender Weiter- finanzierung nach Auslaufen der Maßnahme eingestellt. Es konnte jedoch in einem geringfügigen Umfang durch ehrenamtliche Tätigkeit die Anlaufstelle in der Kirchengemeinde St. Gertrud aufrechterhalten werden. 1 Studie des Robert-Koch-Institutes zu sexueller Gesundheit mit Migrantinnen und Migranten aus Subsahara-Afrika (MISSA) im Rhein-Ruhr Gebiet 10
5.2 Psychosoziale Beratung und Vernetzung für und von Migrant- Projektberichte innen und Migranten in der Berufsfindungsphase, Aidshilfe Das Projekt der Aidshilfe Essen e.V. (AHE) konnte mit 4 Stunden wöchentlich von 2014 - 2016 erfolgreich abgeschlossen werden. Ziel des Projekts war die Beratung und Aufklärung zu den Themen HIV/Aids und sexuell übertragba- re Infektionen (STI) sowie Mann-Mann-Kontakte in der so vielschichtigen Gruppe der heranwachsenden Migrantinnen und Migranten aus Subsahara-Afrika zwischen Schule und Be- ruf. Durch die junge Generation sollte in den gesamten Communities aus Subsahara-Afrika in Essen eine Entstigmatisierung der o.g. Themen gelingen, um die Zielgruppe dadurch nachhaltig in die Regelver- sorgung einzubinden. Dieses Projekt arbeitete eng- maschig mit dem Projekt der Aidsberatung der Ca- ritas zusammen. Synergien und Arbeitsaufteilungen waren klar definiert. Es hat sich gezeigt, dass die Berufsanfängerinnen und -anfänger sehr offen gegenüber dem Thema HIV und Aids waren. Vor allem die methodische Herangehensweise, die Ziel- gruppe zur Mitarbeit und Partizipation zur bewegen, war ausschlaggebend für die erfolgreiche Umsetzung. Die Kooperationen wurden im Projektzeitraum mit folgenden Schulen und Treffpunkten der Community nach dem Community-Mapping1 (in 2015) verstetigt: 1. - Gesamtschule Bockmühle 2. - Unesco-Schule 3. - Afro Treffpunkt Altendorf 4. - Hugo-Kükelhaus-Berufskolleg: Internationale Förderklasse 5. - Altenpflegeschule MaxQ 6. - Frida Levy Schule 7. - Berufskolleg Essen-Mitte: Schwanenkampstraße 8. - Pflegeschule der Kliniken Essen-Mitte 1 Karte für Begegnungsorte 11
Projektberichte Insgesamt wurden ca. 20 Infoveranstaltungen, ca. 50 psychosoziale Beratungen, also engmaschige Hilfestellung in Alltagsfragen und etwa 120 Beratungskon- takte zu Migrantinnen und Migranten, insbesondere aus Subsahara-Afrika, durchgeführt. Auffallend bei der Zwischenanaly- se des Projektes war das große In- teresse an Informationen zu sexu- ell übertragbaren Infektionen, hier allen voran das Interesse an den Hepatiden. Auch durch die Durch- führung der Robert-Koch-Institut-Studie zur Präventionsbereischaft von Menschen aus Subsahara-Afrika (2015) konnte ein offener Umgang zu STI erreicht werden, der eine Auseinandersetzung mit HIV massiv vereinfach- te. Ebenfalls förderlich für die Strategieentwicklung war das große Engage- ment einzelner junger Afrikanerinnen und Afrikaner, die in unterschiedlichen Communities die Diskussion zu HIV und STI mit einem ganz persönlichen In- teresse verknüpften und vorantrieben. Hierüber erreichte die Aidshilfe Essen das Ansehen eines professionellen und zuverlässigen Ansprechpartners und „Arbeitgebers“, bei dem die ehrenamtliche Mitarbeit gewertschätzt wird. Eine Überleitung in die Beratungsstrukturen gestaltete sich in Mitte 2016 noch schwierig. Durch den partizipativen Ansatz der ehrenamtlichen Mitarbeit, die Einbindung der Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler aus Subsahara-Afrika bei übergreifenden Veranstaltungen der Aidshilfe Essen, die Beteiligung der Aids- hilfe Essen am FIM-Projekt (Arbeitsprojekt für Flüchtlinge) und die Einbezie- hung der Zielgruppe MiSSA bei Infoveranstaltungen und Beratungsgesprächen ließ sich eine Überleitung zu regelfinanzierten Beratungs- und Testangeboten dennoch ansatzweise und in Einzelfällen umsetzen. Die jungen Afrikanerinnen und Afrikaner dienten direkt oder indirekt als Türöffner und Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. Hier kann also von einer erfolgreichen interkulturellen Öffnung der MiSSA-Com- munities in Essen und einer anfänglich erfolgreichen Überführung in niedrig- schwellige kultursensible Beratungsangebote gesprochen werden. Die Integration von MiSSA in das Strategiepapier der BRD zur Eindämmung sexuell übertragbarer Infektionen ist ebenfalls als großer transkultureller Erfolg zu werten. Aus diesen Ergebnissen entwickelte sich das neue Projekt der Gesundheitsbot- schafterinnen und -botschafter der Aidshilfe Essen e.V., welches als Maßnahme angemeldet wurde und zur Zeit umgesetzt wird. 12
Projektberichte 5.3 Entstigmatisierung von MSM in der breiten muslimischen Öffentlichkeit, Aidshilfe Essen Mit diesem Projekt sollte die Enttabuisierung von sexueller Vielfalt (Homo-, Bi- & Trans-Sexualität) und die Entstigmatisierung von HIV/Aids und anderer se- xuell übertragbarer Infektionen (STI) bei muslimi- schen Migrantengruppen in Essen mit 10 Stunden wöchentlich vorangetrieben werden. Innerhalb des dreijährigen Projektzeitraumes ist es mittels vielfältiger Angebote und aufsuchender Arbeit gelungen, Zugänge zu Migranten-Communities und Migrantenselbstorganisationen (MSO) zu schaf- fen. Durch die Partizipation an Großveranstaltungen, die überwiegend von Menschen mit Migrationshintergund frequentiert werden, wie beispielsweise das „Internationale Fest auf der Zeche CARL“ oder die „Interkulturelle Wo- che“ in der Essener Innenstadt, wurden viele Menschen mit muslimischem Migrationshintergrund auf das Thema Homosexualität und MSM aufmerksam gemacht. Das bewährte Instrument des „Akzeptanzführerscheins“, bei dem verschiedene Aussagen zum Thema Homosexualität getroffen und je nach Punktezahl der Akzeptanzführerschein bestanden werden kann, kam hierbei besonders bei Großveranstaltun- gen zum Einsatz. Neben den öffentlichen Veranstal- tungen wurde die Arbeit zur Ent- stigmatisierung auch in Essener Schulen, die einen hohen Migrati- onsanteil aufweisen (z.B. Gesamt- schule Bockmühle, Berufskolleg Essen-Mitte), durchgeführt. Im Rahmen dieser Veranstaltungen wurde den Schülerinnen und Schülern die rechtliche Situation von Homosexuellen im in- ternationalen Vergleich vermittelt und subjektive Bewertungsschemata zur Ein- ordnung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen in einem didaktisch aufbereite- ten Setting kritisch hinterfragt. Die Nutzung von Angeboten zur sexuellen Gesundheit durch muslimische Mit- bürgerinnen und Mitbürger findet im Kontext der Arbeit der Beratungsstelle „Mashallah!“ und der Testangebote in Kooperation mit dem Gesundheitsamt der Stadt Essen statt. 13
Im diesem Projektzeit- Projektberichte raum (2014 - 2016) war das Projekt auf insge- samt 22 öffentlichen Ver- anstaltungen vertreten, die entweder verstärkt von Migrantinnen und Migranten aufgesucht wurden oder besonders mit dem Thema gleich- geschlechtliche Lebens- weisen (wie z.B. Ruhr CSD, „Queer Refugee“ Podiumsdiskussion) zusammenhingen. Es fanden 15 Koope- rationstreffen statt und etwa 1150 Menschen der Zielgruppe wurden erreicht. Weiterhin zeigt sich, dass sich das Rahmenkonzept „Sexuelle Gesundheit & Migration“ als solide Basis für ein vielschichtiges, sozialpädagogisches Han- deln erweist, jedoch aufgrund der hohen Barriere die Platzierung des The- mas Homosexualität in Migrantenselbstorganisationen fortgeführt werden muss. Hierzu ist der Einsatz von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren als langfristige und zielführende Ergänzung zu nennen. Infolge des Zuzugs von Geflüchteten, aber auch an Einstellungen, beispielsweise osteuropäischer Migrantinnen und Migranten, wird deutlich, dass eine Fortsetzung der Ent- stigmatisierungsarbeit in Bezug auf Einstellungen und Wissen zu den The- men sexuelle Gesundheit und Vielfalt ausgebaut und fortgesetzt werden muss. 14
5.4 Liebes-Welten Projektberichte Interkultureller Parcours zur sexuellen Gesundheit AWO Lore-Agnes-Haus Das Projekt Liebes-Welten richtet sich an Menschen mit Migrationserfahrung und Fluchtgeschichte in Es- sen. Seit 2015 wurden mit dem Parcours 64 Gruppen mit rund 1000 Personen und 100 hauptamtliche Fachkräfte erreicht. Die Teilnehmenden setzten sich aus Frauengruppen, Vereinen (Elternvereine, Moscheevereine, deutsch-syrische Gemeinde usw.), unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten, Berufsvorberei- tungsklassen und Deutschkursen zusammen. Der Parcours ermöglicht, dass Besucherinnen und Besucher sich mit Fragen der sexuellen Gesundheit beschäftigen, die in der Familie oder im Freundes- kreis häufig nicht besprochen werden können. Die Teilnehmenden können darüber hinaus die Präventionsangebote der Essener Facheinrichtungen auf- grund von sprachlichen und sozialen Barrieren oft nicht ausreichend in An- spruch nehmen. Der Parcours Liebes-Welten beschäftigt sich beispielsweise mit: Liebe, Part- nerschaft, Lebensplanung, Verhütung, Familienplanung, Sexualität, Schwan- gerschaft, sexuell übertragbaren Infektionen und auch mit unterschiedlichen Wertvorstellungen in der Gesellschaft (sexuelle Orientierung, voreheliche Se- xualität usw.). Der Mitmach-Parcours bietet einen Spannungsbogen von Lernen und Spaß, Kommunikation und Aktion und regt die Teilnehmen- den dazu an, sich auch mit tabuisierten Themen spie- lerisch zu beschäftigen. 15
Das AWO Lore-Agnes-Haus lädt somit die Menschen ein, sich in familiärer At- Projektberichte mosphäre über diese Themen auszutauschen und Wissen zu vertiefen. Dafür wurde der Parcours Liebes-Welten mit 4 Stationen entwickelt. Bei Liebes-Wel- ten ist jede Station so flexibel ausgestattet, dass auch Menschen mit weni- gen Deutschkenntnissen oder Körperwissen ohne Einschränkung profitieren können. Liebes-Welten berücksichtigt immer die kulturellen und sprachlichen Unterschiede in den Lebenswelten der Teilnehmenden. Durch den Parcours wird jede Gruppe von Frauen und Männern begleitet, die im Lore-Agnes-Haus für Liebes-Welten ausgebildet wurden. Diese 65 Tea- merinnen und Teamer haben selbst eine Zuwanderungsgeschichte und verfü- gen über Kenntnisse in 40 Sprachen. Sie sind vertraut mit den Fragen, Herausforde- rungen und Sorgen von Menschen mit Zuwan- derungsgeschichte und schätzen die Vielfalt der Erfahrungen und Werte. In ihrer Brückenfunktion sind sie: - unterschiedlichen Alters, Geschlechts und religiöser/sexueller Orientierung - Rollenvorbilder in ihren Communitys - sensibilisiert, um mit Tabuthemen umzuge- hen und - sie wählen die „richtige“ Sprache, um die Inhalte zu vermitteln - und engagieren sich gesellschaftlich Die Erfahrungen der Teamerinnen und Teamer sowie der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Parcours werden regelmäßig evaluiert. Diese Evaluation wird zur Qualitätssicherung genutzt. Das Projekt Liebes-Welten wurde in die Lan- desinitiative „Gesundes Land Nordrhein-West- falen“ aufgenommen. Gerade durch den Zuzug von Geflüchteten und unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten, haben sich neue Zielgruppen ergeben, für die der Parcours adäquat eingesetzt werden kann. 16
5.5 Integrations- und Ausstiegshilfen für Sexarbeiterinnen mit Projektberichte Zuwanderungsgeschichte, Fach- und Beratungsstelle Nachtfalter Das Projekt der Fach- und Beratungsstelle und Nachtfalter in enger Zusam- menarbeit mit dem Gesundheitsamt bot mit Einsatz von Kultur- und Sprach- mittlerinnen Beratung zu Themen der sexuellen Gesundheit sowie Unterstüt- zung und Begleitung der Sexarbeiterinnen in unterschiedlichen Lebenslagen. Die Lebenssituation der Frauen am Straßenstrich (Kirmesplatz) und teilwei- se im Bordell (Stahlstraße) ist in besonderer Weise bestimmt von Armuts- prostitution im Rahmen spezieller familiärer und kultureller Lebensbedin- gungen und in keiner Wei- se vergleichbar mit der professionellen gewerb- lichen Prostitution. Viele Frauen sind überwiegend bildungsfremd, verfügen - wenn überhaupt - über eine geringe Alphabetisie- rung und über marginale Deutschkenntnisse. Sie und ihre Kinder stehen auf der untersten gesellschaftlichen Stufe ohne jegliche Akzeptanz und finden keinen Zugang zu den notwendigen Versorgungsstrukturen. Es liegen unzu- reichende Kenntnisse der gesetzlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedin- gungen vor und es gibt keinen Zugang zu Information und Beratung. Auch die Kenntnisse zu STI und Verhütung sind völlig unzureichend mit der Folge von hohen Infektionsraten (Gonorrhoe, Chlamydien, Trichomonaden, Syphi- lis) und einer Vielzahl von Schwangerschaften und Schwangerschaftsabbrü- chen aufgrund unzureichender/keiner Verhütung im Rahmen ihrer Sexarbeit. Die mangelnden Sprachkenntnisse sowie die unzureichenden Informationen zu Rechten, Pflichten und Zugängen zu Versorgungsangeboten bedingen starke Abhängigkeiten von z. B. männlichen Familienangehörigen, Familien- clans oder Wohnungsvermietern (Mietwucher) und verhindern die eigen- ständige Veränderung/Gestaltung und Verbesserung ihrer Lebenssituation. 17
Ziele des Projektes waren daher: Projektberichte • Zugänge der Frauen zu den Regelangeboten der Stadt Essen • und damit verbunden Versorgung der Kinder • • Verhinderung der Weiterverbreitung von STI in der Allgemeinbevölkerung • • Vermeidung von ungewollten Schwangerschaften Eine Kollegin war mit der bulgarischen Sprach- und Kulturmittlerin einmal wöchentlich im Beratungscontainer am Straßenstrich und unterstütze alle 14 Tage die Ärztin des Gesundheitsamtes. Eine weitere Sprechstunde im Nachtfalter ermöglichte den Frauen mit Unterstützung der Sprach-und Kul- turmittlerinnen im geschützten Rahmen ihr Anliegen zu erörtern. Eine Kol- legin besuchte alle 6 - 8 Wochen die Frauen an ihrem Arbeitsplatz in der Stahlstraße und versorgte sie mit Kondomen und Informationen. Insgesamt konnte festgehalten werden, dass die Arbeit der Sprach-und Kul- turmittlerinnen wesentlich zum Erfolg des Projektes beigetragen hat. Die Zusammenarbeit mit den Sprach - und Kulturmittlerinnen hat die Arbeitsan- sätze und Erfahrungen vertieft, gefestigt und damit eine Vertrauensbasis ge- schaffen. Ebenso wichtig war die personelle Kontinuität im Projektverlauf, die eine Anbindung an die beiden Beratungsstellen und im späteren Verlauf eine Verselbständigung der Frauen ermöglicht hat. Des Weiteren wurde da- durch die Möglichkeit zu einem Ausstieg aus der Prostitution geschaffen. In der gesamten Laufzeit des Projektes von Oktober 2014 - Juni 2017 wur- den 570 Frauen erreicht. Das Projekt konnte nicht weitergeführt werden, da die Weiterfinanzierung nicht möglich war. 18
Impressum: Herausgeber: Arbeitskreis sexuelle Gesundheit und Migration Redaktion, V.i.S.d.P: Gesundheitsamt der Stadt Essen, Hindenburgstraße 29, 45127 Essen Laura Boldorini (Gesundheitsamt) Sabine Wentzky (Gesundheitsamt) Druck & Layout: D. Dettmann Auflage: 250 Stück Info: 0201/ 88 53411 oder 0201/ 88 53410 (Gesundheitsamt) Fax: 0201/ 88 53403 e-mail: laura.boldorini@gesundheitsamt.essen.de sabine.wentzky@gesundheitsamt.essen.de 19
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