Fallauswahl für Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen (MMK) - Literatur-Überblick - Ärztekammer Niedersachsen

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Fallauswahl für Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen (MMK) - Literatur-Überblick - Ärztekammer Niedersachsen
Fallauswahl für Morbiditäts- und
Mortalitätskonferenzen (MMK)
Literatur-Überblick

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Fallauswahl für Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen

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Fallauswahl für Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen

Inhalt

(1) Vorgaben .............................................................................................................................................. 3

(2) Kriterien der Fallauswahl & Priorisierung............................................................................................. 4

(3) Methodik der Fallauswahl .................................................................................................................... 8

(4) Potenzielle Datenquellen ..................................................................................................................... 9

(5) Zuständigkeit/beteiligtes Personal ..................................................................................................... 10

(6) Fazit..................................................................................................................................................... 11

Literatur ...................................................................................................................................................... 12

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(1) Vorgaben

   § 17 Niedersächsisches Krankenhausgesetz (NKHG) (Auszug):
    (1) In jedem Krankenhaus sind regelmäßig Konferenzen durchzuführen, um Entwicklungen in der
       Patientenversorgung zu beobachten und Risiken frühzeitig zu erkennen (Morbiditäts- und Mor-
       talitätskonferenzen). Die Konferenzen sollen mindestens einmal im Monat stattfinden.

    (2) Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Konferenz nach Absatz 1 sind insbesondere für jede
       Fachrichtung des Krankenhauses jeweils die leitende Ärztin oder der leitende Arzt und die lei-
       tende Pflegefachkraft.

    (3) Gegenstand der Konferenzen sind
       1. die Erörterung von Todesfällen und besonderen Krankheitsverläufen sowie
       2. die Bewertung der Morbiditäts- und Mortalitätsstatistiken des Krankenhauses
       mit dem Ziel einer fortlaufenden Verbesserung der Patientenversorgung. An der Erörterung
       nach Satz 1 Nr. 1 sind die Angehörigen der beteiligten Berufsgruppen und Fachrichtungen zu be-
       teiligen.

    (4) Jedes Krankenhaus bestimmt in einem Leitfaden insbesondere die Organisation und den Ablauf
       der Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen sowie die weitere Behandlung der Ergebnisse.

    (5) Auf Verlangen sind die Morbiditäts- und Mortalitätsstatistiken des Krankenhauses dem Fachmi-
       nisterium vorzulegen.

   Über die Qualitätsmanagementrichtlinie (QM-RL) hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA)
    basierend auf § 92 i.V.m. § 136 Abs. 1 Nr. 1 SGB V grundsätzliche Anforderungen an ein einrich-
    tungsinternes Qualitätsmanagement festgelegt:
     Teil A § 4 QM-RL des G-BA:
        Es werden Instrumente und Methoden, die als praxisbezogene und etablierte Bestandteile des
        Qualitätsmanagements verpflichtend anzuwenden sind, aufgeführt. Eine aufgeführte Methode
        stellt das Risikomanagement dar. In diesem Zusammenhang beschreibt die Richtlinie explizit,
        dass eine „[…] individuelle Risikostrategie […] das systematische Erkennen, Bewerten, Bewälti-
        gen und Überwachen von Risiken sowie die Analyse von kritischen und unerwünschten Ereignis-
        sen, aufgetretenen Schäden und die Ableitung und Umsetzung von Präventionsmaßnahmen“
        (§ 4 Abs. 1 Risikomanagement S. 3 QM-RL) umfasst.

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     Teil B § 1 Satz 6 QM-RL des G-BA:
       MMK sind als ein Instrument des klinischen Risikomanagements im Krankenhaus (neben Feh-
       lermeldesystemen, Risiko-Audits oder Fallanalysen) genannt.

   Diverse Zertifizierungen geben die Durchführung von MMK vor, z. B. OnkoZert.

(2) Kriterien der Fallauswahl & Priorisierung

   Eine Reihe objektiv vereinbarter, konsentierter Kriterien, anhand derer Fälle für die Diskussion
    ausgesucht werden, tragen dazu bei, potenzielle und systematische Verzerrungen durch eine rein
    freiwillige Falleinbringung oder durch eine Fallauswahl im Ermessen einer Einzelperson zu vermei-
    den (z. B. hoch emotional aufgeladene Fälle oder nur nach eigenen Vorlieben ausgesuchte Fälle)
    [Häsler & Schwappach 2019, McNamara et al. 2019, Royal College of Surgeons 2018, NHS Scotland -
    Healthcare Improvement Scotland 2018, Bundesärztekammer 2016, Xiong et al. 2016]. Auswahlkri-
    terien für die Fälle können nicht übergreifend formuliert werden, sondern sind abhängig von Ziel-
    richtung und Setting der MMK sowie der ausgewählten Datenquelle, weshalb jede Einrichtung indi-
    viduell systematische Auswahlkriterien für MMK definieren und Verantwortlichkeiten festlegen
    sollte [Bundesärztekammer 2016, Francois et al. 2016].

   Mögliche Kriterien für die Fallauswahl sind:
     Schlüsselereignisse, die in jedem Fall geklärt werden sollten (= Sentinel Events), wie beispiels-
       weise [APS e.V. 2020, Bundesärztekammer 2016, Becker 2013]:
          Eingriffsverwechselungen,
          Suizid einer Patientin/eines Patienten während des Krankenhausaufenthalts,
          Re-Operation aufgrund von vergessenem Material oder OP-Besteck,
          intravaskuläre Gasembolie mit schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen,
          Bluttransfusion mit Blutgruppenunverträglichkeitsreaktion,
          Kontaminiertes Hilfsmittel als direkte Ursache für Tod oder schwere Schädigung,
          Medikamentenverwechslung als direkte Ursache für Tod oder schwere Schädigung,
          In der Klinik erworbene Dekubitalulcera Grad 3 oder 4

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     unerwünschtes Ergebnis, wie beispielsweise [Clinical Excellence Commission 2020, Häsler &
       Schwappach 2019, McNamara et al. 2019, NHS Scotland - Healthcare Improvement Scotland
       2018, Kwok & Calder 2018, Bundesärztekammer 2016, NHS Scotland - Healthcare Improvement
       Scotland 2016, Fussell et al. 2009, Brennum & Gjerris 2004, Berthold et al. 1998, Rothmund &
       Lorenz 1998]:
          (unerwarteter, stationärer vs. jeder) Todesfall (nach Intervention),
          (post-operative) Komplikationen,
          Fälle mit Minor-Komplikationen,
          alle Komplikationen diagnostischer und minimalinvasiver therapeutischer Interventionen, die
           einer Major-Komplikation (ab Stufe 3) entsprechen,
          verzögerte Entlassung aufgrund von Komplikationen,
          (ungeplante) Aufnahme/Verlegung auf Intensivstation (innerhalb von 24 h nach Aufnahme),
          (ungeplante) Re-Operation,
          (ungeplante) Re-Hospitalisierung (innerhalb von fünf Tagen nach Entlassung),
          unerwarteter Rückfall,
          unerwartete Ereignisse im Zusammenhang mit Medikamentengabe, die z. B. über computer-
           gestützte Überwachung der Medikamentendosierung auffallen,
          in der Autopsie bestätigte Diagnose- oder Behandlungsprobleme,
          schwerwiegende Beinahe-Schäden
     vermutete Vermeidbarkeit [Häsler & Schwappach 2019, Kwok & Calder 2018]:
       Fälle, bei denen schon vor der MMK die Vermutung eines Fehlers vorliegt; als Basis können die
       IQM-Kriterien [Eberlein-Gonska et al. 2017] herangezogen werden.
          Diagnostik und Behandlung zeitgerecht und adäquat?
          Behandlungsprozess zeitnah und zielführend kritisch hinterfragt?
          Indikation zur Intervention rechtzeitig und angemessen?
          Standards und Behandlungsleitlinien berücksichtigt?
          Kontrolle der Behandlungsverläufe erfolgt und dokumentiert?
          Dokumentation schlüssig und umfassend?
          Interdisziplinäre bzw. interprofessionelle Zusammenarbeit reibungslos?
          Kommunikation umfassend, zeitgerecht und angemessen?
     Möglichst großes Lernpotenzial [Häsler & Schwappach 2019, Kwok & Calder 2018, NHS Scotland
       - Healthcare Improvement Scotland 2016]:
          Auswahl von Fällen anhand ihres absehbaren Lernpotenzials

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   Kwok & Calder 2018 empfehlen nur Fälle in einer MMK zu thematisieren, die jedes der folgenden
    drei Kriterien erfüllen:
     negatives Ergebnis,
     Vermeidbarkeit und
     Lernpotenzial

   Beispiele potenzieller Kriterien für die Intensivstation [Elmenshawy 2019, Bundesärztekammer
    2016, Ksouri et al. 2010]:
     ungeplante Extubation,
     Re-Intubation 24-48 Stunden nach der Extubation,
     Wiederaufnahme nach Verlegung innerhalb von 48 Stunden,
     unerwarteter Herz-Kreislauf-Stillstand (anhand des Krankheitsverlaufs nicht vorhersehbar),
     ärztlich/pflegerisch verursachter Pneumothorax,
     tiefe Venenthrombose,
     gastrointestinale Blutungen ohne Bezug zur Vorerkrankung

   Beispiele potenzieller Kriterien für die Chirurgie (Kriterien für die Auswahl der Fälle variieren je
    nach chirurgischem Fachgebiet) [Royal College of Surgeons 2018, Bundesärztekammer 2016]:
     stationäre chirurgische Todesfälle,
     elektive chirurgische Eingriffe , die in Verbindung mit Tod innerhalb von 24 Stunden stehen,
     Never-Events, einschließlich Operationen an falschen Körperteilen oder -stellen,
     (Patientensicherheits-)Vorfälle, die zu „mäßigem Schaden“ führten,
     Patientinnen/Patienten, deren Entlassung aus dem Krankenhaus durch Komplikationen verzö-
       gert wurde,
     ungeplante Wiederaufnahmen von Patientinnen/Patienten in irgendeiner Fachabteilung inner-
       halb von 30 Tagen nach Entlassung aus der Chirurgie,
     Re-Operation während desselben Krankenhausaufenthaltes (ungeplant oder geplant),
     intra-operative Komplikationen (z. B. übermäßige Blutungen),
     weitere Vorfälle, die (von der Leitung) als besonders besorgniserregend eingestuft werden,
     Beinahe-Schäden, die nicht in eine dieser Kategorie fallen

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   Beispiele potenzieller Kriterien für positive Fälle bzw. „What-Works-Konferenzen“ (WWK) [Kwok &
    Calder 2018]:
    Lernen aus positiven Fällen bzw. ausgezeichneten Krankenhausepisoden, um Erfolge zu feiern und
    bewährte Verfahren, Arbeitsweisen oder Tipps auszutauschen
     „Wohlfühlfälle“, in denen alles so gut geklappt hat, dass sich das Team gegenseitig zur gut
       durchgeführten Arbeit gratuliert
     Fälle mit reibungslosem Ablauf (z. B. septischer Patient wird ohne Verzögerungen untersucht,
       aufgenommen und mit Antibiotika versorgt)
     Fälle mit unerwartet positivem Ergebnis (z. B. wird eine atypisch auftretende kritische Aorten-
       dissektion frühzeitig diagnostiziert und es können rechtzeitig lebensrettende Maßnahmen ergrif-
       fen werden)
     Fälle mit Einsatz unorthodoxer Methoden bzw. Techniken (z. B. der neuartige Einsatz von Mate-
       rialien und Hilfsmitteln)
     Gute Ergebnisse bei bestimmten Kennzahlen (Abteilungen oder Kliniken, die besonders gute
       Kennzahlen in bestimmten Leistungsbereichen aufweisen)

   Beispiele für Fälle, die nicht in einer MMK thematisiert werden sollten [Häsler & Schwappach
    2019, Bundesärztekammer 2016]:
     Fälle, zu denen bereits ein Ermittlungsverfahren läuft oder die eventuell rechtliche Folgen für
       Individuen haben
     Sehr komplexe oder abstrakte Fälle
     Fälle aus dem Critical Incident Reporting System (CIRS) sind für MMK nicht geeignet, da aus ju-
       ristischen Gründen keine Schadensfälle erfasst werden und aufgrund der anonymisierten Mel-
       dungen für die detaillierte Falldarstellung relevante Informationen oder Ansprechpartner, um
       die fehlenden Informationen erfragen zu können, fehlen.

   Laut Royal College of Surgeons 2018 sind außerdem Kriterien für die Priorisierung von Fällen wich-
    tig, um sicherzustellen, dass den kritischen Fragen die angemessene Aufmerksamkeit zuteil wird.
     Es können bspw. Klassifikationssysteme wie die Clavien-Dindo-Classification genutzt werden
       (Einteilung des Ereignisses in fünf Grade von leichter Abweichung im Standardvorgehen (Grad 1)
       bis zum Tod der Patientin/des Patienten (Grad 5)) [NHS Scotland - Healthcare Improvement
       Scotland 2016, Clavien et al. 2009]

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(3) Methodik der Fallauswahl

   Die Fallauswahl sollte den nachstehenden Grundsätzen folgen [Häsler & Schwappach 2019,
    McNamara et al. 2019, Royal College of Surgeons 2018, Bundesärztekammer 2016]:
     Transparenz
     Standardisierung
     Fairness
     Nachvollziehbarkeit
     ohne Vorwissen bezüglich beteiligter Personen
   Um diese Grundsätze zu gewährleisten, sollte ein Leitfaden zu Kriterien und Methodik der Fallaus-
    wahl erstellt und genutzt werden.

   Beispiele für Methoden der Fallauswahl [McNamara et al. 2019, Giesbrecht & Au 2016, IHI 2009]:
    1.   Global Trigger Tool: schnelles Screening einer zufällig ausgewählten Teilmenge von Patienten-
         akten (ca. 20 Akten pro Monat, die mind. 30 Tage alt sind), die mind. 24 Stunden in stationärer
         Behandlung waren und nicht bereits identifizierte „Schadenakten“ sind, durch geschulte Gut-
         achterinnen/geschulte Gutachter; vollständige Analyse nur, wenn die im Tool festgelegten
         „Trigger“ auffällig sind
    2.   Erfassung von Ereignissen während der Dokumentation: Daten werden prospektiv über ein
         Standardformular oder Fehlerlogbuch als Teil der Dokumentation erfasst
    3.   Elektronische Erkennung von Schlüsselereignissen: automatische Sammlung entsprechender
         Fälle über eine elektronische Erkennungssoftware, die auf Schlüsselwörter reagiert (potenziel-
         le Reduktion von Verzerrungen)
    4.   Methodenkombination 1.-3.: eine Kombination aus verschiedenen Methoden der Fallauswahl
         liefert eine vielfältige und möglichst objektive Auswahl an Fällen für die MMK

   Weit verbreitet ist auch die Analyse aller Todesfälle seit der letzten MMK: einige chirurgische
    Fachgebiete wie die Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie bergen ein höheres Sterblichkeitsrisiko, hier
    könnte eine kleine Gruppe von Chirurginnen/Chirurgen alle stationären Todesfälle durchgehen, um
    zu entscheiden, welche davon in einer MMK besprochen werden sollten [Royal College of Surgeons
    2018]. Kritisch daran ist, dass in vielen Fachgebieten eine vergleichsweise geringe Anzahl vermeid-
    barer Todesfälle vorliegen gegenüber den auftretenden Morbiditäten, die ggf. abwendbar wären,

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    aber nicht untersucht werden (Mortalitätsraten geben daher nur wenig Auskunft über Patientensi-
    cherheit bzw. Versorgungsqualität) [Giesbrecht & Au 2016, Hogan et al. 2012].

   Die ausgewählten Fälle sollten repräsentativ für potenziell ähnlich gelagerte, zukünftige Fälle mit
    „Wiederholungspotenzial“ sein und dabei helfen, ein erneutes Auftreten desselben Verlaufs zu ver-
    meiden [McNamara et al. 2019, Kwok & Calder 2016, Giesbrecht & Au 2016, Francois et al. 2016].

   Die Fallauswahl sollte auch die Häufigkeit des Auftretens derartiger Fälle berücksichtigen. Die Auf-
    arbeitung häufig auftretender Probleme kann größere Effekte zur Verbesserung erzielen als seltene,
    besonders faszinierende Fälle [Kwok & Calder 2018].

   Es sollten konkrete Fälle ausgewählt werden, um nebulöse Debatten auf der Metaebene zu vermei-
    den [Becker 2013] und die Fälle sollte nicht zu lange zurück liegen [Bundesärztekammer 2016].

   Wenn nicht immer die gleichen Problemfelder bearbeitet werden sollen (z. B. Hygiene oder Diag-
    nostik), sollte bei der Auswahl der Fälle auch auf den Case-Mix geachtet werden [Häsler & Schwap-
    pach 2019].

   Laut Francois et al. 2016 und Xiong et al. 2016 sind Angaben in der Literatur über die Anzahl von
    Fällen, die in einer MMK diskutiert werden sollten, sehr unterschiedlich. Idealvorgaben lassen sich
    schwer definieren. Häsler & Schwappach 2019 empfehlen einen bis maximal zwei Fälle zu bespre-
    chen, die Bundesärztekammer 2016 ein bis drei Fälle pro Sitzung.

   Häsler & Schwappach 2019 stellen in ihrem Leitfaden auf Seite 28f. eine „Checkliste Fallauswahl“
    zur Verfügung.

(4) Potenzielle Datenquellen

   Es sollte definiert werden auf welcher Datenbasis die Fallauswahl erfolgen soll. Abhängig von Ziel
    und Format der MMK können dies z. B. sein [Clinical Excellence Commission 2020, Kwok & Calder
    2018, Bundesärztekammer 2016, Giesbrecht & Au 2016, Becker 2013]:
     Daten zu Komplikationen und Todesfällen,

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     Daten, die in der Einrichtung aus der externen stationären Qualitätssicherung (§136 SGB V) oder
       anderen externen Qualitätssicherungsverfahren vorliegen,
     weitere intern erhobene Outcomes (z. B. Wundheilungsstörungen in der Chirurgie),
     Abrechnungsdaten,
     administrative Routinedaten (z. B. aus dem Risikomanagement),
     spontane Meldungen von Mitarbeitenden,
     Rückmeldungen aus Patientenbeschwerdesystemen,
     Auszüge aus dem einrichtungseigenen Patientensicherheitsmeldesystem/den Patientensicher-
       heitsdatenbanken,
     abgeschlossene Haftungsfälle,
     Fälle, die von der Abteilungsleitung oder der Gerichtsmedizinerin/dem Gerichtsmediziner her-
       vorgehoben werden,
     Fälle, in denen eine Ärztin/ein Arzt Patientinnen/Patienten von Kolleginnen/Kollegen oder Kon-
       siliarärztinnen/Konsiliarärzten übernommen und weiterbehandelt hat,
     Fälle, über die Behandelnde noch längere Zeit nachdenken mussten,
     Fälle, die wiederkehrende Systemprobleme oder Frustrationen beleuchten,
     prospektive Outcome-Daten bezogen auf einzelne Komplikationen der Fachabteilung (werden
       entsprechende Cluster festgestellt, werden diese in der nächsten MMK thematisiert) [Hamby et
       al. 2010].

(5) Zuständigkeit/beteiligtes Personal

   Die Fallauswahl sollte durch ein (interdisziplinäres) Fallauswahlteam (-komitee, -ausschuss oder -
    gremium) bzw. ein Review-Team bestehend aus leitenden Fachärztinnen/-ärzten und leitenden
    Pflegefachkräften erfolgen [Häsler & Schwappach 2019, McNamara et. al 2019, NHS Scotland -
    Healthcare Improvement Scotland 2018, Francois et al. 2016].
     Oder die Fallauswahl erfolgt durch die MMK-Moderatorin/den Moderator und das Fallauswahl-
       team [Elmenshawy 2019].
     Es ist nicht empfehlenswert, die Fallauswahl durch die Chefärztin/den Chefarzt allein treffen zu
       lassen [Häsler & Schwappach 2019].

   Es sollte allen Mitarbeitenden bekannt sein, wer die Mitglieder des Fallauswahlteams sind [Häsler &
    Schwappach 2019].

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   Die MMK-Leitung, die Chefärztin/der Chefarzt sowie die in den Fall involvierten Mitarbeitenden
    werden vorab durch das Fallauswahlteam darüber informiert welche Fälle in der nächsten MMK
    behandelt werden [Häsler & Schwappach 2019].

   Es sollten Fälle ausgewählt werden, in die wechselnde Beteiligte (z. B. Arztinnen/Ärzte mit unter-
    schiedlicher Berufserfahrung, Pflegefachkräfte und andere Berufsgruppen) involviert waren
    [Bundesärztekammer 2016].

(6) Fazit

   Jede Einrichtung sollte individuell einen Leitfaden zu Methodik und Kriterien der Fallauswahl erstel-
    len und nutzen.
   Fälle sollten anhand objektiv vereinbarter, konsentierter Kriterien ausgewählt werden.
   Mögliche Kriterien für die Fallauswahl sind:
     Schlüsselereignisse,
     unerwünschtes Ergebnis,
     vermutete Vermeidbarkeit,
     möglichst großes Lernpotenzial und
     positive Fälle.
   Es sollten ggf. Kriterien für die Priorisierung ausgewählter Fälle definiert werden.
   Es sollten nicht zu viele Fälle für eine MMK ausgewählt werden (ein bis max. 3 Fälle).
   Die Datenbasis für die Fallauswahl sollte, abhängig von Ziel und Format der MMK, definiert werden.
   Die Fallauswahl sollte durch ein (interdisziplinäres) Fallauswahlteam erfolgen.

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Fallauswahl für Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen

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