Software-definierte Fahrzeuge - sind die Zukunft MIDDLEWARE - EIN MUSS IN DER AUTOMOBILINDUSTRIE
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© depositphotos / Sergey Nivens | ETAS
MIDDLEWARE – EIN MUSS IN DER AUTOMOBILINDUSTRIE
Software-definierte Fahrzeuge
sind die Zukunft
Die Automobilindustrie wandelt sich: elektrifizierte Antriebsstränge, vernetzte und
autonome Funktionen, neue Automobilhersteller. Verbraucher profitieren von mehr
Funktionen im Fahrzeug, die über dessen Lebensdauer fortlaufend verbessert
werden. Für Automobilhersteller bedeutet das, dass sie über Technologie, Ressour-
cen und Fähigkeiten verfügen müssen, um diese Funktionalitäten wirtschaftlich ins
Fahrzeug zu bringen – und um darüber hinaus eine Geschäftsbeziehung mit dem
Fahrzeugbesitzer über die gesamte Lebensdauer seines Autos zu pflegen.
O
hne Software sind weder Vernet- triebssystem aufbauen. Das war jedoch Middleware, eine Basis mit grundlegen-
zung noch Autonomie möglich. nicht immer so. In den 1990er-Jahren den Funktionen wie Kommunikation,
Laut dem IEEE werden in autono- entwickelte und installierte jeder Mobil- Speichermanagement, Planung, Ein-/
men Fahrzeugen zukünftig über telefonhersteller noch sein eigenes Be- Ausgabe von und Zugriff auf Fahrzeug-
eine Milliarde Codezeilen stecken. triebssystem. Darauf befanden sich daten und Anbindung an das Internet.
Heute sind es durchschnittlich nur rund Apps, die der Hersteller ausgewählt und Middleware erlaubt es Software-Ent-
100 Millionen Zeilen. Dieses Software- installiert hatte. Benutzer mussten die- wicklern, sich ganz darauf zu konzentrie-
definierte Fahrzeug zwingt die Industrie, se so nehmen, wie sie kamen. Sie konn- ren, neue Funktionen über Software-
den Fokus und die Wertschöpfung in ten keine zusätzlichen Apps herunterla- Anwendungen bereitzustellen.
Richtung Software zu verlagern. den. Apple und dann auch Google schu- „Auf dem Smartphone laufen meh-
fen schließlich ein App-Ökosystem, in rere Anwendungen unter Android oder
Lehren aus anderen Branchen dem das möglich war. Heute gibt es nur iOS“, erklärt Dr. Nigel Tracey, Vice Presi-
noch zwei Betriebssysteme: iOS und dent von RTA Solutions bei ETAS. Dieser
Die Automobilindustrie ist nicht die ers- Android. Durch die App-Wirtschaft ex- Bereich stellt zukunftsfähige und ganz-
te Branche, die sich derartig wandelt. plodierte der Wert von Software. heitliche Software- und Hardware-Lö-
Auf Computern und Smartphones lau- Das Gleiche muss auch in der Auto- sungen und -Services bereit, mit denen
fen heute mehrere Anwendungen mobilindustrie geschehen. Hier bildet sich sichere eingebettete Systeme für
gleichzeitig, die auf einem Standardbe- das Standardbetriebssystem, die die Automobilbranche entwickeln las-
10 HANSER automotive 4/2021 © Carl Hanser Verlag, München
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»Wir brauchen Unternehmen entlang der
Lieferkette, die eine gemeinsame Vision vom
Software-definierten Fahrzeug haben und
zusammen eine offene Plattform entwickeln. «
Christoph Hartung, Vorsitzender der Geschäftsführung von ETAS in Stuttgart.
sen. „Neue Apps bauen stets auf die- passieren: Entweder werden gar keine Unternehmen entlang der Lieferkette,
sen Betriebssystemen auf. Entwickler Apps erstellt oder OEMs erstellen zwar die eine gemeinsame Vision vom Soft-
können so effizient erweiterte Funktio- Apps, machen diese jedoch teuer, um ih- ware-definierten Fahrzeug haben und
nen entwickeln. Das brauchen wir auch re Entwicklungskosten zu decken. Das zusammen eine offene Plattform entwi-
im Fahrzeug – eine robuste, leistungsfä- wird Kunden abschrecken. Damit eine ckeln.“ Das könnte eine monumentale
hige Middleware, um neue, mobile Kfz- Software-Wertschöpfungskette ent- Aufgabe sein. In der Automobilbranche
Anwendungen gewinnbringend zu er- steht, ist ein attraktiver Markt erforder- ist es nicht gang und gäbe, dass sich Au-
stellen und dabei die zusätzlichen be- lich, der Anwender anzieht, die wieder- tomobilhersteller zusammentun und un-
sonderen Herausforderungen im Fahr- um weitere Apps nach sich ziehen. Das tereinander austauschen. Doch völliges
zeugbereich hinsichtlich Echtzeit und Si- entsteht nur durch einen gemeinsamen Neuland ist es auch nicht. Es gibt bereits
cherheit zu berücksichtigen.“ Nenner, die Middleware. Standardisierungsinitiativen wie etwa
Teamarbeit
INFO
Heutige Fahrzeuge besitzen einige Apps
und bieten Zugriff auf weitere ausge- Was ist ein Software-definiertes Fahrzeug?
wählte Apps. Es ist jedoch nur begrenzt
möglich, diese zu ändern oder zu ergän- Ein Fahrzeug mit Funktionen, die über Software bereitgestellt werden. Heutige
zen. Im Gegensatz zu Smartphones, die Fahrzeuge sind vorwiegend Hardware-basierte Plattformen. Beispielsweise
über ihre Lebensdauer fortlaufend ak- wird zusätzlich zu einem Steuergerät Software für ein bestimmtes System
tualisiert werden können, ist es bei heu- aufgespielt. Das macht es jedoch unmöglich, die Software zu aktualisieren,
tigen Fahrzeugen meist kaum möglich, sobald das Fahrzeug vom Band gerollt ist. Zukünftig wird man Hardware und
sie nach dem Kauf weiter auszurüsten. Software integrieren, um ein Software-definiertes Fahrzeug mit einer Architek-
tur zu schaffen, die es ermöglicht, vollkommen neu zu entwickeln und das
Ganz wie in den Anfängen des
Fahrzeug kontinuierlich zu aktualisieren.
Smartphones. Mit einer standardisier-
ten Middleware kann die Automobil-
branche neue Tatsachen schaffen. Fahr-
zeuge lassen sich auch nach dem Kauf Kein Neuland AUTomotive Open System ARchitecture
kontinuierlich aktualisieren und verbes- (AUTOSAR). Das ist eine globale Ent-
sern, selbst nachdem sie den Hof des „Die Automobilindustrie verfügt seit je- wicklungspartnerschaft zwischen Auto-
Händlers verlassen haben. her über eine starke Lieferkette von mobilunternehmen, darunter Herstel-
Um eine standardisierte Middleware OEMs und Zulieferern verschiedener lern, Zulieferern und Dienstleistern.
zu realisieren, muss die Automobilbran- Tiers. In der digitalen Industrie sieht Doch hier dauerte es 20 Jahre, dahin zu
che gemeinsam eine Lösung entwickeln, dies jedoch genau gegenteilig aus. Hier kommen, wo man heute steht. Und trei-
die den Wert von Software im Fahrzeug stecken Integration und Zusammenar- bende Kraft war der Wunsch, durch
erschließt. Wenn jeder Automobilherstel- beit noch in den Kinderschuhen“, betont Standardisierung und Austauschbarkeit
ler (OEM) sein eigenes Betriebssystem Christoph Hartung, Vorsitzender der der nicht differenzierenden Software-
entwickelt, wird eines von zwei Dingen ETAS Geschäftsführung. „Wir brauchen Bestandteile Komplexitäten abzubauen,
»Eine robuste, leistungsfähige Middleware im Fahrzeug ist not-
wendig, um neue, mobile Kfz-Anwendungen gewinnbringend
zu erstellen und dabei die zusätzlichen besonderen
Herausforderungen im Fahrzeugbereich hinsichtlich Echtzeit
und Sicherheit zu berücksichtigen. «
Dr. Nigel Tracey, Vice President von RTA Solutions bei ETAS.
www.hanser-automotive.de HANSER automotive 4/2021 11
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Synergien zu erzielen und so letztlich günstig kaufen, kann das für das Unter- sen sie in Elektromobilität investieren,
Geld zu sparen. nehmen dennoch äußerst profitabel den komplexen Wandel vom eigenstän-
Heute ist der Zweck ein anderer. Alle sein, sobald es den „Sweet Spot“ ge- digen zum vernetzten Fahrzeug meis-
Automobilhersteller möchten dasselbe: funden hat. Andernfalls würden hohe tern und Technologien für Autonomes
über die Lebensdauer des Fahrzeugs Preise die Verkaufszahlen nach unten Fahren aufwendig entwickeln. Zwar
Mehrwerte schaffen und dabei profita- drücken und es entstünde ein negativer überlappen sich einige der Anforderun-
bel sein. Abgesehen vom Service bauen Kreislauf. gen für Software-definierte Fahrzeuge,
Fahrzeugbesitzer heute erst dann eine insbesondere bei Vernetzung und Auto-
Beziehung mit einem Automobilherstel- Kein Eins-zu-eins-Vergleich nomie, doch derzeit priorisiert jeder
ler auf, wenn sie ein neues Auto kaufen OEM andere Bereiche. So investiert ein
möchten. Automobilhersteller suchen Bei Fahrzeugen gestaltet sich die Sache Automobilhersteller zum Beispiel in ein
daher nach Möglichkeiten, profitabel zu komplizierter als bei Computern oder Software-definiertes Unternehmen, ein
sein, wenn ein Kunde eine neue Funkti- Smartphones. Zum einen muss alles im anderer arbeitet gemeinsam mit einem
Partner an einem Middleware-Projekt
und wieder andere fokussieren sich un-
ter anderem auf Automatisierung, Tech-
nologien für Autonomes Fahren und
Elektromobilität.
Was ist die richtige Antwort? Wie
lässt sich der begehrte positive Kreislauf
erzielen? Das bleibt abzuwarten. Mögli-
cherweise nimmt ein OEM die Sache in
die Hand und entwickelt sein eigenes
Ökosystem, ganz so, wie es Apple mit
seinem iOS getan hat. Oder mehrere
Unternehmen schließen sich zusammen
und entwickeln eine gemeinsame Lö-
sung, die branchenweit eingesetzt wird,
ähnlich wie das Betriebssystem Android.
Für einen positiven Kreislauf ist je-
Software-definierte Fahrzeuge sind die Zukunft. © depositphotos/Robsonphoto | ETAS doch eine Sache entscheidend:
Open-Source-Entwicklung. Vielleicht
on oder einen neuen Dienst in seinem Auto auf Sicherheit ausgelegt werden, wird sich ein Unternehmen als „Apple“
Fahrzeug wünscht. OEMs können so ih- zum anderen legen sich Benutzer alle des Markts etablieren. Doch darauf zu
re Preisstruktur für ein Fahrzeug radikal zwei bis drei Jahre ein neues Smartpho- setzen, wäre ein enormes Risiko. Es
umbauen. Sie könnten etwa einzelnen ne zu – Software in Fahrzeugen hinge- kann nur einen Anbieter geben. Und nie-
„Besitzern“ die tatsächliche Nutzung gen muss eine Lebensdauer von zehn mand möchte es den Mobiltelefonunter-
berechnen – momentan wird ein Fahr- bis 15 Jahren aufweisen. Zudem gelten nehmen von gestern gleichtun, die
zeug über seine Laufzeit zu 96 Prozent für Fahrzeuge verschiedene regionale enorm viel Geld investierten und doch
nicht genutzt. Eine weitere Option wäre, Vorschriften und Bestimmungen. Ein scheiterten.
ein Fahrzeug mit umfangreichen Funk- Fahrzeug unterliegt unterschiedlichen
tionen auszustatten und dann die Diens- Zulassungsanforderungen, je nachdem, Keine Unbekannten
te, die ein Besitzer braucht oder in welchem Land es gefahren wird. im Entwicklungsprozess
wünscht, nach Nutzungsdauer oder per „Die Automobilindustrie ist eine glo-
Abonnement zu vermarkten. Das eröff- bale Branche. Unternehmen, die zusam- Die Experten bei ETAS bringen ihr
net einzigartige Geschäftsmodelle, wie men Standards oder gemeinsame Inno- Know-how rund um Software- und Hard-
es sie in der Branche noch nie gegeben vationsansätze erarbeiten, müssen da- ware-Lösungen ein, um die Middleware
hat. her die unterschiedlichen regionalen An- zu standardisieren und ein Software-de-
Doch dazu, erinnert Tracey, muss der forderungen genauestens kennen“, be- finiertes Fahrzeug zu entwickeln. Seit
Wert von Software in einem Fahrzeug tont Hartung. 27 Jahren erstellt ETAS Lösungen über
erschlossen oder ein positiver Kreislauf die gesamte Lebensdauer des Fahr-
geschaffen werden. „Als Software oder Ein komplexes Problem zeugs hinweg. Aktuelle Middleware-Pro-
Apps für Smartphones oder Computer für eine komplexe Industrie dukte basieren auf dieser Expertise und
noch teuer waren, scheuten die Benut- werden von u. a. von Bosch eingesetzt.
zer sie.“ Das änderte sich, sobald die OEMs wissen heute, dass sie eine stan- Security-Kompetenz steuert die Tochter-
Branche Apps für einen Preis entwi- dardisierte Middleware nicht umgehen gesellschaft ESCRYPT bei. Gemeinsam
ckeln und anbieten konnte, der ihrem können. Doch die sich wandelnde Indus- sorgen die Unternehmen dafür, dass es
Nutzen entsprach. Das geht nur durch trie bringt noch weit mehr Herausforde- im Entwicklungsprozess keine Unbe-
Skalierung. Wenn viele Kunden eine App rungen mit sich. Unter anderem müs- kannten mehr gibt.
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„Wir müssen uns ansehen, welche für ihre Kunden weiter verbessern. www.etas.com
Ideen umgesetzt werden müssen und Wenn wir offen zusammenarbeiten und
herausfinden, wie wir zusammenarbei- uns austauschen, können alle Beteilig-
ten und gemeinsam entwickeln kön- ten entweder darauf aufbauen oder sich
Claudia Hartwell ist Senior
nen“, so Hartung. „Unternehmen müs- zusammentun, um ein maßgeschneider- Communication Manager bei ETAS
sen selbstbewusst voneinander lernen tes Produkt für ihre jeweiligen Zielmärk- in den USA.
– das nutzen, was bereits da ist und es te zu entwickeln.“ W (eck)
Open Source Tooling Plattform zur
Standard-Implementierung
Die Association for Standardization of Automation and Die dort eingestellten Tools unterliegen der Verantwortung
Measuring Systems, ASAM, stellt eine Open Source Platt- und den Lizenzbedingungen der bereitstellenden Unterneh-
form bereit, auf der Mitgliedsunternehmen Tools hosten men. Sie stehen allen Firmen, unabhängig von einer Mitglied-
können, die Firmen bei der Implementierung und Anwendung schaft, zur kostenfreien Nutzung zur Verfügung.
der ASAM OpenX-Standards unterstützen. In den vergange- Ein erstes Tool steht bereits zur Verfügung: BMW hat
nen zwei Jahren wurden die ASAM OpenX Standards – Testszenarien aus der ALKS-Regelung (Automated Lane
ASAM OpenDRIVE, ASAM OpenCRG, ASAM OpenSCENA- Keeping System) beigesteuert, die sie auf Basis von ASAM
RIO und ASAM OSI – in den ASAM überführt. Die Standards OpenSCENARIO und ASAM OpenDRIVE umgesetzt hat. Die
beschreiben eine Schnittstelle sowie statische und dynami- abgeleiteten XML-Dateien sind mit allen standardkonformen
sche Inhalte für Fahr- und Verkehrssimulatoren und werden Simulatoren lauffähig. Die gehosteten Tools auf der ASAM
für die Absicherung von Open Source Plattform sind
autonomen Fahrfunktionen nicht normativ und unterlie-
genutzt. Seit der Übernah- gen explizit der Verantwor-
me hat sich die Nutzerba- tung und den ursprünglichen
sis der Standards verviel- Lizenzbedingungen der be-
facht. Durch die weite reitstellenden Unternehmen.
Verbreitung gibt es großen Der Verein stellt das Reposi-
Bedarf an Hilfsmitteln, die tory und eine Infrastruktur
sowohl bei der Implemen- zum Hosten der Tools zur
tierung als auch bei der Verfügung, übernimmt aber
Verwendung und Schulung keine Gewähr für deren
der ASAM OpenX Stan- Aktualität, Richtigkeit oder
dards unterstützen. Die Vollständigkeit.
© BMW
Open Source Plattform www.asam.com
wird bei GitHub gehostet.
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