Sorge und Mitverantwortung in der Kommune - Erkenntnisse und Empfehlungen des Siebten Altenberichts - BMFSFJ

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Sorge und Mitverantwortung
in der Kommune
Erkenntnisse und Empfehlungen des Siebten Altenberichts
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Sorge und Mitverantwortung
in der Kommune
Erkenntnisse und Empfehlungen des Siebten Altenberichts

Titelbild: www.shutterstock.com © Tyler Olson
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Seite 5       Vorwort                            Inhalt           zurück        weiter

   Sehr geehrte Damen und Herren,

der Siebte Altenbericht ist ein politischer Bericht: Er zeigt auf, welche Rolle die
Kommunen für die Gestaltung des Lebens im Alter einnehmen können und ein-
nehmen sollten. Er beschreibt die zum Teil großen Unterschiede zwischen Kommu-
nen und Regionen und analysiert, welche Folgen diese Unterschiede für das Leben
im Alter haben. Und er weist auf soziale Ungleichheiten innerhalb der Gruppe der
älteren Menschen hin.

In ihren Empfehlungen fordert die Sachverständigenkommission den Bund und die
Länder dazu auf, die Kommunen zu stärken und sozialer Ungleichheit entgegenzuwir-
ken. Sie plädiert für mehr Kooperation und Vernetzung in den Handlungsfeldern, die
für ältere Menschen besonders bedeutsam sind (etwa Gesundheit, Sorge und Pflege,
Wohnen sowie Mobilität).

Seit seiner Veröffentlichung im November 2016 hat der Siebte Altenbericht den Anlass für zahlreiche Konfe-
renzen, Tagungen und Workshops gegeben. Viele Kommunen, Verbände, kirchliche und politische Organisa-
tionen, Netzwerke und Seniorenorganisationen haben sich bereits mit seinen Botschaften und den Empfeh-
lungen befasst. Ich wünsche mir, dass der Siebte Altenbericht auch weiterhin so viel Interesse hervorruft und
Anstöße für Diskussionen gibt.

In der vorliegenden Broschüre sind die Themen, Argumente und Empfehlungen des Siebten Altenberichts
zusammengefasst. Ich lade Sie herzlich ein, sich damit auseinanderzusetzen, sich anregen zu lassen und an
der Gestaltung des Lebens im Alter vor Ort mitzuwirken.

Prof. Dr. Andreas Kruse
Vorsitzender der Siebten Altenberichtskommission
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      Inhalt

Warum ein Altenbericht über Sorge und Mitverantwortung in der Kommune? .......................................................                                                                      9
Leitbilder der Kommission.......................................................................................................................................................................   13
Grundsätzliche Überlegungen der Kommission .........................................................................................................................                               17

Zentrale Handlungsfelder einer integrierten lokalen Politik ................................................................................................                                       24
   Gesundheitliche Versorgung – präventiv und wohnortnah ..........................................................................................                                                25
   Sorge und Pflege in gemeinsamer Verantwortung .............................................................................................................                                     31
   Von der Wohnungspolitik zu einer umfassenden Wohnpolitik ..................................................................................                                                     37

Lokale Politik in einer älter werdenden Gesellschaft ................................................................................................................                              43

Die Mitglieder der Siebten Altenberichtskommission ..............................................................................................................                                  47
Die Altenberichterstattung der Bundesregierung ......................................................................................................................                              48
Bestellung und Download der Altenberichte ................................................................................................................................                         49
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             Warum ein Altenbericht über Sorge und
             Mitverantwortung in der Kommune?

Je älter ein Mensch wird, desto kleiner wird oft sein   wiesenen Menschen sichergestellt wird. Fast überall
Aktionsradius und desto mehr wird sein Wohnort          in Deutschland, wenn auch regional in unterschied-
zum Lebensmittelpunkt. Für ältere Menschen hat          lichem Ausmaß, steigt der Anteil der Menschen
der Wohn- und Lebensort deshalb mehr noch als           über 65 Jahre und vor allem der Anteil der über
für jüngere Menschen eine besondere Bedeutung.          80-Jährigen an der Bevölkerung an. Damit nimmt
Die Wohnung der Menschen ist ihr „Zuhause“. Im          auch die Zahl der auf Pflege angewiesenen älteren
Umfeld der Wohnung sind sie unterwegs, hier             sowie der demenzkranken Menschen zu. Zugleich
versorgen sie sich mit vielen Gütern ihres täglichen    steht das familiäre Pflegepotenzial unter Druck:
Bedarfs, hier nehmen sie viele Dienstleistungen in      Aus verschiedenen Gründen ist es immer weniger
Anspruch, hier verbringen sie Teile ihrer Freizeit.     selbstverständlich, dass Pflege und Unterstützung
Ältere Menschen engagieren sich häufig vor Ort für      innerhalb der Familie erbracht werden. Diese Situa-
das Gemeinwohl und verwirklichen Sorge und              tion wird durch einen sich bereits abzeichnenden
Mitverantwortung. Die Unterstützung, Versorgung         Fachkräftemangel in der professionellen Pflege
und Pflege gesundheitlich eingeschränkter älterer       noch verschärft.
Menschen ist räumlich weitgehend an ihren Wohn-
ort gebunden.                                           In dieser Situation kann es ein Lösungsansatz sein,
                                                        lokale Strukturen der gegenseitigen Sorge und
Teilhabe und Lebensqualität im Alter hängen also        Unterstützung zu entwickeln, zu fördern und zu
nicht nur von bundesweit einheitlich geregelten         gestalten. Pflegende Angehörige können durch das
Strukturen (etwa der Sozialversicherung) ab, son-       Engagement anderer Menschen entlastet werden.
dern in großem Maße auch von der lokalen Infra-         Nachbarinnen und Nachbarn, Freundinnen und
struktur und den sozialen Netzen am Wohn- und           Freunde sowie freiwillig Engagierte können dazu
Lebensort. Dabei ist es eine zentrale Frage, wie die    beitragen, dass auf Unterstützung und Pflege ange-
Versorgung und Unterstützung von auf Hilfe ange-        wiesene Menschen zu Hause gut leben können.
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Seite 10      Kapitel I                       Inhalt           zurück        weiter

Gerade ältere Menschen übernehmen dabei häufig        einnahmen bei gleichzeitig wachsenden sozialen
Verantwortung und engagieren sich für andere.         Aufgaben die Handlungsspielräume deutlich ein.
Wenn informelle Unterstützung und freiwilliges        Auch die Alterung der Gesellschaft, Binnenmigrati-
Engagement sinnvoll mit Angehörigenpflege und         on sowie die Veränderung von Familienstrukturen
mit professionellen Dienstleistungen verknüpft        stellen viele Kommunen im Hinblick auf die Gestal-
werden, kann eine große Bandbreite (gegenseitiger)    tung der Lebensverhältnisse älterer Menschen vor
Unterstützungsleistungen verwirklicht werden.         neue Herausforderungen.

Bei der Gestaltung von Strukturen der Sorge und       Die Siebte Altenberichtskommission wurde deshalb
Unterstützung kommt den Kommunen eine beson-          von der Bundesregierung beauftragt, in ihrem Be­-
dere Verantwortung zu: Ihre Aufgabe ist es, das       richt herauszuarbeiten, an welche lokalen Vo­raus-
Zusammenwirken von familiären, nachbarschaft­         setzungen die gesellschaftliche Teilhabe und ein
lichen und zivilgesellschaftlichen Ressourcen mit     gutes Leben älterer Menschen geknüpft sind und
professionellen Dienstleistungen zu ermöglichen       unter welchen Bedingungen und auf welche Weise
und zu gestalten. Die Handlungsspielräume einer       die Kommunen und die lokale Politik Strukturen
Kommune hängen dabei jedoch ganz entscheidend         der Sorge und Mitverantwortung aufbauen und
von ihrer jeweiligen wirtschaftlichen Situation ab.   gestalten können.
In vielen Kommunen schränken sinkende Steuer-

 Die elfköpfige Sachverständigenkommission zur Erstellung des Siebten Altenberichts der Bundesregierung
 nahm Ende 2012 ihre Arbeit auf. Während der Arbeit am Bericht nahmen die Kommissionsmitglieder an
 zahlreichen thematischen Veranstaltungen teil, zudem veranstaltete die Kommission selbst mehrere
 Anhörungen, Workshops und Tagungen. Dabei stellten die Kommissionsmitglieder ihre Überlegungen
 und Thesen vor und diskutierten diese mit Fachleuten sowie interessierten Bürgerinnen und Bürgern. Am
 6. Oktober 2015 übergab die Kommission ihren Bericht an die Bundesministerin für Familie, Senioren,
 Frauen und Jugend, Manuela Schwesig.
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              Leitbilder der Kommission

Die Siebte Altenberichtskommission hat sich bei        Lebensverlauf. So nehmen auch Hochbetagte mit
der Erstellung des Siebten Altenberichts an vier       großem Unterstützungs- und Pflegebedarf Anteil
Leit­bildern orientiert. Diese Leitbilder bilden den   am Leben und an den Sorgen anderer.
roten Faden für die Analysen, Argumente und
Empfehlungen der Kommission.                           Die Diversität des Alters wird im Siebten Alten-
                                                       bericht besonders hervorgehoben. Die Lebensphase
   Ein differenzierter Blick auf das Alter             „Alter“ begründet keine einheitliche Lebenslage;
                                                       vielmehr differenzieren sich Lebenslagen auch im
Im Siebten Altenbericht werden Ältere nicht nur als    Alter weiter aus. Dabei betreffen soziale Ungleich-
Menschen angesprochen, die versorgt und unter-         heiten zwischen verschiedenen Gruppen älterer
stützt werden, sondern auch als Menschen, die          Menschen unter anderem finanzielle Ressourcen,
für andere sorgen und die andere unterstützen. Ein     Bildung, Wohnbedingungen, soziale Netze und
solcher Blick auf die Vielschichtigkeit des Alters     Gesundheit. Eine Auseinandersetzung mit Sorge­
entspricht einer zentralen Forderung des Sechsten      arrangements für ältere und mit älteren Menschen
Altenberichts (veröffentlicht im Jahr 2010): Darin     muss die Verschiedenartigkeit von Lebenslagen
wurde herausgearbeitet, dass die Altersbilder in der   älterer Menschen und die damit verbundenen
Gesellschaft sowohl den Potenzialen als auch der       unterschiedlichen Bedarfe berücksichtigen.
Verletzlichkeit des Alters gerecht werden müssen,
dass die Ambivalenzen des Alters erkannt und aus­         Teilhabe älterer Menschen
gehalten werden müssen. Gerade ältere Frauen über-
nehmen in Familie und Nachbarschaft einen großen       Soziale Teilhabe ist eine Grundvoraussetzung für ein
Anteil an Sorgeaufgaben für andere Ältere, aber auch   menschenwürdiges Dasein. Die Förderung und der
für Kinder und das Gemeinwesen. In der Regel findet    Erhalt von Zugehörigkeit und Teilhabe müssen des-
man bei Menschen in jedem Lebensalter sowohl ein       halb ein grundlegendes Ziel einer Politik mit und für
Sorge-Geben als auch ein Sorge-Empfangen, wenn         ältere Menschen sein. Soziale Teilhabe setzt voraus,
auch mit unterschiedlichen Gewichtungen im             dass sich Menschen im öffentlichen Raum bewegen
Seite 14       Kapitel II                       Inhalt            zurück        weiter

können, dass sie für andere erreichbar sind, dass sie   sozialen Ressourcen zu ermöglichen, sich an Ent-
soziale Kontakte und einen Austausch mit anderen        scheidungs- und Aushandlungsprozessen zu beteili-
pflegen können, dass sie kulturelle Angebote wahr-      gen. Der Erfolg von partizipativen Verfahren und
nehmen können. Teilhabe ist bei hochbetagten            engagementfördernden Maßnahmen muss daran
Menschen aufgrund körperlicher und möglicher-           gemessen werden, in welchem Maße sie auch bis-
weise auch kognitiver Einbußen jedoch häufig            lang benachteiligte Menschen erreichen.
erschwert. Die gesundheitliche und die pflegerische
Versorgung sowie die Gestaltung des öffentlichen           Generationenübergreifende Konzepte
Raumes und der Wohnbedingungen müssen des-
halb an dem Ziel ausgerichtet sein, die Teilhabe auch   Viele der im Siebten Altenbericht entwickelten
eingeschränkter älterer Menschen zu fördern und         Vorschläge und Maßnahmen betreffen nicht nur
zu sichern. Dieser Anspruch erfordert ganzheitliche     ältere Menschen, sondern alle Altersgruppen. Wenn
Ansätze in den genannten Handlungsfeldern.              es in einer Nachbarschaft üblich ist, sich auszutau-
                                                        schen und gegenseitig zu unterstützen, so profitieren
Entscheidend für die Möglichkeiten zur Teilhabe ist     davon junge Familien ebenso wie ältere Menschen.
nicht allein das Lebensalter. Auch ungleich verteilte   Es entlastet die (unter Umständen weit entfernt
Zugangsvoraussetzungen in der Gruppe der älteren        wohnenden) erwachsenen Kinder, wenn sie wissen,
Menschen spielen eine Rolle. Insbesondere Armut,        dass ihre auf Unterstützung angewiesenen Eltern
ein niedriger formaler Bildungsstatus, gesundheit­      gut versorgt sind, weil vor Ort entsprechende Hilfe-
liche Einschränkungen und Diskriminierungs­             strukturen vorhanden sind. Verbesserungen im
erfahrungen bei Zugewanderten erweisen sich als         Gesundheitswesen, der Abbau von Barrieren in
Merkmale von Benachteiligungen, die die Teilhabe        Wohnungen und im öffentlichen Raum, die Förde-
älterer Menschen beeinträchtigen können.                rung des Engagements, eine ausgebaute Dienst­
                                                        leistungsinfrastruktur sowie gute öffentliche
Wenn es um die Beteiligung an Entscheidungs- und        Verkehrsangebote steigern die Lebensqualität
Aushandlungsprozessen geht, ist die Artikulation        aller Bevölkerungsgruppen, egal welchen Alters
eigener Interessen vor allem für diejenigen nicht       und unabhängig von ihren Lebenslagen.
selbstverständlich, die in ihrem Leben wenig Gele-
genheit hatten, ihre Bedürfnisse zu benennen und        Die Bedürfnisse jüngerer Menschen stimmen also
Erfahrung mit solchen Prozessen zu sammeln.             in vielerlei Hinsicht mit den Bedürfnissen älterer
Staatliche Institutionen sind deshalb in der Pflicht,   Menschen überein – jedoch nicht in allem. Der
es auch Menschen mit geringen materiellen und           Fokus auf ältere Menschen darf nicht dazu führen,
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dass Bedürfnisse jüngerer Menschen vernachlässigt      Geschlechterunterschiede ergeben sich auch daraus,
werden. Ebenso wenig dürfen Altersgruppen gegen-       dass für Frauen aufgrund ihrer höheren Lebens­
einander ausgespielt werden. Die Kommission hat        erwartung und aufgrund der noch immer vorherr-
den Anspruch, im Siebten Altenbericht Elemente         schenden traditionellen Altersstruktur von Frau-
einer Politik mit älteren und für ältere Menschen zu   Mann-Paaren die Wahrscheinlichkeit größer ist als
skizzieren, die in eine generationenübergreifende      bei Männern, im sehr hohen Alter allein zu leben.
Politik der Sorge und Mitverantwortung eingebun-       So haben Frauen häufiger als Männer keine Hilfe
den ist und als Teil einer generationenübergreifen-    im eigenen Haushalt, wenn sie alleine nicht mehr
den Demografiepolitik verstanden werden kann.          zurechtkommen. Faktisch sind deshalb vor allem
                                                       allein lebende alte Frauen mit geringen materiellen
   Gleichstellung von Frauen und Männern               Ressourcen und kleinen sozialen Netzen auf Unter-
                                                       stützung und Hilfe in lokalen Sorgestrukturen ange-
Der Aufbau und die Stärkung von Strukturen der         wiesen. Zugleich sind es wiederum vor allem Frauen,
Sorge, der Unterstützung und der Pflege können         die sich in solchen Sorgestrukturen engagieren.
nur dann nachhaltig sein, wenn es gelingt, die
sozialen Ungleichheiten zwischen Frauen und            Die Siebte Altenberichtskommission setzt sich für
Männern in diesem Bereich abzubauen. Sorgearbeit       eine gleichberechtigte Verteilung der Aufgaben von
(innerhalb und außerhalb der Familie) wird größten-    Sorge und Pflege zwischen Frauen und Männern
teils von Frauen und unbezahlt erbracht. Dies geht     ein. Auch für Männer muss es selbstverständlich
damit einher, dass Frauen häufiger in prekären         werden, innerhalb und außerhalb der Familie Auf-
Beschäftigungsverhältnissen (befristet, Teilzeit,      gaben der Sorge, Pflege und Unterstützung zu über-
Minijobs) arbeiten als Männer. Männer gehen hin-       nehmen. Die Vereinbarkeit von Sorgearbeit und
gegen in größerem zeitlichen Umfang als Frauen         Erwerbstätigkeit muss für Frauen wie für Männer
einer Erwerbstätigkeit nach und erzielen dabei         und in allen Wirtschaftsbereichen möglich sein.
häufiger höhere Einkommen. Kurz: Frauen leisten        Gesetzgebung und politische Programme sollten
viel unbezahlte und weniger bezahlte Arbeit, Män-      den Nachteilen entgegenwirken, die Frauen und
ner leisten mehr und besser bezahlte und wenig         Männern in der Karriere und bei der Versorgung
unbezahlte (Sorge-)Arbeit. Infolgedessen sind Frau-    entstehen, wenn sie Sorgeaufgaben übernehmen.
en im Durchschnitt materiell schlechtergestellt als
Männer. Diese Ungleichheit zeigt sich besonders im
Alter: Im höheren Lebensalter sind Frauen deutlich
häufiger als Männer von Armut betroffen.
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Seite 17      Kapitel III                     Inhalt            zurück        weiter

            Grundsätzliche Überlegungen der Kommission

Die Frage nach der Rolle der Kommunen und der         Aus Sicht der Siebten Altenberichtskommission
lokalen Politik bei der Förderung und Stärkung von    erfordern die sozialräumliche Ungleichheit sowie
Sorgestrukturen stößt grundsätzliche Überlegun-       die Vielfalt von Lebensentwürfen und Lebenslagen
gen an, denen sich die Siebte Altenberichtskommis-    ein neues Verständnis von Daseinsvorsorge:
sion ausführlich gewidmet hat. Zum einen sind hier    Daseinsvorsorge sollte nicht nur verstanden werden
konzeptionelle Überlegungen zur Daseinsvorsorge       als die Erbringung von Gütern und Dienstleistun-
sowie zum Ordnungsprinzip Subsidiarität ange-         gen, mit denen die Menschen als passive Leistungs-
sprochen. Zum anderen hat sich die Kommission         empfängerinnen und Leistungsempfänger versorgt
entschieden, der sozialen Ungleichheit sowie der      werden. Vielmehr sollte die Daseins­vorsorge darauf
Disparität zwischen den Regionen und Kommunen         ausgerichtet sein, es den Menschen zu er­möglichen,
einen hohen Stellenwert zu geben.                     ein gutes Leben eigenständig und selbstbestimmt
                                                      zu führen, in Selbst- und Mitverantwortung am
   Für ein neues Verständnis von                      gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und dieses
   Daseinsvorsorge                                    mitzu­gestalten. Dieser Befähigungsansatz berück-
                                                      sichtigt ausdrücklich soziale Ungleichheiten sowie
Die Kommunen haben im Rahmen des Sozialstaats-        Einschränkungen und unterschied­liche Be­­dürfnisse
prinzips und ihres Rechts auf Selbstverwaltung eine   und Bedarfe von Einzelnen und von Gruppen.
besondere Verantwortung für die Sicherung und
Ausgestaltung der Daseinsvorsorge. „Daseinsvorsor-    In Bezug auf ältere Menschen soll die Daseinsvor-
ge“ umschreibt die Aufgabe der öffentlichen Hand,     sorge eine hohe Lebensqualität und gesellschaft­
eine flächendeckende Versorgung mit öffentlichen      liche Teilhabe im Alter befördern. Die Güter und
Gütern und Dienstleistungen zu sozial verträgli-      Dienstleistungen, die im Rahmen der Daseinsvor-
chen Preisen und mit angemessener Erreichbarkeit      sorge bereitgestellt werden, sollen diesem Ziel die-
zu gewährleisten. Dabei wirken Bundes-, Landes-       nen. Die Kommission hält es deshalb nicht für
und kommunale Gesetze zusammen.                       sinnvoll, die Leistungen der Daseinsvorsorge all­
                                                      gemeingültig festzuschreiben und zu standardisie-
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ren. Die Ausgestaltung der Daseinsvorsorge sollte      und Bürger gemeinwohlbezogen zusammen. Es ist
vielmehr von den beabsichtigten Zielen und Wir-        eine Aufgabe der Kommunen, die gemeinschaft­
kungen abgeleitet werden. Dies bedeutet auch, dass     liche Produktion von Lebensqualität zu ermögli-
die Sicherung der Daseinsvorsorge nicht über Min-      chen, indem sie relevante Akteure einbindet und
deststandards geregelt werden kann. Vielmehr           ihr Zusammenwirken organisiert. Zusätzlich zu
kommt es auf eine Gestaltung und Organisation der      den klassischen Verwaltungsaufgaben muss kom-
sozialräumlichen Bedingungen an. Entscheidungen        munale Steuerung auf das Koordinieren, Aktivieren
über den Stellenwert und die Ausgestaltung der         und Befähigen ausgerichtet werden. Bund und
verschiedenen Bereiche der Daseinsvorsorge sind in     Länder müssen dafür entsprechende rechtliche,
einem demokratisch legitimierten Aushandlungs-         organisatorische und finanzielle Rahmenbedingun-
prozess zwischen Bürgerinnen und Bürgern,              gen schaffen. Sie müssen ein modernisiertes Ver-
Gesetzgeber und Verwaltung zu treffen.                 ständnis kommunalen Handelns fördern sowie die
                                                       kommunale Verantwortung insgesamt – und bei
Wenn die Gestaltung der Daseinsvorsorge an den         der Sicherung der Daseinsvorsorge im Speziellen –
beabsichtigten Wirkungen orientiert sein soll, dann    stärken.
müssen bei der Planung von Maßnahmen der Da­
seinsvorsorge mögliche Wechselwirkungen zwi-              Neue Subsidiarität
schen verschiedenen Handlungsfeldern (etwa Pfle-
ge, Gesundheit, soziale Infrastruktur und Mobilität)   Im Siebten Altenbericht steht die Frage im Mittel-
berücksichtigt werden. Anstatt einzelne Leistungen     punkt, wie die Selbstorganisations- und Sorgefähig-
isoliert zu betrachten, sollten die Kommunen die       keit der „kleinen Lebenskreise“ – also der Familie,
Daseinsvorsorge als Ganzes und ihre Gesamtwir-         der Nachbarschaft, des Bekanntenkreises, der frei-
kung auf die Lebensqualität der Menschen in den        willig Engagierten – gefördert und gestärkt werden
Blick nehmen.                                          kann. Vor diesem Hintergrund hat sich die Kom-
                                                       mission mit dem Ordnungsprinzip der Subsidiarität
Angesichts einer zunehmenden Komplexität der           auseinandergesetzt. Der klassische, am Bild konzen-
verschiedenen gesellschaftlichen Handlungsfelder       trischer Kreise ausgerichtete Ansatz der Subsidiari-
und veränderten Governance-Strukturen ist es           tät postuliert, dass Bedarfe dort gedeckt werden
sinnvoll, dass immer mehr Leistungen der Daseins-      sollten, wo sie entstehen – die Sorgeleistungen
vorsorge im Zusammenwirken verschiedener Akteure       können dann an den tatsächlichen Bedürfnissen
entstehen. Im Idealfall wirken dabei Kommune,          der Menschen ausgerichtet sein. Der klassische
Unternehmen, Betriebe, Verbände und Bürgerinnen        Subsidiaritätsansatz muss jedoch weiterentwickelt
Seite 19      Kapitel III                      Inhalt            zurück        weiter

und an die Bedingungen unserer postmodernen            nisiertes Subsidiaritätsprinzip kann dabei Orien­
Gesellschaft angepasst werden.                         tierung geben. Es greift aktuelle Diskussionen um
                                                       neue Formen der Aushandlung und Entscheidungs-
Im Verständnis der Siebten Altenberichtskommis­        findung zwischen Ebenen und Sektoren, gekenn-
sion darf das Subsidiaritätsprinzip nicht mit einer    zeichnet durch Kooperation, Bündelung von Res-
Entpflichtung des Staates gleichgesetzt werden. Der    sourcen und neue Kombinationen verschiedener
Staat hat die Bedingungen zu schaffen, zu erhalten     Formen von Selbst- und Fremdhilfe, auf. Subsidia­
und zu fördern, unter denen die Verantwortung in       rität muss außerdem geschlechtergerecht gedacht
den „kleinen Lebenskreisen“ wirksam gestaltet und      und interpretiert werden, denn wenn von der gro-
wahrgenommen werden kann. Staatliche Institutio-       ßen Bedeutung der „kleinen Lebenskreise“ für Sorge
nen müssen die Ressourcen bereitstellen, die kleine-   und Pflege die Rede ist, dann wird dabei häufig
re soziale Einheiten und Individuen überhaupt erst     nicht thematisiert, dass der größte Teil der unbe-
zur Selbstverantwortung befähigen. Ein modernes        zahlten Sorge- und Pflegeaufgaben von Frauen
Konzept der Subsidiarität weist dem Staat also eine    übernommen wird. Als Folge dieses Arrangements
starke Rolle zu.                                       sind Frauen materiell schlechtergestellt als Männer.
                                                       Ein modernisiertes Konzept von Subsidiarität ist
Ein weiterentwickeltes Konzept von Subsidiarität       nur legitim, wenn es dazu beiträgt, diese Ungleich-
muss der Komplexität gesellschaftlicher Strukturen,    heit abzubauen. Es muss selbstverständlich werden,
insbesondere den Beziehungen, Interessen und           dass Frauen und Männer gleichermaßen sowohl
Motiven der Akteure – Bund, Länder, Kommune,           erwerbstätig sind als auch Sorgearbeit leisten und
Wohlfahrtsverbände, Dienstleistungsunternehmen,        dass beides gut miteinander vereinbar ist.
professionelle Fachkräfte sowie primäre und sekun-
däre soziale Netzwerke – in den jeweiligen Hand-       Darüber hinaus muss ein modernisiertes Verständ-
lungsfeldern Rechnung tragen. Dabei ist nicht nur      nis von Subsidiarität soziale Ungleichheiten berück-
die pflegerische Versorgung relevant, sondern auch     sichtigen. Fähigkeiten zu Selbstorganisation, Selbst-
die Handlungsfelder Gesundheit, Wohnen, Mobili-        hilfe und Mitverantwortung sind auch von den
tät und Engagement.                                    Ressourcen abhängig, die einem Menschen oder
                                                       einer Gruppe zur Verfügung stehen.
Derzeit befindet sich gerade das Zusammenwirken
von Staat und Wohlfahrtsverbänden in einem
Umbruch. Die Architektur der Sozialsysteme in
Deutschland muss neu justiert werden; ein moder-
Seite 20      Kapitel III                     Inhalt           zurück        weiter

   Ungleichheiten in einer alternden                  und Jahrzehnten gewarnt. Geringverdienende mit
   Gesellschaft                                       längeren Phasen von Unterbeschäftigung und
                                                      Arbeitslosigkeit, Menschen mit Migrationshinter-
Große Teile der älteren Bevölkerung verfügen der-     grund, allein lebende Frauen sowie chronisch
zeit über ausreichende finanzielle, gesundheitliche   kranke Menschen verfügen häufig über niedrige
und soziale Ressourcen, um ihr Leben selbstbe-        Einkommen im Alter. Bei ökonomisch und sozial
stimmt zu gestalten. Der Anteil älterer Frauen und    benachteiligten Menschen entsteht bei abnehmen-
Männer, die ökonomisch, sozial und in der Folge       der physischer und psychischer Widerstandsfähig-
häufig auch gesundheitlich benachteiligt sind und     keit und zunehmenden Einschränkungen im Alter
deren Teilhabe- und Verwirklichungschancen            eine Situation erhöhter Verletzlichkeit. Die Kom-
dadurch erheblich eingeschränkt sind, ist dennoch     mission fordert den Bund, die Länder und die Kom-
beträchtlich und wird zukünftig in erheblichem        munen auf, der wachsenden Altersarmut und ihren
Maße ansteigen. Im Siebten Altenbericht werden die    Auswirkungen entgegenzuwirken.
Merkmale und Entwicklungen sozialer Ungleichheit
ausführlich dargestellt und bei den Überlegungen      Neben den Merkmalen „vertikaler“ sozialer
zu den Bedingungen für und Anforderungen an           Ungleichheit wie Einkommen, Bildung und beruf­
lokale Sorgestrukturen berücksichtigt. Es wird        licher Status beeinflussen auch „horizontale“ Unter-
deutlich, dass die Zugangschancen zu sozialer Teil-   scheidungsmerkmale wie das Geschlecht, die ethni-
habe, gesundheitlicher und pflegerischer Versor-      sche Zugehörigkeit, der Behinderungsstatus oder
gung sowie zum freiwilligen Engagement für ver-       die sexuelle Orientierung die Chancen älterer Men-
schiedene soziale Gruppen unterschiedlich groß        schen auf Teilhabe und auf den Zugang zu Leistun-
sind. Ein niedriger sozioökonomischer Status geht     gen der gesundheitlichen und pflegerischen Versor-
häufig mit einer schlechten Gesundheit, einer         gung. Benachteiligte Gruppen müssen im Rahmen
geringen Lebenserwartung sowie kleineren und          der Pflegeversicherung die gleiche Chance auf die
weniger belastbaren sozialen Netzen einher.           Anerkennung ihres Unterstützungsbedarfs haben;
                                                      für diese Gruppen ist auch der bedarfsgerechte
Insbesondere ein geringes Einkommen kann die          Zugang zur gesundheitlichen Versorgung sicherzu-
Selbstbestimmung älterer Menschen gravierend          stellen. Dies betrifft vor allem ältere Frauen, die
einschränken. „Armut im Alter“ wird deshalb im        wachsende Zahl älterer Migrantinnen und Migran-
Siebten Altenbericht als ein wesentlicher Ausdruck    ten, ältere Menschen mit körperlichen oder geisti-
sozialer Ungleichheit thematisiert; es wird vor dem   gen Behinderungen und gleichgeschlechtlich lie-
Anstieg der Altersarmut in den kommenden Jahren       bende ältere Menschen. In den Strategien von Bund,
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Ländern und Kommunen zur Bewältigung des                 Regionale Disparitäten
demografischen Wandels muss den Auswirkungen
der sozialen Ungleichheiten nach dem sozioökono-      Die lokale Politik hat grundsätzlich verschiedene
mischen Status, dem Geschlecht, der ethnischen        Möglichkeiten, Strukturen der Sorge und Mitver-
Zugehörigkeit, dem Grad der Behinderung oder der      antwortung zu gestalten, zu fördern und zu stärken.
sexuellen Orientierung entgegengewirkt werden.        Bei einer Analyse dieser Möglichkeiten müssen die
                                                      großen Unterschiede zwischen den Regionen, Kom-
Eine Daseinsvorsorge, die lokale Strukturen und       munen und Quartieren in Rechnung gestellt wer-
Netzwerke als Basis für Teilhabe und Lebensqualität   den. In erheblichem Maße werden die Handlungs-
älter werdender Menschen versteht, muss allen         spielräume der Kommunen durch ihre jeweilige
Älteren den Zugang zu entsprechenden Unterstüt-       Haushaltslage bestimmt. Viele Kommunen befinden
zungsstrukturen ermöglichen. Maßnahmen zur            sich in einer extrem angespannten Haushaltslage,
Verbesserung der Lebensqualität älterer Menschen      die durch die Auswirkungen des demografischen
(und partizipative Verfahren zur Entscheidungsfin-    und sozialen Wandels zum Teil noch verschärft
dung über Belange älterer Menschen) müssen sich       wird. Manche Kommunen sind so hoch verschuldet,
vor allem daran messen lassen, ob sie auch sozial     dass eine Haushaltskonsolidierung aus eigener Kraft
benachteiligte ältere Menschen erreichen.             nicht möglich ist. Manchen Kommunen ist es nicht
Seite 22        Kapitel III                             Inhalt           zurück         weiter

                                                                  mehr möglich, die Aufgaben der Daseinsvorsorge
                                                                  angemessen wahrzunehmen. Vor diesem Hinter-
                                                                   grund ist es aus Sicht der Siebten Altenberichts-
                                                                    kommission dringend erforderlich, gesetzliche
                                                                    Grund­lagen für eine deutlich stärkere Unterstüt-
                                                                    zung der Kommunen durch den Bund und die
                                                                    Länder zu schaffen.
                                                                     Die Kommunen in Deutschland unterscheiden
                                                                      sich nicht nur in ihrer finanziellen Situation,
                                                                        sondern auch bezüglich anderer ökonomi-
                                                                         scher, sozialer und demografischer Merkmale.
                                                                          So ist zum Beispiel der Anteil der älteren
                                                                           Menschen (65 Jahre und älter) an der Bevöl-
                                                                           kerung je nach Kreis oder kreisfreier Stadt
                                                                          unterschiedlich hoch (siehe nebenstehende
                                                                     Grafik). Im Siebten Altenbericht werden Regionen
                                                                  typisiert und hinsichtlich demografischer Entwick-
                                                                  lungen, der Entwicklung des Pflegebedarfs, der
                                                                  Entwicklung von Armutsindikatoren, der gesund-
                                                                  heitlichen und pflegerischen Infrastruktur, der
                                                                  Nahversorgung, des Wohnungsmarktes sowie
                                                                  der kulturellen und der technischen Infrastruktur
                                                                  miteinander verglichen. Auf diese Weise werden die
                                                                  Unterschiede zwischen Regionen und Kommunen
                                                                  konkret herausgearbeitet. Vieles deutet darauf hin,
Anteil der älteren Menschen (65 Jahre und älter) an
der Bevölkerung in %                                              dass sich diese regionalen Unterschiede in Zukunft
                                                                  eher vergrößern als verkleinern werden. Es muss
    bis unter 18        Raumbezug: Kreise und kreisfreie Städte
                                                                  daher verhindert werden, dass sich die Situation
    18 bis unter 20     Zeitbezug: 2013
                                                                  wirtschaftlich schwacher Regionen dabei immer
    20 bis unter 22     Datengrundlage: Fortschreibung des
                        Bevölkerungsstandes des Bundes und        weiter verschlechtert.
    22 bis unter 24     der Länder, Eurostat Regio Datenbank,
    24 und mehr         (Stichtag 01.01. des jeweiligen Jahres)
Seite 23       Kapitel III                      Inhalt           zurück        weiter

Regionale Unterschiede prägen die Gestaltungs-          schwächeren Regionen aufgrund einer tendenziell
und Handlungsspielräume der Kommunen und                schlechteren Gesundheit einen höheren individuel-
wirken sich überdies auf die Lebensbedingungen          len Unterstützungsbedarf und verfügen in geringe-
und Lebenslagen der dort lebenden Menschen aus.         rem Maße über außerfamiliale soziale Unterstüt-
Die Analysen im Siebten Altenbericht zeigen, dass       zungspotenziale als ältere Menschen in strukturell
die Region, in der ein älterer Mensch lebt, unabhän-    stärkeren Regionen.
gig von der individuellen Lebenssituation einen
Einfluss auf die Gesundheit, das subjektive Wohl­       Die Siebte Altenberichtskommission hat die Unter-
befinden, die soziale Integration und das freiwillige   schiede zwischen den Kommunen in Deutschland
Engagement älterer Menschen hat. Das bedeutet:          bei ihren Analysen und der Formulierung von
Wie eine Person alt wird, hängt nicht allein von der    Empfehlungen berücksichtigt. Die unterschied­
individuellen Lebenssituation dieser Person ab,         lichen Situationen, in denen sich Kommunen befin-
sondern auch davon, wo sie alt wird. Ältere Men-        den, erfordern ein entsprechend differenziertes
schen, die in wirtschaftlich benachteiligten Regio-     politisches Handeln. Die Kommission empfiehlt
nen leben, sind in doppelter Weise von regionaler       dem Bund und den Ländern, geeignete Strategien
Ungleichheit betroffen: Zum einen leben sie in          für strukturell schwache Regionen und Kommunen
Regionen, die aufgrund einer wechselseitigen Ver-       zu entwickeln. Das Potenzial für Selbsthilfe, Nach-
stärkung von Strukturschwäche und der Alterung          barschaftshilfe und Engagement ist gerade in sol-
der Bevölkerung nur wenig Möglichkeiten haben,          chen Regionen und Kommunen gering und benötigt
über ihre Pflichtaufgaben hinaus freiwillige Infra-     deshalb besondere Unterstützung und Förderung
strukturen und Dienstleistungen anzubieten. Zum         durch die öffentliche Hand.
anderen haben ältere Menschen in strukturell
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Zentrale Handlungsfelder einer integrierten lokalen Politik
In der Auseinandersetzung mit dem Thema „Sorge und Mitverantwortung in der Kommune“
hat sich gezeigt, dass Teilhabe und Lebensqualität im Alter vor allem durch Weichenstellungen
in den drei Handlungsfeldern gesundheitliche Versorgung, pflegerische Versorgung sowie Wohnen
und Wohnumfeld geprägt werden. Diese drei Handlungsfelder werden im Siebten Altenbericht
deshalb ausführlich behandelt.
Seite 25      Kapitel IV                       Inhalt          zurück        weiter

             Gesundheitliche Versorgung –
             präventiv und wohnortnah

Im Verständnis der Siebten Altenberichtskommission        Mitwirkung der Kommune bei der
umfasst gesundheitliche Versorgung weit mehr als          Sicherstellung der Versorgungsstrukturen
medizinische Versorgung und die Behandlungen
von Krankheiten: Es geht vielmehr auch darum,          Die Kommunen sollen eine leistungsfähige, patien-
Teilhabechancen zu eröffnen und eine selbst- und       tennahe haus- und fachärztliche sowie klinisch-
mitverantwortliche Lebensführung bis ins hohe          stationäre Versorgung sicherstellen können, die
Alter hinein zu ermöglichen. Dementsprechend           die Autonomie und Teilhabe alter Menschen unter-
werden im Siebten Altenbericht neben der kurati-       stützt. Um den regionalen Besonderheiten dabei
ven medizinischen Versorgung auch die Bereiche         gerecht zu werden, empfiehlt die Siebte Alten­
der Gesundheitsförderung, Prävention, Rehabilitation   berichtskommission eine Regionalisierung der
und Palliation thematisiert, auch unter Berücksich-    Gesundheitsversorgung, einen Ausbau der kommu-
tigung einer stärkeren Patientenorientierung. Es       nalen Verantwortung sowie eine Stärkung der
wird danach gefragt, wie im ambulanten und statio-     interkommunalen Zusammenarbeit. Um die ambu-
nären Bereich eine bedarfsgerechte und wohnortnahe     lante Versorgung systematisch weiterzuentwickeln,
Versorgung auf kommunaler Ebene sichergestellt         sollte geprüft werden, inwieweit der Sicherstel-
werden kann. Vor diesem Hintergrund geht die           lungsauftrag den Kommunen übertragen werden
Altenberichtskommission auf die Vernetzung und         kann; zumindest sollte eine verantwortliche Mit-
Kooperation verschiedener Akteure ein, diskutiert      wirkung der Kommunen gesetzlich vorgeschrieben
innovative sektorübergreifende Strukturen, weist       werden: Die Kommunen sollten partnerschaftlich
auf Fehlanreize und Schnittstellenprobleme hin         mit den Kassenärztlichen Vereinigungen und Kran-
und empfiehlt diesbezüglich eine Stärkung der          kenkassen zusammenarbeiten, dafür müssen die
Steuerungskompetenz der Kommunen. Auch die             Kommunen mit den entsprechenden Kompetenzen
bestehenden und in Zukunft möglicherweise noch         ausgestattet werden. Die Planungsgebiete sollten
größer werdenden Versorgungslücken in struktur-        verkleinert werden, damit örtliche Besonderheiten
schwachen ländlichen Räumen werden thematisiert.       stärker als bislang berücksichtigt werden können.
Seite 26      Kapitel IV                      Inhalt            zurück        weiter

   Aufbau von lokalen Gesundheitszentren              heitsberufen beitragen. Die Möglichkeiten, ärztliche
   mit integrierten Versorgungskonzepten              Tätigkeiten zu delegieren und zu substituieren,
                                                      sollten aus Sicht der Siebten Altenberichtskommis-
Das bestehende Gesundheitssystem mit der allge-       sion deutlich erweitert werden. Zum anderen sind
mein- und fachärztlich ambulanten Versorgung auf      die Möglichkeiten insbesondere von Kommunen
der einen Seite und der Krankenhausversorgung auf     und Landkreisen, auf die Bedarfsplanung und das
der anderen Seite muss mit dem Ziel weiterentwi-      Niederlassungsverhalten von Ärztinnen und Ärzten
ckelt werden, verstärkt Kooperationen und inte­       Einfluss zu nehmen, zu erweitern. Anreize können
grierte Versorgungskonzepte zu schaffen. Eine sek­    beispielsweise mit Investitions- und Honorarzu-
tor­übergreifende Bedarfsplanung, eine Vernetzung     schüssen, durch Unterstützung bei der Suche nach
von Angeboten sowie eine verbesserte Zusammen-        geeigneten Praxisstandorten, nach Wohnraum
arbeit der Ärztinnen und Ärzte mit anderen Ge­-       sowie nach Kinderbetreuungsmöglichkeiten
sundheits- und Sozialberufen sind hierbei von         geschaffen werden. Darüber hinaus sollten die
besonderer Bedeutung. Aus Sicht der Siebten Alten-    Arbeitsbedingungen für Ärztinnen und Ärzte quali-
berichtskommission sind in diesem Zusammen-           tativ verbessert werden, beispielsweise durch fami­
hang Medizinische Versorgungszentren (MVZ) ein        lienkompatible Arbeitszeiten in Medizinischen
erfolgversprechendes Modell. Diese sollten vor        Versorgungszentren. Es sollte geprüft werden,
allem dort angesiedelt werden, wo hohe Versor-        inwieweit der Zugang zum Medizinstudium für
gungsbedarfe bestehen. Mit dem Aufbau lokaler         diejenigen erleichtert werden kann, die sich dazu
Gesundheits­zentren ist eine neue regionale Verant-   verpflichten, nach dem Studium für eine gewisse
wortung der Kommunen verbunden, die schritt­          Zeit im ländlichen Raum zu praktizieren.
weise ausgebaut werden sollte.
                                                         Der Ökonomisierung der Medizin
   Anreize für Ärztinnen und Ärzte in                    entgegenwirken
   strukturschwachen ländlichen Regionen
                                                      Bei aller Notwendigkeit, die medizinische Versor-
In strukturschwachen ländlichen Regionen ist es       gung wirtschaftlich zu gestalten, ist der fortschrei-
zunehmend schwierig, frei werdende Arztpraxen         tenden Ökonomisierung der Medizin auch mit Blick
wieder zu besetzen. Um hier Abhilfe zu schaffen,      auf die Therapie und Rehabilitation alter Menschen
sollten zum einen neue Organisationsformen der        entgegenzuwirken. Aus Sicht der Kommission sind
gesundheitlichen Versorgung entwickelt werden,        die ausreichenden finanziellen Ressourcen im
die auch zur Kooperation zwischen den Gesund-         Gesundheitssystem so zu verteilen, dass die fachlich
Seite 27      Kapitel IV                      Inhalt           zurück       weiter

angemessene Behandlung alter Menschen sicherge-       rehabilitativen und palliativen Versorgung alter
stellt ist. Das derzeit geltende Vergütungs- und      Menschen nicht selten eine primäre Orientierung
Finanzierungssystem für die stationäre Kranken-       an ökonomischen Gesichtspunkten erkennbar. Die
hausversorgung (DRG-System) und die sich daraus       Siebte Alten­berichtskommission weist darauf hin,
ergebende medizinische Versorgung in den Kran-        dass die offene oder verdeckte Rationierung die
kenhäusern werden vielfach den Versorgungsbedar-      Gefahr birgt, dass gegen fundamentale Patienten-
fen und -bedürfnissen alter Menschen nicht gerecht.   rechte und gegen die Menschenwürde verstoßen
Zudem ist auch bei Entscheidungen hinsichtlich der    wird.
Seite 28       Kapitel IV                       Inhalt            zurück        weiter

   Präventions- und Rehabilitationsangebote             Rehabilitation) und der Palliation (ambulante und
   sowie die Palliativversorgung ausbauen               stationäre Palliation) im Kontext gesundheitlicher
                                                        Versorgung ein größeres Gewicht zu geben. Hin-
Aus Sicht der Siebten Altenberichtskommission ist       sichtlich der Rehabilitationsverantwortung könn-
der Präventionsgedanke mit Blick auf die Erhaltung      ten Fehlanreize und Schnittstellenprobleme bei-
von Selbstständigkeit, Autonomie und Teilhabe im        spielsweise dadurch verringert werden, dass die
hohen Alter in Deutschland bei Weitem nicht aus-        Pflegeversicherung in die Mechanismen des SGB IX
reichend umgesetzt. Gleiches gilt für die Rehabilita-   integriert und als weiterer Rehabilitationsträger
tion. Angesichts des im hohen Lebensalter deutlich      behandelt wird. Die Verfahren für die Genehmi-
steigenden Risikos chronischer Erkrankungen und         gung von Leistungen der Rehabilitation sollten verein-
zunehmender Gebrechlichkeit empfiehlt die Kom-          facht und die mobile Rehabilitation sollte gestärkt
mission, den verschiedenen Komponenten der              werden.
Rehabilitation (mobile, ambulante und stationäre
Seite 29       Kapitel IV                       Inhalt           zurück         weiter

   Lebensweltorientierte Gesundheits­                      Unterschiedliche Lebenslagen und
   förderung und primäre Prävention stärken                Versorgungsbedarfe berücksichtigen

Angebote zur Gesundheitsförderung und Prävention        Die große Heterogenität der Gruppe alter Menschen –
müssen in stärkerem Maße lebensweltorientiert           sowohl hinsichtlich individueller Lebensstile,
gestaltet werden. Diese Aufgabe lässt sich am besten    Potenziale und Risiken als auch hinsichtlich der
lösen, wenn Bildungs-, Sport-, ambulante Rehabili-      Lebenslagen und kulturellen Milieus – muss in der
tationseinrichtungen, Sozialarbeit und Pflegedienste,   medizinischen Versorgung ausreichend beachtet
Hausärztinnen und Hausärzte sowie die Zielgruppen       werden. Zudem sollte eine geriatrische Expertise
selbst enger kooperieren, um Gesundheits- und           zum Standard ambulanter und stationärer Versor-
Präventions­konzepte zu entwickeln und umzuset-         gung gehören. Beides ist wichtig für den Prozess der
zen, die praxis­orientiert und auf die Lebenslage und   Diagnostik und Therapie, aber auch für die Zugäng-
den Lebensstil spezifischer Zielgruppen zugeschnit-     lichkeit des medizinischen Versorgungssystems und
ten sind. Hier ist insbesondere auf die sogenannten     für die Kommunikation mit Patientinnen und
Setting­ansätze zu verweisen, wie sie auch das neue     Patienten. Es sollte selbstverständlich zur medizini-
Präventionsgesetz – unter ausdrücklicher Einbezie-      schen Ausbildung gehören, Kompetenzen für eine
hung stationärer Pflegeeinrichtungen – vorsieht.        personenorientierte, lebenslagen- und kultursensible
Zudem empfiehlt die Siebte Altenberichtskommission,     Ansprache von Patientinnen und Patienten sowie
regionale Gesundheits- und Pflegekonferenzen zu         geriatrische Expertise zu entwickeln.
etablieren. Die Kommunen sollten dabei eine koor-
dinierende Funktion wahrnehmen.                         Gerade hochkomplexe Krankheits- und Symptom-
                                                        bilder sowie funktionale Einbußen im hohen Alter
Wenn Kommunen in die gesundheitliche Prävention         erfordern eine Stärkung der Patientenmitwirkung –
investieren und dadurch Ausgaben für kurative           sowohl bei der Entwicklung von medizinischen
medizinische Behandlungen eingespart werden,            Standards und Leitlinien als auch bei der Definition
profitieren derzeit nicht sie selbst davon, sondern     individueller Therapie- und Rehabilitationsziele
die Kranken- und Pflegekassen. Die Strukturen           und ihrer Umsetzung.
sollten so verändert werden, dass diejenigen Akteure,
die von einer gesünderen Bevölkerung finanziell
profitieren, auch an den Kosten für Präventions-
maßnahmen beteiligt werden.
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             Sorge und Pflege in gemeinsamer Verantwortung

Mehr als zwei Drittel der auf Pflege angewiesenen        Die Pflege von Angehörigen ist oftmals mit großen
Menschen in Deutschland werden in privaten Haus-         physischen und psychischen Belastungen für die
halten versorgt; dies entspricht ungefähr 1,86 Milli-    Pflegepersonen verbunden – hier muss Entlastung
onen Menschen. Der größte Teil davon (etwa 1,25          geschaffen werden, indem Sorge- und Pflegeaufga-
Millionen) wird ausschließlich durch Angehörige          ben systematisch auf mehrere Schultern verteilt
versorgt und etwa 616.000 gemeinsam von Angehö-          werden. In diesem Zusammenhang muss auch die
rigen und Pflegekräften. Es ist der Wunsch der           ungleiche Verteilung von familialer Sorgearbeit
meisten Menschen, bei Hilfe- und Pflegebedarf im         zwischen Frauen und Männern infrage gestellt
privaten Haushalt und von Angehörigen versorgt zu        werden: Unbezahlte Sorgeaufgaben werden überwie-
werden. Aus verschiedenen Gründen ist die famili­        gend von Frauen übernommen; damit einhergehend
ale Pflege jedoch immer weniger selbstverständlich:      sind Frauen seltener vollzeitbeschäftigt und arbeiten
                                                         häufiger in Teilzeit- und/oder prekären Beschäfti-
❙❙ M it dem demografischen Wandel nimmt die Zahl        gungsverhältnissen. Als Folge davon sind Frauen
    der erwachsenen Kinder ab, die ihre Eltern pfle-     durchschnittlich materiell schlechtergestellt als
    gen könnten;                                         Männer. Mit der ungleichen Verteilung von Sorge­
❙❙ die Mobilität in der Gesellschaft nimmt zu, wes-     arbeit wird so soziale Ungleichheit aufrechterhalten.
    halb die Angehörigen seltener am selben Ort wie      Ungleichheiten bei der Übernahme von Verantwor-
    die auf Pflege angewiesenen Familienmitglieder       tung für Sorge und Pflege bestehen auch zwischen
    leben;                                               sozialen Schichten: Menschen mit einem höheren
❙❙ immer mehr Menschen leben in Einpersonen-            sozioökonomischen Status übernehmen seltener die
    haushalten, dabei entfällt die Option der Partner-   Pflege von Ange­hörigen als Menschen mit einem
    pflege im gemeinsamen Haushalt;                      niedrigeren sozioökonomischen Status.
❙❙ die Erwerbsbeteiligung pflegender Angehöriger
    nimmt zu, wodurch die Frage der Vereinbarkeit
    von Pflege und Erwerbstätigkeit drängender wird.
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Die Ausweitung des stationären Sektors in der            gehoben, lebensweltliche Bezüge der Pflege werden
Pflege bietet keine Lösung und Perspektive, genauso      gestärkt, Pflege wird am Wohlbefinden und einem
wenig der inzwischen weit verbreitete, häufig illegale   guten Leben ausgerichtet.
Einsatz mittel- und osteuropäischer Haushaltshilfen
und Pflegekräfte. Es bedarf deshalb eines neuen Ver-        Die Gestaltung von gemischten
ständnisses von Pflege sowie – darauf aufbauend –           Pflegearrangements
einer grundlegenden Neuordnung der Versorgungs-
strukturen. Die Siebte Altenberichtskommission hat       Um unter den bestehenden Bedingungen des sozia-
hierfür Ideen und Vorschläge entwickelt. Sie plädiert    len und demografischen Wandels auch in Zukunft
insbesondere für eine systematische flächendecken-       eine gute Pflege und Sorge sicherzustellen, muss aus
de Stärkung von gemischten Pflegearrangements.           Sicht der Siebten Altenberichtskommission die
Der Siebte Altenbericht leistet außerdem einen           häusliche Pflege in gemischten Pflegearrangements
Beitrag zur Debatte über das Verhältnis zwischen         zur flächendeckenden gesellschaftlichen Praxis
einer profilierten beruflichen Pflege auf der einen      werden. Gemäß dem Leitbild einer geteilten Verant-
Seite und lebensweltlich verankerten informellen         wortung für die Pflege greifen bei einem gemisch-
Sorgetätigkeiten auf der anderen Seite.                  ten Pflegearrangement familiäre, nachbarschaft­
                                                         liche, freiwillige und professionelle Hilfen ineinander.
   Ausrichtung von Sorge und Pflege an
   gesellschaftlicher Teilhabe                           Auch derzeit findet Pflege vielfach schon als häus­
                                                         liche Pflege in gemischten Pflegearrangements
Auch mit dem von der Siebten Altenberichtskom-           statt. Mehr als die Hälfte der pflegenden Angehöri-
mission begrüßten Konzept eines neuen Pflege­be­         gen teilt sich die Pflegeaufgaben mit anderen Fami-
dürftigkeitsbegriffs bleibt es dabei, dass die soziale   lienmitgliedern. Oft beteiligen sich darüber hinaus
Pflegeversicherung nicht den Blick auf den gesam-        auch Menschen aus dem Freundeskreis und der
ten Unterstützungs- und Hilfebedarf von auf Pflege       Nachbarschaft an der Unterstützung und Versor-
angewiesenen Menschen lenkt. Im Verständnis der          gung alter Menschen. Es kommt nun darauf an,
Kommission dienen Sorge und Pflege vor allem der         gemischte Pflegearrangements systematisch zu
Sicherung von Selbstbestimmung und Teilhabe. Die         fördern: Wo es sie gibt, müssen sie stabilisiert wer-
Kommission stellt Pflege in den weiteren Kontext         den; wo es sie nicht gibt, müssen sie ermöglicht
von Sorge. Damit werden an der Pflege die mensch­        werden. Auch auf Unterstützung verwiesene allein
liche Beziehung, die Zuwendung, der Trost hervor-        lebende Menschen ohne Angehörige und mit klei-
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nen sozialen Netzwerken müssen die Chance                ein Casemanagement zu etablieren und persönliche
bekommen, in gemischten Pflegearrangements               Budgets einzuführen. Um Angehörigen die Über-
unterstützt, versorgt und gepflegt zu werden. Wo         nahme von Pflegeaufgaben zu erleichtern, muss
diese nicht entstehen können, muss weiter professi-      weiter daran gearbeitet werden, die Vereinbarkeit
onelle Unterstützung greifen. Bei all dem muss           von Erwerbstätigkeit und Pflege zu verbessern, die
darauf hingewirkt werden, dass Aufgaben der Sorge        Beteiligung von Männern an der familialen Pflege
und Pflege gerecht zwischen Frauen und Männern           zu fördern und die negativen Folgen der Übernah-
verteilt werden.                                         me von Pflegeaufgaben für die soziale Absicherung
                                                         zu verringern. Den professionellen Pflegekräften
Das Konzept der gemischten Pflegearrangements ist        könnte die Aufgabe zukommen, entsprechende
mit dem im Siebten Altenbericht entfalteten Ver-         Pflegearrangements aufzubauen, zu unterstützen,
ständnis von Sorgetätigkeiten eng verknüpft: Sorge-      zu koordinieren und zu stabilisieren – dies setzt
tätigkeiten können nicht nur von professionellen         einen Wandel im Berufsbild voraus.
Pflegekräften, sondern auch von Angehörigen, dem
Freundeskreis, der Nachbarschaft sowie freiwillig           Sorgetätigkeiten gleichberechtigt zwischen
Engagierten erbracht werden. Sorge und Pflege               Frauen und Männern verteilen
werden nicht als zwei nebeneinanderstehende Hand-
lungsbereiche verstanden, vielmehr ist eine sorgende     Wer über subsidiäre Strukturen der Sorge und der
Haltung in der Pflege sowohl für professionelle          Pflege spricht, muss auch die gesellschaftliche
Pflegekräfte als auch für pflegende Angehörige, den      Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern
Freundeskreis, die Nachbarschaft oder freiwillig         thematisieren. Sowohl die professionelle als auch
Engagierte relevant. Für Pflegefachkräfte ist ein        die informelle Pflege und Unterstützung wird
ganzheitliches Verständnis von Pflege selbstver-         mehrheitlich von Frauen erbracht. Die Konnotation
ständlich – daraus folgt aber nicht, dass sie auch für   von (unbezahlter) Sorgearbeit als „typisch weiblich“
alle Sorgetätigkeiten in diesem Sinne zuständig sein     und die damit verbundene strukturell verankerte
sollten.                                                 gesellschaftliche Arbeitsteilung zwischen Frauen
                                                         und Männern trägt dazu bei, dass Frauen in gerin-
Als Maßnahmen zum Ausbau gemischter Pflegear-            gerem Umfang als Männer erwerbstätig sind. Folg-
rangements empfiehlt die Siebte Altenberichtskom-        lich sind Frauen in verschiedenen Hinsichten mate-
mission, teilstationäre Strukturen der Pflege auszu-     riell schlechtergestellt als Männer. Es ist der Siebten
bauen, mehr Beratungsmöglichkeiten zu schaffen,          Altenberichtskommission deshalb ein besonderes
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                       Anliegen, dass Sorgeaufgaben zwischen den Ge­
                       schlechtern gleich verteilt werden. Die Forderung
                       der Kommission nach einem Wandel der Pflege­
                       kultur hin zu mehr häuslicher Pflege in gemischten
                       Pflegearrangements ist untrennbar mit der Forde-
                       rung nach einer ausgeglichenen Aufteilung von Sor­­-
                       gearbeit zwischen Frauen und Männern ver­bunden.
                       Die Politik ist aufgefordert, dafür stärkere Anreize
                       zu schaffen. Es muss selbstverständlich werden,
                       dass beide Geschlechter Aufgaben der Sorge und
                       Pflege übernehmen und dies mit einer auch
                       anspruchsvollen Erwerbstätigkeit vereinbaren
                       können.

                          Die Rolle der Regionen und Kommunen
                          bei der Gewinnung von Menschen für
                          die berufliche Altenpflege stärken

                       Der Bedarf an Beschäftigten in der Langzeitversor-
                       gung insbesondere alter Menschen steigt, ebenso wie
                       der Bedarf an Assistenzleistungen für alte Menschen.
                       Für die nächsten Jahrzehnte wird für die entsprechen-
                       den Branchen ein erheblicher Beschäftigtenmangel
                       prognostiziert – allerdings mit großen regionalen
                       Unterschieden. Mit konzertierten bildungs- und
                       arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, flankiert
                       durch bundes- und landesrechtliche Rahmenbedin-
                       gungen, sollen Menschen für Pflege- und Hauswirt-
                       schaftsberufe gewonnen und in diesen Berufen
                       gehalten werden. Die Beschäftigungsmöglichkeiten,
                       die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung müssen
                       verbessert werden, damit sich Frauen und Männer
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