Sprache lernen durch Beziehung - AUFLEBEN

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Sprache lernen durch Beziehung - AUFLEBEN
AUFLEBEN                                                                                       2020/03

Sprache lernen durch
Beziehung

                                                                                  DSA Ayse Maluhan
                                                         Leiterin des Vereins Beziehungsweise Lernen

Sozialpolitischer Hintergrund                         gen groß ist, fehlen trotz all dem die Kontakte
                                                      zwischen „ein- und zweiheimischen“ Men-

W      enn Menschen mit Migrationshinter-
       grund gefragt werden, mit wie vielen
Menschen sie befreundet sind, die aus anderen
                                                      schen.

                                                      2017 wurden 12.242 Integrationsvereinbarun-
Ländern kommen und andere Erstsprachen                gen unterschrieben (ÖIF Jahresbericht 2017, S.
sprechen, kommt meistens die Antwort: mit             41). Obwohl es heißt, dass Integration alle Men-
Niemandem. Das bedeutet, dass zwischen Ein-           schen einer Gesellschaft betrifft, werden diese
wander*innen und Einheimischen keine bis we-          Integrationsvereinbarungen nur von Zugewan-
nige Kontakte existieren.                             derten unterschrieben und per Gesetz für Zu-
                                                      zug und aufenthaltsrechtliche Status verlangt.
So sieht derzeit die Realität aus – eigentlich bit-   „Integration wird zur Bringschuld“, denn diese
ter und inakzeptabel.                                 Vereinbarung setzt per Gesetz voraus, dass die
                                                      deutsche Sprache im Aufnahmeland beherrscht
Obwohl Innsbruck ein breites Spektrum an An-          wird. Integrationsbedingungen beeinflussen
geboten von Deutschkursen, Integrations- und          auch den gesellschaftlichen Diskurs und die
Qualifizierungsmaßnahmen für zugewanderte              Einstellung gegenüber Zugewanderten und de-
Personen offeriert und vereinzelt sogar ver-          ren Sprachkenntnisse. Migrant*innen besuchen
schiedene Formate wie Konversationsstunden,           zahlreiche Deutschkurse, die dort erworbenen
Sprachencafés, Frauentreffs organisiert werden        Kenntnisse finden im Alltag aber wenig Anwen-
und die Nachfrage nach solchen Veranstaltun-          dung.

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Vereinsgründung                                    nikativer, interaktiver Ansatz genutzt. Beim The-
                                                   ma Sprache wird ebenfalls eine direkte bzw.

B       EZIEHUNGSWEISE LERNEN hat dieses
        Interesse an sozialem Austausch und
dessen Potenzial als handlungs- und integrati-
                                                   natürliche Methode (vergleichbar mit dem Er-
                                                   werb der Erstsprache), um das semantische
                                                   Gedächtnis zu aktivieren, angewendet. Hier gilt
onserweiternde Maßnahme erkannt und darauf-        der Vorsatz: Verstehen statt Übersetzen. Die
hin das Konzept von „Deutsch als                   Kommunikation als wird Lernverfahren und
Freund*insprache“ entwickelt. Die Nachfrage        Lernziel betrachtet.
und die partizipierende Anwesenheit zeigen,        Was das transkulturelle Sprachtrainingspro-
dass das Konzept sowohl Teilnehmer*innen als       gramm auszeichnet ist das Co-Working von
auch Menschen aus der Mehrheitsbevölkerung         Sprachtrainerin und Sozialarbeiterin. Diese set-
anspricht und angenommen wird.                     zen Sprache und Integration in Beziehung, oh-
Denn „Deutsch als Freund*insprache“ ist Kom-       ne jeweils das Eine oder das Andere, monolith
munikation, die an reale Handlungen geknüpft       zu betrachten.
ist und in echten Situationen stattfindet und für
den Spracherwerb und das Miteinander wichtig
ist.                                               Zusammenarbeit mit
Den Verein BEZIEHUNGSWEISE LERNEN ha-
ben Hr. Dr. Peter Stöger, Fr. Dr. Veronika Schu-   „Einheimischen“
ler, Fr. Mag. Ursula Jennewein und Hr. Dr. Peter
Schumacher mit mir gemeinsam gegründet. Mit
diesem Verein haben wir dem transkulturellen
Sprach- und Integrationsprogramm „Deutsch
                                                   E     rfolgreich ist das Projekt „Deutsch als
                                                         Freund*insprache“ u. a. auch dadurch,
                                                   dass die Idee der Solidarität für alle von allen
als Freund*insprache“ eine Heimat geschaffen.      getragen wird. Es ist eine „Pädagogik der Soli-
Das Konzept, welches zugewanderten Perso-          darität“ (Paulo Freire), der sich die Soziale Ar-
nen beim Spracherwerb und bei der Sprachan-        beit annehmen darf.
wendung unterstützt ist und ihnen ermöglicht,      Menschen MIT Migrations- und Fluchterfahrung
mit „einheimischen“, deutschsprachigen Men-        brauchen Kontakte, um das Gelernte auch um-
schen im organisierten Rahmen in Kontakt und       setzen zu können. Menschen OHNE Migrati-
Austausch zu kommen, ist ein gelungener Ver-       onshintergrund brauchen auch Kontakte, weil
such, Zusammenhalt in einer pluralistischen        Kontakterfahrungen mit Zugewanderten sich
Gesellschaft zu stärken.                           auf das Zusammenleben positiv auswirken. Die
                                                   Beziehung zwischen Ein- und Zweiheimischen
                                                   geht über das Kennenlernen hinaus und richtet
Methodisch-didaktische                             sich auf Gemeinsamkeiten, die Integration stark
                                                   beschleunigen und vereinfachen. Das Sprach-
Ansätze                                            und Integrationstraining ist ein innovatives Pro-
                                                   gramm, bei dem sich das Leben der Zugewan-
Das Lernen aneinander und voneinander, also        derten in die Öffentlichkeit verlagert. Durch die
auch das Entwickeln eines Miteinanders ist ein     Aktivitäten bei Netzwerkpartnereinrichtungen
Teil des transkulturellen Konzepts. Jedes Pro-     wird den Teilnehmer*innen ermöglicht, die deut-
gramm richtet sich nach Interessen, Wünschen       sche Sprache in einer ungezwungenen Atmo-
und Bedürfnissen der TeilnehmerInnen.              sphäre alltags-, praxisorientiert und regelmäßig
Für den Spracherwerb wird dabei ein kommu-         anzuwenden. Das intensive achtwöchige Pro-

                                                                                                  2
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gramm mit Sozialberatung wird jährlich fünfmal      „Einheimische“, also Menschen, die der Mehr-
Mal angeboten.                                      heitsbevölkerung angehören, bringen durch ihre
                                                    Mitarbeit in den Projektaktivitäten auch ihre
Tutoren*innen – Praktikanten*innen – Besu-          persönlichen Erfahrungen zum Thema Integrati-
cher*innen                                          on durch bspw. Sprache lernen, Einstieg in die
Tutoren*innen und Praktikanten*innen werden         Berufstätigkeit, Alltagsthemen wie z.B. Kinder-
speziell für diesen Einsatz geschult und beglei-    erziehung, Familie etc. ein und tauschen sich
tet. Tutoren*innen sind Personen, die sich für      mit den Deutschlernenden aus. Menschen mit
ehrenamtliches Engagement interessieren.            Erstsprache Deutsch nehmen eine Art Vorbild-
Die Praktikanten*innen sind beispielsweise Stu-     funktion ein und ermutigen Menschen mit Mi-
dentInnen des Instituts für Sozialpädagogik,        grations- und Fluchterfahrung, an ihren Zielen
Deutsch als Fremdsprachelehrgängen, des Stu-        weiterzuarbeiten.
diengangs für Soziale Arbeit, die im Rahmen         Zusätzlich werden häufig vorkommende Fehlin-
von Pflichtpraktika im Verein Erfahrungen sam-       terventionen aufgrund der unterschiedlichen
meln und mitarbeiten können.                        Referenzsysteme der Zugewanderten bzw. der
Besucher*innen nehmen an angekündigten –            sogenannten „Einheimischen“ aufgegriffen und
gemeinsamen Aktivitäten teil.                       geklärt. Missverständnisse, die beide Seiten ir-
                                                    ritieren und zur Frustration führen, können die
All diese Personen treten mit Teilnehmer*innen      Einstellung von Menschen prägen und hinder-
in den Dialog, lassen sich auf einen beidseiti-     lich für Kontaktaufnahmen sein.
gen Prozess der Integration ein.

                                                    Soziale Arbeit
Multiplikatoreneffekt

S     owohl die Teilnehmer*innen als auch die
      Ehrenamtlichen und Besucher*innen tra-
                                                    D      ie Schwerpunktsetzung auf Sozialarbeit
                                                           ermöglicht den Teilnehmer*innen Barrie-
                                                    ren zu überwinden und am öffentlichen Leben
gen ihre interkulturellen Erfahrungen hinaus: in    teilzunehmen. Die Sprachtrainerin begleitet die
ihre Familien, in ihr Lebensumfeld, ihren Arbeit-   Gruppe, der mitunter auch bildungsferne Men-
sort. Sie werden dadurch zu wirksamen Multi-        schen angehören und deren Mitglieder sprach-
plikatoren*innen.                                   lich unterschiedliche Niveaus haben.
                                                    Migranten*innen, vor allem Frauen, aufenthalts-
                                                    berechtigte Drittstaatsangehörige weisen man-
                                                    gelnde Deutschkenntnisse auf. Das intensive
                                                    Programm bietet eine Alltagstruktur, die den
                                                    Teilnehmer*innen ermöglicht aus gewohnten
                                                    Kreisen (mit gleicher Herkunft, gleicher Erst-
                                                    sprache, gleicher Kultur) zum deutschsprachi-
                                                    gen Umfeld Zugang zu finden.
                                                    Durch die sozialarbeiterische Begleitung wer-
                                                    den Themen wie Existenzsicherung, Woh-
                                                    nungs- und Arbeitssuche, Erziehung,
Wertvoller Erfahrungsaustausch beim gemeinsamen     Kinderbetreuung, Beziehung, Gewaltpräventi-
Kochen                                              on, österreichisches Schul- und Bildungssys-

                                                                                                  3
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tem behandelt.                                     erzielen. Mütter beobachten sinnvolle Beschäf-
Vor allem steht die Beziehungsarbeit im Vorder-    tigung unter Anleitung der Betreuungsperson
grund.                                             und holen sich Tipps für die Erziehung.
Die Sozialarbeit hört nicht mit der Vermittlung    Die Mütter sind selbst für die Versorgung der
(z. B. in Deutschkurse) auf. Das Kennenlernen      Kinder zuständig und kümmern sich auch
der Klienten*innen in acht gemeinsamen Wo-         dementsprechend um deren Wohlbefinden. Sie
chen ist sehr intensiv. Diese Beziehungsarbeit     richten ihre Pausen nach den Bedürfnissen ih-
ist ein großer Vorteil, somit können Förderun-     rer Kleinen.
gen gezielt auf die teilnehmenden Personen ab-
gestimmt werden und kann in krisenhaften
Lebenssituationen interveniert oder an die rich-   Netzwerkpartnereinrichtungen
tigen Stellen weitervermittelt werden. Auch für
„Einheimische“ ist es oft kompliziert, sich im
System zurecht zu finden oder einen Bescheid
verstehen zu können. Das ist mit eingeschränk-
                                                   E     inrichtungen, die ohne Begleitung von
                                                         dieser Zielgruppe nicht genutzt werden,
                                                   werden durch das Programm für die Zielgruppe
ten Deutschkenntnissen natürlich deutlich          erreichbar. Dieses Netzwerk ist kein migrati-
schwieriger und wenn die nötigen Kontakte und      onsspezifisches Netzwerk, stellt aber Integrati-
Anlaufstellen fehlen, wird das Manko durch         onsmöglichkeit dar. Das „Verzahnen“ von
professionelle Intervention ausgeglichen.          Begegnungsorten mit und ohne migrationsspe-
                                                   zifische Einrichtungen ist für die Integration ein
                                                   weiterer Vorteil. Diese Organisationen/Vereine/
Frauen im Programm                                 Begegnungsorte öffnen sich für Integration und
                                                   Diversität.

F     rauen gelten als wichtige Multiplikato-
      ren*innen im Integrationsprozess der ge-
samten Familie. Sie sind Triebfedern im Bereich
                                                   Diese Aktivtäten werden sorgfältig geplant und
                                                   vorbereitet und in der Umsetzung begleitet. Das
                                                   achtwöchige Programm ist mit einer Termin-
Bildung und nehmen eine wichtige Vermitt-          übersicht geplant und für alle zugänglich.
lungsfunktion bei der Weitergabe von Werten        Das Programm wird vor jeder Durchführung in
ein.                                               Absprache mit Netzwerkpartnereinrichtungen
Im Programm sind Frauen mit Kleinkindern will-     besprochen. Diese haben sich bereit erklärt ihre
kommen und werden ihren Bedürfnissen ent-          räumlichen Kapazitäten sowie auch sich selbst
sprechend begleitet. Die Kinder sind im Alter      dem Projekt gegenüber zu öffnen – eine inter-
vor dem Kindergarteneintritt, von null bis ca.     kulturelle Öffnung.
drei bis vier Jahren und werden in denselben       Hier sind einige Ausszüge aus dem transkultu-
Räumen und unter der Verantwortlichkeit der        rellen Integrationsprogramm „Deutsch als
Mütter mitbetreut. Für die Dauer des Trainings     Freund*insprache“:
würde es keinen Sinn machen, sie getrennt zu
betreuen, denn für die Dauer des Trainings ist     Mittagstisch in der Küche der feld-
die Eingewöhnung der Kleinkinder nicht zwin-       schafft in der Bäckerei – Kulturbackstu-
gend notwendig und würde die Mütter mehr           be:
beanspruchen, als die Betreuung im gleichen
Setting.                                           Kochen für die Besucher*innen des Mittags-
So ist die Betreuung der Kinder unter der Ob-      tischs in der Bäckerei. Als Gruppe wird gemein-
hut möglich und kann auch einen Zusatzeffekt       sam mit deutschsprachigen ehrenamtlichen

                                                                                                  4
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                                                  Kennenlernen des Waldhüttls der Vin-
                                                  zenzgemeinschaft:

                                                  Dabei geht es um das Kennenlernen des Wald-
                                                  hüttl-Projekts, den Austausch mit Bewohner*in-
                                                  nen und Verantwortlichen des Waldhüttls.
                                                  Inhaltlicher Schwerpunkt sind die Bewusst-
                                                  seinsbildung der teilnehmenden Personen und
                                                  die Wissensvermittlung über Randgruppen,
                                                  Minderheiten und Diskriminierung.
Das gemeinsame Kochen und Essen verbindet
                                                  Lesungen:
Begleitpersonen gekocht. Beim Mittagstisch er-
gibt sich dann die Möglichkeit des Austausches    Vorbereitung, Planung und Durchführung von
mit Besucher*innen. Diese sind Personen der       Lesungen. Sensibilisierung für bestimmte The-
Mehrheitsbevölkerung und werden gezielt –         men. Herausforderung, sich vor einem Publi-
durch Bewerbung – eingeladen. (wöchentlich)       kum zu präsentieren. Zum Beispiel im Café
                                                  Namsa (Haus im Leben), Fest der Vielfalt etc.

Nähprojekte im Nähcafé Nadelöhr:                  Kontaktaufnahme in verschiedenen Be-
                                                  gegnungsorten:
Hier fungieren Teilnehmer*innen als Gastge-
ber*innen und werden begleitet und unterstützt,   In der Kulturbäckerei, im Treibhaus, in Geschäf-
in den Austausch über das gemeinsame Tun zu       ten, auf der Straße werden die Teilnehmer*in-
kommen. Gemeinsam nähen die Teilnehmer*in-        nen motiviert und angeleitet, sich auf neue
nen alle zwei Wochen mit den ehrenamtlich Tä-     Situationen einzulassen und Menschen direkt
tigen und Besucher*innen des Nähcafés. Die        anzusprechen, um mit ihnen ins Gespräch zu
genähten Produkte werden dem Nähcafé ge-          kommen. (wöchentlich)
spendet.
                                                  Mitarbeit im Interkulturellen Garten:

                                                  Sobald es das Wetter zulässt werden Teilneh-
                                                  mer*innen zum Garten geführt. Dort werden di-
                                                  verse Gartenarbeiten, in Absprache mit der
                                                  Koordinatorin, für die Gemeinschaftsbeete
                                                  übernommen. Ganz im Sinne des Mottos Sha-
                                                  ring is Caring können Teilnehmende hier Kon-
                                                  takte knüpfen, neues Wissen über Pflanzen und
                                                  Gemüse erwerben und durch eigenständiges
                                                  Handeln Integrationsmöglichkeiten kennen ler-
                                                  nen. (einmal in 2 Monaten)
Zum Sprache Lernen braucht es nicht immer ein
Klassenzimmer: ein Nähzimmer geht auch

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AUFLEBEN

Kochen im Dinner Club:                           Die Veranstaltungen werden alle öffentlich auf
                                                 der Homepage, per Email, in sozialen Medien
Wie im KochLokal wird auch hier das Kochen       ausgeschrieben und aktiv beworben und sind
für einen Austausch genutzt. Die Rezepte wer-    somit frei zugänglich für alle interessierten Men-
den in einem Buch gesammelt und veröffent-       schen.
licht.
Kulturelle, musikalische, künstlerische Veran-
staltungen werden nach Interessen, Fähigkeiten
und Bedürfnissen der Teilnehmer*innen geplant
und mit ihnen gemeinsam durchgeführt.

Mit den Händen begreifen

www.beziehungsweise-lernen.info
Facebook: Deutsch als FreundInsprache
www.freundessprache.org

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