Staatsverschuldung und Geldpolitik: Wege aus der Krise - De ...

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ZfWP 2021; 70(1): 69–80

Michael Krause und Thomas A. Lubik*
Staatsverschuldung und Geldpolitik: Wege
aus der Krise
https://doi.org/10.1515/zfwp-2021-2049

Abstract: We discuss the risks of high public debt in the aftermath of the Covid-
induced economic downturn. Historically low interest rates can tempt govern-
ments to expand public debt to excessive levels, since the immediate budgetary
consequences are small. But once interest rates rise again, governments may be
forced to either conduct painful debt consolidation, default on at least part of
their debt, or allow high inflation, at the potential cost of hyperinflation. Because
financial market participants may doubt policy makers’ commitment to servicing
the public debt, a high level of debt carries the risk of self-fulfilling debt crises.
We stress that new debt should always be associated with growth-enhancing pol-
icies that expand the government’s resources, thus reducing the need for painful
consolidation and distributional conflict later on.

Einleitung
Die Ausdehnung der Staatshaushalte für konjunkturelle Stützungsmaßnahmen
während des durch die Corona-Pandemie bedingten wirtschaftlichen Abschwungs
hat zu einer teils hitzigen Diskussion geführt. Es wird darum gestritten, wie hoch
die aufgenommenen Schulden sein dürfen und wie, oder sogar ob, sie zurückge-
zahlt werden sollten. Auf der einen Seite der Debatte stehen jene, die eine strenge
Haushaltsdisziplin und eine schnelle Zurückzahlung der Schulden einfordern.
Das Kernargument ist, dass höhere Schulden zukünftige Generationen belasten
werden, da diese für die Rückzahlung aufkommen müssen. Zudem wird ange-
führt, dass die in Deutschland in der Verfassung verankerte Schuldenbremse eine
schnelle Tilgung der über gewisse Kennziffern hinausgehenden Staatschulden
zwingend erforderlich macht und eine Lockerung dieser Regeln unbeherrsch-

*Kontakt: Michael Krause, Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln, Pohligstr.1,
50969 Köln, Deutschland, E-Mail: michael.krause@wiso.uni-koeln.de
Thomas A. Lubik, Research Department, Federal Reserve Bank of Richmond, Richmond, VA,
USA, E-Mail: thomas.lubik@rich.frb.org
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bare Folgen haben kann. Und schließlich wird gewarnt, dass eine Ausweitung
der deutschen Staatsschuld anderen europäischen Ländern zum Vorbild dienen
kann, ihre eigene Haushaltsdisziplin aufzugeben.
     Auf der anderen Seite stehen jene, die – überspitzt gesagt – behaupten, dass
Budgetrestriktionen für souveräne Staaten irrelevant sind, und daher gerade in
der derzeitigen Lage eine Erhöhung der Staatsausgaben ohne Konsequenzen
bleibt1. Denn bei Nullzinsen müssen nach dieser Argumentation Schulden quasi
nicht bedient werden und stellen somit angeblich keine Belastung für den Staats-
haushalt dar. Eine extreme Form dieser Argumentation findet sich in der soge-
nannten „Modern Monetary Theory“ (MMT), also der „Modernen Geldtheorie“,
die gerade in den USA sehr viel Zuspruch findet. Diese postuliert, dass Staats-
defizite irrelevant sind, da der Staat jederzeit Geld drucken kann, um Staats-
ausgaben zu finanzieren. Darüber hinaus wird behauptet, dass bei hinreichen-
dem Wirtschaftswachstum der Staat ohnehin aus den Schulden herauswachsen
wird, was unter bestimmten Bedingungen nicht auszuschließen ist, allerdings
im Widerspruch zur Annahme von langanhaltenden Nullzinsen steht. Da aber
eine Regierung letztendlich ihre Schulden von der Zentralbank aufkaufen lassen
kann, ist eine Versorgung des Staates mit Finanzmitteln gesichert und gleich-
zeitig können die Zinsen beliebig lange niedrig gehalten werden, ganz im Sinne
der MMT.
     Wir besprechen in diesem Artikel die langfristigen ökonomischen Beschrän-
kungen, denen die Schuldenaufnahme unterliegt, und die Bedingungen unter
denen eine politische Nichtbeachtung dieser Beschränkungen für das staatliche
Budget schwerwiegende Folgen für die Preisstabilität, die Staatsfinanzen und die
Wirtschaft haben kann. Es gilt zu bedenken, dass die ökonomischen Beschrän-
kungen auch von politischen Faktoren, insbesondere der Glaubwürdigkeit der
staatlichen Haushaltspolitik abhängen, welche die Erwartungsbildung privater
Akteure in den Finanzmärkten beeinflussen. Dies bestimmt wiederum die Zinsen
mit und damit den Spielraum für den Staatshaushalt.
     Die Glaubwürdigkeit der staatlichen Rückzahlungsfähigkeit ist wichtig, weil
Akteure in Finanzmärkten darüber befinden müssen, mit welcher Wahrschein-
lichkeit zukünftige Haushaltspolitik willens und in der Lage sein wird, die von
ihnen gehaltenen Schulden zurückzuzahlen. Bestehen in den Finanzmärkten
Zweifel darüber, erschwert dies über die aufgrund von Erwartungen und Risi-
koaufschlägen höheren Zinsen die Refinanzierung des Staates. Im schlimmsten

1 Diese Argumentationskette wird von uns in einem Kölner Impuls zur Wirtschaftspolitik kritisch
hinterfragt. Siehe Krause und Lubik (2021). Das Argument, dass souveräne Staaten sich immer
über ihre Zentralbank finanzieren können, gilt im Kontext der Europäischen Währungsunion
nur bedingt, da die Europäische Zentralbank keiner Regierung untersteht und unabhängig ist.
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Falle kann es zu einer Schuldenkrise kommen, in der allein aus der Möglichkeit
eines nicht mehr zu bewältigenden Schuldenstands die Zinsaufschläge so stark
steigen, dass die Schulden tatsächlich nur noch durch drastische Ausgabenbe-
schränkungen oder Einnahmeerhöhungen stabilisiert werden können. Im Ext-
remfall verbleiben nur Schuldenschnitt oder Inflation als Auswege. Dies ist das
Damoklesschwert, was über jedem Staatshaushalt hängt.

Die wirtschaftliche Ausgangslage
Laut Statistischem Bundesamt betrug das Staatsdefizit im ersten Halbjahr 2020
51,6 Milliarden Euro.2 Dies entspricht einem Defizit von 3,2 % des Bruttoinlands-
produkts. Demgegenüber lag im ersten Halbjahr 2019 noch ein Überschuss von
2,7 % vor. Dieser Umschwung geht auf einen Rückgang der Staatseinnahmen
von 3,6 % und einen Anstieg der Ausgaben um 9,3 % zurück. Hierbei wiesen alle
staatlichen Ebenen (Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherung) einen
negativen Finanzierungssaldo auf. Dramatisch ist der Einbruch bei den Einkom-
mens- und Vermögenssteuern (-10,2 %), wobei die von Unternehmen gezahlten
Steuern um 26,8 % und die von privaten Haushalten gezahlten Einkommens-
und Vermögenssteuern um 4,7 % fielen. Lediglich die Einnahmen aus Sozialbei-
trägen stiegen um 1,8 %. Bei den Ausgaben stiegen die Subventionen um 177,5 %
wobei die Ausgaben für Kurzarbeit und Soforthilfen besonders stark zu Buche
schlugen.
     Das durch die Corona-Krise bedingte Defizit erhöht dadurch den Schulden-
stand auf der Bundesebene, was zu einer Steigerung der Schuldenquote von
59,7 % im Jahre 2019 auf 70 % für 2020 führte. Im 3. Quartal 2020 lag die Staatsver-
schuldung im Durchschnitt der Eurozone bei 97,3 %. Im internationalen Vergleich
stand Deutschland damit noch verhältnismäßig gut dar, was sicherlich zu einem
großen Teil der disziplinierten Haushaltspolitik in den Jahren nach der Finanz-
krise zu verdanken ist. Die Staatsverschuldung relativ zum BIP in den USA stieg
dagegen während der Krise von 106,2 % auf 108,2 % an und wird prognostiziert
die 130 %-Marke zu erreichen. Die Staatsverschuldung Italiens wird voraussicht-
lich im gleichen Zeitraum von 134,8 % auf 158,9 % steigen. Ein Grund, weshalb
das Schuldenwachstum in den USA etwas weniger Anlass zur Sorge gibt, ist, dass
die von der U.S. Treasury herausgegebenen Schuldtitel die begehrtesten Finanz-
instrumente der Welt sind, während die Qualität der Schuldtitel des Euroraums

2 Die Angaben in diesem Abschnitt sind zum Teil der Pressemitteilung Nr. 324 vom 25. August
2020 des Statistischen Bundesamtes entnommen und um neuere Zahlen ergänzt.
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variabel ist, vor allem durch Länder wie Italien, deren Haushalte in einer prekären
Lage sind. Wenngleich die Situation der Staatsverschuldung in Deutschland nicht
derart dramatische Züge hat, so erscheint auch hier eine respektvolle Haltung
gegenüber dem zukünftigen Verschuldungspfad angemessen.

Ausblick für die Staatsverschuldung
Jede Schuld muss entweder eines Tages zurückgezahlt oder bei Fälligkeit überge-
wälzt werden, wofür sich immer wieder Anleger finden lassen müssen, die die
Schuld auch weiterhin halten wollen. Selbst eine reine Überwälzung ist mit
Kosten für den Staatshaushalt verbunden, da ein Teil der Staatseinnahmen in die
Zahlung der Zinsen fließt und damit für weitere Ausgaben fehlt. Die unmittelbare
Auswirkung einer höheren Verschuldung auf die Zinslast ist derzeit tatsächlich
gering, was sich darin zeigt, dass sich langfristige Zinsen auf Staatswertpapiere
weltweit auf historisch niedrigem Niveau befinden und selbst typischerweise
hochverschuldete Staaten wie Italien nur einen minimalen Risikoaufschlag auf-
bringen müssen. So scheinen die Staaten nicht nur mehr Spielraum bei gegebe-
nen Einnahmen zu haben, da mehr für eigentliche Ausgaben zur Verfügung steht,
sondern können auch im Moment weitere Schulden aufnehmen, um weitere Aus-
gaben zu tätigen.
     Für Deutschland prognostiziert die Bundesbank in ihrem Monatsbericht
im Dezember 2020 eine durchschnittliche Verzinsung der Staatschulden von
einem halben Prozent. Im Jahre 1992 lag diese noch bei 8 %. Somit fielen die
Zinsausgaben relativ zum Bruttoinlandsprodukt von 3,5 % in den 1990er Jahren
auf mittlerweile unter 1 %. Aus diesem Grund wird auch in Deutschland eine
zumindest mittelfristige Aussetzung der Schuldenbremse gefordert, die zu einer
Rückführung der Staatsschulden von derzeit 70 % auf 60 % des Bruttoinlands-
produkts (BIP) nötigen würde. Obwohl ein Blick in den Tilgungsplan, der vom
Bundestag beschlossen wurde, offenbart, dass ein vergleichsweise moderater
Betrag von jährlich etwa zwei Mrd. Euro bis 2042 zurückgezahlt werden müsste,
um die in 2020 zur Krisenbekämpfung aufgenommene Neuverschuldung zu
tilgen.
     Man könnte hieraus nun schließen, dass die Staatschuld entsprechend
höher, bei festen Nullzinsen bis in die weite Zukunft ja sogar extrem groß sein
könnte. Allerdings muss hierbei bedacht werden, dass weder von einer ewigen
Nullzinsphase ausgegangen werden darf, noch das Risiko einer Deflation völlig
ausgeräumt werden kann, welche auch bei nominalen Nullzinsen die reale Schul-
denlast des Staats ansteigen ließe. Sollte aber dementgegen die Inflation wieder
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steigen, werden Zentralbanken früher oder später genötigt sein, die Zinsen zu
erhöhen, um einen weiteren Preisanstieg einzudämmen. Mit steigenden Zinsen
wächst die Ausgabenlast in dem Maße, wie die Schulden zu höheren Zinsen refi-
nanziert und dann auch bedient werden müssen, was bei zu Anfang einer solchen
Phase bereits hoher Staatsverschuldung problematisch ist. Hierdurch kann der
politische Druck auf die Zentralbank immens werden, um der realen Schulden-
verringerung willen den Leitzins länger als nötig niedrig zu halten, was damit
aber die Inflation weiter anheizt. In der Wirtschaftsgeschichte stand jede Hyper-
inflation in Zusammenhang mit überwältigenden Staatsschulden, so dass nicht
zwangsläufig davon ausgegangen werden sollte, dass eine derartige Situation
langfristig unbedenklich ist.
     Man mag nun betonen, dass die EZB als von den Weisungen einzelner Staaten
unabhängige Zentralbank einem solchen Druck nicht ausgesetzt werden würde,
beziehungsweise leicht wiederstehen kann. Doch es wäre möglich, dass die Unab-
hängigkeit infrage gestellt wird, wenn viele Staaten gleichzeitig einem ähnlichen
Schuldendruck ausgesetzt sind. Die EZB ist mit ihren Programmen zum Aufkauf
von Staatsanleihen schon einen Schritt weit in Richtung monetärer Staatsfinan-
zierung gegangen, wie häufig gerade auch in Deutschland argumentiert wird. Die
Unfähigkeit der Staaten, ihre Verschuldung unter Kontrolle zu bringen, hätte aus
dieser Sicht dann eine einfache Lösung gefunden. Die Risiken eines Zinsanstiegs,
den wir oben beschreiben haben, bleiben natürlich bestehen.
     In der europäischen Schuldenkrise 2010 kam es bei drohender Zahlungsun-
fähigkeit einiger Länder tatsächlich zu einem Einfrieren der Schuldenmärkte,
da europäische Wertpapiere zu riskant wirkten, und in Folge zu einem drohen-
den Absturz der Währung, und damit zu einer erneuten Krise im Bankensektor.
Solche Schuldenkrisen können selbst dann eintreten, wenn die Schuld zwar
unter niedrigen Zinsen bedient werden könnte, ein vermutetes Ausfallrisiko die
Zinsprämien aber so hoch treibt, dass der Staatshaushalt mit dem Schulden-
dienst überfordert ist. Regierungen müssen diese Konsequenzen im Blick behal-
ten, wenn sie heute Entscheidungen treffen, die ihre Schulden in bislang unge-
ahnte Höhen treiben.3

3 Dieser ökonomische Mechanismus ist in einem bekannten Artikel von Guillermo Calvo (1988)
formal dargestellt worden.
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Haushaltskonsolidierung als Mittel zur
Schuldentilgung
Welcher Weg zur Konsolidierung nicht tragfähiger Staatsfinanzen gewählt wird,
wird vom politischen Prozess, vom Druck der Finanzmärkte und der öffentlichen
Meinung hinsichtlich der Akzeptanz der Staatsverschuldung abhängen. Um bei
gegebenen Einnahmenniveau Überschüsse im Staatshaushalt zu erzielen, mit
denen die Schuld bedient werden kann, müssen letztendlich Ausgaben gekürzt
werden. Dies kann sich in geringerem Staatskonsum (also Einsparungen von
Ausgaben der Verwaltung, inneren und äußeren Sicherheit, etc.) und geringeren
Altersbezügen und Sozialleistungen sowie in geringeren staatlichen Investitio-
nen (z. B. in Infrastruktur, Bildung, oder Grundlagenforschung) manifestieren.
Zusätzlich oder alternativ kann versucht werden, die Einnahmen zu erhöhen, also
höhere Steuern und Beiträge zu erheben. Hier stellt sich die Frage, ob Einkommen
oder Konsum stärker besteuert werden sollen, und ob Vermögen mit einbezogen
werden.
     All diese Maßnahmen haben unterschiedliche Verteilungs- und Wachstums-
effekte. Die resultierenden Verteilungskonflikte treten sicherlich im Steuer- und
Transfersystem sichtbarer hervor als bei intransparent und schleichend wirken-
den Ausgabenkürzungen. Entsprechend sind Steuererhöhungen politisch die
unpopulärste Maßnahme, da eine große Zahl von Wählern direkt betroffen ist.
Jeder der möglichen Wege wirft Verteilungsfragen auf, da verschiedene Bevölke-
rungsgruppen unterschiedlich betroffen sind. Ein alleiniges Abwägen zwischen
heutigen und zukünftigen Generationen greift hier zu kurz. Es muss zwischen
heutigen Sparern und jenen, die von ihrem Erspartem leben, zwischen Gering-
und Besserverdienern, zwischen Jungen und Alten unterschieden werden, um
nur einige Beispiele zu nennen. Gerade in der Corona-Krise mag aber eine gleich-
mäßige zusätzliche Besteuerung aller, etwa in ähnlicher Art und Weise wie der
Solidaritätszuschlag, ein fairer Weg sein, Unterstützungsmaßnahmen zu finan-
zieren.
     In diesem Zusammenhang ist auch eine Betrachtung des institutionellen
Rahmens wichtig, in dem eine Konsolidierung der Schulden stattfinden muss. Um
die Erwartungen in Finanzmärkten zu stabilisieren und die von ihnen wahrge-
nommene Wahrscheinlichkeit eines übermäßigen Schuldenzuwachses so gering
wie möglich zu halten, haben sich einige Staaten der Disziplin einer Schulden-
bremse unterworfen, die in Deutschland zum Beispiel auch in der Verfassung
verankert wurde. Die staatlichen Akteure haben sich damit ihrer eigenen Hand-
lungsspielräume beraubt, wohl wissend, dass sie in Abwesenheit dieser Regeln
zu fiskalpolitischen Entscheidungen greifen könnten, die zwar kurzfristig oppor-
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tun sind, aber langfristig Wirtschaft und Gesellschaft schaden. So wie sich in der
griechischen Sage Odysseus an den Mast seines Schiffes binden ließ, um nicht
den Verlockungen der Sirenen zu erliegen, die in den Untergang führen, gibt sich
die Politik in Erkenntnis ihrer eigenen Schwächen, oder auch dem Druck, dem sie
beizeiten ausgesetzt sein könnte, bindende Regeln, die nur schwer wieder aufzu-
weichen sein sollen.4 Einige Stimmen in der Debatte plädieren auch aus diesem
Grund für ein bedingungsloses Festhalten an der Schuldenbremse, selbst im
Kontext des Corona-bedingten Abschwungs.
    Neben einer Erhöhung der Besteuerung und Kürzungen von Staatsausgaben
stehen aber potenziell zwei weitere Maßnahmen zur Stabilisierung der Staats-
finanzen zur Verfügung, die bislang für entwickelte Industrienationen kaum mehr
denkbar waren: Schuldenschnitt und Inflation. Während der Finanzkrise wurde
ein Schuldenschnitt für Griechenland vereinbart, darüber hinaus muss man aber
in der europäischen Geschichte weit zurückblicken, um ähnliche Episoden größe-
ren Ausmaßes zu finden. Es darf hierbei nicht in Vergessenheit geraten, dass die
Staatsschuldenkrise von 2010 im Falle Griechenlands fast zu einem Auseinander-
brechen der Europäischen Union geführt hat, als internationale Investoren aus
Sorge um die Zahlungsfähigkeit anderer Länder der Eurozone begannen, Mittel
abzuziehen.

Schuldenschnitt als Radikallösung
Eine technisch mögliche Option den Staatshaushalt zumindest auf kurze Sicht
zu konsolidieren ist ein Schuldenschnitt, also das Streichen der Schulden, mit
entsprechenden Verlusten für die Gläubiger. Ein derartiges Vorgehen, was im
Falle von kleineren europäischen Ländern eine Möglichkeit wäre, bietet sich für
Deutschland nicht an, da es das Ende jener wirtschaftspolitischen Glaubwürdig-
keit bedeuten würde, die es sich in der Vergangenheit aufgebaut hat. Man muss
auch bedenken, dass ein Teil des Vertrauens der Weltwirtschaft in den Euro auf
der Glaubwürdigkeit Deutschlands als Garant der Währungsunion basiert. Ein
deutscher Zahlungsausfall käme einem Staatsversagen gleich und würde darüber
hinaus nicht zu ermessende Turbulenzen auf den Finanzmärkten hervorrufen.
Denn deutsche Anleihen spielen eine zentrale Rolle als Referenzpunkt für die
Zinssetzung und damit Bewertung von Finanztiteln.

4 Die gleiche Motivation unterliegt der Entscheidung vieler Regierungen, ihren Zentralbanken
Unabhängigkeit zu gewähren.
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     Eine weitere Alternative, die in diesem Zusammenhang oft angebracht wird
ist, dass die Staatspapiere von der Zentralbank aufgekauft werden, also mone-
tisiert werden. Dies ist auch ein Postulat der MMT. Anstatt neue Staatstitel zur
Finanzierung neuer Ausgaben im Finanzmarkt zu platzieren, könnte eine Regie-
rung die Zentralbank beauftragen, diese direkt aufzukaufen mit der Intention, sie
nicht mehr zurückzuzahlen. Im Falle der EZB ist dies zwar nur schwer vorstellbar,
aber auch wenn man von der Frage eines geeigneten institutionellen Rahmens
absehen würde, hinge der Erfolg einer solchen Maßnahme davon ab, dass Unter-
nehmen und Haushalte im Angesicht einer Euroschwemme den Euro weiterhin
als Zahlungsmittel und Wertanlage ansehen. Das kann aber nicht als gegeben
angenommen werden. Die Wirtschaftsgeschichte kennt hinreichend Beispiele,
in denen eine Monetisierung der Staatsschuld zu Inflation und wirtschaftlichem
Einbrüchen führte.
     Vertreter der MMT würden wohl dagegen halten, dass die Aufgabe der wirt-
schaftlichen Stabilisierung ohnehin der Steuerpolitik zukommt, die dem Inflati-
onsdruck durch Steuererhöhungen zwecks Reduzierung der Nachfrage entgegen
wirkt. Eine derartige Umgestaltung der Rolle der wirtschaftspolitischen Institutio-
nen auf nationaler und europäischer Ebene, die hierzu erforderlich wäre, scheint
unmöglich. Sie wäre auch ökonomisch unsinnig, denn während der Zentralbank
in der Regel ein Instrument, der Zins, zur Inflationskontrolle zur Verfügung steht,
wäre die Wahl der geeigneten fiskalpolitischen Instrumente eine Herausforde-
rung, für die es keine einfache Lösung gibt.

Inflation
Als weiteres Mittel, die (realen) Staatsschulden eines Landes zu verringern, ist
die eher schleichende Schuldenentwertung durch Inflation. Dies kann erreicht
werden durch eine sehr auf Akkommodation angelegte Geldpolitik, wie sie jetzt
schon die EZB aber auch die Federal Reserve teilweise signalisiert haben. Unerwar-
tet steigende Inflation hat Implikationen für die reale Schuldenlast, wenn diese
zu nominalen langfristigen Zinsen aufgenommen wurde, welche diese Inflation
nicht eingepreist haben. Hier gibt es mehrere historische Episoden, wie zum Bei-
spiel die hohen Inflationsraten im Vereinigten Königreich nach dem zweiten Welt-
krieg, die zu einem Abbau der im Krieg aufgenommenen Belastungen beitrug. In
den Vereinigten Staaten leistete dagegen die sogenannte finanzielle Repression
den wesentlichen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung, wobei per Anordnung die
Zinsen, die Banken ihren Einlegern zahlen durften, künstlich niedrig gehalten
wurden. Dadurch wurde erreicht, dass die relativ schlechter verzinsten Staats-
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anleihen vom privaten Sektor trotz realer Verluste aufgrund der hohen Inflation
weiterhin nachgefragt wurden. Dies ist eine Maßnahme, die heutzutage sicherlich
unpopulär, aber nicht undenkbar wäre.
     Bei der Betrachtung der Option der Inflation als Schuldenminderungsinstru-
ment muss bedacht werden, dass eine solche Strategie nur funktionieren kann,
wenn die Staatsschuld zu nominalen Zinsen bedient werden kann, die durch-
schnittlich niedriger sind als die Inflationsrate. Denn rationale Marktteilnehmer
werden einen höheren Nominalzins verlangen, sobald zu erkennen ist, dass lang-
fristig mit einer höheren, also deutlich über das von der Zentralbank kommuni-
zierte Inflationsziel hinausgehenden, Inflationsrate gerechnet werden muss. Die
Schwierigkeit, die reale Staatsschuld durch Inflation zu reduzieren, haben Krause
und Moyen (2016) in verschiedenen quantitativen Modellrechnungen verdeut-
licht. Hinzu kommen gegebenenfalls höhere Risikoprämien, die der Staat zahlen
muss, um Investoren zur Aufnahme von Schuldentiteln zu bewegen.5 Denn je
höher die Laufzeit der Staatsschuld, desto größer die Versuchung für den Staat,
durch höhere Inflation den Realwert der Schulden zu mindern, da der Nominal-
zins in der Regel bis zur Fälligkeit fixiert ist.
     Es ist möglich, dass die Schuldenlast allein durch diese Zinseffekte steigt,
selbst wenn die Inflation noch nicht gestiegen ist. Dies ist der Fall, wenn die
jedes Jahr fällig werdende Schuld zu Zinsen am Markt platziert werden muss, die
bereits die langfristig höhere erwartete Inflation einbeziehen. Zudem muss gefragt
werden, ob der Staat eine unabhängige Zentralbank überhaupt wie gewünscht zu
einer hinreichend expansiven Geldpolitik bewegen kann, und ob diese Zentral-
bank dann die Fähigkeit besitzt, die Inflation zum richtigen Zeitpunkt anzuheizen
und danach präzise zu steuern. Die bisherige Erfahrung mit den Versuchen der
Europäischen Zentralbank, die Inflation wenigstens an ihr Ziel von zwei Prozent
heranzuführen, lassen daran zweifeln.
     Was die Verteilungseffekte angeht, wird sowohl bei einem Schuldenschnitt
als auch bei unerwartet hoher Inflation eine Seite des Kreditverhältnisses entlas-
tet, während die andere Seite belastet wird. Ein Schuldenschnitt belastet hierbei
die Kreditgeber des Staates und entlastet den Staatshaushalt, wobei die Steuer-
zahler gewinnen. Natürlich verlieren die Bürger zugleich in ihrer Rolle als Kredit-
geber des Staates. Eine unerwartete Inflation hat ähnliche Effekte hinsichtlich des
Staatshaushaltes, berührt aber auch privatwirtschaftliche Kreditverhältnisse und
kann hier zusätzliche Verwerfungen zur Folge haben. So werden auch Banken

5 Wie oben erwähnt, können über Risikoprämien selbsterfüllende Schuldenkrisen entstehen, da
ein steigender Zinsaufschlag, der Investoren für das Risiko eines Zahlungsausfalls kompensieren
soll, eben durch die resultierende höhere Zinsbelastung des Staates einen solchen Zahlungsaus-
fall auslösen kann.
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Verluste erleiden, da eine höhere Inflation sich unmittelbar auf der Finanzie-
rungsseite niederschlägt, während die Zinsraten auf Kredite eher langfristig fest-
gelegt sind. Kreditnehmer gewinnen entsprechend durch eine höhere Inflation,
da sie ihre Schulden real entwertet.

Wirtschaftswachstum als Alternative zur
Schuldenkonsolidierung
Der attraktivste Weg der Schuldenkonsolidierung ist ein höheres reales Wirt-
schaftswachstum. Die realen Steuereinnahmen wachsen mit dem Bruttoinlands-
produkt, womit eine gegebene reale Verschuldung relativ abnimmt. Über die Zeit
wird eine Rückzahlung der Schulden und Zinszahlungen also einen schrump-
fenden Anteil des Staatshaushaltes einnehmen. Natürlich muss die Wachstums-
rate über der realen Verzinsung der Schuld liegen, weil sonst der Schuldendienst
proportional zur Wirtschaft wächst. Aber im Gegensatz zum Falle von Inflation
verlieren einzelne Kreditgeber (also insbesondere auch die deutschen Sparerin-
nen und Sparer) persönlich keine erwarteten Erträge. Im Gegenteil, sie gewinnen
sogar durch eine potentiell geringere zukünftige Steuerlast als es bei niedrigerem
Wachstum der Fall wäre.
     Dies würde durch eine Steigerung der Erwerbsbeteiligung zusätzlich erleich-
tert werden, die wiederum davon abhängt, wie vom Steuersystem Anreize zur
Arbeitsaufnahme gesetzt werden. Eine höhere Erwerbsbeteiligung erhöht das
Bruttoinlandsprodukt, selbst bei stagnierender Arbeitsproduktivität, und somit
die Steuereinnahmen. Diese Aspekte illustrieren die Bedeutung der Wahl der
Mittel, mit denen die Folgen des derzeitigen Abschwungs für Haushalte und
Unternehmen abgefedert werden sollten.
     Wie lässt sich das Wirtschaftswachstum so stimulieren, dass ein Land aus
einer hohen Verschuldung herauswachsen kann? Investitionen in Bildung, Digi-
talisierung, Infrastruktur, und eine effiziente Verwaltung sollten Wachstums-
potentiale wecken können. Hier möchten wir auf einen Aspekt der Digitalisierung
hinweisen, der oft übersehen wird: sie ist kein Selbstzweck, sondern Mittel zum
Zweck. Nicht nur für eine gut und effizient funktionierende Privatwirtschaft sind
Fortschritte bei der Entstehung einer digitalen Infrastruktur wichtig, sondern
auch für eine gut funktionierende Verwaltung. Diese darf also nicht einfach nur
ihre bestehenden bürokratischen Verkrustungen in der digitalen Welt fortsetzen,
sondern sollte tatsächlich entschlackt und vereinfacht werden. Nur so lassen sich
auch die Investitionshemmnisse abbauen, die aus einer Flut von behördlichen
Genehmigungen entstehen, denen Menschen mit Mut zur Selbständigkeit und
Staatsverschuldung und Geldpolitik         79

neuen Ideen gegenüberstehen. Nicht umsonst liegt Deutschland im Ranking
des Marktzutritts, des Wettbewerbs, und der Einfachheit des Eintritts von neuen
Firmen im internationalen Vergleich hinten. Datenfluss und Datenaustausch zwi-
schen Behörden muss erleichtert, Entscheidungswege vereinfacht, und Entschei-
dungszeiten verkürzt werden.

Fazit
Die Coronakrise hat die Staatsverschuldung nach oben getrieben, mit langfristi-
gen Auswirkungen auf die zukünftige Finanzpolitik, welche eine Haushaltskon-
solidierung notwendig machen wird. Da die Wege des Schuldenschnitts und der
Inflation zumindest für Deutschland in der Eurozone nicht gangbar sind, weil sie
mit hohen politischen und ökonomischen Kosten verbunden wären, muss ver-
sucht werden, Wachstumspotentiale zu nutzen. Zudem besteht das Risiko, dass
die Wirtschaftspolitik zu teilweise verdeckten Maßnahmen greift, wie finanzielle
Repression, um die staatlichen Schuldenberge zu verringern. Temporär hat dies
auch Auswirkungen auf die Wachstumsaussichten. Dies wird aber umso weniger
der Fall sein, je besser und schneller ein struktureller Wandel angestoßen wird.
Den nötigen Strukturwandel können Regierungen nicht wirklich steuern. Aber
sie können sehr wohl Hemmnisse beseitigen, die der notwendigen Anpassung
entgegenstehen.
     Aus unserer Sicht sollte der Ausgangspunkt einer jeden Diskussion der Not-
wendigkeit zusätzlicher Staatsverschuldung eine nüchterne Kosten-Nutzen
Analyse sein. Die Wirtschaftspolitik muss hierfür zwischen den verschiedenen
Zwecken der Staatsausgaben oder Transferzahlungen abwägen und ermitteln,
welche Folgen sie für die Nachhaltigkeit der Staatsverschuldung haben. Sind
die Ausgaben investiv ausgerichtet und tragen so zu einer verbesserten (Rück-)
Zahlungsfähigkeit bei, indem sie das Trendwachstum erhöhen, womit auch die
Steuereinnahmen stärker wachsen werden? Oder sind sie rein konsumtiv ausge-
richtet, womit Belastungen auf die Zukunft verschoben werden? Damit würden
auch Verteilungskonflikte in die Zukunft verlagert, die in der einen oder anderen
Form gelöst werden müssen.

Die Meinungen und Sichtweisen in diesem Artikel sind die der Autoren und nicht unbedingt die
der Federal Reserve Bank of Richmond oder des Federal Reserve Systems.
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Literatur
Calvo, Guillermo (1988), „Servicing the Public Debt: The Role of Expectations“, American
     Economic Review 78 (4), S. 647–661.
Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Dezember 2020.
Krause, Michael, und Thomas A. Lubik (2021), „Staatsverschuldung und Geldpolitik in der
     Krise: Bedarf es einer ,modernen Geldtheorie‘? Kritische Anmerkungen zur sogenannten
     Modern Monetary Theory“, Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik 01/2021.
Krause, Michael, und Stephane Moyen (2016), „Public Debt and Changing Inflation Targets“,
     American Economic Journal: Macroeconomics 8 (4), S. 142–176.
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