Standpunkt Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik
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Herausgeber: Standpunkt Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik Systeme in Niederspannungsnetzen 01-2020 Der Bundesverband öffentlich bestellter und vereidigter hervorgehoben werden soll. sowie qualifizierter Sachverständiger e.V. (BVS) ist die Das Diskussionsergebnis wird in Standpunkten mit zentrale Organisation der öffentlich bestellten und ver- konkreten Empfehlungen veröffentlicht. eidigten sowie gleichwertig qualifizierten Sachverständi- gen in Deutschland. Der Inhalt dieser Veröffentlichung soll als Richtschnur bei Bewertungen und Beurteilungen herangezogen wer- den. Kritiken und Anregungen sind ausdrücklich er- Allgemeine Hinweise zu den BVS- wünscht. Standpunkten Mit Wissensfortschreibung werden Standpunkte und Richtlinien in unregelmäßiger Zeitenfolge aktualisiert. BVS-Standpunkte spiegeln die fachliche Meinung der BVS-Sachverständigen in dem Fachbereich, der den je- Viele Bereiche technischer und baupraktischer Belange weiligen Standpunkt erarbeitet hat, wider. Die fachliche sind nicht oder nur eingeschränkt geregelt; Anforderun- Meinung ergibt sich unter Berücksichtigung entspre- gen nicht ausreichend definiert. chender normativer oder gesetzlicher Anforderungen, Bei Sonderkonstruktionen und beim Bauen im Bestand kann allerdings im Widerspruch zu diesen stehen. Die in sind technische Regelwerke darüber hinaus häufig nicht dem Standpunkt dargestellten Sachverhalte und ggf. anwendbar und es müssen Sonderlösungen gefunden Wertgrenzen ergeben sich auf Grundlage wissenschaft- werden. licher Erkenntnisse oder der Einschätzung einer als sachgerecht zu beurteilenden Gebrauchstauglichkeit. Je nach Interessenlage der Planer, Ausführenden und Nutzer werden so die Lücken gegebenenfalls auch Wi- Die in den Standpunkten aufgeführten Wertgrenzen dersprüche im Regelwerk unterschiedlich interpretiert stellen kein Anforderungsniveau dar. Es handelt sich und/oder ergänzt. hierbei um Empfehlungen, die aktuelle wissenschaftli- che Erkenntnisse berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund werden im BVS Standpunkte von öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständi- Bezüglich der Anwendung der Standpunkte wird darauf gen, die unmittelbar mit vorstehend dargestellten Kon- hingewiesen, dass die BVS-Standpunkte keine technisch flikten konfrontiert sind, erarbeitet. eingeführten Normen, auf die in Verträgen Bezug ge- nommen wird, ersetzen können. Ebenso wenig ersetzen Dieses dient dem Ziel, eine Empfehlung und Hilfe für sie gesetzliche Vorgaben. Den Mitgliedern im BVS steht Planer, Ausführende und Nutzer auszusprechen, wie in es frei, abweichende Meinungen zu vertreten. Bei der den Fällen, in denen keine hinreichenden Regelwerke Durchführung eines Vorhabens sind somit in jedem Falle vorhanden sind, verantwortungsbewusst gehandelt gesetzliche Vorgaben, eingeführte technische Bestim- werden kann. Außerdem sollen besonders bedeutsame mungen und vertraglich vereinbarte Regelwerke zu be- technische Regeln besonders hervorgehoben werden. rücksichtigen. Soll von vorstehenden Vorgaben auf der Die BVS-Standpunkte werden unabhängig von einer In- Grundlage eines Standpunktes abgewichen werden, so teressenlage erarbeitet. ist dieses zwischen den Vertragsparteien zu vereinba- ren. Unbenommen hiervon sind gesetzliche Vorgaben und behördlich eingeführte technische Bestimmungen. Fachbereich Elektrotechnik und Infor- Impressum mationstechnik Bundesverband öffentlich bestellter und vereidigter sowie quali- fizierter Sachverständiger e. V. Der Fachbereich Elektro- und Informationstechnik im Charlottenstraße 79/80 BVS diskutiert in Arbeitskreisen Fachthemen die durch 10117 Berlin Normen, Merkblätter, Richtlinien, usw. nicht ausrei- Download: www.bvs-ev.de chend geregelt sind oder deren besondere Bedeutung Stand: 01-2020 Fachbereich E+I Systeme in Niederspannungsnetzen BVS-Standpunkt 01-2020 1
Inhaltsverzeichnis die Beteiligten am Markt, insbesondere auch bei recht- lichen Auseinandersetzungen. Für den Errichter von 1 Einleitung Elektroanlagen ergibt sich am Hausanschlusskasten eine unlogische Farbkennzeichnung von elektrischen 2 Begriffsdefinition Leitern, auf deren Basis das angewandte Netzsystem 3 Gesetzliche Grundlagen nicht zu erkennen ist. Es ist daher notwendig, die tech- nischen Aspekte von Systemen nach Art der Erdverbin- 4 Anforderungen aus Normen und dung sowie die Fehlentwicklungen in diesem Bereich Richtlinien darzustellen und Handlungsempfehlungen zu geben. 5 Technische Erläuterungen Die Notwendigkeit bzw. der „Ausführungszwang“ zum Anschluss von elektrischen Anlagen an das TT-System 6 Schlussfolgerungen entsprechend den Vorgaben der Netzbetreiber wird kri- 7 Literatur/Quellen tisch hinterfragt. 8 Empfehlungen des BVS Mitwirkende des Arbeitskreises 2 Begriffsdefinitionen TN-System: Im TN-System ist ein Punkt direkt geer- 1 Einleitung det; die Körper (von elektrischen Betriebsmitteln) der elektrischen Anlage sind über Schutzleiter mit diesem Bei den öffentlichen Niederspannungsnetzen werden in Punkt verbunden. Deutschland zwei unterschiedliche Systeme nach Art TT-System: Im TT-System ist das Versorgungssystem der Erdverbindung angewandt: Das TN-System (ca. zu geerdet; die Körper (von elektrischen Betriebsmitteln) 85 %) sowie das TT-System (ca. 15 %). Die Systeme der elektrischen Anlage sind mit Erdern verbunden, die unterscheiden sich bezüglich der Verantwortlichkeit unabhängig von den Erdern des Versorgungssystems beim Betrieb des Ortsnetzes, dem Einsatz von Schutz- sind. organen, den Anforderungen an Erdungsanlagen sowie der Zuverlässigkeit des Fehlerschutzes im Hinblick auf Fehlerschutz: Schutz gegen elektrischen Schlag unter den Schutz gegen den elektrischen Schlag. Bei Anlagen den Bedingungen eines Einzelfehlers. mit hohen Leistungen unterscheiden sich die Systeme Fehlerspannung: Spannung zwischen einer gegebe- auch bezüglich der Aufwendungen zur Realisierung des nen Fehlerstelle und der Bezugserde bei einem Isolati- Fehlerschutzes; so sind die Kosten bei einem Anschluss onsfehler. an das TT-System wesentlich höher. Berührungsspannung: Spannung zwischen gleichzei- Welches System im Ortsnetz und beim Anschluss der tig berührbaren leitfähigen Teilen, wenn solche leitfähi- Anlagen der Anschlussnehmer angewendet wird, ent- gen Teile von einem Menschen oder einem Tier nicht scheidet der Netzbetreiber. Die Festlegungen folgen berührt werden (unbeeinflusste Berührungsspannung). nicht immer physikalischen Begründungen, sondern teil- weise auch historischen Gegebenheiten. So kommt es Zusätzlicher Schutz: Schutzmaßnahme zusätzlich auch vor, dass die Verantwortung für den Schutz gegen zum Basisschutz und/oder Fehlerschutz. den elektrischen Schlag in den Verantwortungsbereich Netzbetreiber: Betreiber eines Übertragungs- oder des Anschlussnehmers verlagert wird. Auch ist festzu- Verteilungsnetzes für elektrische Energie. stellen, dass einzelne Netzbetreiber weiter auf der An- wendung des TT-Systems beharren, während andere Für die weiteren Begriffe gelten die Begriffsdefinitionen Zug um Zug vorhandene TT-Systeme in das überwie- der DIN VDE 0100-200 [1]. gend vorteilhaftere TN-System umwandeln. Bei der Wiedervereinigung Deutschlands war die An- 3 Gesetzliche Grundlagen wendung des jeweiligen Netzsystems vom beitretenden Bundesland davon abhängig, welchem Energieversor- 3.1 Energiewirtschaftsgesetz ger das jeweilige Gebiet zugeordnet wurde. So wurde Im Energiewirtschaftsgesetz [2] sind die Anforde- beispielsweise für das Bundesland Thüringen von den rungen an Energieanlagen festgelegt: betreffenden Netzbetreibern das TT-System festgelegt. § 18 Allgemeine Anschlusspflicht Die Forderungen einzelner Netzbetreiber, Gebäude „wie im TT-System“ anzuschließen, widersprechen den allge- ..."Das Interesse des Anschlussnehmers an kostengüns- mein anerkannten Regeln der Technik. Diese Forderung tigen Lösungen ist dabei besonders zu berücksichtigen." hat erhebliche wirtschaftliche und technische Folgen für 2 BVS-Standpunkt 01-2020 Systeme in Niederspannungsnetzen Fachbereich E+I
§ 19 Technische Vorschriften § 13 Elektrische Anlage „(1) Betreiber von Elektrizitätsversorgungsnetzen sind „(1) Für die ordnungsgemäße Errichtung, Erweiterung, verpflichtet, unter Berücksichtigung der nach § 17 fest- Änderung und Instandhaltung der elektrischen Anlage gelegten Bedingungen und der allgemeinen technischen hinter der Hausanschlusssicherung (Anlage) ist der An- Mindestanforderungen nach Absatz 4 für den Netzan- schlussnehmer gegenüber dem Netzbetreiber verant- schluss von Erzeugungsanlagen, Anlagen zur Speiche- wortlich.“ rung elektrischer Energie in Elektrizitätsverteilernetzen, Anlagen direkt angeschlossener Kunden, Verbindungs- leitungen und Direktleitungen technische Mindestanfor- 4 Anforderung aus Normen und derungen an deren Auslegung und deren Betrieb fest- Richtlinien zulegen und im Internet zu veröffentlichen. Die Anforderungen bzw. Grundsätze im Hinblick auf die […] Schutzmaßnahmen sind in den Normen DIN VDE 0100- (3) Die technischen Mindestanforderungen nach den 100 [4], DIN VDE 0100-410 [5], VDE 0100-540 [6] und Absätzen 1 und 2 müssen die Interoperabilität der Netze VDE 0100-600 [7] dargelegt. sicherstellen sowie sachlich gerechtfertigt und nichtdis- In den Technischen Anschlussbedingungen der Netzbe- kriminierend sein.“ treiber (TAB) [8] werden insbesondere die Handlungs- § 49 Anforderungen an Energieanlagen pflichten der Netzbetreiber, Errichter, Planer und Betrei- ber von Anlagen festgelegt. Aktuell sind diese auch in „(1) Energieanlagen sind so zu errichten und zu betrei- die VDE-AR-N 4100 [9] aufgenommen worden. ben, dass die technische Sicherheit gewährleistet ist. Dabei sind vorbehaltlich sonstiger Rechtsvorschriften die allgemein anerkannten Regeln der Technik zu be- 5 Technische Erläuterungen achten. 5.1 Systeme nach Art der Erdverbindungen (2) Die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik wird vermutet, wenn bei Anlagen zur Er- Die Systeme der Wechselstromversorgung lassen sich in zeugung, Fortleitung und Abgabe von … zwei Teile unterscheiden: 1. Elektrizität die technischen Regeln des Verbandes der 1. der „speisende" Teil, in der die Erzeugung/Vertei- lung der elektrischen Energie durch den NB erfolgt Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V. …“ (Verteilungsnetz), und 2. der „verbrauchende" Teil, in der die Elektroanla- 3.2 Netzanschlussverordnung (NAV) [3] gen der Gebäude der Anschlussnehmer (AN) betrie- ben werden (Verbraucheranlage). Diese Verordnung regelt die Allgemeinen Bedingungen, zu denen Netzbetreiber nach § 18 Abs. 1 des Energie- 5.2 Betrachtung der Verteilungsnetze wirtschaftsgesetzes jedermann an ihr Niederspan- Unsere Wechselstromsysteme (Einphasen-, Dreipha- nungsnetz anzuschließen und den Anschluss zur Ent- sen-/Drehstromsysteme) werden hinsichtlich der Erd- nahme von Elektrizität zur Verfügung zu stellen haben. verbindungen in unterschiedliche Typen gegliedert. Diese sind Bestandteil der Rechtsverhältnisse über den Diese Typen werden mit zwei Buchstaben als Kurzzei- Netzanschluss an das Elektrizitätsversorgungsnetz der chen benannt (z. B. TN-System, TT-System). Das erste allgemeinen Versorgung (Netzanschluss) und die An- Kurzzeichen bezieht sich auf die Erdung eines aktiven schlussnutzung. Das Netzanschlussverhältnis besteht Leiters an der speisenden Stromquelle des NB (z. B. am zwischen Anschlussnehmer und dem Netzbetreiber. Der Sternpunkt des einspeisenden Transformators), das Netzanschluss verbindet das Elektrizitätsversorgungs- zweite auf die Verbindung der Körper der Betriebsmittel netz der allgemeinen Versorgung mit der elektrischen (z. B. Metallgehäuse) der Gebäudeinstallationen beim Anlage des Anschlussnehmers. Er beginnt in der Regel Anschlussnehmer (AN) zur Erde (TT-System) oder zum an der Abzweigstelle des Niederspannungsnetzes und vorgenannten Erdungspunkt an der Stromquelle des NB endet mit der Hausanschlusssicherung. (TN-System). § 5 Herstellung des Netzanschlusses Beim TN-System wird der Neutralleiter an der speisen- „(2) Art, Zahl und Lage der Netzanschlüsse werden nach den Stromquelle (Transformator des NB) direkt geerdet Beteiligung des Anschlussnehmers und unter Wahrung (meist geerdeter Sternpunkt, Betriebserder). Die Körper seiner berechtigten Interessen vom Netzbetreiber nach der Betriebsmittel (z. B. metallische Gehäuse) der Ge- den anerkannten Regeln der Technik bestimmt. Das In- bäudeinstallation beim AN werden über Schutzleiter (PE teresse des Anschlussnehmers an einer kostengünsti- oder/und PEN) mit dem Erdungspunkt an der speisen- gen Errichtung der Netzanschlüsse ist dabei besonders den Stromquelle direkt verbunden (Bild 1). Im TN-Sys- zu berücksichtigen.“ tem fließt der Fehlerstrom im Fehlerfall bei einem Kör- perschluss direkt über den Schutzleiter zum Sternpunkt Fachbereich E+I Systeme in Niederspannungsnetzen BVS-Standpunkt 01-2020 3
der Stromquelle. Zu diesem Zweck wird der Schutzleiter wurde neu definiert). Dabei wurde am Transformator der Anlage sowie die Haupterdungsschiene mit dem des Netzbetreibers (NB) ein Leiter, meist der Stern- PEN-Leiter am Hausanschlusskasten verbunden. punkt, mit dem Erdreich verbunden. Jeweils an den Ge- bäuden der Anschlussnehmer (AN) wurden weitere Er- Gebäude AN der installiert, mit denen die Körper der Betriebsmittel (metallische Gehäuse der Geräte) verbunden waren. Bei einem sogenannten Fehler durch Körperschluss, einer Betriebsmittel (Gerät) unerwünschten Verbindung zwischen einem Phasenlei- mit Körper (Gehäuse) ter mit dem Gehäuse, kam ein Fehlerstrom zum Fließen, welchem sich folgende elektrische Widerstände „entge- genstellten“ (Fehlerschleife): Erdungswiderstand RA Transformator NB (Anlagenerder) an der Gebäudeanlage, Erdungswider- stand RB (Betriebserder) am Transformator des Netzbe- L1 treibers, Widerstand des Außenleiters bis hin zum Kör- L2 perschluss sowie der Erdungsleiter/Schutzleiter bis zum L3 Anlagenerder (Bild 3). N (PEN) In 1914 gab es erste Überlegungen zur Nutzung metal- lischer Objekte zur Rückführung des Fehlerstromes Betriebserder [10]; diese Netzform wurde später „Nullung“ und wird Bild 1: TN-System (gemäß DIN VDE 0100-100) heute TN-System genannt. Das TN-System ist weltweit das am häufigsten genutzte System [11]. In der ehe- Beim TT-System wird der Neutralleiter an der speisen- maligen DDR wurde in 1982 quasi das TN-System flä- den Stromquelle (Transformator des NB) direkt geerdet chendeckend eingeführt [12]; trotzdem wurde 1997 von (meist geerdeter Sternpunkt, Betriebserder). Die Körper regionalen Netzbetreibern in Thüringen eine Umstellung der Betriebsmittel der Gebäudeinstallation beim AN wer- von TN- auf TT-Systeme angekündigt und gefordert den mit einem eigenen Erder vor Ort verbunden (Anla- [13]. In 1992 ist in Deutschland die Forderung wegge- generder). Im TT-System sind somit zwei voneinander fallen, TT-Systeme in landwirtschaftlichen Betriebsstät- unabhängige Erder vorhanden (Bild 2). ten zu betreiben [14]. In Österreich wurde 1998 die so- Gebäude AN genannte Nullungsverordnung veröffentlicht; mit einer 10-jährigen Übergangsfrist wurden dabei grundsätzlich alle Ortsnetze sowie Gebäudeanschlüsse für einen An- Betriebsmittel (Gerät) schluss an das TN-System ertüchtigt [15]. Aktuell wer- mit Körper (Gehäuse) den in Deutschland von einigen Netzbetreibern vorhan- dene TT-Systeme in TN-Systeme umgewandelt bzw. wird der Anschluss den Anschlussnehmern freigestellt (z.B. RWE [16], [17]). Andere Netzbetreiber fordern Transformator NB nach wie vor den Anschluss von Gebäudeanlagen wie L1 im TT-System. L2 5.4 Realisierung des Fehlerschutzes L3 Die Reihenschaltung von Erdungsanlagen beim TT- N System hat einen hohen elektrischen Widerstand der „Fehlerschleife“, einen nur geringen Fehlerstrom und Betriebserder Anlagenerder eine lange Zeitdauer bis zum Auslösen der Schmelzsi- cherung zur Folge. Damit liegt eine erhöhte Gefährdung Bild 2: TT-System (gemäß DIN VDE 0100-100) beim Berühren des fehlerhaften Gerätes und dem ge- Im TT-System fließt im Fehlerfall bei einem Körper- samten Schutz- und Potentialausgleichssystem vor, schluss der Fehlerstrom über die Verbindung des Kör- denn diese hängt nicht nur von der Höhe des durch den pers mit dem Anlagenerder über das Erdreich. Zur Rea- menschlichen Körper fließenden Stromes ab, sondern lisierung der Schutzmaßnahme werden die Schutz- und insbesondere auch von der Zeitdauer. Besonders im Potentialausgleichsleiter mit einer Erdungsanlage (Anla- Sommer bei Trockenheit und im Winter bei Dauerfrost generder) verbunden. ist es beinahe unmöglich, einen akzeptablen Fehler- schutz mit Sicherungen zu realisieren. Grundsätzlich 5.3 Geschichtlicher Hintergrund macht dies den Einsatz von Fehlerstrom-Schutzeinrich- Das TT-System wurde ursprünglich als Schutzerdung tungen notwendig. Nachteilig ist auch die sehr hohe bezeichnet und ist seit ca. 1900 die erste elektrotechni- Fehlerspannung, welche bei der Schutzerdung bis zu ca. sche Schutzmaßnahme (der Begriff Schutzerdung 200 V betragen kann und eine erhebliche Zeit vorliegt. 4 BVS-Standpunkt 01-2020 Systeme in Niederspannungsnetzen Fachbereich E+I
Beim TN-System liegt durch die Nutzung metallischer Im TN-System wird der Fehlerschutz in den Gebäude- Leiter zur Fortleitung des Fehlerstromes ein so geringer anlagen in der Regel mit Leitungsschutzschaltern reali- Widerstand vor, dass der Fehlerschutz problemlos mit siert. Als zusätzlicher Schutz werden heute zunehmend Sicherungen zu realisieren ist. In der Regel beträgt die Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen zusätzlich vorgese- Fehlerspannung bis zum Auslösen der Sicherung ledig- hen. Bei einem Körperschluss und Ausfall der Fehler- lich ca. 115 V. strom-Schutzeinrichtung kann der Leitungsschutzschal- ter problemlos auslösen, da ein entsprechend hoher Gebäude AN Fehlerstrom vorliegt. Somit liegt im TN-System quasi ein Backup-Schutz vor. Im Ortsnetz ist der Netzbetreiber Betriebsmittel (Gerät) verpflichtet, die Bedingungen nach RB/RE≤50(U0-50) zu mit Körper (Gehäuse) erfüllen [19]. RB der Erderwiderstand in Ω aller parallelen Erder Transformator NB RE der kleinste Widerstand in Ω von fremden leitfähi- L1 gen Teilen, die sich in Kontakt mit Erde befinden L2 und nicht mit einem Schutzleiter verbunden sind L3 und über die ein Fehler zwischen Außenleiter und Erde auftreten kann N U0 die Nennwechselspannung in V Außenleiter gegen Betriebserder Anlagenerder Erde Bild 3: Fehlerstrom bei der Schutzerdung; der Strom Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass ein entspre- fließt über den Anlagenerder und über den Betriebser- chender Fehler mit Auswirkung gemäß o.a. Gleichung der heute kaum noch eine Rolle spielt, da viele Ortsnetze inzwischen verkabelt bzw. Freileitungen mit Bündelka- Im TT-System basiert der Fehlerschutz grundsätzlich bel installiert sind. auf dem Funktionieren einer Fehlerstrom-Schutzeinrich- tung. Problematisch hierbei ist, dass bei diesem kom- 5.5 TT-Systemzwang in Thüringen plexen elektromechanischen Schutzgerät das Schalt- Die ehemalige DDR hatte weitestgehend eine Umstel- schloss mit einer sehr geringen Leistung ausgelöst wird. lung auf das TN-System vollzogen (1984/DDR/TGL Wird die Mechanik des Schutzgerätes über einen länge- 9552/06:1984-07). Durch die „Neuaufteilung“ der Ener- ren Zeitraum nicht bewegt, kann es im Fehlerfall zu ei- gieversorgung nach der Wende wurde dieser Versor- ner Fehlfunktion mit Nichtauslösen kommen. Die Her- gungsbereich Netzbetreibern zugeschlagen, welche die steller der Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen schreiben Realisierung eines TT-Systems vorsahen. In einer ho- daher das regelmäßige Auslösen durch Betätigen der hen Anzahl von Gebäuden lag zu diesem Zeitpunkt noch Testtaste vor. Bei einem Körperschluss und Fehlfunktion die sogenannte „klassische Nullung“ vor; d.h. die Lei- des Schutzgerätes liegt im TT-System auf dem gesam- tungen bis zur Steckdose waren nur zweiadrig ausge- ten Schutz- und Potentialausgleichssystem eine dauer- führt. Prinzipiell mussten daher in einem Ortsnetz erst hafte Fehlerspannung von 190 - 220 Volt an [18]. Die alle Gebäudeinstallationen an die Erfordernisse eines installierten Leitungsschutzschalter lösen wegen zu ge- TT-Systems angepasst werden (Installation von 3-adri- ringem Fehlerstrom nicht aus. Dies war ein wichtiger gen Leitungen, Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen sowie Grund für Österreich, in 1998 die Nullungsverordnung Erdungsanlagen), ehe die vollkommene Systemumstel- zu verabschieden. Da es keine zentrale Erfassung von lung vollzogen war. Die Folge waren hingegen langwie- Elektrounfällen gibt, ist derzeit nicht bekannt, welche rige und teilweise problematische Übergangslösungen, Ausfallrate bei solchen Schutzgeräten vorliegt bzw. wie die von den Installateuren rechtsverbindlich mit den viele Geräte mit Herstellerfehlern im Einsatz sind, die Netzbetreibern abgestimmt werden mussten. nicht mehr funktionieren. Hinzu kommt, dass noch alte Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen vom Typ AC mit zwei- 5.6 Nullungsverordnung in Österreich felhaftem Auslöseverhalten im Einsatz sind. Problema- Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten tisch ist im TT-System auch der Anschluss von Anlagen hatte in 1998 die Nullungsverordnung für Österreich per mit hoher Leistung (z.B. Photovoltaik-Anlagen, Biogas- Bundesgesetzesblatt erlassen. Ziel war es, die Wirksam- anlagen, Kälteanlagen usw.). Fehlerstrom-Schutzein- keit und Zuverlässigkeit der Schutzmaßnahmen zu er- richtungen sind bei hohen Betriebsströmen kosteninten- höhen und im Konsens mit den österreichischen Elektri- siv; bei sehr hohen Strömen müssen Differenzstrom- zitätsversorgungsunternehmen (EVUs) grundsätzlich messsysteme eingesetzt werden, welche auf einen Leis- alle öffentlichen Verteilungsnetze mit einer Nennspan- tungsschalter wirken. Entsprechende Schutzgeräte nung von 400/230 V künftig nullungsfähig, d. h. einheit- müssen im TT-System in einer Schutzklasse 2 – Umge- lich als TN-System auszubauen. Alle nach dem 1.1.1999 bung installiert werden. Fachbereich E+I Systeme in Niederspannungsnetzen BVS-Standpunkt 01-2020 5
neu zu errichtenden öffentlichen Verteilungsnetze „Echte TT-Systeme wird es m.E. in Deutschland kaum mussten für die Anwendung der „vergleichsweise zuver- geben. Denkbar wären solche Systeme zur Versorgung lässigen und kostengünstigen Schutzmaßnahme Nul- abgelegener einzelner elektrischer Verbraucheranlagen, lung“ freigegeben werden. Bestehende öffentliche Ver- z.B. einzelne Gehöfte, die über eine gewisse Entfernung teilungsnetze, in denen die Nullung bisher noch nicht mit einer Freileitung direkt aus einem sogenannten angewendet werden durfte, mussten in einem vorgege- »Masttransformator« versorgt werden. Doch selbst in benen Zeitraum geprüft und einschränkungslos für die einem solchen System ist der Neutralleiter nicht nur am Anwendung der Nullung in den Verbraucheranlagen – Sternpunkt des Transformators geerdet, sondern häufig selbst für landwirtschaftliche Anwesen mit Nutztierhal- auch noch einmal am letzten Mast vor Eintritt in das zu tung (!) – freigegeben werden. Bis zum 31.12.2008 wa- versorgende Gebäude. Damit handelt es sich hier eben ren die Maßnahmen abzuschließen; ein „Zurückbleiben auch nicht um ein TT-System, sondern um ein TN-Sys- hinter der Planung“ musste ausdrücklich begründet tem“. werden [15]. „Falsch dagegen ist es, davon zu sprechen, dass eine 5.7 Regelwerke und Praxis der TT-Systeme in elektrische Verbraucheranlage, die aus einem Vertei- Deutschland lungsnetz (TN-System) mit kombiniertem Neutral- und Schutzleiter versorgt wird, ab dem Übergabepunkt Die Systeme nach Art der Erdverbindung sind in der DIN (HAK) im TT-System ausgeführt werden soll. Der Begriff VDE 0100-100 geregelt bzw. beschrieben: »System nach Art der Erdverbindung« erlaubt solche „Im TT-System ist nur ein Punkt direkt geerdet und die Anlagen nicht. Entweder es wird ein TN-System ange- Körper (von elektrischen Betriebsmitteln) der elektri- wendet oder es kommt ein TT-System zu Einsatz. …“. schen Anlage sind mit Erdern verbunden, die unabhän- In den TAB bzw. der VDE-AR-N-4100 ist jeweils ange- gig von den Erdern … des Versorgungssystems sind“ geben: „Der Netzbetreiber erteilt Auskunft über das vor- (Bild 4). handene Netzsystem“. Folgerichtig müssten die Netzbe- Transformator Verteilnetz treiber dem Errichter zur Auskunft geben, dass im Orts- L1 (falls vorhanden) netz ein TN-System vorhanden ist; andernfalls läge eine L2 fehlerhafte Auskunft mit erheblichen Auswirkungen für L3 Installation beim Anschlussnehmer vor. N 5.8 Farbkennzeichnung von elektrischen Lei- tern Körper Körper Die Farbkennzeichnungen sind in [21] festgelegt: Erdung an Schutzerdung Stromquelle in Anlage - Neutralleiter oder Mittelleiter müssen über ihre ge- samte Länge durch die Farbe Blau gekennzeichnet Bild 4: TT-System nach DIN VDE 0100-100 sein. - Schutzleiter müssen über ihre gesamte Länge Grün- In allen dem Arbeitskreis bekannten Ortsnetzen wird Gelb gekennzeichnet sein. der N-Leiter zur Sternpunkt-Erdung an den Straßenver- - PEN-Leiter müssen, wenn sie isoliert sind, durch teilern bzw. an Einrichtungen der Straßenbeleuchtung eine der folgenden Verfahren gekennzeichnet sein: zusätzlich geerdet. Damit liegt kein N-Leiter, sondern – grün-gelb über die gesamte Länge, zusätzlich mit ein PEN-Leiter vor, der auch Schutzfunktionen über- blauer Markierung an den Leiterenden, oder nimmt! Es handelt sich somit um ein TN-System! Es gibt – blau über die gesamte Länge, zusätzlich mit grün- Fälle, bei denen von den Netzbetreibern der N-Leiter am gelber Markierung an den Leiterenden Hausanschluss mit einer Erdungsanlagen verbunden wird (z.B. Bandstahl im Kabelgraben des Gebäudeein- Gleichzeitig werden folgende Ausnahmen gewährt: führungskabels) um dann vom Anschlussnehmer bzw. - Für Deutschland ist nach Entscheidung des Komi- Errichter der Gebäudeanlagen zu fordern, den An- tees 221 „Elektrische Anlagen und Schutz gegen schluss wie im TT-System vorzunehmen. Dies ist nor- elektrischen Schlag“ die Variante der durchgehend menkonform jedoch nicht möglich, da gemäß DIN VDE hellblauen Kennzeichnung für PEN-Leiter nicht zu- 0100-200; 826-13-07 ein unabhängiger Erder wie folgt lässig, es sei denn, öffentliche oder damit vergleich- bare Verteilungsnetze werden von TT-System in TN- definiert ist [1]: System geändert. „Erder, der sich in einem solchen Abstand von anderen - Die zusätzliche blaue Markierung an den Enden Erdern befindet, dass sein elektrisches Potential nicht durchgehend grün-gelb gekennzeichneter PEN-Lei- nennenswert von Strömen zwischen Erde und den an- ter darf entfallen bei Kabeln und Leitungen, die in deren Erdern beeinflusst wird“. öffentlichen und damit vergleichbaren anderen Ver- teilungsnetzen, z. B. in der Industrie, eingesetzt Diese Praxis wird vom BDEW, Bundesverband der Ener- werden. gie- und Wasserwirtschaft stark kritisiert [20]: 6 BVS-Standpunkt 01-2020 Systeme in Niederspannungsnetzen Fachbereich E+I
Für den Elektrofachmann ergibt sich dadurch vor Ort die auch ohne Erdungsanlage betrieben werden. TT-Sys- Problematik, dass anhand der Farbkennzeichnung am teme stellen für Betreiber von Ladeeinrichtungen einen Gebäudeeinführungskabel die Netzform nicht zu erken- Wettbewerbsnachteil dar. nen ist; es ist daher vor jeder Arbeitsaufnahme notwen- 5.12 Überspannungsschutz dig, die Netzform beim Netzbetreiber zu erfragen. Bei der Installation von Überspannungsschutzgeräten 5.9 Medizinische Einrichtungen sind im TT-System zusätzliche Anforderungen zu erfül- In medizinisch genutzten Bereichen der Gruppe 2 ist die len, um Fehlauslösungen sowie Beschädigungen durch Anwendung des TT-Systems nicht zulässig [22]. Dies Blitz- bzw. Blitzteilströme an vorgelagerten Fehlerstrom- betrifft Anwendungsteile wie intrakardiale Verfahren Schutzeinrichtungen zu vermeiden. Dies kann zu höhe- oder lebenswichtige Behandlungen und chirurgische ren Kosten bei der Planung, Komponentenauswahl von Operationen, wo eine Unterbrechung der Stromversor- Überspannungsschutzgeräten als auch Fehlerstrom- gung Lebensgefahr verursachen kann. Dies führt zu Schutzeinrichtungen führen (z.B. mit erhöhter Strom- kostenintensiven Installationen von Trenntransformato- stoßfestigkeit) [24]. Außerdem muss im TT-System von ren mit Anwendung des TN-S-Systems bzw. IT-Sys- höheren „Restspannungen“ ausgegangen werden [25]. tems. 5.13 Vor- und Nachteile TT- und TN-Systeme 5.10 Betrieb von Frequenzumrichter Vorteile TT-System: Das TT-System macht grundsätzlich die Installation ei- - kaum Streuströme; „bedingt EMV-freundlich“ ner Fehlerstrom-Schutzeinrichtung notwendig. Bei An- - N-Leiter-Bruch = ohne Auswirkung auf Personen- schluss von Betriebsmitteln, welche den Einsatz von schutz Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen/Typ B mit erweiter- - für Netzbetreiber geringere Verantwortung tem Frequenzbereich erfordern, müssen sehr niedrige Erdungswiderstände erreicht werden. Hierbei darf nicht Nachteile TT-System: der Bemessungsdifferenzstrom I∆N sondern es muss der - hoher Aufwand für automatische Abschaltung im maximale Auslösestrom I∆Amax im entsprechenden Erfas- Fehlerfall/Fehlerschutz sungsfrequenzbereich herangezogen werden. - hoher Aufwand durch Notwendigkeit der Schutz- Gemäß dem Zusammenhang RE = UB / IΔAmax ist dann klasse 2 - Umgebung der maximal zulässige Erdungswiderstand RE zu berech- - hohe Fehlerspannung im Fehlerfall bis zur Abschal- nen. Als zulässige Berührspannungen UB sind dabei die tung auf dem gesamten Schutz- und Potentialaus- für 50 Hz bekannten Werte 50 V bzw. 25 V zugrunde zu gleichssystem legen. Hierbei können sich so niedrige Erdungswider- - durch hohe Berührungsspannung wird der Hautwi- stände ergeben, welche auch bei Trockenheit und Frost- derstand herabgesetzt einwirkung dauerhaft nur mit erhöhtem Aufwand zu re- - kein Backup-Schutz bei Versagen der Fehlerstrom- alisieren sind. Schutzeinrichtung (ein Schutzorgan = Fehlerschutz) 5.11 Ladeeinrichtungen für die E-Mobilität - Fehlerschutz nur mit Erdung möglich Im Hinblick auf das künftig veränderte Mobilitätsverhal- - Vermaschung der Gebäude-Erder zur Verbesserung ten durch den Anstieg der Elektrofahrzeuge wird in den der Netzbedingungen (Betriebserder RB) ist nicht nächsten Jahren die Ladeinfrastruktur in erheblichem möglich Maße auszubauen sein. - keine Selektivität d. zentr. Einbau RCD - Überspannungsschutz aufwändiger + höhere „Rest- Es ist weder technisch noch wirtschaftlich sinnvoll, für spannung“ Ladestrukturen, die unmittelbar aus dem Ortsnetz ver- - TT-System bei dichter Bebauung nicht möglich sorgt werden sollen, generell – so wie dies bereits einige - TT-System bei metallenen Versorgungsleitungen Netzbetreiber in ihren Richtlinien verlangen – eine ei- nicht möglich genständige Erdungsanlage zu fordern. In dicht bebau- - In vielen Anlagen finden keine regelmäßigen Prüfun- ten Gebieten sind Erdungsanlagen technisch kaum um- gen statt; mit dem Versagen der Fehlerstrom- setzbar. Schutzeinrichtung muss gerechnet werden Die Entscheidung für eine Erdungsanlage hängt von Vorteile TN-System: mehreren Faktoren (Standort, Blitzrisiko, Dimensionie- rungen, Netzform, andere Infrastrukturen etc.) ab, die - TN-S-System „EMV-freundlich“ in eine Einzelfallbetrachtung einzubeziehen sind [23]. - geringere Berührungsspannung im Fehlerfall bis zur Abschaltung Bei direktem Anschluss von Ladesäulen an das Ortsnetz - geringerer Aufwand für automatische Abschaltung ist im TT-System immer eine aufwändige Erdungsan- im Fehlerfall lage notwendig. Im TN-System kann eine Ladesäule - Fehlerschutz durch Schutzorgane in Reihenschal- tung Fachbereich E+I Systeme in Niederspannungsnetzen BVS-Standpunkt 01-2020 7
- Backup-Schutz bei Versagen der Fehlerstrom- 7 Literatur Schutzeinrichtung - Fehlerschutz ist ohne Erdungsanlage möglich [1] DIN VDE 0100-200 (VDE 0100-200): 2006-06 - höhere Selektivität beim Fehlerschutz d. einzelne Errichten von Niederspannungsanlagen – Teil Schutzorgane in Endstromkreise 200: Begriffe – IEC 60050-826:2004, modifiziert) - Überspannungsschutz: geringerer Aufwand + gerin- [2] EnWG (2005, zuletzt geändert am 17.12.2018) gere „Restspannung“ Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung Nachteile TN-System: (Energiewirtschaftsgesetz - EnWG) - TN-C-System, TN-C-S-System; „nicht EMV-freund- [3] NAV (2006, zuletzt geändert am 17.12.2018) lich“ Verordnung über Allgemeine Bedingungen für - PEN-Leiter-Bruch = mit Auswirkung auf Personen- den Netzanschluss und dessen Nutzung für die schutz (nur bei fehlendem Potentialausgleich) Elektrizitätsversorgung in Niederspannung - für Netzbetreiber größere Verantwortung (Einhal- (Niederspannungsanschlussverordnung-NAV) tung der Spannungswaage) [4] DIN VDE 0100-100 (VDE 0100-100):2009-06 Errichten von Niederspannungsanlagen, Teil 1: 6 Schlussfolgerung Allgemeine Grundsätze, Bestimmungen allge- meiner Merkmale, Begriffe 6.1 Kritikpunkte [5] DIN VDE 0100-410 (VDE 0100-410):2018-10 1. Die derzeitigen Ausführungen der TT-Systeme ent- Errichten von Niederspannungsanlagen, Teil 4- sprechen aus Sicht des BDEW und der Verfasser 41: Schutzmaßnahmen - Schutz gegen elektri- grundsätzlich nicht den allgemein anerkannten Re- schen Schlag geln der Technik. [6] DIN VDE 0100-540 (VDE 0100-540):2012-06 2. Die Auskünfte der Netzbetreiber, dass TT-Systeme Errichten von Niederspannungsanlagen, Teil 5- im Ortsnetz vorhanden sind, sind vor dem Hinter- 54: Auswahl und Errichtung elektrischer Be- grund der tatsächlich vorliegenden Erdungsverhält- triebsmittel – Erdungsanlagen und Schutzleiter nisse fragwürdig. [7] DIN VDE 0100-600 (VDE 0100-600):2017-06 3. Der Fehlerschutz im TT-System erscheint zweifel- Errichten von Niederspannungsanlagen, Teil 6: haft; bei Ausfall der gegenüber dem Leitungsschutz- Prüfungen schalter vergleichsweise komplexen Fehlerstrom- [8] Technische Anschlussbedingungen TAB 2019 Schutzeinrichtung liegt kein Fehlerschutz vor. für den Anschluss an das Niederspannungsnetz, Dies bedeutet Gefahr für Leib und Leben; auch der Stand: Februar 2019, BDEW Bundesverband der Sachschutz ist nicht mehr gegeben! Energie- und Wasserwirtschaft e.V. 4. Der Fehlerschutz ist im TT-System aufwändiger - [9] VDE-AR-N 4100:2019-04 insbesondere bei Anlagen/Betriebsmittel mit hohen Technische Anschlussregeln für die Niederspan- Betriebsströmen. nung, herausgegeben vom Forum Netztech- 5. TT-Systeme sind in der Regel aus administrativen nik/Netzbetrieb im VDE (FNN) bzw. historischen und nicht aus technischen Grün- [10] Müller, R.: Handbuch der Schutzmaßnahmen ge- den festgelegt worden; grundsätzlich ist – wie beim gen zu hohe Berührungsspannung in Nieder- TN-System – auch im TT-System der Transforma- spannungsanlagen; VEB Verlag Technik Berlin, torsternpunkt geerdet. 1970 6. TT-Systeme widersprechen aus Sicht der Verfasser [11] Rudolph, W.: Einführung in die VDE; VDE-Schrif- den Anforderungen gem. EnWG und der NAV, wel- tenreihe 39, 2. Auflage 1999 che vorsehen, die Wahrung des berechtigten Inte- [12] DDR-Standard TGL 9552/06:1984-07: Wohnge- resses der Anschlussnehmer nach kostengünstiger bäude, Elektrotechnische Anlagen; Verlag für Errichtung der Netzanschlüsse zu berücksichtigen. Standardisierung, Leipzig 7. TT-Systeme sind ein Hemmnis im Hinblick auf den [13] K. Bödeker, Berlin: ep Elektropraktiker 51 Ausbau der Ladeinfrastruktur zur E-Mobilität, rege- (1997), „Zeitgemäße Elektroinstallation“, Um- nerativer Einspeiser und den Betrieb medizinischer stellung vom TN-S-System zum TT-System; Einrichtungen in der Fläche, da ein erheblicher und Übergangslösungen, Huss Verlag erhöhter Aufwand für Fehlerschutz, Erdungsanlagen und sonstiger Betriebsmittel notwendig ist. [14] DIN VDE 0100-705:1992-10: Errichten von Starkstromanlagen mit Nennspannungen bis 1.000 V; Landwirtschaftliche und gartenbauliche Anwesen 8 BVS-Standpunkt 01-2020 Systeme in Niederspannungsnetzen Fachbereich E+I
[15] ep Elektropraktiker 53 (1999), Nullungsverord- [26] https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Allge- nung für Österreich, Huss-Verlag meines/DieBundesnetzagentur/UeberdieAgen- tur/Aufgaben/aufgaben-node.html [06.05.2019] [16] Ruhoff, Paul: Einführung des TN-Systems bei RWE, Vortrag vom 26.02.2010 (RWE Westfalen- Weser-Ems Verteilnetz), https://docplayer.org/9145042-Einfuehrung- 8 Empfehlungen des BVS des-tn-system-bei-rwe.html [20.05.2019] 1. Die Auskünfte der Netzbetreiber sind kritisch zu hin- [17] LSW Netz: Umstellung TT- auf TN-System, terfragen. 07/2017, Herausgeber: LSW Netz GmbH & 2. Sofern der Netzbetreiber angibt, dass im Ortsnetz Co.KG, 38432 Wolfsburg, https://www.lsw- ein TN-System vorliegt, ist der Anschluss an das Nie- netz.de/fileadmin/user_upload/lsw- derspannungsnetz entsprechend auszuführen. netz/strom/themenseite/Netzumstellung_TT- TN_Juli_2017.pdf [20.05.2019] 3. Sofern der Netzbetreiber auf einen Anschluss „wie im TT-System“ besteht, sollte die Bundesnetzagen- [18] Kiefer, Gerhard; Schmolke, Herbert: VDE 0100 tur hinzugezogen werden. Die Bundesnetzagentur und die Praxis, Abs. 5.1.2; 16. neu bearbeitete ist die Regulierungsbehörde u.a. für den Bereich der und erweiterte Auflage, ISBN 978-3-8007-4344- Elektrizität und gewährleistet eine möglichst sichere, 5, VDE-Verlag Verlag GmbH preisgünstige und verbraucherfreundliche, effiziente [19] DIN VDE 0100-410:2018-10: Errichten von Nie- und umweltverträgliche Energieversorgung [26]. derspannungsanlagen – Teil 4-41: Schutzmaß- 4. Bei Unklarheiten bzw. Streitigkeiten wird grundsätz- nahmen – Schutz gegen elektrischen Schlag lich empfohlen, die Bundesnetzagentur einzuschal- [20] de Der Gebäudetechniker 08/2010 Hüthig und ten. Pflaum Verlag [21] DIN VDE 0100-510:2014-10: Errichten von Nie- Hinweis/Netzzugang: derspannungsanlagen – Teil 5-51: Auswahl und Errichtung elektrischer Betriebsmittel – Allge- In der Beschlusskammer 6 der Bundesnetzagentur wer- meine Besitmmungen den Regulierungsentscheidungen u.a. in Netzzugangs- verfahren getroffen. Die Bundesnetzagentur ist zustän- [22] DIN VDE 0100-710:2012-10: Errichten von Nie- dig, wenn es zu unterschiedlichen Auslegungen im Hin- derspannungsanlagen – Teil 7-710: Anforderun- blick auf § 19 und § 20 des EnWG (sachlich gerechtfer- gen für Betriebsstäten, Räume und Anlagen be- tigte, diskriminierungsfreie technische Mindestanforde- sonderer Art – Medizinisch genutzte Bereiche rungen) zwischen Netzbetreiber und Letztverbrauchern [23] BVS-Standpunkt Fundamenterder Erdungsanla- kommt. gen 05-2019 Bezugsquelle: https://www.bvs- Der Bundesfachbereich Elektrotechnik und Informati- ev.de/downloads/bvs-standpunkte-richtlinien/ onstechnik wird die Bundesnetzagentur formal aufru- [24] Blitzplaner: 3. Aktualisierte Auflage, DEHN + fen, die derzeitige Praxis der weiterhin vereinzelten Ver- SÖHNE, 92306 Neumarkt, ISBN 978-3-9813770- wendung von TT-Netzen zu prüfen und nachfolgend zu 0-2 beenden; Im Sinne einer möglichst sicheren, preisgüns- tigen und verbraucherfreundlichen Energieversorgung [25] Biegelmeier, Kiefer, Krefter: Schutz gegen sollte flächendeckend das TN-System eingeführt wer- elektrischen Schlag; VDE-Schriftenreihe Nr. 83, den. VDE-Verlag, 2001, Seite 137 Leiter des Arbeitskreises Martin Schauer, öbuv Sachverständiger für das Elektrotechnikerhand- „Systeme in Niederspannungsnetzen“ werk und elektrische, magnetische und elektromagnetische Felder 97074 Würzburg Telefon +49 931 / 70 28 80 - E-Mail: mail@sv-schauer.de Mitwirkende des Arbeitskreises Prof. Dr.-Ing. Dirk Brechtken, öbuv Sachverständiger für elektrische Georg Dachs, öbuv Sachverständiger für Elektroinstallateur- Handwerk Anlagen der Energietechnik bis 36 kV 81547 München 54329 Konz Telefon +49 89 / 69 34 08 16 - Mail: georg-dachs@elektro-gutachter.com Telefon +49 6501 / 60 02 89 - E-Mail: brechtken@prof-brechtken.de Peter Gabler, öbuv Sachverständiger für Schäden durch Überspannung Prof. Dipl.-Ing. Dieter Gruner, öbuv Sachverständiger für Systeme und an elektronischen Systemen sowie elektromagnetische Verträglichkeit Anwendungen in der Informationsverarbeitung im Bereich der Prozess- in der technischen Gebäudeausrüstung automation 71691 Freiberg am Neckar 01099 Dresden Telefon +49 7141 / 75 310 - E-Mail: info@sv-gabler.de Tel. +49 351 417 988 98 - Email: dieter.gruner@web.de Fachbereich E+I Systeme in Niederspannungsnetzen BVS-Standpunkt 01-2020 9
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