Stellungnahme der Ad-hoc-Kommission In-vitro-Diagnostika der AWMF zur Umsetzung der Verordnung (EU) 2017/746 (IVDR) im Hinblick auf ...
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OPEN ACCESS Stellungnahme Stellungnahme der Ad-hoc-Kommission In-vitro-Diagnostika der AWMF zur Umsetzung der Verordnung (EU) 2017/746 (IVDR) im Hinblick auf In-vitro-Diagnostika aus Eigenherstellung Advisory opinion of the AWMF Ad hoc Commission In-vitro Diagnostic Medical Devices regarding in-vitro diagnostic medical devices manufactured and used only within health institutions established in the Union according to Regulation (EU) 2017/746 (IVDR) Abstract In view of the approaching application date of Regulation (EU) 2017/746 Petra Hoffmüller1 („IVDR“) and the resulting EU-wide, harmonized requirements for in Monika Brüggemann2 vitro diagnostic medical devices (IVD) manufactured and used within European health institutions, the Ad hoc Commission IVD“ of the German Thomas Eggermann1 Association of the Scientific Medical Societies (AWMF) takes a national Kamran Ghoreschi3 position on the details of the requirements and conditions related to Detlef Haase2 the use of these IVD products. The Ad hoc Commission IVD emphasizes the relevance of examination Jörg Hofmann4 procedures developed in medical laboratories, especially in the field of Klaus-Peter Hunfeld5,6 orphan diseases and new diagnostic markers. The IVDR sets an ad- Katharina Koch7 equate regulatory framework for IVD manufactured and used within health institutions as long as these requirements are fulfilled with reli- Christian Meisel8 ability and in accordance with the current state of the art in medical Patrick Michl9 laboratory sciences. At the same time, the IVDR requirements have to Jens Müller10 be regarded under a pragmatic view and in accordance with the quality management systems approved within the diffferent EU Member States. Carsten Müller11,12 On the one hand, the mandatory requirements of the RiLiBÄK play an Holger F. Rabenau4 essential role in Germany. On the other hand, elements of voluntarily Dirk Reinhardt13 applicable international standards may support the fulfilment of product requirements for safety and performance according to Annex I of the Markus J. IVDR. Both the complexity and possible solutions for the implementation Riemenschneider14 of the IVDR requirements are discussed on the basis of examples such Ulrich J. Sachs10 as the required documentation, performance evaluation and software Ulrich Sack8 validation. The Ad hoc Commission IVD recommends that, while aiming at a Albrecht Stenzinger15 preferably EU-wide harmonized interpretation of the IVDR requirements, Thomas Streichert12 the flexibility in medical laboratory diagnostics necessary for patient Nils von Neuhoff13 care, including the use of IVDs from in-house production, should be emphasized. Wilko Weichert15 Keywords: IVDR, laboratory-developed tests, in-house IVD, validation, Christof Weinstock16 performance evaluation, quality management Stefan Zimmermann5,17 Folker Spitzenberger18 Ad-hoc-Kommission In-vitro-Diagnostika der AWMF GMS Zeitschrift zur Förderung der Qualitätssicherung in medizinischen Laboratorien 2021, Vol. 12, ISSN 1869-4241 1/10
Hoffmüller et al.: Stellungnahme der Ad-hoc-Kommission In-vitro-Diagnostika ... Zusammenfassung 1 Deutsche Gesellschaft für Humangenetik (GfH) Vor dem Hintergrund des nahenden Geltungsbeginns der Verordnung 2 Deutsche Gesellschaft für (EU) 2017/746 („IVDR“) und der damit EU-weit harmonisierten Anfor- Hämatologie und derungen an In-vitro-Diagnostika (IVD) aus Eigenherstellung positioniert Medizinische Onkologie sich die Ad-hoc-Kommission In-vitro-Diagnostika der Arbeitsgemeinschaft (DGHO) der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) im 3 Deutsche Gesellschaft für Einzelnen zu den in der IVDR gestellten Anforderungen und Bedingungen Dermatologie (DDG) zur Verwendung dieser Produkte. Die Ad-hoc-Kommission IVD hebt die Bedeutung von in medizinischen 4 Gesellschaft für Virologie (GfV) Laboratorien eigenentwickelten Untersuchungsverfahren für die Patien- tenversorgung vor allem im Bereich seltener Erkrankungen und neuer 5 Deutsche Gesellschaft für diagnostischer Marker hervor. Die IVDR bildet für die Entwicklung und Hygiene und Mikrobiologie Verwendung von IVD aus Eigenherstellung einen passenden regulatori- (DGHM) schen Rahmen, sofern die Anforderungen zuverlässig entsprechend 6 Gesellschaft zur Förderung dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik, aber zugleich der Qualitätssicherung in pragmatisch und in Übereinstimmung mit den in den Mitgliedstaaten medizinischen Laboratorien bewährten Qualitätsmanagementsystemen umgesetzt werden. In (INSTAND e.V.) Deutschland sind hier einerseits die verpflichtenden Anforderungen der 7 Gesellschaft für RiLiBÄK zu nennen. Andererseits können Elemente von freiwillig anzu- Toxikologische und wendenden internationalen Normen dazu dienen, die nach Anhang I Forensische Chemie der IVDR umzusetzenden Anforderungen an Sicherheit und Leistung (GTFCh) für IVD aus Eigenherstellung zu erfüllen. Sowohl die Komplexität als 8 Deutsche Gesellschaft für auch Lösungskonzepte zur Umsetzung der Anforderungen werden u.a. Immunologie (DGfI) am Beispiel der erforderlichen Dokumentation, der Leistungsbewertung 9 Deutsche Gesellschaft für und der ggf. durchzuführenden Softwarevalidierung aufgezeigt. Gastroenterologie, Die Ad-hoc-Kommission empfiehlt, bei einer möglichst weitreichend Verdauung und harmonisierten Interpretation der Anforderungen gleichzeitig die für die Stoffwechsel (DGVS) Patientenversorgung notwendige Flexibilität in der labordiagnostischen 10 Gesellschaft für Thrombose- Versorgung einschließlich der Verwendung von IVD aus Eigenherstellung und Hämostaseforschung zu gewährleisten. (GTH) Schlüsselwörter: IVDR, IVD aus Eigenherstellung, In-Haus-Verfahren, 11 Deutsche Gesellschaft für Validierung, Leistungsbewertung, Qualitätsmanagement Klinische Pharmakologie und Therapie (DGKliPa) 12 Deutsche Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin (DGKL) 13 Gesellschaft für pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH) 14 Deutsche Gesellschaft für Neuropathologie und Neuroanatomie (DGNN) 15 Deutsche Gesellschaft für Pathologie (DGP) 16 Deutsche Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie (DGTI) 17 Paul-Ehrlich-Gesellschaft (PEG) 18 Deutsche Gesellschaft für Pharmazeutische Medizin (DGPharMed) GMS Zeitschrift zur Förderung der Qualitätssicherung in medizinischen Laboratorien 2021, Vol. 12, ISSN 1869-4241 2/10
Hoffmüller et al.: Stellungnahme der Ad-hoc-Kommission In-vitro-Diagnostika ... Einleitung geregelt, in Deutschland durch die Medizinprodukte- betreiberverordnung (MPBetreibV) [5] und die MPV. Im Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizi- Hinblick auf die grundlegenden Anforderungen an die nischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF), der deutsche Struktur- und Prozessqualität laboratoriumsmedizinischer Dachverband von 179 medizinischen Fachgesellschaften, Untersuchungen ist in Deutschland die Richtlinie der die wiederum rund 280.000 Mitglieder vertreten, bewer- Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratori- tet die Harmonisierung des Rechtsrahmens für die Kon- umsmedizinischer Untersuchungen (RiliBÄK) anzuwenden formitätsbewertung und das Inverkehrbringen von In-vitro- [6]. Diagnostika (IVD) in Europa grundsätzlich positiv. Mit der Die IVDR harmonisiert nun erstmals europaweit die Anfor- Verordnung (EU) 2017/746 (IVDR) [1], deren Geltung am derungen an die Herstellung und die Verwendung von 26. Mai 2022 beginnt, werden die Ziele verfolgt, einen IVD aus Eigenherstellung (Abbildung 1). Die IVDR nimmt reibungslos funktionierenden Binnenmarkt für IVD zu dagegen nicht in Anspruch, ärztlich-diagnostische Prozes- gewährleisten und gleichzeitig ein hohes Maß an Qualität se zu regulieren. Dies steht im Einklang mit Artikel 168 von IVD im Sinne der Patientensicherheit durch sinnvolle des EU-Vertrages, gemäß dem bei der Tätigkeit der Euro- standardisierte Maßnahmen zu sichern. päischen Union die Verantwortung der Mitgliedstaaten IVD sind unerlässlich für die Früherkennung, Diagnose, für die Organisation des Gesundheitswesens und die Prognose und Überwachung von Krankheiten, insbeson- medizinische Versorgung gewahrt wird. dere von übertragbaren, seltenen und/oder genetisch Entsprechend der neuen EU-Verordnung dürfen in der bedingten Krankheiten, für die Information über physio- Union ansässige Gesundheitseinrichtungen weiterhin ei- logische/pathologische Zustände sowie zunehmend auch genentwickelte Produkte zur Diagnostik herstellen und für die Allokation von Therapien im Sinne einer Präzisions- verwenden, sofern sie die Bedingungen des Art. 5 Abs. 5 medizin. Insbesondere für die Diagnostik seltener Erkran- der EU-Verordnung erfüllen. Der Umfang der zu erfüllen- kungen („Orphan Diseases“) greifen medizinische Labo- den Anforderungen ist gegenüber der MPV jedoch in eini- ratorien verschiedenster Fachrichtungen aus Mangel an gen Punkten gestiegen, so dass auf medizinische Labo- kommerziell verfügbaren Diagnostika fast ausschließlich ratorien ein erheblicher Mehraufwand an Validierung und auf eigenentwickelte Untersuchungsverfahren zurück. Dokumentation sowie ggf. die Umsetzung von normativen Diese werden auch als „In-Haus-Verfahren“ bzw. im eng- Regelungen aus bislang fachfremden Bereichen zu- lischen Sprachgebrauch als „Laboratory Developed Tests“ kommt. Des Weiteren hat die EU-Kommission bisher die (LDT) bezeichnet. Chance versäumt, die Anforderungen an Gesundheitsein- Aus medizinischer und ärztlicher Sicht ist die Sicherstel- richtungen, die IVD aus Eigenherstellung einsetzen, kon- lung der Patientenversorgung von ebenso zentraler Be- kret zu präzisieren und unmissverständlich von den An- deutung wie Regelungen zur Qualitätssicherung und forderungen an Wirtschaftsakteure, Händler, Hersteller Produktsicherheit. Es ist davon auszugehen, dass die und Importeure abzugrenzen. kommerzielle Vermarktung von Nischenprodukten wie IVD für Orphan-Diseases-Diagnostik aufgrund der durch die IVDR-Anforderungen an die Hersteller deutlich höhe- Empfehlungen der ren Kosten für den Zulassungsaufwand und der zu erwar- Ad-hoc-Kommission tenden niedrigen Einnahmen im Markt sich nicht rechnen wird. Gerade deshalb sind Gesundheitseinrichtungen wie In-vitro-Diagnostika (IVD) medizinische Laboratorien gefordert und gezwungen, Die Ad-hoc-Kommission In-vitro-Diagnostika (IVD) der weiterhin auf ihre IVD aus Eigenherstellung zurückzugrei- AWMF spricht sich dafür aus, sorgsam und zuverlässig, fen, um einer Patientenunterversorgung vorzubeugen aber zugleich pragmatisch und mit Augenmaß, an die und flexibel auf besondere Bedürfnisse oder unerwartete Umsetzung der zentralen Aspekte der IVDR-Forderungen Situationen von Bedeutung für die individuelle oder öf- in medizinischen Laboratorien heranzugehen. Im Folgen- fentliche Gesundheit zu reagieren. den werden die zu erfüllenden Anforderungen und Bedin- gungen des Art. 5 Abs. 5 der IVDR erläutert, die Gesund- heitseinrichtungen erfüllen müssen, wenn diese IVD- Die neue IVDR Produkte selbst herstellen und verwenden. Gleichzeitig werden die Komplexität und regulatorische Spielräume In der bisher geltenden EG-Richtlinie 98/79/EG (IVD-Di- dargestellt sowie pragmatische Lösungsansätze zur Um- rektive, IVDD) werden für Produkte, die in Gesundheits- setzung der Forderungen aufgezeigt. einrichtungen zur Verwendung im selben Umfeld herge- stellt werden, keine Anforderungen formuliert [2]. Auf- grund des EU-Subsidiaritätsprinzips sind auf nationaler Ebene in der Medizinprodukteverordnung (§ 5 Abs. 6 MPV) in Verbindung mit § 12 Medizinproduktegesetz (MPG) seit 2007 Anforderungen an IVD aus Eigenherstel- lung verankert [3], [4]. Der Betrieb und die Anwendung aller Untersuchungsverfahren sind in nationalem Recht GMS Zeitschrift zur Förderung der Qualitätssicherung in medizinischen Laboratorien 2021, Vol. 12, ISSN 1869-4241 3/10
Hoffmüller et al.: Stellungnahme der Ad-hoc-Kommission In-vitro-Diagnostika ... Abbildung 1: Der europäische und nationale Rechtsrahmen für IVD aus Eigenherstellung. Die IVDD wird zum 26. Mai 2022 vollständig durch die IVDR abgelöst werden. Im Gegensatz zur IVDD ist die IVDR für alle Adressaten unmittelbar gültig und enthält Anforderungen an IVD aus Eigenherstellung. Das MPG wird schrittweise durch das MPDG abgelöst, welches nur noch Regelungen enthält, die im Handlungsspielraum des nationalen Gesetzgebers liegen. Die MPBetreibV wird für den Bereich IVD nach bisherigem Kenntnisstand nicht geändert und wird weiter auf die RiLiBÄK verweisen. Die Aufzählung der nationalen Verordnungen in der Abbildung ist nicht abschließend. Forderung Art. 5 Abs. 5, letzter Satz: Dies erfordert allerdings nach entsprechender Rechtsauf- fassung Dieser Absatz gilt nicht für Produkte, die 1. eine breit angelegte Herstellung in großem Maßstab im industriellen Maßstab hergestellt und werden 2. nach einheitlichen Vorgaben, die 3. entsprechend industrielle Produktionsanlagen und IVD aus Eigenherstellung sollen nur dann von der CE- -einrichtungen voraussetzt, Kennzeichnungspflicht ausgenommen werden, wenn diese nicht im sog. „industriellen Maßstab“ hergestellt was in Apotheken zumeist nicht gegeben ist [8], [9]. werden. Fazit: Die Ad-hoc-Kommission IVD der AWMF empfiehlt, Diese Anforderung bzw. Einschränkung findet sich inhalts- dass auf europäischer (MDCG) oder nationaler Ebene gleich in der aktuell noch gültigen Definition für IVD aus (AGMP bzw. die entsprechend zuständige FEG der ZLG) Eigenherstellung im deutschen Medizinproduktegesetz der Begriff des „industriellen Maßstabs“ im Sinne der MPG § 3, 22. Aufzählungspunkt. Sicherstellung der individuellen und flexiblen Patienten- Sowohl die IVDR als auch das aktuell in Deutschland noch versorgung durch medizinische Laboratorien, die IVD aus gültige MPG ermangeln einer Definition oder Interpretati- Eigenherstellung verwenden, einheitlich interpretiert wird. on des Begriffs „industrieller Maßstab“. Als Intention einer Dabei kann die Analogie zu den Regelungen im Arzneimit- solchen Regelung kann vermutet werden, dass für IVD telrecht als passende Grundlage dienen, um unter der aus Eigenherstellung keine für kommerzielle Zwecke Herstellung im „industriellen Maßstab“ aufgebaute Produktionsausmaße mit entsprechend dafür 1. eine breit angelegte Herstellung in großem Maßstab, nötigen technischen Produktionseinrichtungen und -anla- 2. nach einheitlichen Vorgaben zum Herstellungsprozess gen vorliegen dürfen. Denn dies würde eine unmittelbare und -verfahren inkl. Abpackung, Kennzeichnung und Vergleichbarkeit mit der Produktion von IVD bedeuten, Chargendokumentation, die kommerziell durch entsprechende Konformitätsbe- 3. unter Verwendung industrieller Produktionsanlagen wertungsverfahren mit anschließender CE-Kennzeichnung und -einrichtungen in Verkehr gebracht werden. Im Arzneimittelrecht (§ 4 (1) AMG) findet sich bisher eine zu verstehen, was in medizinischen Laboratorien nur ähnliche Abgrenzung – nämlich über die Anwendung ei- selten der Fall sein dürfte. nes „industriellen Verfahrens“ – zwischen den sog. Fer- Aus Sicht der Ad-hoc-Kommission IVD trifft für medizini- tigarzneimitteln, die zulassungspflichtig sind, und den in sche Laboratorien eine Verwendung von IVD aus Eigen- Apotheken hergestellten Rezepturarzneimitteln, die meist herstellung im industriellen Maßstab daher in aller Regel keiner Zulassung bedürfen [7]. Arzneimittel, die nicht im nicht zu. Voraus hergestellt werden, sind nämlich nur dann zulas- sungspflichtige Fertigarzneimittel, wenn bei ihrer Zuberei- tung ein „industrielles Verfahren“ zur Anwendung kommt. GMS Zeitschrift zur Förderung der Qualitätssicherung in medizinischen Laboratorien 2021, Vol. 12, ISSN 1869-4241 4/10
Hoffmüller et al.: Stellungnahme der Ad-hoc-Kommission In-vitro-Diagnostika ... Forderung Art. 5 Abs. 5 (a): Die Produkte medizinisches Laboratorium ein geeignetes Qualitäts- managementsystem etablieren muss. werden nicht an eine andere rechtlich In jedem Fall existieren mittlerweile europaweit gesetzli- eigenständige Einrichtung abgegeben che Anforderungen bezüglich der Implementierung von QM-Systemen in praktisch allen Formen von Gesundheits- Nach aktuellem Verständnis und Auslegung dieser IVDR- einrichtungen, die in Deutschland u.a. durch die Regelun- Anforderung dürfen Testverfahren, die im eigenen Labor gen nach § 135a Sozialgesetzbuch V schon jahrelang entwickelt, validiert und hergestellt werden, nicht an eine umgesetzt werden. Fraglich ist allerdings, ob diese QM- andere rechtlich eigenständige Einrichtung, scil. an eine Systeme stets für die Herstellung und Verwendung von andere juristische Person, abgegeben werden. IVD aus Eigenherstellung geeignet sind. Medizinische Laboratorien in Deutschland existieren in Da die Herstellung und Verwendung von IVD aus Eigen- verschiedenen Organisations- und Rechtsformen. Sie herstellung aber praktisch vollständig medizinischen La- sind als Einzel-Laboratorien, in einer BAG, Laborgemein- boratorien vorbehalten bleibt, für die in der Folge Anfor- schaft oder in einem MVZ in der Rechtsform als GbR, derungen gemäß Artikel 5 Absatz 5c IVDR formuliert PartG, GmbH oder als Laborverbund organisiert oder in werden, wird eine weitere Ausführung zu den Charakte- größere Klinikverbünde mit den entsprechend diversen ristika des QM-Systems von Gesundheitseinrichtungen Rechtsträgerschaften integriert. In Gemeinschaften, als nicht erforderlich erachtet. Partnerschaften und Verbünden agieren medizinische Fazit: Die Ad-hoc-Kommission IVD der AWMF empfiehlt, Laboratorien als selbstständige Einzelgesellschaften. dass die bereits bestehenden europäischen und nationa- Die Sicherstellung einer guten medizinischen Versorgung len Regelungen der einzelnen Mitgliedstaaten bezüglich setzt Versorgungsstrukturen voraus, die den Vorstellungen der Anforderungen an geeignete QM-Systeme für Gesund- der Ärztinnen und Ärzte von ihrer Berufsausübung her heitseinrichtungen anerkannt und ggf. weiterentwickelt Rechnung tragen. Aus diesem Grunde wurden neue werden. Eine Koexistenz bzw. eine Integration des Rechts- und Praxisformen in Deutschland eingeführt, QM-Systems des medizinischen Laboratoriums in das auch mit dem Ziel, Synergien zu bündeln und dabei eine QM-System der Gesundheitseinrichtung wird auf der qualitativ hochwertige und qualitätsgesicherte sowie Grundlage der bisherigen Erfahrungen als grundsätzlich kosteneffiziente Patientenversorgung zu realisieren. umsetzbar angesehen. Dieser Intention entgegen wirkt eine mögliche Auslegung der IVDR-Anforderung, dass medizinische Laboratorien, Forderung Art. 5 Abs. 5 (c): Das Labor die vertraglich innerhalb einer Organisationsstruktur und Rechtsform gebunden sind, jedoch eigenständig agieren, der Gesundheitseinrichtung entspricht weder ein in diesem Umfeld entwickeltes und hergestell- der Norm EN ISO 15189 oder ggf. tes IVD-Produkt verwenden dürfen, noch von einer Mini- nationalen Vorschriften einschließlich mierung des administrativen und dokumentarischen Aufwands, den die Umsetzung der IVDR-Anforderungen nationaler Akkreditierungsvorschriften mit sich bringt, profitieren können. Die Anforderungen an die Qualität und die Kompetenz Fazit: Die Ad-hoc-Kommission IVD der AWMF empfiehlt, der medizinischen Laboratorien, die Produkte innerhalb dass medizinische Laboratorien innerhalb einer Organi- einer Gesundheitseinrichtung herstellen und verwenden, sations- und Rechtsform als Einheit gesehen werden und werden aus Sicht der Ad-hoc-Kommission IVD der AWMF deshalb ihre Produkte untereinander dort austauschen nach Artikel 5 Absatz 5c IVDR nicht eindeutig bzw. mit dürfen, wo die Anforderung hinsichtlich des Verbleibs der großem Ermessensspielraum dargestellt. Zwar wird einer- Produkte innerhalb einer Rechtsperson gewahrt bleibt seits eine Konformität der Laboratorien mit der Norm EN und das IVD nicht kommerziell vermarktet oder anderwei- ISO 15189 [10] gefordert, aber durch den Begriff „oder“ tig in Verkehr gebracht wird. wird diese Norm nationalen Vorschriften einschließlich Die Verpflichtung der Laboratorien zum Nachweis des nationaler Akkreditierungsvorschriften gleichgestellt. erfolgreichen Transfers eines Untersuchungsverfahrens Die Situation in den Mitgliedstaaten der EU ist bezüglich im Rahmen eines Technologie-Transfers bleibt davon der Anforderungen an QM-Systeme bzw. an die Akkredi- unberührt. tierung für medizinische Laboratorien heterogen. Sie er- streckt sich von einer gesetzlich vorgeschriebenen Forderung Art. 5 Abs. 5 (b): Ein für „Vollakkreditierung“ nach EN ISO 15189 bis hin zu frei- Herstellung und Verwendung der willigen Akkreditierungsprogrammen. In Deutschland ist Produkte geeignetes seit dem Jahr 2008 mit der RiliBÄK und deren Veranke- rung in der Medizinproduktebetreiberverordnung (MPBe- Qualitätsmanagementsystem treibV) die Implementierung eines QM-Systems für alle medizinische Laboratorien Pflicht. Gleichzeitig sind über Die IVDR lässt im Rahmen dieser Bedingung offen, in 400 medizinische Laboratorien nach EN ISO 15189 (und welcher Form die betreffende Gesundheitseinrichtung vergleichbaren Normen wie der EN ISO 17020) meist oder ggf. eine untergeordnete Organisationseinheit der freiwillig akkreditiert; nur für wenige dieser Laboratorien Gesundheitseinrichtung wie z.B. ein dort befindliches GMS Zeitschrift zur Förderung der Qualitätssicherung in medizinischen Laboratorien 2021, Vol. 12, ISSN 1869-4241 5/10
Hoffmüller et al.: Stellungnahme der Ad-hoc-Kommission In-vitro-Diagnostika ... besteht eine Akkreditierungspflicht (letzteres z.B. im Be- der Leistungsbewertung für kommerziell verfügbare In- reich Neugeborenen-Screening). vitro-Diagnostika [12]. Die Anforderungen der EN ISO 15189 hinsichtlich der Die Bedingung nach Artikel 5 Absatz 5 d IVDR bezieht Validierung, Verifizierung und der Qualitätssicherung von sich aber auf das „angezeigte Leistungsniveau“ oder die Untersuchungsverfahren, zu denen auch „nicht genormte „spezifischen Erfordernisse der Patientenzielgruppe“. Verfahren“ und „für das Laboratorium gestaltete oder Demnach kommt im Rahmen des Vergleichs eine Vielzahl entwickelte Verfahren“ gehören, entsprechen dem Stand von analytischen und klinisch-diagnostischen Leistungs- der medizinischen Wissenschaft und Technik und sorgen charakteristika der betreffenden IVD in Betracht, die zu- für ein international vergleichbares Qualitätsniveau in dem durch das Methodenprinzip, das Design, verfügbare diesem Bereich. Zusätzlich flankieren nach EN ISO 15189 Kontrollen, Turnaround-Zeiten, Erfahrungen aus der anerkannte Elemente eines QM-Systems wie z.B. die An- Langzeitanwendung usw. bestimmt werden. Viele dieser forderungen an die Dokumentation sowie die Durchfüh- Charakteristika werden für kommerziell verfügbare, CE- rung von Korrektur- und Vorbeugemaßnahmen u.a. die gekennzeichnete IVD allerdings nicht veröffentlicht und Anforderungen an die Untersuchungsverfahren. sind daher durch die verfügbare Literatur für medizinische Ein großer Teil der Anforderungen der EN ISO 15189 wird Laboratorien, die IVD aus Eigenherstellung verwenden, in der RiliBÄK reflektiert, jedoch bestehen auch Unter- größtenteils weder zugänglich noch auswertbar. schiede. Teilweise, z.B. mit Bezug auf die Ergebnisqualität, Zudem müssen medizinische Laboratorien auf die Anfor- werden in der RiliBÄK zudem Kriterien formuliert, die sich derungen der behandelnden Ärztinnen und Ärzte gezielt in der EN ISO 15189 nicht finden. Ein Bezug zur EN ISO und in ihren Leistungsangeboten auf diese Anforderungen 15189 wird in der RiliBÄK nicht gezogen. spezifisch (und nicht „ähnlich“) eingehen, um die Anfor- Fazit: Die Ad-hoc-Kommission IVD der AWMF empfiehlt, derungen einer komplexen Patientensituation und -ver- dass Laboratorien für alle Tätigkeitsbereiche, die IVD aus sorgung zu erfüllen. Eigenherstellung betreffen, die in den jeweiligen Mitglied- Fazit: Die Ad-hoc-Kommission IVD der AWMF empfiehlt, staaten vorgesehenen und bewährten Konzepte für QM- dass auf europäischer (MDCG) oder nationaler Ebene Systeme umsetzen. Die Umsetzung kann z.B. durch eine (AGMP bzw. die entsprechend zuständige FEG der ZLG) freiwillige Akkreditierung des Laboratoriums nach inter- ein harmonisiertes Verständnis über die „Gleichartigkeit“ nationalen Normen oder durch eine Erfüllung der natio- von IVD und die dafür zu betrachtenden, möglichen nalen Vorschriften wie der RiliBÄK nachgewiesen werden. Charakteristika erzielt und kommuniziert wird. Unabhängig davon wird das QM-System im Rahmen der Zudem wird empfohlen, dass es zur Sicherstellung der individuellen Patientenversorgung dann allein den medi- Überwachung durch die zuständige Behörde (in zinischen Laboratorien, die IVD aus Eigenherstellung Deutschland: zuständige Behörden der Länder wie Gewer- verwenden, vorbehalten sein sollte, die in den betreffen- beaufsichtsämter, Landesamt für Soziale Dienste, den Fällen jeweils zutreffenden Charakteristika für die Eichämter usw.) inspiziert, sodass die Konformität mit Beurteilung von Gleichartigkeit auszuwählen, diese den entsprechenden Anforderungen auch im Rahmen plausibel und nachvollziehbar zu dokumentieren und auf dieser Überwachung dargelegt werden kann. Anfrage der zuständigen Überwachungsbehörde vorzule- gen. Forderung Art. 5 Abs. 5 (d): Eine Begründung, dass die spezifischen Forderung Art. 5 Abs. 5 (e): Erfordernisse der Patientenzielgruppe Informationen für die zuständigen nicht bzw. nicht auf dem angezeigten Überwachungsbehörden über das Leistungsniveau durch ein gleichartiges Produkt inkl. Begründung für die auf dem Markt befindliches Produkt Herstellung, Änderung und Verwendung befriedigt werden können Die IVDR verpflichtet die medizinischen Laboratorien zur Weder in der IVDR noch in den bisher veröffentlichten Erstellung einer geeigneten Dokumentation, um ein Ver- europäischen bzw. nationalen behördlichen Leitfäden ständnis der Herstellungsstätte und des -verfahrens, der zur IVDR finden sich Erklärungen zum Begriff der Auslegung und der Leistungsdaten des Produkts ein- „Gleichartigkeit“ (engl.: „equivalence“). Die IVDR verwen- schließlich der Zweckbestimmung der Laboratorien zu det an mehreren Stellen die Begriffe „gleichartig“ (engl.: ermöglichen, welche der für sie zuständigen Überwa- „equivalent“) und „ähnlich“ (engl.: „similar“), ohne hier chungsbehörde auf Ersuchen bereitgestellt werden muss. erkennbar einen Unterschied zu machen. Zur Interpreta- Diese Informationen entsprechen größtenteils Inhalten tion der Anforderung an die „Begründung“ liegt bisher einer Technischen Dokumentation zum Nachweis der nur eine Stellungnahme der britischen Behörde MHRA Erfüllung der grundlegenden Sicherheits- und Leistungs- vor [11]; ein Leitfaden der europäischen Vereinigung der anforderungen der IVDR. Medizinproduktehersteller MedTech Europe interpretiert Die IVDR hält einen eigenen Anhang zur Technischen das Gleichartigkeitsprinzip im Hinblick auf die Prinzipien Dokumentation (Anhang II) vor, der ihre umfangreichen GMS Zeitschrift zur Förderung der Qualitätssicherung in medizinischen Laboratorien 2021, Vol. 12, ISSN 1869-4241 6/10
Hoffmüller et al.: Stellungnahme der Ad-hoc-Kommission In-vitro-Diagnostika ... Bestandteile in klarer, organisierter, leicht durchsuchbarer Routine-Anwendung im Hause und ggf. daraus abzuleiten- und eindeutiger Form vorgibt, um zu beschreiben, was de Korrekturmaßnahmen. das Produkt leisten soll und wie sichergestellt ist, dass Diese Prozesse sind bereits integraler Bestandteil der für diese Leistungen tatsächlich erbracht werden. Die Erstel- medizinische Laboratorien adäquaten EN ISO 15189 und lung einer Technischen Dokumentation im vollen Umfang sind an vielen Stellen mit der Norm verknüpft, insbeson- des Anhangs II wird nicht von Gesundheitseinrichtungen, dere bei der regelmäßigen Managementbewertung zur die IVD-Produkte selbst herstellen und anwenden, einge- Eignung und klinischen Wirksamkeit von Untersuchungen fordert. Die IVDR formuliert hier explizit keine Vorgaben. sowie der Sicherheit der Patienten, beim Ergreifen von Fazit: Um – trotz föderaler Struktur – in Deutschland Korrektur- und Vorbeugemaßnahmen und bei externen möglichst klare und einheitliche Vorgaben bezüglich des Beurteilungen sowohl bei einer Akkreditierung als auch Formats und der Dimension der Dokumentation zu im Rahmen der Beteiligung an einer Leistungsbewertungs- schaffen, strebt die Ad-hoc-Kommission IVD der AWMF prüfung. an, eigens für Gesundheitseinrichtungen, die Produkte Die Ad-hoc-Kommission IVD der AWMF strebt an, für aus Eigenherstellung verwenden, ein allgemeingültiges, medizinische Laboratorien einen Leitfaden zu den bereits schlankes und zweckmäßiges „Dokumentenformat“ zur bestehenden Regularien der RiliBÄK und der EN ISO Bereitstellung der geforderten Informationen zu erstellen. 15189 zur Verfügung zu stellen, der aufzeigt, welche Dieses soll einerseits die Anforderungen der IVDR bedie- Methoden zur Auswertung der in der Routinediagnostik nen, andererseits die Gesundheitseinrichtungen nicht erhaltenen Daten angewendet, welche Vorgaben als vor die Herausforderung stellen, durch massiv erhöhten Entscheidungsgrundlage für ggf. einzuleitende CAPA- Dokumentationsaufwand ihre eigentlichen Aufgaben, die Maßnahmen definiert und wie diese Prozesse und Ergeb- Patienten- und Gesundheitsversorgung, nicht oder nur nisse für Überwachungsbehörden dokumentiert werden eingeschränkt wahrnehmen zu können. können. Forderung Art. 5 Abs. 5 (i): Begutachtung Forderung Art. 5 Abs. 5: Erfüllung der der Erfahrungen, die aus der klinischen einschlägigen grundlegenden Verwendung der Produkte gewonnen Sicherheits- und Leistungsanforderungen wurden und Ergreifung aller gemäß Anhang I erforderlichen Korrekturmaßnahmen Anhang I Kap. 1: Risikomanagement Kommerzielle IVD-Hersteller wurden bereits durch die EG-Richtlinie 98/79/EG und Gesundheitseinrichtungen Die IVDR fordert gemäß Anhang I, Abschnitt 3 die Imple- mit Eigenherstellung bereits durch die nationale MPV mentierung, Dokumentation und kontinuierliche Fort- verpflichtet, ein systematisches Verfahren zu etablieren, schreibung eines Risikomanagementsystems. Dabei wird das die Auswertung der Erfahrungen mit ihren IVD-Pro- das Risikomanagement als „kontinuierlicher, iterativer dukten in der Anwendung und die Veranlassung ggf. er- Prozess während des gesamten Lebenszyklus eines forderlicher Korrekturmaßnahmen ermöglicht. Über die Produkts“ verstanden, der eine „regelmäßige systemati- Ausgestaltung eines solchen Post-Market Surveillance sche Aktualisierung“ erfordert. Systems (PMS) gab weder die EU-Richtlinie noch die Kommerzielle Hersteller wenden im Kontext des Risiko- deutsche Verordnung spezifizierte Vorgaben. Es lag in managements in der Regel die harmonisierte Norm der Verantwortung des Herstellers/„Eigenherstellers“, EN ISO 14971:2013 an; diese Norm wurde kürzlich ein dem IVD angepasstes Konzept zu implementieren. überarbeitet und – ohne Harmonisierung mit der IVDR – In den Erwägungsgründen zur IVDR stellt die EU-Kommis- als EN ISO 14971:2020 publiziert. Entsprechend ihrem sion nun dar, dass mit und über das QM-System ein In- Anwendungsbereich verwendet die Norm EN ISO 14971 strumentarium zur Überwachung der klinischen Wirksam- Begrifflichkeiten, die im Kontext eines medizinischen keit und Sicherheit des am Markt und in der Anwendung Laboratoriums kaum Anwendung finden. befindlichen IVD einzurichten ist, was für kommerzielle Speziell für die Anwendung des Risikomanagements auf Hersteller detailliert in Kapitel VII Abschnitt I und medizinische Laboratorien wurde jedoch im September Anhang III der IVDR reglementiert wird. Die PMS-Strategie 2020 die Norm EN ISO 22367 publiziert, die einen Risi- soll Teil des QM-Systems sein, was die für Medizinproduk- komanagementprozess festlegt, anhand dessen medizi- te-Hersteller maßgeblichen Normen EN ISO 13485 und nische Laboratorien mit medizinischen Untersuchungen die EN ISO 14971 bereits verlangen [13], [14]. verbundene Risiken für Patienten, Labormitarbeiter und Fazit: Für Gesundheitseinrichtungen, die eigenentwickelte Dienstleister erkennen und handhaben können [15]. Der und -hergestellte Produkte zur Diagnostik einsetzen, ist Prozess umfasst die gemäß IVDR geforderte Erkennung, ein derartiger PMS-Prozess vonseiten der IVDR ausdrück- Einschätzung, Bewertung, Kontrolle und Überwachung lich nicht gefordert. Verlangt wird eine dokumentierte der Risiken und berücksichtigt darüber hinaus auch Begutachtung der Erfahrungen mit den Produkten in der Aspekte der prä- und postanalytischen Phase. 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Hoffmüller et al.: Stellungnahme der Ad-hoc-Kommission In-vitro-Diagnostika ... Fazit: Die Ad-hoc-Kommission IVD der AWMF empfiehlt, diagnostischer Testbestecke alle die im Anhang I Kapitel 2 dass die Norm EN ISO 14971 keine Anwendung für me- der IVDR vorgegebenen Kriterien abdecken. Ausnahme dizinische Laboratorien finden sollte. sind die zur Beurteilung der klinischen Leistungsmerkma- Dagegen können passende Kriterien der Norm EN ISO le geforderten klinischen Leistungsstudien. Hier lässt die 22367:2020, die auf Untersuchungsverfahren, die medi- EU-Verordnung den Freiraum, auf eine Durchführung kli- zinische Laboratorien für ihren eigenen Gebrauch entwi- nischer Leistungsstudien zu verzichten, wenn es ausrei- ckeln, anwendbar sind, eine geeignete Grundlage für das chende Gründe dafür gibt, auf andere Quellen klinischer nach der IVDR geforderte Risikomanagement darstellen. Leistungsdaten zurückgreifen zu können. Diese können wissenschaftliche Literatur und auch Daten sein, die aus Anhang I Kap. II (9): Leistungsmerkmale publizierten und im eigenen Labor bereits erhobenen diagnostischen Routinetests gesammelt wurden. Nach Definition der IVDR (Artikel 2 (39)) bezeichnet die Die Ad-hoc-Kommission IVD der AWMF empfiehlt, dass Leistung eines Produkts seine Fähigkeit, die vom Herstel- Gesundheitseinrichtungen zunächst den Umfang des ler angegebene Zweckbestimmung zu erfüllen. Diese klinischen Nachweises ihrer Produkte zur Begründung besteht in der Analyseleistung und ggf. der klinischen der Erfüllung der grundlegenden Sicherheits- und Leis- Leistung zur Erfüllung dieser Zweckbestimmung. Beide tungsanforderungen in einer in ihrem QM-System inte- Leistungsmerkmale zur Auslegung und Herstellung eines grierten Dokumentation spezifizieren und begründen Produkts sind in Anhang I aufgezeigt. Weitergehende sollten. Für die Leistungsbewertung des IVD-Produkts Anforderungen an Umfang und Nachweis von Leistungs- werden dann die Ergebnisse zur wissenschaftlichen, merkmalen finden sich dort erstmal nicht. analytischen und klinischen Leistung in einem Bericht Die IVDR weitet jedoch die Anforderungen zum Leistungs- zusammengefasst und das positive Nutzen-Risiko-Verhält- nachweis aus, denn es heißt in Artikel 5 IVDR: Zum nis belegt. Nachweis der Erfüllung der Anforderungen der grundle- genden Sicherheits- und Leistungsanforderungen gemäß Anhang I Kap. II (16): Software Anhang I muss u.a. eine Leistungsbewertung durchgeführt werden. Die Leistungsbewertung (clinical evidence) wie- Unter IVD-Software ist Software als eigenständiges IVD derum ist definiert als die Beurteilung und Analyse von (stand-alone software), als Teil eines IVD (embedded Daten zur Feststellung oder Überprüfung der wissenschaft- software) oder als Zubehör eines IVD zu verstehen. Da- lichen Validität (scientific validity), der Analyseleistung runter fallen Software-Lösungen zur Auswertung der (analytical performance) und gegebenenfalls der klini- Messergebnisse von Testverfahren, Anwendungen zur schen Leistung (clinical performance) eines Produkts Berechnung und Befundinterpretation und ggf. Labor- (Artikel 2 (44), IVDR). Es wird hier eine weitere Begrifflich- informationssysteme, die meist an die Laborprozesse keit eingeführt, die wissenschaftliche Validität, welche und weitere IT-Infrastruktur (Schnittstellen) angepasst die Assoziation von Analyt und Krankheitsbild bzw. phy- werden müssen, um im medizinischen Labor genutzt siologischem Zustand veranschaulicht. Mit der Leistungs- werden zu können. Hier sind durchaus Kombinationen bewertung wird dann der klinische Nachweis (clinical von Software üblich, um den Gesamtprozess abzubilden. benefit) erbracht, dass ein Produkt sicher ist und den So kann ein Analyse-Gerät als IVD mit einer Middleware beabsichtigten klinischen Nutzen erzielt. oder einem Laborinformationssystem kommunizieren, Neben der Validierung des analytischen Verfahrens, das welches die Daten (ggfs. modifiziert) wieder an ein Klinik- experimentelles Design, Plan und Bericht mit Bewertung Informationssystem (ggfs. ein Medizinprodukt) senden umfasst, werden klinische Leistung und wissenschaftliche kann. Validität in den Fokus gestellt. Die klinische Leistung de- Gerade im Bereich hochmoderner High-Throughput-Me- monstriert die diagnostische Genauigkeit des IVD und thoden, in welchen die Geschwindigkeit der technischen hängt von der Zweckbestimmung und somit von einer Entwicklung und der wissenschaftlichen wie klinischen definierten Patientenpopulation ab. Zur Beurteilung der Erkenntnisse immens hoch ist (z.B. NGS-Technologie), klinischen Leistungsmerkmale als Teil des klinischen sind medizinische Laboratorien auf Parametrierung, Nachweises fordert die IVDR umfangreiche Leistungsstu- Konfiguration, Customizing und auf vollständig selbstent- dien. Und im Rahmen der wissenschaftlichen Validität, wickelte Software-Tools angewiesen; dabei sind die in welcher die Assoziation des Analyten zu einem bestimm- Grenzen zu kommerzieller Software (IVD oder Medizinpro- ten physiologischen Zustand bzw. Krankheitsbild belegt dukt) fließend. Zudem gibt es gerade bei bioinformati- wird, ist eine systematische Literaturrecherche unerläss- schen Pipelines (Calling, Annotation, Variantenbewertung) lich, die Literaturdaten, Expertengutachten, Stellungnah- Hybridformen, in denen Software-Komponenten kommer- men und Leitlinien von Fachgesellschaften umfassen zieller Hersteller übernommen, Nutzung externer Daten- kann. Die Dokumentation soll nachvollziehbar Suchstra- quellen sowie Daten von Dienstleistern mit eigenentwi- tegie und Algorithmen, verwendete Quellen und Kriterien ckelten Systemen und frei verfügbar (Open-Source) Soft- der Datenauswahl enthalten. ware verwendet werden. Fazit: Für medizinische Laboratorien gelten zum Leistungs- Die IVDR und der MDCG-Leitfaden 2019-11 [16] adres- nachweis die Anforderungen der RiliBÄK und der Norm sieren die Thematik von in einer Gesundheitseinrichtung EN ISO 15189, die für eine vollumfängliche Validierung hergestellten und in Betrieb genommenen Software nicht GMS Zeitschrift zur Förderung der Qualitätssicherung in medizinischen Laboratorien 2021, Vol. 12, ISSN 1869-4241 8/10
Hoffmüller et al.: Stellungnahme der Ad-hoc-Kommission In-vitro-Diagnostika ... und lassen viele Fragestellungen hinsichtlich der Abgren- • LDT: Laboratory Developed Test zungen zwischen Eigenherstellung und Inverkehrbringen • MDCG: Medical Device Coordination Group offen. Ferner wird Aspekten wie der immer mehr an Be- • MHRA: Medicines and Healthcare products Regulatory deutung zunehmenden Bioinformatik keine Rechnung Agency getragen. • MPBetreibV: Medizinproduktebetreiber-Verordnung Gleichermaßen gelten für Software die bereits genannten • MPG: Medizinprodukte-Gesetz Voraussetzungen, u.a. dass kein vergleichbares Software- • MPV: Medizinprodukte-Verordnung produkt auf dem Markt existiert, die grundlegenden Si- • MVZ: Medizinisches Versorgungszentrum cherheits- und Leistungsanforderungen des Anhang I zu • NGS: Next Generation Sequencing erfüllen und eine technische Dokumentation anzufertigen • PartG: Partnerschaftsgesellschaft sind. Nach Anhang I Kapitel 2 (16) muss die Software • PMS: Post-Market Surveillance unter Berücksichtigung des Software-Lebenszyklus-Pro- • RiliBÄK: Richtlinie der Bundesärztekammer zur Quali- zesses, des Risikomanagements einschließlich der Infor- tätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersu- mationssicherheit, der Verifizierung und der Validierung chungen entwickelt werden. Weiterhin wird die Festlegung von • ZLG: Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz Mindestanforderungen an Hardware, Eigenschaften von bei Arzneimitteln und Medizinprodukten IT-Netzen und IT-Sicherheitsmaßnahmen inklusive des Schutzes vor unbefugtem Zugriff verlangt. In der geforder- ten Dokumentation sollen neben der Risikoklassifizierung Anmerkungen die Entwicklungsstufen der Software dargelegt, die Da- tenverarbeitung und Datenauswertung insbesondere der Interessenkonflikte verwendeten Algorithmen beschrieben und unter Berück- sichtigung der Verwendungsumgebung, Hardware-Konfi- Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte gurationen und möglichen Betriebssysteme die Verifizie- in Zusammenhang mit diesem Artikel haben. rung und Validierung zusammengefasst werden. Fazit: Die Ad-hoc-Kommission IVD der AWMF empfiehlt eine Überarbeitung des bestehenden MDCG-Leitfadens Literatur zur Qualifizierung und Klassifizierung von Software unter Integration der bislang nicht berücksichtigten zur Diagno- 1. Verordnung (EU) 2017/746 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über In-vitro-Diagnostika und zur stik genutzten Software, wie Bioinformatik-Pipelines oder Aufhebung der Richtlinie 98/79/EG und des Beschlusses Kombinationen von Software. Weiterhin wird speziell für 2010/227/EU der Kommission. Software-Eigenherstellungen von Gesundheitseinrichtun- 2. Richtlinie 98/79/EG des Europäischen Parlaments und des gen eine Klärung gefordert, die Rates vom 27. Oktober 1998 über In-vitro-Diagnostika. • zwischen den hohen Anforderungen zur Leistungsbe- 3. Medizinprodukte-Verordnung vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I wertung von Software oder Pipelines an kommerzielle S. 3854), die zuletzt durch Artikel 3 der Verordnung vom 27. September 2016 (BGBl. I S. 2203) geändert worden ist. Hersteller und an Software ohne Inverkehrbringung von Gesundheitseinrichtungen differenziert, 4. Medizinproduktegesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. August 2002 (BGBl. I S. 3146), das zuletzt durch Artikel • die Grenzen von eigenentwickelter, parametrierter und 223 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328) konfigurierter Software unmissverständlich definiert, geändert worden ist. • den besonderen Bedürfnissen medizinischer Labore 5. Medizinprodukte-Betreiberverordnung in der Fassung der bei der Integration von eigenentwickelter Software Bekanntmachung vom 21. August 2002 (BGBl. I S. 3396), die oder Softwaremodulen in kommerziell bezogenen zuletzt durch Artikel 9 der Verordnung vom 29. November 2018 Systemen Beachtung schenkt. (BGBl. I S. 2034) geändert worden ist. 6. Bundesärztekammer. Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen; Abkürzungen Gemäß des Beschlusses des Vorstands der Bundesärztekammer in seiner Sitzung am 18.10.2019. Deutsches Ärzteblatt; 2019. DOI: 10.3238/arztebl.2019.rili_baek_QS_Labor20192312 • AGMP: Arbeitsgruppe Medizinprodukte der ZLG • AMG: Arzneimittel-Gesetz 7. Arzneimittelgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3394), das zuletzt durch Artikel • AWMF: Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen 5 des Gesetzes vom 9. Dezember 2020 (BGBl. I S. 2870) Medizinischen Fachgesellschaften geändert worden ist. Verfügbar unter: https://www.gesetze-im- • BAG: Berufsausübungsgemeinschaft internet.de/amg_1976/AMG.pdf • FEG: Fachexpertengruppen der ZLG 8. Prinz W. Die Herstellung von Rezepturarzneimitteln für • GbR: Gesellschaft bürgerlichen Rechts Apotheken. PharmR. 2008 Aug;8:364 ff. • GmbH: Gesellschaft mit beschränkter Haftung 9. Prütting D, Saalfrank V, Stollmann F, Wesser S, editors. • IVD: In-vitro-Diagnostika Kloesel/Cyran Arzneimittelrecht Kommentar. Deutscher • IVDD: EU-Richtlinie über In-vitro-Diagnostika (98/79/EG) Apotheker Verlag. § 4 Erl. 8 unter Hinweis auf den • IVDR: Europäische Verordnung über In-vitro-Diagnosti- Ausschussbericht zur 14. AMG-Novelle. ka ((EU) 2017/746) GMS Zeitschrift zur Förderung der Qualitätssicherung in medizinischen Laboratorien 2021, Vol. 12, ISSN 1869-4241 9/10
Hoffmüller et al.: Stellungnahme der Ad-hoc-Kommission In-vitro-Diagnostika ... 10. DIN EN ISO 15189 Medizinische Laboratorien – Anforderungen Korrespondenzadresse: an die Qualität und Kompetenz (ISO 15189:2012, korrigierte Fassung 2014-08-15); Deutsche Fassung EN ISO 15189:2012. Prof. Dr. Folker Spitzenberger Technische Hochschule Lübeck, Mönkhofer Weg 239, 11. Medicines & Healthcare products Regulatory Agency. MHRA 23562 Lübeck, Deutschland guidance on the health institution exemption (HIE) – IVDR and MDR (Northern Ireland). 2021. Verfügbar unter: https:// folker.spitzenberger@th-luebeck.de www.gov.uk/government/publications/mhra-guidance-on-the- health-institution-exemption-hie-ivdr-and-mdr-northern-ireland Bitte zitieren als 12. Medtech Europe. Clinical Evidence Requirements for CE Hoffmüller P, Brüggemann M, Eggermann T, Ghoreschi K, Haase D, certification under the in-vitro Diagnostic Regulation in the Hofmann J, Hunfeld KP, Koch K, Meisel C, Michl P, Müller J, Müller C, European Union. 1st ed. 2020 May. Rabenau HF, Reinhardt D, Riemenschneider MJ, Sachs UJ, Sack U, Stenzinger A, Streichert T, von Neuhoff N, Weichert W, Weinstock C, 13. DIN EN ISO 13485 Medizinprodukte – Zimmermann S, Spitzenberger F, Ad-hoc-Kommission Qualitätsmanagementsysteme – Anforderungen für In-vitro-Diagnostika der AWMF. Stellungnahme der Ad-hoc-Kommission regulatorische Zwecke (ISO 13485:2016); Deutsche Fassung In-vitro-Diagnostika der AWMF zur Umsetzung der Verordnung (EU) EN ISO 13485:2016. 2017/746 (IVDR) im Hinblick auf In-vitro-Diagnostika aus Eigenherstellung. GMS Z Forder Qualitatssich Med Lab. 14. DIN EN ISO 14971 Medizinprodukte – Anwendung des 2021;12:Doc03. Risikomanagements auf Medizinprodukte (ISO 14971:2019); DOI: 10.3205/lab000043, URN: urn:nbn:de:0183-lab0000432 Deutsche Fassung EN ISO 14971:2019. 15. DIN EN ISO 22367 Medizinische Laboratorien – Anwendung des Artikel online frei zugänglich unter Risikomanagements auf medizinische Laboratorien (ISO https://www.egms.de/en/journals/lab/2021-12/lab000043.shtml 22367:2020); Deutsche Fassung EN ISO 22367:2020. 16. Medical Device Coordination Group. MDCG-2019-11. Guidance Veröffentlicht: 25.05.2021 on Qualification and Classification of Software in Regulation (EU) Veröffentlicht mit Erratum: 28.05.2021 2017/745 – MDR and Regulation (EU) 2017/746 – IVDR. 2019. Copyright ©2021 Hoffmüller et al. Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und Erratum steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/. Ein Autor wurde entfernt. GMS Zeitschrift zur Förderung der Qualitätssicherung in medizinischen Laboratorien 2021, Vol. 12, ISSN 1869-4241 10/10
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