Sterben und Tod - ein Tabuthema - Hospizliche Begleitung und palliative Versorgung in der stationären Pflege - FFG Dortmund
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Pflege und Betreuung GmbH Hospizliche Begleitung und palliative Versorgung in der stationären Pflege Sterben und Tod – ein Tabuthema Empirische Ergebnisse aus der Perspektive von Pflegeheim- Bewohner*innen und ihren An- und Zugehörigen DGGG-Symposium am 16.9.21 15:30-17:00 Dr. Vera Gerling, Anne-Katrin Teichmüller & Dr. Stephanie Lechtenfeld, FfG Dortmund
Agenda 1 Hintergrund 2 Methodik 3 Ergebnisse a Perspektive der Bewohner*innen b Perspektive der Zugehörigen 4 Ausblick 5 Literatur 2 Pflege und Betreuung GmbH
Hintergrund • Größtmögliche Lebensqualität bis zuletzt – das ist das Ziel von Palliative Care (WHO 2002) • Der Ansatz orientiert sich radikal an den Bedürfnissen der Betroffenen und ihrer Familien (ebd.) • In Deutschland erfolgt eine Verlagerung des Sterbens aus dem häuslichen Umfeld in Organisationen (Hanses et al. 2015) • Während im ambulanten Bereich die Umsetzung individueller Wünsche leichter erfolgen kann, richtet sich eine Begleitung im Pflegeheim weniger auf individuelle Zugänge (ebd.) und scheint aufgrund des Selbstverständnisses und der Strukturparameter schwerer realisierbar (Schneider et al. 2018) • Gleichzeitig ist noch relativ wenig darüber bekannt, wie Bewohner*innen in der letzten Lebensphase diese gestalten möchten und welche Wünsche und Vorstellungen sie und ihre Zugehörigen haben. 3 Pflege und Betreuung GmbH
Methodik (1) Hospizliche Begleitung und palliative Versorgung in der stationären Pflege Ist-Analyse Soll-Analyse Implementierung Evaluation Piloteinrichtungen Seniorenstift Kloster Emmaus Haus Maria Frieden Erweiterter Trägerkreis Seniorenstift Kloster Emmaus Haus Maria Frieden Seniorenstift Kloster Emmaus Perspektive Quelle: EsFoMed Bewohner*innen An- und Zugehörige Mitarbeitende Einrichtung Methodik Interviews Interviews Prozess- und Interviews Schriftliche Befragung Schriftliche Befragung Strukturanalyse Projektbeirat 4 Pflege und Betreuung GmbH
Methodik (2) leitfadengestützte Interviews mit An-und leitfadengestützte Interviews mit Zugehörigen (n = 14) Bewohner*innen (n = 14) • beide Piloteinrichtungen + eine zusätzliche • beide Piloteinrichtungen + eine Einrichtung (ohne Kurzzeitpflege) zusätzliche Einrichtung • Themen: • Themen: • aktueller Zustand/Befinden • Information und Austausch • Wünsche & Selbstbestimmung • Einbezug in Versorgung und Begleitung • Teilhabe • Selbstbestimmung, Wünsche, • Umgang mit Tod und Sterben Vorstellungen schriftliche Befragung der Bewohner*innen • Lebensende / Tod (n = 29) • beide Piloteinrichtungen • Auswertung: qualitative Inhaltsanalyse • Auswertung: deskriptive Auswertung mit mit MAXQDA SPSS 5 Pflege und Betreuung GmbH
Ergebnisse aus Sicht der Bewohner*innen - Interviews (1) • Indirekte Auseinandersetzung mit Sterben und Tod durch Erfahrungen mit dem Ableben anderer Menschen (Verwandte und Freund*innen) • Direkte Auseinandersetzung mit dem eigenen Sterben und Tod Verdrängung „...aber glauben Sie mir sicher dass ich noch ein Mensch bin der noch lebt und da will ich gar nicht dran erinnert werden“ Nüchterne Einstellung „Ja. Ich weiß so viel dat eines Tages dahin komm ich bin ja auch schon ziemlich alt das ich dahin komm das sehe ich ... in den Himmel komm...“ Traum „...und da hab ich in der einer der ersten Nächte geträumt ich wollte Selbstmord begehen (...) ich hab gespürt wie das Wasser stieg und hab gespürt wie das Wasser über mir zusammenschlug“ Dem Tod bereits nah sein „mich haben sie auch schon ein paar Mal aufgegeben […] der wird nichts mehr ne der is die nächsten Tage weg“ Nahtoderfahrung „...und da war ich wohl so weggetreten dass ich dachte ich war irgendwie in so einem Turm und da war ein ganz helles Licht (...) da bin ich wieder zurückgegangen in dat Dunkle rein“ Das Leben beenden wollen „wenn das nich wäre dass der Körp/ dann wär ich schon tot ich habs ja schonmal versucht wie das ist wenn man nicht mehr atmet aber es geht gar nich ne (?)“ 6 Pflege und Betreuung GmbH
Ergebnisse aus Sicht der Bewohner*innen - Interviews (2) • Wünsche und Vorstellungen bzgl. des eigenen Sterbens Zwischen Gottvertrauen und Angst „... ja Jesus der führt mich ...“ „…ich glaube für den Moment des Sterbens hat jeder so ein bisschen (Angst) nich (?) man weiß ja nich“ Zwischen alleine und begleitet sterben wollen „ich möchte lieber alleine sein […] möchte „...dass du (sagt Name des Mannes) dabei bist.. sag ich alleine liegen bis ich dann tot bin...“ ich... dass du da meine Hand nimmst und ich auch..“ Schnelles Sterben „...am schönsten wäre abends die Augen zu machen ((weinerliche, leise Stimme)) und nicht mehr aufstehen“ „ich möchte einfach aufstehen umkippen und weg sein so wie mein Mann ja“ „Auf sich Zukommen lassen“ „ich seh locker weil wir kommen ja doch nicht drum hin .. wer will uns davor schützen (?) kann uns keiner schützen also muss ich et nehmen wie et is aber äh eigentlich sehe ich es locker mit‘m Tod“ 7 . Pflege und Betreuung GmbH
Ergebnisse aus Sicht der Bewohner*innen – Befragung (3) Quelle: FfG 2020, eigene Darstellung 8 Pflege und Betreuung GmbH
Ergebnisse aus Sicht der Bewohner*innen insgesamt (4) • Bewohner*innen setzen sich in unterschiedlichem Maße mit der letzten Lebensphase sowie dem Sterben und Tod auseinander • Bewohner*innen gehen so gut wie nicht davon aus, dass sie Einfluss auf ihre letzte Lebensphase nehmen können – Annahme geringer Gestaltbarkeit.1 • Es werden wenig konkrete, gestalterische Wünsche für die letzte Lebensphase genannt.2 • Wünsche und Vorstellungen sind höchst individuell und können sich immer wieder verändern.3 • Es finden kaum Gespräche zu konkreten Wünschen und Vorstellungen bzgl. der Sterbephase mit An- und Zugehörigen sowie Mitarbeitenden statt. • Bei allgemeinen Gesprächen zu Lebensende und Tod steht der Austausch mit der Familie an erster Stelle (1 siehe hierzu auch Heimerl et al 2000, 2 siehe hierzu auch Pleschberger 2005, 3 siehe hierzu auch Becker 2014) 9 Pflege und Betreuung GmbH
Ergebnisse aus Sicht der Bewohner*innen insgesamt (5) Was brauchen Bewohner*innen? • Kontinuierliche, sensibilisierende Gesprächsangebote von Seiten der An- und Zugehörigen sowie der Einrichtung • ein (stärkeres) Bewusstsein über die Gestaltbarkeit der letzten Lebensphase • nach Wunsch Möglichkeit der frühzeitigen Beschäftigung mit Abschied, Sterben und Tod • Akzeptanz, wenn sie sich damit nicht auseinandersetzen wollen • die Möglichkeit / Struktur (sich ändernde) Wünsche zu äußern • (besseres) Wissen über die Abschieds- und Sterbekultur in der jeweiligen Einrichtung 10 Pflege und Betreuung GmbH
Ergebnisse aus Sicht der An- und Zugehörigen (1) Zugehörige Person mit eigenen Bedürfnissen und Vertreter*in/ Fürsprecher*in des Wünschen Bewohners/ der Bewohnerin • Wunsch nach Unterstützung durch die • Wunsch nach frühzeitigen Informationen und Mitarbeitenden („nicht allein gelassen Transparenz zu Vorgehen und werden“, abgeholt werden) Gestaltungsmöglichkeiten in der letzten Lebensphase • Bei Zugehörigen bestehen große • Möglichkeiten zur Mitgestaltung der letzten Unsicherheiten bezüglich des Umgangs mit Lebensphase sind nicht bekannt. Sterben und Tod • Strukturen werden als zu starr empfunden, um • Bedürfnisse von Zugehörigen werden seitens eigene Dinge einzubringen. der Einrichtung nicht thematisiert • Einbezug Zugehöriger in die letzte Lebensphase • Zugehörige kennen keine „Anlaufstelle“ für wird im Vorfeld nicht thematisiert (weder mit ihre Anliegen Bewohner*in, noch mit Mitarbeitenden) 11 Pflege und Betreuung GmbH
Ergebnisse aus Sicht der An- und Zugehörigen (2) Kein Bewusstsein/fehlendes Wissen darüber, dass etwas besprochen werden kann Warum sprechen (Noch) keine Notwendigkeit, Zugehörige mit da es Bewohner*in gut geht Bewohner*innen und Mitarbeitenden nicht Angst das Thema über die letzte anzusprechen Lebensphase? Austausch gewünscht, aber nicht Ø Tabuisierung/Verdrängung möglich Ø Fehlende Kultur • Gesundheitszustand Bewohner*in • Fehlende Zeit Mitarbeitende 12 Pflege und Betreuung GmbH
Ergebnisse aus Sicht der An- und Zugehörigen (3) Was brauchen Zugehörige? • Frühzeitige Informationen • Gesprächsangebote von Seiten der Einrichtung • Organisation von Austauschformaten, da Tür-und-Angel-Gespräche nicht ausreichen • Bereitstellung von Ansprechpersonen mit festen Erreichbarkeiten • Bewusstsein dafür, dass mitgestaltet werden kann und soll • Frühzeitige Beschäftigung mit den Themen rund um die letzte Lebensphase • Enttabuisierung des Themas! 13 Pflege und Betreuung GmbH
Ausblick • Auf Basis der Ergebnisse der Befragungen werden für Bewohner*innen sowie An- und Zugehörige Maßnahmen entwickelt, um die Versorgung zu optimieren, z.B.: • Palliativkoordinator*in • Abschieds- und Sterbekultur • GVP – Gesundheitliche Versorgungsplanung • Informationen für An-/ Zugehörige • Individuelle Rituale • Begleiten auf Distanz • Diese werden in den Piloteinrichtungen implementiert und evaluiert. • Die Ergebnisse werden in Form von Werkzeugen so aufbereitet, dass sie auch für andere Einrichtungen niedrigschwellig zugänglich und übertragbar sind. 14 Pflege und Betreuung GmbH
Literatur • Becker, S. (2014). Komplexe Bedürfnisse und Gestaltungsoptionen. Eine gerontologische Perspektive auf das Sterben. In W. George (Hrsg.), Sterben in stationären Pflegeeinrichtungen. Situationsbeschreibung, Zusammenhänge, Empfehlungen (S.153-204). Gießen: Psychosozial-Verlag. • Hanses, A. et al. (2015). Konstruktionen des Sterbens. Analysen zu den Herstellungsweisen des Sterbens in organisationalen Kontexten. In: Neue Praxis 2/2015. S.160-177. • Heimerl, K. (2007). Erfahren, wie alte Menschen sterben wollen: Systemische Evaluation im Rahmen des Projektes ‚OrganisationsKultur des Sterbens‘. In. In A. Heller et al (Hrsg.). Wenn nicht mehr zu machen ist, ist noch viel zu tun (S. 397-423). Freiburg i.B.: Lambertus. • Pleschberger, S. (2005). Nur nicht zur Last fallen. Sterben in Würde aus der Sicht alter Menschen in Pflegeheimen. Freiburg: Lambertus S.123-124. • Schneider W. et al. (2018). Sterben zu Hause im Heim – Hospizkultur und Palliativkompetenz in der stationären Langzeitpflege. Vorgehen, empirische Befunde und abgeleitete Handlungsempfehlungen. Forschungs- und Projektbericht. Online verfügbar unter: https://www.zig.uni-augsburg.de/downloads/ 2018-5-28_SiH-Sachbericht-FINAL_2018-05-22.pdf • World Health Organization (WHO) (2002). Palliative Care. Online verfügbar unter: www.who.int/ncds/ management/palliative-care/en/ 15 Pflege und Betreuung GmbH
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Kontakt Forschungsgesellschaft für Gerontologie e.V. / Institut für Gerontologie an der TU Dortmund Evinger Platz 13 44339 Dortmund Dr. Vera Gerling Anne-Katrin Teichmüller +49 (0) 231 728 488 18 +49 (0) 231 728 488-18 gerling@post.tu-dortmund.de anne-katrin.teichmueller@tu-dortmund.de 16 Pflege und Betreuung GmbH
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