Österreichische Gesellschaft für Meteorologie 2016/2

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Österreichische Gesellschaft für Meteorologie 2016/2
2016/2

Österreichische Gesellschaft für Meteorologie
Österreichische Gesellschaft für Meteorologie 2016/2
Zum Titelbild:
Schäden durch den Tornado am 10. Juli 1916 in Wiener Neustadt. Quelle: Fotomaterial des
Stadtmuseums Wiener Neustadt.
Österreichische Gesellschaft für Meteorologie 2016/2
ÖGM bulletin 2016/2                                                                                          1

                                                            Ekkehard Dreiseitl . . . . . . . . . . . . . .   4
 Impressum
                                                          Von der Antarktis zum Sonnblick
 Herausgeber und Medieninhaber:                             Elke Ludewig . . . . . . . . . . . . . . . . .   6
 Österreichische Gesellschaft für
 Meteorologie                                             Der verheerende Wiener-Neustadt-Tornado
 1190 Wien, Hohe Warte 38                                 vom 10. Juli 1916
 http://www.meteorologie.at/                                Alois M. Holzer . . . . . . . . . . . . . . . . 15
 Redaktion:                                               ÖKS15- Klimaszenarien für Österreich
 Fritz Neuwirth                                             Barbara Chimani, Michael Hofstätter, Mar-
 Österreichische Gesellschaft für                         kus Kerschbaumer, Stefan Kienberger, Mar-
 Meteorologie                                             kus Kottek, Heimo Truhetz, Armin Leuprecht,
 1190 Wien, Hohe Warte 38                                 Annemarie Lexer, Stefanie Peßenteiner . . . 34
 fritz.neuwirth@gmx.at
                                                          16th EMS Annual Meeting & 11th European
 Michael Kuhn
                                                          Conference on Applied Climatology (ECAC)
 Institut für Atmosphären- und
                                                            Ingeborg Auer, Barbara Chimani, Brigitta
 Kryosphärenwissenschaften,
                                                          Hollosi, Elisabeth Koch, Martin Piringer, Ire-
 Universität Innsbruck
                                                          ne Schicker, Markus Ungersböck . . . . . . . 39
 6020 Innsbruck, Innrain 52
                                                          Fachtagung „Das Klima der Alpen“
 Gerhard Wotawa
                                                            Ingeborg Auer, Barbara Chimani, Alexander
 Zentralanstalt für Meteorologie und
                                                          Orlik, Susanne Drechsel, Harald Schellander,
 Geodynamik
                                                          Bernd Niedermoser, Claudia Riedl . . . . . . 41
 1190 Wien, Hohe Warte 38
 Technische Umsetzung:                                    DUST 2016 – 2nd International Conference
 Christian Maurer, Florian Geyer1                         On Atmospheric Dust
                                                           Marion Greilinger (ehem. Rothmüller) . . 42
 Redaktionsschluss für das ÖGM Bulletin
                                                          Institut für Meteorologie der BOKU
 2017/1 ist der 30. April 2017. Um Beiträge
                                                          in neuen Räumen
 wird gebeten. Wenn möglich, verwenden Sie
                                                            Petra Seibert . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
 bitte LATEX! Eine Vorlage samt Style-File ist auf
 der ÖGM-Website verfügbar.                               Grundkurs Klima von Michael Hantel und
                                                          Leopold Haimberger
                                                            Fritz Neuwirth . . . . . . . . . . . . . . . . 48
Inhalt                                                    Rezension: Das Wetter-Experiment. Von
                                                          Himmelsbeobachtern und den Pionieren der
Vorwort                                                   Meteorologie
  Fritz Neuwirth . . . . . . . . . . . . . . . .     3      Fritz Neuwirth . . . . . . . . . . . . . . . . 49

Nachruf auf Elmar R. Reiter                               Wien, im Dezember 2016

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      Wir danken Petra Seibert für LATEX-Style Verbesserungen.
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                 Ausschussmitglieder der ÖGM

        Vorstand
            1. Vorsitzender          Fritz NEUWIRTH (ehemals ZAMGa )
            2. Vorsitzender          Michael KUHN (ACINNb )
            Generalsekretär          Gerhard WOTAWA (ZAMG)
            Kassier                  Markus KOTTEK (KIKSc )
            Schriftführer            Andrea STEINER (Wegener Centerd , Graz)

        Sonstige Ausschussmitglieder
            Michael ABLEIDINGER (ACGe )
            Ingeborg AUER (ZAMG)
            Gottfried KIRCHENGAST (Wegener Center, Graz)
            Helga KROMP-KOLB (BOKU-Metf )
            Manfred SPATZIERER (UBIMETg )
            Reinhold STEINACKER (IMGWh )
            Leopold HAIMBERGER (IMGW)
            Viktor WEILGUNI (HZBi )
            Mathias ROTACH (ACINN)
            Franz RUBEL (VetMedj )
            Michael STAUDINGER (ZAMG)
    a
      Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik
    b
      Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften der Universität Innsbruck
    c
      Kärnter Institut für Klimaschutz
    d
      Wegener Center for Climate and Global Change, Universität Graz
    e
      Austro Control
    f
      Institut für Meteorologie, Universität für Bodenkultur Wien
    g
      UBIMET GmbH
    h
      Institut für Meteorologie und Geophysik, Universität Wien
    i
      Hydrographisches Zentralbüro
    j
      Institut für Öffentliches Veterinärwesen,Veterinärmedizinische Universität Wien
Österreichische Gesellschaft für Meteorologie 2016/2
ÖGM bulletin 2016/2                                                                       3

Vorwort
Fritz Neuwirth

                      Fritz Neuwirth
                      1. Vorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für Meteorologie
                      (ÖGM)

S   ehr geehrte Mitglieder der Österreichi-
     schen Gesellschaft für Meteorologie!
                                                ihren monatelangen Aufenthalt mit Über-
                                                winterung in der Antarktis und über Aktivi-
Bedauerlicherweise beginnt mein Vorwort         täten in ihrem neuen Tätigkeitsfeld als Lei-
wieder mit der Nachricht, dass ein interna-     terin des Sonnblick-Observatoriums. Ich fin-
tional sehr bekannter Meteorologe, Prof. El-    de es sehr positiv, dass die ZAMG durch Elke
mar Reiter, im Juni verstorben ist. Er war      Ludewig erstmals in der langen Geschichte
nach Anfangsjahren in Österreich in den         des Observatoriums jemand anstellen konn-
USA sehr erfolgreich und hat sich insbeson-     te, der sich ausschließlich um das Observa-
dere um die Entdeckung des Jet Streams ver-     torium kümmern kann.
dient gemacht, sodass man ihn auch als Mis-        In dem vorliegenden Bulletin finden Sie
ter Jet Stream bezeichnete. Einen Nachruf       einige Berichte von Tagungen. Darunter
auf Prof. Elmar Reiter finden Sie in diesem     einen Bericht von Marion Greilinger über ih-
Bulletin.                                       re Teilnahme an der DUST 2016-Tagung, die
  Vor 100 Jahren im Juli 1916 fand im Ge-       von der ÖGM durch Gewährung eines Reise-
biet von Wr. Neustadt ein verhängnisvol-        kostenzuschusses unterstützt wurde. Es sei
ler Tornado statt, der mehr als 30 Tote und     erinnert, dass die ÖGM für studierende Mit-
großen Sachschaden bewirkte. In einem Bei-      glieder derartige Zuschüsse für den Besuch
trag von Alois Holzer wird dieses, in dieser    von Fortbildungsveranstaltungen bzw. zum
Auswirkung zweifelsohne seltene Ereignis,       Besuch von Tagungen, bei denen eigene Ar-
mit beeindruckendem Bildmaterial umfas-         beiten präsentiert werden, gewährt. Damit
send dargestellt. Dass solche Ereignisse auch   ist die Bedingung verbunden, dass über die
in unserem Land auftreten können, sollte        besuchte Tagung ein Bericht geliefert wird,
nicht vergessen werden.                         der auch im Bulletin erscheint.

  In einem weiteren, interessanten Beitrag        Einige Buchbesprechungen beschließen
berichtet Elke Ludewig von der ZAMG über        dieses Bulletin, von dem ich hoffe, dass es
                                                für Sie von Interesse ist.
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ACINN

Nachruf auf Elmar R. Reiter
22.2.1928 – 17.7.2016
Ekkehard Dreiseitl

E   s wird hier versucht das gewaltige Le-
      benswerk von Elmar R. Reiter, gebo-
ren am 22.2.1928 in Wels, Oberösterreich,
                                               sphärenforschung umfasst, geprägt durch
                                               sein vorausschauendes Erkennen und um-
                                               fassendes Umsetzen der jeweiligen aktuellen
gestorben am 17.7.2016 in Peoria, Arizona,     Schwerpunkte der Meteorologie.
nicht durch eine Auflistung von Publikatio-       Seine ersten wissenschaftlichen Sporen
nen, Ämtern und Auszeichnungen nachzu-         erwarb Elmar R. Reiter am Department of
zeichnen, sondern durch die Beschreibung       Meteorology in Chicago zwischen 1954 und
einzelner Szenarien, wissend dass dies die-    1956, wo er thematisch eine neue Betrach-
sem großen Meteorologen auch nicht annä-       tungsweise des indischen Monsuns vertrat
hernd gerecht werden kann.                     und eine aktuelle Zusammenfassung der da-
Seinen fortgeschrittenen Lebensabend ver-      mals noch spärlichen Kenntnisse über die
brachte der über 80-Jährige als Maler und      Strahlströme verfasste. Die Rolle der großen
gefeierter Solotenor in Arizona und nicht in   Hochgebirge unserer Erde und damit die
seiner ursprünglichen Wahlheimat Colora-       Rolle planetarischer Wellen ließen ihn die
do.                                            allgemeine Zirkulation in diesem oberen
Die vorangehenden Szenarien haben eines        Stockwerk der Atmosphäre neu definieren
gemeinsam: Sie stellen den Verstorbenen als    und bildeten die Basis seiner Habilitations-
großen Wissenschaftler in einem Lebens-        schrift: „Meteorologie der Strahlströme“ die
raum dar, der alle Dimensionen der Atmo-
Österreichische Gesellschaft für Meteorologie 2016/2
ÖGM bulletin 2016/2                                                                         5

er im Herbst 1959 am Institut für Meteorolo-     ten als Direktor der ZAMG in Wien.
gie und Geophysik in Innsbruck vorlegte.           Sein Forschungsschwerpunkt war in die-
   Von 1957 bis 1958 vertrat er als Insti-       sem und den kommenden 12 Jahren die kri-
tutsvorstand in Innsbruck den Gletscherfor-      tische und kreative Arbeit an vier umfang-
scher Herfried Hoinkes, der als Gast wäh-        reichen Bänden über „Atmospheric Trans-
rend des Internationalen Geophysikalischen       port Processes“ mit insgesamt über 1500 Sei-
Jahres an der US-Antarktik-Expedition teil-      ten im Auftrag der US Atomic Energy Com-
nahm. Die Erkenntnisse seiner Habilitati-        mission. Zeitgleich mit der ersten Ölkrise im
onsschrift sind in dem Buch „Meteorolo-          Jahre 1973, dem Zeitgeist vorauseilend, star-
gie der Strahlenströme (Jet Streams)“ so-        tete er die Publikationsreihe: “Environmen-
wohl auf Englisch als auch auf Deutsch 1961      tal Research Papers“ mit dem Schwerpunkt
erschienen und machten ihn zum „Mister           „Energy Utilization and Conservation“. Sein
Jetstream“. Die darin definierten Algorith-      Arbeitsplatz war damals schon in einem der
men konnten die zivilen und militärischen        drei Sonnenhäuser des Departments of At-
Luftfahrtgesellschaften zur Bestimmung der       mospheric Sciences der Colorado State Uni-
Größe und Richtung der CAT, der Clear Air        versity. Als Nachfolger von Herb Riehl war er
Turbulence und damit zur Erhöhung der            von 1968 bis 1976 Head des Departments.
Sicherheit im Luftverkehr notwendig brau-          Die     Kombination der Schwerpunkte
chen.                                            Energie, Computer Sciences und Artificial
  In seinen Jahren in Chicago hatte er die       Intelligence verband er in einer exakten Be-
Gelegenheit gehabt, Bekanntschaft mit zwei       rechnung des behördlichen Energieverbrau-
großen Persönlichkeiten der damaligen Me-        ches in unterschiedlich großen amerikani-
teorologie, Bernhard Haurwitz und Herb           schen Städten wie Greely und Minneapolis-
Riehl, zu machen. Diese holten ihn mit Frau      St. Pauls im Teamwork von Meteorologen,
und Kindern (3) im Frühjahr 1961 nach Co-        Statistikern und Soziologen.
lorado, um mit ihm in den folgenden Jah-           Nach seiner Pensionierung gründete er
ren in Fort Collins, circa 50 Kilometer nörd-    die Firmen WELS Research Corporation und
lich von Boulder, am Rande der Prärie und        Alden Electronics, wo er in der Folge auch
am Fuße der Rocky Mountains, eine neue           mit Wissenschaftlern in Österreich zusam-
meteorologische Arbeitsgruppe zu bilden.         menarbeitete. Kernstück dieser Arbeiten war
Neben dieser organisatorischen Schwerar-         die Entwicklung eines auf PC laufenden
beit im „Indian territory“ von Colorado wa-      Vorhersagemodels, des Portable Weather
ren seine wissenschaftlichen Interessen wei-     Prediction Systems (PWPS), mit dem Ziel,
terhin auf die hohe Atmosphäre fokussiert:       verschiedene meteorologische und geogra-
Bis zum Jahre 1963, dem Jahr des parti-          phische Informationssysteme zu koordinie-
ellen globalen Kernwaffenteststopps, bear-       ren.
beitete er einzelne Fallstudien des radioak-
tiven Fallouts. Die zweite Hälfte der 60er-
                                                    Elmar R. Reiters Leben mit der herausra-
                                                 genden Mehrfachbegabung und dem treff-
Jahre standen im Zeichen des Baubeginns
                                                 sicheren Weitblick im großen Feld der At-
des „Department of Atmospheric Science“
                                                 mosphärenforschung kann man nur mit Be-
an der Colorado State University in Fort Col-
                                                 wunderung zur Kenntnis nehmen. Und auch
lins, Colorado. Sein „Sabbatical Year“ ver-
                                                 mit Dankbarkeit für all das, was er uns jun-
brachte er 1968 je zur Hälfte in Innsbruck bei
                                                 gen Meteorologen großzügig und humorvoll
H. Hoinkes und in Bonn bei H. Flohn. Da-
                                                 beigebracht hat.
mals liebäugelte er auch kurz mit dem Pos-
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ZAMG

Von der Antarktis zum Sonnblick
Elke Ludewig

E    s ist schon faszinierend, welche An-
      strengungen die Menschheit auf sich
nimmt, um an exponierten Orten rund um
                                                   der Antarktis und die Reaktionen darauf auf-
                                                   zählen. Dank wissenschaftlicher Ausführun-
                                                   gen, die in politischen Maßnahmen ende-
die Uhr Daten zu sammeln und Forschung             ten, konnte die Weltmeteorologische Orga-
zu betreiben: Ein Observatorium in der Eis-        nisation (WMO) sich 2015 positiv über die
wüste, das neun Monate vom Rest der Welt           Entwicklung der Ozonschicht – zu Guns-
abgeschnitten ist oder auf einem Berg in           ten der menschlichen Gesundheit – äußern
3106 m Höhe, das man zu Fuß nur durch              (Secretary-General’s Message for 2015).
einen 5 Stunden Marsch durch hochalpi-               Es ist ein Privileg an solchen Orten zu ar-
nes Gelände erreicht. Gerade solche Ob-            beiten, im Dienste der Menschheit sozusa-
servatorien sind für uns von unschätzba-           gen. Ich hatte die Ehre an der Neumayer-
rem Wert. Die dort gewonnenen Informa-             Station III in der Antarktis zu arbeiten und
tionen und Erkenntnisse in Zusammenar-             zu leben und nun – von der Antarktis zum
beit mit vielen anderen Forschungseinrich-         Sonnblick – wurde ich mit der Leitung des
tungen weltweit helfen über Generationen           Sonnblick Observatoriums betraut. Hier darf
hinweg Maßnahmen zu ergreifen, um unser            ich nun von meinen Erfahrungen berichten
Dasein auf einem lebenswerten Standard zu          und einen Einblick in zwei spannende For-
erhalten. Als einfaches Beispiel dafür kann        schungsstätten geben.
man hier die Entdeckung des Ozonlochs in

Links: Neumayer-Station III, Antarktis. Rechts: (1) Fundament, (2) Fahrzeughalle/Schneegarage, (3)
Energieversorgung, (4) Ballonfüllhalle für Wetterballone, (5) Eingang/Treppenhaus, (6) Wohn- u. Ar-
beitsräume, (7) Schneeschmelze, (8) Zufahrt/Rampe. Copyright: E. Ludewig, AWI.
Österreichische Gesellschaft für Meteorologie 2016/2
ÖGM bulletin 2016/2                                                                           7

Die Neumayer-Station III                          einem Elektriker/In und einer IT-Fachkraft
                                                  für EDV und Funk zusammen. Zusätzlich
Die Neumayer-Station III ist eine deutsche        stellt das AWI noch einen Koch/In und einen
Polarforschungsstation des Alfred-Wegener-        Arzt/In ein. Die Bewerbung verläuft klas-
Instituts (AWI), welche auf dem Ekström-          sisch schriftlich mit Einladung zu einem In-
Schelfeis, nahe der Atka-Bucht gelegen ist.       terview, gefolgt von einem medizinischen
Seit 2009 ist diese Station in Betrieb und lös-   Check. Ist man nach diesem Auswahlverfah-
te die nahe gelegene Station Georg von Neu-       ren der oder die Erstgereihte wird man auf
mayer ab. Die Station ist ein langer Kasten,      Probe eingestellt. Daraufhin trifft sich das
der auf 16 hydraulischen Stützen steht, 30        Team zum ersten Mal Anfang August und
Meter hoch, 68 m lang und 24 m breit ist          durchlebt eine spannende und lehrreiche
sowie 8 m in die Tiefe geht. Die Neumayer-        Vorbereitungszeit.
Station III ist eine Forschungsstation und
                                                  Die Vorbereitungszeit
beherbergt drei Observatorien: das geophy-
sikalische, luftchemische und meteorologi-
sche Observatorium. Die Station ist Aus-
                                                  Wichtige Stationen während der Vorberei-
                                                  tungszeit sind der sogenannte „Bergkurs“
gangspunkt für zahlreiche Forschungspro-
                                                  und der „Brandschutzkurs“. Hier trainiert
jekte und logistischer Drehpunkt in der Ant-
                                                  das Team den Umgang mit Eis und Schnee,
arktis. Die Observatorien werden das ganze
                                                  die Bergung von Personen aus Gletscher-
Jahr rund um die Uhr betrieben.
                                                  spalten und wird bei der Marine zu einem
  Ein Team, bestehend aus neun Personen,          Löschtrupp ausgebildet, um im Ernstfall
wird jedes Jahr erneut ausgewählt, um 14          schnell reagieren zu können. Daneben gibt
Monate die Neumayer-Station III, kurz NM-         es zahlreiche spezifische Trainingseinheiten
III, zu betreiben. Diese Personen nennt man       und Lehrgänge mit den Themen Technik,
Überwinterer. Der wissenschaftliche Teil des      Messgeräte, EDV, Medizin, Sicherheit, etc.
Teams besteht aus vier Personen, spezifiziert     Mit diesen Kursen versucht man die Über-
für die Fachbereiche Meteorologie, Luftche-       winterer auf die Gegebenheiten vor Ort gut
mie und Geophysik. Der technische Teil des        vorzubereiten.
Teams setzt sich aus einem Ingenieur/In,

       Links: Gletscher-Bergungstraining nahe Hochwildehaus, Ötztal. Copyright: E. Ludewig.
         Rechts: Brandschutzkurs in Neustadt, Deutschland. Copyright: A. Leonhardt, AWI.
Österreichische Gesellschaft für Meteorologie 2016/2
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                       Auswahl an Polarkleidung. Copyright: A. Sticher, AWI.

Während dieser Zeit werden auch Zarges-            Schelfeis anlegt und die Station mit Gütern
Kisten mit Habseligkeiten gepackt, die per         (Proviant, Ersatzteile, neue Geräte) versorgt.
Schiff zur Neumayer-Station III transportiert      Da auf der Polarstern die Plätze aber für For-
werden. Zusätzlich verfügt das AWI über das        scher benötigt werden, die aktiv während
größte Polarkleidungslager in Europa. Jeder        der Überfahrt Projekte verfolgen, fliegt man
Überwinterer wird hier mit dicken Daunen-          heute die neun Überwinterer per Flugzeug
jacken, speziellen Schuhen, Handschuhen,           in die Antarktis ein. In Kapstadt checkt man
Masken, Brillen, Skianzügen und Hosen aus-         ganz normal am Flughafen für den Über-
gestattet. Kleidung, die einen bei Tempera-        flug in die Antarktis ein. Jeder Passagier hat
turen unter -30 °C warm hält.                      ein extra Handreisegepäck, indem dicke Po-
                                                   larkleidung verstaut ist, die man im Flug-
Die Anreise in die Antarktis
                                                   zeug vor der Landung anzieht. Von Kapstadt
Wie erreicht man die Neumayer-Station III?         aus geht es mit einer Transportmaschine des
Der klassische Weg ist die Nutzung der Po-         Typs Illusion zur russischen Station Nowo-
larstern, die einmal im Jahr am Ekström-           lasarewskaja. Dort kann das Transportflug-
                                                   zeug auf einer präparierten Eispiste landen.

Transportflieger Illusion in Kapstadt, kurz vor dem Start in die Antarktis, Dez. 2014. Copyright: E.
Ludewig, AWI.
ÖGM bulletin 2016/2                                                                           9

Da die meisten Stationen nicht über ei-          zusätzlich sind Forschungsgruppen vor Ort.
ne solche Eislandebahn verfügen, setzt man       Taucher nehmen Proben unter dem Meereis,
von hier seine Reise in einer kleinen Propel-    ROVs (Remotely Operated Vehicles) sind im
lermaschine, meist vom Typ DC3 oder Twin-        Wasser im Einsatz, Robben und Vögel wer-
otter, fort. Diese Maschinen können auch in      den untersucht, aber auch Equipments wer-
der antarktischen Wildnis landen.                den getestet, wie z. B. neue Eisbohrer. Und
  Der     Anflug auf die Neumayer-Station        die Messflugzeuge Polar 5 und Polar 6 führen
III wirkt surreal. Eine weite weiße Eisland-     Messkampagnen durch. Dementsprechend
schaft in der ein Bauwerk mit rot-blauen         herrscht im Sommer ein regelrechter Trubel
Farbelementen steht und den einzigen Kon-        auf der Station und man hilft und packt an
trast bildet. Mein Überwinterungsteam lan-       wo man kann, um einen reibungslosen Ab-
dete am Morgen des 19. Dezembers 2014            lauf zu gewährleisten. Im Sommer bestehen
an der Neumayer-Station, im Polarsommer,         auch die Möglichkeiten Außenstationen zu
eine Zeit in der die Sonne nicht unter-          warten bzw. zu errichten. Dies betrifft vor al-
geht. Schnell wird man in den Arbeits-           lem seismische Stationen oder Wetterstatio-
alltag mit einbezogen. Wer gerne mehr dar-       nen. Im antarktischen Sommer 2015 durfte
über wissen möchte, was im Alltag auf            ich am Olymp, eine Erhebung, die ca. 150 km
der Neumayer-Station III passiert, kann          südwestlich der Neumayer-Station III auf
über den Helmholtz Gemeinschafts Blog            dem antarktischen Festland steht, eine au-
„AtkaXpress“ (https://blogs.helmholtz.           tomatische Wetterstation errichten, die den
de/atkaxpress/) mehr Details erfahren.           Winter über an NM-III getestet, program-
                                                 miert und für die „Auswilderung“ vorberei-
  In der Sommersaison, die meist von En-         tet wurde.
de November bis Mitte Februar andauert,
herrscht ein reges Treiben auf der Station.      Die Überwinterungszeit
Die Überwinterer weisen ihre Nachfolger an,
ein sogenanntes „Bauteam“ überprüft die          Im  Gegensatz zur Sommersaison ist die
Technik, die Maschinen werden alle gewar-        Winterzeit weniger hektisch, weil mit Mitte
tet, die Güter, die mit der Polarstern oder      Februar die letzten Sommergäste die Station
den Fliegern ankommen müssen verteilt            und das neunköpfige Überwinterungsteam
und deren eventueller Weitertransport zu         zurück lassen. Ab da ist das Team für neun
anderen Stationen organisiert werden und         Monate auf sich allein gestellt.

Automatische Wetterstation. Aufbau am Olymp, Antarktis, WMO# 89011. Copyright: E. Ludewig, AWI.
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Die Tage werden schnell immer kürzer, die        antwortung, das Team über Wetteränderun-
Kaiserpinguine in der nahegelegenen At-          gen zu informieren, um bei Schlechtwetter
kabucht rutschen immer näher zusammen            Außenaktivitäten einzuschränken und mit
und mit der Polarnacht werden die Polar-         dem Team auch den Wasservorrat zu kalku-
lichter sichtbar und wunderschöne Sternen-       lieren. Bei stürmischen Perioden von über
himmel laden zum Staunen ein. Doch wir           vier Tagen, wenn man nicht die Schnee-
hatten auch sehr stürmische Tage mit Wind-       schmelze für die Wasserversorgung füllen
spitzen bis zu 92 Knoten (170 km/h), an          kann, muss man sich schon einmal ein-
denen ein Vorankommen im Schneesturm             schränken. Hierfür wird täglich eine Sta-
kaum noch möglich war und man bange              tionsvorhersage erstellt. Im Sommer sind
auf die Datenerfassung starrt und hofft, dass    die Wetterinformationen und Analysen auch
das Messfeld nicht davon fliegt. Die Tiefst-     für die Flugmeteorologie essentiell. Täglich
temperatur 2015 lag bei -49,8°C, die maxi-       wird neben den Wetterbeobachtungen eine
male Temperatur bei 0,1°C. Als Meteorologe       Radiosonde (Wetterballon) gestartet, sowie
war ich bei jedem Wetter draußen. Alle drei      einmal wöchentlich eine Ozonsonde. Ozon-
Stunden von 05:00 Uhr früh bis kurz nach         sondenaufstiege können während der Ozon-
Mitternacht führte ich eine Wetterbeobach-       lochzeit von August bis Dezember fast alle
tung durch. Da hierzu auch die Schneedrift       zwei Tage gestartet werden. Daneben war-
gemessen wurde, musste man sich von der          tet und repariert man Geräte, wertet Daten
Station entfernen um den Einfluss dieser         aus und validiert diese, sorgt dafür, dass die
nicht in die Beobachtung mit aufzunehmen.        Informationen in die Welt gelangen und in-
Verlässt man die Station, trägt man immer        terpretiert die Satellitenbilder, die vor Ort
Handfunk- und GPS-Gerät am Körper. So            empfangen werden können.
kann man im Notfall immer Kontakt zur Sta-          Zusätzlich hilft man im Spurenstoffob-
tion aufnehmen, denn in der Antarktis kann       servatorium (SPUSO), wie auch im geophy-
es schnell passieren, dass der „Whiteout-        sikalischen Observatorium und beim restli-
Effekt“ eintritt. In diesem Fall erkennt man     chen Stationsbetrieb. Eine gute Aufgabentei-
vor lauter Weiß keine Kontraste mehr und         lung (Putzdienste, Küchendienste) ist wich-
verliert schnell die Orientierung. Erstaunlich   tig. Arbeiten im Spurenstoffobservatorium,
war wie schnell sich der eigene Körper an die    welches 1,5 km südlich der Station liegt, er-
neuen Bedingungen gewöhnte, sich der Käl-        fordert einen Hörschutz. Hier saugen Pum-
te anpasste. Im Sturm hörte ich neben dem        pen die Luft in die Messgeräte und Filter. Die
Toben des Windes schnell das Flattern der        Entfernung ist nötig, um Verschmutzungen
Flaggen und Handleine sowie das Surren des       der Luft durch den Stationsbetrieb (Fahrzeu-
Wettermastes heraus, was der Orientierung        ge) zu vermeiden. An der Neumayer-Station
half.                                            ist sehr reine Luft vorhanden, weshalb die
   Das meteorologische Observatorium             Daten als Referenz betrachtet werden. Da ist
ist eine bedeutende Einrichtung auf der          es dann umso spannender wenn das Meer-
Neumayer-Station. Ein Messfeld mit einem         eis aufbricht und man erhöhtes Bodenozon
ca. 15 m hohen Wettermast und der BSRN-          messen kann. Nahe des SPUSOs gibt es ei-
Strahlungsstation (BSRN = Basic Surface Ra-      ne Luke mit einer Treppe, die derzeit ca. 16
diation Network) muss mehrmals täglich           m in die Tiefe führt. Hier, geschützt unter ei-
kontrolliert werden. Hier werden die wich-       ner dicken Schneedecke, befindet sich das
tigsten meteorologischen Parameter erfasst.      „Magnetische Observatorium“ der Geopyh-
Als Meteorologe hat man auf NM-III die Ver-      sik. Neben seismischen Stationen in der Ge-
ÖGM bulletin 2016/2                                                                           11

gend überwacht das Geophysikalische Ob-           ten der Neumayer-Station installierten In-
servatorium auch die Funktion des im Wes-         fraschall Arrays I27DE.

Meteorologisches Messfeld in der Polarnacht und am Polartag. Check der Messinstrumente. Copy-
right: E. Ludewig, AWI.

Spurenstoffobservatorium (SPUSO) 1,5km südlich der Neumayer-Station. Copyright: E. Ludewig,
AWI.

E. Ludewig auf dem Meereis während einer Meereismessung für das Projekt AFIN. Copyright: A. Leon-
hardt, AWI.

Diese Station der deutschen BGR (Bun-             Kernwaffentest-Stopp-Abkommens (CTBT)
desanstalt für Geowissenschaften und              und nimmt über Druckschwankungen Ex-
Rohstoffe) dient der Überwachung des              plosionen in der Luft war.
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Zum Bereich Meteorologie zählen auch die          nahme und Erfrierungen sowie bei Fahrten
Überwachung von Schneehöhenmessungen              über das Meereis auf Risse und Eisbewegun-
und die Durchführung von Meereismessun-           gen zu achten.
gen. In regelmäßigen Abständen (mindes-             Oft werden Überwinterer gefragt, ob ei-
tens einmal pro Monat) geht es mit Eisbohr-       nem vor Ort nicht langweilig wird, so ab-
Equipment und Skidoo in einem Team von            geschnitten vom Rest der Welt. Dies kann
drei bis vier Personen raus aufs Meereis. An      ich mit einem klaren NEIN beantworten.
bestimmten Punkten werden Schneelöcher            Der Tag ist gut mit Arbeit ausgefüllt und die
bis zum Meereis gegraben und dann durch           Natur ist jeden Tag anders faszinierend. Im
das Meereis, welches an manchen Stellen bis       Winter ziehen verstärkt Eisberge vorbei, die
zu 8 m misst, faustgroße Löcher gebohrt.          man von Weitem sehen kann, fantastische
Schneehöhe, Eisdicken sowie deren Tempe-          meteorologische Erscheinungen, wie Halos
raturen und Beschaffenheit werden erfasst.        und Wolkenformationen, Schneedriftbewe-
Die Messungen für das Projekt AFIN (Ant-          gungen und Spiegelungen lassen die karge
arctic Fast Ice Network) mussten gut ge-          Landschaft sehr abwechslungsreich erschei-
plant werden, weil man teilweise bis zu 12        nen. Das Jahr über konnten wir die Pin-
Stunden unterwegs war und während dieser          guinkolonie in der Atka-Bucht beobachten,
Zeit die Arbeiten auf der Station neu verteilt    Weddellrobben, Skuas und andere Vögel. In
werden mussten. Sicherheit spielt hier eine       der Station selbst gibt es Sportmöglichkei-
wichtige Rolle. Gerade in den kalten Winter-      ten, eine Vielzahl von Gesellschaftsspielen,
tagen gilt es seine Teammitglieder im Frei-       eine große Mediathek, Bibliothek und Mög-
en im Auge zu behalten, auf Flüssigkeitsauf-      lichkeiten zum Musizieren.

Kleine Kaiserpinguine (links), erwachsener Pinguin in der Mauser (rechts). Copyright: E. Ludewig,
AWI.

Als Team feierten wir besondere Anlässe wie       Winter auch waren, wartet man doch ge-
Geburtstage, Mittwinter im Juni, den ersten       spannt auf die ersten Sonnenstrahlen. Lange
Sonnenaufgang, Halbzeit, das Antarctic Film       schon erahnt man am Horizont das Son-
Festival und ähnliche Tage. Unser Koch ver-       nenlicht und die Dämmerung überwiegt
köstigte uns sehr gut, dennoch konnten wir        nach und nach die Nacht, bis man dann
gegen Ende November 2015 den ersten Flie-         endlich die Sonne am Horizont auftauchen
ger mit frischem Obst und Gemüse kaum             sieht. Mit den ersten Sonnenstrahlen konn-
erwarten. So schön die kalten Nächte im           ten wir auch einen genauen Blick auf den
ÖGM bulletin 2016/2                                                                      13

Pinguinachwuchs werfen und deren hohen          Wert erlangen.
Piepstöne lauschen. Eine willkommene Ab-
                                                Besucher
wechslung zum Gekreische der alten Tiere.
Von der Antarktis zum Sonnblick                 Heute teilt sich das Sonnblick Observato-
                                                rium den Gipfel mit der Schutzhütte Zittel-
Mit Ende der Wintersaison kehrt der Tru-        haus der Alpenvereinssektion Rauris. Viele
bel auf der Station zurück und mit jedem        Bergsteiger, die den Sonnblick erklimmen,
Flieger kommen neue Sommergäste, die for-       nutzen die Gelegenheit einer Führung durch
schen und an der Station arbeiten. Bei den      das Observatorium, die im Sommer meist
Überwinterern kommen gemischte Gefüh-           abends stattfinden, nach Anmeldung aber
le auf, einerseits Wehmut, weil man bald        auch tagsüber durchgeführt werden können.
diesen fantastischen Ort verlässt, anderer-     Besucher sind immer wieder überrascht,
seits Freude auf die Heimat, Familie und        wie genau wir vor Ort messen können. Je-
Freunde. In dieser Zeit verschickte ich mei-    der Raucher vor Ort beeinflusst deutlich die
ne Bewerbung für das Sonnblick Observa-         luftchemischen Messungen. Deshalb bitten
torium und kaum wieder in Europa ange-          wir alle auf das Rauchen am Sonnblick zu
kommen, ging es gleich zum Bewerbungsge-        verzichten und falls unbedingt nötig nur an
spräch nach Wien. Im Mai 2016 konnte ich        dem ausgewiesenen Platz vor dem Zittel-
mich in diese neue Aufgabe stürzen.             haus zu rauchen.
  Die   Zeit auf der Neumayer-Station III       Infrastruktur
war eine sehr lehrreiche und faszinierende
Erfahrung und wie viele Österreicher auch       Das Sonnblick Observatorium verfügt über
schon vor mir, möchte auch ich diese Erfah-     zwei wichtige Infrastrukturen, die einen Be-
rung nicht missen, die mich gut auf meine       trieb erst ermöglichen. Diese sind die Seil-
Aufgaben für das Sonnblick Observatorium        bahnanlage und eine Stromleitung, die den
vorbereitete.                                   Anschluss der Anlage an das allgemeine
                                                Stromnetz ermöglicht. Damit sind erst die
Das Sonnblick Observatorium
                                                hochsensiblen Messungen im luftchemi-
Das Sonnblick Observatorium zählt zu den        schen Bereich möglich, da lokale Emissio-
wichtigsten Forschungseinrichtungen Ös-         nen ausgeschlossen werden können. Die
terreichs. Seit 130 Jahren wird am Hohen        Materialseilbahn mit eingeschränktem Per-
Sonnblick am Ende des Rauriser Tales, an        sonenverkehr erleichtert es den Mitarbei-
der Grenze zwischen den Bundesländern           tern, das Observatorium zu erreichen.
Kärnten und Salzburg, gemessen und be-          Personal
obachtet. Im Jahre 1886 wurde das Ob-
servatorium danke eines gut ausgeprägten        Die    personelle Zusammensetzung des
österreichischen Pioniergeistes am Hohen        Sonnblick Observatoriums ist sehr kom-
Sonnblick auf 3106 m erbaut. Wer hätte          plex, weil eine Vielzahl von Menschen im-
vor 130 Jahren gedacht, dass eine Tempe-        mer wieder am Sonnblick tätig sind. Das
raturzeitreihe so bedeutend für die Mensch-     Kernteam umfasst vier Wetterdiensttechni-
heit sein könnte? Es ist ein wichtiger Aspekt   ker, zwei Ingenieure und eine Leitung. Für
von Observatorien, dass manche Datensät-        die vier Wetterdiensttechniker ist eine Ver-
ze nicht sofort Anwendung in der Forschung      tretung im Urlaubs- und Krankheitsfall von
finden, aber bei Zeiten einen unschätzbaren     drei Personen vorgesehen. Zusätzlich sind
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weitere Ingenieure, Techniker und Studen-        Biosphäre und Kryosphäre. Aktuelle Aktivi-
ten der ZAMG, BOKU, TU-Wien, Umwelt-             täten am Sonnblick Observatorium werden
bundesamt, AGES, etc. am Sonnblick für den       in einer jährlich erscheinenden Broschüre
Messbetrieb zuständig.                           veröffentlicht. Im Jahr 2017 wird eine neue
                                                 Webseite übersichtlich aktuelle Daten und
Netzwerke
                                                 Informationen über das Sonnblick Obser-
Den besonderen internationalen Status des        vatorium bereitstellen. Forschungsprojek-
Sonnblick Observatoriums kann man an den         te und -ideen sind immer willkommen und
Mitgliedschaften in internationalen Netz-        werden gerne vom Sonnblick-Team unter-
werken beurteilen. Solche Netzwerke defi-        stützt.
nieren was und wie gemessen wird. Abhän-         Sonnblick-Verein
gig von der Datenqualität und -quantität
sowie von Stationseigenschaften kann ei-         Die Zukunft verlangt viele Investitionen um
ne Forschungsstation/Observatorium in ein        den Status des Observatoriums zu erhal-
solches Netzwerk aufgenommen werden.             ten und auszubauen. Die vorhandene Infra-
Damit ist gewährleistet, dass man die Da-        struktur (Seilbahn, Stromleitung, Kommuni-
tenwerte unterschiedlicher Orte vergleichen      kation) muss erneuert werden. Zusätzliche
und so schnell Besonderheiten und Verän-         Labore und Arbeitsräume sind zukünftig nö-
derungen aufzeigen kann. Das Sonnblick           tig, um weitere Forschungsprojekte zu rea-
Observatorium ist in den weltweit wichtigs-      lisieren. Hierbei sind wir auch auf die Un-
ten Netzwerken, wie NDACC, BSRN, GAW,            terstützung des Sonnblick Vereins angewie-
GCW oder GTS vertreten. Der Sonnblick ist        sen, auf dessen Mitglieder und Förderer so-
aber auch ein wichtiger Standort in den na-      wie Spenden. Neue Mitglieder und Förderer
tionalen Messnetzen für Immissionsschutz,        sind immer willkommen!
Strahlungsschutz, ARAD, etc.
                                                    Über den Sonnblick-Verein werden zu-
Forschung                                        künftig auch Forschungsstipendien verge-
                                                 ben. Falls Sie mehr über das Sonnblick Ob-
Das Konzept für Forschung am Sonnblick           servatorium erfahren möchten, kontaktie-
ist in dem Programm ENVISON (ENVIron-            ren Sie gerne das Sonnblick-Team. Wir sind
mental Research and Monitoring SONn-             stets bemüht auf alle Fragen und Interessen
blick) zusammengefasst. Schwerpunkte sind        einzugehen. Österreich kann stolz auf sein
Forschungen in den Bereichen Atmosphäre,         Sonnblick Observatorium sein!

       Links: Sonnblick Observatorium im Juni 2016. Copyright: B.M.I: Flugpolizei Salzburg.
      Rechts: Sonnblick-Team im September 2016 (H. Tannerberger fehlt). Copyright: ZAMG.
ÖGM bulletin 2016/2                                                                    15

ESSL

Der verheerende Wiener-Neustadt-Tornado
vom 10. Juli 1916
Alois M. Holzer

Einleitung                                    men den Arbeiten am Forschungsprojekt
                                              TORNeustadt, das von 2012 bis 2014 mit
                                              Unterstützung der Statutarstadt Wiener
D     er verheerende Tornado, der am 10.
       Juli 1916 den Norden Wiener Neu-
stadts verwüstete, ist nach heutigem Stand
                                              Neustadt am Europäischen Unwetterfor-
                                              schungsinstitut ESSL durchgeführt wurde.
des Wissens in der europäischen Geschich-     Daran beteiligt waren neben dem Autor wei-
te der sechsttödlichste. Mindestens 35 Men-   ters DI Thomas Schreiner, Mathias Stampfl,
schen verloren dabei ihr Leben, etwa 330      Mag. Georg Pistotnik und Dr. Pieter Groe-
Menschen wurden verletzt, rund ein Drittel    nemeijer, die auch alle am Abschlussbericht
davon schwer.                                 mitgewirkt haben. Diesem Abschlussbericht
Die maximale Stärke erreichte der Torna-      entstammen umfangreiche Abschnitte die-
do im Bereich der „Alten Lokomotivfabrik“,    ses Artikels.
dies konnte durch das Schadensausmaß an       1. Ausgangssituation
mehreren Schadensindikatoren festgestellt
werden. Hier wurde auf der so genannten       Der historische Tornado von 1916 hat in
Fujita-Skala der Grad F4 erreicht, und es     Wiener Neustadt in den vergangenen Jahr-
wurden im Bereich der maximalen Schä-         zehnten immer wieder die Aufmerksamkeit
den sogar Ziegelmauern mit einer Stärke von   erregt, sei es in Form von Zeitungsartikeln
etwa einem Meter umgerissen. Gemäß der        anlässlich eines kleineren Sturmereignisses
empirischen Beziehung zwischen Schaden        oder in Form von Ausstellungen, wie im In-
und Wind entspricht F4 einer Spitzenwind-     dustrieviertelmuseum im Jahr 2006 (Geissl,
geschwindigkeit von etwa 380 km/h.            2006). Eine eingehende wissenschaftliche
  Dieser Höchstwert ist lediglich in einem    Reanalyse des Falles stand vor dem For-
kurzen Teilstück der Schadensspur aufge-      schungsprojekt TORNeustadt jedoch aus.
treten. Häufig wurden die vom Zentrum           Die Basis für eine wissenschaftliche Auf-
des Tornados überquerten Stadtteile Wiener    arbeitung, die dem heutigen Kenntnisstand
Neustadts aber mit Windspitzen bis F2 oder    entspricht, kann für ein so lange zurücklie-
etwa 220 km/h, schon seltener bis F3 oder     gendes Ereignis jedoch kaum besser sein.
etwa 295 km/h, konfrontiert.                  Als historische Basis konnte die erste und
Viele Erkenntnisse dieses Artikels entstam-   bisher einzige wissenschaftliche Studie ver-
16                                                                       ÖGM bulletin 2016/2

wendet werden, die sich mit dem Ereignis         historisch-kritischen Beurteilung der aufge-
näher befasst hat, und zwar der Artikel in der   fundenen Bild- und Textquellen.
Meteorologischen Zeitschrift aus dem Jahr        Folgende Archive wurden angefragt, und
1917 (Dörr, 1917). Dazu kommen über 120          wenn möglich ausgewertet:
aufgefundene Bildquellen von Schäden und
Bilder aus dem unmittelbaren Umfeld. Aber         1. Stadtarchiv Wiener Neustadt – zahlrei-
selbst nach dem Forschungsprojekt TOR-               che Bilder und einige Texte
Neustadt wurden im Zuge der Vorarbeiten           2. Industrieviertelmuseum – zahlreiche
für die Ausstellung „Tornado 10. Juli 1916 in        Bilder, Pläne und Texte
Wiener Neustadt“ (anlässlich des 100. Ge-         3. Österreichisches Staats- und Kriegsar-
denkjahres) neuerlich zusätzliche Archivbil-         chiv – zwei Texte
der entdeckt. Zudem existieren einige of-         4. Gemeindeamt Sollenau – ein Bericht
fizielle Berichte und Zusammenfassungen           5. Gemeindeamt Felixdorf – keine Infor-
aus den Tagen und Wochen nach dem Er-                mationen vorhanden
eignis und auch mehrere Augenzeugenbe-            6. Gemeindeamt Piesting und Dreistetten
richte aus verschiedenen Perspektiven (sie-          – keine Informationen vorhanden
he Literatur- und Quellenliste). Dazu kommt       7. Gemeindeamt Wöllersdorf – Fotos und
noch die erhaltene ereignisbezogene Be-              Augenzeugenberichte
richterstattung in den hauptsächlich lokalen      8. Österreichische Bundesforste – keine
Printmedien (siehe Literatur- und Quellen-           Informationen vorhanden
liste).                                           9. Verein Schlot.at – einige Bilder und
     Das Ereignis „Tornado“ (mit den Begrif-         Landkarten
fen Windhose, Windsbraut, Trombe und             10. Forstbetrieb der WNSKS – keine Infor-
Wirbelsturm in historisch-synonymer Ver-             mationen erhalten
wendung) wurde in den zeitgenössischen           11. Eisenbahnmuseum Strasshof – keine
Berichten bereits weitgehend als solches             Informationen erhalten
erkannt und beschrieben. Mit dem dama-             Nach der mehrmonatigen Quellensuche
ligen Wissensstand war es allerdings noch        wurden die aufgefundenen Bild- und Text-
nicht möglich Abschätzungen der maxima-          dokumente geordnet und digitalisiert. Origi-
len Windgeschwindigkeiten für den Verlauf        nalfotos und gute Kopien wurden hochauf-
des Ereignisses zu machen. Dies können wir       lösend eingescannt.
nun mit heutigem Wissen tun - zusammen
mit einer Einordnung des Tornados.
                                                   Nach     diesen vorbereitenden Schritten
                                                 wurde wie bei einer aktuellen Schadens-
2. Methodik und Daten                            analyse vorgegangen und die vorhandenen
                                                 Schadensfotos und Berichte wurden in al-
Eine zeitnahe Schadensanalyse eines Tor-         len Details einzeln bewertet. Dazu ist für
nados beginnt üblicherweise mit der detail-      jeden eindeutig identifizierbaren und zuor-
lierten Begehung und Aufnahme der Schä-          denbaren Schaden zuerst ein so genannter
den, möglichst rasch nach dem Ereignis.          Schadensindikator festzulegen (vereinfachte
Dies ist bei historischen Fällen nicht mög-      Bauklassen und Vegetationsarten nach Feu-
lich. An die Stelle der Feldanalyse und Scha-    erstein et al, 2011). Bezogen auf diesen In-
densaufnahme am Ort des Geschehens tritt         dikator wird in einem zweiten Schritt das
jedoch eine möglichst gründliche Quellen-        Ausmaß des Schadens festgestellt, welches
suche und Quellenanalyse, gefolgt von einer      nun bereits zu einer ersten Schätzung des
ÖGM bulletin 2016/2                                                                        17

einzeln betrachteten Schadens auf der F-        auf wenige Meter genau angegeben werden
Skala führt (siehe Detailbeschreibung wei-      kann. Für eine Fotoserie konnte sogar nach-
ter unten). Die einzelnen Ergebnisse wur-       vollzogen werden, welchen Weg der Fotograf
den dann im nächsten Schritt auf Plausibili-    durch die zerstörten Stadtteile vor 100 Jah-
tät geprüft und im Sinne einer Ensemblebe-      ren für seine Aufnahmen gewählt hat.
trachtung zuletzt endgültig festgelegt. Dar-       Die für die Analyse verwendete F-Skala
aus ergibt sich schließlich ein - unter Be-     wurde ursprünglich als nichtlineare Wind-
rücksichtigung der Fehlerquellen - hinrei-      skala konzipiert, von der Beaufortskala (Bft)
chend homogenes Bild des gesamten Ver-          abgeleitet, und mit dem empirischen Ex-
laufes der Tornadospur, soweit für die jewei-   ponenten 3/2 skaliert - unter Verwendung
ligen Abschnitte ausreichend Informationen      der Fixpunkte für Bft 12=v(F=1)=33 m/s und
verfügbar waren. Im dicht verbauten Stadt-      v(F=12)=330 m/s (Fujita 1971, 1981). Eine
gebiet von Wiener Neustadt ist das der Fall,    sorgfältige Analyse der Skala erfolgte durch
sonst nur vereinzelt.                           Dotzek (2009). Dotzek et al. (2000) haben
  Die im 6-Augen-Prinzip (Holzer, Schrei-       auch die leicht unterschiedlichen Geschwin-
ner, Stampfl) gewonnenen Einzelergebnisse       digkeitsgrenzen homogenisiert. Auf diese
wurden parallel in digitaler Karten- und Ta-    Werte bezieht sich auch die vorliegende Ar-
bellenform dokumentiert.                        beit (Tabelle 1). Feuerstein et al. (2011) ha-
 F-Class      km/h          km/h error          ben schließlich im Rahmen ihrer Arbeit über
 F0-          90            ±27                 die Adaptierung der Windskalen für Mit-
                                                teleuropa eine Entscheidungsmatrix (Abbil-
 F0           97            ±29
                                                dung 1), als Beziehung zwischen Indikator,
 F0+          108           ±32
                                                Schaden und Windgeschwindigkeit) vorge-
 F1-          133           ±40
                                                schlagen, die auf jener von Fujita (1992) ba-
 F1           148           ±44
                                                siert.
 F1+          162           ±49
 F2-          198           ±59                    Die detaillierte Aufnahme des Scha-
                                                denspfades erfolgte dadurch, dass anhand
 F2           216           ±65
                                                der einzelnen Schadensbilder nicht nur die
 F2+          234           ±70
                                                Blickrichtung, sondern auch Fallrichtungen
 F3-          270           ±81
                                                von Bäumen und andere Windrichtungs-
 F3           288           ±86
                                                Indikatoren eruiert wurden. Die gewonne-
 F3+          324           ±97
                                                nen Informationen wurden einerseits in
 F4           378           ±113                Tabellenform festgehalten, zeitgleich aber
 F5           468           ±140                auch in interaktives Kartenmaterial (Google-
                                                Maps) eingearbeitet. Ein wichtiger Schritt in
Tab. 1: Windgeschwindigkeitsklassen der F-      der abschließenden Gesamtbeurteilung war
Skala (beste Schätzwerte in km/h und 95 %       die Zusammenführung von allen Einzelin-
Vertrauensbereich „km/h error“ nach Holzer      formationen mit den vorhandenen Augen-
und Groenemeijer, 2015).                        zeugenberichten zur Bestimmung der Zug-
Im Lauf der Arbeit konnten die Aufnahmeor-      bahn des Tornados und der Breite der Scha-
te der einzelnen Bilder immer besser identi-    densschneise in den einzelnen Abschnit-
fiziert werden, wodurch die Genauigkeit der     ten. Dabei sind deutliche Diskrepanzen in
Ortsangaben nun typischerweise im Deka-         den Originalberichten zu Tage getreten, aus
meterbereich liegt, bei vielen Bildern sogar    denen ein schlüssiges Gesamtbild abzulei-
18                                                                       ÖGM bulletin 2016/2

ten war. Dies führt zu einer grundsätzlichen    über Wiener Neustadt wahrscheinlich das
Neubeurteilung des Gesamtereignisses. Im        Ergebnis von zwei Vorläufertornados war.
Gegensatz zur Arbeit von Dörr (1917) scheint
es schlüssig anzunehmen, dass der Tornado

Abb. 1: Bewertungsschema (Entscheidungsmatrix) für Gebäudeschäden auf Englisch (aus Feuerstein
et al., 2011).

3.1 Wetterlage                                  wärts ziehen. Die Luftdruckschwankungen
                                                am Tag davor und danach waren in Ost-
Wie aus den täglichen Wetterberichten der       österreich gering. Unmittelbar nach dem
Zentralanstalt für Meteorologie und Geody-      Tornado-Ereignis ist der Luftdruck in Mit-
namik (ZAMG, 1916) hervorgeht, liegt am         teleuropa gestiegen. Das Temperaturniveau
10. Juli 1916 ein schwaches Tief über dem       war in Ostösterreich hochsommerlich. Am
Nordwesten Europas, ein schwaches Hoch          Tag des Ereignisses ist über Mitteleuropa je-
über dem Südosten. Vom 10. auf den 11.          doch ein deutlicher Temperaturgradient von
steigt der Luftdruck von Westeuropa bis zur     Nordwest nach Südost zu sehen, abzulesen
Alpennordseite in Form eines Hochdruck-         in der folgenden Auflistung (Tabelle 2).
keiles, während Tiefs über Nordeuropa ost-
ÖGM bulletin 2016/2                                                                         19

 München                         23 Grad
 Kremsmünster                    25 Grad
 Wien Hohe Warte                 27 Grad
 Reichenau an der Rax            32 Grad
 Wiener Neustadt                 31 Grad
                                 (Wert um 14 Uhr, Maximum vermutlich höher)
 Budapest                        33 Grad
 Graz                            30 Grad
 Belgrad                         38 Grad
 Rax Karl-Ludwig Haus            18 Grad (in 1.804 m)

Tab. 2: Temperaturen am 10. Juli 1916 (ZAMG, 1916)

Dabei war die Luft sehr feucht und vom           mit Hagel. Dass bereits vor dem Tornado ein
Waldviertel bis zum Wienerwald eine bo-          Gewitter mit kräftigen Böen über der Stadt
dennahe Konvergenzzone vorhanden (ein            niedergegangen ist, wurde auch in den Text-
Zusammenfließen des Windes), an der sich         berichten erwähnt. Zwischen dem Gewitter
die Gewitter an diesem Tag bevorzugt aus-        um 17:20 Uhr, das bereits Gewitterfallböen
bilden konnten. Im Einklang mit der aktuel-      (Downbursts) produzierte, und dem Torna-
len Theorie für Tornadobildungen in Super-       do wurde es aber nochmals schwül und na-
zellen dürfte eine starke Windscherung mit       hezu windstill.
der Höhe geherrscht haben. Der Sonnblick           Aus    den Berichten lässt sich ableiten,
etwa meldet zeitweise Sturm aus Westsüd-         dass die Gewitterentwicklung über dem süd-
west. Am betreffenden Nachmittag und frü-        lichen Wiener Becken und dem Raum Hohe
hen Abend wurden von fast allen Wettersta-       Wand und Wiener Neustadt sehr komplex
tionen in Niederösterreich Gewitter gemel-       abgelaufen ist, und dass sich in der Stun-
det. Sturmböen wurden in Mödling, Preß-          de des Tornadoereignisses mehrere Zellen
burg (Ungarn), Reichenau an der Rax, Wien        entwickelt haben oder jedenfalls aktiv wa-
Zentralanstalt, und Wiener Neustadt (Stadt       ren. Aufgrund der Stärke des Tornados und
und Flugfeld) beobachtet. Hagel wurde an         den Beschreibungen der Wolkenformation
den Wetterstationen in Mödling und Wie-          können wir von zumindest einer Superzel-
ner Neustadt (Stadt und Flugfeld) gemeldet.      le ausgehen. Wie diese mit den benachbar-
Im Bericht der Meteorologischen Zeitschrift      ten Gewitterzellen interagiert hat, lässt sich
wird außerdem erwähnt, dass nördlich der         nicht mehr rekonstruieren. Die Komplexität
Sturmbahn bis zu nussgroßer Hagel gefallen       des Gewitterclusters kann jedenfalls als Vor-
ist.                                             aussetzung für die ungewöhnliche Entste-
  Die Gewittertätigkeit war also sehr ver-       hungsphase der zwei wahrscheinlichen Vor-
breitet und oft heftig. An den Stationen in      läufertornados des großen Tornados über
Wiener Neustadt wurden über den Nachmit-         Wiener Neustadt angesehen werden.
tag verteilt mehrere Gewitter registriert, und
                                                 3.2 Chronologische Beschreibung
zwar in der Stadt von 16:45 bis 17:30 Uhr
und mit Sturmböen um 17:40 Uhr. Am Flug-         Es gibt keine Aufzeichnungen von exakten
feld von 14:30 bis 15:45 Uhr, um 17:20 Uhr       Zeitangaben für den Beginn und für das
mit Sturmböen und von 17:30 bis 17:50 Uhr        Ende des Tornadoereignisses. Als maxima-
20                                                                      ÖGM bulletin 2016/2

ler Zeitrahmen kann für das gesamte Er-         2013).
eignis jedoch 17:30 bis 18:00 abgeschätzt         Weiter    verläuft die Zugbahn über den
werden. In der Meteorologischen Zeitschrift     Mahlleitenberg mit massiven Waldschäden
wird für das Gesamtereignis eine Zeitspan-      ins Steinfeld, und hier die Feuerwerksanstalt
ne von etwa 10 Minuten angegeben, oh-           im Süden streifend und über die Schießstät-
ne aber Referenzzeiten zu nennen. Dieser        te aufs Flugfeld ziehend. Hier ist von Augen-
Zeitraum scheint etwas zu knapp bemes-          zeugen von einem Knick von ostsüdöstlicher
sen, besonders weil allein für den Bereich      auf südöstliche Zugrichtung die Rede. Un-
der Josefstadt eine Zeitspanne von 4 Minu-      klar ist, ob und wie hier die wahrscheinli-
ten genannt wird. Der „nicht geeichte Ane-      chen zwei Vorläufertornados zusammenge-
mograph“ am Flugfeld (ein Modell davon          troffen sind. Siehe dazu den Augenzeugen-
ist heute noch im Stadtmuseum zu bestau-        bericht in Punkt b). Mit dem Überschreiten
nen!) hat über einen Zeitraum von 3 Mi-         der Südbahntrasse wird die Zugbahn auf-
nuten Windgeschwindigkeiten von „über 40        grund der dichten Schadensbelege eindeu-
m/s“ (Dörr, 1917) gemessen.                     tig nachvollziehbar. Zunächst verläuft die
   Da keine genauen Zeitangaben verfüg-         Schadensspur noch ostsüdöstlich über die
bar sind, kann auch die Zuggeschwindigkeit      Josefstadt. Ab dem „Auge Gottes“ genannten
nicht befriedigend abgeschätzt werden. Aus      Kreuzungsbereich von Wiener und Potten-
den Berichten geht hervor, dass sich über       dorfer Straße verläuft die Zugbahn östlich,
dem Flugfeld wahrscheinlich zwei Vorläu-        und ab der Lokomotivfabrik ostnordöstlich,
fertornados zum Haupttornado vereinigt          bevor sich der auflösende Tornado in den
haben, oder diese zumindest sehr zeitnah        Leitha-Auen nochmals nach Südosten be-
in einen räumlich engen Bereich gemündet        wegt.
sind und dann unmittelbar zur Bildung des
                                                b) wahrscheinlicher nördlicher Vorläufer-
Haupttornados geführt haben. Insgesamt
                                                tornado
lässt sich folgender Verlauf nachvollziehen,
ohne dafür genaue Zeitangaben zu besitzen:      Dazu liegt ein Bericht von Professor Leo-
a) westlicher Vorläufertornado und Haupt-       pold Schmidt, dem Wiener Neustädter
tornado                                         Flugfeld-Pionier, vor (WNN, 1916), der in
                                                einem von Wien kommenden Zug von Le-
Er    entstand zwischen Vorderer Hoher          obersdorf nach Wiener Neustadt fuhr, also
Mandling und Vorderer Hoher Wand, je-           nach Süden:
doch ohne nachgewiesenen Bodenkontakt           „Es herrschte Gewitterschwüle, doch Wind-
westlich von Peisching. Erste Schäden tra-      stille, als ich in Leobersdorf den Zug um
ten in Peisching mit abgedeckten Dächern        5 Uhr 28 Minuten gegen Neustadt bestieg.
auf und ab hier gab es laut Bericht der Me-     Über das Triestingtal ging ein heftiges Ge-
teorologischen Zeitschrift (Dörr, 1917) einen   witter nieder. Auf der Fahrt blieb in der Nä-
durchgehenden Schadenspfad bis zur Leitha       he des Eisenbahnzuges die Windstille anhal-
östlich von Wiener Neustadt. Von Peisching      tend, während eine Wolkenbank im Westen
verläuft die Zugbahn ostsüdöstlich über das     plötzlich sich mit rasender Eile in der Rich-
Hartl mit Waldschäden, und dann über den        tung von Hirtenberg nach Südosten in Be-
nördlichen Teil von Dreistetten. Hier wer-      wegung setzte. Bei Felixdorf bemerkte man
den einige Häuser schwer beschädigt und es      etwa zwei Kilometer westlich von der Bahn-
ist das erste Todesopfer zu beklagen (OHK,      strecke eine kleine Windhose entstehen, wel-
ÖGM bulletin 2016/2                                                                        21

che in geringem Umfange, wie es häufig zu        nado klar von dem Phänomen unterschei-
sehen ist, etwa mit derselben Geschwindig-       den hätte können, das er beschreibt, und
keit wie der Eisenbahnzug und parallel mit       zwar jenes etwa zur selben Zeit aus Nor-
diesem fortschritt. Diese Windhose hielt sich    den parallel zur Bahnlinie ziehend. Warum
mit ganz geringen Veränderungen ziemlich         Schmidt den westlichen Tornadovorläufer
gleich. Zwischen Theresienfeld und Wr. Neu-      nicht gesehen hat, und warum die Beobach-
stadt aber nahmen ihre fortschreitende Ge-       ter am Flugfeld den aus Norden heranzie-
schwindigkeit und auch ihr Umfang zu. Sie        henden wahrscheinlichen zweiten Tornado-
wuchs rasch zu einem Durchmesser von zirka       vorläufer nicht bemerkt haben, können wir
ein Kilometer an und dürfte eine 3 – 5 fache     nur mutmaßen. Als drei von vielen mög-
Höhe erlangt haben. Aufgewirbelte Ackerer-       lichen Szenarien sind sichteinschränkende
de machte den Wirbel zu einer tiefschwarzen,     Regenvorhänge, unterschiedliche Lichtver-
scharf begrenzten Säule. Die fortschreiten-      hältnisse oder eine Aufmerksamkeitsablen-
de Bewegung zielte gegen die Hangaranlage        kung durch das jeweils besser sichtbare
am Flugfelde. In der Nähe derselben muss         Tornadogeschehen zu nennen. Mit deut-
in scharfem Bogen eine Ablenkung eingetre-       lich geringerer Wahrscheinlichkeit kann für
ten sein, welche die Windhose nun in steilem     den wahrscheinlichen nördlichen Vorläufer-
Winkel über das Geleise gegen den nördlichen     tornado ein Gustnado (Gewitterböenfront-
Teil Wr. Neustadts führte, wo die Dimensio-      wirbel) angenommen werden. Nahezu aus-
nen derselben das Maximum erreichten und         schließen kann man aufgrund der plasti-
eine Stätte entsetzlicher Verwüstungen die       schen Schilderung reine Gewitterfallböen
weitere Bahn nur zu gewaltig gekennzeichnet      (Downbursts) mit aufgewirbelten Staubfah-
hat und mehr als ein Drittel Tausend Men-        nen. Aus unserer davon unabhängigen Ana-
schen Tod und Verletzungen brachte.“             lyse der Schäden geht hervor, dass tatsäch-
  Dieser Augenzeugenbericht wird in der          lich zwei Objekte außerhalb der Zugbahn
zeitgenössischen Analyse in der Meteoro-         des westlichen Vorläufertornados stark in
logischen Zeitschrift (Dörr, 1917) nicht er-     Mitleidenschaft gezogen wurden. Diese las-
wähnt und steht im Widerspruch zur dort          sen sich mit der obigen Beschreibung des
vertretenen Theorie eines einzelnen Tor-         Augenzeugen Schmidt weitgehend in Ein-
nados. Der zitierte Augenzeuge, Professor        klang bringen. Und zwar zunächst ein sich
Leopold Schmidt, war (ÖBL, 1992) Aviati-         im nordöstlichen Bereich des Flugfeldes in
ker, Mitbegründer des Wiener Neustädter          Bau befindlicher Hangar, und das sich eben-
Flugfeldes und führte dort Windmessun-           falls am Rande des Flugfeldes in Bau be-
gen mit einem selbst konstruierten Wind-         findliche Heizhaus (die heutige Flugfeld-
messer ein, die er statistisch auswertete.       Kirche). Da keine Berichte vorliegen, die ex-
Schmidt war also mit der Landschaft west-        akt beschreiben, ob diese Gebäude von ei-
lich von Wiener Neustadt bestens vertraut,       nem Tornado erfasst wurden, und diesbe-
kannte die genauen Entfernungen und hat          züglich auch der Bericht unscharf ist, kann
(wie wir aus seinem Bericht schließen) auf       nicht ganz ausgeschlossen werden, dass die-
der Heide bereits öfter Kleintromben beob-       se zwei Objekte von Gewitterfallböen getrof-
achtet („ . . . kleine Windhose . . . wie häu-   fen wurden. Gegen Downbursts spricht, dass
fig zu sehen . . . “). Wir können daher da-      die benachbarten Objekte völlig unbeschä-
von ausgehen, dass Schmidt den aus Wes-          digt blieben, und der Augenzeugenbericht
ten über den bewaldeten Bergrücken auf das       von Schmidt mit hoher Wahrscheinlichkeit
Flugfeld ziehenden westlichen Vorläufertor-      von einem Tornado spricht.
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Die beiden Vorläufertornados müssen auf- Über          der Josefstadt und im Bereich zwi-
grund der vorliegenden Informationen für        schen Friedhof und „Auge Gottes“ wurde
zumindest einige Minuten zeitgleich exis-       eine maximale Intensität von F2+ erreicht,
tiert und sich im Bereich des Flugfeldes in     und die Schadensbreite von zumindest F0-
einem zeitlich sehr engen Bereich angenä-       Schäden erreichte etwa 400 m, während die
hert oder vereinigt haben, wobei die Vereini-   optische Wahrnehmung des Tornados bis zu
gungsvariante durch den oben zitierten Au-      1 km Durchmesser betrug. Im Bereich der
genzeugen nahegelegt, jedoch nicht direkt       „Alten Lokomotivfabrik“ betrug die maxi-
beobachtet wird. Absolute Klarheit können       male Intensität F4 bei einer Schadensbreite
wir nach so langer Zeit dazu mangels Quel-      von etwa 600m für zumindest F0-Schäden.
len nicht mehr erlangen.                        Hier wurden die größten Schäden verur-
                                                sacht.
c) Beschreibung der Wirkungen in Wiener
Neustadt und Auflösung des Tornados

             Abb. 2: „Alte Lokomotivfabrik“ (Archiv Stadtmuseum Wiener Neustadt).

Bei   den Daimler-Werken ging die maxi-         wenigen hundert Metern völlig auf und rich-
male Intensität wieder auf F2+ zurück, und      tet keine Schäden mehr an.
die Schadensbreite auf etwa 400m. Weiter
                                                3.3 Zahlen und Fakten
östlich verlief die Tornadospur über Wie-
sen und Äcker und südlich von Lichten-          Während das Teilstück des westlichen Vor-
wörth über die Leitha-Auen, wo immer noch       läufertornados etwa 13 km lang ist, er-
schwere Waldschäden verursacht wurden,          streckt sich das Teilstück des wahrschein-
sich die Breite der Sturmbahn aber beim         lichen nördlichen Vorläufertornados über
Eintritt in die Hofau bereits auf etwa 80 m     rund 5 km, der Haupttornado weist schließ-
verengte.                                       lich ab dem als wahrscheinlich anzuneh-
Östlich der Leitha löst sich der Tornado nach
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