Strafprozessrecht 12. Auflage - Bertel / Venier - BIC media

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Bertel / Venier

Strafprozessrecht
12. Auflage
Strafprozessrecht
                                   von

           Dr. Christian Bertel
          em. o. Universitätsprofessor in Innsbruck

                                   und

            Dr. Andreas Venier
             Universitätsprofessor in Innsbruck

                       12. Auflage

                                   F T   I
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                                   1 8 4 9

                   Wien 2019
 MANZ’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung
Zitiervorschlag: Bertel/Venier, Strafprozessrecht12 (2019) Rz . . .

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                               ISBN 978-3-214-14949-9

                ,
     © 2019 MANZ sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung GmbH, Wien
                           Telefon: (01) 531 61-0
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                                www.manz.at
                     Druck: FINIDR, s.r.o., Český Těšín
Vorwort zur 12. Auflage
     In der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit entsteht der
Verdacht, Beamte des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terroris-
musbekämpfung begehen Straftaten. Der Staatsanwalt erfährt von dem
Verdacht und beantragt, die Räume des Bundesamtes nach § 117 Z 2 lit b,
§ 120 Abs 1 zu durchsuchen; der Ermittlungsrichter bewilligt die Durch-
suchung, der Staatsanwalt ordnet sie an, die Kriminalpolizei führt sie
durch und stellt amtsgeheime Akten und Dateien sicher. Solche Fälle gibt
es in Österreich, freilich erst seit kurzer Zeit.
                                       I.
     Die StPO hat sich um den Schutz beruflicher Verschwiegenheits-
pflichten mehrfach bemüht. Rechtsanwälte, Notare und Wirtschaftstreu-
händer, Psychotherapeuten, Psychologen und Bewährungshelfer können
über Umstände, die ihnen in dieser Eigenschaft bekannt geworden sind,
als Zeugen die Aussage verweigern (§ 157 Abs 1 Z 2, 3). Diese Aussage-
verweigerungsrechte dürfen durch Sicherstellung von Akten und Daten-
trägern nicht umgangen werden (§ 157 Abs 2; Rz 201). Um solchen Um-
gehungen vorzubeugen und sie zu verhindern, hat die StPO ein besonde-
res Verfahren geschaffen.
     Der Staatsanwalt kann die Kanzlei eines Rechtsanwalts von der Kri-
minalpolizei durchsuchen lassen (§ 117 Z 2 lit b, § 120 Abs 1); immerhin
muss die Durchsuchung vom Gericht bewilligt werden (§ 120 Abs 1), der
Anwalt darf und ein Vertreter der Rechtsanwaltskammer muss bei der
Durchsuchung anwesend sein (§ 121 Abs 2; Rz 235). Der Rechtsanwalt
und der Kammervertreter können der Sicherstellung von Aufzeichnungen
oder Datenträgern widersprechen und sich auf die Pflicht des Anwalts zur
Verschwiegenheit berufen; dann müssen die Unterlagen in einem ver-
schlossenen Kuvert oder Aktenkoffer bei Gericht hinterlegt werden
(§ 112 Abs 1); das Gericht gibt dem Anwalt die Unterlagen zurück, wenn
sie unter seine Pflicht zur Verschwiegenheit fallen oder unerheblich sind;
sonst nimmt es sie zu dem Akt (§ 112 Abs 2; Rz 223). Unterlagen, welche
die Polizei trotz eines Widerspruchs des Anwalts oder Kammervertreters
selbst zum Akt nimmt, sind nichtig (§ 112 Abs 2, § 157 Abs 2), sie dürfen
in dem Verfahren als Beweismittel nicht verwendet werden (Rz 191).
     Beamte dürfen über Umstände, die der Amtsverschwiegenheit unter-
liegen, als Zeugen nur vernommen werden und als Zeugen nur aussagen,
wenn sie die Dienstbehörde von der Amtsverschwiegenheit entbunden
hat (§ 155 Abs 1 Z 2; Rz 198). Was ein Beamter, den die Dienstbehörde

                                                                       III
Vorwort

von der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit nicht entbunden hat, als Zeuge
über amtsgeheime Umstände aussagt, ist nichtig (§ 155 Abs 1), darf in
dem Verfahren als Beweismittel nicht verwendet werden (Rz 191). Dass
Staatsanwalt und Ermittlungsrichter dieses Vernehmungsverbot umgehen
könnten, indem sie Amtsräume der Behörde durchsuchen, Akten und
Datenträger sicherstellen lassen und aus ihnen amtsgeheime Umstände
erfahren, welche die Behörde (vielleicht) nicht preisgeben will, davon ist
im Gesetz nicht einmal die Rede; es trifft keine Vorkehrungen, solchen
Umgehungen vorzubeugen und sie zu verhindern. Sollte die Polizei bei
einer Hausdurchsuchung in den Amtsräumen einer Behörde größere
Freiheiten haben als bei der Hausdurchsuchung in einer Rechtsanwalts-
kanzlei? Dafür gibt es keinen, schlechterdings gar keinen Grund. Offen-
sichtlich haben die Verfasser der StPO Durchsuchungen und Sicherstel-
lungen, um das Amtsgeheimnis zu umgehen, für gar nicht möglich ge-
halten.
      Der Grund liegt auf der Hand. Kriminalpolizei, Staatsanwalt und Ge-
richt können für ihre Ermittlungen die Unterstützung aller Behörden und
öffentlichen Dienststellen des Bundes, der Länder, der Gemeinden und
anderer gesetzlich eingerichteter Körperschaften und Dienststellen des öf-
fentlichen Rechts in Anspruch nehmen (§ 76 Abs 1), sie um Auskünfte
oder die Übermittlung von Akten, Datenträgern oder Kopien ersuchen
(Rz 109). Staatsanwälte und Ermittlungsrichter, die Behörden um Rechts-
hilfe ersuchen, haben es nicht nötig, deren Amtsräume nach Akten und
Datenträgern durchsuchen zu lassen. Freilich kann die ersuchte Behörde
die Herausgabe von Akten und Datenträgern verweigern, wenn sie der
Meinung ist, sie enthalten amtsgeheime Umstände und das Interesse an
deren Geheimhaltung wiege schwerer als das Interesse an der Wahrheits-
findung im Strafprozess (§ 76 Abs 1, 2, 4); und die Dienstbehörde kann
sich aus eben diesem Grund weigern, einen Beamten, der als Zeuge über
amtsgeheime Umstände aussagen soll, von der Pflicht zur Amtsver-
schwiegenheit zu entbinden (§ 46 Abs 3 BDG; Rz 198). Ob das Interesse
an der Wahrung des Amtsgeheimnisses oder das an der Wahrheitsfin-
dung im Strafprozess vorgeht, entscheidet die ersuchte Behörde.
      Das Gesetz hat die Pflicht zur Rechtshilfe eindeutig und aus einsich-
tigen Gründen beschränkt. Die ersuchte Behörde muss ein Rechtshilfeer-
suchen ablehnen, wenn sie der Meinung ist, dass der Beantwortung über-
wiegende Interessen an der Wahrung eines Amtsgeheimnisses entgegen-
stehen (§ 76 Abs 1, 2, 4). Dass Staatsanwälte und Ermittlungsrichter diese
Beschränkungen umgehen, indem sie eine Behörde nicht um Amtshilfe
ersuchen, sondern ihre Amtsräume durchsuchen und amtsgeheime Akten
ohne Zustimmung des Behördenleiters wegbringen lassen, ist rechtswid-
rig. Die §§ 119 ff rechtfertigen eine solche Umgehung nicht.

IV
Vorwort

      Was ein Beamter als Zeuge über amtsgeheime Tatsachen aussagt,
ist nichtig, wenn er von der Verschwiegenheitspflicht nicht entbunden
wurde (§ 155 Abs 1 Z 2). Wenn die Verfasser des Gesetzes vorausgese-
hen hätten, Polizei, Staatsanwälte und Gerichte werden einmal Amtsge-
heimnisse nicht durch die Vernehmung von Beamten und nicht durch
Rechtshilfe, sondern durch Sicherstellungen amtsgeheimer Akten und
Datenträger in Amtsräumen von Behörden erlangen, hätten sie das
rechtswidrig sichergestellte Material gewiss auch ausdrücklich für nichtig
erklärt; aber offensichtliche Missbräuche kann auch der klügste Gesetz-
geber nicht immer voraussehen. So muss man amtsgeheime Akten und
Datenträger, welche die Strafjustiz von anderen Behörden nicht durch
Rechtshilfe, sondern durch rechtswidrige Sicherstellungen erlangt, in
analoger Anwendung der § 155 Abs 1 Z 2, § 157 Abs 2 für nichtig hal-
ten: Sie dürfen im Strafverfahren als Beweismittel nicht verwendet wer-
den (Rz 191).
      Manche werden dem vielleicht entgegenhalten, dass Kriminalpoli-
zei, Staatsanwalt und Gericht die Wahrheit zu erforschen und alle Tat-
sachen aufzuklären haben, die für die Beurteilung der Tat und des Be-
schuldigten von Bedeutung sind (§ 3; Rz 10). Diesen Gegnern ist zu er-
widern, dass Kriminalpolizei, Staatsanwalt und Gericht die Wahrheit im
Rahmen des Gesetzes zu erforschen haben (§§ 1, 5 Abs 1; Rz 23).
Rechtsbrüche sind nicht erlaubt, auch wenn sie zur Wahrheitsfindung
beitragen könnten.
                                       II.
      In den hier erörterten Fall sind die Generaldirektion für die öffent-
liche Sicherheit und das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terroris-
musbekämpfung verwickelt; beide sind „Organisationseinheiten“ des BMI
(§ 1 Abs 3 Polizeiliches StaatsschutzG), beide unterstehen dem BMI.
      Wenn in einer Behörde der Verdacht von Missständen entsteht,
kann der Leiter in einer internen Untersuchung klären, um welche Miss-
stände es sich handelt und wie sie zu beheben sind. Straftaten wird er dem
Staatsanwalt anzeigen (§ 78 Abs 1; Rz 110) und ihm die zur Untersu-
chung nötigen Akten übermitteln. So erfährt die Strafjustiz Amtsgeheim-
nisse nur, wenn sie für die Untersuchung von Bedeutung sind und die
Behörde sie ohne Beeinträchtigung überwiegender Interessen (§ 76 Abs 1,
2, 4) weitergeben kann. In diesem Fall sind die Verantwortlichen weniger
umsichtig vorgegangen; sie haben die Kriminalpolizei suchen und mit-
nehmen lassen, was sie zu brauchen glaubt. Warum wohl? Wussten die
Verantwortlichen und wussten die Kriminalbeamten, welchen Verdacht
welcher strafbaren Handlungen es aufzuklären galt? Wussten sie über-
haupt, wonach sie suchten? Wir wissen es nicht. Sehr wahrscheinlich aber
ist, dass bei diesem Polizeieinsatz Amtsgeheimnisse in größerem Umfang

                                                                         V
Vorwort

einer größeren Zahl von Personen bekannt geworden sind, als bei um-
sichtigem Vorgehen nötig gewesen wäre.
                                      III.
     Erfreulich ist an dieser Geschichte nur eines: Das OLG Wien hat die
Durchsuchung des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismus-
bekämpfung und die Sicherstellung von Akten in diesem Amt für rechts-
widrig erklärt. Wir kennen die Entscheidung leider nicht und können sie
darum nicht würdigen. Im Ergebnis jedenfalls hat das OLG Wien Recht.
                                     IV.
    Professor Bertel hat die Rz 1 – 220, 300 – 396, Professor Venier die
Rz 221 – 299, 397 – 501 verfasst.
    Frau Mag. Laura Viktoria Elsenhans hat uns beim Korrekturlesen
geholfen. Ihr wollen wir herzlich danken.

     Innsbruck, im Jänner 2019                     Christian Bertel
                                                   Andreas Venier

VI
Inhaltsverzeichnis
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV

 1. Kapitel: Das Strafverfahren und seine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                   1
    1. Das Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .            1
    2. Der Beginn des Strafverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                    3
    3. Amtswegigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .           3
    4. Objektivität und Wahrheitserforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                           4
    5. Anklagegrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .              6
    6. Gesetz- und Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                       7
    7. Rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .             9
    8. Recht auf Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .               12
    9. Unschuldsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .               13
   10. Beschleunigungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .               14
   11. Beteiligung der Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .              14
   12. Geschworene und Schöffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                   15
   13. Mündlichkeit und Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                    16
   14. Die Unmittelbarkeit, Ermittlungs- und Hauptverfahren . . . . . . . . . . . . .                                     17
   15. Freie Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                18
   16. Vorfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .      19
   17. Das Verschlechterungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                    20
   18. Verbot wiederholter Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                      21
 2. Kapitel: Behörden und Amtshandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                              24
    1. Die Staatsanwälte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .          24
    2. Die Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .         27
    3. Ausschließung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .          31
    4. Der Rechtsschutzbeauftragte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                  33
    5. Verfügungen, Beschlüsse, Beschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                           33
    6. Allgemeine Regeln für Ermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                       36
 3. Kapitel: Beteiligte, Beschuldigte, Verteidiger, Vertreter . . . . . . . . . . . . . .                                 40
    1. Beteiligte und Betroffene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .              40
    2. Beschuldigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .       40
    3. Verteidiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .      47
    4. Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    51
    5. Privatbeteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .       52
    6. Privatankläger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .         54
    7. Subsidiarankläger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .          55
    8. Vertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .      55
 4. Kapitel: Das Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                       56
    1. Die Tätigkeit der Kriminalpolizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                    56

                                                                                                                         VII
Inhaltsverzeichnis

       2.   Die Leitung durch den Staatsanwalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                  57
       3.   Das Gericht im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                   58
       4.   Einspruch wegen Rechtsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                  59
       5.   Antrag auf Einstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .        62
       6.   Überprüfung der Höchstdauer des Ermittlungsverfahrens . . . . . . . . . . . .                                 63
 5. Kapitel: Beweisaufnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                  64
    1. Nichtigkeiten als Beweisverwertungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                           64
    2. Erkundigungen und Vernehmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                           65
    3. Die Vernehmung von Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                      66
    4. Die Vernehmung von Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                           70
    5. Augenschein und Tatrekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                        72
    6. Sachverständige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .          73
    7. Urkunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .       75
 6. Kapitel: Ermittlungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                       76
    1. Sicherstellung, Zwang zur Herausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                         76
    2. Beschlagnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .            77
    3. Die Auskunft aus dem Kontoregister und über Bankkonten und Bankge-
       schäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    78
    4. Identitätsfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .           79
    5. Wohnungsdurchsuchung, Durchsuchung anderer Räume . . . . . . . . . . . .                                           79
    6. Personendurchsuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                 81
    7. Körperliche Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                   82
    8. Observation, verdeckte Ermittlung, Scheingeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . .                                83
    9. Beschlagnahme von Briefen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                    84
   10. Datenauskunft, Nachrichtenüberwachung, Anlassdatenspeicherung, opti-
       sche und akustische Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                        84
 7. Kapitel: Sicherheitsleistung, Festnahme, Untersuchungshaft . . . . . . . . . .                                        87
    1. Die Sicherheitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .              87
    2. Festnahme und Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                        87
    3. Die Festnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .          88
    4. Die Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                90
    5. Die Grundrechtsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                    96
 8. Kapitel: Beendigung des Ermittlungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
    1. Absehen von einem Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
    2. Einstellung des Ermittlungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
    3. Fortführung des Ermittlungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
    4. Die Diversion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
 9. Kapitel: Das Hauptverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                  106
    1. Anklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     106
    2. Anklageschrift und Einspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                  107
    3. Das Verfahren bis zur Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                            108
    4. Der Ablauf der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                       110
    5. Die Unmittelbarkeit und ihre Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                            115
    6. Unterbrechung, Vertagung, Wiederholung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                            117
    7. Anklage und Urteil, Anklageausdehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                           118
    8. Das Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .      120
    9. Die Ausfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .          121
   10. Das Hauptverhandlungsprotokoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                      124

VIII
Datenauskunft und Nachrichtenüberwachung

10. Kapitel: Rechtsmittel gegen Urteile des Schöffengerichts . . . . . . . . . . . . .                                    126
    1. Gemeinsame Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                126
    2. Die Nichtigkeitsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                 127
    3. Das Verfahren über Nichtigkeitsbeschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                               138
    4. Die Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .         141
11. Kapitel: Die Hauptverhandlung vor dem Geschworenengericht und die
    Rechtsmittel gegen seine Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
    1. Die Hauptverhandlung vor dem Geschworenengericht . . . . . . . . . . . . . . 145
    2. Rechtsmittel gegen Urteile des Geschworenengerichts . . . . . . . . . . . . . . . 149
12. Kapitel: Das Verfahren vor dem BG und dem Einzelrichter des LG . . . .                                                151
    1. Das Hauptverfahren vor dem BG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                        151
    2. Die Berufung gegen Urteile des BG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                        152
    3. Das Verfahren vor dem Einzelrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                        155
    4. Das Mandatsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .               156
13. Kapitel: Das Verfahren nach dem JGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                           158
    1. Jugendliche und junge Erwachsene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                       158
    2. Staatsanwalt, Gericht, Jugendgerichtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                       158
    3. Alternativen zur Bestrafung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                  159
    4. Gesetzlicher Vertreter und Verteidiger im Verfahren gegen Jugendliche .                                            161
    5. Vertrauenspersonen, Festnahme und Untersuchungshaft, Hauptverhand-
       lung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   163
14. Kapitel: Das Verfahren bei Maßnahmen, Verfall, Einziehung, Konfiska-
    tion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
     1. Unterbringung und Tätigkeitsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
     2. Verfall, Einziehung, Konfiskation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
15. Kapitel: Bedingte Nachsicht und bedingte Entlassung, Zahlungsaufschub 169
    1. Bedingte Nachsicht und bedingte Entlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
    2. Zahlungsaufschub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
16. Kapitel: Die Wiederaufnahme und andere Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . .                                        172
    1. Die Wiederaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .               172
    2. Die außerordentliche Wiederaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                            174
    3. Die Erneuerung des Strafverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                       175
    4. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                              176
    5. Nachträgliche Strafmilderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                   177
    6. Der Einspruch gegen das Abwesenheitsurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                             177
    7. Die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . .                                    178
17. Kapitel: Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
18. Kapitel: Entschädigung für Haft und Verurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
19. Kapitel: Die Begnadigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

                                                                                                                          IX
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                                                                          XVII
1. Kapitel:
        Das Strafverfahren und seine
                Grundsätze

                   1. Das Strafverfahren
      A. Strafverfahren und Verwaltungsstrafverfahren. Straftaten wer- 1
den von Gerichten oder von Verwaltungsbehörden abgeurteilt. Die StPO
gilt für die Aufklärung und Aburteilung von Taten, deren Aburteilung
den Gerichten zusteht (§ 1 Abs 1). Für die Aufklärung und Aburteilung
von Straftaten, deren Aburteilung Verwaltungsbehörden überlassen ist,
gelten die VerwaltungsverfahrensG. Diese Zweigleisigkeit darf nicht dazu
führen, dass der Beschuldigte wegen derselben Tat in einem Straf- und in
einem Verwaltungsstrafverfahren verfolgt wird (s Rz 70).
     B. Der Ablauf des Verfahrens. Das Strafverfahren besteht aus dem 2
Ermittlungsverfahren, dem Haupt- und dem Rechtsmittelverfahren. Im
Ermittlungsverfahren (§§ 91 – 209 b) gibt es keine allzu großen Unter-
schiede; aber Haupt- und Rechtsmittelverfahren unterscheiden sich, je
nachdem ob die Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht, dem Ge-
schworenengericht, dem BG oder dem ER des LG stattfindet.
     Als Normalfall regelt die StPO das Hauptverfahren vor dem „klein
besetzten Schöffengericht“ (§ 32 Abs 1, 1 a, §§ 210 – 279); es besteht aus
dem Vorsitzenden und den beiden Schöffen.
     Das JGG enthält zahlreiche prozessuale Sonderbestimmungen.
     C. Das Ermittlungsverfahren beginnt, wenn die Kriminalpolizei 3
oder der Staatsanwalt zur Aufklärung eines „Anfangsverdachts“ ermittelt
(§ 1 Abs 2, 3; Rz 9). Der Staatsanwalt leitet das Ermittlungsverfahren
(§ 101 Abs 1), soweit er mit dem Fall befasst wird. Das kann durch Be-
richte der Kriminalpolizei geschehen (§ 100 Abs 2, 3, 3 a). Sie muss dem
Staatsanwalt ua berichten, wenn sie Zwangsmittel für notwendig hält
(§ 100 Abs 2 Z 2), die der Staatsanwalt anordnen, vielleicht auch das Ge-
richt bewilligen muss (§ 105 Abs 1) – zB eine Hausdurchsuchung oder
Festnahme – oder wenn sie einem Beweisantrag des Beschuldigten nicht
entsprechen will (§ 55 Abs 4).
     Wenn die Kriminalpolizei ihre Ermittlungen für abgeschlossen hält, 4
erstattet sie dem Staatsanwalt den Abschlussbericht (§ 100 Abs 2 Z 4).
                                                                     1
5–7                                Das Strafverfahren und seine Grundsätze

    Der Staatsanwalt kann weitere Ermittlungen durch die Kriminalpolizei
    anordnen (§ 101 Abs 4); er kann das Ermittlungsverfahren einstellen,
    wenn die Tat nicht strafbar ist oder kein tatsächlicher Grund zur weiteren
    Verfolgung des Beschuldigten besteht (§ 190); er kann dem Beschuldigten
    eine diversionelle Maßnahme vorschlagen (§ 198), zB eine Geldbuße zu
    bezahlen, und, wenn der Beschuldigte sie bezahlt, von der Verfolgung zu-
    rücktreten (§ 200 Abs 5). Sonst erhebt der Staatsanwalt die Anklage
    (§ 210). Damit beginnt das Hauptverfahren.
5      D. Das Hauptverfahren. Die Anklage ist im schöffengerichtlichen
  Verfahren eine Anklageschrift (§ 211). Der Beschuldigte kann dagegen
  Einspruch erheben, zB weil die ihm zur Last gelegte Tat nicht strafbar
  oder das Gericht nicht zuständig sei (§ 212 Z 1, 3, 5, 6). Über den Ein-
  spruch entscheidet das OLG (§ 213 Abs 6). Wenn der Beschuldigte kei-
  nen Einspruch erhebt oder das OLG ihn abweist, stellt das Gericht fest,
  die Anklage sei rechtswirksam (§ 213 Abs 4, § 215 Abs 6); damit ist der
  Weg frei zur Hauptverhandlung.
6      Der Vorsitzende kann ergänzende Ermittlungen durch die Kriminal-
  polizei durchführen lassen (§ 210 Abs 3); er bestimmt den Verhandlungs-
  termin und lässt die Personen laden, deren Anwesenheit in der Hauptver-
  handlung notwendig ist (§ 221 Abs 1, 2).
7      Die Hauptverhandlung findet vor einem Schöffensenat statt (§ 32
  Abs 1, 1 a; Rz 2). Sie ist öffentlich (§ 228). Der Angeklagte muss in der
  Verhandlung einen Verteidiger haben (§ 61 Abs 1 Z 4) und zu allen we-
  sentlichen Fragen und Beweisergebnissen gehört werden (§ 6 Abs 2). Er
  darf bei der Vernehmung zur Sache eine zusammenhängende Darstellung
  des Geschehens geben (§ 164 Abs 3, § 245 Abs 1), er muss nach jeder Be-
  weisaufnahme aufgefordert werden, dazu Stellung zu nehmen (§ 248
  Abs 3), und darf jedem, der in der Hauptverhandlung vernommen wird,
  Fragen stellen (§ 249 Abs 1).
       Der Angeklagte hat ein Beweisantragsrecht (§ 55), er kann zB die
  Vernehmung weiterer Zeugen oder die Verlesung von Urkunden bean-
  tragen. Das Gericht muss Zeugen in der Hauptverhandlung vernehmen,
  darf Vernehmungen nicht durch die Verlesung von Protokollen aus dem
  Ermittlungsverfahren ersetzen (Grundsatz der Unmittelbarkeit; § 13
  Abs 3, Rz 54): Das Gericht muss nachprüfen, ob der Zeuge wirklich sagt,
  was im Protokoll steht, und der Angeklagte kann sein Fragerecht nur aus-
  üben, wenn der Zeuge in seiner Gegenwart vernommen wird. Der Ange-
  klagte hat ein Recht auf ein Schlusswort (§ 255). Bei der Urteilsfällung
  darf das Gericht nur Beweise berücksichtigen, die in der Hauptverhand-
  lung aufgenommen wurden (Grundsatz der Mündlichkeit; § 12 Abs 2,
  Rz 50). Nur zu dem, was in der Hauptverhandlung vorkommt, wird der
  Beschuldigte gehört.
    2
Amtswegigkeit                                                    8 – 11

     E. Das Rechtsmittelverfahren. Mit der Nichtigkeitsbeschwerde kön- 8
nen die Parteien Nichtigkeitsgründe geltend machen (§ 281 Abs 1). Sie
bestehen in Verfahrensfehlern (§ 281 Abs 1 Z 1 – 4; Rz 360 ff), in der
mangelhaften Feststellung und Begründung entscheidender Tatsachen
(§ 281 Abs 1 Z 5; Rz 367 ff), in deren unrichtiger rechtlicher Beurteilung
(§ 281 Abs 1 Z 9, 10; Rz 377) oder in gewissen Fehlern bei der Strafzu-
messung (§ 281 Abs 1 Z 11; Rz 379). In der Berufung können die Parteien
Fehler geltend machen, die dem Gericht bei der Strafzumessung oder bei
der Gewährung oder Nichtgewährung der bedingten Strafnachsicht un-
terlaufen sind (§ 283 Abs 1; Rz 390).

         2. Der Beginn des Strafverfahrens
     A. Der Anfangsverdacht. Strafverfahren werden nicht eingeleitet, sie 9
beginnen, sobald die Kriminalpolizei oder der Staatsanwalt zur Aufklä-
rung eines Anfangsverdachts ermittelt (§ 1 Abs 2). Für den Anfangsver-
dacht genügen „bestimmte Anhaltspunkte“, die „annehmen“ lassen, „dass
eine Straftat begangen worden ist“ (§ 1 Abs 3): Die Anhaltspunkte sind
Tatsachen, die einen unbefangenen, rechtskundigen und lebenserfahre-
nen Menschen veranlassen, eine Straftat für möglich zu halten. Aber die
mögliche Straftat muss nicht wahrscheinlich, der Anfangsverdacht muss
kein dringender Verdacht, und ein Verdächtiger muss noch nicht be-
kannt sein (Rz 119).
     B. Gesetzmäßigkeit. Jedes Verfahren, in dem der (Anfangs-)Ver- 10
dacht einer Straftat aufgeklärt und Verdächtige verfolgt werden, ist ein
Strafverfahren (§ 1 Abs 1). So müssen alle Bemühungen der Polizei oder
des Staatsanwalts, einen Verdacht aufzuklären, der StPO entsprechen.
Wenn die Polizei zweifelt, ob eine Anzeige für einen Anfangsverdacht
reicht, muss sie dem Staatsanwalt berichten (§ 100 Abs 3 a) und dessen
Entscheidung abwarten.

                      3. Amtswegigkeit
     Kriminalpolizei und Staatsanwalt haben – nach den Regeln der StPO 11
– für die Aufklärung jedes Anfangsverdachts (§ 1 Abs 3; Rz 9) zu sorgen,
der ihnen in amtlicher Eigenschaft bekannt wird (§ 2 Abs 1). Von dieser
Verfolgungspflicht („Legalitätsgrundsatz“) gibt es Ausnahmen. Der
Staatsanwalt kann das Ermittlungsverfahren wegen geringfügiger Taten
(§ 191 Abs 1) und er kann das Verfahren wegen einzelner von mehreren
Taten eines Beschuldigten einstellen, wenn das auf Strafen und Maßnah-
men keinen wesentlichen Einfluss haben oder der anzuwendende Straf-
satz gleich bleiben wird (§ 192 Abs 1 Z 1, 1 a; Rz 286 f). Eine allgemeine
                                                                      3
12, 13                            Das Strafverfahren und seine Grundsätze

   Regel aber, die den Staatsanwalt ermächtigte, von der Verfolgung einer
   Straftat abzusehen, wenn der zur Aufklärung nötige Aufwand außer Ver-
   hältnis zur Bedeutung der Tat steht, gibt es nicht.
12      Wenn der Beschuldigte eines Ermächtigungsdeliktes verdächtig ist,
   muss die Kriminalpolizei oder der Staatsanwalt beim Berechtigten um die
   Ermächtigung anfragen (§ 92 Abs 1). Sie muss sich auf eine bestimmte
   Tat und eine bestimmte Person beziehen (§ 92 Abs 2); die Anzeige ist
   noch keine Ermächtigung (11 Os 172/10 v). Wenn der Berechtigte die
   Ermächtigung verweigert oder auf die Anfrage 14 Tage nicht reagiert,
   muss das Verfahren eingestellt werden (§ 92 Abs 1). Ermächtigungsdelik-
   te sehen zB § 117 Abs 1 – 3, § 141 Abs 2, § 149 Abs 4 und § 150 Abs 2
   StGB vor.
        Mit Privatanklagedelikten, dh Delikten, die nur „auf Verlangen“
   verfolgt werden, befassen sich Kriminalpolizei und Staatsanwalt nicht
   (§ 2 Abs 1), ein Ermittlungsverfahren gibt es hier nicht (§ 71 Abs 1;
   Rz 157 f).

         4. Objektivität und Wahrheitserforschung
13         A. Amtswegige Wahrheitserforschung („materielle Wahrheit“).
     Kriminalpolizei und Staatsanwalt im Ermittlungsverfahren und das Ge-
     richt im Hauptverfahren sind verpflichtet, von sich aus alle Ermittlungen
     anzustellen, die zur Wahrheitsfindung nötig sind (§ 3 Abs 1, § 2 Abs 2).
     Sie müssen, um das Risiko eines Fehlurteils gering zu halten, schulder-
     heblichen Umständen nachgehen, auch wenn der Beschuldigte und der
     Verteidiger dazu nichts „vorbringen“. Ermittlungen, die bei richtiger
     rechtlicher Beurteilung für die Aufklärung der Tat bedeutsam sein könn-
     ten, müssen sie anstellen, auch wenn die Parteien keine Beweisanträge
     stellen oder sie mit unrichtigen Argumenten begründen (12 Os 111/
     14 m).
           Wenn der Staatsanwalt oder wenn das Gericht Beweisanträge des Be-
     schuldigten ablehnt, muss der Staatsanwalt seine Ablehnung (§ 55 Abs 4)
     aus dem gesamten Akteninhalt und das Gericht seinen Beschluss aus den
     gesamten Verhandlungsergebnissen (§ 12 Abs 2; Rz 50, 317) begründen.
           Geständnisse müssen Kriminalpolizei, Staatsanwalt und Gericht, so-
     weit wie möglich, durch andere Ermittlungen überprüfen. Anerkenntnisse
     und Vergleiche gibt es nicht: Auch wenn sich der Angeklagte in der
     Hauptverhandlung für „schuldig“ bekennt (§ 245 Abs 1) oder wenn
     Staatsanwalt und Verteidiger über den Ausgang des Verfahrens einig sind
     (11 Os 77/04), muss das Gericht ein Beweisverfahren durchführen und
     das Urteil aus den Ergebnissen der Hauptverhandlung begründen.
           Wenn der Verurteilte eine Wiederaufnahme beantragt und neue Be-
     weismittel beibringt (Rz 472), muss das Gericht, wenn nötig, von Amts
     4
Objektivität und Wahrheitserforschung                          14 – 16

wegen weitere Beweise aufnehmen lassen um zu beurteilen, ob die neu
beigebrachten und die früher aufgenommenen Beweise „geeignet“ sind,
einen Freispruch oder eine Verurteilung nach einem milderen Strafgesetz
zu begründen (§ 353 Z 2; 14 Os 83/02).
      B. Die Pflicht zur Unparteilichkeit. Kriminalpolizei, Staatsanwalt 14
und Gericht müssen belastenden und entlastenden Umständen mit glei-
cher Sorgfalt nachgehen (§ 3 Abs 2), belastenden und entlastenden Be-
weisergebnissen gegenüber gleich aufgeschlossen sein.
      Unparteilich bleiben kann sehr schwer sein. Im Ermittlungsverfah-
ren muss sich der Kriminalbeamte schon bald eine vorläufige Meinung
bilden, wer der Täter sein und was er getan haben könnte. Von diesem
Augenblick an können die Ermittlungen einseitig werden. Der Beamte
unterlässt es vielleicht, entlastenden Umständen nachzugehen, weil sie
nach seinen Erwartungen gar nicht vorhanden sind. Er protokolliert
von einer Aussage vielleicht nur, was seinen Erwartungen entspricht,
und lässt anderes als vermeintlich unerheblich weg; oder er missversteht
eine Aussage, die in Wahrheit unbestimmt ist, im Sinn seiner Erwartun-
gen und protokolliert sie so – alles in gutem Glauben. Vielleicht drängt
er den Beschuldigten, einen Umstand zuzugeben, ohne ihn wissen zu
lassen, was er bedeutet, sodass der Beschuldigte schließlich bejaht, was
er in Wahrheit nicht weiß. Was bei einem Augenschein, zB der Besich-
tigung des Tatorts, versäumt wurde, kann oft nicht mehr nachgeholt
werden.
      Im Hauptverfahren besteht die Gefahr, dass sich der Richter beim 15
Studium des Aktes von den Ermittlungsergebnissen der Polizei – die in
Wahrheit falsch und unvollständig sein können – allzu sehr beeindrucken
lässt, in der Hauptverhandlung vom Beschuldigten und von Zeugen nur
eine Bestätigung dessen hören will, was sie schon vor der Kriminalpolizei
gesagt haben, von der Nutzlosigkeit weiterer Beweisaufnahmen überzeugt
ist, sich von seiner „vorläufigen“ Meinung nicht mehr abbringen lässt.
Viele Anwälte sagen, der Angeklagte sei zu Beginn der Verhandlung
schon so gut wie verurteilt.
      Um diesen Gefahren entgegenzuwirken, darf der Staatsanwalt Ankla- 16
ge nur erheben, wenn alle Belastungs- und Entlastungsbeweise aufgenom-
men sind (§ 210 Abs 1; Rz 20, 301). Nur mit einem ausgewogenen Akt
kann sich der Richter seriös auf die Verhandlung vorbereiten. Für das
Hauptverfahren führt die StPO den Anklage- (§ 4 Abs 2; Rz 17 ff) und
für die Hauptverhandlung den Unmittelbarkeitsgrundsatz (§ 13 Abs 3;
Rz 53 f) ein. Vor allem gewährt sie dem Beschuldigten Rechte, zB Beweis-
anträge (§ 55; Rz 126 ff) und Fragen (§ 165 Abs 2, § 249 Abs 1; Rz 125) zu
stellen und rechtlich gehört zu werden (§ 6 Abs 2; Rz 29 ff). Durch ihre

                                                                     5
17 – 20                            Das Strafverfahren und seine Grundsätze

     Ausübung kann sich der Beschuldigte gegen einseitige Ermittlungen weh-
     ren und eine gründliche Beweisaufnahme erzwingen.

                         5. Anklagegrundsatz
17        Ältere Verfahrensrechte überließen es dem Gericht, das Strafverfah-
     ren zu beginnen, den Fall aufzuklären und über die Ergebnisse der Er-
     mittlungen zu entscheiden („Inquisitionsprozess“). Das gefährdet, wie
     man heute weiß, die Unbefangenheit und Unparteilichkeit der Richter.
     Wer sich bemüht hat, einen Verdächtigen zu finden und ihn zu überfüh-
     ren, neigt dazu, an seiner Meinung festzuhalten (Rz 14 f); er wird sich und
     anderen Fehler und Irrtümer nicht gern eingestehen. Auch soll sich der
     Beschuldigte gegen den Vorwurf, der im Strafverfahren gegen ihn erho-
     ben wird, wehren können, ohne das Gericht kritisieren zu müssen. Der
     Anklagegrundsatz trennt im Hauptverfahren die Funktionen, einen Vor-
     wurf zu erheben und darüber zu entscheiden (§ 4).
18      A. Das Hauptverfahren setzt eine rechtswirksame Anklage voraus
   (§ 4 Abs 2), die einem bestimmten Angeklagten eine bestimmte Tat zur
   Last legt (§ 211 Abs 1 Z 1, 2). Das Gericht darf die Anklage nicht über-
   schreiten (§ 4 Abs 3), dh es darf sich nur mit dieser Tat dieses Angeklag-
   ten befassen. In der rechtlichen Beurteilung dieser Tat dagegen darf das
   Gericht von der Anklage abweichen (§ 4 Abs 3; Rz 336 f).
19      Die Anklageschrift muss darüber hinaus „die näheren Umstände der
   Begehung“ (§ 211 Abs 1 Z 2; Rz 302), dh die Umstände angeben, die der
   Staatsanwalt für schulderheblich hält (Konkretisierung). Der Angeklagte
   soll nicht nur erfahren, welche Tat, sondern auch, welches Verhalten
   ihm vorgeworfen wird; und der Richter soll nicht als Inquisitor den Akt
   nach Umständen durchsuchen müssen, die eine Verurteilung möglich
   machen. Zur Angabe auch der Verdachtsgründe s Rz 36, 302.
20      Der Staatsanwalt darf Anklage nur erheben, wenn der Sachverhalt
   „ausreichend geklärt“ ist (§ 210 Abs 1), dh wenn alle Erkenntnisquellen,
   die vernünftigerweise in Betracht kommen, ausgeschöpft sind. Und er
   darf Anklage nur erheben, wenn „eine Verurteilung nahe liegt“, dh wenn
   die vorliegenden Ermittlungsergebnisse einem lebenserfahrenen, verant-
   wortungsbewussten Menschen genügen, den Angeklagten für den Täter
   und alle schulderheblichen Umstände für erwiesen zu halten (§ 210
   Abs 1, Rz 301). Anklagen, „um die Entscheidung dem Gericht zu über-
   lassen“ oder weil „der Angeklagte der Täter sein könnte“, sind unzulässig.
        Der Staatsanwalt hat als „Organ der ordentlichen Gerichtsbarkeit“
   (Art 90 a B-VG; § 3 Abs 2 StAG) eine „negative Rechtsprechungskom-
   petenz“: Er kann niemanden verurteilen; aber wenn er die Ermittlungs-
     6
Gesetz- und Verhältnismäßigkeit                                21– 24

ergebnisse nicht für ausreichend hält, den Beschuldigten zu überführen,
stellt er das Ermittlungsverfahren ein (§ 190).
      Wenn der Staatsanwalt außerhalb der Hauptverhandlung von der
Anklage zurücktritt, ist eine weitere Verfolgung des Angeklagten ausge-
schlossen (11 Os 2/15 a); wenn er in der Hauptverhandlung zurücktritt,
wird der Angeklagte freigesprochen (§ 259 Z 2). Zu Subsidiaranklagen s
Rz 159.
      B. Im Ermittlungsverfahren gibt es keine Anklage. Wenn die Kri- 21
minalpolizei von einem Anfangsverdacht (§ 1 Abs 3; Rz 9) erfährt, klärt
sie ihn von Amts wegen auf (§ 2 Abs 1, § 99 Abs 1). Sie „entscheidet“, wer
als Verdächtiger in Frage kommt, und sucht ihn zu überführen. Von die-
sem Augenblick an können die Ermittlungen einseitig werden (Rz 14).
      Immerhin leitet der Staatsanwalt das Ermittlungsverfahren (§ 101 22
Abs 1). Auf Grund der Berichte, die ihm die Kriminalpolizei erstattet
(§ 100 Abs 2), oder auf Grund von Beweisanträgen des Beschuldigten
(§ 55) kann er ergänzende Ermittlungen durch die Kriminalpolizei anord-
nen (§ 101 Abs 4). Wenn die Tat nicht strafbar ist oder kein tatsächlicher
Grund zur weiteren Verfolgung des Beschuldigten besteht, stellt er das
Verfahren ein (§ 190); dann muss die Kriminalpolizei ihre Ermittlungen
beenden (§ 193 Abs 1).

         6. Gesetz- und Verhältnismäßigkeit
     A. Gesetzmäßigkeit. Kriminalpolizei, Staatsanwalt und Gericht sind 23
(nur) zu den Tätigkeiten befugt, die sie nach dem Gesetz im Strafverfah-
ren vorzunehmen haben; sie greifen damit in die Rechte Beteiligter und
Betroffener ein, die jene Tätigkeiten dulden müssen. So ergibt sich der
Grundsatz der Gesetzmäßigkeit schon aus § 1 (Rz 10); § 5 Abs 1 macht
immerhin deutlich, dass er auch für Beweisaufnahmen – auch Erkundi-
gungen (§ 151 Z 1; Rz 192 f) – gilt. Beteiligte und Betroffene können sich
gegen die gesetzwidrige Beeinträchtigung ihrer subjektiven Rechte wehren
(Rz 175).
     B. Erforderlichkeit. Kriminalpolizei, Staatsanwalt und Gericht dür- 24
fen in Rechte von Personen nur eingreifen, wenn und soweit dies „zur
Aufgabenerfüllung erforderlich“, also nötig, ist (§ 5 Abs 1 Satz 1).
     Der Vorsitzende lässt den Angeklagten zur Prüfung seiner Verhand-
lungsfähigkeit einem Sachverständigen vorführen; der Angeklagte hat
schon erklärt, er werde an der Untersuchung nicht mitwirken; so hat
die Vorführung keinen Sinn und ist darum nicht erforderlich (14 Os
48/12 h). Vor drei Wochen hat die Polizei den Beschuldigten zum Tatvor-
wurf vernommen; jetzt ordnet das BG die Sicherstellung seines Compu-
                                                                     7
25 – 28                            Das Strafverfahren und seine Grundsätze

   ters an; Daten, die ihn belasten, konnte er längst beseitigen; erforderlich
   ist die Sicherstellung nur, wenn es Hinweise gibt, solche Daten seien noch
   vorhanden (aM 11 Os 22/10 k).
25       Verteidigungsrechte des Beschuldigten können vielfach einge-
   schränkt werden: So können zB die Akteneinsicht beschränkt (§ 51 Abs 2;
   Rz 123) und Fragen an Mitbeschuldigte, Zeugen und Sachverständige zu-
   rückgewiesen (§ 249 Abs 2; Rz 125, 203, 320) werden; aber solche Be-
   schränkungen sind nach § 5 Abs 1 nur zulässig, wenn und soweit sie not-
   wendig sind, um bestimmte Gefahren abzuwenden.
26      C. Verhältnismäßigkeit. Wenn es schon erforderlich ist, dass Kri-
   minalpolizei, Staatsanwalt und Gericht in Rechte von Personen eingrei-
   fen, muss der dadurch bewirkte Schaden in einem angemessenen Verhält-
   nis zum Gewicht der Straftat, zum Grad des Verdachts und zum ange-
   strebten Erfolg stehen (§ 5 Abs 1 Satz 2). § 5 Abs 2 führt diesen Grund-
   satz weiter aus: Kriminalpolizei, Staatsanwalt und Gericht müssen so
   vorgehen, dass möglichst wenig Schaden entsteht. Dieser Gedanke
   kommt auch in anderen Bestimmungen der StPO mehr oder minder
   deutlich zum Ausdruck, zB in § 93 Abs 1 für die Anwendung von Zwang
   und in § 121 Abs 3 für Durchsuchungen (Rz 114, 176); s auch Rz 79.
27      Ein anonymer Anrufer teilt der Polizei mit, in einer Wohnung befän-
   den sich mindestens 10 g Heroin und „Speed“, die Bewohner lebten vom
   Drogenhandel; eine Hausdurchsuchung ist dem Gewicht des Verdachts,
   der sich aus der bloßen Behauptung eines unbekannten Anrufers ergibt,
   nicht angemessen, auch wenn die Bewohner nach dem SMG vorbestraft
   sind (aM 14 Os 46/09 k).
28         D. Das Lockspitzelverbot. Dass die Kriminalpolizei den Verdächti-
     gen durch Mittelleute zu einer Tat, zB Suchtgifthandel (§ 28 a SMG), ver-
     leitet und dann bei deren Ausführung festnimmt, kann dem Grundsatz
     eines fairen Verfahrens widersprechen (§ 5 Abs 3). Das gilt vor allem
     dann, wenn der Beschuldigte nicht einschlägig vorbestraft ist, wenn keine
     Anzeichen für eine einschlägige kriminelle Tätigkeit vorliegen, wenn Mit-
     telleute der Polizei ihm wiederholt Angebote machen, ihn unter Druck
     setzen oder trotz anfänglicher Weigerung zur Tat überreden (14 Os 38/
     17 w, 12 Os 5/16 a, 15 Os 89/15 z). Wenn solche Umstände vorliegen oder
     nicht auszuschließen sind, muss das Verfahren eingestellt werden (§ 133
     Abs 5); den hereingelegten Täter durch eine Strafmilderung zu „entschä-
     digen“, genügt nicht (1058 BlgNR 25. GP 7). Zum Grundsatz in dubio pro
     reo s Rz 41; zum Scheingeschäft des § 132 s Rz 246.
           § 5 Abs 3 verbietet weiter, Verdächtige durch heimlich bestellte Per-
     sonen zu einem Geständnis zu verleiten. Der Festgenommene wird zB in
     eine Zelle zu einem vermeintlichen Mitgefangenen, in Wahrheit einem
     8
Rechtliches Gehör                                                 29 – 31

Polizeibeamten, gesteckt, der sich als mitfühlender Zuhörer für seine Sor-
gen anbietet.

                    7. Rechtliches Gehör
     A. Der Beschuldigte hat das Recht, am gesamten Verfahren mitzu- 29
wirken (§ 6 Abs 1).
     Er oder der Verteidiger an seiner Stelle kann die Akten einsehen
(§ 51 Abs 1, § 57 Abs 2; Rz 123), er kann Anträge (Rz 316), zB Beweisan-
träge (§ 55 Abs 1; Rz 126 ff) stellen, kann Mitbeschuldigte, Zeugen und
Sachverständige befragen (§§ 165, 249; Rz 125) und muss in der Haupt-
verhandlung rechtlich gehört werden (Rz 31, 320). Der Beschuldigte kann
zur Hauptverhandlung vorgeführt werden (§ 427 Abs 2); in gewissen Fäl-
len darf sie in seiner Abwesenheit gar nicht stattfinden (§ 427 Abs 1;
Rz 313, 427).
     B. Am Verfahren beteiligt sind Personen, denen die StPO subjek- 30
tive Rechte gewährt, zB Beschuldigte, Verdächtige, Opfer, Zeugen
(Rz 102, 118 f, 176); Personen, die von Zwangsmitteln betroffen sind,
sind zB der Festzunehmende und der Inhaber der zu durchsuchenden
Wohnung (Rz 118); sie alle haben das Recht auf angemessenes rechtliches
Gehör, auf Information über Anlass und Zweck der sie betreffenden Ver-
fahrenshandlung und über ihre wesentlichen Rechte (§ 6 Abs 2).
     Die Verpflichtung der Polizei, von Zwangsmitteln betroffene Perso-
nen über Rechte zu belehren, erwähnt die StPO hin und wieder auch in
späteren Abschnitten.
     C. Das Recht auf angemessenes rechtliches Gehör. Wenn das Ge- 31
richt über schriftliche Anträge einer Seite in nicht-öffentlicher Sitzung
entscheidet, muss es idR eine Stellungnahme auch der anderen Seite ein-
holen. Wenn das Opfer zB beantragt, das vom Staatsanwalt eingestellte
Ermittlungsverfahren fortzuführen (§ 195), muss das Gericht nach § 6
Abs 2 den Antrag dem Beschuldigten zustellen, damit er sich dazu äußern
kann (Rz 292; 13 Os 69/14 t; vgl auch Rz 349). Personen, die von Zwangs-
mitteln betroffen sind, können ihre Einwände freilich oft erst hinterher in
einer Beschwerde gegen den gerichtlichen Beschluss auf Bewilligung des
Zwangsmittels (§ 87) geltend machen.
     Der Gewährung rechtlichen Gehörs dienen auch Verhandlungen,
die Haftverhandlung (§ 176), die Hauptverhandlung und der Gerichtstag.
Die beteiligte oder betroffene Person muss dort, soweit es um ihre Rechte
geht, auf alle rechtlich erheblichen Umstände hingewiesen werden. Bei
der Entscheidung darf das Gericht nur die Beweise berücksichtigen, die
in der Verhandlung aufgenommen oder doch besprochen wurden (§ 12
                                                                        9
32, 33                               Das Strafverfahren und seine Grundsätze

     Abs 2; Rz 50, 279, 321, 394). Wenn das Gericht einen Antrag ablehnt,
     muss der Antragsteller darauf mit weiteren Anträgen reagieren können
     (Rz 315, 394).
           Wenn Polizei oder Staatsanwalt im Ermittlungsverfahren (§ 50
     Abs 1) oder das erkennende Gericht in der Hauptverhandlung eine ande-
     re rechtliche Beurteilung in Aussicht nimmt (§ 262) – zB die Tat ist wohl
     keine Untreue, sondern ein Betrug (11 Os 65/08 f) –, oder daran denkt,
     die Strafbarkeit des Beschuldigten auf ein anderes Verhalten zu stützen –
     er hat die fremde Sache wohl nicht weggenommen, sondern einen ande-
     ren zur Wegnahme bestimmt (11 Os 56/10 k) –, müssen sie den Beschul-
     digten darauf aufmerksam machen (§ 6 Abs 2, § 262; Rz 337, 363; Über-
     raschungsverbot). Nur dann kann der Beschuldigte zu der in Aussicht
     genommenen rechtlichen Beurteilung und zu allen erheblichen Tatsachen
     Stellung nehmen und Beweisanträge stellen.
           Das Recht auf rechtliches Gehör schließt auch das Recht auf eine
     Entscheidung ein, in der sich das Gericht in den Entscheidungsgründen
     mit den Argumenten der beteiligten oder von Zwangsmitteln betroffenen
     Person auseinandersetzt (15 Os 72/07 p). Auf Entscheidungen im Lauf ei-
     ner Verhandlung muss der Beteiligte oder Betroffene mit weiteren Anträ-
     gen reagieren können (Rz 315, 394).
           Auf einen Schriftsatz, in dem ein Beteiligter Nichtigkeits- oder Beru-
     fungsgründe geltend macht, muss der Rechtsmittelgegner in einer Gegen-
     ausführung (§ 285 Abs 4, § 294 Abs 2; Rz 383, 392), und auf eine Be-
     schwerde muss der Beschwerdegegner idR in einer Äußerung (§ 89
     Abs 5; Rz 107) erwidern können. Wenn der Staatsanwalt bei einem
     Rechtsmittelgericht zu einem Rechtsmittel oder Rechtsbehelf Stellung
     nimmt, muss der Rechtsmittelwerber idR schriftlich erwidern kön-
     nen (§ 24).
32        D. Das Recht auf Information über Anlass und Zweck einer Ver-
     fahrenshandlung. Die Strafverfolgungsbehörden müssen den am Verfah-
     ren Beteiligten oder den von einer Zwangsmaßnahme Betroffenen, soweit
     es um ihre Rechte geht, verständlich machen, was sie tun (§ 6 Abs 2); die
     Kriminalpolizei muss zB dem von einer Sicherstellung Betroffenen sagen,
     dass sie eine Sache sicherstellt und was das bedeutet; im § 111 ist davon
     nicht die Rede. Und Kriminalbeamte, die den festgenommenen Beschul-
     digten vor einer Vernehmung auf die Beiziehung eines Verteidigers ver-
     zichten lassen, müssen ihm erklären, was der Verteidiger für ihn tun
     könnte; im § 59 Abs 1 ist davon nicht die Rede (Rz 139).
33        E. Das Recht auf Information über wesentliche Rechte. Wesentlich
     iSd § 6 Abs 2 sind die Rechte, die für Beteiligte und Betroffene jetzt aktuell
     sind, dh die sie jetzt kennen müssen, um sie wirksam auszuüben. Die Polizei
     10
Rechtliches Gehör                                                 34, 35

muss dem von einer Durchsuchung Betroffenen zB sagen, dass er nach
§ 121 Abs 2 das Recht hat, bei der Durchsuchung anwesend zu sein und
eine Vertrauensperson beizuziehen (Rz 176). Und das Gericht muss dem
Beschuldigten in der Ladung zu einer kontradiktorischen Vernehmung sa-
gen, dass er den Zeugen nur bei dieser Vernehmung befragen kann, dass
der Beistand eines Verteidigers sinnvoll ist und dass er allenfalls Verfah-
renshilfe beantragen kann (11 Os 91/10 g, 11 Os 139/12 v; s Rz 205).
      Die Pflicht zur Information Betroffener gilt, auch wenn die Polizei an 34
eine „Gefahr im Verzug“ glaubt. Die Information über Anlass und
Zweck der Amtshandlung und über die wesentlichen Rechte kann die
Amtshandlung nicht gefährlich verzögern. Der Betroffene hat ohnehin
nur wenige Rechte. Die Dringlichkeit der Amtshandlung, zB einer Durch-
suchung, kann zur Folge haben, dass er einzelne Rechte, zB das Recht,
eine Vertrauensperson beizuziehen, nicht ausüben kann. Diese Rechte
sind dann nicht aktuell, über sie muss er dann nicht informiert werden.
Über Rechte dagegen, die dem Betroffenen auch bei dringenden Amts-
handlungen zustehen, muss er auch bei dringenden Amtshandlungen in-
formiert werden.
      Kriminalpolizei, Staatsanwalt, Gericht und Personen, die in ihrem 35
Auftrag handeln, müssen den Beschuldigten, dem kein Verteidiger bei-
steht, nach § 6 Abs 2 in allen Situationen über die Rechte belehren, die
er jetzt kennen muss, um sie wirksam auszuüben; das gilt auch, wenn
sie in der allgemeinen Belehrung nach § 50 (Rz 121) schon erwähnt wur-
den. So muss der Richter, der den Beschuldigten vernimmt (§ 7Abs 2,
§ 164 Abs 1; Rz 193), der Sachverständige, der ihn befragt (aM 13 Os
43/11 i; Rz 216), ihn über sein Recht belehren, die Aussage zu verweigern;
das Gericht den Beschuldigten ohne Verteidiger in der Hauptverhandlung
belehren, dass er Beweisanträge stellen kann und wie er das machen muss
(13 Os 52/09 k). Die Belehrung muss dem Beschuldigten ermöglichen, sei-
ne Rechte sinnvoll auszuüben; so muss das Gericht, das die Untersu-
chungshaft verhängt, dem Beschuldigten nicht nur die Rechtsmittelbeleh-
rung erteilen (§ 86 Abs 1), sondern ihn auch auf die Konsequenzen einer
Beschwerde für die Haftfrist aufmerksam machen (aM 14 Os 28/09 p; s
Rz 278).
      In bestimmten Situationen müssen Kriminalpolizei, Staatsanwalt
und Gericht den Beschuldigten belehren, auch wenn er schon einen Ver-
teidiger hat (zB nach § 164 Abs 1, § 171 Abs 4 und § 268).
      Jede Belehrung nach § 6 Abs 2 muss in einer für den Betroffenen
verständlichen Form, dh idR mündlich, erfolgen und in einem Amtsver-
merk (§ 95, Rz 116) festgehalten werden.
      Dass der Beschuldigte zu Verfahrensvorgängen schweigt oder gar
nicht anwesend ist, bedeutet kein Einverständnis. Wenn das BG die
Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten durchführt, darf es
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