Synthetische Biologie Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht

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Synthetische Biologie Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht
Synthetische Biologie
Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht

Die Synthetische Biologie ist eine relativ junge
Disziplin, die versucht, gezielt Zellen mit bestimmten
Eigenschaften zu konstruieren. Noch steht sie
am Anfang, doch die ersten Erfolge geben einen
Eindruck des Potenzials, das in ihr steckt. Aber auch
der Herausforderungen, die es zu meistern gilt.

Schweizerische Akademie der Technischen Wissenschaften
Académie suisse des sciences techniques
Accademia svizzera delle scienze tecniche
Swiss Academy of Engineering Sciences
Synthetische Biologie Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht
Rubriktitel

Inhaltsverzeichnis                                                                                                                Vorwort
                                  4      Was ist und wie entsteht Leben?                                                                    Was ist das Neue an der Synthetischen Biologie? Wie wird sie zu einer Ingenieur-
                                                                                                                                            wissenschaft? Welche Risiken könnten solche Forschungsaktivitäten und Anwendungen
                                  6      Historischer Rückblick                                                                             bergen? Diesen und weiteren Fragen geht die SATW-Broschüre «Synthetische Biologie»
                                                                                                                                            mit sechs Kurzbeiträgen nach.
                                  8      Die Minimale Zelle
                                                                                                                                            In der wissenschaftlichen Gemeinschaft gibt es keinen Konsens darüber, was Leben
                                 10      Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht                                                           wirklich ist. Am ehesten wird man sich wohl auf die wichtigsten Kriterien einigen
                                                                                                                                            können, die Leben auszeichnen. Eingeleitet wird diese Broschüre – im Sinne eines
                                 12      Mit DNA Daten verarbeiten                                                                          Kontrapunktes zu naturwissenschaftlichen Sichtweisen – mit einer philosophischen
                                                                                                                                            Betrachtung, welche die vollständige Beschreibbarkeit und damit auch die Konstruk-
                                 14      Risiken der Synthetischen Biologie                                                                 tion des Lebendigen in Frage stellt. In den weiteren Beiträgen werden wichtige
                                                                                                                                            Begriffe der Synthetischen Biologie besprochen und Konzepte vorgestellt, mit denen
                                                                                                                                            die Komplexität biologischer Systeme reduziert werden können. Dies ist eine
                                                                                                                                            entscheidende Voraussetzung für deren industrielle Nutzung.

                                                                                                                                            Die Synthetische Biologie versucht, gezielt Zellen mit bestimmten Eigenschaften zu
                                                                                                                                            konstruieren, und ist so im Begriff, sich als neue Ingenieurwissenschaft zu etablieren.
                                                                                                                                            Noch steht die junge Disziplin allerdings am Anfang und das Realisierte scheint eher
                                                                                                                                            eine Erweiterung der bisherigen gentechnologischen Arbeiten zu sein. Es gelang
                                                                                                                                            bereits, ein ganzes Genom eines Bakteriums Schritt für Schritt zu synthetisieren und
                                                                                                                                            in eine fremde Bakterienhülle einzuführen. Das «neue» Bakterium wies die Eigenschaften
                                                                                                                                            der neu eingeführten Gene auf. Viel Arbeit stecken Forschende in die Entwicklung von
                                                                                                                                            Minimalzellen. Diese enthalten nur noch die essenziellen Gene, die zum Zellwachstum
                                                                                                                                            nötig sind, und sollen als Chassis dienen, um weitere und neu entwickelte Gene und
                                                                                                                                            Funktionen einzubauen.

                                 Wissenschaft und Technik zum Wohle der Gesellschaft                                                        Die SATW will mit dieser Broschüre einen Beitrag dazu leisten, Chancen und Risiken
                                                                                                                                            dieser neuen Wissenschaftsrichtung aufzuzeigen, die zwar in Forscherkreisen intensiv
                                 Die Schweizerische Akademie der Technischen Wissenschaften (SATW) vereinigt Personen,                      diskutiert wird, aber in der Gesellschaft noch kaum bekannt ist. Die SATW erachtet es
                                 Institutionen und Fachgesellschaften, die in den technischen Wissenschaften und deren                      auch als wichtig, die Diskussion zu einer Zeit anzustossen, in welcher die Synthetische
                                 Anwendung tätig sind. Sie fördert die Technik zum Wohle der Gesellschaft und stärkt das                    Biologie noch klar auf der Stufe der Grundlagenforschung angesiedelt ist.
                                 Verständnis der Gesellschaft für die Technik. Die SATW ist politisch neutral und nicht kommer-
                                 ziell orientiert. Zurzeit hat sie rund 240 Einzelmitglieder und 60 Mitgliedsgesellschaften.                Prof. Dr. Ulrich W. Suter    Prof. Dr. Andreas Zuberbühler      Prof. Dr. Daniel Gygax
                                 In verschiedenen Fachbereichen setzt die Akademie Arbeitsgruppen ein. Diese erarbei-                       Präsident SATW               Präsident des Wissenschaftlichen   Präsident der Kommission für
                                 ten Studien sowie Empfehlungen und führen interaktive Veranstaltungen durch.                               		                           Beirats der SATW		                 angewandte Biowissenschaften

2 Synthetische Biologie – Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht                                                                                                      Synthetische Biologie – Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht 3
Synthetische Biologie Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht
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Inhaltsverzeichnis                                                                                                                Vorwort
                                  4      Was ist und wie entsteht Leben?                                                                    Was ist das Neue an der Synthetischen Biologie? Wie wird sie zu einer Ingenieur-
                                                                                                                                            wissenschaft? Welche Risiken könnten solche Forschungsaktivitäten und Anwendungen
                                  6      Historischer Rückblick                                                                             bergen? Diesen und weiteren Fragen geht die SATW-Broschüre «Synthetische Biologie»
                                                                                                                                            mit sechs Kurzbeiträgen nach.
                                  8      Die Minimale Zelle
                                                                                                                                            In der wissenschaftlichen Gemeinschaft gibt es keinen Konsens darüber, was Leben
                                 10      Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht                                                           wirklich ist. Am ehesten wird man sich wohl auf die wichtigsten Kriterien einigen
                                                                                                                                            können, die Leben auszeichnen. Eingeleitet wird diese Broschüre – im Sinne eines
                                 12      Mit DNA Daten verarbeiten                                                                          Kontrapunktes zu naturwissenschaftlichen Sichtweisen – mit einer philosophischen
                                                                                                                                            Betrachtung, welche die vollständige Beschreibbarkeit und damit auch die Konstruk-
                                 14      Risiken der Synthetischen Biologie                                                                 tion des Lebendigen in Frage stellt. In den weiteren Beiträgen werden wichtige
                                                                                                                                            Begriffe der Synthetischen Biologie besprochen und Konzepte vorgestellt, mit denen
                                                                                                                                            die Komplexität biologischer Systeme reduziert werden können. Dies ist eine
                                                                                                                                            entscheidende Voraussetzung für deren industrielle Nutzung.

                                                                                                                                            Die Synthetische Biologie versucht, gezielt Zellen mit bestimmten Eigenschaften zu
                                                                                                                                            konstruieren, und ist so im Begriff, sich als neue Ingenieurwissenschaft zu etablieren.
                                                                                                                                            Noch steht die junge Disziplin allerdings am Anfang und das Realisierte scheint eher
                                                                                                                                            eine Erweiterung der bisherigen gentechnologischen Arbeiten zu sein. Es gelang
                                                                                                                                            bereits, ein ganzes Genom eines Bakteriums Schritt für Schritt zu synthetisieren und
                                                                                                                                            in eine fremde Bakterienhülle einzuführen. Das «neue» Bakterium wies die Eigenschaften
                                                                                                                                            der neu eingeführten Gene auf. Viel Arbeit stecken Forschende in die Entwicklung von
                                                                                                                                            Minimalzellen. Diese enthalten nur noch die essenziellen Gene, die zum Zellwachstum
                                                                                                                                            nötig sind, und sollen als Chassis dienen, um weitere und neu entwickelte Gene und
                                                                                                                                            Funktionen einzubauen.

                                 Wissenschaft und Technik zum Wohle der Gesellschaft                                                        Die SATW will mit dieser Broschüre einen Beitrag dazu leisten, Chancen und Risiken
                                                                                                                                            dieser neuen Wissenschaftsrichtung aufzuzeigen, die zwar in Forscherkreisen intensiv
                                 Die Schweizerische Akademie der Technischen Wissenschaften (SATW) vereinigt Personen,                      diskutiert wird, aber in der Gesellschaft noch kaum bekannt ist. Die SATW erachtet es
                                 Institutionen und Fachgesellschaften, die in den technischen Wissenschaften und deren                      auch als wichtig, die Diskussion zu einer Zeit anzustossen, in welcher die Synthetische
                                 Anwendung tätig sind. Sie fördert die Technik zum Wohle der Gesellschaft und stärkt das                    Biologie noch klar auf der Stufe der Grundlagenforschung angesiedelt ist.
                                 Verständnis der Gesellschaft für die Technik. Die SATW ist politisch neutral und nicht kommer-
                                 ziell orientiert. Zurzeit hat sie rund 240 Einzelmitglieder und 60 Mitgliedsgesellschaften.                Prof. Dr. Ulrich W. Suter    Prof. Dr. Andreas Zuberbühler      Prof. Dr. Daniel Gygax
                                 In verschiedenen Fachbereichen setzt die Akademie Arbeitsgruppen ein. Diese erarbei-                       Präsident SATW               Präsident des Wissenschaftlichen   Präsident der Kommission für
                                 ten Studien sowie Empfehlungen und führen interaktive Veranstaltungen durch.                               		                           Beirats der SATW		                 angewandte Biowissenschaften

2 Synthetische Biologie – Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht                                                                                                      Synthetische Biologie – Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht 3
Synthetische Biologie Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht
Rubriktitel                                                                                                                                                                                                                                       Rubriktitel

Was ist und wie entsteht Leben?
«Leben» beschreibt ein Phänomen, das sich einer fremdperspektivischen Definition sperrt, da es nur
aus sich heraus bestimmt werden kann. Leben ist nur deshalb Leben, weil es sich selbst realisiert
und nicht etwa fremd realisiert ist.

Die Frage, was Leben ist, hat die Menschen seit jeher                Die Bedeutung der Lebens-Beschreibungen von Aris-           Hand mit der Schaffung der sie gestaltenden Hände.             ist, kann auch nicht mit von aussen angelegten
bewegt. Der griechische Philosoph Aristoteles gab                    toteles ist immens. Dies zeigt sich auch im Fortgang der    Maturana und Varela machen das Verständnis der auto-           Ursache-Wirkungszusammenhängen das Lebendige voll-
bereits im 4. Jahrhundert vor Christus eine Antwort, die             Debatte im 20. Jahrhundert, beispielsweise in der so        poietischen Wirkung auch an der kleinsten autonomen            ständig erklärt werden. Entsprechende Versuche müssen
bis heute Grundlage für Debatten rund um das Leben                   genannten Autopoiesis-Theorie, welche Humberto              lebendigen Einheit plausibel, der Zelle. Demnach lässt         deshalb als reduktionistisch gelten, weil sie die Kom-
bildet. Sie enthält drei wichtige Elemente:                          Maturana und Francisco Varela 1972 entwickelten.            sich die Lebendigkeit eines lebenden Systems durch             plexität des Lebendigen zu kennen behaupten, die
                                                                                                                                 ein Miteinander und ein Zugleich von Schaffendem und           letztlich nur aus der Innenperspektive des Lebendigen
•   Das Lebendige besteht aus einem Körper und einer                 Leben stellt sich selbst her                                Geschaffenem erklären. Im Unterschied zum aristote-            selbst deutlich wird. Diese Position kann ein Beo-
    Seele. Die Verbindung beider Substanzen ist dem-                 Die beiden chilenischen Naturwissenschaftler mit starken    lischen Konzept der Selbstbewegung liefert die                 bachter jedoch nur annäherungsweise einnehmen. Was
    nach das, was Leben ausmacht. Es kann also weder                 Wurzeln in der Philosophie und in der Literatur stellten    Autopoiesis-Theorie nun zusätzlich einen Ansatz,               hier als Innenperspektive bezeichnet wird, lässt sich
    ein körperloses noch ein seelenloses Lebendiges                  fest, dass wir Menschen, wenn wir Lebendiges beschrei-      um Veränderung, Erhalt und Entstehung des Lebendigen           auch mit dem Begriff des Selbst bezeichnen, also der
    geben, erst das Zusammenspiel macht aus blosser                  ben, immer die Aussenperspektive einnehmen und damit        verständlich zu machen.                                        Annahme, dass Lebendiges ein Verhältnis mit sich selbst
    Materie lebendige Materie.                                       etwas objektivieren, was doch einen subjektiven Charak-                                                                    hat. Ein solches lässt sich durchaus von aussen beein-
                                                                     ter hat, und dabei den Selbstcharakter des Lebendigen       Konstruktion von «Leben»?                                      flussen, bleibt aber selbst dann ein internes, ohne das
•   Das Lebendige ist in Bewegung. So unterscheidet es               unterschlagen. Dass Lebendiges nicht nur Objekt, son-       Wie ist vor diesem Hintergrund die Möglichkeit zu              sich Lebendiges nicht begreifen lässt.
    sich vom Nicht-Lebendigen. Auch nicht belebte                    dern auch und vor allem Subjekt – das heisst ein Selbst     sehen, neue Zellen mit bestimmten Eigenschaften zu
    Materie kann in Bewegung geraten, wie beispiels-                 – ist, hatte bereits                                        konstruieren, wie dies die Synthetische Biologie will?
    weise die Kugel, welche die schiefe Ebene hinunter-              Aristoteles in dem                 Die Frage, was           Es wird nicht nur die Frage aufgeworfen, was Leben ist,
    rollt. Nicht belebte Materie ist aber nie Ursache                Begriff der Selbst-            Leben ist, hat die           sondern zugleich, wie Leben entsteht.
    ihrer Bewegung, sondern wird immer von aussen                    Bewegung ausge-
                                                                                                         Menschen seit
    in Bewegung gesetzt. Nur das Lebendige kann sich                 drückt. Anfang des                                          Naturwissenschaftlich kann man angeben, welche
    selber bewegen.                                                  20. Jahrhunderts                    jeher bewegt.           Materiesubstanzen, beispielsweise Kohlenstoff, und
                                                                     belegte der öster-                                          welche Vorgänge, beispielsweise Stoffwechsel, für das
•   Alle Materie hat immer eine bestimmte Gestalt,                   reichische Physiker und Wissenschaftstheoretiker Erwin      Lebendige unverzichtbar sind und dann feststellen, dass
    eine «Form». Auch hier zeigt sich die Sonderstel-                Schrödinger mit Blick auf den Zweiten Hauptsatz der         immer dann etwas lebt, wenn diese Bedingungen erfüllt
    lung des Lebendigen, das die Form aus sich he-                   Thermodynamik, dass Lebendiges Eigenständigkeit zeigt.      sind. Doch diese Erklärung greift zu kurz: Leben ist ein
    raus bildet, während das Nicht-Lebendige von aus-                Maturana und Varela gingen nun einen Schritt weiter und     Zustand, der sich von dem des Nicht-Lebens qualitativ
    sen in Form gebracht wird. Aristoteles nennt das                 beschrieben das Lebendige als dasjenige, das «sich selbst   unterscheidet. Es gibt keinen kontinuierlichen und
    Beispiel eines Tischlers, der aus der Materie Holz               herstellt». Damit war die «Auto-Poiesis-Theorie» geboren.   quantitativen Übergang vom Nicht-Leben zum Leben;
    einen Stuhl fertigt und dabei die Materie nach sei-                                                                          es geschieht ein Sprung. Der Grund dafür, dass es
    nen Vorstellungen «formt».                                       Eine autopoietische Organisation stellt ein Netzwerk        bislang nicht gelungen ist, diesen Sprung zu erklären,
                                                                     von Bestandteilen dar, das durch diese Bestandteile         scheint nicht in naturwissenschaftlichem Unvermögen
                                                                     selbst hergestellt wird. Solch ineinander greifende         zu liegen, sondern in der Sache selbst: Gerade weil
                                                                     Veränderung und Gestaltung geht gleichsam Hand in           Lebendiges nicht vollständig als Objekt beschreibbar

4 Synthetische Biologie – Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht                                                                                                                          Synthetische Biologie – Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht 5
Synthetische Biologie Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht
Rubriktitel                                                                                                                                                                                                                                       Rubriktitel

Was ist und wie entsteht Leben?
«Leben» beschreibt ein Phänomen, das sich einer fremdperspektivischen Definition sperrt, da es nur
aus sich heraus bestimmt werden kann. Leben ist nur deshalb Leben, weil es sich selbst realisiert
und nicht etwa fremd realisiert ist.

Die Frage, was Leben ist, hat die Menschen seit jeher                Die Bedeutung der Lebens-Beschreibungen von Aris-           Hand mit der Schaffung der sie gestaltenden Hände.             ist, kann auch nicht mit von aussen angelegten
bewegt. Der griechische Philosoph Aristoteles gab                    toteles ist immens. Dies zeigt sich auch im Fortgang der    Maturana und Varela machen das Verständnis der auto-           Ursache-Wirkungszusammenhängen das Lebendige voll-
bereits im 4. Jahrhundert vor Christus eine Antwort, die             Debatte im 20. Jahrhundert, beispielsweise in der so        poietischen Wirkung auch an der kleinsten autonomen            ständig erklärt werden. Entsprechende Versuche müssen
bis heute Grundlage für Debatten rund um das Leben                   genannten Autopoiesis-Theorie, welche Humberto              lebendigen Einheit plausibel, der Zelle. Demnach lässt         deshalb als reduktionistisch gelten, weil sie die Kom-
bildet. Sie enthält drei wichtige Elemente:                          Maturana und Francisco Varela 1972 entwickelten.            sich die Lebendigkeit eines lebenden Systems durch             plexität des Lebendigen zu kennen behaupten, die
                                                                                                                                 ein Miteinander und ein Zugleich von Schaffendem und           letztlich nur aus der Innenperspektive des Lebendigen
•   Das Lebendige besteht aus einem Körper und einer                 Leben stellt sich selbst her                                Geschaffenem erklären. Im Unterschied zum aristote-            selbst deutlich wird. Diese Position kann ein Beo-
    Seele. Die Verbindung beider Substanzen ist dem-                 Die beiden chilenischen Naturwissenschaftler mit starken    lischen Konzept der Selbstbewegung liefert die                 bachter jedoch nur annäherungsweise einnehmen. Was
    nach das, was Leben ausmacht. Es kann also weder                 Wurzeln in der Philosophie und in der Literatur stellten    Autopoiesis-Theorie nun zusätzlich einen Ansatz,               hier als Innenperspektive bezeichnet wird, lässt sich
    ein körperloses noch ein seelenloses Lebendiges                  fest, dass wir Menschen, wenn wir Lebendiges beschrei-      um Veränderung, Erhalt und Entstehung des Lebendigen           auch mit dem Begriff des Selbst bezeichnen, also der
    geben, erst das Zusammenspiel macht aus blosser                  ben, immer die Aussenperspektive einnehmen und damit        verständlich zu machen.                                        Annahme, dass Lebendiges ein Verhältnis mit sich selbst
    Materie lebendige Materie.                                       etwas objektivieren, was doch einen subjektiven Charak-                                                                    hat. Ein solches lässt sich durchaus von aussen beein-
                                                                     ter hat, und dabei den Selbstcharakter des Lebendigen       Konstruktion von «Leben»?                                      flussen, bleibt aber selbst dann ein internes, ohne das
•   Das Lebendige ist in Bewegung. So unterscheidet es               unterschlagen. Dass Lebendiges nicht nur Objekt, son-       Wie ist vor diesem Hintergrund die Möglichkeit zu              sich Lebendiges nicht begreifen lässt.
    sich vom Nicht-Lebendigen. Auch nicht belebte                    dern auch und vor allem Subjekt – das heisst ein Selbst     sehen, neue Zellen mit bestimmten Eigenschaften zu
    Materie kann in Bewegung geraten, wie beispiels-                 – ist, hatte bereits                                        konstruieren, wie dies die Synthetische Biologie will?
    weise die Kugel, welche die schiefe Ebene hinunter-              Aristoteles in dem                 Die Frage, was           Es wird nicht nur die Frage aufgeworfen, was Leben ist,
    rollt. Nicht belebte Materie ist aber nie Ursache                Begriff der Selbst-            Leben ist, hat die           sondern zugleich, wie Leben entsteht.
    ihrer Bewegung, sondern wird immer von aussen                    Bewegung ausge-
                                                                                                         Menschen seit
    in Bewegung gesetzt. Nur das Lebendige kann sich                 drückt. Anfang des                                          Naturwissenschaftlich kann man angeben, welche
    selber bewegen.                                                  20. Jahrhunderts                    jeher bewegt.           Materiesubstanzen, beispielsweise Kohlenstoff, und
                                                                     belegte der öster-                                          welche Vorgänge, beispielsweise Stoffwechsel, für das
•   Alle Materie hat immer eine bestimmte Gestalt,                   reichische Physiker und Wissenschaftstheoretiker Erwin      Lebendige unverzichtbar sind und dann feststellen, dass
    eine «Form». Auch hier zeigt sich die Sonderstel-                Schrödinger mit Blick auf den Zweiten Hauptsatz der         immer dann etwas lebt, wenn diese Bedingungen erfüllt
    lung des Lebendigen, das die Form aus sich he-                   Thermodynamik, dass Lebendiges Eigenständigkeit zeigt.      sind. Doch diese Erklärung greift zu kurz: Leben ist ein
    raus bildet, während das Nicht-Lebendige von aus-                Maturana und Varela gingen nun einen Schritt weiter und     Zustand, der sich von dem des Nicht-Lebens qualitativ
    sen in Form gebracht wird. Aristoteles nennt das                 beschrieben das Lebendige als dasjenige, das «sich selbst   unterscheidet. Es gibt keinen kontinuierlichen und
    Beispiel eines Tischlers, der aus der Materie Holz               herstellt». Damit war die «Auto-Poiesis-Theorie» geboren.   quantitativen Übergang vom Nicht-Leben zum Leben;
    einen Stuhl fertigt und dabei die Materie nach sei-                                                                          es geschieht ein Sprung. Der Grund dafür, dass es
    nen Vorstellungen «formt».                                       Eine autopoietische Organisation stellt ein Netzwerk        bislang nicht gelungen ist, diesen Sprung zu erklären,
                                                                     von Bestandteilen dar, das durch diese Bestandteile         scheint nicht in naturwissenschaftlichem Unvermögen
                                                                     selbst hergestellt wird. Solch ineinander greifende         zu liegen, sondern in der Sache selbst: Gerade weil
                                                                     Veränderung und Gestaltung geht gleichsam Hand in           Lebendiges nicht vollständig als Objekt beschreibbar

4 Synthetische Biologie – Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht                                                                                                                          Synthetische Biologie – Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht 5
Synthetische Biologie Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht
Rubriktitel                                                                                                                                                                                                                                         Rubriktitel

Historischer Rückblick
Ihre Wurzeln hat die Synthetische Biologie in der Gentechnologie, die in den letzten 30 Jahren zu
einer Basistechnologie geworden ist. Doch erst der Paradigmenwechsel hin zur Systembiologie
eröffnet nun die Perspektive, neue biologische Systeme zu konstruieren, wie es die Synthetische
Biologie anstrebt.

Die Synthetische Biologie ist eine relativ junge For-                Erfolge der Gentechnologie                                  2001 wurde in einer bisher beispiellosen langjährigen            gewünschten Reihenfolge zu bilden (die so genannte
schungsdisziplin. Ihre Wurzeln liegen in der Gentech-                Die Gentechnologie ist bis heute der wichtigste metho-      und internationalen Kooperation Hunderter Forschenden            Translation). Die Transkriptomik ermöglicht es, Tausen-
nologie. Einen Meilenstein bildete in den 1970er Jahren              dische Zugang zur Synthetischen Biologie. Die klassische    die Rohfassung des menschlichen Genoms veröffentlicht.           de unterschiedlicher Boten-RNAs zu identifizieren und
die Entdeckung der so genannten Restriktionsen-                      Gentechnologie zielt auf relativ stark begrenzte einzel-    Heute, also nur zehn Jahre später, wird die Sequen-              zu quantifizieren. Dadurch wird erstmalig ein detail-
donukleasen durch Werner Arber am Biozentrum der                     ne Eingriffe ab und schafft gentechnisch veränderte         zierung und Analyse von kompletten Genomen, die so               lierter Einblick in den physiologischen Zustand einer
Universität Basel. Diese Enzyme, auch als molekulare                 Organismen. Gut 30 Jahre nach den ersten Durchbrüchen       genannte Genomik, als Dienstleistung angeboten. Und              Zelle möglich, das heisst, darüber, welche Gene wann
Scheren bekannt, schneiden DNA-Stränge an definierten                ist sie zu einer wichtigen Basistechnologie geworden        schon in wenigen Jahren wird es wohl Realität, dass              wie aktiv sind.
Stellen auseinander. So konnten nun im Labor gezielt                 und findet Anwendung in alltäglichen Produkten. So wird     das Genom eines Individuums für nur 1000 US-Dollar
DNA-Fragmente präpariert werden. 1973 gelang es den                  zum Beispiel ein Teil der Käseproduktion heute nicht        sequenziert werden kann. Die Sequenz allein sagt aller-          Ein besseres Verständnis der biologischen Systeme
Forschenden um Robert B. Helling von der University                  mehr mit Labferment aus Kälbern, sondern mit gentech-       dings wenig aus; es wird weiterhin aufwendig und                 eröffnet nun die Perspektive, Zellen mit bestimmten
of California in San Francisco erstmalig, aus zwei DNA-              nisch hergestellten Enzymen produziert. Oder Insulin wird   schwierig bleiben, Rückschlüsse auf eine Vielzahl von            Eigenschaften zu planen und letztlich auch zu kon-
Fragmenten einen neuen DNA-Ring, Plasmid genannt, zu                 bereits seit den 1980er Jahren nicht mehr aus Schlacht-     Funktionen (und Fehlfunktionen) zu ziehen.                       struieren.
konstruieren und diesen in das Bakterium Escherichia                 tieren aufwendig gewonnen, sondern grosstechnisch in
coli einzubauen. Dieses bahnbrechende Experiment zeigte              Bakterienzellen hergestellt. Dieses Insulin ist nicht nur   Die Genomik ist nicht die einzige «-omik»-Technologie,
auf, dass es möglich ist, durch Zusammensetzen von                   kostengünstiger, sondern ruft bei den Diabetes-Patienten    die den Blick der Forschenden auf Zellen oder andere
DNA-Fragmenten unterschiedlicher Herkunft neuartige                  – im Unterschied zu tierischem Insulin – auch keine         biologische Systems schärft und es ihnen erlaubt, deren
Erbsubstanz zu erschaffen und diese in ein Lebewesen                 Abwehrreaktionen des Immunsystems hervor, denn die          Komplexität annähernd zu erfassen. Die Metabolomik
einzuführen, um dessen Eigenschaften zu verändern.                   Bakterien produzieren menschliches Insulin.                 ermöglicht es, Hunderte von Stoffwechselprodukten zu
                                                                                                                                                                       erfassen; mit der
Die Möglichkeit, neue Erbsubstanz zu schaffen, regte                 Die Systembiologie eröffnet neue Horizonte                  Die Gentechnologie                    Proteomik können
bereits damals die Fantasie der Forschungskreise, aber               Zu Beginn des 21. Jahrhunderts geschah – bedingt            ist bis heute                         Tausende von Pro-
auch der Öffentlichkeit an. Es wurden sowohl die                     durch weit reichende technologische und methodische                                               teinen analysiert
                                                                                                                                 der wichtigste
Chancen beispielsweise in der Medizin als auch die                   Entwicklungen – ein Paradigmenwechsel in der modernen                                             werden. Eine wei-
Risiken gesehen. So gab es Befürchtungen, dass uner-                 Biologie: Der Blick ging weg von der detaillierten expe-    methodische Zugang                    tere Technologie
wartet gefährliche Bakterien entstehen könnten. An der               rimentellen Untersuchung einzelner Gene und Proteine        zur Synthetischen                     ist die Transkripto-
Asilomar-Konferenz 1975 im kalifornischen Pacific Grove              und deren isolierter Funktion hin zu einem gesamten         Biologie.                             mik. Das Auslesen
diskutierten Wissenschaftler, Juristen und Ethiker über              biologischen System, beispielsweise einer ganzen Zelle,                                           von Information
mögliche Folgen der Gentechnologie. Diese Konferenz                  eines Gewebes oder gar eines gesamten Organismus.           aus dem Genom geschieht in zwei Schritten. In einem
war wegweisend für die öffentliche Diskussion zu                     Eine Vielzahl technologischer Fortschritte hatte diese      ersten Schritt wird eine Kopie der betreffenden Sequenz
Technikfolgen und für die Aufstellung staatlicher Rege-              Entwicklung getrieben, sodass man nun erstmalig Zellen      der DNA, also eines Gens, erstellt und zwar als so ge-
lungen in der ganzen Welt.                                           umfassend untersuchen konnte. Startpunkt dieser             nannte Boten-RNA. Dieser Vorgang trägt den Namen
                                                                     Entwicklung bildeten die neuen Möglichkeiten, die Erb-      Transkription. Die Sequenz der Boten-RNA wird im zwei-
                                                                     substanz DNA schnell und präzise zu sequenzieren.           ten Schritt benutzt, um eine Aminosäurekette in der

6 Synthetische Biologie – Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht                                                                                                                            Synthetische Biologie – Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht 7
Synthetische Biologie Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht
Rubriktitel                                                                                                                                                                                                                                         Rubriktitel

Historischer Rückblick
Ihre Wurzeln hat die Synthetische Biologie in der Gentechnologie, die in den letzten 30 Jahren zu
einer Basistechnologie geworden ist. Doch erst der Paradigmenwechsel hin zur Systembiologie
eröffnet nun die Perspektive, neue biologische Systeme zu konstruieren, wie es die Synthetische
Biologie anstrebt.

Die Synthetische Biologie ist eine relativ junge For-                Erfolge der Gentechnologie                                  2001 wurde in einer bisher beispiellosen langjährigen            gewünschten Reihenfolge zu bilden (die so genannte
schungsdisziplin. Ihre Wurzeln liegen in der Gentech-                Die Gentechnologie ist bis heute der wichtigste metho-      und internationalen Kooperation Hunderter Forschenden            Translation). Die Transkriptomik ermöglicht es, Tausen-
nologie. Einen Meilenstein bildete in den 1970er Jahren              dische Zugang zur Synthetischen Biologie. Die klassische    die Rohfassung des menschlichen Genoms veröffentlicht.           de unterschiedlicher Boten-RNAs zu identifizieren und
die Entdeckung der so genannten Restriktionsen-                      Gentechnologie zielt auf relativ stark begrenzte einzel-    Heute, also nur zehn Jahre später, wird die Sequen-              zu quantifizieren. Dadurch wird erstmalig ein detail-
donukleasen durch Werner Arber am Biozentrum der                     ne Eingriffe ab und schafft gentechnisch veränderte         zierung und Analyse von kompletten Genomen, die so               lierter Einblick in den physiologischen Zustand einer
Universität Basel. Diese Enzyme, auch als molekulare                 Organismen. Gut 30 Jahre nach den ersten Durchbrüchen       genannte Genomik, als Dienstleistung angeboten. Und              Zelle möglich, das heisst, darüber, welche Gene wann
Scheren bekannt, schneiden DNA-Stränge an definierten                ist sie zu einer wichtigen Basistechnologie geworden        schon in wenigen Jahren wird es wohl Realität, dass              wie aktiv sind.
Stellen auseinander. So konnten nun im Labor gezielt                 und findet Anwendung in alltäglichen Produkten. So wird     das Genom eines Individuums für nur 1000 US-Dollar
DNA-Fragmente präpariert werden. 1973 gelang es den                  zum Beispiel ein Teil der Käseproduktion heute nicht        sequenziert werden kann. Die Sequenz allein sagt aller-          Ein besseres Verständnis der biologischen Systeme
Forschenden um Robert B. Helling von der University                  mehr mit Labferment aus Kälbern, sondern mit gentech-       dings wenig aus; es wird weiterhin aufwendig und                 eröffnet nun die Perspektive, Zellen mit bestimmten
of California in San Francisco erstmalig, aus zwei DNA-              nisch hergestellten Enzymen produziert. Oder Insulin wird   schwierig bleiben, Rückschlüsse auf eine Vielzahl von            Eigenschaften zu planen und letztlich auch zu kon-
Fragmenten einen neuen DNA-Ring, Plasmid genannt, zu                 bereits seit den 1980er Jahren nicht mehr aus Schlacht-     Funktionen (und Fehlfunktionen) zu ziehen.                       struieren.
konstruieren und diesen in das Bakterium Escherichia                 tieren aufwendig gewonnen, sondern grosstechnisch in
coli einzubauen. Dieses bahnbrechende Experiment zeigte              Bakterienzellen hergestellt. Dieses Insulin ist nicht nur   Die Genomik ist nicht die einzige «-omik»-Technologie,
auf, dass es möglich ist, durch Zusammensetzen von                   kostengünstiger, sondern ruft bei den Diabetes-Patienten    die den Blick der Forschenden auf Zellen oder andere
DNA-Fragmenten unterschiedlicher Herkunft neuartige                  – im Unterschied zu tierischem Insulin – auch keine         biologische Systems schärft und es ihnen erlaubt, deren
Erbsubstanz zu erschaffen und diese in ein Lebewesen                 Abwehrreaktionen des Immunsystems hervor, denn die          Komplexität annähernd zu erfassen. Die Metabolomik
einzuführen, um dessen Eigenschaften zu verändern.                   Bakterien produzieren menschliches Insulin.                 ermöglicht es, Hunderte von Stoffwechselprodukten zu
                                                                                                                                                                       erfassen; mit der
Die Möglichkeit, neue Erbsubstanz zu schaffen, regte                 Die Systembiologie eröffnet neue Horizonte                  Die Gentechnologie                    Proteomik können
bereits damals die Fantasie der Forschungskreise, aber               Zu Beginn des 21. Jahrhunderts geschah – bedingt            ist bis heute                         Tausende von Pro-
auch der Öffentlichkeit an. Es wurden sowohl die                     durch weit reichende technologische und methodische                                               teinen analysiert
                                                                                                                                 der wichtigste
Chancen beispielsweise in der Medizin als auch die                   Entwicklungen – ein Paradigmenwechsel in der modernen                                             werden. Eine wei-
Risiken gesehen. So gab es Befürchtungen, dass uner-                 Biologie: Der Blick ging weg von der detaillierten expe-    methodische Zugang                    tere Technologie
wartet gefährliche Bakterien entstehen könnten. An der               rimentellen Untersuchung einzelner Gene und Proteine        zur Synthetischen                     ist die Transkripto-
Asilomar-Konferenz 1975 im kalifornischen Pacific Grove              und deren isolierter Funktion hin zu einem gesamten         Biologie.                             mik. Das Auslesen
diskutierten Wissenschaftler, Juristen und Ethiker über              biologischen System, beispielsweise einer ganzen Zelle,                                           von Information
mögliche Folgen der Gentechnologie. Diese Konferenz                  eines Gewebes oder gar eines gesamten Organismus.           aus dem Genom geschieht in zwei Schritten. In einem
war wegweisend für die öffentliche Diskussion zu                     Eine Vielzahl technologischer Fortschritte hatte diese      ersten Schritt wird eine Kopie der betreffenden Sequenz
Technikfolgen und für die Aufstellung staatlicher Rege-              Entwicklung getrieben, sodass man nun erstmalig Zellen      der DNA, also eines Gens, erstellt und zwar als so ge-
lungen in der ganzen Welt.                                           umfassend untersuchen konnte. Startpunkt dieser             nannte Boten-RNA. Dieser Vorgang trägt den Namen
                                                                     Entwicklung bildeten die neuen Möglichkeiten, die Erb-      Transkription. Die Sequenz der Boten-RNA wird im zwei-
                                                                     substanz DNA schnell und präzise zu sequenzieren.           ten Schritt benutzt, um eine Aminosäurekette in der

6 Synthetische Biologie – Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht                                                                                                                            Synthetische Biologie – Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht 7
Synthetische Biologie Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht
Rubriktitel                                                                                                                                                                                                                                    Rubriktitel

Die Minimale Zelle
Die Evolution hat äusserst komplexe Organismen hervorgebracht. Forschende suchen nach Wegen,
diese Komplexität zu reduzieren, ohne die wichtigsten Fähigkeiten lebender Organismen zu
beeinträchtigen. So entstehen Minimale Zellen, die als Basisorganismus für die Synthetische
Biologie dienen.

Jeder lebende Organismus zeichnet sich durch einen                   Forschende versuchen über zwei unterschiedliche          Rückgrat des Polymers und ihre negativen elektrischen          Spenderorganismus oder durch Synthese. So gelang es
bemerkenswerten Dualismus aus: Einerseits besitzt                    Routen eine Minimale Zelle zu konstruieren: Einerseits   Ladungen tragen unter anderem zur Stabilität der DNA           Forschenden am J. Craig Venter Institute, die DNA aus
jedes Individuum einen Genotypen, das heisst die im                  gehen sie im so genannten «top-down»-Ansatz von          bei. Alle Bemühungen von Forschenden dieses Rückgrat           dem Bakterium Mycoplasma mycoides Large Colony
Genom gespeicherte Information. Anderseits einen                     komplexen und intakten Organismen beziehungsweise        zu modifizieren blieben fruchtlos. Nicht einmal mit            in Zellen des Bakteriums Mycoplasma capricolum zu
Phänotypen, das heisst das effektive Erscheinungsbild                Zellen aus. Anderseits beginnen die Forschenden im       den besten ungeladenen Derivaten war es möglich,               transplantieren. Nach mehreren Zellteilungen ver-
des Individuums, das sich in den Biomolekülen zeigt,                 so genannten «bottom-up»-Ansatz von Grund auf mit        stabile Doppelstränge zu bilden. Dagegen gelang es,            schwand das Genom der Wirtszelle und wurde komplett
wie Proteinen, Polysacchariden oder Lipiden. Ein                     chemischen oder biochemischen Substanzen.                zusätzliche Nukleobasen zu synthetisieren, die Paare           durch das Genom des Spenders ersetzt.
Organismus ist somit das Zusammenspiel von Genotyp,                                                                           bilden, zu stabilen Doppelsträngen führen und auch
Phänotyp sowie dem Milieu, in dem er lebt, und zudem       «bottom-up»-Ansatz                                                 vervielfältigt werden können. Die Fähigkeit, das               In Forschungskreisen ist man sich einig, dass nicht
als Folge der langen biologischen Evolution unter-         Der «bottom-up»-Ansatz orientiert sich an den Kon-                 Genom präzise zu kopieren, ist für biotechnologische           die Herstellung der DNA die grösste zu überwindende
schiedlich komplex. Lebende Organismen sind fähig,         zepten, wie das Leben entstanden ist. Forschende ver-              Anwendungen unerlässlich.                                      Hürde ist, sondern die Aktivierung der nackten DNA,
sich zu entwickeln, sich zu reproduzieren, zu wachsen      suchen, eine neue synthetische oder halb-synthetische                                                                             da diese für den Wirtsorganismus toxisch oder sogar
und zu differenzieren sowie einen Stoffwechsel auf-        Zelle von Grund auf herzustellen, indem sie verfügbare             «top-down»-Ansatz                                              tödlich sein kann. Offenbar muss ein Gleichgewicht
rechtzuerhalten. Das unterscheidet sie grundlegend von     oder synthetisierbare chemische Substanzen ver-                    Nur schon das Darmbakterium Escherichia coli verfügt           zwischen essenziellen und «toxischen» Genen erreicht
unbelebten Systemen.                                       wenden. Dies können das Genom, supramolekulare                     über 4500 Gene. Beim Menschen sind es 25 000. Für              werden.
                                                           Komplexe oder diverse Biomoleküle sein, die sich unter             eine Minimale Zelle müssen es viel weniger sein. Der
Reduzieren zur Minimalen Zelle                                              geeigneten Bedingungen spontan zu                 «top-down»-Ansatz konstruiert eine Zelle, indem ein            Die Minimale Zelle ist ein Basisorganismus oder Chassis,
Die Entwicklung vom Unbelebten zum                                          elementaren Protozellen formieren.                bestehendes Genom vereinfacht wird. Das Phänomen               dem nach Bedarf weitere Funktionalitäten aufgesetzt
Belebten versetzt uns in grosses Stau-
                                               Die Minimale Zelle ist Sie bilden dadurch ein zellähnliches                    der Genomreduktion ist bekannt von Endosymbionten              werden können. Damit das gelingt, muss dieser Basis-
nen. Der Stachel der Neugier sitzt tief,        ein Basisorganismus Kompartiment, das sich zu einer                           und intrazellulären Parasiten. Um zu überleben, stützten       organismus über einige wichtige Charakteristika ver-
zu verstehen, wie eine solche Umwand-            oder Chassis, dem          selbst-reproduzierenden, autopoietis-             sich diese auf ein Genom, das nur essenzielle Gene für         fügen wie robuste Mechanismen zur Kontrolle und
lung abläuft. Der berühmte Physiker             nach Bedarf weitere chen Zelle entwickeln kann.                               den Stoffwechsel, das Überleben der Zelle und dessen           Synchronisierung der Zellteilung, niedrige Mutations-
und Nobelpreisträger Richard Feynman                                                                                          Vermehrung enthält. In ersten erfolgreichen Versuchen          raten, einen optimierten Fluss von Stoffwechselenergie
vertrat den Standpunkt: «What I
                                           Funktionalitäten                                                                   gelang es, ein minimales Genom mit 256 Genen zu re-
                                                                     Ein Ansatzpunkt dabei ist, die che-                                                                                     sowie eine widerstandsfähige Zellwand, damit die
cannot create, I do not understand».      aufgesetzt  werden         mische Struktur der DNA zu variieren.                    konstruieren. In der Zwischenzeit wurde diese Zahl auf         Zellen auch dichtgedrängt gezüchtet werden können.
Die Herausforderung liegt nun darin,             können.             Dieses Polymer ist aus Nukleotiden                       rund 150 reduziert.
geeignete Prozeduren und Methoden                                    aufgebaut, die aus drei Komponenten
zu finden, um die Komplexität biologischer Systeme   bestehen: einer Nukleobase – Adenin, Guanin, Cytosin                     Der Umstand, dass die Kosten der DNA-Synthese laufend
zu reduzieren, ohne die oben erwähnten Fähigkeiten   oder Thymin –, einem Zuckermolekül und einer                             geringer werden, belebt eine Variante des «top-down»-
und Merkmale lebender Organismen zu beeinträchtigen. Phosphatgruppe. Die Nukleobasen bilden Paare,                            Ansatzes: Die Transplantation eines ganzen Genoms
So entsteht eine Minimale Zelle, also eine Zelle mit nämlich Adenin mit Thymin sowie Guanin mit Cytosin.                      von einem Spender- in einen Wirtsmikroorganismus
einer minimalen Anzahl von Genen.                    So entsteht der Doppelstrang der DNA. Die Phosphat-                      von derselben oder einer anderen Spezies. Das gene-
                                                     gruppe bildet zusammen mit dem Zuckermolekül das                         tische Material erhält man durch Isolierung aus dem

8 Synthetische Biologie – Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht                                                                                                                       Synthetische Biologie – Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht 9
Synthetische Biologie Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht
Rubriktitel                                                                                                                                                                                                                                    Rubriktitel

Die Minimale Zelle
Die Evolution hat äusserst komplexe Organismen hervorgebracht. Forschende suchen nach Wegen,
diese Komplexität zu reduzieren, ohne die wichtigsten Fähigkeiten lebender Organismen zu
beeinträchtigen. So entstehen Minimale Zellen, die als Basisorganismus für die Synthetische
Biologie dienen.

Jeder lebende Organismus zeichnet sich durch einen                   Forschende versuchen über zwei unterschiedliche          Rückgrat des Polymers und ihre negativen elektrischen          Spenderorganismus oder durch Synthese. So gelang es
bemerkenswerten Dualismus aus: Einerseits besitzt                    Routen eine Minimale Zelle zu konstruieren: Einerseits   Ladungen tragen unter anderem zur Stabilität der DNA           Forschenden am J. Craig Venter Institute, die DNA aus
jedes Individuum einen Genotypen, das heisst die im                  gehen sie im so genannten «top-down»-Ansatz von          bei. Alle Bemühungen von Forschenden dieses Rückgrat           dem Bakterium Mycoplasma mycoides Large Colony
Genom gespeicherte Information. Anderseits einen                     komplexen und intakten Organismen beziehungsweise        zu modifizieren blieben fruchtlos. Nicht einmal mit            in Zellen des Bakteriums Mycoplasma capricolum zu
Phänotypen, das heisst das effektive Erscheinungsbild                Zellen aus. Anderseits beginnen die Forschenden im       den besten ungeladenen Derivaten war es möglich,               transplantieren. Nach mehreren Zellteilungen ver-
des Individuums, das sich in den Biomolekülen zeigt,                 so genannten «bottom-up»-Ansatz von Grund auf mit        stabile Doppelstränge zu bilden. Dagegen gelang es,            schwand das Genom der Wirtszelle und wurde komplett
wie Proteinen, Polysacchariden oder Lipiden. Ein                     chemischen oder biochemischen Substanzen.                zusätzliche Nukleobasen zu synthetisieren, die Paare           durch das Genom des Spenders ersetzt.
Organismus ist somit das Zusammenspiel von Genotyp,                                                                           bilden, zu stabilen Doppelsträngen führen und auch
Phänotyp sowie dem Milieu, in dem er lebt, und zudem       «bottom-up»-Ansatz                                                 vervielfältigt werden können. Die Fähigkeit, das               In Forschungskreisen ist man sich einig, dass nicht
als Folge der langen biologischen Evolution unter-         Der «bottom-up»-Ansatz orientiert sich an den Kon-                 Genom präzise zu kopieren, ist für biotechnologische           die Herstellung der DNA die grösste zu überwindende
schiedlich komplex. Lebende Organismen sind fähig,         zepten, wie das Leben entstanden ist. Forschende ver-              Anwendungen unerlässlich.                                      Hürde ist, sondern die Aktivierung der nackten DNA,
sich zu entwickeln, sich zu reproduzieren, zu wachsen      suchen, eine neue synthetische oder halb-synthetische                                                                             da diese für den Wirtsorganismus toxisch oder sogar
und zu differenzieren sowie einen Stoffwechsel auf-        Zelle von Grund auf herzustellen, indem sie verfügbare             «top-down»-Ansatz                                              tödlich sein kann. Offenbar muss ein Gleichgewicht
rechtzuerhalten. Das unterscheidet sie grundlegend von     oder synthetisierbare chemische Substanzen ver-                    Nur schon das Darmbakterium Escherichia coli verfügt           zwischen essenziellen und «toxischen» Genen erreicht
unbelebten Systemen.                                       wenden. Dies können das Genom, supramolekulare                     über 4500 Gene. Beim Menschen sind es 25 000. Für              werden.
                                                           Komplexe oder diverse Biomoleküle sein, die sich unter             eine Minimale Zelle müssen es viel weniger sein. Der
Reduzieren zur Minimalen Zelle                                              geeigneten Bedingungen spontan zu                 «top-down»-Ansatz konstruiert eine Zelle, indem ein            Die Minimale Zelle ist ein Basisorganismus oder Chassis,
Die Entwicklung vom Unbelebten zum                                          elementaren Protozellen formieren.                bestehendes Genom vereinfacht wird. Das Phänomen               dem nach Bedarf weitere Funktionalitäten aufgesetzt
Belebten versetzt uns in grosses Stau-
                                               Die Minimale Zelle ist Sie bilden dadurch ein zellähnliches                    der Genomreduktion ist bekannt von Endosymbionten              werden können. Damit das gelingt, muss dieser Basis-
nen. Der Stachel der Neugier sitzt tief,        ein Basisorganismus Kompartiment, das sich zu einer                           und intrazellulären Parasiten. Um zu überleben, stützten       organismus über einige wichtige Charakteristika ver-
zu verstehen, wie eine solche Umwand-            oder Chassis, dem          selbst-reproduzierenden, autopoietis-             sich diese auf ein Genom, das nur essenzielle Gene für         fügen wie robuste Mechanismen zur Kontrolle und
lung abläuft. Der berühmte Physiker             nach Bedarf weitere chen Zelle entwickeln kann.                               den Stoffwechsel, das Überleben der Zelle und dessen           Synchronisierung der Zellteilung, niedrige Mutations-
und Nobelpreisträger Richard Feynman                                                                                          Vermehrung enthält. In ersten erfolgreichen Versuchen          raten, einen optimierten Fluss von Stoffwechselenergie
vertrat den Standpunkt: «What I
                                           Funktionalitäten                                                                   gelang es, ein minimales Genom mit 256 Genen zu re-
                                                                     Ein Ansatzpunkt dabei ist, die che-                                                                                     sowie eine widerstandsfähige Zellwand, damit die
cannot create, I do not understand».      aufgesetzt  werden         mische Struktur der DNA zu variieren.                    konstruieren. In der Zwischenzeit wurde diese Zahl auf         Zellen auch dichtgedrängt gezüchtet werden können.
Die Herausforderung liegt nun darin,             können.             Dieses Polymer ist aus Nukleotiden                       rund 150 reduziert.
geeignete Prozeduren und Methoden                                    aufgebaut, die aus drei Komponenten
zu finden, um die Komplexität biologischer Systeme   bestehen: einer Nukleobase – Adenin, Guanin, Cytosin                     Der Umstand, dass die Kosten der DNA-Synthese laufend
zu reduzieren, ohne die oben erwähnten Fähigkeiten   oder Thymin –, einem Zuckermolekül und einer                             geringer werden, belebt eine Variante des «top-down»-
und Merkmale lebender Organismen zu beeinträchtigen. Phosphatgruppe. Die Nukleobasen bilden Paare,                            Ansatzes: Die Transplantation eines ganzen Genoms
So entsteht eine Minimale Zelle, also eine Zelle mit nämlich Adenin mit Thymin sowie Guanin mit Cytosin.                      von einem Spender- in einen Wirtsmikroorganismus
einer minimalen Anzahl von Genen.                    So entsteht der Doppelstrang der DNA. Die Phosphat-                      von derselben oder einer anderen Spezies. Das gene-
                                                     gruppe bildet zusammen mit dem Zuckermolekül das                         tische Material erhält man durch Isolierung aus dem

8 Synthetische Biologie – Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht                                                                                                                       Synthetische Biologie – Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht 9
Synthetische Biologie Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht
Rubriktitel                                                                                                                                                                                                                              Rubriktitel

Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht
Die Synthetische Biologie soll zu einer echten Ingenieurwissenschaft werden. Dazu muss sie
allerdings einige Bedingungen erfüllen wie die Orthogonalität. Das bedeutet, dass die Bauteile
der Synthetischen Biologie frei und unabhängig voneinander kombinierbar sein müssen.
Gelingt dies, hat die Synthetische Biologie ein beachtliches wirtschaftliches Potenzial.

Basierend auf rationalem Design will die Synthetische            •    Trennung von Design, Entwurf und Herstellung: In      Aminosäuren Verwendung finden könnten. Um künst-           Futtermittelzusatz benötigte Aminosäure Lysin, die
Biologie biologische und synthetische Einheiten mit-                  der Biotechnologie ist diese Trennung – anders als    liche Aminosäuren an ausgewählten Positionen eines         derzeit mit klassischen biotechnologischen Verfahren
einander verknüpfen, um so selektiv Zellen mit be-                    etwa im Autobau – noch nicht gegeben. Um eine         Proteins einzuschleusen, muss die DNA entsprechend         im Massstab von 700 000 Tonnen – entspricht einem
stimmten Eigenschaften zu konstruieren. Insgesamt                     wirkliche Ingenieurwissenschaft zu werden, muss                                            modifiziert und der   Marktwert von zwei Milliarden Schweizer Franken –
zeichnet sich damit eine neue Ingenieurwissenschaft                   dies allerdings geschehen.                            Noch befindet sich                   Auslesevorgang der    jährlich produziert wird. Neue Prozesse könnten auf
ab. Um in der industriellen Biotechnologie eingesetzt                                                                                                            Erbinformation an-    neue Rohstoffquellen zurückgreifen und so Ressourcen
                                                                                                                            die Synthetische
zu werden, sollen Zellen so gestaltet sein, dass sie             Orthogonale Biosysteme zähmen Komplexität                                                       gepasst werden.       und Energie sparen und Abfälle vermeiden. Insgesamt
für Bioreaktoren ideal angepasst sind und – je nach              Bei der Konstruktion neuartiger Biosysteme spielt die      Biologie im                          Auf diese Weise       zeichnen sich eine höhere Produktivität und ganz neue
genetischer Ausstattung – unterschiedliche Produkte              Komplexität eine zentrale Rolle: Neu eingebrachte          Grundlagenstadium.                   können lebende        Produktionskonzepte ab.
synthetisieren. Noch befindet sich die Synthetische              Moleküle oder Schaltkreise treten in Wechselwirkung                                             Zellen so program-
Biologie im Grundlagenstadium. Für den Übergang zur              mit dem bestehenden System. Um möglichst unabhän-          miert werden, dass sie beliebige Proteine synthetisie-     Ausgehend von der bereits grossen Bedeutung der
Ingenieurwissenschaft muss sie fünf Prinzipien er-               gig voneinander funktionierende Bausteine einzubauen,      ren, die beispielsweise als neue Werkstoffe für Zahnim-    Biotechnologie in der chemischen Industrie könnte
füllen, die Sven Panke von der ETH Zürich wie folgt              wird das Konzept der orthogonalen Biosysteme verfolgt.     plantate oder Knorpel- und Knochenersatz, als              es in den nächsten Jahren zu einer regelrechten Bio-
formuliert hat:                                                  Orthogonalität bedeutet freie Kombinierbarkeit aller       Medikamente oder als Katalysatoren für chemische           logisierung der Wirtschaft kommen, mit einem ent-
                                                                 Bauteile. Das Konzept will Teilsysteme modifizieren,       Reaktionen oder auch für Forschungszwecke zur Aufklä-      sprechend grossen Anteil der Synthetischen Biologie.
•   Umfassendes Wissen: Dabei spielt besonders die               ohne gleichzeitig andere Teilsysteme erheblich zu          rung von Strukturen und Funktionen dienen können.
    zelluläre Systembiologie eine wichtige Rolle.                stören oder zu verändern. Nimmt man als Vergleich
                                                                 den Autobau, ginge es beispielsweise darum, ein neues      Wirtschaftliches Potenzial ist da
•   Orthogonalität: Gemeint ist, dass die kombinierten           Autoradio einzubauen, ohne die Leistung der Scheiben-      Noch lässt sich zwar die ökonomische Bedeutung der
    Teile voneinander unabhängig sein sollen, damit              wischer zu beeinflussen.                                   Synthetischen Biologie nicht verlässlich abschätzen; es
    ein modularer Aufbau möglich ist und keine un-                                                                          sind jedoch bereits marktnahe Produkte in der Pipeline,
    vorhergesehenen Nebeneffekte auftreten.                      Erst wenn die Orthogonalität in biologischen Systemen      die sowohl für die industrielle Verwertung als auch
                                                                 verwirklicht werden kann, sind die Voraussetzungen für     den gesellschaftlichen Nutzen viel versprechende
•   Hierarchische Organisation: Untersysteme müssen              eine Synthetische Biologie im Sinne gezielter Eingriffe    Perspektiven bieten. Der Katalog umfasst Medikamente,
    in der Synthetischen Biologie auf verschiedenen              geschaffen, die über den rein empirischen Ansatz           neuartige Verfahren zur Gentherapie, die Produktion
    Abstraktionsebenen betrachtet werden können.                 hinausgehen und die nicht in der zellulären Komplexität    umwelt- und ressourcenschonender Fein- und Industrie-
    Etwa im Unterschied zur Biotechnologie, in der die           gefangen bleiben.                                          chemikalien, biogene Treibstoffe sowie neue Werk-
    molekulare Sicht dominiert.                                                                                             stoffe wie polymere Verbindungen.
                                                                 Als Beispiel sei das Engineering des genetischen Codes
•   Standardisierung: Biologische Systeme sind kom-              genannt: Ein Protein ist aus bis zu 20 unterschiedlichen   Tatsächlich können schon kleinere Verbesserungen in
    plex und vielfältig. Ein Ansatz, die Komplexität zu          Aminosäuren aufgebaut, welche die Struktur und Funk-       biotechnologischen Prozessen, die durch Methoden
    reduzieren, ist die Verwendung standardisierter              tion des Proteins prägen. Es gibt freilich keinen che-     der Synthetischen Biologie gelingen, eine erhebliche
    Bausteine.                                                   mischen oder biologischen Grund, warum nicht weitere       wirtschaftliche Relevanz haben. Ein Beispiel ist die als

10 Synthetische Biologie – Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht                                                                                                               Synthetische Biologie – Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht 11
Rubriktitel                                                                                                                                                                                                                              Rubriktitel

Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht
Die Synthetische Biologie soll zu einer echten Ingenieurwissenschaft werden. Dazu muss sie
allerdings einige Bedingungen erfüllen wie die Orthogonalität. Das bedeutet, dass die Bauteile
der Synthetischen Biologie frei und unabhängig voneinander kombinierbar sein müssen.
Gelingt dies, hat die Synthetische Biologie ein beachtliches wirtschaftliches Potenzial.

Basierend auf rationalem Design will die Synthetische            •    Trennung von Design, Entwurf und Herstellung: In      Aminosäuren Verwendung finden könnten. Um künst-           Futtermittelzusatz benötigte Aminosäure Lysin, die
Biologie biologische und synthetische Einheiten mit-                  der Biotechnologie ist diese Trennung – anders als    liche Aminosäuren an ausgewählten Positionen eines         derzeit mit klassischen biotechnologischen Verfahren
einander verknüpfen, um so selektiv Zellen mit be-                    etwa im Autobau – noch nicht gegeben. Um eine         Proteins einzuschleusen, muss die DNA entsprechend         im Massstab von 700 000 Tonnen – entspricht einem
stimmten Eigenschaften zu konstruieren. Insgesamt                     wirkliche Ingenieurwissenschaft zu werden, muss                                            modifiziert und der   Marktwert von zwei Milliarden Schweizer Franken –
zeichnet sich damit eine neue Ingenieurwissenschaft                   dies allerdings geschehen.                            Noch befindet sich                   Auslesevorgang der    jährlich produziert wird. Neue Prozesse könnten auf
ab. Um in der industriellen Biotechnologie eingesetzt                                                                                                            Erbinformation an-    neue Rohstoffquellen zurückgreifen und so Ressourcen
                                                                                                                            die Synthetische
zu werden, sollen Zellen so gestaltet sein, dass sie             Orthogonale Biosysteme zähmen Komplexität                                                       gepasst werden.       und Energie sparen und Abfälle vermeiden. Insgesamt
für Bioreaktoren ideal angepasst sind und – je nach              Bei der Konstruktion neuartiger Biosysteme spielt die      Biologie im                          Auf diese Weise       zeichnen sich eine höhere Produktivität und ganz neue
genetischer Ausstattung – unterschiedliche Produkte              Komplexität eine zentrale Rolle: Neu eingebrachte          Grundlagenstadium.                   können lebende        Produktionskonzepte ab.
synthetisieren. Noch befindet sich die Synthetische              Moleküle oder Schaltkreise treten in Wechselwirkung                                             Zellen so program-
Biologie im Grundlagenstadium. Für den Übergang zur              mit dem bestehenden System. Um möglichst unabhän-          miert werden, dass sie beliebige Proteine synthetisie-     Ausgehend von der bereits grossen Bedeutung der
Ingenieurwissenschaft muss sie fünf Prinzipien er-               gig voneinander funktionierende Bausteine einzubauen,      ren, die beispielsweise als neue Werkstoffe für Zahnim-    Biotechnologie in der chemischen Industrie könnte
füllen, die Sven Panke von der ETH Zürich wie folgt              wird das Konzept der orthogonalen Biosysteme verfolgt.     plantate oder Knorpel- und Knochenersatz, als              es in den nächsten Jahren zu einer regelrechten Bio-
formuliert hat:                                                  Orthogonalität bedeutet freie Kombinierbarkeit aller       Medikamente oder als Katalysatoren für chemische           logisierung der Wirtschaft kommen, mit einem ent-
                                                                 Bauteile. Das Konzept will Teilsysteme modifizieren,       Reaktionen oder auch für Forschungszwecke zur Aufklä-      sprechend grossen Anteil der Synthetischen Biologie.
•   Umfassendes Wissen: Dabei spielt besonders die               ohne gleichzeitig andere Teilsysteme erheblich zu          rung von Strukturen und Funktionen dienen können.
    zelluläre Systembiologie eine wichtige Rolle.                stören oder zu verändern. Nimmt man als Vergleich
                                                                 den Autobau, ginge es beispielsweise darum, ein neues      Wirtschaftliches Potenzial ist da
•   Orthogonalität: Gemeint ist, dass die kombinierten           Autoradio einzubauen, ohne die Leistung der Scheiben-      Noch lässt sich zwar die ökonomische Bedeutung der
    Teile voneinander unabhängig sein sollen, damit              wischer zu beeinflussen.                                   Synthetischen Biologie nicht verlässlich abschätzen; es
    ein modularer Aufbau möglich ist und keine un-                                                                          sind jedoch bereits marktnahe Produkte in der Pipeline,
    vorhergesehenen Nebeneffekte auftreten.                      Erst wenn die Orthogonalität in biologischen Systemen      die sowohl für die industrielle Verwertung als auch
                                                                 verwirklicht werden kann, sind die Voraussetzungen für     den gesellschaftlichen Nutzen viel versprechende
•   Hierarchische Organisation: Untersysteme müssen              eine Synthetische Biologie im Sinne gezielter Eingriffe    Perspektiven bieten. Der Katalog umfasst Medikamente,
    in der Synthetischen Biologie auf verschiedenen              geschaffen, die über den rein empirischen Ansatz           neuartige Verfahren zur Gentherapie, die Produktion
    Abstraktionsebenen betrachtet werden können.                 hinausgehen und die nicht in der zellulären Komplexität    umwelt- und ressourcenschonender Fein- und Industrie-
    Etwa im Unterschied zur Biotechnologie, in der die           gefangen bleiben.                                          chemikalien, biogene Treibstoffe sowie neue Werk-
    molekulare Sicht dominiert.                                                                                             stoffe wie polymere Verbindungen.
                                                                 Als Beispiel sei das Engineering des genetischen Codes
•   Standardisierung: Biologische Systeme sind kom-              genannt: Ein Protein ist aus bis zu 20 unterschiedlichen   Tatsächlich können schon kleinere Verbesserungen in
    plex und vielfältig. Ein Ansatz, die Komplexität zu          Aminosäuren aufgebaut, welche die Struktur und Funk-       biotechnologischen Prozessen, die durch Methoden
    reduzieren, ist die Verwendung standardisierter              tion des Proteins prägen. Es gibt freilich keinen che-     der Synthetischen Biologie gelingen, eine erhebliche
    Bausteine.                                                   mischen oder biologischen Grund, warum nicht weitere       wirtschaftliche Relevanz haben. Ein Beispiel ist die als

10 Synthetische Biologie – Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht                                                                                                               Synthetische Biologie – Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht 11
Rubriktitel                                                                                                                                                                                                                              Rubriktitel

Mit DNA Daten verarbeiten
Einige Vorgänge in der lebenden Zelle besitzen grosse Ähnlichkeiten mit Arbeitsweisen, mit
denen Daten verarbeitet werden können. Interessant ist dies vor allem für Problemstellungen,
an denen gängige Computer scheitern. Verschiedene Konzepte des «DNA Computing» wurden
bereits entwickelt.

Dank der Synthetischen Biologie sollte es möglich                Erstaunlicherweise besitzen aber gewisse molekular-         binden. In einem Gemisch all dieser DNA-Stücke gehen      Biologische Turingmaschine
werden, Biomoleküle so zusammenzusetzen, dass sie                biologische Vorgänge grosse Ähnlichkeit mit der Arbeits-    innert Minuten diejenigen DNA-Stücke eine Verbindung      Ein zweites Konzept erinnert eher an die Turingmaschine:
Berechnungen durchführen können. Berechnung soll                 weise einer Turingmaschine. Beispielsweise die Tran-        ein, die komplementäre Regionen besitzen. Auf diese       Eine Maschine aus DNA und Enzymen kann selbstständig
hier im allgemeinen Sinn verstanden werden, also als             skription, der Vorgang, bei dem die Information des         Weise werden im Teströhrchen alle möglichen Routen als    erkennen, ob bestimmte Boten-RNA vermehrt vorhan-
kontrolliertes Verarbeiten von Informationen, wie dies           DNA-Stranges in Boten-RNA umgeschrieben wird. Der           zusammengesetzte DNA-Stücke dargestellt. Aufwendig        den sind, und bei entsprechend positivem Befund
heute Computer tun.                                              Informatiker und Molekularbiologe Leonard Adleman           an diesem Experiment ist es nun, dasjenige zusam-         gleichzeitig ein therapeutisches Molekül freigeben.
                                                                 von der University of Southern California in Los Angeles    menhängende DNA-Stück herauszufischen, das die            Anwendung könnte eine solche Maschine in der Dia-
Der britische Mathematiker Alan Turing entwickelte               präsentierte 1994 erste Ergebnisse für einen DNA-           Bedingung erfüllt, dass alle Städte einmal und nur ein-   gnose und Therapie bestimmter Krankheiten finden, wie
bereits 1936 ein Konzept für eine universell program-            Computer. Damit war der Startschuss für das interdiszi-     mal besucht werden dürfen. Dieser Aufwand nimmt           in einigen Krebsarten, bei denen bestimmte Proteine
mierbare Maschine, die Turingmaschine. Dabei ging er             plinäre Forschungsgebiet des «DNA Computing» ge-            aber mit der Anzahl der Städte nur linear zu und nicht    vermehrt und andere vermindert vorhanden sind. Dieser
davon aus, dass sich eine jegliche Berechnung in kleinste        fallen. In der Zwischenzeit sind viele verschiedene         exponentiell.                                             Zustand wird nämlich auch in der Menge der ent-
und einfachste Schritte zerlegen lässt. Eine solche              Konzepte entwickelt worden, wie die Information, die                                                                  sprechenden Boten-RNA gespiegelt. Bislang funktio-
Maschine könnte alle Zeichen aus einer endlichen                 auf einem Stück DNA kodiert ist, benutzt werden kann,                                           Mit diesem Kon-       niert dieses Konzept zwar erst im Teströhrchen. Doch
Anzahl Zeichen, die hintereinander auf einem Streifen            um Daten zu verarbeiten.
                                                                                                                             Anwendung könnte eine               zept kann die kor-    immerhin konnte gezeigt werden, dass ein bioche-
geschrieben stehen, nacheinander lesen. Nachdem sie                                                                          «Rechenmaschine» aus                rekte Lösung in-      misches Krankheitssymptom direkt mit den Rechen-
ein Zeichen gelesen hat, schreibt die Maschine, ab-              Lösung für den Handlungsreisenden                           DNA und Enzymen in                  nert kürzester Zeit   schritten eines molekularen Computers gekoppelt
hängig von ihrem Zustand und dem gelesenen Zeichen,              Mit einem der Konzepte lässt sich das bekannte und          der Diagnose und                    hergestellt wer-      werden kann. Auf der Inputseite wird die Umgebung
auf Grund einer bestimmten, vorprogrammierten Arbeits-           für herkömmliche Computer schwierige Problem des                                                den, da alle Mög-     sensorisch erfasst; der Computer verarbeitet dann
                                                                                                                             Therapie bestimmter
anweisung auf einem zweiten Streifen ein Zeichen, geht           Handlungsreisenden lösen: Gegeben ist eine Anzahl                                               lichkeiten parallel   diese Information und setzt als Output beispielsweise
in einen anderen Zustand über und die eigene Position            Städte, zwischen denen es zwar Flugverbindungen gibt,
                                                                                                                             Krankheiten finden.                 verarbeitet wer-      therapeutische Moleküle frei.
wird so verschoben, dass sie das nächste Zeichen lesen           jedoch nicht von jeder Stadt zu jeder anderen. Der                                              den. Dies steht im
kann. Auf diese Weise lässt sich theoretisch jedes be-           Handlungsreisende muss nun jede Stadt einmal be-            Gegensatz zu herkömmlichen Computern, die bei diesem      Die Forschungsergebnisse lassen vermuten, dass in
rechenbare Problem lösen. Die Turingmaschine ist jedoch          suchen, jedoch nicht mehrmals. Da mit zunehmender           Problemtyp jede einzelne Möglichkeit sequenziell auf      Zukunft diese Art von Computing von fundamentaler
ein Konzept, das mechanisch viel zu kompliziert und              Anzahl Städte die Anzahl der Möglichkeiten exponen-         Korrektheit durchtesten. Aber auch dieses Konzept des     Bedeutung sein wird, nicht zuletzt für die Gesundheit
zu langsam ist, um realisiert zu werden; auch Turing             tiell steigt, benötigen solche Berechnungen sehr viel       DNA-Computing kennt Grenzen: Je grösser die Anzahl        des Menschen. Ob die Produktion der einzelnen Be-
selber hatte nie erwähnt, woraus eine solche Maschine            Rechenkapazität – oft zu viel, auch für heutige Super-      der Städte, desto mehr DNA-Stücke müssen in das Test-     standteile, hauptsächlich der DNA, die chemisch-
bestehen könnte.                                                 computer. Experimentell wurde nun jede Stadt und            röhrchen hinein. Dessen Kapazität ist irgendwann          synthetisch hergestellt wird, der Nachfrage standhalten
                                                                 jede Flugverbindung mit einem kleinen Stück einzel-         erreicht, und die Handhabung bei grösseren Volumina       kann und ökologisch sinnvoll ist, lässt sich allerdings
                                                                 strängiger DNA dargestellt. Dabei kann das DNA-Stück        wird deutlich schwieriger.                                nur schwierig absehen.
                                                                 für einen Flug von einer Stadt in eine andere sich einer-
                                                                 seits mit dem DNA-Stück, das die Abflugstadt darstellt,
                                                                 und anderseits mit dem DNA-Stück, das die Ankunfts-
                                                                 stadt darstellt, über komplementäre Basenpaarung ver-

12 Synthetische Biologie – Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht                                                                                                               Synthetische Biologie – Eine neue Ingenieurwissenschaft entsteht 13
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