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Take Back Control? Zur politischen Regulation der sozialen Medien Die sozialen Medien stehen zunehmend in der Kritik, die gesellschaft- liche Polarisierung voranzutreiben. Immer deutlicher wird dabei, dass die Zivilgesellschaft diesen Dynamiken nur begrenzt mit digitaler Ge- genrede entgegenwirken kann. Zugleich schwindet in der Politik die Geduld, dass die Tech-Unternehmen eine Selbstregulation umsetzen, mit der die Räume für extremistische Propaganda geschlossen wer- den. Wie aber könnte eine politische Regulierung der sozialen Me- dien aussehen? Effektive Eingriffe beschneiden unweigerlich die Freiheit des Einzel- nen, Inhalte der Öffentlichkeit ungefiltert präsentieren zu können. Diese neu entstandene Veröffentlichungsfreiheit ist von der Mei- nungsfreiheit zu trennen, die nicht anzutasten ist. Um demokratische Normen zu bewahren, ist eine Zentrierung inhalt- licher Verantwortung bei den Plattformen nötig. Auch der Aufbau von sozialen Medien in öffentlich-rechtlicher Hand wäre eine Option, um die offene Gesellschaft zu schützen. 06|20 HOLGER MARCKS | 2020
IFSH – Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg Die gesellschaftliche Polarisierung im Zuge der Digitalisierung wirft grundsätzliche Fragen zur Be- deutung von Medien in demokratischen Gesellschaften auf. Insbesondere die sozialen Medien wir- ken ja maßgeblich an der Herstellung von Öffentlichkeit mit – und bestimmen damit, welche Infor- mationen die Bevölkerung auf welche Weise beeinflussen. Ob dies nach Regeln funktioniert, die Verständigung ermöglichen, entscheidet über Wohl und Wehe der offenen Gesellschaft. Zur Erinnerung: Als einst die Massenpresse und zwar so selbstverständlich, dass wir uns dem häufig schließlich Funk und Fernsehen aufkamen, war das nicht mal mehr bewusst sind. eine Zäsur für den politischen Diskurs. Die neuen Technologien veränderten nicht nur die gesellschaft- Mit der Digitalisierung sind die alten Normen der liche Wahrnehmung der Welt, sondern ermöglichten Massenkommunikation, die in dieser Regulation zum auch extremistischen Akteuren neue Formen der Ausdruck kommen, unter Druck geraten. In einer viel- Manipulation. Besonders sinnbildlich hierfür mag beachteten Rede vor der Anti-Defamation League der „Volksempfänger“ stehen, den sich die Nazis zu- (ADL) wies der Komiker Sacha Baron Cohen bereits nutze machten, um die Bevölkerung direkt zu beein- Ende 2019 darauf hin, dass man „freedom of speech“ flussen. So betrachtet bargen auch die traditionellen heute allzu häufig mit „freedom of reach“ verwechsle. Medien ein destruktives Potential, das die Demo- Neben die Idee der Meinungsfreiheit ist also etwas kratien erstmal bändigen mussten. Das Presserecht getreten, für das viele nicht mal einen Namen haben. steht für diese Einhegung ebenso wie journalistische Man könnte es Veröffentlichungsfreiheit nennen: das und ethische Standards bei der Wissensproduktion. Recht darauf, dass die eigene Meinung nicht nur von Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk kann als Teil Repressalien verschont bleibt, sondern auch noch dieser Bemühungen betrachtet werden, eine Medien- veröffentlicht wird. Und in der Tat ist es das, was die landschaft zu schaffen, die kompatibel mit den An- sozialen Medien leisten: Sie stellen Öffentlichkeit her, forderungen demokratischer Diskurse ist. Die herge- veröffentlichen also Inhalte. Nur dass die Autoren brachten Technologien der Massenkommunikation jene Inhalte heute selbst einstellen. Die Tech-Unter- unterliegen also durchaus einer Regulation – und nehmen filtern dann erst rückwirkend die gröbsten Verstöße heraus. Dieses „post-redaktionelle“ Prinzip, wie es die Journalistin Margreth Lünenborg nennt, ist das entscheidende Einfallstor für extremistische Pro- „NEBEN DIE IDEE DER paganda und Verschwörungstheorien. MEINUNGSFREIHEIT IST ETWAS GETRE- ZENTRIERUNG INHALTLICHER TEN, FÜR DAS VIELE VERANTWORTUNG NICHT MAL EINEN NAMEN HABEN. MAN Es ist offensichtlich, dass die neue Veröffentlichungs- freiheit im Konflikt mit den alten Normen der Mas- KÖNNTE ES VERÖF- senkommunikation steht. Sie werden regelrecht ad FENTLICHUNGSFREI- absurdum geführt, wenn sie für die traditionellen HEIT NENNEN.“ Medien gelten, während die „Intermediäre“ – so die
Policy Brief | Take Back Control? Zur politischen Regulation der sozialen Medien rechtliche Einstufung der sozialen Medien – kaum Verantwortung für die von ihnen veröffentlichten In- halte tragen, obwohl sie großen Einfluss auf die Be- „SOZIALE MEDIEN völkerung haben. Diese Erkenntnis ist allmählich LASSEN SICH AUCH auch im politischen Diskurs angekommen. Wurden ALS TEIL EINER die Tech-Unternehmen im Kontext des Netzwerk- ÖFFENTLICHEN durchsetzungsgesetzes bereits stärker in die Pflicht genommen, um gegen Hass und Hetze vorzugehen, INFRASTRUKTUR geht es politischen Entscheidungsträgern mit der DENKEN, DIE DURCH Corona-Krise nun verstärkt auch darum, den Raum DEMOKRATISCHE für Falschmeldungen und Verschwörungstheorien zu GREMIEN verengen. So arbeitet etwa die EU-Kommission der- zeit an einem Digitalgesetz, von dem vor allem eine GESTEUERT WIRD.“ stärkere Regulation der Inhalte in den sozialen Me- dien erwartet wird. Damit könnte die inhaltliche Ver- antwortung, die in den sozialen Medien auf die Breite ENTMONOPOLISIERUNG UND SOZIALISIERUNG der Nutzer verteilt wurde, mehr bei den Betreibern von Plattformen zentriert werden. Eine Einhegung der sozialen Medien ist allein deswe- gen schon angebracht, weil in ihrem Bereich Mono- Wenngleich von vielen als Zensur kritisiert, ist eine poltendenzen bestehen, die in der Marktwirtschaft Zentrierung inhaltlicher Verantwortung dennoch zu nicht vorgesehen sind. Dabei halten die Tech-Un- erwägen. Warum auch sollte der kollektive Nutzen ternehmen auch Technologien in ihren Händen, die bewährter Regeln der Massenkommunikation weni- entscheidend für den demokratischen Diskurs sind. ger wiegen als das Interesse Einzelner, die Bevölke- Allerdings tut sich die Politik schwer, diese Monopole rung ungehemmt beeinflussen zu dürfen? Gerade am zu zerschlagen, unter anderem weil diese nicht durch Beispiel des Rechtsextremismus zeigt sich ja, dass Kartellbildung zustande kamen, sondern „natür- Akteure, die zur Manipulation gewillt sind, mit der Ver- lich“ über die Marktentscheidungen der Nutzer. Hier öffentlichungsfreiheit große Raumgewinne erzielen könnte eine Verantwortungszentrierung entzerrend können. Dabei muss eine Zentrierung nicht unbe- wirken. Denn um Inhalte vor der Veröffentlichung dingt auf höchster Ebene erfolgen, etwa indem man überhaupt sinnvoll selektieren zu können, wären die die Tech-Unternehmen wie Redaktionen behandelt. Plattformbetreiber gezwungen, zu definieren, welche Denkbar wäre auch eine Zentrierung auf „mittlerer“ Inhalte und Nutzer gewünscht sind. Ähnlich wie bei Ebene, bei der die sozialen Medien zwischen privaten den Zeitungen, den Verlags- und Medienhäusern, die und öffentlichen Netzwerken sowie exklusiven und sich in Blattlinie und mitunter auch Weltanschauung Masseninformationen unterscheiden müssten. Zu- unterscheiden, könnte so ein aufgefächertes Markt- mindest für diejenigen, die die sozialen Medien tat- angebot verschiedener Plattformen entstehen. sächlich zur Massenkommunikation nutzen, sollten dieselben Normen wie bei den herkömmlichen Me- Eine weitere Option ist gar, soziale Medien wortwört- dien gelten. Sonst werden diese Normen mittelfristig lich in den öffentlichen Dienst zu stellen. Da es sich ganz ausgehebelt. um Technologien handelt, die fast schon als Teil der Grundversorgung empfunden werden, ist das nicht
abwegig. Gerade bei natürlichen Monopolen, die und deren Funktionsweise pädagogisch und kulturell Gemeingutcharakter annehmen, war Sozialisierung wertvolle Inhalte fördert. Ob dies durch Verstaatli- – ihre Überführung in gesellschaftliches Eigentum chung erfolgen soll, wie von manchen Digitalexperten – stets ein probates Mittel. Und letztlich ist ja auch gefordert, oder durch den Aufbau von Plattformen bereits beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk der nach öffentlich-rechtlichem Vorbild, sei dahingestellt. Grundgedanke gewesen, dass eine vitale Demokra- Es stünde in jedem Falle, wie auch eine rechtliche tie politisch und wirtschaftlich unabhängiger Medien Einhegung der sozialen Medien, für eine Demokrati- bedarf. In diesem Sinne lassen sich auch soziale Me- sierung. Denn damit gewinnt das demokratische Ge- dien als Teil einer öffentlichen Infrastruktur denken, meinwesen die Kontrolle über die Technologien zu- die durch demokratische Gremien gesteuert wird – rück, die über seine Zukunft entscheiden. ÜBER DEN AUTOR ÜBER DAS PROJEKT ÜBER DAS INSTITUT Holger Marcks ist Non-Resident Fellow am Dieser Policy Brief entstand im Rahmen des Das Institut für Friedensforschung und Sicher- Institut für Friedensforschung und Sicherheits- Projekts „PANDORA – Propaganda, Mobili- heitspolitik (IFSH) erforscht die Bedingungen politik an der Universität Hamburg. Von 2018 sierung und Radikalisierung zur Gewalt in der von Frieden und Sicherheit in Deutschland, bis 2020 forschte er als wissenschaftlicher virtuellen und realen Welt. Ursachen, Verläufe Europa und darüber hinaus. Das IFSH forscht Mitarbeiter im PANDORA-Projekt. und Gegenstrategien im Kontext der Debatte eigenständig und unabhängig. Es wird von der um Flucht und Asyl“ im Zuge der Bekannt- Freien und Hansestadt Hamburg finanziert. machung „Zivile Sicherheit – Aspekte und Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung“ des BMBF im Programm „Forschung für die zivile Sicherheit“ der Bundesregierung. DOI: https://doi.org/10.25592/ifsh-policy-brief-0620 Copyright Cover Foto: AFP. Text license: Creative Commons CC-BY-ND (Attribution/NoDerivatives/4.0 International). IFSH – Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg Beim Schlump 83 20144 Hamburg Germany Phone +49 40 866077 - 0 ifsh@ifsh.de www.ifsh.de
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