Tokamak-Betrieb mit Wolfram als Wandmaterial

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Tokamak-Betrieb mit Wolfram als Wandmaterial
Kallenbach, Arne | Tokamak-Betrieb mit Wolfram als Wandmaterial                          Tätigkeitsbericht 2008

Hochenergie- und Plasmaphysik/Quantenoptik

Tokamak-Betrieb mit Wolfram als Wandmaterial
Kallenbach, Arne;

Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, Garching
Arbeitsbereich - Tokamak: Rand- und Divertorphysik

Korrespondierender Autor
Kallenbach, Arne,
E-Mail: info@ipp.mpg.de

Zusammenfassung
Um die Eignung als Wandmaterial für ein Fusionskraftwerk zu testen, ist die innere Wand des Plasma-
gefäßes von ASDEX Upgrade mit Wolfram beschichtet. Ohne Borierung der Wand war im Vergleich
zum Konkurrenzmaterial Kohlenstoff eine stark reduzierte Speicherung von Wasserstoff festzustellen.
Nach Borierung zeigten sich niedrige Plasma-Strahlungsverluste, wie sie in einem Kraftwerk erwar-
tet werden. Zur Erhöhung der Verluste wurde Stickstoff eingeblasen: Es stellte sich die gewünschte
thermische Entlastung des Divertors ein sowie eine – unerwartete – Verbesserung des Plasma-Energie-
einschlusses.

Abstract
In order to qualify tungsten as surface material for a future fusion reactor, the plasma facing carbon
tiles of ASDEX Upgrade were coated with tungsten. The first experimental campaign – without wall
conditioning by deposition of boron – demonstrated a favourable behaviour of tungsten with regard
to hydrogen retention. After boronization, the reduced impurity content caused low intrinsic radiati-
on. Injection of nitrogen re-established a radiative level required to protect the divertor from thermal
overload, resulting also in an (unexpected) improvement of the energy confinement.

Die kurz-, mittel- und langfristige, d. h. die über Sekunden, Tage oder Monate dauernde Speicherung
von Wasserstoff und anderer gasförmiger Spezies in den Gefäßwänden kann den Betrieb eines Toka-
mak-Kraftwerks auf verschiedenartige Weise beeinflussen: So zählt eine geringe Langzeit-Speicherung
von Wasserstoff zu den wesentlichen Sicherheitsauflagen, die eine Obergrenze für die maximal frei-
setzbare Menge des radioaktiven Wasserstoffisotops Tritium setzen. Beim Betrieb spielen Gasaufnah-
me und -abgabe eine wichtige Rolle für die Kontrolle der Plasmadichte. Auch zusätzliche gasförmige
Spezies wie Stickstoff und Edelgase, die zur Kühlung des Randplasmas eingeblasen werden, dürfen
daher im Wandmaterial nicht in großen Mengen gespeichert werden.

Alle diese Effekte werden im Garchinger Tokamak ASDEX Upgrade für eine mit dem Metall Wolf-
ram bedeckte Wand untersucht, das zurzeit als aussichtsreichster Kandidat für das Wandmaterial
eines Fusionskraftwerks gilt (Abb. 1). Seit 2007 sind die dem Plasma zugewandten Oberflächen in
ASDEX Upgrade vollständig mit Wolfram beschichtet. Dies hat weltweit erstmalig die Untersuchung
des Speicherverhaltens von Wolfram in einem Tokamak ermöglicht. Dass dies trotz der vorteilhaften
Eigenschaften von Wolfram erst jetzt geschah, liegt daran, dass die Erzeugung heißer Plasmen mit
Wolframwänden schwieriger ist als mit dem üblicherweise verwendeten Grafit, denn Wolfram kann
wegen seiner hohen Kernladungszahl unter Umständen hohe Strahlungsverluste verursachen (siehe
den Beitrag von R. Neu im MPG-Jahrbuch 2004).

© 2008 Max-Planck-Gesellschaft                             www.mpg.de
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Tätigkeitsbericht 2008                                  Kallenbach, Arne | Tokamak-Betrieb mit Wolfram als Wandmaterial

Abb. 1: Mit Wolfram beschichtete Wandkacheln werden im Plasmagefäß von ASDEX Upgrade eingebaut. Am
Boden sieht man die kreisförmig umlaufenden Prallplatten des sogenannten Divertors.
                                                               Urheber: Max-Planck-Institut für Plasmaphysik

Um die Speicherung von Wasserstoff ohne die störende Ko-Deposition mit Bor untersuchen zu kön-
nen, lief die erste Experimentkampagne mit einer reinen Wolframoberfläche, d. h. unter Verzicht auf
die sonst üblichen Glimmentladungen in Diboran, die normalerweise zur Verringerung insbesondere
des Sauerstoffgehaltes im Plasma etwa einmal monatlich angewandt werden.

Abb. 2: Transiente Wandspeicherung und Abgabe von Deuterium während einer Plasmaentladung bei hoher
Plasmadichte. Die schwarze Kurve zeigt den eingeblasenen Deuterium-Fluss, die rote Kurve die abgepumpte
Gasmenge. Der Deuterium-Inhalt des Plasmas ist klein verglichen mit dem zeitweise in der Wand gespeicherten
Inventar. 30 Sekunden nach der Entladung verbleiben noch (3,6 ± 2,7) Prozent des eingeblasenen Deuteriums in
der Wand.
                                                               Urheber: Max-Planck-Institut für Plasmaphysik

Abbildung 2 zeigt die typische Entwicklung des Gasinventars in einer Plasmaentladung mit
Wolframoberfläche: Zu Beginn der Entladung wird deutlich mehr Gas eingeblasen als abgepumpt;
das sich aufbauende Inventar in der Wand beträgt ein Vielfaches des Plasmainventars. Nach rund
drei Sekunden jedoch wird ein stationärer Zustand erreicht; die Wand verhält sich jetzt dem Plas-
ma gegenüber neutral – ein Zustand, wie er im stationären Kraftwerksbetrieb erreicht werden muss.

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Oberflächenanalytische Untersuchungen nach der Experimentkampagne zeigen, dass im Vergleich zu
einem Tokamak mit Grafitoberflächen die Wasserstoffspeicherung in der Wolfram-Wand um fast eine
Größenordnung abgenommen hat. Auch ist der dominierende Speichermechanismus bei Grafit und bei
Wolfram grundsätzlich verschieden: Während mit Grafitoberflächen die Ko-Deposition von Wasser-
stoff mit erodierten und wieder deponiertem Kohlenstoff überwiegt, ist in Wolfram die Diffusion von
Wasserstoff in tiefere Schichten dominant. Letzteres ist unter Kraftwerksbedingungen, d. h. bei langen
Plasmaentladungen, ein Vorteil: Der Mechanismus der Ko-Deposition wächst nämlich proportional zur
Fluenz und damit mit der Zeit an, während für die Diffusion in das Wolframmaterial ein schwächerer
Anstieg des Inventars – nur etwa mit der Wurzel der Fluenz – erwartet wird.

Strahlungskühlung zur Entlastung des Divertors

In der ersten Betriebsphase des Wolfram-beschichteten Tokamaks ohne Wandkonditionierung mit Bor
zeigten die Plasmaentladungen ein intrinsisches Strahlungsniveau von über 60 Prozent der
Heizleistung. Die Abstrahlung stammt von Verunreinigungen mit niedriger Ordnungszahl Z (zum
Beispiel C, O, F, …) in der Plasmarandschicht und überdeckt einen weiten Spektralbereich vom ul-
travioletten bis zum Röntgenlicht. Wegen des sich damit einstellenden „kühlen“ Plasmarandes wurde
der Divertor – speziell ausgerüstete Prallplatten am Boden des Plasmagefäßes, die den Hauptteil der
Leistungsabfuhr aus dem Plasma zu bewältigen haben – automatisch vor Überlastung geschützt. Nach
der Wandkonditionierung mit Bor durch eine mehrstündige Glimmentladung mit Diboran sank der
intrinsische Verunreinigungsgehalt des Plasmas und damit auch die natürliche „Strahlungskühlung“.
Unter diesen Bedingungen wurden bei hoher Heizleistung des Plasmas die Leistungsflüsse auf einige
Divertorkomponenten inakzeptabel hoch.

Man griff deshalb auf ein Verfahren zur Strahlungskühlung zurück, das früher für physikalische Unter-
suchungen eingesetzt worden war: Das Einblasen gasförmiger Verunreinigungen wurde zur Standard-
prozedur für Entladungen mit hoher Heizleistung weiterentwickelt. Der Leistungsfluss in den Divertor
wird dabei durch Messungen des thermoelektrischen Stroms in die Prallplatten ungefähr bestimmt. Die
Ströme sind auf einfache Weise und mit hoher Zeitauflösung messbar und im Echtzeit-Kontrollsystem
verfügbar. In guter Näherung ist der Thermostrom proportional zur Elektronentemperatur im äußeren
Divertor. Zur Regelung der Divertortemperatur wird dann als Verunreinigung Stickstoff in die Plasma-
entladung eingeblasen. Der dazu erforderliche Gasfluss wird aus der Thermostrom-Messung mithilfe
eines Proportional-Integral-Reglers bestimmt.

Abbildung 3 zeigt die wesentlichen experimentellen Parameter im Vergleich zweier Entladungen mit
und ohne diese Randkühlung. Die Entladung mit Stickstoffkühlung zeigt neben der geringeren Di-
vertorbelastung überraschenderweise auch einen verbesserten Energieeinschluss, der sich durch eine
höhere Plasmatemperatur innerhalb der Randbarriere manifestiert. Die erhöhten Strahlungsverluste des
Plasmas werden durch nicht vollständig ionisierte Stickstoffatome verursacht. Abbildung 4 zeigt die
räumliche Verteilung der Gesamtstrahlung des Plasmas mit und ohne Stickstoff-Kühlung. Die zusätz-
liche Strahlung ist im Bereich des unteren Divertors außerhalb des heißen zentralen Plasmas konzen-
triert.

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Abb. 3: Vergleich von zwei Entladungen mit (blau) und ohne (rot) Randkühlung durch geregeltes Einblasen von
Stickstoff. Das Plasma wird durch Neutralteilcheninjektion (bis 7,5 MW) und 1,5 MW Mikrowellenstrahlung (bei
einer Frequenz von 140 GHz) aufgeheizt. Die Entladung mit eingeblasenem Stickstoff zeigt höhere Strahlung und
geringere Divertorbelastung und darüber hinaus einen erhöhten Energieinhalt.
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Ein bemerkenswerter Effekt bei Stickstoff-Kühlung ist der stark verringerte Leistungsfluss durch soge-
nannte ELM-Instabilitäten (Edge Localized Modes). Wie an den Leistungsspitzen im rechten unteren
Teilbild von Abbildung 3 zu erkennen, ist die Energie dieser am Plasmarand auftretenden Plasmain-
stabilitäten mit Stickstoff auf mehr als die Hälfte reduziert. Da die ELM-Instabilitäten zu extrem
hohen Belastungen der Divertorplatten führen können, ist dies, insbesondere auch für den Betrieb des
internationalen Fusionsreaktors ITER, eine notwendige Bedingung.

Die Verringerung der ELM-Leistung in ASDEX Upgrade ist dabei nicht als nachträgliche Abschwä-
chung der Energiepulse, etwa durch Strahlung, zu verstehen. Vielmehr verändert die Anwesenheit des
Stickstoffs in der Plasmarandschicht Start und Ablauf der ELM-Instabilität selbst. Die ELM-Instabili-
tät bildet sich in einem schmalen Raumbereich am Plasmarand aus, in dem ein hoher Druckgradient,
eine hohe Rotationsgeschwindigkeit des Plasmas und ein steiler Gradient des Stromprofiles vorlie-
gen. Für diesen Plasmabereich gibt es noch keine vollständige theoretische Beschreibung. Man kann
vermuten, dass der verbesserte Energieeinschluss des Plasmas mit der verringerten ELM-Leistung
zusammenhängt; der genaue kausale Zusammenhang wartet aber noch auf theoretische Klärung.

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Abb. 4: Räumliche Verteilung der Strahlungsleistung ohne Stickstoffkühlung (links) und mit eingeblasenem Stick-
stoff im Divertor (rechts). Die Stickstoffstrahlung ist deutlich im unteren Divertorbereich konzentriert.
                                                                     Urheber: Max-Planck-Institut für Plasmaphysik

Schlussbemerkung

Nach zwei experimentellen Kampagnen mit Wolframwand im Tokamak ASDEX Upgrade wurde für
den experimentellen Betrieb ein gutes Stück auf der Lernkurve zurückgelegt. Leichte Einschränkungen
im Arbeitsbereich durch zentrale Wolframstrahlung sind charakterisiert und relativ gut verstanden
(siehe auch den Beitrag von R. Neu im MPG-Jahrbuch 2004). Für die Zukunft kann nun die weitere
Verbesserung der Entladungsbedingungen über den Stand einer Kohlenstoff-beschichteten Gefäßwand
hinaus in Angriff genommen werden. Gute Perspektiven bieten Entladungen mit Stickstoffinjektion
zur Strahlungskühlung, die einen deutlich erhöhten Energieeinschluss zeigen. Für eine vollständige
Aufklärung dieses Effektes sind nicht nur genauere Messungen von Strom- und Druckverteilung im
Randbereich des Plasmas nötig, sondern auch verbesserte theoretische Modelle. Beides wird in naher
Zukunft in Angriff genommen werden.

Literaturhinweise

[1] A. Kallenbach et al.:
    Integrated exhaust control with divertor parameter feedback and pellet ELM pacemaking in
    ASDEX Upgrade.
    Journal of Nuclear Materials 337-339, 732-736 (2005).
[2] R. Neu et al.:
    Plasma wall interaction and ist implication in an all tungsten divertor tokamak.
    Plasma Physics and Controlled Fusion 49, B59-B70 (2007).
[3] A.C.C. Sips et al.:
    Compatibility of ITER scenarios with an all-W wall.
    Plasma Physics and Controlled Fusion 50, 124028 (2008).
[4] A. Kallenbach et al.:
    Divertor power and particle fluxes between and during type-I ELMs in ASDEX Upgrade.
    Nuclear Fusion 48, 085008 (2008).

© 2008 Max-Planck-Gesellschaft                             www.mpg.de
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