Tasten - Tuş: Mit den Händen sehen - Opelvillen
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Tasten — Tuş: Mit den Händen sehen »Ein Apfel fühlt sich anders an als eine Orange und allen Schulklassen und Seniorengruppen Rüssels- ein Tennisball ist noch mal was ganz anderes.« So die heims die Möglichkeit teilzunehmen. Der Einladung Einschätzung einer Schülerin der 2. Jahrgangsstufe. folgten Schulklassen der Jahrgangsstufen 1 bis 7 und Doch warum können die meisten Gegenstände durch verschiedene Seniorengruppen aus Rüsselsheim und bloßes Fühlen voneinander unterschieden werden? Umgebung. Und welcher Gegenstand fühlt sich wie an? Diesen Fragen widmete sich das generationsübergreifende Projekt »Tasten — Tuş: Mit den Händen sehen«. Der Ausdruck »mit den Händen sehen« beschreibt die Fertigkeit, haptisch Ertastetes in ein imaginiertes visuelles Bild zu überführen. Das Vermittlungskonzept wurde sowohl für Schülerinnen und Schüler als auch für ältere Menschen entwickelt. Ziel war es, mittels differenzierter Sinneswahrnehmung den Erfahrungs- horizont der Teilnehmenden zu erweitern. Die Wahrnehmung über den Tastsinn sollte als ver- bindendes Medium und Anreiz zum gegenseitigen Kennenlernen von Jung und Alt dienen. Das museumspädagogische Programm »Tasten — Tuş: Mit den Händen sehen« wurde speziell für die Aus- stellung »About Color, Nature, Ornaments, and Other Things« des türkischen Künstlers Ekrem Yalcindag konzipiert und fand von September bis November 2016 statt. Der 1964 geborene Künstler gestaltet ornamentale Bilder, die sich durch ihren intensiven und mehrschichtigen Farbauftrag von der Leinwand abheben und Linien und Muster bilden. Mit einem Pin- sel der Stärke null wird die Farbe wieder und wieder aufgebracht, sodass eine reliefartige Oberfläche stehen bleibt. Die Strukturen, die durch den langsa- men Farbauftrag entstehen, wurden im Projekt »Tas- ten – Tuş« genauer betrachtet. Der Begriff »Tuş« ist eine Übersetzung des Wortes »Tasten« ins Türkische und deutet den kulturübergreifenden Aspekt des Vermittlungskonzepts an. Gerade im innerstädtischen Bereich Rüsselsheims ist der Anteil türkischer bzw. türkischstämmiger Personen sehr hoch. Türkische Staatsbürger bilden einen Gesamtanteil der Bewohner Rüsselsheims von knapp acht Prozent. Die Identifika- tionsmöglichkeit mit einem türkischen Künstler war Potenzial des Projekts. Innerhalb der Schulklassen gab es einige Kinder mit türkischen Wurzeln, die sich besonders über die Herkunft des Künstlers freuten und bestehende Schwierigkeiten bei der Aussprache des Künstlernamens bereitwillig lösen konnten. Die Opelvillen, die es sich zum Ziel gesetzt haben, »ein Ort für alle« oder »möglichst viele« zu sein, boten 3
Bitte (nicht) anfassen Mehrmals kamen die Gruppen zu Besuch in die programms konnten dort ohne Anmeldung ausprobiert Opelvillen. Für einige Kinder war es der erste Besuch werden. Neben einer »Fühlstation« und einer Druck- in einem Museum und für die Allermeisten der erste werkstatt wurde unter dem Motto »Drehmomente« Aufenthalt in einem Kunstmuseum. Durch die spieleri- auf alten Plattenspielern gemalt. sche Heranführung an den Ort Museum konnten erste Schwellenängste abgebaut werden. Im Vorfeld fanden Treffen zwischen den museumspädagogischen Mitar- beitern und den Schulklassen oder den betreuenden Lehrerinnen und Lehrern statt, wodurch die Kinder bereits auf den anstehenden Besuch vorbereitet waren. Auch wurde Kontakt zu verschiedenen Pflege- residenzen und Seniorenheimen aufgenommen. Voller Vorfreude kamen die Schulklassen und Senioren- gruppen in die Opelvillen. Anders als in der Ausstellung selbst — in der Anfassen strengstens verboten ist — bot das Projekt mit »Fühlkästen« und Mitmachaktionen die Möglichkeit, Dinge zu ertasten und auszuprobieren. Am 7. September, dem ersten Öffnungstag der Ausstellung, fand zusätzlich ein »Tag der offenen Tür« statt. Die einzelnen Aktionen des Vermittlungs- 4
Schulklassen zu Besuch Nach einer Begrüßung und der Vorstellung der Opel- Im zweiten Raum der Ausstellung standen vier »Fühl- villen erkundete die Schülergruppe den ersten Aus- kästen« bereit, deren Gegenstände — anders als die stellungsraum, in dem drei bunte und monumentale Bilder der Ausstellung — ertastet und für die anderen Kunstwerke zu sehen waren. Die langsame Arbeits- beschrieben werden sollten. Mit Fragen wie: Fühlt der weise des Künstlers und die farbenprächtigen Bilder Gegenstand sich kalt an? Erinnert er dich an etwas? Ist beeindruckten die meisten Teilnehmenden. Zunächst der Gegenstand groß? lernten die Kinder die Unter- betrachteten die Schülerinnen und Schüler die Bilder schiede der Materialien und Gegenstände kennen. in der Nah- und Fernansicht. Insbesondere das Bild In einer weiteren spielerischen Aktivität ordnete die Villa Waldberta sorgte für vielfältige und interessante Gruppe kleine Bildausschnitte den richtigen Kunst- Assoziationen. werken zu. Die kleinen Bildausschnitte lösten einen freudigen Effekt des Wiedererkennens aus. Nochmals reflektierten die Kinder das Aussehen der Bilder und die vom Künstler verwendeten Farben. An die durch die Bildausschnitte ausgelöste Reflexion anknüpfend, wurden Begriffe zu den Oberkategorien »Farbe«, »Form« und »Oberfläche« gesammelt, die in Yalcindags Bildern entdeckt worden waren. Nach einer kurzen Pause fand sich die Klasse im dritten Raum der Ausstellung ein, der von den Kindern »Kreisbildraum« getauft wurde. Dort hing die Rund- bildserie Impressions from the Streets. Aufgabe war es nun, eine Minute lang ohne wegzusehen in die Mitte der Kreisbilder zu blicken. Wer die Aufgabe meisterte, konnte im Anschluss von Erfahrungen mit einem sich drehenden Bild berichten. Als »Strudel«, »optische Täuschung«, »Tunnel« oder »Hypnose« empfanden die Teilnehmenden das Gesehene. Anknüpfend an die Reihe Impressions from the Streets entstanden eigene Kreisbilder mittels Textilgarns und runder Unterlagen. Zum Abschied erhielten die Schüle- rinnen und Schüler jeweils ein Wort aus der aufgestellten Begriffssammlung, das zum nächsten Termin ins Türki- sche und weitere Sprachen übersetzt werden sollte. Ekrem Yalcindag, Villa Waldberta — 199 Farben, 2015, Öl auf Leinwand, 200 × 180 cm Ein Schüler sah darin beispielsweise voreinander auf- gestapelte Eier, die bereits rissig seien, da bald Küken aus ihnen geschlüpft kämen. Andere entdeckten Eis- kugeln in unterschiedlichsten Geschmacksrichtungen, nebeneinander stehende Pac-Man-Geister, die Schup- pen eines Regenbogenfischs oder bunte Berggipfel. Der Kreativität waren beim Betrachten der monumen- tal großen Leinwände keine Grenzen gesetzt. 5
Jung trifft Alt Jene Klassen, die bereits in den Opelvillen gewesen sollten eigene Ornamente entwickeln und diese waren und fleißig geklebt, gefühlt und gestaunt hatten, mit Hilfe eines angespitzten Bleistiftes in eine trafen während ihres erneuten Besuches auf ältere Druckplatte ritzen, um sie anschließend auf buntes Menschen. Während die Seniorinnen und Senioren Papier zu drucken. zunächst in den Räumen der Opelvillen Kaffee und Zum Abschluss fand ein Austausch über das Erlebte Gebäck gereicht bekamen, um sich langsam an den zwischen der Kinder- und der Seniorengruppe statt. unbekannten Ort zu gewöhnen und eine Einführung in die Ausstellung zu erhalten, begann die Schulklasse, anknüpfend an den letzten Termin, die zuvor übersetz- ten Begriffe vorzulesen und zu besprechen. Nach- dem die Eingewöhnungszeit der älteren Menschen beendet war, kam es zu einem ersten gegenseitigen »Beschnuppern«. Die Kinder erzählten von dem in der Ausstellung bereits Erlebten und die Seniorinnen und Senioren ertasteten Gegenstände in zwei »Fühl- kästen«. Gerade die älteren Menschen genossen die Anwesenheit und Aufmerksamkeit der Kinder und staunten über die von den Kindern beim ersten Opelvillen-Besuch angefertigten Kunstwerke. Nach einer kurzen Pause wurden die Teilnehmenden an bis zu vier verschiedenen Stationen aktiv. An der »Apfel oder Birne«-Station wurde, nach dem Griff in eine Tastbox, das Erfühlte mit Knete möglichst genau nachmodelliert. Eine weitere Station nannte sich »Kreise und Wellen«. Dort entstanden Kreis- oder Wellenbilder mit Hilfe alter Plattenspieler. »Unter dem Mikroskop« hieß die dritte Station, an der mit Hilfe einer Lupe Strukturen betrachtet wurden, die mit bloßem Auge kaum erkennbar waren. An der vierten Station konnte der Arbeitsprozess des Hochdruckver- fahrens ausprobiert werden. Die Teilnehmenden 6
Und jetzt? Anknüpfend an den Besuch in den Opelvillen banden haben uns besonders die Ideen der Kinder immer einige Lehrerinnen und Lehrer Themen und künstle- wieder in Staunen versetzt und neue Impulse für die rische Ideen des Projekts in ihren Unterricht ein. Die Bildbetrachtung geliefert. Dem Ziel, die Opelvillen Grundschule Hasengrund druckte Musterbilder und für alle Bildungsschichten und Zielgruppen zu öffnen, erstellte »Kreisbilder« mit Textilgarn. Anette Stock, sind wir durch »Tasten — Tuş« ein Stückchen näherge- Kunstpädagogin der Grundschule Innenstadt, startete kommen. Gerade Kinder, die noch nie ein Museum mit ihrer Schulklasse ein Fliesenprojekt, das die Muster besucht hatten, erlebten die Opelvillen als einen Ort und Formen des Künstlers Ekrem Yalcindag mit einbe- der aktiven Beteiligung. Alle Klassen und Senioren- zog. Die Idee, auf alten Plattenspielern zu malen, um gruppen versicherten: »Wir kommen wieder!« Kreisbilder zu kreieren, wurde von den Betreuerinnen Das Programm wurde im Rahmen eines Praktikums der Seniorengruppe Nauheim freudig aufgenommen. der Kunstpädagogikstudentin Samira Idrisu konzipiert In der Vorweihnachtszeit sollen auch die Bewohner, und durchgeführt. Unterstützt wurde Frau Idrisu von die nicht teilnehmen konnten, im Seniorenstift auf Miriam Eckert, Bastian Piejko, Fabian Lenczewski, einem alten Plattenspieler »kreiseln« üben. Doris Bender und Elisabeth Berninger aus dem Ver- An dieser Stelle bedanken wir uns recht herzlich bei mittlungsteam der Opelvillen. Herzlich gedankt sei den Kindern, Betreuerinnen und Betreuern, Lehrerin- auch der Seniorenpolitischen Initiative des Hessischen nen und Lehrern und den älteren Menschen, die Ministeriums für Soziales und Integration, ohne deren großartig mitgearbeitet haben. Im Laufe des Projektes Förderung das Projekt nicht hätte stattfinden können. 7
Das Projekt wurde gefördert durch das Hessische Ministerium für Soziales und Integration. Herausgeber: Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim Bildnachweis: © Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim, Foto: Frank Möllenberg; © Ekrem Yalcindag, Courtesy Kai Middendorff Galerie Gestaltung: Dreimorgen & Alexander Brade Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim Ludwig-Dörfler-Allee 9 65428 Rüsselsheim Telefon: 06142 835907 E-Mail: info@opelvillen.de www.opelvillen.de
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