Tattoos - mehr als nur kolorierte Haut? Auf der Suche nach Tattoo-Allergenen Tattoos - more than just colored skin? Searching for tattoo allergens
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Review Eingereicht: 17.8.2020 DOI: 10.1111/ddg.14436_g Angenommen: 14.10.2020 English online version on Wiley Online Library Interessenkonflikt Keiner. Tattoos – mehr als nur kolorierte Haut? Auf der Suche nach Tattoo-Allergenen Tattoos – more than just colored skin? Searching for tattoo allergens Katharina T. Weiß1, Ines Zusammenfassung Schreiver2, Katherina Beim Tätowieren wird eine erhebliche Menge an Tinte in die Haut eingestochen. Tä- Siewert2, Andreas Luch2, Birgit towiertinten enthalten zahlreiche Inhaltsstoffe, dazu zählen Farbpigmente, Verunrei- Haslböck1, Mark Berneburg1, nigungen, Lösungsmittel, Emulgatoren und Konservierungsmittel. Schwarze amor- Wolfgang Bäumler 1 phe Kohlenstoffpartikel (Carbon Black), weißes Titandioxid, Azo- oder polyzyklische Pigmente lassen alle möglichen Farbnuancen im sichtbaren Spektrum entstehen. (1) Klinik und Poliklinik für Dermatolo- Einige Inhaltsstoffe von Tätowiertinten können gefährliche und allergieauslösende gie, Universitätsklinikum Regensburg Chemikalien mit unbekanntem Gefahrenpotenzial sein. In Deutschland sind etwa (2) Abteilung Chemikalien- und 20 % der Bevölkerung tätowiert und es wird zunehmend über die damit einhergehen- Produktsicherheit, Bundesinstitut für den unerwünschten Wirkungen berichtet. Da Tätowiernadeln unweigerlich die Haut Risikobewertung (BfR), Berlin verletzen, können Mikroorganismen in die Wunde eindringen und Infektionen verur- sachen. Während oder nach der Wundheilung kann es sowohl zu nichtallergischen Entzündungsreaktionen (zum Beispiel kutanen Granulomen und Pseudolymphomen) als auch zu allergischen Reaktionen kommen. Besonders bei den Allergien, die nach Wochen, Monaten oder sogar Jahren auftreten können, bleibt es schwierig, den oder die auslösenden Substanzen zu identifizieren. Diese Übersichtsarbeit fasst mögliche unerwünschte Wirkungen im Zusammen- hang mit dem Tätowieren zusammen, wobei der Schwerpunkt auf der Allergieentste- hung liegt. Bislang wurden relevante Allergene nur selten identifiziert. Im Folgenden stellen wir etablierte Methoden vor und diskutieren aktuelle experimentelle Ansätze zur Identifizierung von Allergenen in Tätowiertinten – über Tests am Patienten und in vitro. Summary During tattooing, a high amount of ink is injected into the skin. Tattoo inks contain numerous substances such as the coloring pigments, impurities, solvents, emulsifiers, and preservatives. Black amorphous carbon particles (carbon black), white titanium dioxide, azo or polycyclic pigments create all varieties of color shades in the visible spectrum. Some ingredients of tattoo inks might be hazardous and allergenic chemi- cals of unknown potential. In Germany, about 20 % of the general population is tattooed and related ad- verse reactions are increasingly reported. Since tattoo needles inevitably harm the skin, microorganisms can enter the wound and may cause infections. Non-allergic inflammatory reactions (for example cutaneous granuloma and pseudolymphoma) as well as allergic reactions may emerge during or after wound healing. Especially with allergies occurring after weeks, months or years, it remains difficult to identify the specific ingredient(s) that trigger the reaction. © 2021 The Authors. Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft published by John Wiley & Sons Ltd on behalf of Deutsche Dermatologische Gesellschaft. | JDDG | 1610-0379/2021/1905 657 This is an open access article under the terms of the Creative Commons Attribution-NonCommercial License, which permits use, distribution and reproduction in any medium, provided the original work is properly cited and is not used for commercial purposes.
Review Tattoo-Allergene This review summarizes possible adverse effects related to tattooing with a focus on the development of tattoo-mediated allergies. To date, relevant allergens were only identified in rare cases. Here we present established methods and discuss current experimental approaches to identify culprit allergens in tattoo inks – via testing of the patient and in vitro approaches. Schmucktätowierungen – heutzutage Make-up (PMU) einschließen. PMU wird in der Regel von Kosmetikern zur Verschönerung vor allem der periorbita- ein weit verbreitetes Phänomen len und perioralen Regionen eingesetzt [1]. Henna-Tattoos sind nicht Gegenstand dieses Beitrags, da diese nicht in die Seit Jahrtausenden tätowieren Menschen ihre Haut aus un- menschliche Haut eingestochen werden. terschiedlichen Gründen. Anders als bei einigen Kulturen, Tätowierfarben können zahlreiche gesundheitliche Pro- wie zum Beispiel einigen polynesischen Volksstämmen, hat- bleme verursachen. Viele davon betreffen unmittelbar die ten Tätowierungen in der westlichen Welt in den letzten Jahr- Haut, einige aber wirken sich auch auf andere Organe aus hunderten einen eher geringen Stellenwert und sie wurden (Abbildung 1). Zu den unerwünschten Wirkungen gehören überwiegend mit niedrigem sozialen Status in Verbindung verzögerte Wundheilung, Infektionen, toxische und mutagene gebracht [1, 2]. Prozesse sowie granulomatöse und allergische Reaktionen [6]. Mittlerweile ist das Tätowieren weltweit sehr populär geworden. Aktuelle Umfragen zeigen, dass etwa 20 % der Was mit Tätowiertinten im Menschen in Deutschland und 29 % in den Vereinigten Staa- ten von Amerika Tätowierungen tragen [2–4]. Die vielen tä- menschlichen Körper geschieht towierten Rollenvorbilder wie Fußball-, Pop- und Filmstars haben zu einer breiteren kulturellen Akzeptanz von tätowier- Üblicherweise werden Tätowiertinten mit Hilfe von Täto- ter Haut geführt. Tätowierungen werden in speziellen Studios wiermaschinen und starren Nadeln passiv in die Dermis ein- oder auch im privaten Umfeld vorgenommen. Die Tattoos gebracht. Nach dem Einstechen tritt ein Teil der injizierten sind schwarz oder mehrfarbig und befinden sich an fast allen Tinte über die verletzte Hautoberfläche wieder aus. Einige Stellen des menschlichen Körpers – auch an den Schleimhäu- Pigmentpartikel verbleiben jedoch in der Dermis und absor- ten und Augäpfeln. Eine Umfrage ergab, dass etwa 60 % der bieren Licht in einem bestimmten Spektralbereich, wodurch Tattoos ganz oder teilweise schwarz sind [2, 5]. die Farbe des Tattoos entsteht. Ein weiterer Teil der injizier- In dieser Übersichtsarbeit steht der Begriff Tätowierung ten Tätowiertinte wird über Lymph- oder Blutgefäße passiv für permanente Tätowierungen, die auch das Permanent aus der Haut ausgeleitet oder aktiv von migrierenden Zellen Mit dem Tätowieren verbundene Risiken Risiken durch Infektionen Allergische Reaktionen Sonstige Chemikalien Fremdkörperreaktionen Inhaltsstoffe der Tinte Unmittelbar nach dem Typ I (Anaphylaxie, selten) Oft auf einige Bereiche der - Reizung durch Tätowieren auftretend: und Typ IV (Farbe reagiert Tätowierung beschränkt, Sonneneinstrahlung - immunotoxisch vollständig) häufig bei schwarzen Tattoos (Schwellung, Brennen) - kanzerogen - bakteriell - Schmerz/ - mutagen - viral Klinische Manifestation: Klinische Manifestation: stechendes Gefühl - reproduktionstoxisch - mykotisch - lichenoid, Urtikaria - Granulome - Juckreiz - akut toxisch - erhabene Plaques - systemische Sarkoidose - Wärme-/Kältereaktionen - sensibilisierend 0,5–6 % aller Tattoos - papulonodulös - ätzend - hyperkeratotisch ca. 1,6 % aller Tattoos 10,3–42,6 % aller Tattoos - ulzeronekrotisch ca. 1,2 % aller Tattoos Abbildung 1 Mögliche unerwünschte Wirkungen von Tätowierungen. Auswirkungen können lokal in der tätowierten Haut auftreten oder sich systemisch ausbreiten. 658 © 2021 The Authors. Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft published by John Wiley & Sons Ltd on behalf of Deutsche Dermatologische Gesellschaft. | JDDG | 1610-0379/2021/1905
Review Tattoo-Allergene abtransportiert. Tätowierungspigmente finden sich infolge- Effekte (Abbildung 1). Tätowierfarben mit potenziell toxis- dessen in lokalen Lymphknoten und sie werden wahrschein- chen Inhaltsstoffen sind auf dem europäischen Markt weit lich auch zu anderen Organen wie Leber, Lunge oder Niere verbreitet. Zu den bedeutendsten Gefahrenstoffen, die in den transportiert [1, 2, 7, 8]. Experimente an Mäusen zeigen, untersuchten Proben nachgewiesen wurden, gehören polyzy- dass Pigmentpartikel aus Tattoo-Suspensionen in der Leber klische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) (43 %), pri- von Kupffer-Zellen aufgenommen werden, was durch elekt- märe aromatische Amine (PAA) (14 %), Schwermetalle (9 %) ronenmikroskopischen Nachweis der Partikel bestätigt wer- und Konservierungsstoffe (6 %) [1, 6]. den konnte [9]. Histologische Untersuchungen nach abgeschlossener Ab- Pigmente heilung der Haut belegten Pigmentpartikel im Zytoplasma verschiedener Zellen, darunter Fibroblasten und Makropha- Die chemische Industrie stellt Pigmentmoleküle her, die gen [1, 2, 10]. Eine kürzlich durchgeführte Studie an Mäusen winzige Feststoffpartikel mit Durchmessern von weniger stellte ein Pigment-Aufnahme-Freigabe-Wiederaufnahme- als 100 Nanometer (Nanopartikel) bis hin zu wenigen Mi- Modell vor. Wenn mit Tätowierungspigmenten beladene Ma- krometern bilden [15]. Es könnten sich daher auch zusätz- krophagen im Erwachsenenalter absterben, nehmen benach- liche Gefährdungspotenziale durch nanotoxikologische barte Makrophagen die freigesetzten Pigmente wieder auf. Effekte ergeben, die untersucht werden sollten [16]. Tätowie- Dieser Mechanismus gewährleistet offenbar die makroskopi- rungspigmente werden häufig auch als Farbstoffe bezeichnet, sche Stabilität und Langzeitpersistenz von Tattoos [1, 11]. wobei der Begriff „Farbstoffe“ nicht verwendet werden soll- Experimente an Schweine- und menschlicher Haut er- te, da Farbstoffe in der Regel wasserlöslich sind und keine gaben, dass die Konzentrationen der roten Pigmente, die dauerhafte Hautverzierung ermöglichen würden. Die Be- von Tätowiermaschinen in die Haut eingebracht werden, in ständigkeit einer Tätowierung in der Haut wird durch die einem Bereich von circa 0,60 bis 9,42 mg Pigment pro cm² Verwendung unlöslicher Pigmente erreicht. Haut liegen [12]. Bei Mäusen waren etwa 30 % des intrader- Pigmente werden in der Regel als Pulver an die Tinten- mal injizierten roten Pigments innerhalb von sechs Wochen hersteller verkauft. Großhändler leiten eine kleine Menge nach Tätowierung aus der Haut verschwunden [2]. Dieser dieser Industriepigmente als gebrauchsfertige Tintenproduk- Anteil erhöhte sich auf 60 %, wenn auf die Haut der Tiere te direkt an Tätowierer weiter. Um die jeweilige Farbe zu er- zusätzlich Sonnenlicht einwirkte [13]. Im Regelfall nimmt die reichen, können Tätowiertinten verschiedene anorganische Konzentration der unlöslichen Tätowierungspigmente in der oder organische Pigmente oder eine Mischung aus beiden Haut mit den Jahren ab [14]. Die löslichen Anteile der Tinte enthalten. werden wahrscheinlich bereits in den ersten Tagen nach dem Tätowieren ausgeschieden. Schwarze Pigmente Inhaltsstoffe von Tätowiertinten und Die meisten schwarzen Pigmente sind ein Produkt der un- vollständigen Verbrennung von Kohlenwasserstoffen, wobei damit einhergehende chemische Risiken Ruß entsteht – eine Mischung aus schwarzen anorganischen Kohlenstoffpartikeln, die PAK enthalten. The International Tätowiertinten sind Suspensionen, die bis zu 100 verschiedene Agency for Research on Cancer (IARC) stuft Ruß als „mög- absichtlich oder unabsichtlich beigemischte chemische Ver- licherweise krebserregend“ für den Menschen (Gruppe 2B) bindungen enthalten können. Die Farbpigmente werden mit ein [2, 17]. Diese Bewertung stützt sich auf das vermehrte Lösungs- und Konservierungsmitteln sowie verschiedenen an- Auftreten von Lungenkrebs bei der Inhalation von Partikeln deren Inhaltsstoffen gemischt. Im Gegensatz zu anderen Sub- oder das vermehrte Auftreten von Hautkrebs durch Ruß-Ex- stanzen, die in den menschlichen Körper eingebracht werden, trakte in Tiermodellen. Letzteres führte zu der Annahme, wie Medikamente oder Implantate, müssen Tätowiertinten, dass insbesondere Verunreinigungen die beobachteten kreb- obwohl sie in den menschlichen Körper injiziert werden, in der serregenden Eigenschaften verursachen. In verschiedenen Regel keine besonderen Sicherheitsanforderungen erfüllen. Die handelsüblichen schwarzen Tätowiertinten wurden bis zu vollständige Liste der Inhaltsstoffe, sofern überhaupt bekannt, 201 μg PAK pro Gramm Tinte gemessen, was weit über dem hängt von der Herstellungspraxis des jeweiligen Anbieters ab. derzeit von der Europäischen Union vorgeschlagenen Gren- Tätowierer und Kosmetiker beziehen die Tattoofarben direkt zwert von 0,5 μg PAK pro Gramm Tätowiertinte liegt [18]. von Lieferanten oder über das Internet [1]. PAK kommen in der Tintensuspension sowohl frei als auch Zu den potenziell gesundheitsgefährdenden Eigen- an die Oberfläche von Rußpartikeln gebunden vor [2]. Sie schaften der chemischen Inhaltsstoffe von Tätowiertinten werden bei der Metabolisierung im Körper zu ihren jeweili- zählen karzinogene, immunotoxische und sensibilisierende gen Diol-Epoxiden oxidiert. Diese binden an DNA, was zu © 2021 The Authors. 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Review Tattoo-Allergene Mutagenität führt und sich nicht nur auf das karzinogene Po- Chrom VI, Kupfer, Blei, Zink und Nickel. Zusätzlich zu den tenzial, sondern auch auf die Lymphozytenaktivierung und toxischen und mutagenen Wirkungen können einige Metalle Makrophagendifferenzierung auswirkt [19–21]. (Nickel, Quecksilber, Chrom und Kobalt) als Allergene wir- ken und kutane oder systemische Kontaktallergien auslösen Weiße Pigmente [25]. Nickel, Kobalt und Chrom gehören zu den häufigsten Sensibilisatoren mit positiven Patch-Test-Reaktionen bei Titandioxid ist ein wirkungsvolles Deckmittel, das üblicher- etwa 18 %, 6 % beziehungsweise 3 % der Patienten in Eu- weise in weißen Tinten und zur Veränderung der Farbinten- ropa [26]. sität anderer Tätowierungspigmente eingesetzt wird [22]. Titandioxid tritt in der Natur in den drei Kristallmodifika- Organische Farbpigmente tionen Rutil, Anatas und Brookit auf, wobei jedoch nur die ersten beiden bei der Herstellung von Pigmenten verwendet Heutzutage enthalten mehr als 80 % der farbigen Tätowier- werden. Unter ultravioletter Bestrahlung zeigt Titandioxid, tinten industrielle organische Pigmente [1, 6, 22]. Organische insbesondere als Anatas, eine photokatalytische Aktivität, Pigmente bieten eine riesige Vielfalt an Farben, die das gesamte wodurch es zur Bildung von reaktiven Sauerstoffspezies Spektrum des Regenbogens abdecken. Diese Pigmente zeich- kommt. Im Jahr 2010 stufte die IARC Titandioxid, wenn es nen sich durch starke Lichtabsorption aus und führen zu inten- eingeatmet wird, als Karzinogen der Gruppe 2B ein; das be- siver Färbung und hoher Farbbrillianz in der Haut, was wahr- deutet, es ist „möglicherweise krebserregend“ für den Men- scheinlich der Hauptgrund für ihre Anwendung in Tattoos ist. schen [1, 17]. Als Mechanismus der Kanzerogenität wird ein Die polyzyklischen Pigmente sind im Allgemeinen kondensier- sogenannter Überladungseffekt vermutet, wenn die Konzen- te aromatische oder heterozyklische Ringsysteme. Zwei wich- tration ein Niveau erreicht, bei dem die Partikel nicht mehr tige Beispiele für heterozyklische Pigmente sind Phthalocya- ausreichend aus der Lunge ausgeleitet werden können. Es ist nin- (grün, blau) und Chinacridon-Pigmente (bläulich-rot, daher unwahrscheinlich, dass dieser Effekt in anderen Orga- rosa, violett) [1, 22]. Eine andere Gruppe, die Azopigmente, nen, wie zum Beispiel der Haut, ebenfalls auftritt. werden jedoch immer noch am häufigsten verwendet. Sie um- fassen den gelben bis roten Farbbereich und bestehen aus kon- Farbige anorganische Pigmente densierten aromatischen Aminen, die oftmals krebserregend oder sensibilisierend sind. Die Herstellung solcher Pigmente Die meisten anorganischen Farbpigmente werden auf Basis erfordert komplexe chemische Verfahren, bei denen auch Ko- von Eisenoxiden in den Farben Gelb (FeO(OH)), Rot (Fe2O3) lophonium, Polymere und Tenside zugesetzt werden können, und Schwarz (Fe3O4) synthetisiert. Da in Eisenerzen häufig um deren Größe und Dispersionseigenschaften einzustellen. Schwermetalle wie Nickel enthalten sind, stellen diese häu- Das resultierende Pigment kann verschiedene Ausgangsstoffe, fige Verunreinigungen von Eisenoxidpigmenten dar. Nickel- Nebenprodukte und andere nicht spezifizierte Verbindungen verbindungen werden von der IARC als krebserregend ein- enthalten. Aufgrund ihres Einsatzes bei der Synthese sind pri- gestuft [23]. märe aromatische Amine (PAA) die wichtigsten Verunreini- Eine weitere Gruppe von Pigmenten basiert auf Schwer- gungen bei organischen Pigmenten und ihre Konzentration ist metallen wie Cadmiumsulfid (CdS, gelb), Quecksilbersulfid in Tinten, die Azopigmente enthalten, am höchsten. PAA sind (HgS, rot), Chromoxid (Cr2O3, grün), oder Cobaltspinell entweder als Verunreinigungen in den Tinten (freie aromati- (CoAl 2O4, blau) [6]. Die IARC hat diese Schwermetalle als sche Amine) oder sie fallen als Degradationsprodukte nach Karzinogene der Gruppe 1 (krebserzeugend für den Men- Sonnenlicht- oder Laserbestrahlung an [27]. Da einige dieser schen: Chrom VI, Cadmium und Cadmiumverbindungen) Amine als karzinogene, mutagene oder reproduktionstoxische oder der Gruppe 2B (organische Quecksilberverbindungen) Stoffe eingestuft wurden, dürfen sie in Tattoo- und PMU-Pro- eingestuft. Die Verwendung von Pigmenten auf Schwerme- dukten weder vorhanden sein noch aus Azopigmenten freige- tallbasis ist aufgrund ihrer gesundheitsgefährdenden Eigen- setzt werden [1, 24]. schaften zurückgegangen. Nach Angaben des europäischen Schnellwarnsystems Auswirkungen von Licht und Laserbehandlung für gefährliche Verbraucherprodukte (RAPEX) wiesen 28 % auf Tätowierungspigmente der Tätowiertinten Schwermetallgehalte oberhalb der in der Entschließung des Europarates (CoE ResAP) (2008)1 Die lichtinduzierte Zersetzung von Pigmentmolekülen ist ein über die Anforderungen und Kriterien für die Sicherheit wichtiger Mechanismus für den Partikelzerfall in tätowierter von Tätowierungen und Permanent Make-up definierten Haut. Sie kann immer dann auftreten, wenn die tätowierte Schwellenwerte auf [24]. Die Warnhinweise bezogen sich Haut Lichtquellen ausgesetzt wird, die Wellenlängen aus- insbesondere auf den Gehalt an Arsen, Barium, Cadmium, senden, die von den Pigmentmolekülen absorbiert werden 660 © 2021 The Authors. Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft published by John Wiley & Sons Ltd on behalf of Deutsche Dermatologische Gesellschaft. | JDDG | 1610-0379/2021/1905
Review Tattoo-Allergene können [27]. Laserbehandlungen von Tattoos werden im gefunden [32]. N-Nitrosamine sind Verunreinigungen, die hautärztlichen Praxis-Alltag häufig durchgeführt. Bei der bei der Reaktion von sekundären Aminen mit Nitrit entste- Tattooentfernung mit Laserlicht kann es zu einem zusätzli- hen. Viele N-Nitrosamine sind bereits in geringen Konzen- chen Effekt kommen: Pigmentpartikel des Tattoos werden in trationen krebserregend, was im Tierversuch nachgewiesen kleinere Fragmente zersprengt. Als Wirkmechanismus wird wurde [1, 7]. eine Erhitzung der Pigmentpartikel durch die absorbierte Kürzlich wurde über die Ablagerung von Metallrück- Lichtenergie angenommen. Wegen der hohen Lichtintensi- ständen der Tätowiernadeln in der Haut und in lokalen tät und der kurzen Impulsdauer erfolgt die Erwärmung der Lymphknoten berichtet [34]. Da die Tätowiernadeln hohe Pigmentteilchen ausgesprochen schnell. Es entstehen hohe Nickel- und Chromanteile enthalten, können diese Metall- lokale Temperaturen von bis zu mehreren hundert Grad. reste ein zusätzliches Risiko für eine Sensibilisierung oder Die anschließende schlagartige thermische Ausdehnung be- eine Allergieentwicklung darstellen. wirkt eine Zersplitterung der Teilchen, die mit Stoßwellen einhergeht [28]. Zusätzlich kann es durch die Erhitzung und Unerwünschte Hautreaktionen auf Fragmentierung von Pigmentpartikeln zur Spaltung chemi- scher Bindungen innerhalb des Pigmentmoleküls kommen, Tätowierungen wodurch neue chemische Verbindungen in der Haut entste- hen [1]. Über eine Freisetzung bedenklicher Zerfallsprodukte Beginnend mit der Platzierung einer Tätowierung kann wie Benzol oder krebserregenden aromatischen Aminen nach eine Reihe von unerwünschten Reaktionen die menschliche Sonnenlichtexposition und/oder Laserbehandlung wurde Gesundheit beeinträchtigen (Abbildung 1). Unerwünsch- von uns und anderen berichtet [13, 29, 30]. te Nebenwirkungen können in der Haut auftreten oder andere Organe des Körpers mit einbeziehen. Sie können Sonstige Inhaltsstoffe sich in einem weiten Zeitfenster von unmittelbar nach der Tätowierung bis zu Jahren oder sogar Jahrzehnten danach Das Tätowieren von Pigmentpulver ist nahezu unmöglich, entwickeln. daher muss dem Pigment ein flüssiges Medium zugesetzt werden. Pigmentpartikel sind jedoch wasserunlöslich und Verzögerte Wundheilung müssen in wässrigen oder alkoholischen Lösungsmitteln unter Zuhilfenahme von Emulgatoren, Bindemitteln (zum Tätowieren hinterlässt auf der Haut zahlreiche Einstich- Beispiel Polyvinylpyrrolidon, Polyethylenglykol) und Verdi- kanäle, die durch die Epidermis etwa bis in die Mitte der ckungsmitteln dispergiert werden, um eine Sedimentation Dermis reichen. Die Tiefe der Einstiche variiert in Abhängig- der Partikel zu verhindern [1, 6]. Zusätzlich werden Ent- keit von der Technik des Tätowierers und der verwendeten schäumer zugesetzt, um Schaumbildung beim Aufschütteln Arbeitsgeräte. Die Weite der Einstichkanälchen hängt von der Suspension zu vermeiden (zum Beispiel Polydimethyl- den Tätowiernadeln ab, die meist einen Durchmesser von 0,2 siloxan). Die Konzentration von Pigmenten in Suspensio- bis 0,4 mm aufweisen und in Bündeln von bis zu 50 Ein- nen von Tätowiertinten liegt in der Regel zwischen 10–30 zelnadeln angeordnet sind. Nach einer Verletzung der Haut Volumenprozent [1]. Eine Untersuchung aus dem Jahr 2011 setzt sofort die Wundheilung ein, um die Integrität der Haut ergab, dass Tätowiertinten sensibilisierende Substanzen wie wiederherzustellen. Dibutylphthalat, Gentoxine wie Hexachlor-1,3-Butadien Die natürliche Wundheilung läuft in mehreren Phasen oder 9-Fluorenon enthalten können [31]. 9-Fluorenon ist ab [35]. Nach der Blutstillung hält die unmittelbar einset- zytotoxisch und führt unter Lichteinwirkung zur Bildung re- zende Entzündungsphase bis zu drei Tage an. Neutrophile aktiver Sauerstoffspezies [1]. Granulozyten sind die ersten Immunzellen, die das verletzte In der Schweiz wurden in bis zu 18 % der untersuchten Gewebe infiltrieren und als Reaktion auf die von geschädig- Tattoo-Proben Konservierungsstoffe gefunden, die für die ten und nekrotischen Zellen freigesetzten Alarmine (dama- Verwendung in Kosmetika verboten sind [32]. Zu diesen ver- ge associated molecular patterns, DAMPs) in großer Zahl botenen Substanzen gehörten 1,2-Benzisothiazol-3[2H]-on, ankommen. Sie setzen verschiedene Zytokine, Chemokine 2-Octyl-4-isothiazolin-3-on, Phenol und sogar das krebser- und Wachstumsfaktoren frei, die über wundassoziierte Im- regende Formaldehyd [1]. Isothiazolinone sind starke Aller- munzellen und Epithelzellen das Signal zur Wundheilung ge- gene und weisen in der europäischen Bevölkerung eine hohe ben [36]. Neutrophile Granulozyten schützen darüber hinaus Sensibilisierungsrate auf [26]. Andere Berichte konnten zei- vor Infektionen, indem sie Mikroorganismen, die in die Haut gen, dass Schellack, ein häufig verwendetes Bindemittel in eingedrungen sind, abtöten. Anschließend erfolgt die Rekru- Tätowiertinten, allergische Reaktionen hervorrufen kann tierung zirkulierender Monozyten an den Ort der Gewebe- [33]. Darüber hinaus wurden in den Proben N-Nitrosamine verletzung. Aus Monozyten hervorgegangene Makrophagen © 2021 The Authors. Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft published by John Wiley & Sons Ltd on behalf of Deutsche Dermatologische Gesellschaft. | JDDG | 1610-0379/2021/1905 661
Review Tattoo-Allergene oder dendritische Zellen steuern die Gewebereparatur, regu- Eine aktuelle Übersichtsarbeit fasste 67 Fallberichte über lieren die Angiogenese, beseitigen Zelltrümmer und rekru- lokale Hautinfektionen und systemische Komplikationen mit tieren zusätzliche Immunzellen [36]. Diese späte Entzün- Bakterien wie Corynebacterium diphtheriae, Pseudomonas dungsphase dauert bis zu zehn Tage, wobei Makrophagen aeruginosa oder Staphylococcus aureus zusammen, die zwi- auch durch die Beseitigung apoptotischer Neutrophiler zur schen 1984 und 2015 veröffentlicht wurden [41]. Eine weite- Wundheilung und zum Gewebeumbau beitragen [37]. Wird re Übersichtsarbeit sichtete die Literatur von 1991 bis 2011 dieses physiologische Wundheilungsmilieu durch Tätowier- und listete 13 Publikationen auf, die über virale Infektionen tinten beeinträchtigt, könnte das zu einer abweichenden Im- einschließlich Verrucae vulgares oder Hepatitis C berichte- munantwort und einem veränderten Wundheilungsprozess in ten, sowie 25 Publikationen, die über bakterielle Infektionen tätowierten Hautarealen führen. mit Mycobacterium tuberculosis, Mycobacterium leprae, Auch die nicht migrierenden Gewebsmakrophagen in atypische Mykobakterien oder ambulant erworbenen Methi- der Haut reagieren über die Wahrnehmung von DAMPs auf cillin-resistenten Staphylococcus-aureus-Stämmen (MRSA) Verletzungen oder Infektionen [36]. Langerhans-Zellen der berichteten [42]. Im Jahr 2017 wurde über einen Todesfall Epidermis und andere antigenpräsentierende Zellen können nach septischem Schock berichtet, der durch eine Vibrio-vul- Antigene aus der Tinte aufnehmen und in die Lymphknoten nificus-Infektion nach Baden in Meerwasser mit einem frisch wandern, in denen sie diese dann den T-Zellen präsentieren. gestochenen Tattoo verursacht wurde [43]. Als Quellen für Schließlich folgt die Reepithelisierung, ein wichtiger mikrobielle Erreger kommen die eigene Hautoberfläche der Schritt in der Wundheilung, weil sie die Barrierefunktion der tätowierten Person, Hände und Gerätschaften des Tätowie- Haut wiederherstellt [36]. Wurden in Schweinehaut Operati- rers sowie ein unhygienischer Umgang mit der Haut nach onswunden mit spezifischen Tiefen erzeugt, ging die Reepit- dem Tätowieren in Frage. Eine weitere Quelle sind Tätowier- helisierung von den verbleibenden Hautanhangsgebilden tinten, von denen bis zu 11 % mit Keimen kontaminiert sind aus [38]. Ist die Hautschutzbarriere wiederhergestellt, kann [6]. Daher sollte, selbst für den Fall, dass eine Tätowierungs- die Umbauphase für den Wiederaufbau der normalen Haut- reaktion nur bei einer Farbe auftritt und somit auf eine All- strukturen noch mehrere Monate andauern. ergie schließen lässt, immer eine mikrobielle Infektion ausge- Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Wundhei- schlossen werden. lung der Haut ein effektiver, aber komplexer Prozess ist, der von Immunzellen orchestriert wird, deren Funktionen ent- Nichtallergische entzündliche Reaktionen scheidend von der Mikroumgebung in der Wunde abhängen. Im Unterschied zu medizinischen Verfahren wie dem Einsatz Gelegentlich werden Tätowierungen mit langanhaltenden lo- von Injektionsnadeln, dem Microneedling oder ablativen La- kalen Immunreaktionen in Verbindung gebracht, die sich als serbehandlungen werden die kleinen Tätowierungswunden granulomatöse und pseudolymphomatöse Reaktionen ma- mit verschiedenen zytotoxischen Chemikalien aus der Tinte nifestieren, wobei es sich meist um Fremdkörpergranulome gefüllt. Leider fehlen bislang Studien darüber, ob und inwie- handelt (Abbildungen 1, 2a) [44]. Andererseits können gra- weit Tätowiertinten die normale Wundheilung beeinträchti- nulomatöse Läsionen in einer Tätowierung eine Manifesta- gen können. Über Juckreiz, Krusten und verzögerte Wund- tion einer systemischen Sarkoidose sein, welche Lunge und heilung wird in Umfragen jedoch immer wieder berichtet, Augen (Uveitis) betreffen kann [44–46]. Das kutane Pseu- was darauf hindeutet, dass Irritanzien, Sensibilisatoren oder dolymphom stellt eine Gruppe von verschiedenen gutartigen auch Mikroorganismen die Wundheilung stören können [39]. reaktiven T- oder B-Zell-lymphoproliferativen Prozessen dar, die sowohl klinisch als auch histologisch ein kutanes Lym- Infektionen phom imitieren können. Die Pathogenese dieser Erkrankung ist noch unbekannt, aber über einen Zusammenhang mit Tä- Beim Tätowieren entstehen in der Haut zahlreiche Öffnun- towierungen wird seit 1903 berichtet [44, 47]. Darüber hin- gen, die das Eindringen mikrobieller Krankheitserreger er- aus kann Tätowieren das Aufblühen bestimmter Dermatosen leichtern. Leichte bis mittelschwere oberflächliche Hautin- auf der tätowierten Haut auslösen (Köbner-Phänomen), dar- fektionen sollten leicht zu behandeln sein. Erreger, die in unter Psoriasis, Lichen planus, kutaner Lupus erythematodes tiefere Hautschichten gelangen, können jedoch schwerere und Pyoderma gangraenosum [48, 49]. Infektionen verursachen, die eine umfangreichere medizini- sche Versorgung erfordern. Gelangen Erreger in Blutgefäße, Allergische Reaktionen kann dies systemische Infektionen nach sich ziehen [40]. Der Schweregrad einer Infektion hängt von der Virulenz des Erre- Obwohl ihre Diagnose nach wie vor schwierig ist, wurden gers, dem Immunstatus der tätowierten Person und eventuell allergische Reaktionen auf Tätowierungen mit einem unter- bestehenden Vorerkrankungen ab [41]. schiedlichen Grad an diagnostischer Evidenz berichtet. 662 © 2021 The Authors. Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft published by John Wiley & Sons Ltd on behalf of Deutsche Dermatologische Gesellschaft. | JDDG | 1610-0379/2021/1905
Review Tattoo-Allergene Abbildung 2 Häufige unerwünschte Reaktionen auf Tätowierungen. Granulomatöse Reaktion in einer schwarzen Tätowierung (a). Plaqueartige Typ-IV-Reaktion in den rot gefärbten Bereichen einer Tätowierung (b). Antikörper-vermittelte Reaktionen bei damit als Allergien vom verzögerten Typ (Typ IV) nach der historischen Klassifikation von Gell und Coombs einzu- Tätowierungen ordnen sind. Mit ihrem T-Zell-Rezeptor erkennen T-Zellen Nur wenige Studien deuten auf eine Rolle von Antikörpern Epitope chemisch modifizierter Selbstantigene, die in einem bei chemikalieninduzierten Überempfindlichkeitsreaktionen als Haptenisierung bezeichneten Vorgang gebildet werden. hin [50]. Im Zusammenhang mit Tätowierungen wurde über Haptenisierungen wurden insbesondere bei lokalem Kontakt einige seltene Fälle berichtet, bei denen es sich vermutlich mit chemischen Substanzen beschrieben, der eine allergische um Antikörper-vermittelte Reaktionen handelt [51–53]. Ein Kontaktdermatitis zur Folge hatte, oder nach Medikamen- erster Fall in der neueren medizinischen Literatur beschreibt teneinnahme (Medikamentenüberempfindlichkeit) [54, 55]. eine 30-jährige Frau mit einem farbigen Tattoo aus dem Jahr Sowohl CD4+- als auch CD8+-T-Zellen scheinen an diesem 1993 und einem schwarzen Tattoo aus dem Jahr 1999 [51]. Prozess beteiligt zu sein [56, 57]. Einen Monat nach der letzten Tätowierung wurde zusätz- Die Entwicklung einer Typ-IV-Allergie wird in eine Sen- liche Farbe eingearbeitet. Zwölf Stunden danach verspürte sibilisierungsphase und eine Auslösungsphase (Elizitation) die Patientin ein „brennendes“ Hautgefühl, woraufhin sich unterteilt. Während der Sensibilisierungsphase wandern die Quaddeln bildeten, die sich über mehrere Körperregionen dendritischen Zellen in die drainierenden Lymphknoten und ausbreiteten. Die Patientin wurde anschließend auf 13 ver- aktivieren spezifische naive T-Zellen, die sich vermehren und schiedene Tintenfarben mittels Hautpricktest getestet und sich in zirkulierende und geweberesidente Effektor- und Ge- war auf zwei davon, eine lila und eine blaue Tinte, positiv, dächtniszellen differenzieren [58, 59]. Die Migration und Rei- was auf eine IgE-vermittelte Hypersensibilität hindeutet [44]. fung dendritischer Zellen kann durch das chemische Allergen Bei einem anderen Patienten ohne bekannte Allergien kam selbst (sterile Entzündung) oder durch eine begleitende he- es sechs Stunden nach dem Stechen einer zweiten Tätowie- terologe Immunstimulation ausgelöst werden [55]. Während rung zu einer anaphylaktischen Reaktion, die mit Schwellun- der Auslösungsphase initiieren und moderieren T-Zellen gen und Rötungen in mehreren Körperregionen einherging die Entzündungsreaktion unter Beteiligung verschiedener [52]. Ein dritter Fall, eine verzögerte Anaphylaxie, ereig- Effektormoleküle, Immun- und anderer Zellen [59–61]. Im nete sich nach einer Laserbehandlung zur Entfernung von Allgemeinen manifestiert sich eine akute Kontaktdermatitis Tätowierungen [53]. Dieser Patient entwickelte nach der ers- innerhalb von circa 1–3 Tagen nach dem lokalen Chemika- ten Laserbehandlung eine allergische Hautreaktion in einer lienkontakt und klingt nach Entfernung des verursachenden entfernten, noch nicht behandelten Tätowierung, der drei Allergens wieder ab. Im Falle von Tätowierungen allerdings Tage nach der zweiten Laserbehandlung eine anaphylakti- ist das potenzielle Allergen dauerhaft vorhanden, was zu erns- sche Episode folgte. ten Komplikationen führen kann, zum Beispiel durch eine Chronifizierung der Entzündung. Der Zeitpunkt, zu dem Al- Zellvermittelte Allergie vom Typ IV lergien vom verzögerten Typ auftreten, kann von kurz nach der Tätowierung bis zu mehreren Jahren danach variieren Man nimmt an, dass allergische Reaktionen auf Tätowie- [2]. Dies hängt zum Teil davon ab, ob die betreffende Person rungen hauptsächlich durch T-Zellen vermittelt werden und bereits auf eine entsprechende Verbindung sensibilisiert ist. © 2021 The Authors. Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft published by John Wiley & Sons Ltd on behalf of Deutsche Dermatologische Gesellschaft. | JDDG | 1610-0379/2021/1905 663
Review Tattoo-Allergene Darüber hinaus ist bei manchen Allergenen ein Umbau, ein einer anderen, nicht mit der Tätowierung in Verbindung Zerfall oder eine zusätzliche (heterologe) Immunstimulation stehenden Indikation auftreten. Schwellungen, Granulom- erforderlich, um eine Sensibilisierung hervorzurufen. Allergi- bildung und Schmerzen in tätowierten Hautarealen wurden sche Reaktionen der Haut manifestieren sich in der Regel als nach der Behandlung mit BRAF- und MEK-Inhibitoren wie papulonoduläre, plaqueartige, lichenoide, hyperkeratotische Dabrafenib oder Trametinib bei malignen Melanomen, die oder ulzeronekrotische Hautveränderungen (Abbildung 2b). sich außerhalb des Tattoos befanden, berichtet [73]. Die Zum klinischen Erscheinungsbild gehören ebenfalls Kontak- genannten Inhibitoren hemmen das übermäßige Zellwachs- turtikaria-ähnliche oder photoallergische Reaktionen [62]. tum von Tumorzellen, können aber auch die Entstehung Bei älteren, rot gefärbten Tattoos können Begleitreaktionen von Autoimmunität begünstigen. Des Weiteren wurde über angestoßen werden. granulomatöse Reaktionen im roten Bereich einer Tätowie- Allergische Reaktionen treten meistens lokal unter rung mit zusätzlichen Augensymptomen nach einer Influen- Einbeziehung des gesamten mit der auslösenden Farbe täto- za-Impfung mit dem quecksilberhaltigen Konservierungsmit- wierten Bereichs auf. Einige Autoren beschreiben aber auch tel Thiomersal berichtet [74]. Die Autoren vermuteten eine Fälle von generalisierten Hautausschlägen oder Ekzemen, Allergieauslösung durch Thiomersal, das eine allgemeine insbesondere bei bereits sensibilisierten Patienten. Diese Entzündungsreaktion mit nachfolgender Lungensarkoidose Reaktionen treten früh auf (innerhalb von 1–2 Tagen nach und Überempfindlichkeit gegen das rote organische Tätowie- dem Tätowieren) und klingen meist ohne Behandlung nach rungspigment auslöste. Über eine Granulombildung durch einigen Wochen oder Monaten ab, was darauf hindeutet, Thiomersal-haltige Impfstoffe wurde auch bei nicht tätowier- dass lösliche Bestandteile der Tätowiertinte beteiligt sein ten Personen berichtet. dürften. Von anderen Autoren wurden generalisierte Reakti- Hinsichtlich der Behandlung mit Allopurinol wurden onen beim Versuch, das Pigment mit einer Laserbehandlung widersprüchliche Befunde veröffentlicht. Ein multimorbi- zu entfernen, beschrieben. Auch Fälle von photoallergischen der 34-jähriger Patient entwickelte eine systemische Eosino- Reaktionen bei Tätowierungen mit gelber, Cadmium-haltiger philie mit ausgeprägter Hauteruption im Bereich einer Tä- Tinte [63, 64] wurden veröffentlicht. Allergische Reaktionen towierung, nachdem Allopurinol in die Medikamentenliste ohne generalisierten Hautausschlag können auch durch La- aufgenommen wurde. Allopurinol ist als Ursache für ein serbehandlung und vermutlich auch durch Sonnenexposition medikamenteninduziertes Hypersensitivitätssyndrom be- aufgrund der Freisetzung von Sensibilisatoren angestoßen kannt. Andererseits ist Allopurinol bei allgemeinen und tä- werden [65–67]. Diese sogenannte Photoallergie ist nicht zu towierungsassoziierten Granulomen und Sarkoidosen eine verwechseln mit der Phototoxizität, bei der es sich um kurz- Behandlungsoption – vermutlich, weil es entweder als Radi- zeitige Reaktionen während der Einwirkung von Sonnenlicht kalfänger wirkt oder die Bildung von Fremdkörperriesenzel- auf die Tätowierung handelt [68]. In einigen seltenen Fällen len hemmt [75]. können vermeintliche allergische Reaktionen, die in Zusam- Grundsätzlich können Medikamente oder Erkrankun- menhang mit einer Tätowierung beobachtet wurden, auch gen, die das Immunsystem beeinflussen, auch Reaktionen in durch Implantatmaterialien ausgelöst werden [69, 70]. Diese Tätowierungen auslösen. So können zum Beispiel HIV-infi- Reaktionen klingen mit dem Entfernen des Implantats ab. zierte Personen nach Beginn einer antiretroviralen Therapie Die Mehrzahl der chronischen Tattoo-Reaktionen ist eine Typ-IV-Immunreaktion in Tattoos entwickeln [76]. mit roten oder rötlichen Farben wie rosa, orange, violett und bordeaux assoziiert [39, 42, 71]. In Hautbiopsaten von Pati- Diagnostische Verfahren bei enten mit Allergien gegen rötliche Farben wurden Azopig- mente am häufigsten identifiziert [72]. allergischen Tattoo-Reaktionen, damit Differenzialdiagnostisch sollten bei Verdacht einer verbundene Herausforderungen und Typ-IV-Sensibilisierung immer auch andere Spätreaktionen wie granulomatöse Fremdkörperreaktionen, systemische neue Konzepte Erkrankungen (Sarkoidose oder Bindegewebserkrankungen), Die Diagnose allergischer Reaktionen auf Tätowiertinten mikrobielle Infektionen und pseudo-lymphomatoide Reakti- stellt eine besondere Herausforderung dar, da die diagnos- onen in Betracht gezogen werden. tischen Werkzeuge und das Wissen über die auslösenden Allergene sehr begrenzt sind – ganz zu schweigen von den re- Tätowierungen, Medikamente und (Auto-) levanten Epitopen, die von den beteiligten T-Zell-Rezeptoren erkannt werden. Aktuelle diagnostische Tests und ein Über- Immunreaktionen blick über neue experimentelle Forschungsansätze zur Iden- Unerwünschte Reaktionen in einer Tätowierung können auch tifikation von Tätowierungsallergenen sind in Abbildung 3 nach einer systemischen medikamentösen Therapie aufgrund dargestellt. 664 © 2021 The Authors. Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft published by John Wiley & Sons Ltd on behalf of Deutsche Dermatologische Gesellschaft. | JDDG | 1610-0379/2021/1905
Review Tattoo-Allergene Aktuelle und aufkommende Methoden zur Identifizierung von Tattoo-Allergenen Klinisch Analytisch In vitro Analyse der Tinte/Biopsie: T-Zell-Assay: Anamnese: - mit Tinte oder einzelnen Nachweis der Exposition - sofortiges oder verzögertes Auftreten Substanzen - Farbe/betroffene Bereiche - organische Pigmente - Persistenz (MALDI-MS/MS) - organische Inhaltsstoffe Proliferations-basiert: - therapierefraktär auf topische - LTT, LPT, MELISA, hTCPA Glukokortikosteroide (GC und LC-MS) - Sonnenexposition/Laserbehandlung - Metalle (ICP-MS) Ohne Proliferation: - Zytokinfreisetzung (ELISA, Biopsie: EliSpot), Hochregulierung - Infektionen, zelluläres Infiltrat von CD154 (T-Zell-Infiltrat bei Typ-IV-Reaktion) Patch-Test: Nachweis der - Standardreihe Sensibilisierung - Tinte (frühes Auftreten) - individuelle Allergenreihe (abgeleitet Nachweis der Sensibilisierung Auswahl des Test zur Anreicherung von aus der Analytik) vermuteten Allergens spezifischen T-Zell-Klonen in der Hautbiopsie Abbildung 3 Mögliche Vorgehensweise bei der Diagnose tätowierungsbedingter Allergien. Die Anamnese kann Informationen über besondere Merkmale des vermuteten Allergens liefern, zum Beispiel einen Zusammenhang mit Lichtexposition, Pigmen- ten oder löslichen Tintenbestandteilen. In Verbindung mit der chemischen Analyse kann das Vorhandensein eines Allergens im Biopsat oder der Tinte und ein entsprechender positiver Epikutantest Hinweise auf die Identität des Allergens liefern. Es ist aber durchaus möglich, dass ein Patient nur zufällig auch gegen die Substanz des positiven Epikutantests sensibilisiert ist, während ein anderes Allergen die Reaktion in der Haut verursacht. In-vitro -Methoden können, wenn man sie mit Proben von nichtaller- gischen Kontrollpersonen vergleicht, pathogene T-Zell-Populationen beim Patienten nachweisen. Der Nachweis einer erhöhten Anzahl allergenreaktiver T-Zell-Klone in der entzündeten Tätowierung weist mit großer Zuverlässigkeit auf eine allergische Typ-IV-Reaktion auf eine in der Biopsie beziehungsweise in der Tinte vorhandene Substanz hin. Zusammen mit Hochdurch- satz-Sequenzierungs-Technologien würde dies den Nachweis liefern, dass die Hautreaktion tatsächlich durch die verdächtige Substanz verursacht wird. Abk.: MALDI-MS, MALDI-Massenspektrometrie; MS, Massenspektrometrie; GC, Gaschromatographie; LC-MS, Flüssigchromato- graphie mit Massenspektrometrie; ICP-MS, Massenspektrometrie mit induktiv gekoppeltem Plasma; LPT, Lymphozytenprolife- rationstest; LTT, Lymphozytentransformationstest; MELISA, memory lymphocyte immunostimulation assay; hTCPA, human T cell priming assay Epikutantest Um Kontaktallergien gegen Tätowierungspigmente zu ermitteln, wurde kürzlich von der Deutschen Kontaktaller- Bei der allergischen Kontaktdermatitis ist der Epikutantest giegruppe eine neue Testreihe eingeführt (Reihe 47). Dieser der diagnostische Goldstandard. Ob dieser Test auch für Reihe beinhaltet 24 Substanzen, zum Beispiel o-Phenylphe- die Diagnose von Typ-IV-Reaktionen geeignet ist, die durch nol, Eisen(II)-sulfat und Schellack [78]. Da sich nur wenige Allergene, die wie die Inhaltsstoffe von Tätowiertinten, in Studien mit dem Nutzen von Epikutantests in dieser Situati- die Dermis eingebracht werden, ausgelöst werden, ist nicht on befassen, ist nicht vollständig geklärt, welche Allergene zweifelsfrei geklärt. Theoretisch wäre ein Intrakutantest ein aufgenommen werden müssten. Viele der veröffentlichten spezifischeres Diagnoseinstrument für derartige Reaktio- Artikel berichten nur über einzelne klinische Fälle mit po- nen, da er der In-vivo-Situation besser entsprechen würde. sitiven Epikutantest-Ergebnissen, und nur sehr wenige ver- Allerdings sind Intrakutantests nicht frei von Risiken. Die binden dies mit einer adäquaten klinischen und analytischen eingesetzten Pigmente könnten nach dem Test dauerhaft in Bewertung. der Dermis verbleiben und selbst chronische Reaktionen aus- Im Jahr 2014 führten Serup et al. eine Epikutan- lösen. Folglich wird die Durchführung dieser Tests weder als test-Studie an 90 Patienten mit Tätowierungsreaktionen angemessen noch als ethisch vertretbar angesehen [77]. durch [71]. Das Fazit der Studie war, dass Patienten, die auf © 2021 The Authors. Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft published by John Wiley & Sons Ltd on behalf of Deutsche Dermatologische Gesellschaft. | JDDG | 1610-0379/2021/1905 665
Review Tattoo-Allergene Tätowierungen allergisch reagierten, hauptsächlich negative Biopsie und Tintenanalyse oder inkonsistente Ergebnisse bei Epikutantests mit gängigen Allergenen, Textilfarbstoffen, problematischen Tätowiertin- Die Allergendiagnostik bei Tätowiertinten ist sehr an- ten und sogar mit einigen Verursachertinten, sofern diese spruchsvoll. Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei diesen verfügbar waren, aufwiesen [71]. Wurde die Tinte Wochen Tinten um komplexe Mischungen aus unlöslichen Pigmenten oder Monate nach der Tätowierung beschafft, war die Wahr- mit Lösungsmitteln, Verdickungsmitteln, Tensiden, Konser- scheinlichkeit groß, dass sich die Produktcharge oder die vierungsstoffen und anderen Verunreinigungen oder Zusatz- Zusammensetzung geändert hatte. Die negativen Epikutan- stoffen. Bei temporären und früh einsetzenden allergischen test-Ergebnisse sprechen auch dafür, dass die meisten Aller- Reaktionen können auch die löslichen Verbindungen in der gene, die Reaktionen nach Tätowierungen auslösen, in der Tätowiertinte eine Rolle spielen. In diesen Fällen kann die Dermis gebildet werden. Dies geht langsam vonstatten und Tätowiertinte des Patienten in einem Epikutantest positive kann Wochen, Monate oder Jahre in Anspruch nehmen [71]. Ergebnisse liefern [65]. Bei später auftretenden Reaktionen In einer aktuellen Studie traten 37 % der allergischen Reakti- – die sich manchmal erst Jahre nach einer Tätowierung ent- onen innerhalb des ersten Monats nach der Tätowierung auf, wickeln – können nur Substanzen, die sich noch in der Haut während mit 63 % der überwiegende Anteil auf Spätreakti- befinden, die Allergie auslösen. Bei Allergenen, die von den onen entfiel [72]. Das lässt darauf schließen, dass zumindest Pigmenten ausgehen, handelt es sich am ehesten um Metal- einige Allergene bereits in der Tinte vorhanden sein können. le, organische Verunreinigungen oder Abbauprodukte von Bei den späten Reaktionen auf Tätowierungen können äuße- organischen Pigmenten sowie deren Metabolite. Bevor ein re Faktoren wie Licht, welches die photochemische Spaltung Allergen bestätigt werden kann, muss gezeigt werden, dass von Tätowierungspigmenten in situ in der Haut induziert, der Patient dieser Substanz ausgesetzt war und gegen diese zur Allergenbildung aus Prä- oder Pro-Haptenen beitragen sensibilisiert ist. Das kann durch die Analyse einer Hautbiop- [27, 68, 71, 79]. sie der Tätowierung oder der verwendeten Tinte erfolgen. Der Nachteil des Epikutantests ist, dass er nur eine As- Letzteres gelingt nur selten, insbesondere bei spät einsetzen- soziation zwischen der Sensibilisierung und einer Einzelsubs- den Allergien, die Monate oder Jahre nach der Tätowierung tanz, mit der der Patient Kontakt hatte, herstellen kann; zum auftreten, und bei denen die Herkunft der Tinte nicht mehr Beispiel eine Nickelsensibilisierung, die mit Nickel in einer nachvollziehbar ist oder die Tinte in der Zwischenzeit eine Tätowiertinte korreliert. Andererseits sind Epikutantest-Er- veränderte Zusammensetzung aufweist. In früheren Ana- gebnisse immer mit der Unsicherheit behaftet, dass andere lysen wurden die Metalle Chrom, Quecksilber, Kobalt und Substanzen aus der Tätowiertinte der Hauptgrund für die all- Nickel als wahrscheinliche Auslöser allergischer Tätowie- ergische Reaktion sein könnten. Sie sind kein unumstößlicher rungsreaktionen identifiziert, indem das jeweilige Epikutan- Nachweis eines kausalen Zusammenhanges. test-Ergebnis mit der chemischen Analyse der Hautbiopsie abgeglichen wurde [81–84]. Man findet diese Metalle häufig Hautbiopsie in den anorganischen Pigmenten. Die Bestimmung der Me- talle in Hautbiopsien oder Tinte ist vergleichsweise einfach Die Zusammenschau klinischer Aspekte und histologischer und es existieren standardisierte Epikutantest-Präparate. Befunde aus Hautbiopsaten kann dem Kliniker beim Aus- Bei den organischen Pigmenten lassen sich durch chemi- schluss von schweren Krankheitsbildern wie kutanen In- sche Synthesen viele Strukturvariationen erzeugen, die eben- fektionen durch atypische Mikroorganismen, systemischen falls beim Tätowieren eingesetzt werden können. Bis dato Erkrankungen oder lymphatischen Infiltraten helfen [49]. sind etwa 104 organische Pigmente bekannt, die in Tätowier- Darüber hinaus können in Biopsien mononukleäre Zellin- tinten verwendet werden [85]. Ohne genau zu wissen, welche filtrate, zum Beispiel T-Zellen, in einem Muster nachgewie- Pigmente in die Haut eines Patienten eingebracht wurden, sen werden, das mit dem bei der allergischen Kontaktder- gleicht die Allergenbestimmung der Suche nach der Nadel im matitis beobachteten übereinstimmt. Solche histologischen Heuhaufen. Muster sind jedoch nicht pathognomonisch und kommen Die Pigmentanalytik aus biologischem Gewebe oder zum Beispiel auch bei irritativen Kontaktdermatitiden vor. Tinten wurde bislang mittels Hochleistungsflüssigkeit- Høgsberg et al. untersuchten 19 Biopsien von Patienten mit schromatographie (HPLC) [86] oder der Matrix-unterstütz- chronischen Tätowierungsreaktionen auf rotes Pigment oder ten Laser-Desorptions/Ionisations-Massenspektrometrie Pigmentmischungen beziehungsweise rötliche Farbnuancen (MALDI-MS) [87, 88] durchgeführt. Der Einsatz der HPLC [80]. Das vorherrschende histologische Muster war eine In- ist durch die geringe Löslichkeit der Pigmente stark einge- terfacedermatitis mit einer erhöhten Anzahl von T-Zellen schränkt, kann aber quantitative Daten liefern. In den für die und Langerhans-Zellen, was zu einer Allergie vom verzöger- HPLC-Analyse verwendeten organischen Standardlösungs- ten Reaktionstyp passt. mitteln ist nur eine begrenzte Menge an Pigment löslich. Die 666 © 2021 The Authors. 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Review Tattoo-Allergene MALDI-MS-Analyse ist für viele Pigmente grundsätzlich gut auftritt [54, 94]. Wie bedeutsam die verschiedenen mögli- geeignet, die Nachweisgrenzen liegen jedoch im Prozentbe- chen Epitope für die allergische Immunantwort sind, ist reich und variieren für jedes Pigment. In einer Studie, in der nach wie vor unbekannt, und die Bildung der korrekten Pigmente aus 104 Hautbiopsien von Patienten mit allergi- Epitope kann mit In-vitro-Tests kaum kontrolliert werden. schen Reaktionen analysiert wurden, erwies sich die MAL- Eine pragmatische Vorgehensweise ist es, antigenpräsen- DI-MS für den Nachweis sichtbarer Mengen von Pigmenten tierende Zellen und T-Zellen aus dem Blut mit chemisch – wie sie in tätowierter Haut vorhanden sind – als geeignet modifizierten Proteinen oder Peptiden zu inkubieren. Al- [72]. Allerdings stimmten die von den Tätowierern eingesam- ternativ werden die Chemikalien direkt in das Medium der melten Tinten nicht immer mit den in der Haut der Patienten Ko-Kultur gegeben [93, 95]. Da T-Zell-Rezeptoren sowohl vorgefundenen Pigmenten überein. hochspezifisch als auch kreuzreaktiv sind [96], können Zwar lassen sich die Pigmente, die im Verdacht stehen, T-Zell-In-vitro-Tests auch dann noch erfolgreich sein, wenn Tätowierungsallergien auszulösen, durch chemische Analy- mit Hautpeptiden gebildete Epitope fehlen. Das Aufspüren sen eingrenzen, es können aber auch nachgeschaltete sensi- der seltenen aktivierten T-Zellen in einer Fülle von irrele- bilisierende Abbauprodukte dieser Pigmente sowie Neben- vanten reaktiven Zellen (Bystander-Zellen) ist schwierig. produkte oder Polymere, die bei ihrer Synthese verwendet Jedes Individuum hat über 100 Millionen meist einzigartige werden, eine Rolle bei der Allergieentwicklung spielen. Für T-Zell-Klonotypen, von denen nur wenige spezifisch für ein die meisten dieser Substanzen existieren keine standardisier- bestimmtes Epitop sind [97]. Um seltene allergenspezifische ten Patch-Test-Formulierungen, um eine Sensibilisierung des T-Zellen im Blut nachzuweisen, verwenden die meisten La- Patienten nachzuweisen. Ist das Pigment in der Haut des Pati- bore proliferationsbasierte Testverfahren wie Lymphozyten- enten im Voraus bekannt, können spezifische Substanzgrup- proliferations- oder Transformationstests (LPT/LTT), den pen getestet werden (Abbildung 3). memory lymphocyte immunostimulation assay (MELISA®) oder den human T cell priming assay (hTCPA) [57, 98]. Um Nachweis Allergen-spezifischer T-Zell-Antworten die Proliferation zu erleichtern, können cytokine skewing cocktails hinzugefügt oder die regulatorischen T-Zellen de- in vitro pletiert werden [99, 100]. Verfahren, die nicht auf Prolifera- T-Zell-Reaktionen auf mutmaßliche Tätowierungsallergene tion basieren, detektieren in der Regel Zytokine, zum Bei- können, ähnlich wie bei anderen chemischen Sensibilisato- spiel über Enzyme-linked Immunosorbent- oder Spot-Assays ren, die eine allergische Kontaktdermatitis auslösen, in vitro (ELISA und ELISpot). Mit Ausnahme der Priming-Assays untersucht werden. Bei der Durchführung solcher Tests sind erkennen diese Teste nur die Gedächtnis-T-Zellen, die sich mehrere Hürden zu überwinden. Zunächst müssen relevante vermehren oder die entsprechenden Zytokine exprimieren. Allergen-induzierte Antigene hergestellt werden, die von spe- Naive T-Zellen und weniger proliferative Gedächtniszellen zifischen T-Zellen erkannt werden. oder Gedächtniszellen, die keine Zytokine produzieren, wer- Das Wissen darüber, wie Chemikalien T-Zell-Antwor- den nicht erkannt, was zu einer Verzerrung der Ergebnisse ten induzieren, ist immer noch sehr begrenzt [54, 55, 89]. führen kann. Parkinson et al. zeigten für einige wenige Sensibilisato- Unlängst wurde eine neue Methode beschrieben, die ren, dass häufige und weniger häufige Proteine modifiziert einen schnellen und umfassenden Zugriff auf antigenspezi- werden können [90], wobei die Bedeutung für die T-Zell- fische naive und CD4+-Gedächtnis-T-Zellen ermöglicht. Sie Epitop-Bildung weiterhin ungeklärt ist. Wahrscheinlich er- basiert auf der Induktion der CD154 (CD40L)-Expression kennen T-Zellen neben anderen möglichen Mechanismen wenige Stunden nach In-vitro-Stimulation [101, 102]. Dieses auch Allergen-modifizierte Peptide, die von den Molekü- neue Verfahren wurde von uns und anderen eingesetzt, um len des Haupt-Histokompatibilitätskomplexes (MHC) der zum Beispiel Nickel- oder β-Laktam-Antibiotika-spezifische Antigen-präsentierenden Zellen präsentiert werden [91, T-Zellen nachzuweisen [103, 104]. Mit solchen T-Zell-Assays 92]. Dies wurde für das experimentelle Modellallergen kann ein erhöhter Anteil spezifisch aktivierter T-Zellen nach 2,4,6-Trinitrobenzolsulfonsäure (TNBS) gezeigt. Dieses einer Behandlung mit chemischen Substanzen nachgewiesen Modellantigen wurde von CD8+-T-Zellen in einem murinen werden. Kontakt- Hypersensibilisierungsmodell hauptsächlich dann Damit der Test aussagekräftig wird, ist eine gleichzei- erkannt, wenn es an Lysin an Position 4 eines MHC-prä- tige Untersuchung von Kontrollpersonen ohne Allergie un- sentierten Peptids gebunden war [93]. Alternativ können erlässlich. So wurde zum Beispiel bei der p-Phenylendiamin Chemikalien nichtkovalent an die T-Zell-Rezeptor-Pep- (PPD)-induzierten Allergie bei Allergikern eine vermehrte tid-MHC-Schnittstelle binden, was im Falle von Medika- T-Zell-Proliferation nachgewiesen [95]. Das Oxidationspro- menten als „pharmakologische Interaktion“ bezeichnet dukt von PPD, die sogenannte Bandrowski-Base, induzier- wird, die manchmal in einer HLA-Allel-restringierten Form te dagegen eine vermehrte Proliferation bei Allergikern und © 2021 The Authors. Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft published by John Wiley & Sons Ltd on behalf of Deutsche Dermatologische Gesellschaft. | JDDG | 1610-0379/2021/1905 667
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