Tessin erneuerbar! Ein Kanton mit gigantischem Potential nutzt seine Chancen - Dr. Rudolf Rechsteiner, Nationalrat

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Tessin erneuerbar! Ein Kanton mit gigantischem Potential nutzt seine Chancen - Dr. Rudolf Rechsteiner, Nationalrat
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    Tessin erneuerbar!
    Ein Kanton mit gigantischem Potential
    nutzt seine Chancen.

    Dr. Rudolf Rechsteiner, Nationalrat
    August 2009
    Im Auftrag der Sozialdemokratischen Partei des Kantons Tessin
Tessin erneuerbar! Ein Kanton mit gigantischem Potential nutzt seine Chancen - Dr. Rudolf Rechsteiner, Nationalrat
Executive Summary - 100% erneuerbare Energie ist möglich                                                                                2

Inhalt
1.    Executive Summary ‐ 100% erneuerbare Energie ist möglich ........................................ 3
2.    Eine neue Agenda für die Tessiner Energiepolitik ......................................................... 9
3.    Die Energieversorgung des Kantons Tessin ................................................................ 15
4.    Energiewirtschaft im raschen Wandel ........................................................................ 26
5.    Neue Vorgaben für den EU‐Strombinnenmarkt .......................................................... 31
6.    Einspeisevergütungen – eine Revolution .................................................................... 36
7.    Wege zur Vollversorgung mit erneuerbaren Energien ................................................ 37
8.    Beteiligung der AET an neuen Kohlekraftwerken? ..................................................... 47
9.    Ein Blick auf die Entwicklung in Deutschland .............................................................. 54
10.     Die 20‐20‐20‐Strategie der Europäischen Union ..................................................... 64
11.     Negative Erfahrungen mit neuen Atomkraftwerken ............................................... 66
12.     Potentiale der Windenergie in der Schweiz ............................................................. 68
13.     Atomstromimporte durch Windimporte ersetzen ................................................... 70
14.     Wasserkraft ............................................................................................................ 71
15.     Strom aus Biomasse ............................................................................................... 73
16.     Photovoltaik und solarthermische Stromerzeugung............................................... 74
17.     Geothermie ............................................................................................................ 81
18.     Potentiale der Energieeffizienz ............................................................................... 81
19.     Literatur ................................................................................................................. 84
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Executive Summary - 100% erneuerbare Energie ist möglich                                             3

       1.    Executive Summary - 100% erneuerbare Energie ist
            möglich
Der Kanton Tessin besitzt alle Voraussetzungen, um sich in Zukunft ganz aus erneuerbaren Energien
zu versorgen. Allein zur Stromerzeugung betragen die einfach erschliessbaren Potentiale bis 2030
ohne nennenswerte Beanspruchung der Umwelt über 11 TWh oder das Vierfache des derzeitigen
Verbrauchs (2,7 TWh, 2007). Berechnet man die technischen Potentiale von Sonne, Wasserkraft
und weiteren erneuerbaren Energien, so liesse sich über 180 mal mehr Strom erzeugen als der
Kanton derzeit verbraucht.
Die Methodik der Studie beruht auf einem einfachen Verfahren: es wurde zuerst eine Bandbreite für
den Ersatz- und Zusatzbedarf bestimmt, den es braucht, um die bisherigen Bezüge an Strom aus
nichterneuerbaren Energien zu ersetzen, Verbrauchswachstum inklusive. Danach wurden die
vorhandenen Potentialstudien1 des Bundesamtes für Energie u.a. in drei Realisierungsszenarien zu
einem Zeit- und Mengenraster zusammengefügt: bodenständig, europäisch, innovativ.
Einspeisevergütungen
Weltweit sind die erneuerbaren Energien sehr rasch auf dem Vormarsch – mit einem Wachstum von
30% bis 50% pro Jahr, gemessen an den Neuinstallationen von Windenergie und Solarenergie.
Was dies heissen kann, zeigt sich nun mit Verspätung auch in der Schweiz: Die Einführung von
Einspeisevergütungen führte in der kurzen Zeit von Mai 2008 bis Januar 2009 zu einem Boom neuer
Kraftwerke für sauberen Strom. Es wurden gegen 6000 neue Projekte mit insgesamt 1200 MW
Leistung beim Bundesamt für Energie zur Vergütung angemeldet. Diese können im Fall ihrer
Realisierung den Strom von mehr als einem Atomkraftwerk der Grösse Mühleberg (355 MW)
ersetzen.
Die im schweizerischen Gesetz vorgesehene Begrenzung bei 0,6 Rappen/kWh Preiszuschlag führte
allerdings bereits Ende Januar 2009 zu einem Genehmigungsstopp in allen Technologien. Sehr viel
mehr sauberer Strom könnte in der Schweiz erzeugt werden, wenn die gleichen Rahmenbedingungen
wie in Deutschland, Frankreich oder Italien gelten würden – mit einer nach oben unlimitierten
Vergütung von neuen Investitionen. Und der Kanton Tessin würde von dieser Entwicklung dank seiner
Topografie besonders stark profitieren.
Eine wichtige Voraussetzung für die Nutzung der erneuerbaren Energien ist deshalb, dass die
rechtlichen    Rahmenbedingungen        verbessert   werden,    mit    (im  Zeitablauf   sinkenden)
Einspeisevergütungen für Strom aus allen erneuerbaren Energien und mit klaren Zielsetzungen auch
im Hinblick auf die nötigen Bewilligungsverfahren. Zu oft werden Solaranlagen und andere Kraftwerke
durch Schutzbestimmungen blockiert. Dabei           wird übersehen, das die Klimaerwärmung zu
landschaftlichen Veränderungen katastrophaler Art führen wird, wenn sie nicht rechtzeitig gestoppt
werden kann.
Substitution in den drei wichtigsten Sektoren
Die fossilen Energien werden in dieser Studie als Residualgrösse betrachtet, deren Verbrauch sich
durch Verknappung und Verteuerung („peak oil“), durch politisch gewollte Steuerung
(Emissionshandel/CO2-Massnahmen) und durch Substitution (Energieeffizienz und Elektrizität)
zurückbilden wird. Die Umstellung auf erneuerbare Energien erfolgt in den wichtigsten drei Sektoren
wie folgt:
       •    Im Immobiliensektor ist die Effizienzrevolution bereits im Gang. Minergie und Minergie-P
            setzen sich schrittweise durch. Der verbleibende Wärme- und Strombedarf lässt sich mit
            sauberen Technologien und weitgehend einheimischen Ressourcen decken: aus der
            Gebäudehülle (Solarthermie, Photovoltaik), aus dem Boden (Biomasse, untiefe Geothermie)
            und aus der Luft (Wärmepumpen). Die Neubauten werden zunehmend zu energetischen
            Selbstversorgern und – dank der immer billigeren Solarzellen – zu Stromlieferanten;
            Altbauten beziehen den Restbedarf an Fremdenergie zunehmend aus Sonne, Holz und aus
            erneuerbarem Strom, dessen Anteil auf dem europäischen Markt rasch wächst.
       •    Im Verkehr wir der Anteil des öffentlichen Verkehrs und des Langsamverkehrs (Velo,
            Fussgänger) weiter ansteigen, nicht zuletzt dank der schnelleren Verbindungen der Neat
            sowie Innovationen (Velos und Busse mit elektrischem Antrieb). Im Privatverkehr werden die
            Fahrzeuge leichter, effizienter und zunehmend elektrisch (aus erneuerbaren Energien)
            betrieben, was bei knapper werdendem Benzin auch wirtschaftlich interessant ist und in der

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    Genaue Quellen siehe weiter hinten
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            Luftreinhaltung grosse Verbesserungen bringt. Für eine vollständige Umstellung aller
            Tessiner Motorfahrzeuge auf elektrische Propulsion bräuchte es etwa 60 offshore-
            Windturbinen neuster Bauart (6 MW) in oder an der Nordsee, oder eine solare Nutzung von
            Dach- und Siedlungsflächen im Inland.
       •    Der Stromsektor wird in Zukunft breiter diversifiziert und schrittweise auf erneuerbare
            Energien und effizientere Nutzung umgestellt. Neue Atomkraftwerke und Gaskraftwerke
            werden in der Schweiz keine mehr gebaut und werden auch im Ausland den erneuerbaren
            Energien weichen. An ihre Stelle treten Strom aus Windenergie aus dem In- und Ausland,
            Wärme-Kraft-Kopplung, Biomasse, Photovoltaik, Geothermie und ein moderater Ausbau
            der Wasserkraft (inkl. Modernisierung bestehender Werke); eine Best-Technik-Richtlinie
            sorgt für durchgehend effizientere Geräte und setzt den Ersatz von Elektro-
            Widerstandsheizungen durch Pellet-Öfen, Solaranlagen und Wärmepumpen durch. Wo
            noch mit Erdgas geheizt wird, wird mit Wärme-Kraft-Kopplung auch Strom erzeugt; dieser
            zusätzliche Strom wird teilweise in Wärmepumpen verwendet, welche Ölheizungen ersetzen.
            Grosse CO2-Reduktionen sind so möglich.

Reduktion von 6000 auf ca. 2000 Watt – Umstellung der Primärenergien

Figur 1 Ölpreis 1999-2009 in US-Dollar pro Barrel2
Figur 2 historischer Verlauf der weltweiten Erdölfunde (Balken) und des Ölkonsums (Linie)3
Die Erdölproduktion ist in wichtigen Erzeugerländern rückläufig (USA, Norwegen, Grossbritannien,
Mexiko, Russland) und ein neuer Preisanstieg ist bloss eine Frage der Zeit. Die europäischen
Gaspreise sind an den Ölpreis gebunden. Wer in fossile Energien investiert, setzt deshalb auf eine
riskante Karte.
Die Europäische Union hat sich zum Ziel gesetzt, die CO2-Emissionen um 20% zu senken und den
Anteil der erneuerbaren Energien deutlich zu steigern. Der europäische Emissionshandel erfordert ab
2013, dass alle Kraftwerke für ihre CO2-Emissionen Zertifikate erwerben. Dies könnte den Strom aus
fossilen Kraftwerke stark verteuern.
Der von der Azienda Elettrica Ticinese (AET) wie auch von Axpo, Alpiq und BKW forcierte Bau von
Kohle- und Gaskraftwerken erfolgt gegenläufig zu den politischen Zielen der Europäischen Union.
Die damit einher gehenden CO2-, Versorgungs- und Preisrisiken liessen sich vermeiden, wenn
statt in Kohle, Gas- und Atomkraftwerke rasch in neue erneuerbare Energien investiert würde. Jährlich
werden in Europa 8000 bis 10‘000 MW Windenergie neu erstellt. Windfarmen und Bezugsrechte aus
Windfarmen werden in Europa frei gehandelt, so wie bisher die Bezugsrechte aus Atomenergie oder
aus Kohlekraftwerken erworben werden konnten. Doch die Schweizer Stromkonzerne üben sich bei
der sauberen Energie in Abstinenz und es entsteht dadurch der falsche Eindruck, es gäbe keine
echten Alternativen zu Atom, Gas oder Kohle.

2
    Oilwatch Monthly - August 2009 (Aspo Netherlands)
3
    Colin Campbell: Aspo Newsletter 100 (2009)
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Auch der Bundesrat hat bisher wenig zur Stärkung der erneuerbaren Energien beigetragen. Offizielles
Ziel der Bundesrates ist es zwar, den Energieverbrauch von 6000 auf 2000 Watt zu senken. Diese
Reduktion des Primärverbrauchs müsste durch eine Reduktion der riesigen Energieverluste erfolgen
wie sie in thermischen Kraftwerken, in Verbrennungsmotoren und in schlecht isolierten Immobilien
stattfinden. Atomkraftwerke und Kohlekraftwerke haben einen Wirkungsgrad von nur ca. 35%. Zwei
Drittel der Energie entschwindet ungenutzt durch die Kühltürme. Windenergie und Solarenergie
weisen keine solche Verluste auf. Dank höheren Ölpreisen, CO2-Abgaben und Emissionshandel in
Europa ist die Umstellung auf neue erneuerbare Energien wirtschaftlich interessant. Der Bundesrat
könnte diese Technologien fördern:

   •   Durch eine Ausdehnung der Vorschriften für Energieeffizienz nach dem besten Stand der
       Technik auf die bisher nicht regulierten         Bereiche (zB. Umwälzpumpen, Boiler,
       Kaffeemaschinen, Strassenbeleuchtungen, Wärmepumpen
   •   Durch die Ausdehnung der Einspeisevergütungen auf alle Projekte in der Schweiz
   •   Durch die Ausdehnung der Einspeisevergütungen auf kostengünstigen importierten Strom,
       soweit dieser in der Schweiz benötigt wird, zwecks Vertragsabschlüssen mit Windfarmen in
       der Nordsee, in Spanien oder in Süd- und Osteuropa.

Bedarf von 1,5 bis 3 TWh
Eine Vollversorgung des Kantons Tessins aus erneuerbaren Energien baut primär auf der
bestehenden Wasserkraft auf, wobei aus der Eigenproduktion der AET eine Stromerzeugung von 1,3
TWh bis 2030 zu erwarten ist. Der Ersatz- und Zusatzbedarf beträgt je nach Wachstum des
Stromverbrauchs zwischen 1,5 TWh und 3 TWh. Damit können
   •   die auslaufenden Beteiligungen an Atomkraftwerken,
   •   die Bezüge aus fossilen Quellen
   •   das voraussichtliche Verbrauchswachstum
schrittweise durch sauberen Strom abgedeckt werden.
Die erwartete Zunahme des Stromverbrauchs ist vorab eine Folge der Substitution von Erdöl und
Erdgas und somit nicht a priori schlecht. Es kommt entscheidend darauf an, woher der zusätzliche
Strom stammt. Die Handlungsspielräume für die Beschaffung von sauberem Strom im Tessin sowie
im In- und Ausland sind sehr gross.
Die Hindernisse auf dem Weg zur Vollversorgung mit erneuerbaren Energien sind keineswegs
technischer Natur. Die Rückständigkeit rührt vielmehr aus den politisch blockierten
Rahmenbedingungen:
   •   fehlende Einspeisevergütungen,
   •   eine jahrzehntelange Fixierung der Entscheidungsträger in der Elektrizitätswirtschaft auf
       nukleare und fossile Energiequellen,
   •   die systematische Unterschätzung der Risiken der Atom-, Kohle- und Erdgas-Kraftwerke,
       gesetzlich gefördert durch die eingeschränkte Haftpflicht bei Atomunfällen
   •   Unkenntnis über die Kosten und Potentiale der erneuerbaren Energien
   •   bürokratische Hindernisse bei den Bewilligungen für neue erneuerbare Energien und
   •   fehlende Übertragungsleitungen in Nord-Süd und Ost-West-Richtung.
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Tessin erneuerbar – Potentiale und Strategien
    GWh pro Jahr                                                       Potential CH   Nutzungsgrad Kanton Tessin   Potential TI bis 2030
    Anteil an bestehender Wasserkraft                                  37000          1                            1231
    Bestgeräte‐Vorschriften                                            6100           1                            257
    Einbau WKK in bestehende Gasheizungen                              10700          0.2                          90
    Ersatz Elektro‐Widerstandsheizungen                                3200           1.0                          135
    Effizienzrabatte Industrie und DL                                  1995           1.0                          84
    Kehrichtverstromung                                                3000           1.0                          126
    Biomasse‐Verstromung                                               5450           1.6                          371
    Biogasverstromung                                                  1830           1.6                          125
    Geothermie bis 2030                                                2000           1.2                          101
    Zuwachs Wasserkraft                                                2000           2.0                          168
    Zuwachs Windkraft CH                                               4000           2.0                          337
    Beteiligung europäische Windenergie onshore                        7200           1.0                          303
    Beteiligung europäische Windenergie offshore                       18000          1.0                          758
    Photovoltaik, Best‐ und Gutdächer kristallin                       46800          1.3                          2562
    Photovoltaik, Verkehrs‐ und Freiflächen sowie ausserkant. Import   32000          3                            4042
    Total Effizienz + Erneuerbare                                      144275                                      10689
Figur 3 Potentiale der Strombeschaffung für den Kanton Tessin
Auf Basis der heute verfügbaren Quellen ergibt sich ein “Basispotential Strom” für den Kanton Tessin
von 10,7 TWh. Die einzelnen Ressourcen werden mit unterschiedlicher Nutzungstiefe den Strategien
bodenständig, europäisch, innovativ zugerechnet. Es ergeben sich folgende Pfade zum Ziel:
Die Verbesserung der Energieeffizienz kommt in allen drei Szenarien stark zum Zug. Dank der
Strommarktöffnung und der Preis-Entwicklung ist Energieverschwendung für niemanden mehr wirklich
interessant. Für Geräte, Maschinen und Anlagen setzt der Bundesrat nun schrittweise die beste
verfügbare Technik durch. Entsprechende Richtlinien wurden im Juni 2009 verabschiedet.4
Altliegenschaften und Elektro-Widerstandsheizungen werden schrittweise saniert, letztere
beschleunigt durch die wegfallenden Tarifprivilegien.
Die Strategie bodenständig behält ein Maximum an Wertschöpfung in der Schweiz, setzt deshalb am
meisten auf Investitionen in die Energieeffizienz inkl. Wärme-Kraft-Kopplung bei bestehenden
Gasheizungen sowie auf die inländischen Energieträger Wasserkraft, Biomasse, Kehricht und Wind.
Sie engagiert sich vorerst eher wenig in den noch teureren Techniken Photovoltaik und Geothermie.
In der Strategie europäisch werden Energieeffizienz, Windenergie, Photovoltaik und Geothermie
etwas weniger ehrgeizig verfolgt und auf Wärme-Kraft-Kopplung in bestehenden Gasheizungen wird
ganz verzichtet. Stattdessen erwerben die AET und die übrigen Tessiner Strombezüger (zB. SBB)
Beteiligungen an europäischen Windfarmen (ca. 400 MW) und (zeitlich etwas verzögert)
Beteiligungen an Solarfarmen. Diese Beteiligungen ersetzen die bisherigen Atombezüge und
alimentieren das Stromhandelsgeschäft.
Die Speicher-Kraftwerke der AET werden mit Windfarmen statt mit Kohle-, Gas- und Atomkraftwerken
vernetzt und für den lukrativen Handel am Spotmarkt eingesetzt. Ein Teil der Wind- und Solarenergie
wird so veredelt und als teurer Spitzenstrom exportiert. Ein anderer Teil wird in windstarken Zeiten
direkt dem Tessiner Eigenverbrauch dienen und kann während diesen Perioden die Speicherseen
schonen. Die Strategie europäisch verspricht die höchsten kaufmännischen Gewinne und trägt
dank dem billigen Windstrom zur Absenkung des Strompreisniveaus bei. Im Gegensatz zur
bisherigen fossilen Strategie der AET – mit Investitionen in Gas- und Kohlekraftwerke – bestehen bei
Investitionen in erneuerbare Energien keine Risiken, dass der Strom durch eine Verknappung der
Brennstoffe oder durch den EU-Emissionshandel verteuert wird.
Die Strategie innovativ setzt verstärkt auf neue einheimische Technologien. Es wird dank einer
sofortigen Öffnung der Einspeisevergütungen deutlich mehr Geld als bisher in Photovoltaik und
Geothermie investiert. Damit steigen die Chancen, dass das Tessin zu einem innovativen
Technologie-Standort für Photovoltaik und Geothermie werden kann und neben der Wasserkraft zwei
neue Standbeine mit neuen Unternehmen und neuen Arbeitsplätzen erhält. In diesem Szenario
wächst die gesamte Stromerzeugung im Tessin auf maximal 8 TWh an und ein Grossteil der
Solarenergie wird an Abnehmer in anderen Kantonen weiterverkauft!

4
 Siehe         Faktenblatt:     Revision       der         Energieverordnung                                         http://www.news-
service.admin.ch/NSBSubscriber/message/attachments/16298.pdf
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Figur 4 Drei Strategien – drei Wege zur Vollversorgung mit erneuerbaren Energien

Neue Spielregeln in der Europäischen Union
Die EU ist daran, einen einheitlichen Strombinnenmarkt zu schaffen. Die neuen Spielregeln haben
auch eminente Folgen für die Schweiz und das Tessin:
   •   Will die Schweiz den Stromhandel mit den europäischen Partnern gleichberechtigt aufrecht
       erhalten, wird sie ihren Markt bis zu den Kleinverbrauchern öffnen müssen.
   •   Gas- und Kohlekraftwerke unterliegen ab 2013 dem europaweiten Emissionshandel. Es
       müssen Emissionsrechte für diese Anlagen ersteigert werden, welche DEN Strom pro kWh
       verteuern werden. Bei einem Zertifikatepreis von 100$/Tonne CO2 verteuert sich der Strom
       aus Kohle um 3 bis 9 Rp./kWh.
   •   Zu fragen ist, ob die Schweiz Zutritt auf den Markt der EU erhält, wenn sie die europaweit
       geltenden minimalen Zubaumengen an erneuerbaren Energien nicht nachweisen kann. ZU
       vermuten ist, dass die Schweiz die gleichen Bedingungen erfüllen muss wie die Europäische
       Union. Dies bedeutet, dass die Stromkonzerne die erneuerbaren Energien nicht länger
       boykottieren können. Neue Atomkraftwerke oder Kohlekraftwerke haben dann im Strommix
       gar keinen Platz mehr.
   •   Wer in nichterneuerbare Energien investiert, riskiert auch technisch gesehen unrentable und
       zum Teil möglichweise unveräusserliche Überkapazitäten, denn wenn der Bedarf gross und
       die Netze ausgelastet sind, bedeuten die Vorrangregelungen für erneuerbare Energien, dass
       der Strom aus eigenen Kohle- und Gaskraftwerken im Stromhandel zurückstehen muss.
   •   Der geöffnete Markt bedeutet, dass Defizite von neuen Atom- oder Kohlekraftwerken nicht
       mehr auf die „festen Kunden“ überwälzt werden können – es gelten dann eben für alle die
       Marktpreise und die Investoren müssen die Verluste selber tragen.

Beurteilung der AET-Pläne für Beteiligungen an neuen Kohlekraftwerken
Die AET liefert einen Grossteil ihrer Stromerzeugung in ein EU-Land, nach Italien. Deshalb wäre es
entscheidend, die Ziele und Erfordernisse der EU in diesem Bereich zu reflektieren, namentlich
   •   Die bevorstehende Verteuerung des Stroms aus fossilen Quellen durch den Emissionshandel
       ab 2013
   •   Die Problematik der nichtprivilegierten Durchleitung aus Produktionsstätten im Norden
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    •    Die alternativen Möglichkeiten des Erwerbs von Windenergie, sei es über Abnahmeverträge
         aus älteren Windfarmen mit tieferen Vergütungen, sei es durch Beteiligungen an neuen
         Windfarmen
In dieser Situation wäre es auch wichtig, dass                            mehr      Transparenz         entsteht     und   die
Entscheidungsregeln zur Diskussion gestellt werden:
    •    Offenlegung der genauen Gestehungskosten in Varianten, voraussichtliche Laufzeiten des
         neuen Werks hinsichtlich Übernahme von Tag- oder Nachtstrom, zu erwartende Gebühren für
         den Strom im Emissionshandel
    •    Offenlegung von Alternativen zum Kohlestrom, insbesondere Beteiligung an geographisch
         diversifizierten Windfarmen
    •    Mitsprache des Parlaments und der Stimmberechtigten angesichts der grossen Risiken bei
         Investitionen in neue Kraftwerke ohne Einspeisevergütungen oder in neue langfristige
         Bezugsverträge
    •    Entwicklung einer EU-konformen Vorwärtsstrategie zur Umsetzung der EU-Anforderungen
         betreffend Steigerung des Anteils von erneuerbaren Energien.

Durch den rasanten Ausbau der Wind- und Solarenergie verändern sich auch die Verfügbarkeiten von
billigem Strom und die Marktchancen von Bandenergie radikal:
    •    Windenergie wird bei starkem Wind für sehr tiefe Preise sorgen. Dieser Zusammenhang ist
         wissenschaftlich nachgewiesen und wird sich verstärken.
    •    Überschüsse an „Bandenergie“ aus teuren, nicht regelbaren, neuen Atom- und Kohle-
         Kraftwerken werden unter diesen Gegebenheiten zur finanziellen Belastung.
Die Speicherkraftwerke der AET sind in diesem Umfeld hervorragend positioniert, und ein Ausbau der
Leistung wäre zu prüfen. Neue Atomkraftwerke und Kohlekraftwerke mit Bandenergie sind es nicht.

Übersicht über die neue Tessiner Agenda
Thema
Energiepolitisches Programm
1                                   Vollversorgung aus 100% erneuerbaren Energien als langfristiges Ziel verankern
Entscheidungs‐                und
Bewilligungsverfahren
2                                   Masterplan erneuerbare Energien
3                                   Vorgaben für langfristige Beschaffungsverträge, Ausbau und Bewirtschaftung der Pumpspeicher
4                                   Bindendes Referendum über neue Kraftwerke und Bezugsverträge – neue Gouvernanzregeln
5                                   Transparenz über Rendite und Risiken des Stromhandelsgeschäfts
6                                   Verbot von Bewilligungsverboten für erneuerbare Energien
7                                   Vorrang für erneuerbare Energien in der Raum‐ und Zonenplanung
Strom
8                                   Netzgebühren: lineare Tarife, die sparsame Stromverbraucher nicht bestrafen
9                                   Kantonaler Effizienzbonus oder kantonale Lenkungsabgaben auf Strom
10                                  Einspeisevergütungen auf Ebene Kanton oder Gemeinde
11                                  Lancierung kantonaler Programme zur Stromerzeugung
12                                  Erdverlegung von Stromnetzen
Wärme
13                                  Sanierungsprogramm für Altbauten, Vollzug der Baunormen
14                                  Einführung der Energie‐Etikette für Gebäude (Energiepass)
15                                  Lancierung eines kantonalen Abwärme‐ und Geothermie‐Programms
16                                  Vollzugskontrollen
Verkehr
17                                  Rahmenbedingungen für die elektrische Mobilität mit Strom aus 100% erneuerbaren Energien
18                                  Kreuzungsfreies Zweiradnetz für die „schnelle Velomobilität“
19                                  Sauberer Strom im öffentlichen Verkehr – Elektrifizierung des Busbetriebs
Finanzierung
20                                  Verursachergerechte Finanzierung von Massnahmen
21                                  Zweckbindung der AET‐Gewinne
Figur 5 Massnahmen für den Kanton Tessin
Tessin erneuerbar! Ein Kanton mit gigantischem Potential nutzt seine Chancen - Dr. Rudolf Rechsteiner, Nationalrat
Eine neue Agenda für die Tessiner Energiepolitik                                                                            9

           2.        Eine neue Agenda für die Tessiner Energiepolitik
    Verfassungsebene
        1. Vollversorgung aus 100% erneuerbaren Energien als langfristiges Ziel verankern
    Angesichts der Verknappung und Verteuerung der fossilen Energien und der Klimaproblematik kommt
    der Strombeschaffung aus erneuerbaren Energien erste Priorität zu. Zwei Trends kommen dem
    Umweltschutz entgegen:
           •    Dank neuen Technologien (Wärmepumpen, Elektrofahrzeuge) ist eine rasche Substitution der
                fossilen Energien durch Elektrizität im nächsten Jahrzehnt möglich.
           •    die Verfügbarkeit von kostengünstigem sauberem Strom wächst rasch. Mit dem Ersatz der
                Atomenergie im Schweizer Stromnetz wird die Beliebtheit der Elektrizität noch ansteigen.
    Der Bund hat auf seine Weise mit den Einspeisevergütungen zur Ausdehnung der erneuerbaren
    Energien im Stromsektor beigetragen. Eine Erhöhung der Kontingente steht bevor oder muss notfalls
    auf dem Weg von Volksinitiativen weiterverfolgt werden.
    Weil die AET in kantonaler Hand steht, drängt es sich auf, auf kantonaler Ebene eine
    Richtungsänderung zu verfolgen: eine Strombeschaffung frei von nuklearen und CO2-Risiken,
    Emissionen und Abfällen analog den Beschlüssen in der Stadt Zürich, Basel-Stadt oder in der Stadt
    Bern. Generell kann dies mit einem neuen kantonalen Verfassungsartikel, analog der neuen
    Gemeindeordnung in der Stadt Zürich, oder mit einer Änderung von kantonalen Gesetzen
    verwirklicht werden.
    Eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien überzeugt inhaltlich dadurch, dass sie auf neue,
    dauerhaft verfügbare, unerschöpfliche Primärenergien und Technologien setzt, die in ganz Europa
    ordnungsrechtlich Unterstützung finden – Emissionshandel, Netzausbau und Vorrang der
    erneuerbaren Energien bei der Strombeschaffung.5 Dazu kommt, dass die Gestehungskosten der
    neuen Techniken laufend sinken.
Entwurf      für   die    Tessiner    Kantonsverfassung                  Volksentscheid         der       Stadt         Zürich
Volksinitiative nachhaltige Energieversorgung6                           Vom 6. November 2008
                                                                         (Gemeindeordnung) Art. 2ter
Abs. 1 der Kanton setzt sich aktiv für den Schutz und die                Abs. 1 Die Gemeinde setzt sich aktiv für den Schutz
Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und für                       und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen
einen schonenden Umgang mit den natürlichen                              und für einen schonenden Umgang mit den
Ressourcen ein. Er verpflichtet sich zur Umsetzung einer                 natürlichen Ressourcen ein. Sie verpflichtet sich zur
nachhaltigen Entwicklung.                                                Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung.
Abs. 2 Er setzt sich im Rahmen seiner Zuständigkeit für                  Abs. 2 Sie setzt sich im Rahmen ihrer Zuständigkeit
die Erreichung folgender Ziele ein:                                      für die Erreichung der Ziele der 2000- Watt-
lit. a eine Reduktion des CO2-Ausstosses auf eine                        Gesellschaft ein, insbesondere für lit. a eine
Tonne pro Einwohnerin oder Einwohner und Jahr;                           Reduktion des Energieverbrauchs auf 2000 Watt
                                                                         Dauerleistung pro Einwohnerin oder
lit. b die Förderung der Energieeffizienz
                                                                         Einwohner;
lit. c die Deckung des Bedarfs aus erneuerbaren
Energiequellen.7                                                         lit. b eine Reduktion des CO2-Ausstosses auf eine
                                                                         Tonne pro Einwohnerin oder Einwohner und Jahr;
Abs. 3 der Kanton und seine Elektrizitätswerke
verzichtet auf neue Beteiligungen und Bezugsrechte an                    lit. c die Förderung der Energieeffizienz und der
Kern-, Kohle- und Gaskraftwerken. Er mandatiert seine                    erneuerbaren Energiequellen.
Vertretungen in kantonalen und ausserkantonalen                          Abs. 3 Sie verzichtet auf neue Beteiligungen und
Gremien gesetzlich bindend.                                              Bezugsrechte an Kernenergieanlagen.
                                                                         Übergangsbestimmung:
Übergangsbestimmung                                                      Für die Reduktion des CO2-Ausstosses auf eine

    5
      Der Bundesrat plant “die Beibehaltung und Ausweitung des nationalen Emissionshandelssystems im Hinblick auf eine
    Verknüpfung mit dem Emissionshandelssystem der EU“ und nähert sich damit der EU-Klimapolitik immer weiter an
    (Medienmitteilung des Bundesrates vom 6.5.2009 );

    6
        Der genaue Wortlaut müsste noch auf die geltenden Verfassungs-Bestimmungen abgestimmt werden.
    7
        Evtl. könnte man diese Passage auch weglassen, denn eine ähnliche Formulierung besteht bereits in der Zürcher Verfassung.
Tessin erneuerbar! Ein Kanton mit gigantischem Potential nutzt seine Chancen - Dr. Rudolf Rechsteiner, Nationalrat
Eine neue Agenda für die Tessiner Energiepolitik                                                      10

Für die Reduktion des CO2-Ausstosses auf eine Tonne      Tonne pro Einwohnerin oder Einwohner und Jahr
pro Einwohnerin oder Einwohner und Jahr setzt der        setzt die Gemeinde das Jahr 2050 als Ziel.
Kanton das Jahr 2050 als Ziel.

   Die Lancierung einer Volksinitiative böte Gelegenheit, die problematische Strategie der AET zu
   thematisieren. Es geht namentlich
       •   Um die finanziellen Risiken, Gesundheitsschäden (Kinderkrebs usw.), Reputationsrisiken usw.
           beim Bau von Kohlekraftwerke oder Beteiligungen an Atomkraftwerke, für welche hohe
           Gewinne aus der Wasserkraft geopfert werden, mit denen eigentlich kantonale Aufgaben oder
           Steuersenkungen finanziert werden könnten;

   Massnahmen betreffend Strombeschaffung und Netze
       2. Masterplan erneuerbare Energien
   Die Kantonsregierung sollte mit einem „Masterplan“ (analog den Aktionsplänen der Europäischen
   Union für die erneuerbaren Energien) die Potentiale inventarisieren und die Entwicklung von Projekten
   geographisch und strukturell konkretisieren sowie die politischen Rahmenbedingungen für deren
   Erschliessung schaffen:
       •   Identifikation der spezifischen Potentiale
       •   Identifikation von besonders wünschbaren Flächennutzungen (zB. solare Nutzung von
           Verkehrs-Infrastrukturen, Stauseen, Lawinenverbauungen usw.)
       •   Identifikation von besonders wünschbaren Entwicklungsgebieten zur Ansiedlung neuer Firmen
           (Zonen mit hohen Ressourcen, zB. im oberen Kantonsteil)
       •   Schaffung von erneuerbaren-Energien-Zonen, in denen die Montage von Anlagen zur
           Stromerzeugung (Biomasse, PV, solarthermisch, Wind, Geothermie) von Anfang an erlaubt
           oder sogar besonders gefördert wird.
       •   Vorstösse auf Bundesebene, um die Tessiner Anstrengungen für eine verstärkte
           Eigenversorgung aus erneuerbaren Energien mit geeigneten Rahmenbedingungen zu
           versehen.
       •

       3. Vorgaben für langfristige Beschaffungsverträge, Ausbau und Bewirtschaftung der Pumpspeicher
   Dieser Masterplan sollte auch die qualitativen Kriterien für langfristige Verträge von Strombezügen
   definieren:
       •   Massnahmen für qualitativ hoch stehende, erneuerbare und risikoarme Stromimporte
       •   Massnahmen für den Ausbau der Netze und die Bewirtschaftung von Pumpspeicher
       •   Ökologische Ausgleichsmassnahmen wie Restwasser, Verkabelung von Stromleitungen,
           Schaffung von Ausgleichsflächen usw.
   Ziel der Varianten soll es sein, aufzuzeigen, wie der Kanton langfristig zu einer sicheren Versorgung
   aus 100% erneuerbaren Energien kommen kann und welche wirtschaftlichen Gewinne (Arbeitsplätze,
   Steuern, Wertschöpfung im Kanton) damit verbunden sein können.

       4. Bindendes Referendum über neue Kraftwerke und Bezugsverträge – neue Gouvernanzregeln
   Im Hinblick auf die Präzisierung von Art. 5 Abs. 4 des AET-Gesetzes wäre es nützlich, wenn der
   Tessiner Grosse Rat präzisieren würde, ab welchen Investitionsbeträgen Beteiligungen oder
   Langzeitverträge (Bezüge mit mehr als zwei Jahren Laufzeit), welche mit besonderen Risiken für den
   Kanton verbunden sind, dem Grossen Rat vorlegen sollte. Solche Geschäfte sollten angesichts der
   grossen Risiken dem Referendum unterstellt werden, wie dies in anderen Kantonen (z.B. Basel-Stadt,
   Stadt Zürich usw.) der Fall ist.
   Gesetzlich mit dem Referendumsrecht zu verbinden wäre eine verbindliche Mandatierung der
   kantonalen Entscheidungsträger, die Volksbeschlüsse des Kantons in den AET-Verwaltungsrat zu
   tragen.
Eine neue Agenda für die Tessiner Energiepolitik                                                                            11

    5. Transparenz über Rendite und Risiken des Stromhandelsgeschäfts
In den letzten Jahren war das Strompreisniveau im benachbarten Italien viel höher als in der Schweiz.
Es erstaunt deshalb nicht, dass die AET das Handelsgeschäft stark ausgedehnt hat. welche Gewinne
damit tatsächlich erreicht wurden, geht aus der Jahresrechnung nicht klar hervor.
Termingeschäfte mit Elektrizität können sehr riskant sein, wenn es nicht gelingt, versprochene
Zusagen einzuhalten. Die AET sollte deshalb verpflichtet werden. Über das Handelsgeschäft jährlich
Transparenz zu schaffen:
      •   Umfang des Stromhandels
      •   Herkunft des Stroms
      •   Erwirtschaftete Renditen
      •   Risiken für die Unternehmung

    6. Verbot von Bewilligungsverboten für erneuerbare Energien
Trotz offizieller Förderung von erneuerbaren Energien verhalten sich manche Behörden extrem
restriktiv, wenn es um die Bewilligung von konkreten Anlagen zur Biomasse-, Windenergie- und
Solarenergienutzung geht. Seit 2008 gelten zwar neue Bestimmungen im eidgenössischen
Raumplanungsgesetz:
„Art.                                                18a                                                 Solaranlagen
In Bau‐ und Landwirtschaftszonen sind sorgfältig in Dach‐ und Fassadenflächen integrierte Solaranlagen zu bewilligen,
sofern keine Kultur‐ und Naturdenkmäler von kantonaler oder nationaler Bedeutung beeinträchtigt werden.“
Diese gesetzliche Richtlinie, wonach nur echte Baudenkmäler im Extremfall mit einem Verbot von
Solaranlagen belegt werden dürfen, müsste im Tessiner Baurecht konkretisiert werden.

    7. Vorrang für erneuerbare Energien in der Raum‐ und Zonenplanung
Wie in Deutschland sollten Anlagen zur Gewinnung von erneuerbaren Energien baurechtlich generell
Vorrang erhalten. Dies könnte bedeuten, dass erneuerbare Energien in der Bau- und
Landwirtschaftszone Vorrang erhalten. In den bestehenden Schutzgebieten müsste eine
Güterabwägung erfolgen, wobei die Schutzziele den Vorteilen der erneuerbaren Energien
gegenüberzustellen sind.
Der Kanton Baselland ist daran, seine Naturschutzgebiete für Windturbinen zu überprüfen und
punktuell zu öffnen, weil Windturbinen und Naturschutz nicht zwingend als unvereinbar gelten. Eine
Überprüfung der Tessiner Schutzzonen im Hinblick auf eine punktuelle Öffnung für Windenergie- oder
Biomasse-Kraftwerke wäre sinnvoll. dies heisst nicht, dass nun jedes Schutzgebiet zur Windzone
umfunktioniert werden soll.
Massnahmen im Bereich Stromnutzung und Stromerzeugung im Kanton

    8. Netzgebühren: lineare Tarife, die sparsame Stromverbraucher nicht bestrafen
Der Kanton Tessin kennt keine Bestimmungen für ökologische Anreize bei den Netzgebühren. Viele
Elektrizitätswerke verrechnen Grundpreise, die im Effekt zu Mengenrabatten führen und der
Absatzsteigerung dienen. Grundpreise (anstelle von variablen Tarifelementen) verschlechtern generell
die Rentabilität von Energiesparmassnahmen oder erneuerbaren Energien, zB. Sonnenkollektoren.
Dies widerspricht den kantonalen Zielen, die Anreize für Energieeffizienz und erneuerbare Energien
zu verbessern.
Der Kanton sollte die Tarifstrukturen gesetzlich so festlegen, dass sparsame Verbraucher nicht
bestraft werden. Nötig ist dafür die Abschaffung aller Grundpreise und Mengenrabatte.8
Wo sich Elektrizitätswerke in öffentlicher Hand befinden oder wo „gefangene Kunden“ betroffen sind,
kann der Kanton auch die Energiepreise linear gestalten, um der unangemessenen Lockvogelpolitik
(zB. Rabatte für Elektro-Widerstandsheizungen) ein Ende zu setzen.9

8
 Wie in der Stadt Zürich kann zur Verhinderung des Trittbrettfahrens für Kleinstbezüger eine „Minimal fee“ bestehen, die aber
den variablen Tarifen anzurechnen ist.
9
 Bei bestehenden Elektroheizungen wären befristete Übergangs-Bestimmungen sinnvoll, sodass ausreichend Zeit besteht für
Umrüstungen auf umweltfreundlichere Lösungen.
Eine neue Agenda für die Tessiner Energiepolitik                                                          12

    9. Kantonaler Effizienzbonus oder kantonale Lenkungsabgaben auf Strom
Der Kanton Tessin sollte einen Effizienzbonus wie die Stadt Zürich kantonal einführen, der Anreize zu
sparsamem Energieverbrauch inkl. Monitoring belohnt. Rabatte erhält, wer sich zu Sparmassnahmen
verpflichtet und Massnahmen ergreift. Eine Ausdehnung auf kleinere Bezüger (unter 60‘000 kWh)
wäre zu prüfen.
Der Kanton Basel-Stadt hat 1999 eine Lenkungsabgabe von rund 4 Rp./kWh eingeführt. Sie wird an
Betriebe und Haushalte rückerstattet und hat sich als wirksam erwiesen – der Verbrauch in Basel-
Stadt steigt deutlich weniger schnell als in der übrigen Schweiz. Als Anreiz für Energieeffizienz wäre
sie auch im Kanton Tessin geeignet.

    10. Einspeisevergütungen auf Ebene Kanton oder Gemeinde
Die Einführung von Einspeisevergütungen ist auf Bundesebene und weltweit ein riesiger Erfolg.
Allerdings sind Tausende von Projekten heute beim Bund blockiert, weil das Energiegesetz die
Leistungen bei einem Zuschlag von 0,6 Rappen/kWh plafoniert hat.
Zusätzliche Einspeisevergütungen sind auf Ebene Kanton und Gemeinden möglich und können auch
als befristete Übergangsfinanzierung konzipiert werden bis der Bund die Rahmenbedingungen
verbessert.
Der Kanton Basel-Stadt hat im Januar 2009 kantonale Einspeisevergütungen beschlossen. Diese
werden so lange aus einem Zuschlag auf den Netzgebühren finanziert, bis der Bund seine Leistungen
erhöht.
Wortlaut Energiegesetz Basel-Stadt

§ 6 Die Netzbetreiberin vergütet Elektrizität aus Photovoltaikanlagen zu den Ansätzen der eidgenössischen
Stromversorgungs-Verordnung vom 14. März 2008. Die Vergütungen, die nicht durch den Verkauf von Solarstrom
bzw. durch die Einspeisevergütung des Bundes gedeckt werden, werden den Netzkosten belastet. Der dadurch
verursachte Zuschlag auf den Netzkosten darf 0,4 Rp./kWh nicht übersteigen.

§ 7…Die Netzbetreiberin verpflichtet sich gegenüber den Erzeugerinnen und Erzeugern vertraglich zur Abnahme
von Solarstrom aus neuen Anlagen gegen kostendeckende Vergütung… Die Netzbetreiberin vermarktet den
Solarstrom aktiv.
Auch einer Einführung von Einspeisevergütungen auf Gemeindeebene steht rechtlich nichts im Wege
stehen.10 Entsprechende Initiativen könnten von der SP in den Tessiner Gemeinden ergriffen werden.

    11. Lancierung kantonaler Programme zur Stromerzeugung
Der Kanton hat gigantische Potentiale an einheimischen Energien, die wenig erschlossen sind:
       •   Im Sopraceneri gibt es ein riesiges ungenutztes Potential an Windenergie, Biomasse und
           Solarenergie. Dieses gilt es gestützt auf die vorteilhaften Einspeisevergütungen des Bundes,
           systematisch zu entwickeln.
       •   Im Sottoceneri besteht ein erhebliches Potential von Gasheizungen, die zur Stromerzeugung
           beitragen könnten. Der Kanton könnte dafür sorgen, dass diese Potentiale genutzt werden,
           indem die Netzbetreiber den WKK-Betreibern jene Kosten vergüten, die sie beim Eigenbetrieb
           der entsprechenden Anlagen gewärtigen müssten.

   12. Erdverlegung von Stromnetzen
Der Kanton sollte gesetzlich verankern, dass Stromleitungen niedriger Spannung (bis 100 kV) wo
immer möglich im Boden verlegt werden. In sensiblen Gebieten sollte er sich auch für die
Erdverlegung von Leitungen mit höherer Spannung einsetzen.

Massnahmen im Bereich Immobilien
   13. Sanierungsprogramm für Altbauten, Vollzug der Baunormen
Sanierungsprogramme für bestehende Gebäude sparen Energie und Geld. Mit dem
Gebäudesanierungsprogramm des Bundes und der Erweiterung der Zürcher Massnahmen sind erste
Schritte getan. Das finanzielle Volumen bleibt aber noch bescheiden angesichts des grossen

10
   Gemäss mündlichen Angaben von Hans-Rudolf Kunz, Chef AWEL Zürich, sind Förderabgaben auf Gemeindeebene,
finanziert aus einem Zuschlag zur Netzgebühr möglich. Analog sollten auch Einspeisevergütungen möglich sein.
Eine neue Agenda für die Tessiner Energiepolitik                                                      13

Bestandes an sanierungsbedürftigen Altbauten. Der Kanton sollte deshalb die Energieverbräuche der
Immobilien zielgerichteter regulieren. Konkret geht es um
   •   Ersatz aller Ölheizungen und Elektro-Widerstandsheizungen durch erneuerbare Energien
       innert definierter Fristen, zB. 2020/2025, Einsatz von durch Holz-Pellet-Öfen, Solarenergie,
       Geothermie oder Wärmepumpen. Die gigantischen Tessiner Potentiale im Wärmebereich gilt
       es zu nutzen.
   •   Umrüstung aller bestehender Gasheizungen auf Wärme-Kraft-Kopplung oder Ersatz durch
       erneuerbare Energien innert klarer Fristen
   •   Aufstockung des Gebäudesanierungsprogramm durch kantonale Mittel soweit nötig
   •   Sanierungsfristen für besonders ineffiziente Bauten, Durchsetzung von dynamisierten SIA-
       Normen für Neu- und Altbauten.

   14. Einführung der Energie‐Etikette für Gebäude (Energiepass)
Im Sektor Apparate und Anlagen hat die Einführung von Energie-Etiketten das Kundenverhalten
massgeblich beeinflusst. Eine ähnliche Wirkung ist langfristig von einer Gebäude-Energie-Etikette zu
erwarten. Im benachbarten Ausland werden damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Deshalb sollte
auch der Kanton Tessin die Gebäude-Etikette verbindlich durchsetzen.

    15. Lancierung eines kantonalen Abwärme‐ und Geothermie‐Programms
Im Kanton Tessin bildet die Geothermie neben Wasserkraft, Biomasse und Solarenergie die grösste
Ressource zur einheimischen Strom- und Wärmegewinnung. Dazu kommt ein erhebliches Potential
von Abwärmequellen, die heute nur wenig genutzt werden (KVAs, ARAs, Kanalisationen, natürliche
Seen)
Ein kantonales Programm könnte folgende Elemente umfassen:
   •   Erstellen eines kantonalen Inventars verwertbarer geothermischer Ressourcen und
       Abwärmequellen
   •   Schaffung von Nutzungszonen
   •   Finanzierung von Probebohrungen in Zusammenarbeit mit interessierten Gemeinden
   •   Finanzielle Unterstützung beim Aufbau von Nahwärmeverbünden
   •   Raumplanerische Massnahmen (zB. Bezugspflicht für Liegenschaften ohne erneuerbare
       Energien)
   •   Weiterverarbeitung der Erkenntnisgewinne

    16. Vollzugskontrollen
Zu den zentralen Massnahmen auf kantonaler Ebene gehören gute Bauvorschriften (MUKEN). Der
Kanton Tessin hat diese übernommen, was positiv zu werten ist. Allerdings ist auch der Vollzug
sicherzustellen:
   •   Zur Qualitätssicherung sind Stichproben über den effektiven Energieverbrauch zu erheben.
   •   Angesichts des technischen Fortschritts ist eine periodische Aktualisierung der Normen zu
       veranlassen.
   •
Massnahmen im Bereich Verkehr

    17. Rahmenbedingungen für die elektrische Mobilität mit Strom aus 100% erneuerbaren Energien
In den nächsten fünf Jahren werden elektrisch betriebene Fahrzeuge in wachsenden Stückzahlen die
Mobilität revolutionieren. Am weitesten fortgeschritten ist die Technologie elektrisch unterstützter
Fahrräder. Deren Förderung ist aus raumplanerischen, verkehrstechnischen und ökologischen
Gründen äusserst sinnvoll.
Doch auch Elektromobile mit vernünftigen Verbrauchswerten (Reichweite 100 km, Verbrauch 20-30
kWh/100 km) können, wenn der zusätzliche Strom aus erneuerbaren Energien kommt, erheblich zur
Luftreinhaltung und zur Reduktion der Abhängigkeit von Öl und Erdgas beitragen. Der Kanton sollte
deshalb eine Strategie „elektrische Mobilität“ mit folgenden Elementen entwickeln:
   •   Es ist von Anfang an sicherzustellen, dass der zusätzliche Strombedarf ganz aus
       erneuerbaren Energien abgedeckt wird.
   •   Am einfachsten wäre es, wenn alle Stromtankstellen für Elektromobile durch zertifizierte
       Lieferanten mit 100% erneuerbaren Energien bedient werden.
Eine neue Agenda für die Tessiner Energiepolitik                                                        14

    •   Angesichts der geringen Verbrauchsmengen könnten den Nutzern sinnvolle Auflagen
        gemacht werden, wonach der Stromverbrauch aus Photovoltaik- oder Windenergie-Anlagen
        bezogen werden muss.
    •

    18. Kreuzungsfreies Zweiradnetz für die „schnelle Velomobilität“
Mit steigender Marktdurchdringung der Elektrovelos besteht die Chance, einer extrem raum-
emissions-, lärmarmen und zeitsparenden Fortbewegungsart einen grösseren Radius zu verschaffen.
Die motorisierte Velomobilität wird aber nur dann zur breiten Anwendung gelangen, wenn auch die
Sicherheit verbessert wird.
    •   Für die „schnelle Velomobilität“ sollte das kantonale und regionale Zweirad-Netz so ausgebaut
        werden, dass wie in Dänemark auf wichtigen Strecken kreuzungsarme Verbindungen
        geschafft werden.
    •   Für Elektrovelos sind geeignete Parkplätze und ein Stromtankstellennetz mit erneuerbarem
        Strom aufzubauen.
    •

    19. Sauberer Strom im öffentlichen Verkehr – Elektrifizierung des Busbetriebs
Im öffentlichen Verkehr sind elektrische Busse mit Batterien und Supercaps umfassend zu testen und
wo möglich zu nutzen. Auch hier gilt, dass der Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien
stammen sollte. Entsprechende Verträge sind von den öffentlichen Verkehrsbetrieben abzuschliessen.
Massnahmen zur Finanzierung

   20. Verursachergerechte Finanzierung von Massnahmen
Besonders wirksam sind Programme, wenn sie verursachergerecht – also nicht aus dem Kantons-
oder Gemeindebudget – finanziert werden. Sinnvoll wäre eine Förderabgabe auf CO2 wie beim Bund,
oder, mangels umfassender Kompetenzen, eine kantonale Förderabgabe auf leitungsgebundenen
Energien wie Elektrizität und Erdgas.

    21. Zweckbindung der AET‐Gewinne
Statt den cash flow der AET für Gaskraftwerke im Ausland einzusetzen täte der Regierungsrat gut
daran, die Ausschüttungen mit einer Teilzweckbindung für kantonale Investitionen verfügbar zu
machen.
Die Mittel müssten der Entwicklung der erneuerbaren Energien dienen und könnten die Grundlage für
kantonale Programme bilden.
Eine entsprechende Volksinitiative der SP ist hängig.

Arbeitsteilung Bund-Kanton-Gemeinden
Will man das Tessin auf erneuerbare Energien umstellen, ist der beschränkten Reichweite kantonaler
Politik Rechnung zu tragen. Zu den Aufgaben der Kantone gehören insbesondere
    •   Energieeffizienz und erneuerbare Energien im Gebäudesektor
    •   Bewilligungsverfahren für Kraftwerke
    •   Bau und Betrieb der Verteilnetze sowie (erstinstanzlich) Strukturierung der Tarife
    •   Angemessene Eignerstrategien für kantonale und überkantonale Regiebetriebe
    •   Verkehrs- und Raumplanung
    •   Vollzug von kantonalen und eidgenössischen Bestimmungen
Eher ein historisches Relikt ist die Stromerzeugung in kantonaler Hand. Wird sie weitergeführt, sollte
sie ehrgeizige Anforderungen punkto Innovation und Umweltschutz erfüllen und zum Wohlergehen
seiner Eigentümer beitragen.
In vielen Bereichen können Bund und Kantone gemeinsam Massnahmen treffen, zum Beispiel
    •   Einspeisevergütungen für Strom aus erneuerbaren Energien
    •   Vorgaben betreffend Qualität der Strombeschaffung
    •   Neubau oder Verzicht auf Atomkraftwerke
Die Energieversorgung des Kantons Tessin                                                          15

Für wichtige Weichenstellungen im Bereich der Energiepolitik ist allerdings der Bund zuständig:
       •    Höhe der CO2-Abgaben im Brenn- und Treibstoffsektor
       •    Verbrauchsvorschriften für Geräte und Anlagen
       •    Durchsetzung risikogerechter Versicherungs- und Entsorgungsbeiträge für Atomanlagen
       •    Verbot neuer Atomanlagen und anderer Hochrisikotechnologien
       •    Emissionsvorschriften und CO2-Limiten für Fahrzeuge
       •    Überregionale Verkehrsplanung

Die nächsten Schritte auf Bundesebene
Pro memoria sei erwähnt, dass auch auf Bundesebene weitere energische Schritte anstehen:
       •    „Deckel weg“ bei den Einspeisevergütungen
       •    Referendum gegen Atomabfall-Lager, solange die Laufzeit der bestehenden A-Werke nicht
            gesetzlich befristet ist und neue Atomkraftwerke ausgeschlossen werden.
       •    Referendum gegen neue Atomkraftwerke
       •    Bestgeräte-Vorschriften (A-Klasse oder besser) auch für Umwälzpumpen, Boiler,
            Kaffeemaschinen, Strassenbeleuchtung, Wärmepumpen u.v.a.m.
       •    CO2-Abgabe im Treibstoffsektor, Einbezug des Luftverkehrs

       3.        Die Energieversorgung des Kantons Tessin
Zusammensetzung der Energieträger

Figur 6 Entwicklung des Energieverbrauchs seit 1910
Figur 7 Zusammensetzung der Endenergie 200811
Die Energieversorgung der Schweiz ist von importierten fossilen Energieträgern dominiert. Der Kanton
Tessin unterscheidet sich nicht wesentlich vom schweizerischen Durchschnitt. Der Benzin- und
Heizölverbrauch dürfte etwas höher liegen, zurückzuführen auf die starke Motorisierung im
Individualverkehr und auf die beschränkte Reichweite des Gasnetzes.
In den letzten Jahren ist eine Substitution von Ölheizungen zu beobachten. Bessere Isolationen,
Holzpellet-Heizungen und Wärmepumpen treten an ihre Stelle.

11
     Schweizerische Gesamtenergiestatistik 2008
Die Energieversorgung des Kantons Tessin                                                                 16

Die kantonale Energiepolitik
Der Kanton Tessin ist gesetzlich bestrebt, Energie effizient zu nutzen. Ein Energiegesetz ist seit 1994
in Kraft und wurde mehrmals revidiert. Der Regierungsrat hat für die Jahre 2008 bis 2011 neue
Richtlinien erlassen. Als Fernziel erwähnt werden die 2000 Watt-Gesellschaft erwähnt. Die
Erarbeitung eines kantonalen Energieplans ist im Gang.
Mustervorschriften für Gebäude
Die Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich aus dem Jahre 2008 (MuKEn-08) wurden vom
Kanton in wichtigen Bereichen übernommen:
       •    Anforderungen und Nachweis winterlicher Wärmeschutz gemäss Art. 1.6
       •    Wärmeschutz von Gebäuden für Kühlräume gemäss Art. 1.9 ,
       •    Vorgaben betreffend Wärmeerzeugung (Kondensationsheizkessel) gemäss Art. 1.11 ,
       •    Pflicht zur Abwärmenutzung, die Massnahmen betreffend Heizungen im Freien,
       •    Vorgaben betreffend Höchstanteil an nicht erneuerbaren Energien bei Neubauten (maximal 80
            % aus nichterneuerbaren Energien).
       •    Ausrüstungspflicht     bei    Neubauten      für    verbrauchsabhängige     Heiz-    und
            Warmwasserkostenabrechnungen.
       •    Die Pflicht zur Abwärmenutzung bei thermischen Kraftwerken.
       •    Die Einhaltung der Grenzwerte gemäss SIA 380/4 „elektrische Energie im Hochbau“.
       •    Die Anforderungen für Grossverbraucher.
       •    Der Gebäudeenergieausweis.
       •    Die Nutzung der anfallenden Abwärme in Gebäuden.
       •    Anforderungen an Ferienhäuser.
       •    Die Ausführungsbestätigung durch private Fachleute und Organisationen.
Noch keine Bestimmungen kennt der Kanton Tessin betreffend der kantonalen und kommunalen
Energieplanung. Nicht bekannt ist die Qualität des Vollzugs. Hier sind Gemeinden und Kanton
gemeinsam aktiv.

Kantonale Förderprogramme
Förderungsmassnahmen Kanton Tessin in den letzten Jahren:12
       •    Rahmenkredit (credito quadro) von 4,8 Mio. für die Jahren 2006-2009, davon 1/3 Bund, 2/3
            Kanton. Details:
       •    Minergie        1'500'000,
            Holz    1'200'000,
            Sonne (fotovoltaico)      535'000,
            Sonne (termico)          850'000,
            Wärmepumpen und Biogas           95'000,
            Unterstützung der Initiativen auf Gemeindeebene      270'000,
            Verwaltung Förderungsprogramm durch SUPSI (Fachhochschule)          150'000,
            Verwaltung der Komponente „Holz“ durch AELSI (Fachverband)         200'000.
            [Decreto                      legislativo               vom                   16.3.2006]

       •    Rahmenkredit von 5,0 Mio. für die Jahren 2007-10 für die Förderung des Energiesparens und
            erneubaren Energien im öffentlichen Bereich: (Minergie, Sonne, Biogas). Anteil Bund ca. 1/3.
            [Decreto esecutivo vom 25.9.2007]
       •    Kredit von 5,0 Mio für Holz (impianti teleriscaldamento a legna). Anteil Bund ca. 1/3. [Decreto
            esecutivo vom 26.6.2007, finanziert dank Nationalbankgold.]
       •    Förderungsprogramm von 8 Mio. für die Jahren 2009-2012 im Rahmen der kantonalen
            Massnahmen gegen die Wirtschaftskrise. Details:
            Sonne (termico)         3                                                                 Mio.,
            Minergie        3                                                                         Mio.,
            Holz 2                                                                                     Mio.
            Anteil Bund ca. 1/3. [Entscheid Grosser Rat vom 3.6.2009].

12
     Mitgeteilt von Nenad Stojanovic
Die Energieversorgung des Kantons Tessin                                                                                17

Elektrische Mobilität
Es gab zwei Programme VEL (veicoli energetici leggeri) in Mendrisio: VEL 1 (1995-2001) und VEL 2
(2001-2005). Das Pilotprojekt wurde vom Bund unterstützt und später vom Kanton weiter finanziert.
Seit 2005 wurde in das Projekt „Infovel“ umgewandelt (Kompetenzzentrum, Informationsstelle, etc.).
Die Projekte VEL 1 und VEL 2 waren hauptsächlich Subventionen für Private, die ein elektrisches
Auto, Motorrad, Velo, etc. kaufen wollten. Es gab aber keine Anforderungen, was die Quelle der
elektrischen Energie betrifft.
Die Inverkehrssetzung von Elektromobilen ist gratis. Hybridfahrzeuge erhalten eine Ermässigung.

Die Stromversorgung des Tessins
Die Stromversorgung ist im zukünftigen Energiemix von strategischer Bedeutung. Elektrizität
verdrängt zunehmend die fossilen Energien, namentlich durch die Verbreitung von Wärmepumpen,
Elektromobilen und industrielle Anwendungen.
                                             Mittlere               Wasserkraft
                          Produktion im TI   Produktionserwartung   Lieferung     Anteil     der     AET    Stromverbrauch
                                   13
GWh                       ohne SBB           gemäss BFE             an AET        an Tessiner Wasserkraft   TI
2004                      3239               3538                   1534          43%                       2645
2005                      2327               3538                   925           26%                       2710
2006                      2105               3538                   939           27%                       2725
2007                      3086               3538                   1443          41%                       2672
Durchschnitt 2004‐2007    2689               3538                   1210          34%                       2688
Figur 8 Stromerzeugung aus Wasserkraft im Kanton Tessin14
Der Kanton Tessin hat in der Stromerzeugung dank der Wasserkraft eine sehr starke Stellung. Auf
dem Kantonsgebiet werden heute rund 2,7 TWh Strom verbraucht und 3,5 TWh Strom erzeugt. Die
Wasserkraft allein würde somit ausreichen, um den Gesamtverbrauch des Kantons vollumfänglich
abzudecken. Allerdings gehören viele Wasserkraftwerke ausserkantonalen Eigentümern, z.B. den
Stadtwerken, den Überlandwerken und der SBB. Deshalb ist der Zugriff der Azienda Elettrica Ticinese
AET auf diese Stromerzeugung noch für Jahrzehnte nicht oder nur zu einem geringen Teil gegeben.

13
     Jahresberichte AET
14
     Unberücksichtigt: Stromerzeugung SBB
Die Energieversorgung des Kantons Tessin                                                                           18

Installation                     Baujahr GWh mittlere Produktionserwartung
 Valmara                         1890           5.7
 Morobbia                        1903          42.4
 Ponte Brolla                    1904          13.4
 Ticinetto                       1907          10.5
 Ritom                           1920          83.7
 Calcaccia                       1922          13.7
 Tremorgio                       1925           6.8
 Stampa                          1926          15.0
 Piottino                        1932         300.0
 Airolo                          1947          46.0
 Tremola/Sella (Cent.di pomp.)   1947          ‐0.9
 Ceresa 1                        1950          10.9
 Verbano 1                       1953         346.3
 Cavergno                        1955         397.7
 Peccia (Sambuco)                1955          85.4
 Biasca                          1959         688.0
 Olivone                         1962         210.1
 Luzzone                         1963          36.8
 Gordola                         1965         215.0
Bavona                           1966         324.0
Biaschina                        1966         382.0
Giumaglio                        1967          25.3
Robiei                           1968          37.4
Stavedro                         1968          55.0
Tenero                           1972          12.0
Verbano 2                        1973         160.4
Peccia                           1991           2.0
Sella                            1991           2.9
Piumogna                         2000           5.1
Campo Vallemaggia                2002           7.1
Cerentino                        2004           7.0
Total                                    3537.89
Figur 9 Wasserkraftwerke im Tessin und Mittlere Produktionserwartung (BFE)15
Der Ausbau der Wasserkraftwerke im Tessin erfolgte kontinuierlich über viele Jahrzehnte hinweg.
Auch heute noch sind Leistungserhöhungen möglich, und es besteht ein kleines Potential für neue
Wasserkraftwerke – vor allem Klein-Wasserkraftwerke. Allerdings kann es dabei zu Konflikten um
Restwassermengen und landschaftliche Eingriffe kommen, weil die Produktion nur noch marginal
erhöht werden kann.
Die grössten Bauten wurden in den fünfziger und sechziger Jahren erstellt. Bei vielen dieser Werken
rückt der Heimfall in der Periode zwischen 2024 und 2048 näher und betrifft somit die aktuellen
Beschaffungsfragen erst wenig.

15
 Bestehende Zentralen mit Hoheitsanteil des Kantons Tessin, Stand: 1. Januar 2009, Bundesamt für Energie BFE, Sektion
Wasserkraft
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