Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien im Gebäudebereich

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Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien im Gebäudebereich
Energieeffizienz als Türöffner für
erneuerbare Energien im Gebäudebereich
Studie im Auftrag des Verbandes für Dämmsysteme, Putz und Mörtel e.V.
Peter Mellwig, Dr. Martin Pehnt, Julia Lempik

Heidelberg 2021

ifeu Wilckensstraße 3 69120 Heidelberg Telefon +49 (0)6 221. 47 67 - 0 E-Mail ifeu@ifeu.de www.ifeu.de
Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien im Gebäudebereich
Danksagung: Das ifeu bedankt sich für die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber VDPM. ifeu dankt
zudem Martin Lohrmann für inspirierende Gespräche und Überlegungen im Zusammenhang mit Wärmenetz-Projekten
zum Thema „Niedertemperatur-Wärme“.
Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien im Gebäudebereich
1 Inhalt

1 Inhalt                                                               2

Abbildungsverzeichnis                                                  4

Tabellenverzeichnis                                                    7

2 Zusammenfassung                                                      8

3 Hintergrund                                                          12
   3.1 Auf dem Weg zum klimaneutralen Gebäudebestand: Balance aus
       erneuerbaren Energien und Energieeffizienz                      12
   3.2 Vorgehensweise                                                  13

4 Türöffner-Funktion für erneuerbare Energien                          14

5 Wann ist ein Gebäude „fit für Erneuerbare“?                          16
   5.1 Einfluss der Vorlauftemperatur auf Wärmepumpen                  17
   5.2 Einfluss der Vorlauftemperatur auf Wärmenetze                   19
   5.3 Einfluss der Brauchwassererwärmung auf die Vorlauftemperatur    21
   5.4 „NT-ready“ – ein neuer Standard                                 21

6 Analyse von Maßnahmen zur Absenkung der Heiztemperaturen             22
   6.1 Auswahl von Praxisobjekten                                      22
   6.2 Modellierung der Modernisierungsvarianten                       26
        6.2.1   Einfamilienhaus 1                                      27
        6.2.2   Einfamilienhaus 2                                      29
        6.2.3   Mehrfamilienhaus 1                                     32
        6.2.4   Mehrfamilienhaus 2                                     33
   6.3 Kostenvergleich                                                 35
   6.4 Definition von NT-Ready                                         37

7 Robustheit effizienter Gebäudehüllen: eine dynamische Modellierung   41
   7.1 Erfahrungen aus der Praxis                                      41
   7.2 Resilienz durch Gebäudeeffizienz: Simulation                    43
        7.2.1   Auskühlungsverhalten von Gebäuden                      44
        7.2.2   Einfluss von Pufferspeichern                           47
        7.2.3   Robustheit gegen Fehlbedienung oder Defekt             48
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8 Quercheck Graue Energie                                                    50

9 Drei Vorschläge für ein Maßnahmenpaket „NT-ready“ und „EE Fit“             52
        9.1.1   Integration der NT-Readiness und EE Fitness als proaktives
                Beratungselement in den Sanierungsfahrplan und die
                Energieberatung                                              53
        9.1.2   Erweiterung der Förderung                                    56
        9.1.3   Anforderung EE Fit und NT-ready für die schlechtesten
                Gebäude                                                      57

Literaturverzeichnis                                                         59

10 Anhang                                                                    60
   10.1 Checkliste NT-Ready und EE Fit                                       60
Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien im Gebäudebereich
4                                                       Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien  ifeu

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1:    Jahresarbeitszahlen in Abhängigkeit von der Vorlauftemperatur
                (eigene Darstellung auf Basis Fraunhofer ISE (2020))        9
Abbildung 2:    Beispielhafte Abfolge einer Gebäudesanierung: gezielte
                Vorbereitung mit NT-ready-Maßnahmen, Wechsel zu
                erneuerbaren Energien, klimaneutrales Gebäude in der
                Zukunft                                            11
Abbildung 3:    Zielsetzung und Narrativ des Projekts                          13
Abbildung 4:    Türöffner-Funktionen für erneuerbare Energien und zusätzliche
                Nutzen von Energieeffizienz                                15
Abbildung 5:    Sortierte Außentemperaturen        im   Jahresverlauf    (eigene
                Darstellung auf Basis DWD)                                    17
Abbildung 6:    Gemessene Jahresarbeitszahlen in Abhängigkeit von der
                Vorlauftemperatur (eigene Darstellung auf Basis Fraunhofer
                ISE)                                                    18
Abbildung 7:    Berechnete Jahresarbeitszahlen in Abhängigkeit von der
                Vorlauftemperatur (eigene Darstellung auf Basis VDI 4650) 18
Abbildung 8:    Beispielhafter Temperaturverlauf in einem Wärmenetz vom
                Erzeuger bis zum Verbraucher (Quelle dme consult 2021) 19
Abbildung 9:    Beispielhafte Leistungszahlen einer Großwärmepumpe in
                Abhängigkeit von der Ausgangstemperatur (Quelle: Lohrmann
                2021)                                                  20
Abbildung 10:   Vergleich der Verluste und Kosten von Niedertemperatur-
                Wärmenetzen ausgehend von den Vorlauftemperaturen in den
                angeschlossenen Objekten (Quelle: Lohrmann 2021)      20
Abbildung 11:   Beispielabbildung Einfamilienhaus 1 (IWU 2015)                 23
Abbildung 12:   Heizkörper im Einfamilienhaus 1                                23
Abbildung 13:   Abbildung des Beispielgebäudes Einfamilienhaus 2, Baujahr 1995
                (Quelle: EEI (2021))                                        24
Abbildung 14:   Beispielgebäude Mehrfamilienhaus 1, Baujahr 1955 – vor und
                während der Modernisierung                              25
Abbildung 15:   Beispielgebäude Mehrfamilienhaus 2, Baujahr 1995 (Quelle: EEI
                2021)                                                      25
Abbildung 16:   Vorgehensweise der Modellrechnungen                            26
Abbildung 17:   Verhältnis von Heizlast der Räume und Heizleistung der
                Heizkörper in einem Mehrfamilienhaus                27
Abbildung 18:   Abhängigkeit    der     Vorlauftemperatur       von      den
                Modernisierungspaketen 1 – 16 (Tabelle 1) und Heizkörpern im
                EFH 1                                                     29
Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien im Gebäudebereich
ifeu  Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien                      5

Abbildung 19:      Abhängigkeit    der     Vorlauftemperatur       von      den
                   Modernisierungspaketen 1 – 16 (Tabelle 1) und Heizkörpern im
                   EFH 2                                                     31
Abbildung 20:      Abhängigkeit    der     Vorlauftemperatur       von      den
                   Modernisierungspaketen 1 – 16 (Tabelle 1) und Heizkörpern im
                   MFH 1                                                     33
Abbildung 21:      Abhängigkeit    der     Vorlauftemperatur       von      den
                   Modernisierungspaketen 1 – 16 (Tabelle 1) und Heizkörpern im
                   MFH 2                                                     34
Abbildung 22:      Kostenvergleich (Investitionskosten Wärmeerzeuger und Dämm-
                   Maßnahmen (energiebedingte Mehrkosten), Wartungs-, Heiz-,
                   Hilfsenergiekosten der Varianten pro Nutzungsjahr        36
Abbildung 23:      Zwei Handlungsfelder für NT-ready: Dämm-Maßnahmen und
                   Wärmeverteilung                                    38
Abbildung 24:      NT-ready als Zwischenschritt zum klimaneutralen Gebäude    39
Abbildung 25:      Beispielhafte      Abfolge       einer         schrittweisen
                   Gebäudemodernisierung: gezielte Vorbereitung mit NT-ready-
                   Maßnahmen, Wechsel zu erneuerbaren Energien, klimaneutrales
                   Gebäude in der Zukunft                                    40
Abbildung 26:      Häufigkeit der berichteten Probleme                        42
Abbildung 27:      Häufigkeit von Antworten, ob bessere Dämmung Probleme
                   verhindert oder vermindert hätte                   43
Abbildung 28:      Beispiel einer Heizungsanlage im Simulationsmodell Polysun
                   (Quelle: Vela Solaris)                                  44
Abbildung 29:      Temperaturverlauf der Raum- und Außentemperatur in der
                   Simulation des ungedämmten Ist-Zustands. Die Achse für die
                   Raumtemperatur befindet sich links, die der Außentemperatur
                   rechts                                                   45
Abbildung 30:      Auskühlung eines Einfamilienhauses bei Ausfall der Heizung für
                   verschiedene Dämmzustände während der kältesten Wintertage
                                                                               45
Abbildung 31:      Auskühlung eines Einfamilienhauses bei Ausfall der Heizung für
                   verschiedene    Dämmzustände        bei    durchschnittlichen
                   Temperaturen der Heizperiode                                46
Abbildung 32:      Stromerzeugung und Stromverbrauch in Deutschland im Winter
                   2021; grün: Auskühlungsdauern von ungedämmten und
                   hocheffizienten Gebäuden (Quelle: Agora-Energiewende
                   2021)                                                   47
Abbildung 33:      Auskühlung eines Einfamilienhauses mit gedämmter Außenwand
                   (WDVS) bei Abschaltung der Heizung mit und ohne Speicher 47
Abbildung 34:      Elektrische Leistungsaufnahme der Wärmepumpe in einem
                   Einfamilienhaus bei einer Raumtemperatur von 23°C für
                   verschiedene Dämm-Standards                         49
Abbildung 35:      Treibhausgas-Emissionen durch Modernisierungsmaßnahmen
                   und durch den Betrieb der Heizungsanlage            51
Abbildung 36:      Bewertung verschiedener Ideen zur Einführung von NT-
                   Readiness und EE Fitness in das Gebäudeinstrumentarium auf
                   dem 1. Workshop am 12.12.2020                           53
Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien im Gebäudebereich
6                                                        Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien  ifeu

Abbildung 37:   Integration von NT-ready in den iSFP                            54
Abbildung 38:   Auszug aus dem Informationsblatt NT-Ready und EE fit            55
Abbildung 39:   Häufigkeitsverteilung der Effizienzklassen nach Effizienzklassen
                des deutschen Wohngebäudebestandes; Quelle: BMWi 2020
                nach dena/ifeu/prognos et al. 2019)                           58
Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien im Gebäudebereich
ifeu  Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien                     7

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1:         Berechnete     Vorlauftemperaturen            für   die   16
                   Modernisierungspakete im EFH 1                            28
Tabelle 2:         Berechnete     Vorlauftemperaturen            für   die   16
                   Modernisierungspakete im EFH 2                            31
Tabelle 3:         Berechnete     Vorlauftemperaturen            für   die   16
                   Modernisierungspakete im MFH 1                            32
Tabelle 4:         Berechnete     Vorlauftemperaturen            für   die   16
                   Modernisierungspakete im MFH 2                            34
Tabelle 5:         Auskühlungsdauer von 20°C auf 18°C in Stunden bei Abschaltung
                   der Heizung bei verschiedenen Außentemperaturen            46
Tabelle 6:         Auskühlungsdauer von 20°C auf 18°C in Stunden bei Abschaltung
                   der Heizung bei verschiedenen Außentemperaturen bei einem
                   Einfamilienhauses mit gedämmter Außenwand (WDVS) mit
                   Speicher und ohne Speicher                                 48
Tabelle 7:         Prüfpunkte für die EE Fitness und NT-Readiness            55
Tabelle 8:         Fördersätze für Einzelmaßnahmen im BEG                    56
Tabelle 9:         Fördersätze für Einzelmaßnahmen im BEG: Neuer Vorschlag
                   (geänderte Werte grau hinterlegt)                    57
Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien im Gebäudebereich
8                                                          Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien  ifeu

2 Zusammenfassung

Der Öl- oder Gaskessel geht kaputt, eine neue Heizung muss her. Schaut man auf die Klima-
ziele, ist klar, dass die neue Heizung erneuerbar sein muss. Die nächste Chance zum Wechsel
kommt erst in 15 bis 20 Jahren. Doch in der Praxis ist längst nicht jedes Gebäude für Erneu-
erbare vorbereitet. Oft sind es die hohen erforderlichen Temperaturen im Heizungssystem,
die den Wechsel blockieren.

Dabei muss ein Gebäude gar nicht vollständig modernisiert sein, um erneuerbar beheizt zu
werden. Um die Chance zum Wechsel nicht zu verpassen, reichen oft wenige gezielte Maß-
nahmen – Dämmungen und Verbesserungen der Heizverteilung. Sie sind die Türöffner, die
den Einbau erneuerbarer Heizsysteme ermöglichen. Das ifeu – Institut für Energie- und Um-
weltforschung hat im Auftrag des VDPM diese „Enabler“ untersucht und sie zu einem neuen
„NT-ready“-Standard zusammengeführt. NT steht dabei für Niedertemperatur.

Wenn ein Gebäude NT-ready ist, hat es noch weitere Vorteile über die Türöffner-Funktion
hinaus. Die Robustheit gegenüber Fehlern steigt, die Systemdienlichkeit im Stromnetz
nimmt zu und die Gesamtbilanz ist auch unter Einbeziehung der grauen Energie positiv.

Auf die Vorlauftemperatur kommt es an

Die Vorlauftemperatur des Heizungssystems – also die Temperatur, die der Wärmeerzeuger
bereitstellen muss – ist eine zentrale Größe, wenn es um den Einbau von erneuerbaren Hei-
zungen geht. Die Vorlauftemperatur wirkt sich auf die verschiedenen erneuerbaren Tech-
nologien unterschiedlich aus:

        Wärmepumpen funktionieren mit einer Vorlauftemperatur von 35°C um rund 14%
         Prozent effizienter als bei 55°C. Oberhalb von 55°C ist der Betrieb in der Regel we-
         niger sinnvoll. Ein Energieberater oder erfahrener Heizungsbauer würde in diesen
         Fällen in der Regel von einer Wärmepumpe abraten.
        Der Kollektor-Wirkungsgrad von Solarthermie-Anlagen steigt, wenn sie bei niedri-
         gen Temperaturen betrieben werden. Dadurch kann der Ertrag - besonders bei
         Flachkollektoren - um ein Vielfaches gesteigert werden.
        Die Vorlauftemperatur ist ein wesentlicher Einfluss auf die Verteilungsverluste von
         Wärmenetzen (Fernwärme) und damit auf ihre Wirtschaftlichkeit. Auch in Wärme-
         netzen können Wärmepumpen und Solarthermie bei niedrigen Temperaturen bes-
         ser betrieben werden. Die Netztemperatur kann umso weiter abgesenkt werden, je
         niedriger die Temperaturanforderungen der einzelnen angeschlossenen Gebäude
         sind.
        In Brennwert-Heizkesseln setzt der Brennwertbetrieb erst unter 56°C (Erdgas) bzw.
         47°C (Heizöl) ein. Bei höheren Temperaturen bleibt der effizienzsteigernde Effekt
         aus. Auch im Bereich fossiler Energieträger lohnt es sich also, wenn ein Gebäude
         NT-ready ist.
        Für Holzheizungen ist die Vorlauftemperatur nicht in erster Linie wichtig, da sie
         ohne Probleme hohe Temperaturen bereitstellen können. Allerdings werden die
Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien im Gebäudebereich
ifeu  Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien                                           9

         nachwachsenden Energieträger künftig vor allem im Verkehr und in Hochtempera-
         turprozessen gebraucht. Wenn Gebäude also mit Holz heizen, sollten sie möglichst
         effizient sein.

    Abbildung 1: Jahresarbeitszahlen in Abhängigkeit von der Vorlauftemperatur (eigene Darstellung auf
    Basis Fraunhofer ISE (2020))

NT-ready – ein neuer Standard

NT-ready ist eine eindeutige Aussage, dass ein Gebäude für erneuerbare Energien vorberei-
tet ist. NT-ready ist die Eintrittskarte in die erneuerbare Welt, das heißt es ist der Mindest-
standard, ab dem erneuerbare Wärme in der Regel sinnvoll ist. Natürlich können Gebäude
auch ohne NT-ready erneuerbar beheizt werden, aber erst NT-ready sorgt dafür, dass Tech-
nik und Energieverbräuche (Kosten) im grünen Bereich bleiben. Gebäude, die NT-ready sind,
können den nächsten anstehenden Austausch des Heizkessels für den Wechsel zu erneuer-
baren Energien nutzen. NT-ready ist ein Zwischenziel für Gebäude, das den Weg hin zu ei-
nem klimaneutralen Zustand erleichtern soll.

Auch nach Erreichen von NT-ready müssen Gebäude weiter verbessert werden. NT-ready ist
ausdrücklich kein klimaneutraler Zielzustand. Aber es ist die Mindestanforderung, die Ein-
trittsschwelle, um überhaupt den Umstieg auf erneuerbare Energie im Gebäudebereich zu
ermöglichen. Durch künftige Verbesserungen der Gebäude kann die Vorlauftemperatur vo-
raussichtlich noch weiter abgesenkt werden, so dass die erneuerbaren Wärmeerzeuger
dann optimal betrieben werden können.

Ab wann ist ein Gebäude NT-ready?

Der NT-ready-Standard muss auf der einen Seite den einwandfreien und kostengünstigen
Betrieb von erneuerbaren Heizungen gewährleisten und soll auf der anderen Seite für mög-
lichst viele Gebäude möglichst einfach zu erreichen sein. Beide Voraussetzungen werden
mit der Anforderung erfüllt: Gebäude sind NT-ready, wenn Maßnahmen der Wärmedäm-
mung, Heizkreisoptimierung oder effizienten Warmwasserbereitung soweit vollzogen
sind, dass mit einer maximalen Heizwasser-Vorlauftemperatur von 55°C die von den
10                                                       Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien  ifeu

Raumnutzern geforderte Raumtemperatur gewährleistet ist. Das bedeutet, dass im Jah-
resmittel eine deutlich niedrigere Vorlauftemperatur zu erwarten ist. Dies erfordert ggf.
auch ein Umdenken bei der Warmwasserbereitung. Auch dafür gibt es jedoch technische
Lösungen.

Wie erreicht man NT-ready?

Die Vorlauftemperatur einer Heizung hängt von zwei Größen ab:

       von der Heizlast der Räume
        Das ist die benötigte Leistung, damit der Raum am kältesten Tag warm bleibt. Sie
        ist abhängig von der Fläche und der Dämmung der Außenflächen.
       von der Heizleistung der Heizkörper
        Das ist die Wärmemenge, die ein Heizkörper oder eine Flächenheizung an den
        Raum abgeben. Sie ist abhängig von der Heizkörperart und -größe.

Grundsätzlich muss die Wärmeverteilung immer an den Wärmebedarf angepasst werden –
nicht andersherum. Daher ist es stets sinnvoll, den Weg zum NT-ready-Standard mit Dämm-
Maßnahmen zu beginnen. Abbildung 2 zeigt, wie die Vorlauftemperaturen an einem Bei-
spielgebäude – einem Einfamilienhaus von 1977 - abhängig von den durchgeführten Maß-
nahmen sinkt.

    1. Ist-Zustand

Dach und oberste Geschossdecke wurden bereits im Jahr 2010 gedämmt. Unter der Keller-
decke gibt es eine alte, dünne Dämmung. Die Heizkörper sind großzügig dimensioniert; eine
Vorlauftemperatur von 63°C wäre ausreichend, jedoch hat das bisher niemand detailliert
berechnet und so läuft die Heizung mit 70°C.

    2. Dämmung der Außenwand

Die Fassade ist nach 44 Jahren unansehnlich und soll erneuert werden. Bei dieser Gelegen-
heit wird gleich ein Wärmedämmverbundsystem aufgebracht. Im Zuge der BEG-Förderung
musste auch ein hydraulischer Abgleich durchgeführt werden. Eine Vorlauftemperatur von
57°C reicht nun aus.

    3. Optimierung der Wärmeverteilung

Der hydraulische Abgleich ergibt, dass der Heizkörper im Bad die Höhe der Vorlauftempera-
tur vorgibt. Er wird gegen einen hohen Handtuchtrockner ausgetauscht. Die Heizkörper wer-
den an den Thermostatventilen abgeglichen, Heizungsregelung und Pumpe auf die neuen
Vorgaben eingestellt. Die Vorlauftemperatur sinkt auf 53°C; das Gebäude ist jetzt NT-ready.

    4. Einbau einer Wärmepumpe

Die nächste Chance zum Umstieg auf erneuerbare Energien wird genutzt. Die Wärmepumpe
läuft nur mit einer JAZ von 2,8, aber stößt damit schon 30% weniger CO2 aus als ein Gas-
brennwertkessel. Durch den künftig immer weiter wachsenden Anteil von erneuerbarem
Strom steigen die Einsparungen jährlich weiter.
ifeu  Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien                                                    11

    5. Klimaneutrales Gebäude

In den verbleibenden Jahren bis 2045 werden weitere Instandhaltungserfordernisse ge-
nutzt, um das Gebäude vollständig zu dämmen. Nun kann die Vorlauftemperatur auf 41°C
gesenkt werden und die JAZ der Wärmepumpe steigt auf effiziente 3,4.

Abbildung 2:     Beispielhafte Abfolge einer Gebäudesanierung: gezielte Vorbereitung mit NT-ready-Maßnahmen, Wechsel zu
erneuerbaren Energien, klimaneutrales Gebäude in der Zukunft

NT-ready im instrumentellen Rahmen

Der NT-ready-Standard kann gut in den instrumentellen Rahmen aufgenommen werden:

    -    Beratung: NT-ready sollte als ein Zwischenziel formal in den individuellen Sanie-
         rungsfahrplan (iSFP) aufgenommen werden
    -    Förderung: denkbar ist ein NT-ready-Bonus in der Bundesförderung für effiziente
         Gebäude (BEG) ähnlich dem iSFP-Bonus
    -    Ordnungsrecht: NT-ready könnte ein Erfüllungstatbestand für Gebäude der beiden
         schlechtesten Effizienzklassen G und H werden und damit die absehbaren EU-An-
         forderungen an minimum energy performance standards (MEPS) erfüllen.

Langfristige Ziele wie die Klimaneutralität des Gebäudebestands erfordern langfristige Pla-
nung. NT-ready ist ein weiteres Hilfsmittel auf diesem Weg.
12                                                         Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien  ifeu

3 Hintergrund

3.1 Auf dem Weg zum klimaneutralen Gebäudebestand:
    Balance aus erneuerbaren Energien und
    Energieeffizienz
Die Ambitionen der Klimaschutzziele im Gebäudebereich in Deutschland wurden durch den
Klimaschutzplan 2050 im Jahr 2016 gegenüber dem Energiekonzept von 2010 nochmal ge-
steigert. Das Ziel für 2030, die Treibhausgas-Emissionen des Gebäudesektors auf 70 Mio.
Tonnen zu senken, ist außerordentlich ambitioniert (BMU 2016). Die Europäische Gebäude-
richtlinie verlangt für 2050 den nahezu klimaneutralen Gebäudebestand (EPBD 2018). Der
Klimapakt von 2021 hat die Ziele für 2030 weiter verschärft und eine vollständige Treibhaus-
gasneutralität für das Jahr 2045 festgeschrieben (BMU 2021).

Es ist unstrittig, dass für dieses ambitionierte Ziel sowohl Verbrauchsreduktionen durch bau-
lichen Wärmeschutz als auch erneuerbare Energien in großem Maßstab erforderlich sind.
Über das möglichst kostenoptimale Verhältnis von Effizienz und erneuerbaren Energien gab
es bisher jedoch noch keinen Konsens. So wurde auch die Meinung vertreten, man könne
einen Mangel an Energieeffizienz mit erneuerbaren Energien und synthetischen Gasen
(Power-to-Gas) ausgleichen. In extremerer Ausprägung war die Rede von „Dämmwahn“,
„Volksverdämmung“ und vom Volk der „Dichter und Dämmer“.

Dass Energieeffizienz der Gebäudehülle volkswirtschaftliche Vorteile hat, wurde ausführlich
von ifeu gemeinsam mit dem Fraunhofer IEE und Consentec in einer Studie für die Agora
Energiewende untersucht (ifeu et al. 2018). Durch eine Kopplung von vier Modellen wurden
die volkswirtschaftlichen Vorteile einer Kombination aus hoher Effizienz und erneuerbaren
Energien herausgearbeitet: die volkswirtschaftlichen Gesamtkosten sind günstiger, wenn
man effiziente Gebäudestandards mit erneuerbaren Energien koppelt, Infrastruktur-Auf-
wendungen sind geringer, Importrisiken und Preisvolatilität werden reduziert und die nati-
onale Wertschöpfung erhöht.

Da erneuerbare Energien nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen, hat die Gesamtwärme-
nachfrage einen hohen Einfluss darauf, in welchem Maß und mit welcher Verbreitung sie
eingesetzt werden können. Viele erneuerbare Energien können überhaupt nur in effizienten
Gebäuden sinnvoll und wirtschaftlich eingesetzt werden. Das bedeutet, dass das Potenzial
von erneuerbaren Energien im Gebäudebereich durch Effizienz erst erschlossen werden
kann. Das gilt für die Gesamtpotenziale ebenso wie für den dynamischen Pfad zu ihrer Er-
schließung – also den Hochlauf der Märkte. Viele erneuerbare Heizungstechnologien müs-
sen im Zuge der Wärmewende einen ambitionierten Markthochlauf vollbringen. Wenn nicht
ausreichend effiziente Gebäude im Bestand sind, können die Steigerungsraten der Erneuer-
baren nicht erreicht werden. Dämmungen haben jedoch einen Vorsprung vor den Erneuer-
baren – sowohl hinsichtlich des zeitlichen Bestehens im Markt als auch der Marktdurchdrin-
gung. Aufgrund der bestehenden Kapazitäten könnten sie einen stark wachsenden Markt
ohne Probleme abdecken. Dagegen gibt es manche Versorgungsalternativen bisher nur im
ifeu  Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien                                   13

Pilotmaßstab. Ihr mittelfristiger Hochlauf und ihre Kosten sind ungewiss. Volkswirtschaftlich
schafft Effizienz eine höhere Robustheit und Resilienz.

3.2 Vorgehensweise
Diese Studie verfolgt keinen volkswirtschaftlichen, sondern einen einzelwirtschaftlichen An-
satz. Sie untersucht aus Sicht des einzelnen Entscheiders – des Gebäudeeigentümers –, wie
stark im einzelnen Gebäude eine Steigerung der Energieeffizienz die Nutzungsmöglichkeiten
von erneuerbaren Energien und Niedertemperatur-Wärmenetzen steigern kann. Eine Däm-
mung der Gebäudehülle macht das Gebäude, zusammen mit einer Heizungsoptimierung,
„niedertemperatur-ready“ (kurz: „NT-ready“). Das bedeutet, dass das Gebäude vorbereitet
ist für den Einbau von erneuerbaren Energien. Wenn der Heizkessel das Ende seiner Nut-
zungszeit erreicht, kann die Chance zum Wechsel ergriffen werden.

Abbildung 3:       Zielsetzung und Narrativ des Projekts

Das Projekt zeigt auf Basis von Praxisobjekten, wie sehr die Effizienz der Gebäudehülle und
die Dämmung der Außenwand den erneuerbaren Energien „die Tür öffnet“(Abbildung 4).

Die Studie stellt zunächst die technischen Zusammenhänge dar und zeigt, auf welche Weise
die einzelnen erneuerbaren Energiequellen von einer höheren Gebäudeeffizienz profitieren.
In Beispielberechnungen werden die limitierenden Faktoren für die einzelnen erneuerbaren
Energien identifiziert und der jeweilige Einfluss der Gebäudeeffizienz herausgearbeitet. Der
Einfluss unterschiedlicher Dämmniveaus wird aufgezeigt. Dies soll unter anderem klärend
wirken in der Diskussion um eine Weiterentwicklung des Gebäudeenergiegesetzes für Be-
standsgebäude (GEG).

Über die Türöffner-Funktion hinaus zeigt die Studie anhand von Modellberechnungen, dass
effiziente Gebäude weniger fehleranfällig sind, dass sie Strom- und Wärmenetze entlasten
können und dass die graue Energie, die in den Baustoffen steckt, durch die hohen Einspa-
rungen bei weitem aufgewogen wird.
14                                                         Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien  ifeu

4 Türöffner-Funktion für erneuerbare
  Energien

Die Vorlauftemperatur des Heizungssystems – also die Temperatur, die der Wärmeerzeu-
ger bereitstellen muss – ist eine zentrale Größe, wenn es um den Einbau von erneuerbaren
Heizungen geht. Gebäudeeffizienz und Vorlauftemperatur stehen nur mittelbar in Zusam-
menhang. Die Vorlauftemperatur einer Heizung hängt von zwei Größen ab:

       von der Heizlast der Räume.
        Das ist die benötigte Leistung, damit der Raum am kältesten Tag warm bleibt. Sie
        ist abhängig von der Fläche und der Dämmung – also der Effizienz - der Außenflä-
        chen.
       von der Heizleistung der Heizkörper.
        Das ist die Wärmemenge, die ein Heizkörper oder eine Flächenheizung an den
        Raum abgibt. Sie ist abhängig von der Heizkörperart und -größe.

Die Vorlauftemperatur wird anhand der Heizkurve idealerweise so eingestellt, dass der Heiz-
körper genau so viel Wärme abgibt wie der Raum bei der gewünschten Innentemperatur
verliert. Soll die Vorlauftemperatur gesenkt werden kann also entweder ein größerer Heiz-
körper installiert oder eine bessere Dämmung aufgebracht werden. Betrachtet man nicht
nur einen einzelnen Raum, sondern ein ganzes Gebäude, so führt die ausgewogene Mi-
schung aus Dämm- und Heizungsmaßnahmen am effektivsten zum Ziel. Ein Gebäude ist ein
System aus Hülle und Haustechnik. Für eine Optimierung müssen beide Bereiche zusam-
menspielen.

Eine effiziente Gebäudehülle ermöglicht ein Absenken der Vorlauftemperatur und wirkt da-
mit für viele erneuerbare Energien wie ein Türöffner:

       Ein Haupthindernis für den Einsatz von Wärmepumpen in Bestandsgebäuden ist
        die erforderliche Vorlauftemperatur im Heizungssystem. Wärmepumpen funktio-
        nieren mit einer Vorlauftemperatur von 35°C um rund 14% Prozent effizienter als
        bei 55°C. Oberhalb von 55°C ist der Betrieb in der Regel weniger sinnvoll. Durch eine
        Umrüstung von statischen Heizkörpern auf eine Flächenheizung kann die Vorlauf-
        temperatur zwar grundsätzlich gesenkt werden, jedoch ist die Umrüstung aufwän-
        dig und die Heizleistung dieser Systeme reicht unter Umständen nicht aus, um un-
        gedämmte Bestandsgebäude ausreichend zu beheizen. Durch Effizienzmaßnahmen
        an der Gebäudehülle wird die Heizlast des Gebäudes vermindert. Je nach Ambiti-
        onsgrad der Dämm-Maßnahmen kann das Gebäude entweder mit einer Flächen-
        heizung beheizt werden oder auch mit den vorhandenen Heizkörpern.
       Der Kollektor-Wirkungsgrad von Solarthermie-Anlagen steigt, wenn sie bei niedri-
        gen Temperaturen betrieben werden. Das liegt daran, dass sie einen Teil der er-
        zeugten Wärme wieder an die Umgebung verlieren. Je wärmer sie sind, desto höher
        sind die Verluste. Insbesondere bei Flachkollektoren steigt der Ertrag bei niedrige-
        ren Temperaturen um ein Vielfaches. Gleichzeitig steigt auch der solare Deckungs-
ifeu  Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien                                                15

         grad. In ungedämmten Gebäuden beträgt er meist weniger als 10 Prozent. Je effizi-
         enter die Gebäudehülle ist, desto höher kann der Beitrag der Solarthermie für die
         Raumwärme sein. Auch ohne saisonale Speicher werden hier Deckungsgrade von
         20 bis 30 Prozent erreicht. Gerade während der Übergangszeiten kann die Solar-
         thermie die Beheizung dann weitgehend allein übernehmen.
        In Brennwert-Heizkesseln setzt der Brennwertbetrieb erst unter 56°C (Erdgas) bzw.
         47°C (Heizöl) ein. Bei höheren Temperaturen bleibt der effizienzsteigernde Effekt
         aus. Deshalb ist es auch im Bereich fossiler Energieträger (Gas, Öl) sinnvoll, dass
         Gebäude NT-ready sind.
        Niedertemperaturwärmenetze machen erneuerbaren Energien und Abwärme-
         quellen für viele Gebäude überhaupt erst nutzbar. Gleichzeitig sind die thermischen
         Verteilungsverluste weit geringer als in konventionellen Fernwärmenetzen. Limitie-
         render Faktor für das bereitzustellende Temperaturniveau ist jedoch die Tempera-
         turanforderung in den einzelnen angeschlossenen Gebäuden. Ohne effiziente Ge-
         bäudehüllen sind niedrige Heizungstemperaturen und Niedertemperaturwärme-
         netze nicht umsetzbar.
        Für Holzheizungen ist die Vorlauftemperatur nicht in erster Linie wichtig, da sie
         ohne Probleme hohe Temperaturen bereitstellen können. Allerdings werden die
         nachwachsenden Energieträger künftig vor allem im Verkehr und in Hochtempera-
         turprozessen gebraucht. Wenn Gebäude also mit Holz heizen, sollten sie möglichst
         effizient sein.

    Abbildung 4: Türöffner-Funktionen für erneuerbare Energien und zusätzliche Nutzen von Energieeffizienz
16                                                         Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien  ifeu

5 Wann ist ein Gebäude „fit für
  Erneuerbare“?

Eine klare Abgrenzung, ab wann ein Gebäude fit für Erneuerbare ist, ist hilfreich für die Kom-
munikation mit Bauherren, für die Gewährung von Fördermitteln oder auch um rechtliche
Anforderungen daran zu knüpfen. Aus technischer Perspektive ist diese Grenze weniger
scharf, sondern eher ein Übergangsbereich. Wenn im Folgenden eine eindeutige Grenze für
den Einbau von erneuerbaren Energien hergeleitet wird, darf sie also nicht als Ausschluss-
kriterium verstanden werden. Gebäude sind individuell verschieden und es sind Fälle denk-
bar, in denen erneuerbare Energien auch oberhalb des Grenzwertes sinnvoll eingesetzt wer-
den können. Der Grenzwert ist vielmehr als Hilfestellung und Orientierung zu verstehen,
damit erneuerbare Anlagen in der überwiegenden Mehrzahl der Gebäude in einem tech-
nisch und wirtschaftlich zufriedenstellenden Bereich laufen.

Der Grenzwert muss auf der einen Seite den einwandfreien und kostengünstigen Betrieb
von erneuerbaren Heizungen gewährleisten und soll auf der anderen Seite für möglichst
viele Gebäude möglichst einfach zu erreichen sein, damit sie den Wechsel vollziehen.

Infobox: Auslegungstemperatur und tatsächliche Temperatur im Heizungssystem

Wie in Kapitel 4 gezeigt, ist die Vorlauftemperatur des Heizungssystems eine sehr
aussagekräftige Größe für den Einbau von erneuerbaren Energien. In den meisten
Heizungssystemen wird sie jedoch in Abhängigkeit von der Außentemperatur erhöht oder
abgesenkt. Es ist also zunächst zu spezifizieren, welche Vorlauftemperatur genau gemeint
ist.

Heizungsplaner legen die Anlagen so aus, dass alle Räume auch am kältesten Tag des Jahres
warm werden. Die Berechnungsnorm DIN EN 12831 gibt für alle Postleitzahlenbereiche in
Deutschland die jeweiligen Auslegungsaußentemperaturen vor. Sie stellen den Zwei-Tages-
Mittelwert der neun kältesten Tage in den Jahren 1995 bis 2012 dar. Weil die
Heizungsanlagen auf diese seltenen Außentemperaturen ausgelegt sind, sind sie für
durchschnittlich kalte Wintertage überdimensioniert. Die Heizungsregelungen reagieren
darauf, indem sie die Vorlauftemperatur entsprechend absenken. Das bedeutet, die
Heizungsanlagen laufen über 97% der Zeit mit deutlich geringeren Temperaturen.
ifeu  Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien                                        17

Abbildung 5:       Sortierte Außentemperaturen im Jahresverlauf (eigene Darstellung auf Basis DWD)

Wenn in diesem Projekt von der Vorlauftemperatur gesprochen wird, ist die Auslegungs-
temperatur bei Normbedingungen gemeint. Sie ist eine eindeutig normierte Größe und da-
mit eine gute Grundlage für rechtliche Instrumente. Es ist aber zu beachten, dass die tat-
sächlichen Vorlauftemperaturen im Jahresmittel deutlich geringer sind.

5.1 Einfluss der Vorlauftemperatur auf Wärmepumpen
Wärmepumpen nutzen Umweltwärme aus der Luft, dem Erdreich oder dem Grundwasser
mit Temperaturen zwischen -2 und 12°C. Sie heben diese niedrigen Temperaturen unter
Einsatz von Strom auf ein Temperaturniveau, das für Heizung und Warmwasserbereitung
nutzbar ist, an. Je höher sie die Temperatur anheben müssen, desto ineffizienter funktionie-
ren sie. Das durchschnittliche Verhältnis von erzeugter Wärme zu eingesetztem Strom wird
als Jahresarbeitszahl (JAZ) bezeichnet. Je geringer der Temperaturhub, desto höher die JAZ
und desto effizienter läuft die Wärmepumpe.

In einem Forschungsprojekt wurden 56 reale Wärmepumpen vermessen (ISE 2020). Abbil-
dung 6 zeigt die gemessenen JAZ in Abhängigkeit von der Vorlauftemperatur. Es wird deut-
lich, dass die höchsten JAZ bei niedrigen Temperaturen erreicht werden. Mit jedem Grad
mehr verschlechtert sich die JAZ um rund 0,1. Die Grafik zeigt aber auch, dass Wärmepum-
pen technisch gesehen auch mit höheren Temperaturen betrieben werden können, wobei
eine JAZ von 2,0 einen doppelt so hohen und damit meist unwirtschaftlichen Stromver-
brauch bedeutet wie eine JAZ von 4,0.
18                                                             Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien  ifeu

Abbildung 6:    Gemessene Jahresarbeitszahlen in Abhängigkeit von der Vorlauftemperatur (eigene Darstellung auf Basis Fraunhofer
ISE)

Dieser Zusammenhang wird auch in der Berechnungsvorschrift für Wärmepumpen, VDI
4650, dargestellt. Abbildung 7 zeigt die berechnete Abhängigkeit der JAZ von der Vorlauf-
temperatur für zwei Beispiel-Wärmepumpen. Die Unterschiede zu den gemessenen Werten
in Abbildung 6 ergeben sich daraus, Abbildung 7dass im Feldtest unterschiedliche Wärme-
pumpen-Typen in unterschiedlichen Anlagenkonfigurationen untersucht wurden. Die Erd-
reich-Wärmepumpe mit einer Vorlauftemperatur von 65°C hat nicht bestimmungsgemäß
funktioniert und wurde auf Grund von technischen Problemen in der Studie von ISE 2020
nicht ausgewertet.

Abbildung 7:    Berechnete Jahresarbeitszahlen in Abhängigkeit von der Vorlauftemperatur (eigene Darstellung auf Basis VDI 4650)
ifeu  Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien                                                              19

In beiden Abbildungen ist die Temperaturabhängigkeit nahezu linear. Es sind keine Brüche
zu erkennen, die ggf. eine Grenz-Vorlauftemperatur anzeigen würden. Auffällig ist jedoch,
dass alle Wärmepumpen im Feldtest bis auf eine (und den nicht gewerteten Ausreißer) un-
terhalb von 55°C betrieben werden. Rechnerisch ist ihre JAZ bei 55°C um 14% geringer als
bei 35°C – und damit der Verbrauch um 14% höher.

5.2 Einfluss der Vorlauftemperatur auf Wärmenetze
In der Vergangenheit wurden Wärmenetze häufig mit Temperaturen von 95 bis 120°C be-
trieben. Die hohen Temperaturen ermöglichen es, hohe Wärmemengen und Leistungen zu
übertragen. Die Wärmeerzeuger – vornehmlich fossile Heizwerke und Heizkraftwerke –
konnten diese hohen Temperaturen leicht bereitstellen. Nachteil sind die hohen Vertei-
lungsverluste von rund 15%.

Erneuerbare Wärmenetze werden mit solarer Nahwärme, Tiefengeothermie oder Großwär-
mepumpen betrieben. Niedrige Systemtemperaturen erhöhen bei all diesen Wärmeerzeu-
gern die Wirkungsgrade bzw. ermöglichen erst ihren Einsatz. Die Systemtemperaturen rich-
ten sich stets nach den Temperaturanforderungen in den angeschlossenen Gebäuden. Ge-
lingt es, die Vorlauftemperatur in den Gebäuden auf 55°C zu begrenzen, müssen die Wär-
meerzeuger nur etwa 70°C bereitstellen. Viele erneuerbare Energiequellen können auf die-
sem Temperaturniveau hocheffizient genutzt werden. Beispielhaft zeigt Abbildung 9, wie
die Leistungszahlen einer Großwärmepumpe bei steigenden Temperaturen abnehmen. Die
Verteilungsverluste sind in einem Niedertemperaturnetz ebenfalls geringer.

Abbildung 8:       Beispielhafter Temperaturverlauf in einem Wärmenetz vom Erzeuger bis zum Verbraucher (Quelle dme consult 2021)
20                                                           Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien  ifeu

Abbildung 9:     Beispielhafte Leistungszahlen einer Großwärmepumpe in Abhängigkeit von der Ausgangstemperatur (Quelle:
Lohrmann 2021)

Abbildung 10 zeigt eine überschlägige Kalkulation für ein Niedertemperatur-Wärmenetz.
Die Vorlauftemperaturen in den angeschlossenen Gebäuden werden variiert. Bei 65°C sum-
mieren sich die höheren Verteilverluste und die schlechtere JAZ zu einem 23 Prozent höhe-
ren Wärmepreis auf im Vergleich zu einem Netz, das nur 55°C bereitstellt.

Abbildung 10:    Vergleich der Verluste und Kosten von Niedertemperatur-Wärmenetzen ausgehend von den Vorlauftemperaturen in
den angeschlossenen Objekten (Quelle: Lohrmann 2021)

In einem Niedertemperatur-Wärmenetz kann es erforderlich sein, dass es im Sommer, wenn
aufgrund der geringen Wärmeabnahme die Umlaufgeschwindigkeit des Kreislaufwassers
langsam und der Temperaturverlust auf dem Weg zum letzten Anschlussnehmer etwas
höher ist, mit höheren Temperaturen betrieben wird. Im Winter, wenn die Wärmeabnahme
ifeu  Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien                                 21

und damit auch die Umlaufgeschwindigkeit höher ist, kann es mit etwas geringerer
Vorlauftemperatur betrieben werden. Um die Vorlauftemperaturen in den angeschlossenen
Gebäuden zu senken, müssen die Einstellungen der Heizkurven geprüft werden. Es kann
auch ein Austausch von kritischen Heizkörpern nötig werden.

5.3 Einfluss der Brauchwassererwärmung auf die
    Vorlauftemperatur
Neben der Erzeugung von Raumwärme erwärmen die Wärmeerzeuger auch das Brauchwas-
ser. Der Anteil des Brauchwassers an der gesamten Wärmeerzeugung liegt in ungedämmten
Altbauten bei etwa 18 Prozent. In zukunftsorientierten Gebäuden dagegen ist der Raum-
wärmebedarf so gering, dass das Brauchwasser bis zu 50 Prozent ausmacht. Die Temperatur
des Brauchwassers hängt einerseits von den Bedürfnissen der Nutzer ab. In der Regel rei-
chen ihnen 45°C aus. In sehr vielen Anlagen muss die Temperatur jedoch mindestens 60°C
betragen, damit das Wasser hygienisch einwandfrei bleibt. Damit besteht die Gefahr, dass
die NT-ready-Bemühungen für niedrige Heizungstemperaturen von der Brauchwasserer-
wärmung zunichtegemacht werden.

Es stehen aber mehrere technische Lösungen bereit, um die Brauchwassertemperatur ab-
zusenken: Mikrofiltration, Frischwasserstationen, elektrische Nacherhitzung oder – bei ge-
ringem Wasserverbrauch – auch elektrische Durchlauferhitzer sind Maßnahmen, die je nach
individuellen Erfordernissen eingesetzt werden können. Auch die regelmäßige Legionellen-
schutz-Schaltung in Mehrfamilienhäusern kann effizient durch eine Nacherhitzung erfolgen.
Es kann wesentlich effizienter sein, den Hauptwärmeerzeuger oder ein Wärmenetz nicht auf
diese Spitzentemperatur auszulegen, sondern sie mit anderen Maßnahmen zu gewährleis-
ten.

5.4 „NT-ready“ – ein neuer Standard
Um die technischen Anforderungen an die maximale Vorlauftemperatur griffiger auszudrü-
cken und auch für Laien verständlich zu machen, definieren wir in dieser Studie einen neuen
Standard: „Niedertemperatur-ready“ oder kurz „NT-ready“.

NT-ready ist eine eindeutige Aussage, dass ein Gebäude für erneuerbare Energien, insbe-
sondere Wärmepumpen, vorbereitet ist. Gebäude, die NT-ready sind, können den nächsten
anstehenden Austausch des Heizkessels für den Wechsel zu erneuerbaren Energien nutzen.
NT-ready ist ein Zwischenziel für Gebäude, das den Weg hin zu einem klimaneutralen Zu-
stand erleichtern soll. Auch nach Erreichen von NT-ready müssen Gebäude weiter verbes-
sert werden. NT-ready ist ausdrücklich kein Zielzustand. Durch künftige Verbesserungen der
Gebäude kann die Vorlauftemperatur voraussichtlich noch weiter abgesenkt werden, so
dass die erneuerbaren Wärmeerzeuger dann optimal betrieben werden können.

In Kapitel 6 werden Musterrechnungen an vier Bestandsgebäuden gezeigt. Damit wird die
Grenze, ab der NT-Readiness erreicht wird, abgeleitet.
22                                                        Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien  ifeu

6 Analyse von Maßnahmen zur Absenkung
  der Heiztemperaturen

Die wichtigsten Ergebnisse in Kürze:

Die Vorlauftemperaturen lassen sich bereits durch wenige Dämm-Maßnahmen und geziel-
ten Heizungsaustausch senken. Die Vorlauftemperaturen im Ausgangszustand und nach
Durchführung von Maßnahmen hängen stark von den Gegebenheiten des einzelnen Gebäu-
des ab: Dabei ist entscheidend, ob die installierten Heizflächen knapp oder großzügig be-
messen sind und wie der Modernisierungszustand der Hüllflächenbauteile ist. In Mehrfami-
lienhäusern hat die Außenwanddämmung eine deutlich höhere Relevanz für die NT-Readi-
ness. In Einfamilienhäusern sind auch andere Maßnahmen recht wirksam (Dach, Kellerde-
cke, …). Durch die Senkung der Vorlauftemperatur ist der Einsatz z. B. einer Wärmepumpe
auch bei bestehenden Heizkörpern möglich.

6.1 Auswahl von Praxisobjekten
Für die Berechnungen und Modellierungen, die in diesem Projekt durchgeführt wurden,
wurden vier reale Bestandsgebäude ausgewählt. Sie stehen beispielhaft für einen hohen
Anteil des deutschen Gebäudebestands und zeigen reale Probleme auf, mit denen die Ak-
teure in der Praxis konfrontiert sind. Die relevanten Basisdaten der Beispielgebäude wurden
zusammengestellt (U-Werte, Flächen, Heizkörperflächen usw.) und damit die Grundlagen
für die Modellberechnungen geschaffen.

Einfamilienhaus 1

Das Gebäude wurde im Jahr 1978 errichtet (Abbildung 11). Es wurden noch keine energeti-
schen Modernisierungen durchgeführt. Die Gebäudehülle entspricht dem typischen Wär-
meschutz-Standard dieser Zeit. Die Außenwände bestehen aus Mauerwerk und sind innen
und außen verputzt. Die Fenster sind Isolierglasfenster mit Holzrahmen. Das Satteldach hat
raumseitig eine Holzschalung mit Putzträger und Putz. Eine eigens eingebaute Dämmschicht
gibt es nicht. Der Spitzboden ist beheizt. Er wurde mit Gipskarton und einer dünnen Zwi-
schensparrendämmung ausgebaut. Der Wärmeschutz entspricht etwa dem der übrigen
Dachflächen. Das Gebäude ist nicht unterkellert. Auf der Bodenplatte aus Beton ist eine zwei
Zentimeter starke Polystyroldämmung und eine Estrichschicht. Das Einfamilienhaus wurde
bislang mit einem Ölkessel beheizt, der auch das Trinkwasser erwärmt. Die Wärme wird mit
Plattenheizkörpern aus dem Errichtungsjahr an die Räume abgegeben. Der Heizkessel soll
durch eine Wärmepumpe ersetzt werden. Alternativ wird ein Gas-Brennwertkessel mit So-
larthermie dargestellt, der mittelfristig mit synthetischem Gas (Power to Gas - PtG) betrie-
ben wird.

Dieser Gebäudetyp ist repräsentativ für 6 % der Wohnfläche in Deutschland.
ifeu  Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien                              23

Abbildung 11:         Beispielabbildung Einfamilienhaus 1 (IWU 2015)

Abbildung 12:         Heizkörper im Einfamilienhaus 1

Einfamilienhaus 2

Das freistehende Einfamilienhaus wurde 1995 gebaut und entspricht diesem Wärmestan-
dard1. Es fanden noch keine Modernisierungen am Gebäude statt. Das Gebäude hat zwei
Geschosse und ist nicht unterkellert. Das Pultdach sowie die verputzten Außenwände haben
eine Dämmschicht, die dem Standard des Baujahres entspricht. Die Südfassade ist großflä-
chig verglast. Das Einfamilienhaus wurde bislang mit einem 1995 eingebauten Gas-Brenn-
wertkessel beheizt, der auch das Trinkwasser erwärmt. An den Außenwänden sind Platten-
heizkörpern angebracht.

Der Außenputz ist bereits beschädigt zum Teil verfärbt. Außerdem zeigen die Fenster Un-
dichtigkeiten, sodass mindestens die Dichtung ersetzt werden muss. Der Heizkessel soll

––––––––––––––––
1   Quelle: EEI Energie Effizienz Institut 2021
24                                                             Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien  ifeu

durch eine Wärmepumpe ersetzt werden. Für das Gebäude wird durch einen Energieberater
ein Sanierungsfahrplan erstellt.

Dieser Gebäudetyp ist repräsentativ für 4 % der Wohnfläche in Deutschland.

Abbildung 13:   Abbildung des Beispielgebäudes Einfamilienhaus 2, Baujahr 1995 (Quelle: EEI (2021))

Mehrfamilienhaus 1

Das Gebäude wurde 1955 als Mehrfamilienhaus erbaut. Der bauliche Wärmeschutz ent-
spricht der Baualtersklasse. Die Außenwände bestehen aus monolithischem Mauerwerk
und sind außen und innen verputzt. Das Flachdach mit Bitumenbahnen ist in einem guten
Zustand, jedoch noch ohne Dämmschicht. Das Gebäude hat Stahlbetondecken mit Tritt-
schalldämmung und Estrich im ursprünglichen Zustand. Es ist voll unterkellert. Der Keller ist
nicht beheizt und wird für die Haustechnik und als Lager-/Mieterkeller genutzt. Das 5. Ober-
geschoss ist als Staffelgeschoss ausgebildet und wird als Wohnfläche und als Waschküche
sowie Trockenraum genutzt. Die Wohnfläche umfasst ca. ein Drittel der Grundfläche. Bei
den Fenstern handelt es sich um Verbundfenster mit Holzrahmen, die ebenfalls 1955 einge-
setzt wurden und nicht modernisiert wurden. Die Fenster sind in einem guten Zustand, ha-
ben aber keine Dichtungen. Das Treppenhaus sowie Teile des 5. Obergeschosses sind teil-
weise einfachverglast. Die Eingangstür ist eine gealterte Holztür mit einem großen verglas-
ten Bereich, die ebenfalls 1955 eingebaut wurde. An dem Gebäude befinden sich einige
Wärmebrücken. Besonders hervorzuheben sind die Rollladenkästen an den meisten Fens-
tern und die Balkonplatten ohne thermische Trennung. Es gibt keine Heizkörpernischen.

Die Beheizung erfolgt über den zentralen Konstanttemperatur-Kessel mit Heizöl. Die
Brauchwassererwärmung erfolgt dezentral mit elektrischen Durchlauferhitzern. Außer ei-
nem Austausch des Brenners wurden noch keine wärmetechnischen Verbesserungen durch-
geführt. Der Heizkessel soll aufgrund seines Alters durch einen Nahwärmeanschluss ersetzt
werden. Das Stadtwerk plant ein Nahwärmenetz mit einem niedrigen Temperaturniveau
von 60°C, weil dadurch die Abwärme eines nah gelegenen Produktionsbetriebs genutzt wer-
den kann. Zusätzlich ist eine Luft-Großwärmepumpe vorgesehen, die in diesem Tempera-
turbereich besonders effizient funktioniert.

Das Gebäude repräsentiert ca. 4 % der Wohnfläche in Deutschland.
ifeu  Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien                                              25

Abbildung 14:      Beispielgebäude Mehrfamilienhaus 1, Baujahr 1955 – vor und während der Modernisierung

Mehrfamilienhaus 2

Das Mehrfamilienhaus wurde 1995 gebaut. Es handelt sich um ein freistehendes Gebäude
mit Fenster- und Türöffnungen nach Osten und Westen. Auf der Westseite (lärmgeschützte
Hof-Seite) sind Balkone angebracht. Diese wurden wärmebrückenarm nach damaligem
Stand der Technik eingebaut. Alle anderen Bauteile entsprechen dem Baustandard aus dem
Baujahr. Die Fenster sind 2-fach verglast. Die Außenwände bestehen aus monolithischem
Mauerwerk. Sie sind nach außen gedämmt und außen und innen verputzt. Das Satteldach
ist gedämmt. Der Boden ist vollständig unterkellert, der Keller ist nicht beheizt. Ein Gas-
Brennwertkessel beheizt das Gebäude und erzeugt das Trinkwarmwasser. Es soll zukünftig
an ein nahgelegenes Niedertemperatur-Nahwärmenetz angeschlossen werden und muss
dafür vorbereitet werden.

Das Gebäude repräsentiert ca. 3 % der Wohnfläche in Deutschland.

Abbildung 15:      Beispielgebäude Mehrfamilienhaus 2, Baujahr 1995 (Quelle: EEI 2021)
26                                                       Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien  ifeu

6.2 Modellierung der Modernisierungsvarianten
Die ausgewählten Beispielgebäude werden modellhaft mit verschiedenen Varianten moder-
nisiert, um festzustellen, wie weit und mit welchen Maßnahmen die Vorlauftemperatur ab-
gesenkt werden kann. Das Ziel ist, aus diesen Versuchen heraus, den NT-ready Standard zu
definieren.

Abbildung 16 zeigt die einzelnen Schritte der Modellrechnung. In Schritt 1 wird nach VDI
4650 die Wärmepumpe ausgelegt mit dem Ziel die mögliche NT-ready-Vorlauftemperatur
möglichst einzugrenzen. In Schritt 2 wird die Gebäudehülle modernisiert und Maßnahmen
an der Wärmeverteilung vorgenommen, um die Auswirkungen auf die Vorlauftemperatur
abzubilden. In Schritt 3 wird der Energiebedarf berechnet, um den Einfluss von NT-ready zu
zeigen.

                 • Wärmepumpenauslegung
   Schritt 1:    • Ziel: Eingrenzen der NT-Ready-Vorlauftemperatur
   VDI 4650

                 • Berechnung von Änderungen an der Hülle und der
                   Wärmeverteilung
  Schritt 2:     • Auswirkung auf die Vorlauftemperatur
  OPTIMUS        • Ziel: Ambitionsgrad der Maßnahmen aufzeigen

                 • Berechnung des Energiebedarfs der Maßnahmen aus
                   Schritt 2
   Schritt 3:    • Ziel: Einfluss von NT-Ready zeigen
    18599

Abbildung 16:   Vorgehensweise der Modellrechnungen

Für die Modellgebäude werden 16 verschiedene Modernisierungsmaßnahmen (Dämmung
der Außenwand, Austausch der Fenster, Kellerdeckendämmung, Dämmung der obersten
Geschossdecke) definiert und anschließend die Auswirkungen auf den Heizwärmebedarf
des Gebäudes, der Heizlast des Raumes und das erforderliche Vorlauf-Temperaturniveau
der vorhandenen Heizkörper berechnet. Die einzelnen Modernisierungsmaßnahmen wer-
den unterschiedlich kombiniert. Alle Modernisierungsvarianten werden in zwei verschiede-
nen Dämmstandards gerechnet: Entweder entsprechen die U-Werte der Bauteile den An-
forderungswerten im GEG oder denen der KfW/BEG-Einzelmaßnahmen.

Im Ergebnis dieser Berechnungen kann ein NT-ready-Maßnahmenpaket definiert werden,
ein erforderliches Paket an Maßnahmen für die Beheizung des Gebäudes mit niedrigen Tem-
peraturen, ohne neue Flächenheizungen verlegen zu müssen, was vielfach in Bestandsge-
bäuden nicht möglich ist.
ifeu  Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien                                                                      27

Im nächsten Schritt wird die Effizienzsteigerung für verschiedene Heizungssysteme quanti-
fiziert. Mit dieser Analyse kann die Frage beantwortet werden: „Um wie viel effizienter kön-
nen erneuerbare Energien durch Energieeffizienz genutzt werden?“ Damit wird insgesamt
die doppelte Kosteneinsparung durch Effizienz transparent gemacht: Energieeinsparung
durch Senkung des Nutzwärmebedarfs und Energieeinsparung durch Steigerung der Effizi-
enz der Heizung.

Abbildung 17 zeigt Heizlast und Heizleistung für die Räume von Mehrfamilienhaus 1. In ei-
nem idealen Gebäude hätten alle Heizkörper genau die Leistung, die der Heizlast des Raums
entspricht. Im Diagramm würden sie genau auf der Linie liegen. In der Praxis sind die Heiz-
körper meist größer. Sie liegen im Diagramm unterhalb der Linie. Sie könnten ihren Raum
auch mit einer geringeren Vorlauftemperatur heizen. Es gibt jedoch stets einige Heizkörper,
deren Leistung nur wenig größer als die Last ist – oder sogar kleiner (oberhalb der Linie).
Diese ungünstigsten Heizkörper sind der Flaschenhals, der die Vorlauftemperatur für das
gesamte Heizungssystem bestimmt.

                          3000

                          2500
   Heizlast je Raum [W]

                          2000

                          1500

                          1000

                          500

                            0
                                 0          500        1000       1500      2000            2500        3000
                                                     Heizleistung des Radiators [W]

Abbildung 17:                        Verhältnis von Heizlast der Räume und Heizleistung der Heizkörper in einem Mehrfamilienhaus

In den Modellrechnungen werden die Heizkörper stufenweise ausgetauscht: zuerst der inef-
fizienteste/neuralgischste Heizkörper, dann die fünf schlechtesten. In den Mehrfamilien-
häusern befinden sich mehr Heizkörper als in den Einfamilienhäusern, daher wird hier zu-
sätzlich das schlechteste Drittel der Heizkörper ausgetauscht.

6.2.1                     Einfamilienhaus 1

Das Einfamilienhaus 1 wird modellhaft mit verschiedenen Maßnahmen an der Gebäude-
hülle modernisiert. Diese werden mit einem gezielten Heizungsaustausch und einem hyd-
raulischen Abgleich kombiniert. Tabelle 1 zeigt die berechneten Vorlauftemperaturen, die
sich nach den Modernisierungen einstellen. Die vier Modernisierungsmaßnahmen (Außen-
wand, Außenwand und Fenster/Türen, Dach/oberste Geschossdecke, Keller/unterer Gebäu-
deabschluss) werden unterschiedlich kombiniert.

Im unsanierten Ist-Zustand erreicht das Gebäude eine Vorlauftemperatur von 63°C. Dabei
wird unterstellt, dass die Heizkörper hydraulisch abgeglichen sind und die Heizkurve korrekt
28                                                                               Energieeffizienz als Türöffner für erneuerbare Energien  ifeu

eingestellt wurde. Im Realbetrieb ohne hydraulischen Abgleich ist die Vorlauftemperatur
jedoch höher und liegt bei ca. 70°C.

Eine Dämmung der Außenwand mit U-Werten nach GEG lässt die Vorlauftemperatur um 6 K
auf 57°C absinken. Eine bessere Dämmung nach BEG-Standard senkt die Temperatur auf
56°C ab. Eine Kombination der Modernisierungsmaßnahmen Außenwand und Fenster/Tü-
ren und einer Dämmung des Satteldachs lässt die Temperatur auf 48°C (GEG) oder 46°C
(BEG) sinken. Den größten Effekt erzielt eine Dämmung der gesamten Hüllfläche. Die Tem-
peratur sinkt auf 47°C (GEG) oder 45°C (BEG). Das Gebäude erreicht nach der Dämmung
nach BEG den Effizienzhaus-55-Standard.

In einem zweiten Schritt wird gemessen, wie hoch die Absenkung der Vorlauftemperatur ist,
wenn die Heizkörper hydraulisch abgeglichen werden und einzelne Heizkörper ausgetauscht
werden.

Der ungünstige Heizkörper befindet sich im EFH 1 im Badezimmer im ersten Obergeschoss.
Die Heizlast des Raumes ist zu hoch für den Heizkörper - er ist unterdimensioniert. Durch
einen Wechsel, z B. zu einem hohen Handtuchtrockner, sinkt die Vorlauftemperatur bei al-
len Modernisierungsmaßnahmen um durchschnittlich 2 K. Werden noch weitere vier Heiz-
körper (die fünf ungünstigsten Heizkörper) ausgetauscht sinkt die Temperatur gegenüber
dem Ist-Zustand um durchschnittlich 6 K.

Varianten    Effizienz-             Außenwand, Dach,          Kellerdecke, Außenwand keine        Austausch Austausch
             niveau                 Fenster,     Dachfenster, Kellerwände,            Anlagen-    des un-     der fünf un-
                                    Türen        Gauben,      Bodenplatte             maßnahmen günstigsten günstigsten
                                                 oberste                                          Heizkörpers Heizkörper
                                                 Geschoss-
                                                 decke
                                             Modernisierungspakete           Einzelp.        Vorlauftemperatur [°C]
Ist-Zustand unsaniert                                                                          63          59           55
           1                              x                                                    54          53           48
           2                                           x                                       59          57           51
           3                                                        x                          63          58           54
                    EnEV / GEG

           4                              x            x                                       47          47           44
           5                                           x            x                          55          54           51
           6                              x                         x                          54          53           48
           7                              x            x            x                          47          42           42
           8                                                                    x              56          54           51
           9                              x                                                    53          53           47
          10                                           x                                       58          56           51
                Einzelmaßnahmen

          11                                                        x                          63          58           54
                    KfW / BEG

          12                              x            x                                       46          45           41
          13                                           x            x                          54          54           50
          14                              x                         x                          53          53           45
          15                              x            x            x                          45          41           41
          16                                                                    x              56          54           51

Tabelle 1:                       Berechnete Vorlauftemperaturen für die 16 Modernisierungspakete im EFH 1

Die maximale Absenkung der Vorlauftemperatur ist möglich, wenn Dämm-Maßnahmen und
Austausch der fünf ungünstigsten Heizkörper kombiniert werden. Das Gebäude erreicht den
Effizienzhaus-55-Standard und die Vorlauftemperatur sinkt um 22 K auf 41°C.

Abbildung 18 ist eine grafische Übersetzung von Tabelle 1 und zeigt den Einfluss der Dämm-
Maßnahmen und des Heizkörper-Austauschs auf die Vorlauftemperatur. Die einzelnen
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