Sustainable Urban Infrastructure - Ausgabe München - Wege in eine CO2-freie Zukunft

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Sustainable Urban Infrastructure - Ausgabe München - Wege in eine CO2-freie Zukunft
Sustainable
Urban Infrastructure
Ausgabe München – Wege in eine CO2-freie Zukunft
Sustainable Urban Infrastructure - Ausgabe München - Wege in eine CO2-freie Zukunft
Inhalt

                                                         Kapitel   1.0 Wege in eine CO2-freie Zukunft

                                                                       Die Kernergebnisse                                     4

                                                                       Was bedeutet CO2-Freiheit?                           10

                                                                       CO2-freie Zukunft – die Heraus-
                                                                       forderungen aus Expertensicht                        11

                                                                   2.0 Zwei Wege in die Zukunft

                                                                       Die Szenarien „Ziel“ und „Brücke“                    12

                                                                   2.1 Wärmenachfrage Gebäude                               16

                                                                       Best Practice: Passivhaus und
                                                                       Gebäudesanierung                                     21

                                                                       Technologie-Ausblick:
                                                                       Gebäudedämmung                                       23

                                                                   2.2 Stromnachfrage Gebäude                               24
Dieser Bericht basiert auf Forschungsergebnissen                       Best Practice: Energiesparcontracting                28
des Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH
und wurde von der Siemens AG unterstützt.                              Technologie-Ausblick: OLEDs                          29

2    Sustainable Urban Infrastructure                                                    München – Wege in eine CO2-freie Zukunft
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2.3 Verkehr                                30   3.0 Der Musterstadtteil

       Best Practice: Intelligente                  Vorbild für die Zukunft                               48
       Verkehrssteuerung                   33
                                                3.1 Der Musterstadtteil im Detail
       Technologie-Ausblick:                        Wärmenachfrage der Gebäude                            54
       Elektromobilität                    37
                                                3.2 Der Musterstadtteil im Detail
2.4 Wärmebereitstellung                    38       Stromnachfrage der Gebäude                            58

       Best Practice: Fernwärme
                                                3.3 Der Musterstadtteil im Detail
       in Kopenhagen                       41
                                                    Verkehr im Musterstadtteil                            60
       Technologie-Ausblick:
       LowEx-Konzepte                      41   3.4 Der Musterstadtteil im Detail
                                                    Wärme für den Musterstadtteil                         66
2.5 Strombereitstellung                    42
                                                3.5 Der Musterstadtteil im Detail
       Best Practice: Beteiligung an
                                                    Strom für den Musterstadtteil                         70
       regenerativer Stromerzeugung –
       Windkraft-Projekte                  45
                                                    Best Practice: Malmö                                  73
       Technologie-Ausblick: Smart Grid
       und Lastmanagement                  45   4.0 Ausblick                                              74

München – Wege in eine CO2-freie Zukunft                                   Sustainable Urban Infrastructure   3
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Wege in eine CO2-freie Zukunft – die Kernergebnisse

K   limaschutz muss in den Städten beginnen. An
    dieser Erkenntnis führt kein Weg vorbei, denn
die Fakten sind erdrückend. Die Großstädte be-
                                                    nung setzt Jahr für Jahr Milliarden Tonnen des
                                                    Treibhausgases Kohlendioxid frei.
                                                       Kein Zweifel: Die Städte tragen am stärksten
                                                                                                      sich die Problematik gut packen, denn Klima-
                                                                                                      schutzmaßnahmen entfalten hier ihre größte Wir-
                                                                                                      kung. So sind die Metropolen der Welt in der
decken gerade einmal ein Prozent der Erdober-       zum weltweiten Klimawandel bei. Zugleich          einzigartigen Position, den Weg zum klima-
fläche, verschlingen aber 75 Prozent der einge-     werden die Folgen des Klimawandels hier in Zu-    freundlichen Leben und Wirtschaften zu ebnen
setzten Energie und stoßen 80 Prozent der           kunft sehr deutlich zu spüren sein. Für München   und Lösungen zu generieren, die anderen Re-
weltweit emittierten Treibhausgase aus, allen       zum Beispiel erwartet das Umweltbundesamt bis     gionen als Vorbild dienen können.
voran Kohlendioxid (CO2). Und die Städte            Ende des Jahrhunderts eine deutliche Zunahme          Diese Studie zeigt, wie eine urbane Metropol-
wachsen. Heute lebt gut die Hälfte der Welt-        sehr heißer Tage und Tropennächte. Extrem heiße   region in den nächsten Jahrzehnten den Weg in
bevölkerung in Städten. Im Jahr 2025 werden es      Sommer wie der von 2003 werden nicht mehr die     eine annähernd CO2-freie Zukunft gehen könnte.
voraussichtlich bereits 60 Prozent sein. Das        Ausnahme, sondern die Regel sein. Dass sich die   Dafür dient die Stadt München mit ihren 1,3 Mil-
Lebenselixier der pulsierenden Metropolen rund      Ursachen des Klimawandels stark in den Städten    lionen Einwohnern als Modell. Untersucht wird
um den Globus sind bislang vor allem die fossilen   konzentrieren, hat andererseits einen entschei-   der Zeitraum von 2008 bis zum 900-sten Stadt-
Energieträger Erdgas, Kohle und Öl. Ihre Verbren-   denden Vorteil: Dank dieser Kompaktheit lässt     jubiläum 2058. Bis 2030 hat sich die Stadt Mün-

4    Sustainable Urban Infrastructure                                                                               München – Wege in eine CO2-freie Zukunft
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1.0                                        Wege in eine CO2-freie Zukunft –
                                           die Kernergebnisse

chen bereits selbst das Ziel gesetzt, die CO2-Emis-    andere geht hierzu von konservativeren An-           Das Wichtigste vorweg – die Kernergeb-
sionen um 50 Prozent gegenüber 1990 zu ver-            nahmen aus. Dennoch machen beide deutlich,           nisse der Energieeffizienz-Studie:
ringern. Die vorliegende Analyse baut auf diesen       dass sich die CO2-Emissionen in nur wenigen
Ergebnissen auf, blickt aber weiter in die Zukunft.    Jahrzehnten tatsächlich eindrucksvoll reduzieren        Die EU-Umweltminister haben auf
    Die Studie ist in zwei Abschnitte gegliedert. Im   lassen.                                              Basis des IPCC-Weltklimaberichts 2007
ersten Teil wird anhand zweier Szenarien all-              Der zweite Teil der Untersuchung stellt exem-    das Ziel formuliert, den Treibhaus-
gemein aufgezeigt, wie sich die Energieeffizienz       plarisch anhand eines konkreten Musterstadtteils     gasausstoß bis zur Jahrhundertmitte
durch verschiedene Maßnahmenbündel verbes-             dar, wie die Transformation in eine fast CO2-freie   weltweit um mehr als 50 Prozent
sern lässt und welchen Anteil diese Aspekte an         Metropole infrastrukturell und technologisch         und damit auf durchschnittlich weniger
der CO2-Reduktion haben. An ausgewählten               vollzogen werden könnte. Analysiert wird, wie        als zwei Tonnen pro Kopf zu reduzieren.
Maßnahmen werden zudem Wirtschaftlichkeits-            sich die Energieeffizienz in einem bereits beste-    Dieses Ziel lässt sich für eine Großstadt
betrachtungen durchgeführt. Die beiden Szena-          henden Stadtteil und in einem direkt angren-         wie München mit heute bekannten
rien erwarten unterschiedlich große Effizienz-         zenden Neubaugebiet so weit verbessern lässt,        Technologien erreichen und sogar
gewinne. Das eine ist sehr optimistisch, das           dass CO2-Freiheit annähernd erreicht wird.           übertreffen.

München – Wege in eine CO2-freie Zukunft                                                                                      Sustainable Urban Infrastructure   5
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Wege in eine CO2-freie Zukunft – die Kernergebnisse

    In beiden hier entwickelten Szenarien gelingt       Bestimmte Infrastrukturbereiche einer Stadt    Bürger wären das rund 200 Euro pro Jahr – etwa
es, bei durchgängiger und konsequenter Orien-       lassen sich klar als größte CO2-Emittenten iden-   ein Drittel der jährlichen Gasrechnung. Diesen
tierung am Ziel der CO2-Freiheit die Treibhaus-     tifizieren. Hier wirken sich Effizienzmaßnahmen    Mehrinvestitionen aber werden im Jahr 2058
gasemissionen unter die von den EU-Umwelt-          besonders stark aus. In München könnten vor        jährliche Energiekosteneinsparungen zwischen
ministern geforderte Zielmarke zu drücken.          allem Einsparungen in den Bereichen Wärme          1,6 Milliarden und 2,6 Milliarden Euro gegen-
Dieses Ziel basiert auf dem Weltklimabericht des    und Strom zur CO2-Ersparnis beitragen. Dazu        überstehen. Pro Kopf wären das jährliche Ein-
Intergovernmental Panel on Climate Change           gehören Maßnahmen wie die Wärmedämmung             sparungen zwischen 1.200 und 2.000 Euro. Ins-
(IPCC). Im Detail erwartet das Szenario „Ziel“,     nach Passivhausstandard, der Einsatz effizienter   gesamt würden sich die Energieeinsparungen
dass die Emissionen bis zur Jahrhundertmitte        Kraft-Wärme-Kopplung, sparsamer Elektrogerä-       über den Zeitraum von 50 Jahren auf mehr als
durch flächendeckende und konsequente Effi-         te und Beleuchtungssysteme sowie die rege-         30 Milliarden Euro belaufen.
zienzmaßnahmen um etwa 90 Prozent auf nur           nerative und CO2-arme Energieerzeugung. Der
noch 750 Kilogramm pro Einwohner und Jahr           Strom etwa wird in einem geringeren Maße als          Um die ambitionierten CO2-Reduktions-
verringert werden – und das, obwohl die Münch-      heute in zentralen Großkraftwerken produziert,     ziele zu erreichen, müssen die Bürger ihr
ner Bevölkerung entgegen dem bundesweiten           sondern verstärkt dezentral erzeugt und gespei-    Verhalten nicht grundsätzlich ändern.
Trend in den kommenden Jahren weiter wach-          chert, beispielsweise in Blockheizkraftwerken      Allerdings müssen sie unterstützt und
sen wird. Für 2008 liegt die Prognose für den       oder im eigenen Haus mit Mikro-Kraft-Wärme-        ermutigt werden, noch konsequenter in
CO2-Ausstoß pro Münchner noch bei 6,5 Tonnen.       Kopplungs-Anlagen. Auch die Verkehrsvermei-        umweltfreundliche und meist auch wirt-
Was die Verringerung des motorisierten Indivi-      dung und -verlagerung sowie technische Ver-        schaftliche Technik zu investieren und
dualverkehrs und die sinkende Stromnachfrage        besserungen der Fahrzeugeffizienz tragen wesent-   stärker umweltfreundliche Verkehrsmittel
betrifft, sind die Erwartungen des Szenarios        lich zu einem niedrigeren Emissionsniveau bei.     zu benutzen.
„Brücke“ nicht ganz so groß. Zudem setzt dieses
Szenario einen stärkeren Fokus auf die noch zu         Die anfänglichen Investitionen in                  Die Einflussmöglichkeiten der Stadt auf die
entwickelnde Technologie der CO2-Abscheidung        effiziente, energiesparende Technik sind           CO2-Ziele durch eigene Investitionen sind be-
und -Lagerung (CCS). Im Szenario „Brücke“ ver-      meist hoch, zahlen sich jedoch in der Regel        grenzt. Energieeffizienz in öffentlichen Gebäu-
ringern sich die Emissionen aber dennoch um         durch Energieeinsparungen über den                 den oder der Ausbau des öffentlichen Nah-
insgesamt 80 Prozent auf rund 1,3 Tonnen pro        Produktlebenszyklus aus.                           verkehrs sind wichtige Schritte. Ein Großteil der
Einwohner und liegen damit ebenfalls unter den                                                         Investitionen muss aber von den Bürgern und
angestrebten 2 Tonnen CO2-Äquivalent pro Per-          Die Wirtschaftlichkeit vieler Effizienzmaß-     Unternehmen der Stadt aufgebracht werden,
son und Jahr.                                       nahmen lässt sich eindrucksvoll an diversen Bei-   um anspruchsvolle Reduktionsziele zu errei-
                                                    spielen zeigen. So müssten beispielsweise in       chen. Doch bislang verhindern die oft hohen
   Die größten Hebel zur Minderung der              München bis zur Mitte des Jahrhunderts für die     Anfangsinvestitionen in effiziente Technologien,
Emissionen sind die Wärmedämmung der                Sanierung der Altbauten sowie die Errichtung       dass diese flächendeckend eingesetzt werden.
Gebäude, der Einsatz effizienter Kraft-             von Neubauten nach dem besonders ener-             Häufig werden mögliche Energiekosteneinspa-
Wärme-Kopplung, sparsamer Elektro-                  giesparenden Passivhausstandard 13 Milliarden      rungen nicht berücksichtigt und damit nicht die
geräte und Beleuchtungssysteme sowie                Euro mehr aufgebracht werden als nach der der-     Kosten über die gesamte Produktlebenszeit zu-
die regenerative und CO2-arme Energie-              zeit gültigen Energieeinsparverordnung von         grunde gelegt. Die Erfahrungen zeigen aber
erzeugung.                                          2007. Heruntergerechnet auf alle Münchner          deutlich, dass sich das Verhalten der Bürger

6    Sustainable Urban Infrastructure                                                                                München – Wege in eine CO2-freie Zukunft
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durch entsprechende Finanzierungs- und Ver-                                                  reduziert werden. Entsprechende                   bäude, führt aber in einem 40-Jahres-Zeitraum
gütungsstrategien oder durch gezielte Aufklä-                                                Passivhauskonzepte lassen sich bereits            dank des reduzierten Energieaufwands zu jähr-
rungskampagnen in die entsprechende Rich-                                                    heute wirtschaftlich realisieren.                 lichen Kosteneinsparungen. Die Mehrinvestition
tung lenken lässt. Energieeffizienz wird vor                                                                                                   in ein Passivhaus ist also attraktiv. Wie sich zeigt,
allem dann interessant, wenn sie sich lohnt.                                                    Die für den Bau besonders energieeffizienter   rechnet sich der Passivhausstandard nicht nur
Eine wichtige Aufgabe der öffentlichen Hand                                                  Passivhäuser erforderlichen Technologien wie      im Neubau, sondern auch bei einer Sanierung
wie auch der privaten Anbieter besteht daher                                                 etwa Dämmungen, Dreifachverglasung oder Lüf-      von Gebäuden. Allerdings kann ein Bauherr
darin, die Vorzüge und den finanziellen Gewinn                                               tungsanlagen mit Wärmerückgewinnung sind          dadurch abgeschreckt werden, dass die einge-
der Energieeffizienz-Technologien künftig noch                                               heute im Markt etabliert und vielfach erprobt.    sparten Energiekosten anfangs geringer sein
transparenter zu machen und bestehende                                                       Der Wärmebedarf eines solchen Gebäudes ist        mögen als die finanzielle Mehrbelastung durch
Hemmnisse zu beseitigen.                                                                     rund fünfmal geringer als der eines Durch-        einen entsprechenden Kredit.
                                                                                             schnittshauses. Ein Passivhaus ist meist nicht
  Durch eine umfassende Dämmung kann                                                         einmal zehn Prozent teurer als ein nach der          Der wirtschaftliche Ausbau energie-
der Wärmebedarf in Gebäuden drastisch                                                        Energieeinsparverordnung 2007 errichtetes Ge-     effizienter Fernwärmenetze mit Kraft-

  CO2-Emissionen                                                                                 CO2-Emissionen nach Bereichen
  pro Kopf
                                                                                                  tsd. t CO2 p.a.
  kg CO2/Kopf p.a.                                                                                8.000                                        Personenverkehr
                                                                                                                                               Wirtschaftsverkehr
  7.000
                                                                                                  7.000                                        Stromerzeugung & Wäme aus KWK (Kohle)

  6.000                                                                                                                                        Stromerzeugung & Wäme aus KWK (Erdgas)
                                                                                                  6.000                                        Wärme aus KWK (Erdgas)
  5.000                                                                                                              -87 %      -79 %          Strom aus KWK (Erdgas)
                                                                                                  5.000                                        Stromerzeugung (Kohle mit CCS)
                         -89 %         -80 %
  4.000                                                                                                                                        Wärmeerzeugung direkt (Heizöl)
                                                                                                  4.000                                        Wärmeerzeugung direkt (Erdgas)
                                                                                                                                                                                                               Quelle: Abschätzung Wuppertal Institut 2008

            6.549
                                               Quelle: Abschätzung Wuppertal Institut 2008

  3.000
                                                                                                  3.000
  2.000
                          750                                                                     2.000
  1.000
                                      1.300
                                                                                                  1.000
      0
          Referenz         Ziel       Brücke
                                                                                                     0
           (2008)        (2058)       (2058)
                                                                                                          Referenz     Ziel    Brücke
                                                                                                           (2008)    (2058)    (2058)

München – Wege in eine CO2-freie Zukunft                                                                                                                                Sustainable Urban Infrastructure   7
Sustainable Urban Infrastructure - Ausgabe München - Wege in eine CO2-freie Zukunft
Wege in eine CO2-freie Zukunft – die Kernergebnisse

Wärme-Kopplung wird durch den gerin-                                        sinkt der Absatz, andererseits aber soll das Netz          Bei konsequenter Nutzung aller Ein-
geren Wärmebedarf erschwert. Deshalb                                        zu erheblichen Kosten ausgebaut werden, um              sparmöglichkeiten kann der Strombedarf
müssen neue Technologien wie beispiels-                                     mehr Bürger mit der energieeffizient gewonnen           größtenteils aus regenerativen und CO2-
weise Niedertemperatur-Konzepte konse-                                      Fernwärme aus Kraft-Wärme-Kopplung zu ver-              armen Quellen gedeckt werden. Aller-
quent weiterentwickelt werden, um die                                       sorgen. Dieses Dilemma kann mit neuen Tech-             dings kann dies nicht in den Städten allein
Rentabilität zu verbessern.                                                 nologien wie etwa dem Konzept des Niedertem-            erfolgen. Der Transport von klimaneu-
                                                                            peraturnetzes gelöst werden, das wesentlich             traler Energie über weite Strecken muss
   Die zunehmende Dämmung der Gebäude                                       geringere Betriebstemperaturen benötigt. In             durch hocheffiziente, transnationale
wird innerhalb von 50 Jahren zu einer drasti-                               einem solchen Netz ließe sich sogar zusätzliche         Netze gewährleistet werden.
schen Abnahme des Raumwärmebedarfs von                                      industrielle Abwärme nutzen. Auch kostengüns-
rund 80 Prozent führen. Damit ließe sich ein                                tigere Leitungs- und Anschlusstechnologien                 Wenn alle Einsparmöglichkeiten konsequent
Fernwärmenetz heutiger Bauart nur noch                                      können die Kosten des Fernwärmenetzes mit-              genutzt werden, kann der Strombedarf einer
schwer wirtschaftlich betreiben. Denn einerseits                            samt neuer Hausanschlüsse weiter verringern.            Metropole wie München bis zur Mitte des Jahr-

    CO2-Emissionsminderung – Szenario Ziel                                                                                                                A
                                                                                                                                                              Wärmemehrbedarf durch
                                                                                                                                                              Bevölkerungswachstum
                                                                                                                                                              Wärmedämmung und
                                                                                                                                                          B
    tsd. t CO2                                                                                                                                                Heizungseffizienz
                         A       B            C          D              E         F          G    H        I       J           K       L                      Regenerative Energien im
                                                                                                                                                          C
                                                                                                                                                              Wärmebereich
                        +279
                                                                                                                                                              Effizienz durch KWK im
                                                                                                                                                          D
    8.000                                                                                                                                                     Wärmebereich
                                                                                                                                                              Mehrverkehr durch
                                                                                                                                                          E
                                                                                                                                                              Bevölkerungswachstum
    7.000                      -3.248
                                                                                                                                                              Verkehrsvermeidung und
                                                                                                                                                          F
                                                                                                                                                              -verlagerung auf den Umweltbund
    6.000       3.719                                                                                                                         - 88%
                                                                                                                                                              Fahrzeugeffizienz und
                                             -300                                                                                                         G
                                                        -45          +67         -458                                                                         -elektrifizierung
    5.000
                                                                                           -397
                                                                                                         +165     -524                                    H   Biokraftstoffe
                                                                                                  -4
    4.000       1.005                                                                                                      -1.556
                                                                                                                                              406             Strommehrverbrauch durch
                                                                                                                                                          I
                                                                                                                                                              Bevölkerungswachstum
                 229                 Wärme
    3.000                                                                                                                                     330             Stromerzeugung aus KWK
                                     Kraftstoffe (Personenverkehr)                                                                                        J
                                                                                                                                     -1.145                   (inkl. regenerative KWK)
                                                                                                                                              111
                                                                                                                                                                                                  Quelle: Wuppertal Institut 2008

                                     Kraftstoffe (Wirtschaftsverkehr)                                                                                         Zusätzliche regenerative
    2.000                                                                                                                                                 K
                3.220                Stromerzeugung                                                                                                           Stromerzeugung
                                                                                                                                              160
                                                                                                                                                              Stromeinsparungen durch
    1.000                                                                                                                                                 L
                                                                                                                                                              Effizienzmaßnahmen

        0
            Referenz                  Wärme                                        Kraftstoffe                         Strom                    Ziel
             (2008)                                                                                                                           (2058)

8    Sustainable Urban Infrastructure                                                                                                                  München – Wege in eine CO2-freie Zukunft
Sustainable Urban Infrastructure - Ausgabe München - Wege in eine CO2-freie Zukunft
hunderts zu einem großen Teil aus regene-                                weise der Aufbau eines leistungsfähigen trans-          trofahrzeugen bewältigen. Dank einer
rativen Quellen gedeckt werden. Die Stadt wird                           nationalen Hochspannungsgleichstrom-Über-               entsprechenden Infrastruktur lassen sich
weiter einen Teil ihres Strombedarfs von außen                           tragungsnetzes (HGÜ), das Strom weitgehend              Elektrofahrzeuge auch als Stromspeicher
aus größeren Kraftwerken in der Region, in                               verlustfrei über Distanzen von mehreren Tausend         nutzen.
Deutschland und auch im Ausland beziehen.                                Kilometern transportieren kann. Diese Technik
Dieser Strom könnte vor allem in großen Off-                             ist bereits heute verfügbar und etabliert.                 Der innerstädtische Verkehr der Stadt Mün-
und On-shore-Windparks in Nordeuropa oder in                                                                                     chen könnte in 50 Jahren mehr noch als heute
solarthermischen Kraftwerken in Südeuropa                                  Der motorisierte Individualverkehr                    zu Fuß sowie mit Fahrrad, Bus und Bahn
oder Nordafrika produziert werden. Ein Teil des                          kann durch kompakte Siedlungsstrukturen                 erfolgen. Persönlich angepasste Informations-
Stroms ließe sich auch in CO2-armen Kohlekraft-                          und durch einen teilweisen Umstieg auf                  dienstleistungen, die den Verkehrsteilnehmern
werken mit CO2-Abscheidung und Lagerung ge-                              Fahrrad, Bus und Bahn reduziert werden.                 über mobile Endgeräte übermittelt werden, ver-
winnen. Voraussetzung für die Anbindung der                              Zudem lässt sich der innerstädtische Ver-               einfachen die Nutzung von Bus und Bahn sowie
weit entfernten Stromerzeuger ist beispiels-                             kehr in Zukunft fast vollständig mit Elek-              die Kombination mehrerer Verkehrsmittel. Ver-

  CO2-Emissionsminderung – Szenario Brücke                                                                                                         A
                                                                                                                                                        Wärmemehrbedarf durch
                                                                                                                                                        Bevölkerungswachstum
                                                                                                                                                        Wärmedämmung und
                                                                                                                                                   B
  tsd. t CO2                                                                                                                                            Heizungseffizienz
                       A      B            C          D              E         F         G    H       I       J             K       L                   Regenerative Energien im
                                                                                                                                                   C
                                                                                                                                                        Wärmebereich
                      +279
                                                                                                                                                        Effizienz durch KWK im
                                                                                                                                                   D
  8.000                                                                                                                                                 Wärmebereich
                                                                                                                                                        Mehrverkehr durch
                                                                                                                                                   E
                                                                                                                                                        Bevölkerungswachstum
  7.000                      -3.248
                                                                                                                                          - 79%         Verkehrsvermeidung
                                                                                                                                                   F
                                                                                                                                                        (Wirtschaftsverkehr)
  6.000       3.719
                                          -300                                                                                                          Fahrzeugeffizienz und
                                                                                                                                                   G
                                                     -45          +67         -13      -494                                                             -elektrifizierung
  5.000                                                                                              +165    -524
                                                                                              -4
                                                                                                                        -1.556            406      H    Biokraftstoffe
  4.000       1.005
                                                                                                                                          621           Strommehrverbrauch durch
                                                                                                                                                   I
                                                                                                                                                        Bevölkerungswachstum
               229                Wärme
  3.000                                                                                                                            -760   169           Stromerzeugung aus KWK
                                  Kraftstoffe (Personenverkehr)                                                                                    J
                                                                                                                                                        (inkl. regenerative KWK)
                                                                                                                                                                                              Quelle: Wuppertal Institut 2008

                                  Kraftstoffe (Wirtschaftsverkehr)                                                                        545
  2.000                                                                                                                                                 Zusätzliche regenerative
                                                                                                                                                   K
              3.220               Stromerzeugung                                                                                                        Stromerzeugung

  1.000                                                                                                                                            L    Fossile Stromerzeugung mit CCS

      0
          Referenz                 Wärme                                       Kraftstoffe                          Strom                 Brücke
           (2008)                                                                                                                         (2058)

München – Wege in eine CO2-freie Zukunft                                                                                                               Sustainable Urban Infrastructure   9
Sustainable Urban Infrastructure - Ausgabe München - Wege in eine CO2-freie Zukunft
Wege in eine CO2-freie Zukunft – die Kernergebnisse

                                                                                                        kehrsleitsysteme sorgen im Liefer- und Perso-
       Was bedeutet CO2-Freiheit?                                                                       nenverkehr für eine umwelt- und kostenopti-
                                                                                                        male Routenplanung. Der innerstädtische Auto-
                                                                                                        mobilverkehr könnte überwiegend mit Elektro-
                                                                                                        fahrzeugen bewältigt werden. Der Großteil des
       Nach der Veröffentlichung des 4. Weltklimaberichts des IPCC 2007 (Intergovernmental Panel        dafür erforderlichen Stroms würde aus regene-
       on Climate Change) haben die Umweltminister der EU im Jahr 2008 genauer definiert, was die       rativer Erzeugung stammen und aus dem öffent-
       Konsequenz zu sein hat: Bis zum Jahr 2050 müssen die weltweiten Treibhausgasemissionen           lichen Netz bezogen. Damit eröffnet sich die Mög-
       um „mehr als 50 Prozent gegenüber dem Stand von 1990“ reduziert werden. Dies entspricht          lichkeit, Fahrzeuge als integralen Bestandteil
       einem weltweiten Ausstoß von circa 18 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent oder 2 Tonnen             des Stromversorgungsnetzes zu nutzen. Elek-
       CO2-Äquivalent pro Kopf bei einer angenommenen Weltbevölkerung von rund 9 Milliarden             trofahrzeuge könnten künftig als Stromspeicher
       Menschen im Jahr 2050. Für die Industrieländer folgt daraus, dass sie ihre Emissionen bis 2050   und Lastmanagementsystem für den Ausgleich
       um 80 bis 95 Prozent gegenüber 1990 verringern müssen. Diesen Herausforderungen stellt           von Fluktuationen fungieren, die durch den ver-
       sich das dieser Studie zugrunde liegende Konzept der weitgehenden CO2-Freiheit: So soll das      stärkten Einsatz erneuerbarer Stromquellen wie
       Wirtschafts-, Energie- und Verkehrssystem Münchens, das heute – wie fast überall weltweit –      Photovoltaik und Windstrom entstehen. So
       weitgehend auf der Verbrennung kohlenstoffhaltiger Energieträger beruht, innerhalb der           könnte der Elektrofuhrpark Strom zu Spitzen-
       nächsten 50 Jahre deutlich effizienter werden. Die dann noch benötigten Energiemengen            lastzeiten ins Netz einspeisen, wenn der Strom
       sollen zu einem großen Teil erneuerbar, also CO2-frei beziehungsweise CO2-arm, erzeugt           besonders teuer ist, sodass sich die Mehrkosten
       werden. Der Begriff der CO2-Freiheit bezieht sich vor allem auf die Versorgung der Bevölkerung   für eine teure Batterie schneller amortisieren.
       mit Strom und Wärme sowie die Verkehrsinfrastruktur. Einige wichtige Wege und Technologien
       zur CO2-Freiheit werden in dieser Studie aufgezeigt. Für die Stromversorgung heißt das keines-      Schon über einen Zeitraum von
       wegs, dass jede aus regenerativen Energien erzeugte Kilowattstunde Strom tatsächlich aus         30 Jahren lassen sich einzelne CO2-arme
       München stammen wird. Vielmehr ist davon auszugehen, dass München bilanziell einen Teil          Stadtteile verwirklichen. Dabei decken die
       des regenerativ erzeugten elektrischen Stroms von außen beziehen wird. In der Analyse            eingesparten Kosten bei der Wärmever-
       wurden allerdings nicht alle Treibhausgasemissionen berücksichtigt, sondern nur energiebe-       sorgung langfristig die Kosten der
       dingtes CO2, auf das in Industrieländern etwa 80 Prozent und weltweit circa 60 Prozent der       energetischen Optimierung.
       Treibhausgasemissionen entfallen. Die hier gewählte Abgrenzung umfasst damit alle direkten
       CO2-Emissionen aus Heizungsanlagen und Kraftwerken auf dem Stadtgebiet, die CO2-Emis-               Wie die Wirtschaftlichkeitsanalysen für den
       sionen des von außen bezogenen Stroms sowie die Verkehrsemissionen der Münchner inner-           Musterstadtteil zeigen, rechnet sich die um-
       halb und außerhalb der Stadtgrenzen. Nicht betrachtet wurden der Luftverkehr sowie die mit       fassende energetische Optimierung eines be-
       den durch Leben und Wirtschaften in München verbundenen Waren- und Güterströme                   stehenden Stadtteils sowie eines Neubaugebiets
       anderswo verursachten Emissionen. Verhaltensänderungen der Verbraucher wurden nur                bereits innerhalb von 30 Jahren, selbst wenn die
       insofern berücksichtigt, als sie mit der Einführung neuer Technologien oder notwendigen          Mehrkosten beträchtlich sind. Für den Mus-
       Investitionsentscheidungen einhergehen. Nicht mit einbezogen wurden zudem CO2-Kom-               terstadtteil mit künftig etwa 27.000 Einwoh-
       pensationsmöglichkeiten wie etwa Aufforstung.                                                    nern nimmt diese Studie an, dass der Passiv-
                                                                                                        hausstandard umgesetzt und ein Fernwärmenetz
                                                                                                        ausgebaut wird, das seine Wärme aus Tiefen-

10   Sustainable Urban Infrastructure                                                                                 München – Wege in eine CO2-freie Zukunft
CO2-freie Zukunft –
                                                     die Herausforderungen
                                                     aus Expertensicht

geothermie bezieht. Die Mehrkosten der Sanie-
rung und Neubauten gegenüber dem Standard
der Energieeinsparverordnung 2007 sowie der
                                                     D    ie Verbesserung der Energieeffizienz
                                                          und die Entwicklung energiesparender
                                                     Technologien sind fundamental wichtige
                                                                                                       hofer, der zum Vorstand des Weltklimarats
                                                                                                       IPCC zählt, sieht „keinen Grund, warum Wirt-
                                                                                                       schaften nur wachsen könnten, wenn sie
geothermischen Fernwärmeversorgung wür-              Werkzeuge, um den weltweit wachsenden             mehr Energie verbrauchen. In den letzten
den sich auf 177 Millionen Euro belaufen, wären      CO2-Ausstoß zu drosseln und die Menschheit        150 Jahren ist die Arbeitsproduktivität stär-
aber durch die Energiekosteneinsparung mehr          vor den Folgen des Klimawandels zu bewah-         ker gestiegen als die Energieproduktivität.
als gedeckt. Es zeigt sich, dass die Investitionen   ren. „Energieeffizienz ist heute ein weit ver-    Diese Relation müssen wir nun eben um-
in die CO2-freie Wärmeversorgung nicht nur sig-      breiteter Planungsparameter und in der Fach-      drehen“. Edenhofer dringt jedoch darauf, Kli-
nifikante Emissionsminderungen bewirken, son-        welt nicht mehr strittig – sie ist Common         maschutzmaßnahmen so schnell wie mög-
dern – über die Lebensdauer der Anlagen ge-          Sense“, sagt Konrad Otto-Zimmermann, Ge-          lich umzusetzen, denn die Menschheit könne
rechnet – auch zu jährlichen Kostenentlastun-        neralsekretär von ICLEI - Local Governments       sich keine Katastrophe leisten.
gen führen könnten.                                  for Sustainability.                                   Zu den wirksamen Maßnahmen gehören
                                                         In Fortschrittstechniken zu investieren sei   für ihn neben der allgemeinen Verbesserung
   Die konsequente Orientierung am Ziel              hingegen noch keineswegs selbstverständ-          der Energieeffizienz auch die Abscheidung
der CO2-Freiheit eröffnet den Städten große          lich: „Ich glaube, dass letztlich die Verknap-    und Speicherung von CO2. Und auch eine fi-
Chancen. Durch einen grundlegenden                   pung der natürlichen Ressourcen weltweit          nanzielle Förderung der erneuerbaren Ener-
Umbau der Gebäude- und Energiestruktu-               ein Energiesparen erzwingen wird.“ Es steht       gien ist für ihn ein wichtiges Mittel, um die
ren können Energiekosten vermieden und               außer Frage, dass der Klimaschutz vor allem       Menschheit auf einen CO2-freien Pfad zu
ökonomische Impulse gesetzt werden.                  in den Städten beginnen muss. In der Tat, sagt    bringen. „Wir sehen, dass mit der zunehmen-
Zudem wird ein Beitrag dazu geleistet, die           der Nachhaltigkeits-Experte, haben Kommu-         den installierten Kapazität der erneuerbaren
Städte dauerhaft lebenswert zu erhalten.             nen weltweit damit begonnen, ihre Hausauf-        Energien die Kosten pro Kilowattstunde ziem-
                                                     gaben zu machen: „In vielen Ländern sind es       lich stark sinken.“ Unter dieser Vorausset-
    Mit den hier vorgelegten Analysen zeigt die-     die Städte, die im Klimaschutz erfolgreich        zung, sei eine Förderung durchaus gerecht-
se Studie erstmals umfassend Wege auf, wie           vorangehen, während manche Nationalre-            fertigt – „wenn sie intelligent ist.“ Konrad
sich eine Metropole wie München in 50 Jahren         gierung noch befürchtet, dass der Klimasch-       Otto-Zimmermann baut darauf, dass sich
zu einer annähernd CO2-freien Stadt entwickeln       utz die heimische Wirtschaft gefährdet.“          auch die Bürger künftig stärker für das Ziel
könnte. Die Studie verdeutlicht, dass Klima-             Tatsächlich gibt es aus wirtschaftlicher      Energieeffizienz einsetzen werden. „Bürger
schutz schon heute im großen Stil machbar und        Sicht keinen Grund, den Klimaschutz auf die       reagieren in der Regel vernünftig auf ver-
durchaus wirtschaftlich ist. Darüber hinaus zeigt    lange Bank zu schieben, meint auch Ottmar         nünftige Anliegen. Sie machen mit, wenn
sie, dass die konsequente Orientierung am Ziel       Edenhofer, Chefökonom des Potsdam-Insti-          alle mitmachen. Bürger müssen wissen, was
der CO2-Freiheit zu einem vollständigen Umbau        tuts für Klimafolgenforschung (PIK): „Klima-      gewollt sein soll‘ “. Und was das ist, steht für
der Gebäude und Infrastrukturen einer Groß-          schutz und Wirtschaftswachstum sind mit-          Otto-Zimmermann außer Frage: „Nur wenn
stadt führen kann, der der Metropole, ihren Un-      einander absolut vereinbar.“ Voraussetzung        wir mit dem leben, was uns die Natur gibt,
ternehmen, Bürgern und Forschungseinrichtun-         dafür sei allerdings die Entkopplung von          ohne dass wir sie zerstören, haben wir eine
gen wertvolle Startvorteile bieten kann. Denn        Wirtschaftswachstum und Emissionen. Eden-         Zukunft.“
die Umstellung auf eine CO2-arme Gesellschaft
steht weltweit bevor.

München – Wege in eine CO2-freie Zukunft                                                                                  Sustainable Urban Infrastructure   11
Zwei Wege in die Zukunft – die Szenarien „Ziel“ und „Brücke“

                                        D   ie Devise „Global denken, lokal handeln“ ist
                                            inzwischen viele Jahre alt, hat aber nichts
                                        an Aktualität eingebüßt. Klimaschutz muss vor
                                                                                            dabei, dass die Vision CO2-Freiheit im hier
                                                                                            betrachteten 50-Jahres-Zeitraum tatsächlich
                                                                                            annähernd erreicht wird. Demgegenüber ist das
                                        Ort beginnen, und das gilt in besonderem Maße       Szenario „Brücke“ vor allem in Bezug auf das Ver-
                                        für die Städte. Diese Studie zeigt anhand von       halten der Bürger etwas weniger optimistisch –
                                        zwei Szenarien, dass die 2008 aufgestellte          insbesondere was den Verkehrsbereich und die
                                        globale Forderung der EU-Umweltminister, die        Stromnachfrage betrifft. Der höhere Strombe-
                                        CO2-Emissionen in den Industrieländern bis          darf wird noch über fossile Energieträger ge-
                                        2050 um mindestens 80 Prozent gegenüber             deckt. Allerdings erwartet das Szenario „Brücke“,
                                        1990 zu verringern, für Städte anspruchsvoll,       dass die Stromerzeugung aus Kohle künftig
                                        aber durchaus erreichbar ist. Das erste Szenario,   dank Kohlenstoffabscheidung und -lagerung
                                        das Szenario „Ziel“, ist sehr konsequent und        (CCS - Carbon Capture and Storage) deutlich
                                        erwartet hohe Effizienzgewinne und CO2-Ein-         weniger Emissionen verursacht. Auch mit den
                                        sparungen. Der Begriff „Ziel“ versinnbildlicht      im Szenario „Brücke“ aufgeführten Handlungs-

12   Sustainable Urban Infrastructure                                                                     München – Wege in eine CO2-freie Zukunft
2.0                                        Zwei Wege in die Zukunft –
                                           die Szenarien „Ziel“ und „Brücke“

optionen ließe sich bis Mitte des Jahrhunderts    Strom- und Verkehrsbereich an die durch Effi-      werken mit Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), von
die Pro-Kopf-Emission der Münchner auf etwa       zienzgewinne verringerte Nachfrage.                Elektrofahrzeugen oder von intelligenter Ver-
1,3 Tonne Kohlendioxid jährlich reduzieren, was      Weitgehender Umstieg auf erneuerbare und        kehrsleittechnik und Gebäudesteuerung sowie
ebenfalls unter den geforderten 2 Tonnen liegt.   CO2-arme Energien.                                 von Passivhauskonzepten. Die Studie berück-
Der Terminus „Brücke“ beschreibt, dass sich die      Kein Autarkie-Anspruch – die Stadt München      sichtigt auch Verhaltensänderungen der Ver-
Stadt München Mitte des Jahrhunderts noch         importiert Energie zum Teil von außen, berück-     braucher, soweit sie mit der Einführung neuer
immer auf dem Weg zur CO2-Freiheit befindet.      sichtigt dabei aber, dass diese Energie weitest-   Technologien oder notwendigen Investitions-
Die Leitlinien, mit denen der CO2-Ausstoß         gehend klimaneutral erzeugt wird.                  entscheidungen einhergehen. Inwieweit die
nennenswert reduziert werden soll, sind indes        Natürlich können die Szenarien nicht jede       Emissionen sonst noch durch Verhaltensände-
für beide Szenarien dieselben:                    denkbare Effizienz- beziehungsweise Emissions-     rungen beeinflusst werden könnten oder
    Hocheffiziente Energieanwendungen – bei       minderungsmaßnahme berücksichtigen. Den-           müssten, wird dagegen nicht untersucht.
gleichem Komfort und Nutzen wird weniger          noch betrachten sie die wesentlichen technolo-        Konkret sieht das Szenario „Ziel“ eine gegen-
Energie verbraucht.                               gischen Hebel – beispielsweise den Einsatz von     über heute deutlich niedrigere Stromnachfrage
    Anpassung der Infrastruktur im Wärme-,        regenerativen Energien, von effizienten Kraft-     vor, weil effizientere Geräte und Technologien,

München – Wege in eine CO2-freie Zukunft                                                                               Sustainable Urban Infrastructure   13
Zwei Wege in die Zukunft – die Szenarien „Ziel“ und „Brücke“

intelligente Gebäudesteuerungen und sparsa-
me Beleuchtungssysteme zum Einsatz kommen.                                                        Energiebedarf München 2008
Die Stromnachfrage soll dabei zum großen Teil
durch dezentrale und regenerative Anlagen                                                           Energiebedingte          Primärenergie-
gedeckt werden.                                                                                     CO2-Emissionen               einsatz
                                                                                                     8,2 Mio t CO2              40,4 TWh
    Für den Verkehrssektor wird angenommen,                                                             pro Jahr                 pro Jahr
dass sich durch verkehrsvermeidende Maß-                                                                                                             Verluste bei Energieerzeugung
                                                                                                                                                     und -übertragung sowie Eigen-
nahmen zum einen die zurückgelegten Wege                                                                Aus Kohle
                                                                                                                                  Kohle
                                                                                                                                                     bedarf im Energiesektor:
                                                                                                                                 7,4 TWh

                                                                                                                                                                                                                              Quelle: Stadt München 2008; Stadtwerke München; Abschätzung Wuppertal Institut 2008
verkürzen. Zum anderen könnte der Umstieg                                                                2,4 Mio t                                   11,4 TWh = 30%

vom motorisierten Individualverkehr (MIV) auf
                                                                                                                                                     Endenergiebedarf: 29,0 TWh pro Jahr
den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV)
sowie auf Fahrrad- und Fußverkehr erleichtert                                                                                                        Industrie +
                                                                                                       Aus Erdgas                Erdgas              Gewerbe
werden. Aufgrund einer Elektro- mobilitäts-                                                                                                                                 Raum- und Prozesswärme 7,5 TWh
                                                                                                        3,2 Mio t               15,8 TWh             11,8 TWh
strategie nimmt zudem die Zahl der Elektrofahr-
zeuge deutlich zu.                                                                                                                                                                                   Strom 4,3 TWh

    Im Szenario „Brücke“ hingegen wird ange-                                                                                                         Haushalte
                                                                                                                                                     12,0 TWh
nommen, dass die Stromnachfrage pro Kopf                                                                Aus Erdöl                 Erdöl
                                                                                                                                                                                            Raumwärme 9,5 TWh
                                                                                                        2,6 Mio t                9,7 TWh
künftig etwa so groß wie heute sein wird. Das
Szenario geht davon aus, dass die durch spar-
                                                                                                                                                                                                     Strom 2,5 TWh
samere Techniken erreichten Effizienzgewinne                                                               Erneuerbare
                                                                                                                                                     Verkehr
durch die wachsende Zahl elektrischer Geräte                                                                 1,0 TWh
                                                                                                                                                     5,3 TWh
                                                                                                                                                                                               Kraftstoffe 5,0 TWh
und Anwendungen in Haushalten und im
                                                                                                           Kernenergie                                                                               Strom 0,3 TWh
Dienstleistungs- und Gewerbebereich kom-                                                                     6,5 TWh
pensiert werden. Im Verkehrsbereich bleiben die
                                                                                                                                                                                                    Werte gerundet
Wege pro Kopf auf heutigem Niveau und auch
die Anteile von MIV, ÖPNV, Fahrrad- oder Fuß-
verkehr verändern sich nicht.
    Verglichen mit dem „Ziel“-Szenario erwartet    wird, unterscheiden sich die beiden Szenarien                                          gegenüber konventionellen Technologien sind
das Szenario „Brücke“, dass der Anteil der elek-   nicht. Beide rechnen mit erheblichen Einspa-                                           und mit welchen Energiekosteneinsparungen
trisch betriebenen Fahrzeuge geringer ist. In      rungen bei der Wärmeversorgung.                                                        gerechnet werden kann. Bei einem Betrach-
diesem Szenario wird der Strom ebenfalls zu           Ob und in welchem Maße effiziente Tech-                                             tungszeitraum von 50 Jahren ist dies eine be-
einem großen Teil in Kraft-Wärme-Kopplung          nologien eingesetzt werden, hängt insbeson-                                            sondere Herausforderung. Zum einen, weil die
sowie regenerativ erzeugt. Einen weiteren Teil     dere davon ab, ob sie wirtschaftlich sind. Diese                                       technische Entwicklung dazu führen wird, dass
liefern fossil befeuerte Kraftwerke mit Kohlen-    Studie nimmt entsprechende Wirtschaftlichkeits-                                        sich die Kosten der Effizienztechnologien, der
stoffabscheidung (CCS). Bezüglich der Ener-        betrachtungen anhand von einzelnen Beispielen                                          regenerativen Technologien und der konventio-
gieeffizienz von Gebäuden, in denen heute ein      vor. Dazu wird gezeigt wie hoch die Mehr-                                              nellen Energieerzeugungstechnologien mit der
Großteil der Endenergie1 zum Heizen verbraucht     investitionen für energieeffiziente Technologien                                       Zeit verändern. Zum anderen kann die Wirt-

14   Sustainable Urban Infrastructure              1
                                                     Primärenergie ist jene Energiemenge, die zur Erzeugung von Wärme oder Strom in Form von Gas, Kohle oder Öl eingesetzt wird. Bei der Umwandlung dieser Primärenergie in
                                                   nutzbare Energieformen treten Verluste auf – etwa durch Eigenverbrauch der Energieerzeuger oder während der Übertragung. Die Energiemenge, die dem Verbraucher am Ende
                                                   zur Heizung oder zum Betreiben von elektrischen Geräten zur Verfügung steht, wird Endenergie genannt.
Energiebedarf Szenario Ziel vs. Szenario Brücke
                     Szenario Ziel (2058)                 Primärenergie-   Energiebedingte   Energiebedingte    Primärenergie-   Szenario Brücke (2058)
                                                              einsatz      CO2-Emissionen    CO2-Emissionen         einsatz
                                                             11,7 TWh       1,0 Mio t CO2     1,7 Mio t CO2        20,9 TWh
                                                              pro Jahr         pro Jahr          pro Jahr           pro Jahr

                                                                                                Aus Kohle          Kohle
                                                                                                0,4 Mio t*        7,9 TWh

                                                                                               Aus Erdgas         Erdgas
                                                                                                0,5 Mio t         2,7 TWh

                                                                                                Aus Erdöl          Erdöl
                                                                                                0,8 Mio t         3,1 TWh        Verluste bei Energieerzeugung
                                                             Erdgas          Aus Erdgas                                          und -übertragung sowie Eigen-
                                                             2,7 TWh          0,5 Mio t                                          bedarf im Energiesektor:
                         Verluste bei Energieerzeugung
                         und -übertragung sowie Eigen-                                                                           6,6 TWh = 31%
                               bedarf im Energiesektor:       Erdöl           Aus Erdöl
                                         1,3 TWh = 11%       1,7 TWh          0,5 Mio t                                          Endenergiebedarf: 14,3 TWh pro Jahr

                                                                                                                                 Industrie +       Raum- und Prozesswärme 2,3 TWh

                                                                                                                                                                                             Quelle: Abschätzung Wuppertal Institut 2008
  Endenergiebedarf: 10,4 TWh pro Jahr                                                                                            Gewerbe
   Industrie +                                                                                                                   7,3 TWh                               Strom 5,1 TWh
                     Raum- und Prozesswärme 2,3 TWh
   Gewerbe
   5,4 TWh                              Strom 3,1 TWh
                                                                                             * mittels CCS                       Haushalte 3,0 TWh                     Strom 2,1 TWh
   Haushalte 2,4 TWh                    Strom 1,3 TWh                                        abgeschiedene
                                                                                             und eingelagerte                    Verkehr 4,0 TWh                  Kraftstoffe 3,3 TWh
   Verkehr 2,6 TWh
                                                            Erneuer-                         CO2-Emissionen:      Erneuer-
                                        Strom 0,6 TWh         bare                           2,2 Mio t              bare                                              Strom 0,4 TWh
                                   Kraftstoffe 2,0 TWh      7,2 TWh                                               7,2 TWh                                        Raumwärme 1,2 TWh
                                 Raumwärme 1,2 TWh
                                                                                                                                                                      Werte gerundet

schaftlichkeit ein und derselben Effizienztech-                  wie schwierig eine langfristige Vorhersage des             im Jahr 2058 aus. Für den Strom wird eine reale
nologie sehr unterschiedlich sein, je nachdem,                   Preisniveaus für die fossilen Energieträger ist.           Steigerungsrate von 2 Prozent pro Jahr von heute
wie häufig oder wie viele Stunden pro Jahr sie                      Deshalb verwendet diese Studie für die Ent-             durchschnittlich 0,14 Euro/kWh auf dann 0,36
eingesetzt wird. Drittens ist die Wirtschaftlichkeit             wicklung der Energiepreise zwei Preispfade                 Euro/kWh angenommen. Der Niedrigpreispfad
von effizienter Technologien wie beispielsweise                  (Hochpreis- und Niedrigpreispfad), um die Spann-           hingegen erwartet einen realen Anstieg um 1,5
Energiesparbeleuchtung, Elektrofahrzeuge oder                    weite der Prognosen aufzuzeigen. Der Hoch-                 Prozent auf 0,16 Euro/kWh für Heizöl und Erdgas
Wärmedämmung unmittelbar von der Entwick-                        preispfad geht für die kommenden Jahrzehnte                sowie eine jährliche reale Steigerung der Strom-
lung der Strom-, Öl- und Gaspreise abhängig.                     von einem durchschnittlichen realen Anstieg der            kosten von 1 Prozent auf 0,23 Euro/kWh im Jahr
Gerade die enormen Ausschläge des Roh-                           Heizöl- und Erdgaskosten um 2,5 Prozent pro                2058. Als Grundlage diente das Leitszenario
ölpreises im Jahr 2008 haben deutlich gemacht,                   Jahr von heute 0,08 Euro/kWh auf 0,26 Euro/kWh             2008 des Bundesumweltministeriums.

München – Wege in eine CO2-freie Zukunft                                                                                                           Sustainable Urban Infrastructure     15
Wärmenachfrage Gebäude

2.1                                                  Wärmenachfrage Gebäude

                                                      CO2-Emissionsminderung im Wärmebereich
                                                      tsd. t CO2
                                                                          A       B               C             D
                                                      4.500                                                                      Bevölkerungszuwachs
                                                                                                                            A

                                                      4.000              +279                                                    Wärmedämmung und
                                                                                                                            B
                                                                                                                                 Heizungseffizienz

A   llein die Beheizung der Münchner Gebäude
    verursacht heute fast die Hälfte der CO2-
Emissionen der Stadt. Die energetische Sanie-
                                                      3.500

                                                      3.000
                                                                                                                            C

                                                                                                                            D
                                                                                                                                 Regenerative Energien
                                                                                                                                 (direkt & KWK)
                                                                                                                                 Effizienzsteigerung
                                                                                                                                 durch KWK
                                                      2.500
rung der Häuser kann damit erheblich dazu                                       -3.248

beitragen, die Emissionen zu reduzieren. Wie          2.000    3.719
wichtig es ist, dabei von vornherein auf eine
                                                      1.500
hochwertige Sanierung nach Passivhausstan-
dard zu setzen, wird klar, wenn man sich ver-         1.000
                                                                                                                                                                 Quelle: Wuppertal Institut 2008

                                                                                                 -300
gegenwärtigt, dass der Sanierungszyklus bei Ge-        500
                                                                                                                -45
                                                                                                                           406
bäuden etwa 50 Jahre beträgt. Ein wenig effi-
                                                         0
zienter Kühlschrank ist schnell ausgetauscht, eine
                                                              Referenz                   Emissionsminderungen           Ziel/Brücke
schlecht isolierende Gebäudehülle nicht. Heutige               (2008)                                                     (2058)
Entscheidungen bei der Sanierung wirken sich
damit bis weit in die Zukunft aus.

16   Sustainable Urban Infrastructure                                                                                 München – Wege in eine CO2-freie Zukunft
Beide Szenarien gehen von zwei wesentlichen       thermie, Photovoltaik oder auch Mini-KWK-Anla-    Es wird angenommen, dass folgende Maß-
Paradigmenwechseln aus, die bis zur Mitte des         gen. Der zweite Paradigmenwechsel betrifft die    nahmen diesen Paradigmenwechsel ein-
Jahrhunderts eine weitgehend CO2-freie Wär-           Wärme-Infrastruktur: So würde der Restwärme-      leiten:
meversorgung ermöglichen würden. Zum einen            bedarf im CO2-freien Gebäude nicht mehr direkt        Bei der Sanierung von Wohn- und Dienstleis-
ist dies die energetische Optimierung, mit der sich   durch die Verbrennung fossiler Energieträger in   tungsgebäuden wird angenommen, dass der
Gebäude von Energieverbrauchern zu Energiepro-        konventionellen Heizungsanlagen gedeckt, son-     Passivhausstandard fast flächendeckend umge-
duzenten entwickeln könnten. So wird ange-            dern überwiegend durch Nah- und Fernwärme         setzt werden kann. Damit fast alle Gebäude
nommen, dass CO2- freie Gebäude den überwie-          oder die Nutzung lokaler regenerativer Quellen    innerhalb der nächsten 50 Jahre energetisch sa-
genden Teil ihres Energiebedarfs zur Raum-            wie etwa Biomasse-betriebener Blockheizkraft-     niert werden, wird sich die Quote der energe-
erwärmung und Warmwasserbereitung selbst              werke (BHKW) oder Tiefengeothermie. In beiden     tischen Sanierungen von 0,5 Prozent auf 2,0 Pro-
decken. Möglich wird das durch die Optimierung        Szenarien „Ziel“ und „Brücke“ würde damit der     zent pro Jahr erhöhen. Dies bedeutet, dass
der Gebäudehülle, die vor allem darauf abzielt,       Energiebedarf für Raum- und Prozesswärme so-      viermal mehr Hauseigentümer als heute ihre
den Energieverbrauch deutlich zu verringern, und      wie Warmwasser in München im Jahre 2058 um        Häuser energetisch sanieren müssten. Der
durch alternative Energiequellen wie etwa Solar-      gut 80 Prozent unter dem heutigen Wert liegen.    Heizwärmebedarf der sanierten Gebäude wird

München – Wege in eine CO2-freie Zukunft                                                                                  Sustainable Urban Infrastructure   17
Wärmenachfrage Gebäude

dadurch von heute etwa 200 Kilowattstunden          her erwogen werden, wenn Fassaden ohnehin               strebt das Bundesbauministerium derzeit eine
pro Quadratmeter und Jahr (kWh/m2a) auf 25 bis      gestrichen oder Dachböden ausgebaut werden.             jährliche Quote von drei Prozent bei energeti-
35 kWh/m2a abgesenkt.                               Da das Gebäude in einem solchen Fall sowieso            schen Sanierungen an.
    Beim Neubau dürfte der Heizwärmebedarf          eingerüstet oder das Dach erneuert wird, fallen             Diese Studie nimmt an, dass bei allen ge-
noch darunterliegen, da ein großer Teil der Ge-     die Zusatzkosten für die optimale energetische          nannten Maßnahmen der beste verfügbare und
bäude sogar nach Plusenergiestandard errichtet      Sanierung geringer aus. Zudem werden die                umsetzbare Standard zum Einsatz kommt. Ins-
wird. Solche Häuser produzieren mehr Energie        Zusatzkosten durch Förderprogramme des                  gesamt sinkt der mittlere Heizwärmebedarf der
als sie verbrauchen. Der Wärmebedarf der Neu-       Bundes und der Stadt München abgefedert. Für            Münchner Wohngebäude von heute circa
bauten sinkt gegenüber dem heutigen Standard        eine Sanierung spricht weiter, dass sich die            200 kWh/m2a auf durchschnittlich 23 kWh/m2a.
von 80 bis 100 kWh/m2a auf 10 bis 20 kWh/m2a.       Investitionen durch einen höheren Komfort,              Damit läge der Heizwärmebedarf in München
Gleichzeitig werden die neuen Gebäude mit           eine bessere Vermietbarkeit oder sogar höhere           Mitte des Jahrhunderts um 80 bis 90 Prozent
Solarenergie ausgestattet, sodass die meisten       Mieten ökonomisch auszahlen können. Auch                unter dem heutigen Wert.
bilanziell ihren Restenergiebedarf abdecken         auf politischer Ebene wird die energetische                 Hinzu kommt Paradigmenwechsel 2 – die
oder sogar die Überschussenergie ins Netz ein-      Sanierung von Altbauten inzwischen forciert. So         Veränderungen der Infrastruktur bei der Bereit-
speisen können.
    Es wird weiterhin angenommen, dass diese
anspruchsvollen Standards bei den meisten Ge-
bäuden erreicht werden können – im Neubau zu             Mehrinvestitionen für energetische Sanierung
85 und im Altbau zu 80 Prozent. Lediglich ein
                                                         und Neubau im Wohnungsbereich
kleiner Rest wird diese Standards aus ver-
schiedenen Gründen nicht erreichen, beispiels-           Mio. Euro                                Energetische Mehrinvestition im Altbau                 > 30 Mrd. Euro
weise weil dem besondere Gebäudenutzungen                                                         gegenüber EnEV-2007
                                                                                                  Energetische Mehrinvestition im Neubau
(zum Beispiel Eissporthalle) oder der Denkmal-           3.000
                                                                                                  gegenüber EnEV-2007
schutz entgegenstehen.
    Heutzutage werden in Deutschland jährlich            2.500

gerade einmal 1,5 Prozent des Gebäudebe-
stands saniert. Denn so lange keine offensicht-          2.000

lichen Schäden auftreten, werden Gebäude
                                                         1.500
oder Gebäudeteile, wie etwa Fenster oder die                                                                                            Gesamt:
Heizungsanlage, häufig über ihre ursprünglich                                                                                         13 Mrd. Euro
                                                         1.000
vorgesehene Lebensdauer hinweg weiterge-
                                                                                                                                                                              Quelle: Wuppertal Institut 2008

nutzt. Es entsteht ein Sanierungsstau, der lang-
                                                          500
fristig den Wert der Bausubstanz reduziert. Ener-
getisch saniert werden heute pro Jahr sogar nur
                                                            0
etwa 0,5 Prozent der deutschen Häuser, obwohl
                                                                   2010       2020       2030           2040           2050       Mehr-Inv. auf Passiv-    Energiekosten-
damit wesentliche Einsparpotenziale verschenkt                   bis 2019   bis 2029   bis 2039       bis 2049       bis 2058       haus bis 2058       einsparung bis 2058
werden. Eine energetische Sanierung sollte da-

18   Sustainable Urban Infrastructure                                                                                           München – Wege in eine CO2-freie Zukunft
stellung der Wärmeenergie. Der drastisch ver-                                            Wärmeversorger bedeutet dies indes eine große                                                                sätzliche Investitionen nötig. Die Mehrkosten
ringerte Wärmeenergiebedarf könnte zur Mitte                                             Herausforderung, denn zukünftig würde die                                                                    gegenüber einem Standardbau nach Energie-
des Jahrhunderts zu vier Fünfteln durch Fern-                                            Zahl der Nah- und Fernwärme-Kunden und                                                                       einsparverordnung (EnEV) 2007 sind beträcht-
und Nahwärmesysteme abgedeckt werden, die                                                damit der kostspieligen Hausanschlüsse steigen.                                                              lich. Wie die folgenden Wirtschaftlichkeitsbe-
ihrerseits dank der gekoppelten Erzeugung von                                            Der Wärmebedarf pro Haushalt und somit die                                                                   rechnungen zeigen, lohnt sich der finanzielle
Strom und Wärme wesentlich effizienter sind.                                             Einnahmen hingegen erheblich schrumpfen.                                                                     Aufwand trotzdem. Denn im Laufe der Zeit über-
Der Rest, der noch dezentral in den Gebäuden                                             Mögliche Lösungsansätze stellt diese Unter-                                                                  steigen die Einsparungen aufgrund der erheb-
erzeugt wird, könnte überwiegend aus rege-                                               suchung im Kapitel „Wärmebereitstellung“ vor.                                                                lich reduzierten Ausgaben für Erdgas und Erdöl
nerativen Energien wie etwa Solarthermie stam-                                                                                                                                                        die anfänglichen Investitionen bei Weitem.
men. Die entsprechenden CO2-Emissionen wür-                                              Wirtschaftlichkeitsbetrachtung: Die Däm-                                                                     Nach den weiter unten im Detail dargestellten
den durch beide Strategien auf knapp etwa                                                mung von Gebäuden und eine Wärmesanierung                                                                    Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen müssten die
400.000 Tonnen beziehungsweise rund 300 Kilo-                                            nach Passivhausstandard gibt es freilich nicht                                                               Stadt sowie die Bürger Münchens bis Mitte des
gramm pro Kopf und Jahr, also auf etwa ein                                               zum Nulltarif. Und auch für den Neubau von                                                                   Jahrhunderts für die energetische Sanierung der
Zehntel des heutigen Wertes sinken! Für die                                              Passiv- oder gar Plusenergiehäusern sind zu-                                                                 Gebäude nach Passivhausstandard sowie für
                                                                                                                                                                                                      den Neubau von Passiv- und Plusenergiehäu-
                                                                                                                                                                                                      sern gegenüber der Trendentwicklung insge-
                                                                                                                                                                                                      samt rund 13 Milliarden Euro mehr als bei einer
   Wirtschaftlichkeit Neubau Passivhaus                                                                                                                                                               Sanierung nach EnEV-2007 aufbringen, um die
                                                                                                                                                                                                      Stadt auf einen CO2-freien Pfad zu bringen.
   (Mehrkosten 8% gegenüber EnEV-2007)
                                                                                                                                                                                                      Heruntergerechnet auf alle Münchner Bürger
   Euro/m2 p.a.                                                                                                                                                                                       wären das 200 Euro pro Jahr. Durch diese Mehr-
   12
                                                                                                                                                                                                      investitionen können im Jahr 2058 rund 10 Mil-
                                                                                    Durchschnittliche jährliche                                                                                       liarden kWh Endenergie eingespart werden. Bei
                                                                                    Energiekosteneinsparung
   10                                                                                     über 40 Jahre                                                                                               den für das Jahr 2058 angenommenen Endver-
                                                                                                                                                                                                      braucherpreisen für Wärme von 16 Cent/kWh im
     8                                        Energiekosten-
                                               einsparung                                                                                                                                             Niedrigpreispfad oder 26 Cent/kWh im Hoch-
                                             im Ausgangsjahr
     6                                                                                                                                                                                                preispfad beträgt die jährliche Kosteneinspa-
                                                                                                                                                                                                      rung bei der Endenergie dann im Gebäudebe-
     4                                                                                                                                                                                                reich rund 1,6 Milliarden Euro beziehungsweise
     2
                                                                                                                                                                                                      2,6 Milliarden Euro. Pro Kopf wären das Ein-
                                                                                                                                                                                                      sparungen von etwa 1.200 beziehungsweise
     0                                                                                                                                                                                                2.000 Euro. Insgesamt würden sich die Energie-
                                                                                                                                                                         Quelle: Wuppertal Institut

                 Annuität bei                       2008                     Hochpreispfad                Niedrigpreispfad
               4% Realzins und                   (8 ct/kWh)                                                                                                                                           kosteneinsparungen über den Gesamtzeitraum
              40 Jahren Laufzeit                                                                                                                                                                      bis 2058 auf mehr als 30 Milliarden Euro be-
                                                                                                                                                                                                      laufen. 2
               Mehrkosten p.a.                                    Energiekosteneinsparung pro Jahr
                                                                                                                                                                                                          Im Folgenden stellt diese Studie zwei Wirt-
                                                                                                                                                                                                      schaftlichkeitsbetrachtungen im Detail vor –

2
  Allerdings ist zu beachten, dass sich die Mehrinvestitionen auf den heutigen EnEV-2007-Standard beziehen. Künftige Anhebungen des Standards, die die Mehrkosten verringern                                            Sustainable Urban Infrastructure   19
würden, sind nicht mit eingerechnet. Zudem wurden in den Berechnungen auch die Finanzierungszinsen nicht berücksichtigt. Die Endenergieeinsparungen wurden ebenfalls in
Bezug auf den EnEv-2007-Standard berechnet.
Wärmenachfrage Gebäude

zum einen für Neubauten, die statt nach der
Energieeinsparverordnung 2007 in Passivhaus-
oder Plusenergiehausbauweise errichtet wer-
den, zum Zweiten für Altbauten, die gemäß
Passivhausstandard saniert werden.

1. Durchaus lohnend: Passivhaus und Plus-
energiehaus: Passivhäuser und Plusenergie-
häuser sind die Bauformen der Zukunft. Beide
sind hocheffiziente, hervorragend gedämmte
Gebäudetypen, die den Wärme- und Energie-
bedarf drastisch reduzieren. Der Energiever-
brauch eines Passivhauses ist bereits ausge-
sprochen niedrig. Das Plusenergiehaus-Konzept
aber geht noch einen Schritt weiter: Diese
Bauten sollen keine zusätzliche Energie ver-
brauchen, sondern sind so konzipiert, dass sie,
etwa mithilfe von Solaranlagen, ausreichend         Sanierungskosten und Endenergieverbrauch
Strom und Wärme erzeugen und netto Energie
                                                    (bei Sanierung auf annähernd Passivhausstandard)
ins Netz einspeisen.
    Dank der hervorragenden Dämmung der             Energiebezogene Sanierungskosten                       Endenergieverbrauch Wärme
Wände, Decken und dreifachverglaster oder va-       Euro/m2 Wohnfläche                                     kWh/m2 Wohnfläche p.a.
kuumgedämmter Fenster geben Passivhäuser
im Winter kaum Wärme ab. Durch die großen                                   130 Euro         340 Euro
Fensterflächen trägt vor allem die Sonnenstrah-                                                            200

lung zur passiven Beheizung bei. Diese Gebäude      300                   6,60 Euro/m2
benötigen deshalb nur noch eine Heizungs-                                   pro Jahr*

anlage mit sehr geringer Leistung, meist kom-               210 Euro
                                                    200
men sie sogar ohne konventionelle Heizung aus.
                                                          10,60 Euro/m2                    17,20 Euro/m2   100
Stattdessen sind sie mit einer Lüftungsanlage               pro Jahr*                        pro Jahr*
mit Wärmerückgewinnung ausgestattet. Voraus-        100
setzung für den Betrieb einer solchen Anlage ist,
                                                                                                                                                                   Quelle: Wuppertal Institut

dass das Gebäude luftdicht ist, denn ein solches
System gewinnt Wärme aus der verbrauchten,            0                                                     0
                                                          EnEV-2007-        Mehr-Inv.        Gesamt-             Ausgangs-   EnEV-2007-     Mehr-Inv.
warmen Raumluft und heizt damit über einen                 Standard       auf Passivhaus      kosten              zustand     Standard    auf Passivhaus
Wärmetauscher den Frisch- und Zuluftstrom.
                                                    * Annuität bei 4% Realzins und 40 Jahren Laufzeit
Wie erste Bauprojekte zeigen, ist die Nach-

20   Sustainable Urban Infrastructure                                                                                   München – Wege in eine CO2-freie Zukunft
Best                           Passivhaus und Gebäudesanierung
   Practice

                                                     Obgleich der Passivhausstandard        Beispiel ist die Grundschule am Agilolfingerplatz. Hier wurden die oberen
                                                     längst Stand der Technik ist, ist er   Geschossdecken gedämmt, die Flachdächer und Heizungsanlage saniert,
                                                     bei Neubau und Sanierung noch          stromsparende Lampen, eine Steuerung für die Gebäudetechnik sowie eine
                                                     nicht die Regel. Dafür gibt es ver-    Biomasse- und Solaranlagen installiert. Aus Rücksicht auf die historische
                                                     schiedene Gründe. Zum einen            Fassade wurden ferner nur die Heizungsnischen, Abseitenwände und Boden-
                                                     mangelt es vielen Gebäude-             platten im Keller, nicht aber die Außenwände wärmegedämmt. Dennoch
                                                     eignern an Investitionskapital.        sind die Energie- und CO2-Einsparungen beträchtlich. Der Kohlendioxidaus-
                                                     Andere Eigner scheuen eine lang-       stoß sank trotz leicht gestiegenen Strombedarfs um 43 Prozent.
                                                     fristige Kapitalbindung. Vermieter        Die Stadt Frankfurt am Main will laut Ratsbeschluss künftig noch weiter
                                                     hingegen zögern, weil sie die          gehen. Demnach wird die Stadt und insbesondere die mehrheitlich im Be-
                                                     Mehrkosten für die entsprechen-        sitz der Stadt befindliche Wohnungsbaugesellschaft bei allen städtischen
                                                     de Sanierung nicht immer auf die       Neubau- sowie bei Public-Private-Partnership-Projekten und Sanierungen
                                                     Mieter umlegen können. Ein wei-        den Passivhausstandard umsetzen. Nur in Ausnahmefällen dürfen Gebäude
                                                     terer Hemmschuh ist die Tat-           mit einem niedrigeren Effizienzstandard errichtet oder saniert werden. Als
                                                     sache, dass der Passivhausstan-        Vorgabe gilt in jedem Fall eine um 30 Prozent bessere Energieeffizienz als
                                                     dard in der Praxis bei vielen          derzeit in der EnEV-2007. Damit bekennt sich die Stadt Frankfurt als eine
           Handwerkern, Planern und Beratern noch wenig bekannt ist. Doch in-               der ersten Kommunen sowie als einer der ersten größeren Gebäudeeigen-
           zwischen gibt es eine ganze Reihe von Beispielen, die zeigen, wie Ener-          tümer bundesweit zum routinemäßigen Einsatz des Passivhausstandard als
           gieeffizienzmaßnahmen im großen Stil umgesetzt werden – auch wenn                der heutzutage erstrebenswerten Bauweise.
           dabei nicht von vornherein gleich der Passivhausstandard zum Einsatz                Ein überzeugendes Beispiel für eine Energiesparkampagne, die sich an alle
           kommt, sondern nur einzelne Effizienz-Technologien. Schon 1998 startete          am Bau oder der Sanierung beteiligten Kreise der Bevölkerung wendet, ist
           die Stadt München mit ihrem „Energiesparkonzept für 1000 Gebäude“ ein            das von den niederländischen Umwelt-, Energie- und Bauministerien voran-
           Programm zur Verbesserung der Energieeffizienz in 50 Prozent aller städti-       getriebene Programm „Meer met minder“. Die Kampagne verfolgt das Ziel,
           schen Gebäude. Ziel des Programms war es vor allem, Verbesserungen vor-          private Hausbesitzer durch intensive Öffentlichkeitsarbeit davon zu über-
           zunehmen, die sich schnell umsetzen lassen und sich kurzfristig amortisie-       zeugen, dass sich Energieeffizienzmaßnahmen lohnen. Einbezogen werden
           ren – der Austausch von Heizkesseln oder Pumpen etwa. Die Projektergeb-          auch Handwerksbetriebe, die im Rahmen des Projektes an entsprechenden
           nisse zeigen, dass allein schon diese Einzelmaßnahmen jährlich 13 Prozent        Fortbildungen teilnehmen können. Ziel der Regierung ist es, bis zum Jahr
           CO2 einsparen. Die Kosteneinsparung beträgt jährlich 2,2 Millionen Euro,         2020 den Endenergiebedarf in rund 2,5 Millionen Häusern und Wohnungen
           die Amortisationszeit im Schnitt nur 4,5 Jahre. In anderen Sanierungspro-        um ein Drittel zu senken. Zu den Maßnahmen gehört der Einbau effizienter
           jekten hat die Stadt München noch größere Effizienzgewinne erreicht. Ein         Geräte oder von Solaranlagen und auch die Gebäudedämmung.

München – Wege in eine CO2-freie Zukunft                                                                                                         Sustainable Urban Infrastructure   21
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