Themenheft Familiärer Darmkrebs - LADR
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Themenheft Familiärer Darmkrebs Stand 01/2020 Inhalt Genetische Beratung und Diagnostik als Schlüssel zur gezielten 4 Krebsfrüherkennung und Prävention! • Welche Formen von erblichem Darmkrebs werden 6 unterschieden? • Wann besteht der Verdacht auf erblichen Darmkrebs? 6 • Wie wird familiärer (erblicher) Darmkrebs vererbt? 7 Lynch-Syndrom / Hereditary Nonpolyposis Colorectal Cancer (HNPCC) 8 • Definition des HNPCC-/Lynch-Syndroms 8 • Genetik 9 • Pathologie 9 • Ablauf der HNPCC-Diagnostik 10 • Wem sollte eine molekularpathologische bzw. 12 genetische Mutationsanalyse angeboten werden? • Erkrankungsrisiken für Genträger/-innen 12 • Vorsorgeprogramm für Patienten/-innen mit HNPCC 13 • Vorsorgeprogramm 14 Familiäre adenomatöse Polyposis und Polyposis-Syndrome 15 • Familiäre adenomatöse Polyposis (FAP), attenuierte 15 FAP (AFAP), MUTYH-assoziierte Polyposis (MAP) • Vorsorgeprogramm und Therapie 16 • Nicht-adenomatöse Polyposis-Syndrome 18 • Vorsorgeprogramme 19 Umfassende interdisziplinäre Beratung betroffener 20 Familien ist von entscheidender Bedeutung Wie wird eine genetische Untersuchung veranlasst? 22 Fachliteratur 23 3
LADR Themenheft Familiärer Darmkrebs Genetische Beratung und Diagnostik als Schlüssel zur gezielten Krebsfrüherkennung und Prävention! Das kolorektale Karzinom ist bei Frauen nach In ca. 25 % der Familien von Patienten dem Brustkrebs der zweit- und bei Männern mit Darmkrebs finden sich weitere betrof- nach Prostata- und Lungenkrebs der dritt- fene Familienmitglieder (Abb. 1). Die Basis der häufigste maligne Tumor in den deutschspra- familiären Häufung bei 20 % ist im Einzelfall chigen Ländern. Jährlich werden in Deutschland bis heute nur unvollständig verstanden. Hierbei ungefähr 60 000 Neuerkrankungen diagnosti- können z. B. Veränderungen in einer größeren ziert, insgesamt sind über 450 000 Menschen Anzahl disponierender Erbanlagen (Polygenie) betroffen. Das mittlere Erkrankungsalter liegt im Zusammenwirken mit exogenen Einfluss- zwischen 70 – 75 Jahren. Da Personen mit faktoren verantwortlich sein. Wir gehen heute familiärem Darmkrebs häufig bereits im frühen davon aus, dass in ca. 5 % aller Fälle die Erkran- Erwachsenenalter erkranken, ist die Identifizie- kung erblich ist und wesentlich als Folge einer rung von Risikopersonen, also Familienmitglie- zugrunde liegenden Mutation in einem hierfür dern mit hohem Erkrankungsrisiko, von beson- verantwortlichen Gen entstanden ist. Aufgrund derer Bedeutung. Für Darmkrebs gilt, dass eine der großen Häufigkeit von Darmkrebs kann es möglichst frühe Diagnosestellung die Prognose jedoch in einer einzelnen Familie auch zu einer entscheidend beeinflusst. Die gezielte Erken- zufälligen Häufung sporadischer Fälle kommen. nung von Krebsvorstufen bei Risikopersonen (Abb. 1). ermöglicht die Vermeidung einer malignen Entartung und erlaubt speziell bei Darmkrebs eine effiziente Krebsprävention. 4
LADR Themenheft Familiärer Darmkrebs MAP** andere 0,5 % Formen sporadisch FAP* ca. 0,5 % 75 % 1% familiäre Häufung Abb. 1: 20 % Genetische Basis von Darmkrebs erblicher Darmkrebs ca. 5 % Lynch-Syndrom 3% Ca. 75 % aller Darmkrebsfälle werden als Daten modifiziert u. a. nach National Institute of sporadisch angesehen und zeigen in der Regel Health, National Cancer Institute. keine familiäre Häufung. In ca. 20 % sind weitere nahe Verwandte betroffen. In ca. 5 % aller Fälle * FAP: Familiäre adenomatöse Polyposis coli liegt erblicher Darmkrebs als Folge einer verän- ** MAP: MUTYH-assoziierte Polyposis coli derten Erbanlage mit sehr hohem Erkrankungs- risiko vor. Die Häufigkeitsangaben divergieren in der Literatur zum Teil erheblich, sie stellen Anhaltswerte dar. 5
LADR Themenheft Familiärer Darmkrebs Welche Formen von erblichem Wann besteht der Verdacht auf Darmkrebs werden unterschieden? erblichen Darmkrebs? Wichtigster Vertreter unter den erblichen Typische Hinweise für erbliche Krebserkran- Formen von Darmkrebs ist mit ca. 3 % von allen kungen, die analog prinzipiell auch für andere kolorektalen Karzinomen (KRK) das HNPCC erbliche Krebserkrankungen gelten, sind: (Hereditary Nonpolyposis Colorectal Cancer)-/ Lynch-Syndrom. Es folgen die Polyposis- Syndrome, von denen die klassische familiäre • Familiäre Häufung von Darmkrebs adenomatöse Polyposis coli (FAP) mit ca. 1 % bzw. assoziierter Tumore der Hauptvertreter ist. Klinisch wird davon • Typisches Tumorspektrum eine attenuierte (abgeschwächte) Form (AFAP) • Frühes Erkrankungsalter mit Mutationen im gleichen Gen (APC-Gen) • Mehrere Tumore bei einer unterschieden. Patienten mit der seltenen betroffenen Person MUTYH-assoziierten Polyposis (MAP) weisen Mutationen im MUTYH-Gen auf. MAP folgt als einzige unter den erblichen Darmkrebsformen einem autosomal rezessiven Erbgang. Während für die genannten Krankheitsbilder adeno- matöse Polypen typisch sind, existiert eine weitere Gruppe von Polyposis-Syndromen mit vorwiegend hamartomatösen Polypen wie das Peutz-Jeghers-Syndrom, die seltene familiäre juvenile Polyposis, und das Cowden-Syndrom. Abb. 1 sowie Tab. 3 (Seite 15) und Tab. 5 (Seite 18) fassen die wesentlichen Formen zusammen. 6
LADR Themenheft Familiärer Darmkrebs Wie wird familiärer (erblicher) z. B. beim Lynch-Syndrom, unterschiedliches Darmkrebs vererbt? Erkrankungsalter). Eine wichtige Ausnahme von Erblicher Darmkrebs folgt in der Regel einem der autosomal dominanten Vererbung erblicher autosomal dominanten Erbgang. Hierbei führt Darmkrebserkrankungen stellt die MUTYH- das Vorliegen einer pathogenen Mutation eines assoziierte Polyposis dar, die einem autosomal Risikogens auf einem der paarigen Chromo- rezessiven Erbgang folgt. Hierbei erkranken somen zur Erkrankung. Hieraus lässt sich in der Regel nur Personen einer Generation ableiten, dass Kinder betroffener Personen (Geschwister), die die pathogenen Mutationen bzw. bisher noch nicht erkrankte Anlageträ- in beiden Kopien des MUTYH-Gens aufweisen. ger/-innen ein statistisches Risiko von 50 % Ein Erkrankungsrisiko für Kinder von MAP- aufweisen, ebenfalls wieder Anlageträger zu Patienten besteht hierbei in der Regel nicht sein und damit selbst auch ein erhöhtes Erkran- bzw. ist äußerst klein. Aus diesem Grunde ist kungsrisiko zu tragen. Die mit einer Mutation die molekulargenetische Aufklärung als Voraus- verbundenen individuellen Erkrankungsrisiken setzung für die genetische Beratung vor allem können von den statistischen durchschnittlichen bei weniger stark ausgeprägten Polyposis- Risiken für Anlageträger/-innen abweichen. Ein Syndromen essentiell. Teil der Anlageträger/-innen entwickelt lebens- lang keine Krebserkrankung (unvollständige Penetranz). Innerhalb einer Familie kann die Erkrankung darüber hinaus sehr unterschied- lich ausgeprägt sein (variable Manifestationen Abb. 2: Kolon-Ca. 44 J. Stammbaum einer Endometrium-Ca. 47 J. Familie mit Lynch- Syndrom R Kolon-Ca. Kolon-Ca. 31 J. 45 J. R R Kolon-Ca. 27 J. R: Risikoperson 7
LADR Themenheft Familiärer Darmkrebs Lynch-Syndrom / Hereditary Nonpolyposis Colorectal Cancer (HNPCC) Definition des HNPCC-/Lynch-Syndroms pathogenen Mutation in einem Mismatch-Repair Das HNPCC-Syndrom ist die wichtigste Form (MMR)-Gen im Tumor. Es wird heute (siehe des erblichen Darmkrebs und häufigste geneti- auch AWMF-Leitlinie Kolorektale Karzinome) sche Krebsdisposition überhaupt. Da Patienten favorisiert, die Erkrankung bei Anlageträgern mit Lynch-/HNPCC-Syndrom in der Regel nur mit einer nachgewiesenen pathogenen Muta- einzelne kolorektale Adenome oder Karzinome tion in einem MMR-Gen als Lynch-Syndrom aufweisen, die sich klinisch nicht von spora- zu bezeichnen, während für Personen (bisher) dischen Formen unterscheiden, wurden die ohne nachgewiesene Mutation, die die anamnestischen Kriterien zur Identifizierung Amsterdam-/Bethesda-Kriterien erfüllen, die des HNPCC-Syndroms (Amsterdam-Kriterien Bezeichnung HNPCC verwendet werden sollte. und die weiter gefassten Bethesda-Kriterien) Die Begriffe werden jedoch häufig synonym definiert. Die Diagnose HNPCC kann mithin gebraucht. Die Bezeichnung Lynch-Syndrom allein auf Basis dieser anamnestischen Krite- macht darüber hinaus eher deutlich, dass die rien gestellt werden (Tab. 1). Hierzu zählen Erkrankung nicht nur auf kolorektale Karzinome daher auch Familien ohne Nachweis einer beschränkt ist. Tab. 1: Amsterdam-Kriterien Amsterdam-Kriterien Alle Kriterien müssen erfüllt sein und revidierte • Mindestens drei Familienangehörige mit histologisch gesichertem kolorektalem Karzinom Bethesda-Richtlinie des Endometriums, Dünndarms, Ureters oder Nierenbeckens, davon einer mit den beiden anderen erstgradig verwandt; FAP muss ausgeschlossen sein • Wenigstens zwei aufeinanderfolgende Generationen betroffen • Bei mindestens einem Patienten Diagnosestellung vor dem Alter von 50 Jahren Revidierte Bethesda-Richtlinien Mindestens eines der genannten Kriterien muss erfüllt sein • Patienten mit kolorektalem Karzinom vor dem 50. Lebensjahr • Patienten mit synchronem oder metachronem kolorektalem Karzinom oder anderen HNPCC-assoziierten Tumoren*, unabhängig vom Alter • Patienten mit kolorektalem Karzinom mit MSI-H-Histologie** vor dem 60. Lebensjahr • Patient mit kolorektalem Karzinom (unabhängig vom Alter), der einen Verwandten 1. Grades mit einem kolorektalen Karzinom oder einem HNPCC-assoziierten Tumor vor dem 50. Lebensjahr hat • Patient mit kolorektalem Karzinom (unabhängig vom Alter), der mindestens zwei Verwandte 1. oder 2. Grades hat, bei denen ein kolorektales Karzinom oder ein HNPCC-assoziierter Tumor (unabhängig vom Alter) diagnostiziert wurde. * zu den HNPCC-assoziierten Tumoren gehören Tumoren in: Kolorektum, Endometrium, Magen, Ovarien, Pancreas, Urothel, Gallengang, Dünndarm und Gehirn (meist Glioblastome wie bei Turcot-Syndrom) sowie Talgdrüsenadenome und Keratoakanthome (bei Muir-Torre-Syndrom) ** Vorliegen von Tumor infiltrierenden Lymphozyten, Crohn-ähnlicher lymphozytärer Reaktion, muzinöser/Siegelring-Differenzierung oder medullärem Wachstumsmuster 8
LADR Themenheft Familiärer Darmkrebs Genetik Pathologie Das Lynch-Syndrom wird durch Mutationen in HNPPC-assoziierte Kolonkarzinome sind meist einem der DNA-Mismatch-Reparatur (MMR)- muzinöse Tumoren, die bevorzugt im rechten Gene verursacht. Etwa jede 500. Person ist Hemikolon auftreten. Träger einer pathogenen Mutation in einem MMR-Gen. Erst wenn in einer Zelle beide Kopien Mikrosatelliteninstabilität (MSI): Zeichen der eines der verantwortlichen Gene eine Mutation gestörten DNA-Reparatur sind Verlängerungen aufweisen, kann der Tumor entstehen. Im Falle kurzer DNA-Wiederholungssequenzen, der von erblichen Krebserkrankungen liegt bereits Mikrosatelliten (sog. MSI). Sie findet sich bei in jeder Körperzelle eine Mutation in einer 10 – 15 % aller Kolonkarzinome und bei 15 – 20 % Genkopie vor, so dass jede auftretende Mutation aller Endometrium-Karzinome im Tumor in der zweiten intakten Kopie des jeweiligen material. In Verbindung mit Erkrankungs- Gens in einer Zelle die Tumorentstehung auslöst alter und Familienbefund sind sie jedoch ein (Knudsonsche Zwei-Treffer-Hypothese). Da das konkreter Hinweis für das Vorliegen eines Vorliegen einer Keimbahnmutation die statisti- HNPCC-Syndroms. Bei Patienten mit Lynch- sche Wahrscheinlichkeit für das Auftreten des Syndrom findet sich in Abhängigkeit von dem Funktionsverlustes beider Kopien eines Gens beteiligten Gen bei mehr als 80 % eine MSI. (Loss of Heterozygosity, LOH) deutlich erhöht, lassen sich die klinischen, für erbliche Tumor- Immunhistochemie: In Abhängigkeit vom betei- erkrankungen typischen Hinweise (siehe Seite ligten Gen lässt sich bei ca. 95 % der Patienten 6: Wann besteht der Verdacht auf erblichen mit Lynch-Syndrom immunhistochemisch ein Darmkrebs?) hierdurch erklären. Pathogene Ausfall von Reparaturproteinen nachweisen. Mutationen werden vor allem in den Genen Da die Genprodukte von MLH1 und PMS2 sowie MLH1 (50 %), MSH2 (40 %), MSH6 (7 – 10 %), PSM2 MSH2 und MSH6 jeweils einen Proteinkomplex (< 5 %) und EPCAM (1 – 3 %) nachgewiesen. bilden, führen z. B. Mutationen im MLH1-Gen Die Entwicklung des Karzinoms setzt jedoch in der immunhistochemischen Analyse neben weitere Mutationsereignisse in einer Zelle (z. B. dem Ausfall von MLH1 auch zum Ausfall seines von K-ras, TP53) voraus. Partnerproteins PMS2. Ein Ausfall von MLH1 und PMS2 kann jedoch auch – meist infolge einer Methylierung des MLH1-Promotors – im Tumorgewebe auftreten und das MLH1-Gen funktionell inaktivieren. Eine MLH1-Promotormethylierung kann jedoch auch Folge einer bestimmten somatischen Mutation (V600E) im BRAF-Gen sein. Da diese Mutation praktisch nie bei einem erblichen Tumor beob- achtet wird, ist das Vorliegen dieser Mutation ein starker Hinweis für einen nicht erblichen Tumor (Abb. 3, Seite 10). 9
LADR Themenheft Familiärer Darmkrebs Ablauf der HNPCC-Diagnostik chemische/molekularpathologische Analyse bei Die Diagnose HNPCC-/Lynch-Syndrom erfolgt positiven Amsterdam-/Bethesda-Kriterien folgt meist unter Berücksichtigung sowohl klinischer, einem molekularpathologischen Algorithmus familienanamnestischer, pathologischer und (Abb. 3), dem sich meist eine genetische Analyse genetischer Informationen. Eine immunhisto- anschließt. Abb. 3: Ablauf der der Positive Amsterdam-/revidierte Bethesda-Kriterien molekularpatholo- gischen Abklärung Immunhistochemie Tumorgewebe (Biopsie/Resektat) eines Mismatch- Reparaturdefektes bei klinischem Verdacht auf HNPCC-/Lynch- MLH1/PMS2 MSH2 oder MLH1 Syndrom (modifiziert MSH2/MSH6 MSH6 oder fehlt nach AWMF-Leitlinie vorhanden PMS2 fehlt Kolorektales Karzi- nom, 2019). Amster- dam-/Bethesda- Kriterien siehe Tab. 1 (Seite 8) MSI-Testung BRAF-Mutationsanalyse Keine Nachweis Stabil Instabil Mutation der V600E (Wildtyp) Mutation Sporadisches Mikrosatelliten- V. a. HNPCC / Mikrosatelliten- stabiles KRK Lynch-Syndrom instabiles KRK 10
LADR Themenheft Familiärer Darmkrebs Abb. 4 zeigt den Algorithmus zum Ablauf Amsterdam-/Bethesda-Kriterien abhängt. Die der genetischen Diagnostik bei Patienten prädiktive Testung von Risikopersonen in der mit Verdacht auf HNPCC-/Lynch-Syndrom. Familie setzt jedoch eine genetische Analyse Wichtig ist, dass die Inanspruchnahme der voraus. HNPCC-Vorsorge allein von dem Zutreffen der Abb. 4: Positive Amsterdam-/revidierte Bethesda-Kriterien bei Schema des Ablaufs nachgewiesener Mikrosatelliteninstabilität* der genetischen Dia- Keimbahnmutationsanalyse** gnostik und Vorsorge bei Patienten mit Verdacht auf HNPCC (modifiziert nach Nachweis einer pathogenen Kein Nachweis einer pathogenen AWMF-Leitlinie Kolo- MMR-Genmutation MMR-Genmutation rektale Karzinome) Diagnose: Lynch-Syndrom Diagnose: HNPCC-Syndrom Prädiktive Testung*** Prädiktive Testung*** weiterer Familienmitglieder weiterer Familienmitglieder nicht möglich Ausschluss der Nachweis der pathogenen pathogenen HNPCC-Vorsorge Mutation Mutation Vorsorge entspr. asympt. Bevölkerung * Bei hochgradigem Verdacht auf (V. a.) HNPCC/Lynch-Syndrom und Nichtvorhandensein von Tumor- gewebe kann auch direkt eine Mutationsanalyse erfolgen. ** Eine diagnostische Keimbahnuntersuchung erfordert eine Aufklärung und Einwilligung nach dem Gendiagnostikgesetz (GenDG). Es sollte das Angebot einer genetischen Beratung erfolgen. *** Eine prädiktive genetische Diagnostik muss im Rahmen einer genetischen Beratung erfolgen, die eine Qualifikation voraussetzt. 11
LADR Themenheft Familiärer Darmkrebs Wem sollte eine molekularpathologische Erkrankungsrisiken für Genträger/-innen bzw. genetische Mutationsanalyse angeboten Wie der Name Lynch-Syndrom auch zum werden? Ausdruck bringen soll, handelt es sich dabei Patienten mit HNPCC/Lynch-Syndrom (die die um eine Erkrankung, die mit deutlich erhöhten Amsterdam-/Bethesda-Kriterien erfüllen) kann Risiken für Karzinome auch anderer Organ- sowohl eine molekularpathologische (Abb. 3, systeme verbunden ist. Das Risiko von Seite 10) als auch Mutationsanalyse (Abb. 4, HNPCC-Anlageträgern, mindestens ein HNPCC- Seite 11) angeboten werden. Die Qualitätssiche- assoziiertes Karzinom zu entwickeln, beträgt rungsvereinbarung Molekulargenetik definiert 80 – 90 %. KRK treten im Rahmen von HNPCC als Voraussetzung für die Berechnung der im Mittel im 44. Lebensjahr auf, vor dem 25. Gebührenordnungsposition 11431 (Hereditäres Lebensjahr sind KRK bei HNPCC-/Lynch- non-polypöses kolorektales Karzinom, HNPCC) Syndrom sehr selten. für eine Mikrosatellitenanalyse die Erfüllung Abb. 5 fasst die relevanten Erkrankungs- der Bethesda-Kriterien. Die Voraussetzung für risiken zusammen. Die Einzelwerte geben die Berechnung der Gebührenordnungsposition Mittelwerte an, die sowohl individuell wie auch 11432 (Hereditäres non-polypöses kolorektales abhängig von den beteiligten Genen abweichen Karzinom, HNPCC) für die direkte Analyse der können. HNPCC-Gene (MLH1, MSH2, MSH6, PMS2) ist 80 gegeben, wenn alle Amsterdam-Kriterien erfüllt sind (Tab. 1, Seite 8). 65 % Abb. 5: Erkrankungsrisiken für Träger/-innen 50 % einer HNPCC-/Lynch- Syndrom-Mutation. Mutations- Die Risiken variieren träger 70 für einzelne MMR-Ge- Normal- 60 ne. Das KRK-Risiko ist bevölkerung für Männer 50 ca. 10 % höher als40 für Frauen. 30 20 7,5 % 5,5 % 5% 6% 10 2,5 % 3% 1% 1% 0% 0% 0 Kolorektales Endometr. Ovarial Magen Dünndarm Urothel Ca. Ca. Ca. Ca. Ca. Ca. 12
LADR Themenheft Familiärer Darmkrebs Vorsorgeprogramm für Patienten/-innen mit HNPCC Nicht in allen Familien gelingt der Nachweis einer pathogenen Mutation. Die AWMF-Leit- linie Kolorektales Karzinom führt aus, dass eine molekulargenetische Abklärung auch dann erfolgen kann, wenn keine Mikrosatelliteninsta- bilität untersucht bzw. nachgewiesen werden konnte. Abb. 5 fasst den Ablauf der genetischen Abklärung und Vorsorge zusammen. Patienten und Risikopersonen, die die klinischen Amsterdam-/revidierten Bethesda-Kriterien (bei nachgewie- sener MSI) erfüllen, sollen sich entspre- chend der AWMF-Leitlinie Kolorektales Karzinom auch ohne erfolgten Mutations- nachweis dem HNPCC-Vorsorgeprogramm unterziehen. Eine genetische Beratung zwischen dem 18. und 25. Risikopersonen (nicht erkrankte nahe Lebensjahr ist Verwandte betroffener Personen) für HNPCC-/ Risikopersonen zu Lynch-Syndrom ist mit Erreichen der Einwil- empfehlen. ligungsfähigkeit (in der Regel ab dem 18. Lebensjahr), jedoch vor dem 25. Lebensjahr eine genetische Beratung zu empfehlen. Sobald die krankheitsverursachende Mutation in der betreffenden Familie bekannt ist, sollten Risiko- personen auf die Möglichkeit einer prädiktiven Testung hingewiesen werden. 13
LADR Themenheft Familiärer Darmkrebs Vorsorgeprogramm Entsprechend der AWMF-Leitlinie Kolorektales Karzinom wird das nachfolgende Krebsfrüh- erkennungsprogramm für HNPCC-Patienten empfohlen (Tab. 2): Tab. 2: Empfohlenes HNPCC- Altersangabe Untersuchung Krebsfrüherken- Ab dem 25. Lebensjahr Körperliche Untersuchung Jährlich nungsprogramm (nach der AWMF- Koloskopie Jährlich Leitlinie Kolorektales Gynäkologische Untersuchung einschließlich Jährlich Karzinom, 2019) transvaginaler Sonographie Ab dem 35. Lebensjahr ÖDG Regelmäßig Endometriumbiopsie Jährlich ÖDG: Ösophago- Duodeno-Gastroskopie Die früher empfohlene Ultraschallunter- suchung des Abdomens und die Urinzytologie als Hinweis auf ein Urothel-Ca. sind nicht mehr Bestandteil der aktuellen AWMF-Leitlinie Kolo- rektales Karzinom. Bei Patientinnen mit HNPCC-Syndrom sollte mit 40 Jahren, bzw. fünf Jahre vor dem frühesten Erkrankungsalter in der Familie, eine prophylaktische Hysterektomie und ggf. Ovarek- tomie besprochen werden. 14
LADR Themenheft Familiärer Darmkrebs Familiäre adenomatöse Polyposis und Polyposis-Syndrome Familiäre adenomatöse Polyposis (FAP), Die attenuierte FAP (AFAP) ist typischer- attenuierte FAP (AFAP), MUTYH-assoziierte weise durch weniger als 100 kolorektale Polyposis (MAP) Adenome und/oder das im Vergleich zur klassi- Die familiäre adenomatöse Polyposis coli schen FAP etwa 10 – 15 Jahre spätere Auftreten (FAP) ist die bekannteste und häufigste kolo- von Adenomen und kolorektalen Karzinomen rektale Polyposis (Tab. 3). Die Diagnose kann gekennzeichnet. In etwa 15 – 30% der Familien mit Nachweis von oft mehr als 100 Polypen, die lassen sich Mutationen im APC-Gen nachweisen. meist in der 2. Lebensdekade entstehen, in der Im Einzelfall sind die Übergänge zur klassi- Regel leicht gestellt werden. In vielen Fällen ist schen FAP fließend. die Familienanamnese zusätzlich wegweisend. Die MUTYH-assoziierte Polyposis (MAP) Klinisch entwickeln praktisch alle Patienten ein ist eine wichtige Differenzialdiagnose der FAP. KRK und ca. 75 % extrakolonische intestinale Sie entspricht klinisch derjenigen der AFAP. Manifestationen, von denen Duodenal- bzw. Aufgrund des autosomal rezessiven Erbgangs Papillenadenome als Präkanzerosen einzu- ist sie in der Regel nicht mit wesentlich ordnen sind. Magenadenome sind bei deutlich erhöhten Risiken für Kinder verbunden. Eine weniger als 10 % der Patienten weniger bedeu- MAP wird bei 15 – 20% der APC-Mutations-nega- tend. Sie haben darüber hinaus keine potentiell tiven Patienten diagnostiziert. Die Polypen und präneoplastische Potenz. Weitere extraintes- Karzinome bei den Anlageträgern treten meist tinale Manifestationen sind Desmoidtumoren, später und häufig im proximalen Kolon auf. Bei Schilddrüsen-Karzinome, Hepatoblastome ca. 0,5 % aller Darmkrebspatienten lassen sich sowie harmlose Osteome, Epidermoidzysten Mutationen in beiden Kopien des MUTYH-Gens oder Pigmentanomalien der Retina (CHPRE). nachweisen (Abb. 1, Seite 5). Die Heterozygoten- Bei bis zu 95 % der Patienten mit dem klas- frequenz für eine pathogene MUTYH-Mutation sischen Bild einer FAP können Mutationen im in der Normalbevölkerung beträgt ca. 1 – 2%. APC-Gen nachgewiesen werden. Bei 20 – 25 % Heterozygote Anlageträger/-innen tragen ein der Patienten liegt eine Neumutation vor. leicht erhöhtes KRK-Risiko. Darüber hinaus sind Mosaikbefunde bekannt. Tab. 3: Polypen Lebens- Hereditäre gastro Polypen- Krankheit Gen Lokalisa- zeitrisiko weitere Symptome intestinale Krank- zahl tion für KRK heitsbilder mit Familiäre APC 1 000 bis Dickdarm, 100 % Desmoide, Osteome, CHPRE, vorwiegend adeno adenomatöse > 5 000 Duodenum, Epidermoidzysten, Hepatoblastom, matösen Polypen Polyposis (FAP) (Magen) Medulloblasom (modifiziert nach Aretz, 2010) Attenuierte FAP APC 10 bis 100 Dickdarm, 80 – 100 % Selten (AFAP) Duodenum, (Magen) MUTYH-assoziierte MUTYH 20 bis Dickdarm, 80 – 100 % Erhöhte Inzidenz extraintestinaler Polyposis (MAP) Hunderte Duodenum, Malignome, selten Talgdrüsen (Magen) tumore 15
LADR Themenheft Familiärer Darmkrebs Vorsorgeprogramm und Therapie Verwandte eines FAP-Patienten, die aufgrund Risikopersonen bezeichnet. In der AWMF-Leit- des autosomal-dominantem Erbgangs als Muta- linie Kolorektales Karzinom wird das nachfol- tionsträger in Betracht kommen, werden als gende Vorsorgeprogramm empfohlen (Tab. 4): Tab. 4: Therapie-/Vorsorge- • Bei Risikopersonen sollte ab dem Patienten mit erhaltenem Rektumstumpf progamm bei fami- 10. Lebensjahr im Anschluss an eine soll regelmäßig eine Rektoskopie durch- liärer adenomatöser humangenetische Beratung der Familie geführt werden, wobei das Untersuchungs- Polyposis coli (nach eine prädiktive genetische Diagnostik intervall 12 Monate nicht überschreiten soll. der AWMF-Leitlinie empfohlen werden, soweit die zugrunde • Eine Ösophago-Gastro-Duodenoskopie Kolorektales Karzi- liegende APC-Keimbahnmutation in der (ÖGD) und Duodenoskopie (Seitblickoptik) nom, 2019) Familie identifiziert werden konnte. mit besonderer Inspektion der Papillen- • Risikopersonen, bei denen die Mutation region sollte spätestens ab dem 25. – 30. bestätigt oder nicht ausgeschlossen Lebensjahr durchgeführt werden. Bei werden konnte, sollten ab dem 10. Lebens- unauffälligem Befund wird ein 3-Jahres- jahr jährlich rekto-sigmoidoskopiert Intervall empfohlen. Das Intervall sollte werden. Bei Nachweis von Adenomen soll in Abhängigkeit vom Schweregrad eine komplette Koloskopie erfolgen und vorhandener Adenome auf bis zu einem bis zur Proktokolektomie jährlich wieder- Jahr verkürzt werden. Bei Nachweis von holt werden. Duodenal-/Papillenadenomen ist die Indi- • Patienten mit klassischer FAP sollten kation zur endoskopischen Polypektomie zu prophylaktisch und unabhängig vom überprüfen. Bei schwergradiger Duodenal- Ergebnis der molekulargenetischen polyposis und invasivem nicht-fernmetas- Testung – wann immer möglich kontinenz- tasiertem Karzinom besteht eine Indikation erhaltend – proktokolektomiert werden, zur operativen Resektion. wenn vertretbar erst nach Abschluss der • Eine jährliche Sonographie der Schild- Pubertät. drüse kann ab dem 15. Lebensjahr bei • Nach einer Proktokolektomie soll regel- weiblichen FAP-Patientinnen durchgeführt mäßig eine Pouchoskopie erfolgen. Bei werden. 16
LADR Themenheft Familiärer Darmkrebs Geschwister eines Patienten mit MUTYH assoziierter FAP (MAP) haben aufgrund des autosomal-rezessiven Erbgangs ein Erkran- kungsrisiko von 25 % und gelten als Risikoper- sonen. Diesen sollte ab dem 18. – 20. Lebens- jahr im Anschluss an eine humangenetische Beratung eine prädiktive genetische Diagnostik angeboten werden Für Verwandte eines MAP-Patienten, bei denen lediglich eine von zwei der beim Index- patienten nachgewiesenen MUTYH-Mutationen vorliegt (heterozygote Anlageträger) wie den Eltern, werden Vorsorgeuntersuchungen wie bei erstgradig Verwandten eines Patienten mit sporadischem KRK empfohlen (d. h. erste Ein Patient mit einer Attenuierten FAP (AFAP) Koloskopie spätestens mit 40 – 45 Jahren oder sollte in Abhängigkeit von Alter, Polypenzahl 10 Jahre vor dem frühesten Manifestationsalter und histologischem Befund therapiert werden. in der Familie bei einem Untersuchungsintervall Bei endoskopisch nicht beherrschbarer Poly- von 10 Jahren), da davon ausgegangen werden posis ist eine Kolektomie indiziert. Patienten, die kann, dass auch heterozygote Anlageträger ein nicht kolektomiert sind, sollten zeitlebens jedes geringgradig erhöhtes Risiko für ein KRK im Jahr koloskopiert werden. fortgeschrittenen Alter tragen. Risikopersonen aus Familien mit AFAP Asymptomatische MUTYH-Mutationsträger sollten im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung (mit Mutationen in beiden Genkopien) sollten im Alter von 15 Jahren erstmals koloskopiert im Alter von 18 – 20 Jahren erstmals kolosko- werden. Finden sich keine Polypen, sollten diese piert werden. Finden sich keine Polypen, sollten Personen ab dem 20. Lebensjahr jährlich kolos- diese Patienten weiterhin überwacht werden. kopiert werden. Ein Patient mit einer MAP sollte in Abhängig- Da die klinische Ausprägung stark variieren keit von Alter, Polypenzahl und histologischem kann, ist die Therapieentscheidung individuell Befund therapiert werden. Bei endoskopisch abzuwägen. Da extrakolonische Manifestationen nicht beherrschbarer Polyposis ist eine Kolek- genau wie bei der klassischen FAP auftreten tomie indiziert. Patienten, die nicht kolektomiert können, gelten diesbezüglich die Empfehlungen sind, sollen zeitlebens jedes Jahr kolosko- für die klassische FAP. Bis zu welchem Alter piert werden. Eine ÖGD und Duodenoskopie Vorsorgeuntersuchungen bei Risikopersonen (Seitblickoptik) mit besonderer Inspektion der mit unauffälligem endoskopischem Befund fort- Papillenregion soll ab dem 25. – 30. Lebens- geführt werden sollen, ist aufgrund der Daten- jahr mindestens alle drei Jahre durchgeführt lage derzeit unklar. werden. Spezifische Vorsorgeuntersuchungen für extraintestinale Manifestationen sind bei MAP-Patienten nicht gerechtfertigt. 17
LADR Themenheft Familiärer Darmkrebs Nicht-adenomatöse Polyposis-Syndrome interdisziplinäre Zusammenwirken von Gastro- Hierzu zählen u. a. die hamartomatösen Poly- enterologen, Chirurgen, Pathologen, Human- posis-Syndrome: Peutz-Jeghers-Syndrom, genetikern, Radiologen und anderen klini- Familiäre Juvenile Polyposis und Cowden- schen Fachdisziplinen (vor allem Gynäkologie, Syndrom (Tab. 5). Urologie). Die Diagnose und klinische Betreuung Die Differenzialdiagnose der nicht-adeno- der Patienten sollte daher in Abstimmung und matösen Polyposis-Syndrome kann in Einzel- Zusammenarbeit mit Zentren erfolgen, die fällen sehr schwierig sein und erfordert das Erfahrung mit diesen Syndromen haben. Tab. 5: Polypen Lebens- Syndrome mit über- Polypen- Krankheit Gen Lokalisa- zeitrisiko weitere Symptome zahl wiegend hamarto- tion für KRK matösen Polypen (modifiziert nach Peutz-Jeghers- STK11 < 20 Dünndarm, 40 % Mukokutane/periorale Hyperpig- Syndrom (LKB1) Dickdarm, mentierungen, Ovarialtumoren, Aretz, 2010) Magen Brustkrebs, Pancreas-Ca, Cervix-Ca Familiäre juvenile SMAD4 5 bis Dünndarm, > 90 % ? Bei SMAD4-Mutationsträgern: here- Polyposis BMPR1A Hunderte Dickdarm, ditäre, hämorrhagische Teleangi- +PTEN Magen ektasien in ca. 20 %, Magenpolypen und -karzinome Cowden- PTEN Multiple Dünndarm, Gering Mukokutane Tumoren, Brustkrebs, Syndrom Dickdarm, Endometrium-Ca, Schilddrüsen-Ca, Magen andere hamartomatöse Tumoren Die hamartomatösen Polypen von Patienten Das kumulative Lebenszeitrisiko für einen mit Peutz-Jeghers-Syndrom (PJS) zeigen eine malignen Tumor wird mit 85 – 90 % angegeben. charakteristische Histologie, wegweisend für die Für Tumore im gesamten Gastrointestinal- Diagnose sind darüber hinaus die charakteris- trakt besteht ein kumulatives Lebenszeitrisiko tischen perioralen Pigmentierungen, die meist von ca. 60 %, das KRK-Risiko allein beläuft sich schon vor dem 5. Lebensjahr nachweisbar auf ca. 40 %. Tumore treten selten vor dem 30. sind, im Laufe des Lebens aber oft abblassen. Lebensjahr auf, das Risiko steigt dabei nach Das Manifestationsalter ist sehr variabel. Die dem 50. Lebensjahr rasch an. Das Lebenszeit- Erkrankung kann bereits im frühen Kindesalter risiko für gynäkologische Tumore wird mit ca. durch eine Invagination oder obstruktiven Ileus 15 % angegeben. Ovarialtumoren bei PJS werden und eine chronisch gastrointestinale Blutung zum Teil bereits auch bei jungen Mädchen diag- mit sekundärer Anämie imponieren. Das PJS nostiziert. Cervixkarzinome treten mit einem disponiert zu einem breiten Spektrum gut- und Lebenszeitrisiko von fast 10 % auf und entspre- bösartiger Tumore wie Brustkrebs, Pankreas- chen histologisch in mehr als drei Viertel der Ca., Ovarialtumoren. Fälle einem Adenoma malignum. 18
LADR Themenheft Familiärer Darmkrebs Solitäre juvenile Polypen sind die Das Cowden-Syndrom wird heute häufigsten Polypen des Kindes- und Jugend- zusammen mit weiteren Varianten als PTEN- alters und sind in der Regel harmlos. Von der Hamartoma-Syndrom bezeichnet. Kolorektale familiären juvenilen Polyposis sollte erst Polypen treten bei weniger als 10 % der Betrof- gesprochen werden, wenn mehr als 5 Polypen fenen auf und sind hierbei kein Leitsymptom, mit typischer Histologie im Kolorektum bzw. sie besitzen ein allenfalls geringes malignes multiple Polypen im GI-Trakt oder ein oder Potenzial. Typisch ist eine Makrozephalie. Beim mehrere Polypen bei positiver Familienanam- Cowden-Syndrom ist insbesondere das Risiko nese nachgewiesen wurden. In einem nennens- für Mamma- und Schilddrüsenkarzinome werten Teil der genetisch gesicherten Fälle wird erhöht. Weiterhin wurden erhöhte Risiken für die juvenile Polyposis initial als Colitis ulcerosa Karzinome des Endometriums und der Nieren oder hyperplastische Polyposis fehlgedeutet. sowie für Melanome beschrieben. Typisch ist eine exsudative Enteropathie mit begleitender Entwicklungsverzögerung. Vorsorgeprogramme Das Lebenszeitrisiko für die Entwick- Spezielle Vorsorgeprogramme bzw. Empfeh- lung eines KRK beträgt bis zu 70 %. Bei sehr lungen für die genannten Entitäten haben schweren frühmanifesten Verläufen ist an die aufgrund der begrenzten Datenlage eine nur seltene juvenile Polyposis des Kleinkindes- eingeschränkte Verbindlichkeit. Sie richten alters zu denken. Die endoskopisch-histolo- sich nach dem jeweiligen Tumorspektrum und gische Abgrenzung einer juvenilen Polyposis hinsichtlich der kolorektalen Tumore nach deren vom auf PTEN-Mutationen beruhenden Cowden- Auftreten im Rahmen des Syndroms (s. Aretz, Syndrom kann ebenfalls Probleme bereiten und 2010). erfolgt in der Regel durch das im Vordergrund stehende extraintestinale Tumorspektrum und die Molekulargenetik. 19
LADR Themenheft Familiärer Darmkrebs Umfassende interdisziplinäre Beratung betroffener Familien ist von entscheidender Bedeutung Umfassende humangenetische und fachärzt- liche Beratungen sind für betroffene Familien Eine prädiktive genetische Analyse kann und Risikopersonen von besonderer Bedeutung. bei einer Risikoperson nur dann zum In der humangenetischen Beratung wird ermit- Ausschluss eines erhöhten Erkrankungs- telt, ob überhaupt eine spezielle Risikosituation risikos führen, wenn bei einer betroffenen besteht und eine genetische Testung sinnvoll Person der Familie die verantwortliche sein kann. Der individuelle Sachverhalt wird den Mutation nachgewiesen wurde. Ratsuchenden verständlich erklärt und danach schriftlich zusammengefasst. Die Diagnose erblicher Darmkrebs kann Bei dieser Fragestellung sollte daher in für betroffene Familien wichtige Konsequenzen jedem Fall die molekulargenetische Diagnose haben: sicherung bei einer betroffenen Person erfolgen. In Familien, in denen eine betroffene Person Wichtige Konsequen- nicht untersucht werden kann bzw. bereits zen für betroffene • Anlageträger/-innen können Vorsorge- verstorben ist, sollte überlegt werden, ob eine Familien und Therapieoptionen in Anspruch molekulargenetische Analyse aus Tumorma- nehmen. terial einer betroffenen Person der Familie • Nahe Verwandte betroffener Personen möglich ist. (Risikopersonen) haben ein deutlich Vor der Entscheidung zur molekulargeneti- erhöhtes Risiko, ebenfalls die krank- schen Untersuchung sollen Risikopersonen im heitsverursachende Mutation zu tragen. Rahmen einer genetischen Beratung umfassend Es beträgt für Kinder von Anlageträgern beraten werden. Die Entscheidung für oder 50 %, die selbst wiederum ein stark gegen eine molekulargenetische Testung ist erhöhtes Erkrankungsrisiko tragen. immer individuell und persönlich. Risikopersonen und gesicherten Anlage- trägern wird empfohlen das spezielle engmaschige Vorsorgeprogramm wahr- zunehmen, das die Früherkennung erleichtern und damit die Heilungs- chancen deutlich verbessern kann. 20
LADR Themenheft Familiärer Darmkrebs Die in der AWMF-Leitlinie Mammakarzinom Nach Erhalt des molekulargenetischen ausgeführten Überlegungen zur genetischen Befundes sollten in der Beratung vor dem Testung gelten entsprechend auch für den Angebot präventiver Maßnahmen insbesondere familiären Darmkrebs. Danach soll die human- folgende Inhalte vertieft werden: genetische Beratung eine partizipative Entschei- dungsfindung ermöglichen, die eine umfas- sende Information in den Entscheidungsprozess • Erkrankungsrisiko in Abhängigkeit vom voraussetzt. genetischen Befund, Alter und Begleit- Bei der Risikoberatung vor der genetischen erkrankungen (natürlicher Verlauf) Testung sollten insbesondere folgende Inhalte • Wahrscheinlichkeit für falsch positive und berücksichtigt werden: falsch negative Testergebnisse der inten- sivierten Früherkennung • Nutzen der präventiven Optionen (intensi- • Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen vierte Früherkennung, prophylaktische einer Mutation Operationen, medikamentöse Therapien) • Erkrankungsrisiken bei positivem Befund • Risiken der präventiven Optionen • Nutzen präventiver und therapeutischer einschließlich Langzeitfolgen Optionen einschließlich der Option, nichts • Konkurrierende Risiken, Prognose zu tun und Therapierbarkeit im Falle eines • Wahrscheinlichkeit falsch negativer Krankheitseintrittes ohne präventive Befunde Maßnahmen unter Berücksichtigung des • Bedeutung der genetischen Testung für spezifischen Erscheinungsbildes des die Familienangehörigen. genetisch definierten Tumorsubtyps • Gegebenenfalls Risiken für assoziierte Tumoren • Psychoonkologische Beratungsangebote 21
Wie wird eine genetische Untersuchung veranlasst? Bei einer erkrankten Person kann nach um Bei weitergehenden Fragen, z. B. zu konkre- fassender Aufklärung und schriftlicher Einwil- ten Einzelfällen, stehen Ihnen die Mitarbeiter ligung ein diagnostischer molekulargentischer des LADR Fachbereichs Humangenetik gern zur Test von jedem Arzt veranlasst werden. Eine Verfügung (T: 02361 30 00-201). Hier können auch vorhergehende genetische Beratung – die bei Termine zur genetischen Beratung vereinbart uns erfolgen kann – ist unbedingt zu empfehlen werden. (siehe Seite 12: Wem sollte eine molekularpa- Für Patienten und Risikopersonen steht ein thologische bzw. genetische Mutationsanalyse LADR Informationsblatt „Erblicher Darmkrebs“ angeboten werden?). zur Verfügung (Best.-Nr. 116477). Eine prädiktive Testung bei einer bisher Die Analyse erfordert eine 4 ml EDTA-Probe, nicht betroffenen Risikoperson darf nach dem die zusammen mit einer Einwilligungserklärung GenDG nur nach einer genetischen Beratung an das LADR Laborzentrum Recklinghausen, veranlasst werden. Die Beratung darf nur durch Abteilung Humangenetik, eingesandt werden Fachärzte für Humangenetik, Ärzte mit der kann. Zusatzbezeichnung Medizinische Genetik oder der Qualifikation zur fachgebundenen geneti- schen Beratung erfolgen. Fachbereich Humangenetik LADR Laborzentrum Recklinghausen PD. Dr. med. Bianca Miterski LADR MVZ Dres. Bachg, Haselhorst & Kollegen Fachärztin für Humangenetik; Recklinghausen GbR Ärztliche Leitung Humangenetik Fachbereich Humangenetik Berghäuser Straße 295 PD. Dr. rer. nat. Larissa Arning 45659 Recklinghausen Fachhumangenetikerin T: 02361 30 00 - 201 F: 02361 30 00 - 211 Dr. rer. nat. Beatrix Böckmann humangenetik@LADR.de Dipl. Biologin, Molekulargenetik www.LADR.de Dipl. Biologin Anne Purczeld Zytogenetik Prof. Dr. med. Klaus Zerres Facharzt für Humangenetik 22
Fachliteratur 1. Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): S3-Leitlinie Kolorektales Karzinom, Langversion 2.1, 2019, AWMF Registrierungsnummer: 021/007OL, http://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/kolorektales-karzinom/ [abgerufen am: 16.09.2019] 2. Kohlmann W, Gruber SB: Lynch Syndrome. GeneReviews® [Internet]. Seattle (WA): University of Washington, Seattle; 1993 – 2019. 2004 Feb 5 [updated 2018 Apr 12] 3. Jasperson KW, Patel SG and Ahnen DJ, APC-Associated Polyposis Conditions. GeneReviews® [Internet]. Seattle (WA): University of Washington, Seattle; 1993 – 2019. 2004 Feb 5 [updated 2018 Apr 12] 4. A retz S. Differenzialdiagnostik und Früherkennung hereditärer gastrointestinaler Polyposis- Syndrome. Deutsches Ärzteblatt 2010;107:163 –173 Alle Rechte – auch der auszugsweisen Wiedergabe – vorbehalten. © LADR Der Laborverbund Dr. Kramer & Kollegen GbR 2020, Bildrechte bei den jeweiligen Fotografen und Bildarchiven. Die Autoren haben das Werk mit großer Sorgfalt und nach ihrem aktuellen Wissensstand zusam- mengestellt. Da die Medizin sich ständig weiterentwickelt, sollten bei Verwendung in Diagnostik und Therapie alle Angaben immer den jeweiligen Beipackzetteln und Fachinformationen der Hersteller entnommen werden. Sollten Sie auf Unstimmigkeiten stoßen oder Rückfragen haben, kontaktieren Sie uns bitte. 23
Im LADR Laborverbund Dr. Kramer & Kollegen werden Sie gerne beraten. LADR Laborzentrum Hormonzentrum LADR Laborzentrum Partner des Labor Baden-Baden Münster Nord-West, Schüttorf verbundes: T: 07221 21 17-0 T: 0251 871 13-23 T: 05923 98 87-100 LIS Labor im Sommershof, Zweigpraxis Leer Köln LADR Laborzentrum LADR Laborzentrum T: 0491 454 59-0 T: 0221 93 55 56-0 Berlin an den Immanuel Kliniken, T: 030 30 11 87-0 Hennigsdorf LADR Laborzentrum LADR Der Laborverbund T: 03302 20 60-100 Paderborn Dr. Kramer & Kollegen GbR LADR Laborzentrum Zweigpraxis Bernau, T: 05251 28 81 87-0 Lauenburger Straße 67 Braunschweig Zweigpraxis Rüdersdorf 21502 Geesthacht Best.-Nr. 116687 Stand 01/2020 T: 0531 310 76-100 LADR Laborzentrum T: 04152 803-0 LADR Laborzentrum Recklinghausen F: 04152 803-369 LADR Laborzentrum Neuruppin T: 02361 30 00-0 interesse@LADR.de Bremen T: 03391 35 01-0 T: 0421 43 07-300 LADR Zentrallabor Diese GbR dient aus- LADR Laborzentrum Dr. Kramer & Kollegen, schließlich der Präsen LADR Laborzentrum Nord, Flintbek Geesthacht tation des LADR Labor- Hannover T: 04347 90 80-100 T: 04152 803-0 verbundes unabhängiger T: 0511 901 36-0 LADR Einzelgesellschaften.
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