EX-POST-BEITRAG Umgang mit Rechtsextremismus auf lokaler Ebene

 
WEITER LESEN
EX-POST-BEITRAG
                                                                         RAN LOCAL – Rechtsextremismus
                                                                                     23./24. Januar 2019
                                                                                Rotterdam, Niederlande

EX-POST-BEITRAG
Umgang mit Rechtsextremismus
auf lokaler Ebene
                                   Zusammenfassung
                                   Für lokale Behörden kann die Bekämpfung von Rechtsextremismus
                                   eine Herausforderung darstellen: Rechtsextremismus unterscheidet
                                   sich von anderen Arten des Extremismus, und legale und illegale
                                   Vereinigungen trennt nur ein schmaler Grat. Es ist aber entscheidend,
                                   dass EU-Länder und lokale Behörden daran arbeiten, dieses
                                   Phänomen unter Kontrolle zu halten, denn der Rechtsextremismus
                                   (sowohl in Bezug auf Gewaltverbrechen als auch auf andere
                                   Erscheinungsformen) ist samt der mit ihm einhergehenden Hassrede
                                   und dem verbundenen Rassismus über Europa hinweg ein aktuelles
                                   und sich verschärfendes Problem.
                                   Im Rahmen eines Treffens der Arbeitsgruppe RAN LOCAL am 23. und
                                   24. Januar 2019 in Rotterdam (Niederlande) wurde erörtert, wie
                                   Rechtsextremismus auf lokaler Ebene entgegengetreten werden
                                   kann. Dieser Ex-post-Beitrag fasst die gesammelten Erkenntnisse
                                   sowie Empfehlungen zum Umgang mit Rechtsextremismus
                                   zusammen. Dieser Beitrag wurde für lokale und regionale PCVE-
                                   Koordinatoren                                           erstellt.

Erarbeitet vom RAN Centre of Excellence und der
Arbeitsgruppe RAN LOCAL. Verfasst von Nikki Sterkenburg,
Yasmine Gssime und Marije Meines (RAN CoE).

Radicalisation Awareness Network                                                                       1
EX-POST-BEITRAG
                                                                                       RAN LOCAL – Rechtsextremismus
                                                                                                   23./24. Januar 2019
                                                                                              Rotterdam, Niederlande

Einleitung
Warum der Rechtsextremismus auf lokaler Ebene zu bekämpfen ist

Bei Strategien zur (lokalen) Prävention/Bekämpfung des gewalttätigen Extremismus (PCVE) wird der
Rechtsextremismus häufig übersehen (1). Doch in ganz Europa können Hassrede, Rassismus und nicht
gewaltsamer Rechtsextremismus immer besser Fuß fassen (2). Dies trägt dazu bei, dass politische und
demokratische Lösungen für Missstände auf nationaler Ebene zunehmend auf Ablehnung stoßen, was
gesellschaftliche Spaltung und Polarisierung vorantreibt. Zudem könnte dies auf lokaler Ebene zur
Eskalation hoch polarisierter Konflikte zwischen RechtsextremistInnen und deren Gegnern sowie zu
Angriffen auf Minderheiten führen.

Aufgrund des schmalen Grats zwischen legalen und illegalen rechtsextremistischem Vereinigungen kommt
der Umgang mit ihnen einem Drahtseilakt gleich. Repressive Gegenmaßnahmen, die die Grundprinzipien
der freiheitlichen Demokratie einschränken (wie das Recht auf freie Meinungsäußerung, die politische
Freiheit und/oder das Demonstrationsrecht) könnten am Ende auch flächendeckende Zensur ermöglichen
und zu einem weiter gefestigten, aggressiveren Rechtsextremismus führen. Andererseits können sich
rechtsextremistische Gruppen möglicherweise besser entwickeln, wenn keine hinreichenden repressiven
Maßnahmen zur Verfügung stehen (3).

Rechtsextremismus: fünf wesentliche Punkte für lokale Behörden
1. Definition
Rechtsextremismus ist ein Sammelbegriff für radikale und extreme Rechte, der eine Palette
unterschiedlicher Ideologien abdeckt, die neben angestammten rechtsextremistischen Ideologien (wie
Nationalsozialismus und Faschismus) bestehen. Historisch betrachtet sind Rassismus, Fremdenfeindlichkeit,
(Ultra-)Nationalismus, eine antidemokratische oder gegen „das Establishment“ gerichtete Einstellung sowie
der Wunsch nach starker Führung durch den Staat als zentrale Elemente von Rechtsextremismus zu

(1) Abbas, T. (2017). „Ethnicity and politics in contextualizing far right and Islamist extremism“ aus „Perspectives on Terrorism“,
11(3), 54–61. Abgerufen von:
http://eprints.lse.ac.uk/86974/1/Abbas_Ethnicity%20and%20politics%20in%20contextualising%20far%20right1.pdf
(2) Busby, M. (18. August 2018). „UK Has Not ‘woken up’ to Far-Right Threat, Says Ex-Counter-Terror Chief“ aus „The Guardian“.
Abgerufen von: https://www.theguardian.com/uk-news/2018/aug/18/former-counter-terrorism-chief-says-uk-has-not-woken-up-
to-far-right-threat
King, E. (9. Februar 2017). „Counter-Terror Chief: Extremist Groups on the Rise in East Germany“ aus „POLITICO“. Abgerufen von:
https://www.politico.eu/article/counter-terror-chief-extremist-groups-on-the-rise-in-east-germany
Astier, H. (5. April 2017). „French election: Young alt-right making waves“ aus „BBC News“. Abgerufen von:
https://www.bbc.com/news/world-europe-39433483
(3) Ravndal, J. und Bjørgo, T. (2018). „Investigating Terrorism from the Extreme Right. A Review of Past and Present Research“ aus
„Perspectives on Terrorism“, 12(6) 5–22. (S. 14). Abgerufen von:
https://www.universiteitleiden.nl/binaries/content/assets/customsites/perspectives-on-terrorism/2018/issue-6/a1-ravndal-and-
bjorgo.pdf

Radicalisation Awareness Network                                                                                                      2
EX-POST-BEITRAG
                                                                                              RAN LOCAL – Rechtsextremismus
                                                                                                          23./24. Januar 2019
                                                                                                     Rotterdam, Niederlande

erkennen (4), auch wenn die einzelnen rechtsextremistischen Ideologien nicht notwendigerweise alle diese
Merkmale aufweisen.

Kürzlich entwickelten die Rechtsextremismusexperten Tore Bjørgo und Lars Erik Berntzen eine neue
Rechtsextremismustypologie, die auf ihrer eigenen Forschung und auf drei weiteren Studien basiert (5).
Diese Typologie ist unten in Abbildung 1 zu sehen.

Abbildung 1. Das Modell von Tore Bjørgo und Lars Erik Berntzen, beide vom Norwegian Center for Research on Extremism (C-REX). Sie stützten ihr
Modell auf ihre eigene Forschung und drei weitere Studien: „The ideology of the extreme right“ von Mudde, „The anti-Islamic movement: far right
and liberal?“ von Berntzen und „Lions of the north: sounds of new Nordic radical nationalism“ von Teitelbaum.

(4) Mudde, C. (1996). „The War of Words: Defining the Extreme Right Party Family“ aus „West European Politics“, 19(2) 225–248.
Abgerufen von: https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/01402389608425132
 Carter, E. (2005). „The Extreme Right in Western Europe: Success or failure?“. Manchester: Manchester University Press.
Abgerufen von: https://www.manchesterhive.com/view/9781847794420/9781847794420.xml
(5) Mudde, C. (2002). „The ideology of the extreme right“. Manchester: Manchester University Press. Abgerufen von:
https://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/27085/ssoar-2002-mudde-
the_ideology_of_the_extreme.pdf?sequence=1
Berntzen, L. E. (2018). „The Anti-Islamic Movement: Far Right and Liberal?“. Florence: European University Institute (Doktorarbeit).
Abgerufen von: http://cadmus.eui.eu/handle/1814/51864
Teitelbaum, B. (2017). „Lions of the North: Sounds of New Nordic Radical Nationalism.“ Oxford: Oxford University Press. Abgerufen
von: http://www.oxfordscholarship.com/view/10.1093/acprof:oso/9780190212599.001.0001/acprof-9780190212599

Radicalisation Awareness Network                                                                                                             3
EX-POST-BEITRAG
                                                                                                   RAN LOCAL – Rechtsextremismus
                                                                                                               23./24. Januar 2019
                                                                                                          Rotterdam, Niederlande

Unterstützer von Rechtsextremismus argumentieren üblicherweise mit ihrem Recht auf freie
Meinungsäußerung. Die Teilnehmer des RAN LOCAL-Treffens betonten, dass die Einstellungen,
Verhaltensweisen und Äußerungen von RechtsextremistInnen problematisch werden, wenn eine starke
Beschneidung der Bürgerrechte oder der bürgerlichen Freiheiten von bestimmten religiösen und/oder
ethnischen Gruppen gefordert wird.

2. Unterschiedliche Routen, unterschiedliche Motive
Es ist wichtig, zwischen den verschiedenen Entwicklungswegen zu unterscheiden, die rechtsextremistisch
eingestellte Menschen dazu führen, in diesem Spektrum aktiv zu werden. Bei jeder Bildung von
Rechtsextremismus (6) korrespondieren verschiedene Routen mit unterschiedlichen Motiven für die
Mitwirkung in entsprechenden Kreisen (auch wenn Aktivisten von einer Variante zur anderen wechseln
können). Diese Routen sind unten in Abbildung 2 zu sehen.

                                         • Revolutionäre reizt das Gefühl von Abenteuer, das bei vielen rechtsextremistischen
                                          Aktivitäten gegeben ist. Sie werden tendenziell sehr früh in ihrem Leben (d. h. im Alter
      Revolutionäre                       von 12 bis 16 Jahren) in lokalen Neonazi- oder Skinhead-Gruppierungen aktiv. Ihre
                                          ersten rechtsextremistischen Aktivitäten bestehen meist in antisozialem oder
                                          provokativem Verhalten wie Randale, Vandalismus oder Straßenkämpfen.

                                         • Wanderer suchen für gewöhnlich Unterstützung. Sie sehen sich selbst tendenziell als
                                          Retter, die die Menschen „des Landes“ verteidigen, und sie sind überzeugt, dass
         Wanderer                         Migranten bevorzugt behandelt werden. Mitglieder dieser Gruppe waren zuvor häufig
                                          auf nationaler oder lokaler Ebene politisch aktiv und sind nun desillusioniert oder
                                          enttäuscht.

                                         • Konvertierte fühlen sich vom Staat im Stich gelassen. Tendenziell sind sie unter
                                           Bedingungen aufgewachsen, in denen sie benachteiligt waren und täglich kämpfen
                                           mussten, um ihre Grundbedürfnisse zu erfüllen. Mitglieder dieser Gruppe haben erlebt,
       Konvertierte                        wie sie als hart arbeitende, gesetzestreue Menschen nicht aus den gegebenen
                                           Bedingungen ausbrechen oder materiellen Wohlstand aufbauen konnten, oder sie
                                           haben dies bei vielen Menschen beobachtet, die in vergleichbaren Umständen leben.

                                          • KonformistInnen sind oft in rechtsextremistischen Bewegungen aktiv, ohne sich
                                           dessen bewusst zu sein. Sie nehmen an Demonstrationen teil oder verteilen
    KonformistInnen                        Flugblätter, um einem Freund einen Gefallen zu tun oder ihn zu unterstützen. Auch
                                           wenn sie durchaus unzufrieden sein können, sind sie nicht ideologisch motiviert.

                                          • EinzelgängerInnen werden normalerweise im Internet radikalisiert, bevor sie offline
   EinzelgängerInnen                       Gleichgesinnte treffen. Ihre Vorstellungen werden durch alternative (Online-)Medien
                                           sowie die Interaktion mit Gleichgesinnten (online und offline) gefestigt.

Abbildung 2. Diese Typologie basiert auf der Arbeit von Bert Klandermans und Anette Linden: „Revolutionaries, wanderers, converts and
compliants. Life histories of extreme right activists“. Kürzlich fügte Nikki Sterkenburg (Universität Leiden) dieser Typologie neue Elemente hinzu.

(6) Linden, A. und Klandermans, B. (2007). „Revolutionaries, Wanderers, Converts and Compliants. Life Histories of Extreme Right
Activists“ aus „Journal of Contemporary Ethnography“, 36(2) 184–201. Abgerufen von:
https://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/0891241606298824
Kürzlich fügte Nikki Sterkenburg (Universität Leiden) dieser Typologie neue Elemente hinzu (Doktorarbeit wird voraussichtlich
Ende 2019 fertiggestellt).

Radicalisation Awareness Network                                                                                                                      4
EX-POST-BEITRAG
                                                                                   RAN LOCAL – Rechtsextremismus
                                                                                               23./24. Januar 2019
                                                                                          Rotterdam, Niederlande

3. Formen des Rechtsextremismus und Veränderungen in der
rechtsextremistischen Szene
Lokale Behörden, die Rechtsextremismus bekämpfen möchten, stoßen möglicherweise auf verschiedene
Spielarten dieses Phänomens: Rechtsextremismus kann als nicht oder nur lose organisiertes Netzwerk
vorkommen, ohne eine Website, offiziell ausformulierte Ideologie, Facebook-Seite und/oder strukturierte
Mitgliedschaft. Dies kann es schwierig gestalten, rechtsextremistische Anwerber zu erkennen, da sie in
verschiedensten sozialen Formationen auftreten, z. B. als Neonazi-Gruppen, Anti-Einwanderer- oder Anti-
Islam-Protestgruppen, ultranationalistische Gruppen, Studentenverbindungen oder Eliten, Jugendbanden,
Vereinigungen von Fußball-Hooligans, Social-Media-Kanäle im Internet, Freundesgruppen, politische
Parteien oder auch als extremistische Einzelgänger. Auf dem Treffen der Arbeitsgruppe RAN LOCAL wurde
angemerkt, dass Anwerbung auch an Hochschulen, in Fitnesscentern, an Schulen für verschiedene
Kampfkünste und im Online-Gaming-Bereich stattfindet.

Tore Bjørgos Vortrag im Namen von C-REX zum Thema, wie sich Rechtsextremismus in Norwegen in den
letzten 30 Jahren verändert hat, lieferte wertvolle Einblicke in die Richtung, in die sich das Phänomen in
Zukunft verändern könnte (mit dem Hinweis, dass die Schlussfolgerungen nicht notwendigerweise auf
andere EU-Länder zutreffen). Laut Bjørgo spielten sich in der rechtsextremistischen Bewegung Norwegens
vier wesentliche Veränderungen ab; diese werden unten in Abbildung 3 veranschaulicht.
                                    • In Norwegen sind rassistische Jugendsubkulturen verschwunden – sie sind für
           Abnahme                   Jugendliche nicht mehr interessant. Junge Menschen wachsen in einer
                                     multikulturellen Gemeinschaft auf, weshalb sich weniger Vorbehalte gegenüber
     rechtsextremistischer
                                     Fremden entwickeln können. Die aktuelle rechtsextremistische Szene umfasst
      Jugendbewegungen               hauptsächlich Erwachsene und ältere Menschen; aktuelle Präventionsmaßnahmen
           insgesamt                 sind jedoch auf Heranwachsende ausgelegt und nicht relevant für die Altersgruppen,
                                     die heute im Rechtsextremismus aktiv sind.
                                    • Der meiste rechtsextremistische Aktivismus hat sich von der Straße in die sozialen
        Verschiebung des             Medien und Online-Gemeinschaften und -Foren verschoben, wo sich gleichgesinnte
                                     Nutzer treffen und Echokammern verbreitet sind. Dies senkt die Hemmschwelle zur
   Aktivismus von der Straße
                                     Teilnahme, liefert aber auch weniger Gelegenheiten für ein gewaltsames
    ins Internet (und zurück         Aufeinandertreffen mit gegnerischen Gruppen. Andererseits schafft die
         auf die Straße)             Verschiebung hin zum Internetaktivismus den rechtsextremen Aktivisten die
                                     Gelegenheit, über soziale Medien Hassrede und Drohungen zu verbreiten.
                                    •Aufgrund sozialer Medien sowie Online-Gemeinschaften und -Foren sind mehr
                                     rechtsextremistische Gruppen allgemein bekannt. Globalisierte rechtsextremistische
                                     Bewegungen sind nicht neu, doch sie fassen zunehmend Fuß und wachsen schneller.
      Globalisierung und             Beispielsweise die Soldiers of Odin, die Patriotischen Europäer gegen die
        transnationale               Islamisierung des Abendlandes (Pegida) und verschiedene andere nationalistische
   Verbreitung und Diffusion         Vereinigungen in vielen Ländern mobilisieren immer schneller neue Unterstützer,
                                     und das auf einer breiteren Basis als traditionelle nationalistische Bewegungen. In
                                     dieser transnationalen Diffusion spielen die Nachrichtenmedien eine entscheidende
                                     Rolle.
                                    • In der Vergangenheit wurde die Bedrohung Norwegens als „Einwanderer mit
                                     fremder Kultur“ oder „Juden“ beschrieben. Bewegungen, die sich dieses Narrativs
                                     bedienten, spielten in der Politik kaum eine Rolle. Als aktuelle Bedrohung wird „der
     Der Islam als das neue
                                     Islam“ angesehen. Nicht alle Anti-Islam-Aktivisten sind rechtsextrem, jedoch ist die
       zentrale Feindbild            rechtsextremistische Rhetorik im politischen Mainstream zu großen Teilen salonfähig
                                     geworden, und die Grenzen, in denen auf sozial akzeptable Weise über Muslime
                                     gesprochen werden kann, haben sich verschoben.

Abbildung 3. Diese Abbildung basiert auf dem Vortrag von Tore Bjørgo vom Norwegian Center for Research on Extremism (C-REX),
den er beim Treffen der Arbeitsgruppe RAN LOCAL in Rotterdam (Niederlande) am 23./24. Januar 2019 hielt.

Radicalisation Awareness Network                                                                                            5
EX-POST-BEITRAG
                                                                                       RAN LOCAL – Rechtsextremismus
                                                                                                   23./24. Januar 2019
                                                                                              Rotterdam, Niederlande

4. Präsenz im Internet
Die rechtsextremistische Bewegung ist heute stärker im Internet vertreten und ihre Botschaften erreichen
ein breiteres Publikum (7). Online verbreitete rechtsextremistische Botschaften werden möglicherweise als
Hassrede erkannt, allerdings sind sie häufig auch raffiniert formuliert und schwerer zu durchschauen.
Tatsächliche Missstände und emotional aufgeladene Themen werden aufgegriffen und auf übermäßig
vereinfachte politische Forderungen und Lösungen reduziert. Vor diesem Hintergrund werden
rechtsextremistische Botschaften online verbreitet, um ein Gefühl von Zugehörigkeit und Identität zu
schaffen, wobei der Rechtsextremismus als vernünftige Alternative dargestellt wird, die um Unterstützung
wirbt (8).

Dieser eher lose organisierten Online-Gemeinschaften ersetzen allmählich die herkömmlichen
rechtsextremistischen Vereinigungen; sie werben eine jüngere Generation an, die sich weniger einer
bestimmten Bewegung angliedert. Diese online angeworbenen jungen Menschen unterstützen Gruppen,
die auf Zustimmung zu bestimmten Meinungen setzen, die in Gruppennachrichten oder mit einer einzigen,
als Gruppe vorgebrachten Aussage ausgedrückt werden. Diese Gemeinschaften sind für Unterstützer des
Rechtsextremismus auch von Nutzen, um Teilnehmer für spontane Demonstrationen und geplante
Veranstaltungen zu mobilisieren.

Eine weitere Online-Strategie besteht im Erstellen von Social-Media-Accounts, um Botschaften zu
verbreiten, die neutral erscheinen und faktisch nicht falsch sind, z. B. im Zusammenhang mit Berichten
über Straftaten und die mutmaßliche Herkunft und den angenommenen religiösen Hintergrund der
TäterInnen. Die Botschaften selbst stellen zwar keine Gewaltandrohung dar, die Auswahl der angezeigten
Themen und die große Anzahl ähnlicher Nachrichten fördern aber eine Atmosphäre, die
rechtsextremistische Rhetorik unterstützt.

Jüngste Forschungsergebnisse legen nahe, dass soziale Medien auch dazu beitragen können, dass Hassrede
im Internet tatsächliche Gewaltverbrechen provoziert (9) und dass allein agierende TerroristInnen von den
Online-Aktivitäten bestehender Bewegungen beeinflusst werden (10).

(7) Lowles, N. und Collins, M. (2018). „Right-wing terror threat as high as ever“ aus „The state of hate 2018“ von HOPE not hate, 35.
Januar–Februar 2018. Abgerufen von: https://www.hopenothate.org.uk/wp-content/uploads/2018/03/State-of-Hate-2018.pdf
Bundesamt für Verfassungsschutz. (2013). „Right-wing extremists and their internet presence, Berlin, Bundesministerium des
Innern, für Bau und Heimat. Abgerufen von: https://www.verfassungsschutz.de/embed/publication-2013-08-right-wing-extremists-
and-their-internet-presence.pdf
Caiani, M. und Parenti, L. (2011). „The Spanish extreme right and the Internet“ aus „Análise Social“, 46(201), 719–740. Abgerufen
von: http://www.jstor.org/stable/41494870
Algemene Inlichtingen- en Veiligheidsdienst (Allgemeiner Nachrichten- und Sicherheitsdienst). (2018). Right-extremism in the
Netherlands. A phenomenon in flux. Den Haag: Ministerium für Inneres und Königreichsbeziehungen. Abgerufen von:
https://english.aivd.nl/publications/publications/2018/11/01/publication-aivd-right-wing-extremism-in-the-netherlands-a-
phenomenon-in-flux
(8) Simpson, P. A. und Duxies, H. (2015). „Digital Media Strategies of the Far Right in Europe and the United States“, Lanham:
Lexington Books.
(9) Eine kürzlich durchgeführte Studie, in der über 3 300 gegen Flüchtlinge gerichtete Angriffe untersucht wurden, ergab, dass sich
in deutschen Städten mit stärkerer Nutzung von Facebook mehr Angriffe auf Flüchtlinge ereignen.

Radicalisation Awareness Network                                                                                                    6
EX-POST-BEITRAG
                                                                                        RAN LOCAL – Rechtsextremismus
                                                                                                    23./24. Januar 2019
                                                                                               Rotterdam, Niederlande

5. Transnationale Netzwerke und Aufstieg von Alt-Right-Gruppen
Rechtsextremistische Bewegungen bauen im Internet virtuelle rechtsextremistische Gemeinschaften aus
Gleichgesinnten auf (11). Gruppen wie Soldiers of Odin und Pegida bestehen in verschiedenen EU-
Mitgliedstaaten. Transnationale Neonazigruppen wie die Racial Volunteer Force und Combat 18 treffen sich
regelmäßig mit Menschen aus dem Ausland, die ähnliche Weltanschauungen vertreten, um in einem
Bündnis die „Überlegenheit der Weißen“ zu verteidigen. Selbst wenn kein gemeinsamer „Markenname“
besteht, unterbrechen Führungspersönlichkeiten lokaler oder nationaler rechtsextremistischer
Vereinigungen ihre nationale oder lokale Aktivität, um Ideen und Informationen zu Ideologie und Strategie
mit rechtsextremistischen Vereinigungen in anderen Ländern auszutauschen (12). Gleichzeitig findet
zwischen US-amerikanischen Alt-Right-Gruppen und ihren europäischen Äquivalenten über die
Landesgrenzen hinweg Informationsaustausch und Konsensbildung statt (13). Die Ideologie der Alt-Right-
Bewegungen ist oft eindeutig von einer Ablehnung der freiheitlichen Demokratie und einer starken
Befürwortung der Rassenbiologie (des sogenannten „wissenschaftlichen Rassismus“) und von
Antisemitismus geprägt (14).

Müller, K. und Schwarz, C. (2018). „Fanning the Flames of Hate. Social Media and Hate Crime“. Warwick: Universität Warwick
(Working Paper Series, No 373). Abgerufen von:
https://warwick.ac.uk/fac/soc/economics/research/centres/cage/manage/publications/373-2018_schwarz.pdf
(10) Kaplan, J., Lööw, H. und Malkki, L. (2014). „Introduction to the Special Issue on Lone Wolf and Autonomous Cell Terrorism“ aus
„Terrorism and Political Violence“, 26(1), 1–12. Abgerufen von:
https://www.researchgate.net/publication/263241403_Introduction_to_the_Special_Issue_on_Lone_Wolf_and_Autonomous_Cell
_Terrorism
Berntzen, L. E. und Sandberg, S. (2014). „The Collective Nature of Lone Wolf Terrorism: Anders Behring Breivik and the Anti-Islamic
Social Movement“ aus „Terrorism and Political Violence“, 26(5), 759–779. Abgerufen von:
https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/09546553.2013.767245
(11) Caiani, M. und Parenti, L. (2013). „European and American Extreme Right Groups and the Internet“. London: Routledge.
Abgerufen von: https://www.taylorfrancis.com/books/9781409409618
Caiani, M. und Kröll, P. (2015). „The transnationalization of the extreme right and the use of the Internet“ aus „International Journal
of Comparative & Applied Criminal Justice“, 39(4), 331–351. Abgerufen von:
https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/01924036.2014.973050?src=recsys&journalCode=rcac20
Mammone, A., Godin, E. und Jenkins, B. (Eds.) (2013). „Varieties of Right-Wing Extremism in Europe“, London: Routledge.
Abgerufen von: https://www.taylorfrancis.com/books/9781136167515
(12) Beispiele siehe: Macklin, G. (2013). „Transnational Networking on the Far Right: The Case of Britain and Germany“ aus „West
European Politics“, 36(1), 176–198. Abgerufen von: https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/01402382.2013.742756
(13) Applebaum, A., (13. Januar 2019). „The anti-Europeans have a plan for crippling the European Union“ aus „The Washington
Post“. Abgerufen von: https://www.washingtonpost.com/opinions/global-opinions/the-anti-europeans-have-a-plan-for-crippling-
the-european-union/2019/01/13/d8af6ab0-15ed-11e9-b6ad-9cfd62dbb0a8_story.html?utm_term=.02ff34a00332
Gabbam, A. (21. November 2016). „Hitler salutes and white supremacism: a weekend with the ‘alt-right’“ aus „The Guardian“.
Abgerufen von: https://www.theguardian.com/world/2016/nov/21/alt-right-conference-richard-spencer-white-nationalists
(14) Main, T. J. (2018). „The Rise of the Alt-Right“. Washington: Brookings Institution Press. Abgerufen von:
https://www.brookings.edu/book/the-rise-of-the-alt-right/

Radicalisation Awareness Network                                                                                                     7
EX-POST-BEITRAG
                                                                                     RAN LOCAL – Rechtsextremismus
                                                                                                 23./24. Januar 2019
                                                                                            Rotterdam, Niederlande

Wie unterscheidet sich Rechtsextremismus von anderen Arten des
Extremismus?
Genau wie andere Formen der Radikalisierung findet rechtsextremistische Radikalisierung dort statt, wo ein
günstiges Umfeld auf eine entsprechende persönliche Entwicklung trifft, wobei dieser Vorgang durch
persönliche Erfahrungen, Freunde, Verwandte, Gruppendynamik oder Sozialisierung ausgelöst wird (15).

Die Teilnehmer des RAN LOCAL-Treffens sprachen darüber, wie Rechtsextremismus mit einem anderen
Ansatz, der bei anderen Formen von Extremismus Anwendung findet, besser bekämpft werden kann.

Rechtsextremismus entsteht anscheinend unter anderen Bedingungen als beispielsweise islamistischer
Extremismus. Obwohl beide in der Suche nach Identität oder einem Zugehörigkeitsgefühl begründet sind,
wird islamistischer Extremismus zum Teil durch Organisationen und Netzwerke im Ausland orchestriert und
durch laufende bewaffnete Konflikte gefördert. Während das Narrativ des islamistischen Extremismus
innerhalb von Gemeinschaften sehr klar und breit abgelehnt wird, finden sich manche rechtsextremistische
Botschaften im Mainstream wieder (16). RechtsextremistInnen machen sich harmlos erscheinende
nationale Symbole zu eigen, die sie in ihrem rechtsextremistischen Kontext mit politischen und
nationalistischen Aussagen aufladen (z. B. Nationalflaggen).

In einigen Ländern ist Rechtsextremismus auf nationaler und lokaler Ebene politisch repräsentiert (17). Das
Aufkommen nationalistischer Parteien wirkt sich auf die öffentliche Debatte, auf politische Maßnahmen
und auf soziale Normen aus. Aufgrund des Wahlerfolges nationalistischer Parteien gehen andere politische
Parteien dazu über, mit deutlicher Sprache die gleichen Themen aufzugreifen (18). In Wahlkämpfen werden
Themen wie Einwanderungspolitik, Integration und die wahrgenommene „Islamisierung“ oftmals häufiger
angesprochen als wirtschaftliche Fragen (19). Damit geht die politische Debatte auf rechtsextremistische
Standpunkte ein – etwas Vergleichbares ist im Kontext des islamistischen Extremismus kaum vorstellbar.

(15) Expert Group on Violent Radicalisation. (2008). „Radicalisation Processes Leading to Acts of Terrorism“. Europäische
Kommission. Abgerufen von: http://www.clingendael.nl/sites/default/files/20080500_cscp_report_vries.pdf
(16) Kundnani, A. (2012). „Blind Spot? Security Narratives and Far-Right Violence in Europe“. Den Haag: International Centre for
Counter-Terrorism (Forschungsarbeit). Abgerufen von: https://www.icct.nl/download/file/ICCT-Kundnani-Blind-Spot-June-2012.pdf
(17) „Europe and nationalism: a country-by-country-guide“. (10. September 2018). BBC News. Abgerufen von:
https://www.bbc.com/news/world-europe-36130006
(18) Pellikaan, H., de Lange, S. L. und van der Meer, T. W. (2018). „The centre does not hold: Coalition politics and party system
change in the Netherlands“, 2002-12 aus „Government and Opposition“, 53(2), 231–255. Abgerufen von:
https://www.cambridge.org/core/journals/government-and-opposition/article/centre-does-not-hold-coalition-politics-and-party-
system-change-in-the-netherlands-200212/7ACFCBF820AC9839B6C8BEEF42953210
Mudde, C. (2007). „Populist radical right parties in Europe“. Cambridge: Cambridge University Press. Abgerufen von:
https://www.google.co.uk/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=2&ved=2ahUKEwi8_MaV4czgAhXKyKQKHWhrB8cQFjABeg
QICBAC&url=http%3A%2F%2Fwww.pacedifesa.org%2Fpublic%2Fdocuments%2FCas%2520Mudde%2520Populist%2520Radical%25
20Right%2520Parties%2520in%2520Europe%2520%25202007.pdf&usg=AOvVaw375xkmIR68b9y0qEYDaGMU
(19) Goodwin, M. J. (2011). „New British Fascism, Rise of the British National Party“. New York: Routledge (S. 29–30, S. 323–325.)
Abgerufen von: https://www.taylorfrancis.com/books/9781136665912
Norris, P. (2005). „Radical right: voters and parties in the electoral market“. Cambridge: Cambridge University Press (S. 4).
Abgerufen von: https://www.cambridge.org/core/books/radical-right/BAF243A4A4761F35954CD075EE5C8876

Radicalisation Awareness Network                                                                                                 8
EX-POST-BEITRAG
                                                                            RAN LOCAL – Rechtsextremismus
                                                                                        23./24. Januar 2019
                                                                                   Rotterdam, Niederlande

Empfehlungen von lokalen PCVE-Koordinatoren
     •    Lokale Behörden können bei der Prävention und Bekämpfung des gewaltsamen Rechtsextremismus eine
          zentrale Rolle spielen, da Anerkennung, Unvoreingenommenheit und Dialog vermutlich wirksamer sind als
          Ausgrenzung, öffentliche Repression oder aggressive Konfrontation.
     •    Einstellungen, Verhaltensweisen und Äußerungen von RechtsextremistInnen sind problematisch, wenn
          eine starke Beschneidung der Bürgerrechte oder der bürgerlichen Freiheiten von bestimmten religiösen
          und/oder ethnischen Gruppen unterstützt wird.
     •    Im Umgang mit Rechtsextremismus gestaltet es sich häufig schwierig, Schlüsselpersonen zu finden, die
          lokalen Behörden Informationen liefern und sie dabei unterstützen, einen Überblick über die lokale
          rechtsextremistische Szene zu erhalten und sich in ihr zu bewegen. Daher ist es wichtig, neue Kontakte mit
          Akteuren in Schlüsselpositionen zu knüpfen, sodass lokale Behörden mehr über Gruppen im Feld des
          Rechtsextremismus erfahren, an vorderster Front praktisch Tätige und andere Akteure schulen und eine
          einrichtungsübergreifende Zusammenarbeit aufbauen können. Lokale Behörden, die Polizei und
          Staatsanwälte müssen zu einer Übereinkunft kommen, wie mit Rechtsextremismus umzugehen ist, und
          entsprechend handeln.
     •    Um sicherzustellen, dass die öffentliche Meinung nicht durch die rechtsextremistische Agenda manipuliert
          wird, sollten lokale Behörden eine Strategie zur aktiven Kommunikation entwickeln, mit der ein breites
          Publikum angesprochen wird (sowohl online als auch offline). Die Behörden sollten darauf aufmerksam
          machen, warum sie aktiv werden und was auf dem Spiel steht – hierzu sollten auch die rechtsextremistische
          Agenda und deren Intentionen offengelegt werden. Es ist wichtig, sich verständlich auszudrücken, ohne sich
          eines populistischen Ansatzes zu bedienen.
     •    Lokale Behörden können der rechtsextremistischen Strategie, tatsächliche Missstände (z. B. in Bezug auf
          Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit) zwecks Manipulation für sich zu nutzen, entgegenwirken, indem sie die
          Ursachen dieser Missstände ansprechen. Selbst wenn diese Probleme nicht einfach gelöst werden können,
          wird das Monopol des Rechtsextremismus auf diese wichtigen Themen gebrochen, indem ein Dialog zu ihnen
          in Gang gesetzt wird.
     •    Es ist auch entscheidend, rechtsextremistische Kriminalität als hassmotivierte Straftaten oder ideologisch
          begründete Gewalt einzustufen. Sie sollte nicht verharmlosend als „Zwischenfälle“ oder „provokatives
          Verhalten“ bezeichnet werden. Auch wenn die Polizei an der Grenze ihrer Kapazität arbeitet, müssen die
          Anstrengungen zur Lösung dieser Fälle intensiviert werden. Opfer von hassmotovierten Straftaten müssen
          unterstützt werden, um eine Anwerbung durch andere extremistische Gruppen zu verhindern. In der
          Bewährungshilfe müssen Gelegenheiten gesucht werden, hassmotivierte Straftäter mit Minderheiten in
          Kontakt zu bringen, um die Vorgänge von Dehumanisierung, Marginalisierung und Diskriminierung zu
          verhindern und/oder umzukehren.
     •    Lokale Behörden könnten von Partnern profitieren, die sie bei der Online-Beobachtung unterstützen –
          letztendlich sind RechtsextremistInnen online oft stärker vertreten als offline und aus offen zugänglichen
          Quellen können umfassende Informationen gewonnen werden.
     •    Um die Bildung von Umfeldern zu unterbinden, die zu Spaltung und Polarisierung beitragen und so
          Radikalisierung und Gewaltbereitschaft begünstigen, ist es wichtig, der sozialen Abkopplung
          entgegenzuwirken, die viele Bürger heutzutage verspüren. Ein fundierter, offener Diskurs mit staatlichen
          Stellen über Bürgerrechte und -pflichten ist notwendig. Mithilfe der Konzepte der Teilhabe können Bürger
          angereizt werden, sich an der lokalen Entscheidungsfindung zu beteiligen, und durch die Einrichtung
          kostenloser Angebote (z. B. einer kostenlosen Bibliothek) werden sie möglicherweise ermutigt, andere
          Menschen zu treffen und sozial mit ihnen zu interagieren.
     •    Junge Menschen zu befähigen, gezielte Falschmeldungen zu erkennen, ist möglicherweise effektiver, als ein
          Gegennarrativ zum extremistischen Narrativ zu formulieren.

Radicalisation Awareness Network                                                                                   9
Sie können auch lesen