EX-POST-BEITRAG Umgang mit Rechtsextremismus auf lokaler Ebene
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
EX-POST-BEITRAG RAN LOCAL – Rechtsextremismus 23./24. Januar 2019 Rotterdam, Niederlande EX-POST-BEITRAG Umgang mit Rechtsextremismus auf lokaler Ebene Zusammenfassung Für lokale Behörden kann die Bekämpfung von Rechtsextremismus eine Herausforderung darstellen: Rechtsextremismus unterscheidet sich von anderen Arten des Extremismus, und legale und illegale Vereinigungen trennt nur ein schmaler Grat. Es ist aber entscheidend, dass EU-Länder und lokale Behörden daran arbeiten, dieses Phänomen unter Kontrolle zu halten, denn der Rechtsextremismus (sowohl in Bezug auf Gewaltverbrechen als auch auf andere Erscheinungsformen) ist samt der mit ihm einhergehenden Hassrede und dem verbundenen Rassismus über Europa hinweg ein aktuelles und sich verschärfendes Problem. Im Rahmen eines Treffens der Arbeitsgruppe RAN LOCAL am 23. und 24. Januar 2019 in Rotterdam (Niederlande) wurde erörtert, wie Rechtsextremismus auf lokaler Ebene entgegengetreten werden kann. Dieser Ex-post-Beitrag fasst die gesammelten Erkenntnisse sowie Empfehlungen zum Umgang mit Rechtsextremismus zusammen. Dieser Beitrag wurde für lokale und regionale PCVE- Koordinatoren erstellt. Erarbeitet vom RAN Centre of Excellence und der Arbeitsgruppe RAN LOCAL. Verfasst von Nikki Sterkenburg, Yasmine Gssime und Marije Meines (RAN CoE). Radicalisation Awareness Network 1
EX-POST-BEITRAG RAN LOCAL – Rechtsextremismus 23./24. Januar 2019 Rotterdam, Niederlande Einleitung Warum der Rechtsextremismus auf lokaler Ebene zu bekämpfen ist Bei Strategien zur (lokalen) Prävention/Bekämpfung des gewalttätigen Extremismus (PCVE) wird der Rechtsextremismus häufig übersehen (1). Doch in ganz Europa können Hassrede, Rassismus und nicht gewaltsamer Rechtsextremismus immer besser Fuß fassen (2). Dies trägt dazu bei, dass politische und demokratische Lösungen für Missstände auf nationaler Ebene zunehmend auf Ablehnung stoßen, was gesellschaftliche Spaltung und Polarisierung vorantreibt. Zudem könnte dies auf lokaler Ebene zur Eskalation hoch polarisierter Konflikte zwischen RechtsextremistInnen und deren Gegnern sowie zu Angriffen auf Minderheiten führen. Aufgrund des schmalen Grats zwischen legalen und illegalen rechtsextremistischem Vereinigungen kommt der Umgang mit ihnen einem Drahtseilakt gleich. Repressive Gegenmaßnahmen, die die Grundprinzipien der freiheitlichen Demokratie einschränken (wie das Recht auf freie Meinungsäußerung, die politische Freiheit und/oder das Demonstrationsrecht) könnten am Ende auch flächendeckende Zensur ermöglichen und zu einem weiter gefestigten, aggressiveren Rechtsextremismus führen. Andererseits können sich rechtsextremistische Gruppen möglicherweise besser entwickeln, wenn keine hinreichenden repressiven Maßnahmen zur Verfügung stehen (3). Rechtsextremismus: fünf wesentliche Punkte für lokale Behörden 1. Definition Rechtsextremismus ist ein Sammelbegriff für radikale und extreme Rechte, der eine Palette unterschiedlicher Ideologien abdeckt, die neben angestammten rechtsextremistischen Ideologien (wie Nationalsozialismus und Faschismus) bestehen. Historisch betrachtet sind Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, (Ultra-)Nationalismus, eine antidemokratische oder gegen „das Establishment“ gerichtete Einstellung sowie der Wunsch nach starker Führung durch den Staat als zentrale Elemente von Rechtsextremismus zu (1) Abbas, T. (2017). „Ethnicity and politics in contextualizing far right and Islamist extremism“ aus „Perspectives on Terrorism“, 11(3), 54–61. Abgerufen von: http://eprints.lse.ac.uk/86974/1/Abbas_Ethnicity%20and%20politics%20in%20contextualising%20far%20right1.pdf (2) Busby, M. (18. August 2018). „UK Has Not ‘woken up’ to Far-Right Threat, Says Ex-Counter-Terror Chief“ aus „The Guardian“. Abgerufen von: https://www.theguardian.com/uk-news/2018/aug/18/former-counter-terrorism-chief-says-uk-has-not-woken-up- to-far-right-threat King, E. (9. Februar 2017). „Counter-Terror Chief: Extremist Groups on the Rise in East Germany“ aus „POLITICO“. Abgerufen von: https://www.politico.eu/article/counter-terror-chief-extremist-groups-on-the-rise-in-east-germany Astier, H. (5. April 2017). „French election: Young alt-right making waves“ aus „BBC News“. Abgerufen von: https://www.bbc.com/news/world-europe-39433483 (3) Ravndal, J. und Bjørgo, T. (2018). „Investigating Terrorism from the Extreme Right. A Review of Past and Present Research“ aus „Perspectives on Terrorism“, 12(6) 5–22. (S. 14). Abgerufen von: https://www.universiteitleiden.nl/binaries/content/assets/customsites/perspectives-on-terrorism/2018/issue-6/a1-ravndal-and- bjorgo.pdf Radicalisation Awareness Network 2
EX-POST-BEITRAG RAN LOCAL – Rechtsextremismus 23./24. Januar 2019 Rotterdam, Niederlande erkennen (4), auch wenn die einzelnen rechtsextremistischen Ideologien nicht notwendigerweise alle diese Merkmale aufweisen. Kürzlich entwickelten die Rechtsextremismusexperten Tore Bjørgo und Lars Erik Berntzen eine neue Rechtsextremismustypologie, die auf ihrer eigenen Forschung und auf drei weiteren Studien basiert (5). Diese Typologie ist unten in Abbildung 1 zu sehen. Abbildung 1. Das Modell von Tore Bjørgo und Lars Erik Berntzen, beide vom Norwegian Center for Research on Extremism (C-REX). Sie stützten ihr Modell auf ihre eigene Forschung und drei weitere Studien: „The ideology of the extreme right“ von Mudde, „The anti-Islamic movement: far right and liberal?“ von Berntzen und „Lions of the north: sounds of new Nordic radical nationalism“ von Teitelbaum. (4) Mudde, C. (1996). „The War of Words: Defining the Extreme Right Party Family“ aus „West European Politics“, 19(2) 225–248. Abgerufen von: https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/01402389608425132 Carter, E. (2005). „The Extreme Right in Western Europe: Success or failure?“. Manchester: Manchester University Press. Abgerufen von: https://www.manchesterhive.com/view/9781847794420/9781847794420.xml (5) Mudde, C. (2002). „The ideology of the extreme right“. Manchester: Manchester University Press. Abgerufen von: https://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/27085/ssoar-2002-mudde- the_ideology_of_the_extreme.pdf?sequence=1 Berntzen, L. E. (2018). „The Anti-Islamic Movement: Far Right and Liberal?“. Florence: European University Institute (Doktorarbeit). Abgerufen von: http://cadmus.eui.eu/handle/1814/51864 Teitelbaum, B. (2017). „Lions of the North: Sounds of New Nordic Radical Nationalism.“ Oxford: Oxford University Press. Abgerufen von: http://www.oxfordscholarship.com/view/10.1093/acprof:oso/9780190212599.001.0001/acprof-9780190212599 Radicalisation Awareness Network 3
EX-POST-BEITRAG RAN LOCAL – Rechtsextremismus 23./24. Januar 2019 Rotterdam, Niederlande Unterstützer von Rechtsextremismus argumentieren üblicherweise mit ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung. Die Teilnehmer des RAN LOCAL-Treffens betonten, dass die Einstellungen, Verhaltensweisen und Äußerungen von RechtsextremistInnen problematisch werden, wenn eine starke Beschneidung der Bürgerrechte oder der bürgerlichen Freiheiten von bestimmten religiösen und/oder ethnischen Gruppen gefordert wird. 2. Unterschiedliche Routen, unterschiedliche Motive Es ist wichtig, zwischen den verschiedenen Entwicklungswegen zu unterscheiden, die rechtsextremistisch eingestellte Menschen dazu führen, in diesem Spektrum aktiv zu werden. Bei jeder Bildung von Rechtsextremismus (6) korrespondieren verschiedene Routen mit unterschiedlichen Motiven für die Mitwirkung in entsprechenden Kreisen (auch wenn Aktivisten von einer Variante zur anderen wechseln können). Diese Routen sind unten in Abbildung 2 zu sehen. • Revolutionäre reizt das Gefühl von Abenteuer, das bei vielen rechtsextremistischen Aktivitäten gegeben ist. Sie werden tendenziell sehr früh in ihrem Leben (d. h. im Alter Revolutionäre von 12 bis 16 Jahren) in lokalen Neonazi- oder Skinhead-Gruppierungen aktiv. Ihre ersten rechtsextremistischen Aktivitäten bestehen meist in antisozialem oder provokativem Verhalten wie Randale, Vandalismus oder Straßenkämpfen. • Wanderer suchen für gewöhnlich Unterstützung. Sie sehen sich selbst tendenziell als Retter, die die Menschen „des Landes“ verteidigen, und sie sind überzeugt, dass Wanderer Migranten bevorzugt behandelt werden. Mitglieder dieser Gruppe waren zuvor häufig auf nationaler oder lokaler Ebene politisch aktiv und sind nun desillusioniert oder enttäuscht. • Konvertierte fühlen sich vom Staat im Stich gelassen. Tendenziell sind sie unter Bedingungen aufgewachsen, in denen sie benachteiligt waren und täglich kämpfen mussten, um ihre Grundbedürfnisse zu erfüllen. Mitglieder dieser Gruppe haben erlebt, Konvertierte wie sie als hart arbeitende, gesetzestreue Menschen nicht aus den gegebenen Bedingungen ausbrechen oder materiellen Wohlstand aufbauen konnten, oder sie haben dies bei vielen Menschen beobachtet, die in vergleichbaren Umständen leben. • KonformistInnen sind oft in rechtsextremistischen Bewegungen aktiv, ohne sich dessen bewusst zu sein. Sie nehmen an Demonstrationen teil oder verteilen KonformistInnen Flugblätter, um einem Freund einen Gefallen zu tun oder ihn zu unterstützen. Auch wenn sie durchaus unzufrieden sein können, sind sie nicht ideologisch motiviert. • EinzelgängerInnen werden normalerweise im Internet radikalisiert, bevor sie offline EinzelgängerInnen Gleichgesinnte treffen. Ihre Vorstellungen werden durch alternative (Online-)Medien sowie die Interaktion mit Gleichgesinnten (online und offline) gefestigt. Abbildung 2. Diese Typologie basiert auf der Arbeit von Bert Klandermans und Anette Linden: „Revolutionaries, wanderers, converts and compliants. Life histories of extreme right activists“. Kürzlich fügte Nikki Sterkenburg (Universität Leiden) dieser Typologie neue Elemente hinzu. (6) Linden, A. und Klandermans, B. (2007). „Revolutionaries, Wanderers, Converts and Compliants. Life Histories of Extreme Right Activists“ aus „Journal of Contemporary Ethnography“, 36(2) 184–201. Abgerufen von: https://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/0891241606298824 Kürzlich fügte Nikki Sterkenburg (Universität Leiden) dieser Typologie neue Elemente hinzu (Doktorarbeit wird voraussichtlich Ende 2019 fertiggestellt). Radicalisation Awareness Network 4
EX-POST-BEITRAG RAN LOCAL – Rechtsextremismus 23./24. Januar 2019 Rotterdam, Niederlande 3. Formen des Rechtsextremismus und Veränderungen in der rechtsextremistischen Szene Lokale Behörden, die Rechtsextremismus bekämpfen möchten, stoßen möglicherweise auf verschiedene Spielarten dieses Phänomens: Rechtsextremismus kann als nicht oder nur lose organisiertes Netzwerk vorkommen, ohne eine Website, offiziell ausformulierte Ideologie, Facebook-Seite und/oder strukturierte Mitgliedschaft. Dies kann es schwierig gestalten, rechtsextremistische Anwerber zu erkennen, da sie in verschiedensten sozialen Formationen auftreten, z. B. als Neonazi-Gruppen, Anti-Einwanderer- oder Anti- Islam-Protestgruppen, ultranationalistische Gruppen, Studentenverbindungen oder Eliten, Jugendbanden, Vereinigungen von Fußball-Hooligans, Social-Media-Kanäle im Internet, Freundesgruppen, politische Parteien oder auch als extremistische Einzelgänger. Auf dem Treffen der Arbeitsgruppe RAN LOCAL wurde angemerkt, dass Anwerbung auch an Hochschulen, in Fitnesscentern, an Schulen für verschiedene Kampfkünste und im Online-Gaming-Bereich stattfindet. Tore Bjørgos Vortrag im Namen von C-REX zum Thema, wie sich Rechtsextremismus in Norwegen in den letzten 30 Jahren verändert hat, lieferte wertvolle Einblicke in die Richtung, in die sich das Phänomen in Zukunft verändern könnte (mit dem Hinweis, dass die Schlussfolgerungen nicht notwendigerweise auf andere EU-Länder zutreffen). Laut Bjørgo spielten sich in der rechtsextremistischen Bewegung Norwegens vier wesentliche Veränderungen ab; diese werden unten in Abbildung 3 veranschaulicht. • In Norwegen sind rassistische Jugendsubkulturen verschwunden – sie sind für Abnahme Jugendliche nicht mehr interessant. Junge Menschen wachsen in einer multikulturellen Gemeinschaft auf, weshalb sich weniger Vorbehalte gegenüber rechtsextremistischer Fremden entwickeln können. Die aktuelle rechtsextremistische Szene umfasst Jugendbewegungen hauptsächlich Erwachsene und ältere Menschen; aktuelle Präventionsmaßnahmen insgesamt sind jedoch auf Heranwachsende ausgelegt und nicht relevant für die Altersgruppen, die heute im Rechtsextremismus aktiv sind. • Der meiste rechtsextremistische Aktivismus hat sich von der Straße in die sozialen Verschiebung des Medien und Online-Gemeinschaften und -Foren verschoben, wo sich gleichgesinnte Nutzer treffen und Echokammern verbreitet sind. Dies senkt die Hemmschwelle zur Aktivismus von der Straße Teilnahme, liefert aber auch weniger Gelegenheiten für ein gewaltsames ins Internet (und zurück Aufeinandertreffen mit gegnerischen Gruppen. Andererseits schafft die auf die Straße) Verschiebung hin zum Internetaktivismus den rechtsextremen Aktivisten die Gelegenheit, über soziale Medien Hassrede und Drohungen zu verbreiten. •Aufgrund sozialer Medien sowie Online-Gemeinschaften und -Foren sind mehr rechtsextremistische Gruppen allgemein bekannt. Globalisierte rechtsextremistische Bewegungen sind nicht neu, doch sie fassen zunehmend Fuß und wachsen schneller. Globalisierung und Beispielsweise die Soldiers of Odin, die Patriotischen Europäer gegen die transnationale Islamisierung des Abendlandes (Pegida) und verschiedene andere nationalistische Verbreitung und Diffusion Vereinigungen in vielen Ländern mobilisieren immer schneller neue Unterstützer, und das auf einer breiteren Basis als traditionelle nationalistische Bewegungen. In dieser transnationalen Diffusion spielen die Nachrichtenmedien eine entscheidende Rolle. • In der Vergangenheit wurde die Bedrohung Norwegens als „Einwanderer mit fremder Kultur“ oder „Juden“ beschrieben. Bewegungen, die sich dieses Narrativs bedienten, spielten in der Politik kaum eine Rolle. Als aktuelle Bedrohung wird „der Der Islam als das neue Islam“ angesehen. Nicht alle Anti-Islam-Aktivisten sind rechtsextrem, jedoch ist die zentrale Feindbild rechtsextremistische Rhetorik im politischen Mainstream zu großen Teilen salonfähig geworden, und die Grenzen, in denen auf sozial akzeptable Weise über Muslime gesprochen werden kann, haben sich verschoben. Abbildung 3. Diese Abbildung basiert auf dem Vortrag von Tore Bjørgo vom Norwegian Center for Research on Extremism (C-REX), den er beim Treffen der Arbeitsgruppe RAN LOCAL in Rotterdam (Niederlande) am 23./24. Januar 2019 hielt. Radicalisation Awareness Network 5
EX-POST-BEITRAG RAN LOCAL – Rechtsextremismus 23./24. Januar 2019 Rotterdam, Niederlande 4. Präsenz im Internet Die rechtsextremistische Bewegung ist heute stärker im Internet vertreten und ihre Botschaften erreichen ein breiteres Publikum (7). Online verbreitete rechtsextremistische Botschaften werden möglicherweise als Hassrede erkannt, allerdings sind sie häufig auch raffiniert formuliert und schwerer zu durchschauen. Tatsächliche Missstände und emotional aufgeladene Themen werden aufgegriffen und auf übermäßig vereinfachte politische Forderungen und Lösungen reduziert. Vor diesem Hintergrund werden rechtsextremistische Botschaften online verbreitet, um ein Gefühl von Zugehörigkeit und Identität zu schaffen, wobei der Rechtsextremismus als vernünftige Alternative dargestellt wird, die um Unterstützung wirbt (8). Dieser eher lose organisierten Online-Gemeinschaften ersetzen allmählich die herkömmlichen rechtsextremistischen Vereinigungen; sie werben eine jüngere Generation an, die sich weniger einer bestimmten Bewegung angliedert. Diese online angeworbenen jungen Menschen unterstützen Gruppen, die auf Zustimmung zu bestimmten Meinungen setzen, die in Gruppennachrichten oder mit einer einzigen, als Gruppe vorgebrachten Aussage ausgedrückt werden. Diese Gemeinschaften sind für Unterstützer des Rechtsextremismus auch von Nutzen, um Teilnehmer für spontane Demonstrationen und geplante Veranstaltungen zu mobilisieren. Eine weitere Online-Strategie besteht im Erstellen von Social-Media-Accounts, um Botschaften zu verbreiten, die neutral erscheinen und faktisch nicht falsch sind, z. B. im Zusammenhang mit Berichten über Straftaten und die mutmaßliche Herkunft und den angenommenen religiösen Hintergrund der TäterInnen. Die Botschaften selbst stellen zwar keine Gewaltandrohung dar, die Auswahl der angezeigten Themen und die große Anzahl ähnlicher Nachrichten fördern aber eine Atmosphäre, die rechtsextremistische Rhetorik unterstützt. Jüngste Forschungsergebnisse legen nahe, dass soziale Medien auch dazu beitragen können, dass Hassrede im Internet tatsächliche Gewaltverbrechen provoziert (9) und dass allein agierende TerroristInnen von den Online-Aktivitäten bestehender Bewegungen beeinflusst werden (10). (7) Lowles, N. und Collins, M. (2018). „Right-wing terror threat as high as ever“ aus „The state of hate 2018“ von HOPE not hate, 35. Januar–Februar 2018. Abgerufen von: https://www.hopenothate.org.uk/wp-content/uploads/2018/03/State-of-Hate-2018.pdf Bundesamt für Verfassungsschutz. (2013). „Right-wing extremists and their internet presence, Berlin, Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat. Abgerufen von: https://www.verfassungsschutz.de/embed/publication-2013-08-right-wing-extremists- and-their-internet-presence.pdf Caiani, M. und Parenti, L. (2011). „The Spanish extreme right and the Internet“ aus „Análise Social“, 46(201), 719–740. Abgerufen von: http://www.jstor.org/stable/41494870 Algemene Inlichtingen- en Veiligheidsdienst (Allgemeiner Nachrichten- und Sicherheitsdienst). (2018). Right-extremism in the Netherlands. A phenomenon in flux. Den Haag: Ministerium für Inneres und Königreichsbeziehungen. Abgerufen von: https://english.aivd.nl/publications/publications/2018/11/01/publication-aivd-right-wing-extremism-in-the-netherlands-a- phenomenon-in-flux (8) Simpson, P. A. und Duxies, H. (2015). „Digital Media Strategies of the Far Right in Europe and the United States“, Lanham: Lexington Books. (9) Eine kürzlich durchgeführte Studie, in der über 3 300 gegen Flüchtlinge gerichtete Angriffe untersucht wurden, ergab, dass sich in deutschen Städten mit stärkerer Nutzung von Facebook mehr Angriffe auf Flüchtlinge ereignen. Radicalisation Awareness Network 6
EX-POST-BEITRAG RAN LOCAL – Rechtsextremismus 23./24. Januar 2019 Rotterdam, Niederlande 5. Transnationale Netzwerke und Aufstieg von Alt-Right-Gruppen Rechtsextremistische Bewegungen bauen im Internet virtuelle rechtsextremistische Gemeinschaften aus Gleichgesinnten auf (11). Gruppen wie Soldiers of Odin und Pegida bestehen in verschiedenen EU- Mitgliedstaaten. Transnationale Neonazigruppen wie die Racial Volunteer Force und Combat 18 treffen sich regelmäßig mit Menschen aus dem Ausland, die ähnliche Weltanschauungen vertreten, um in einem Bündnis die „Überlegenheit der Weißen“ zu verteidigen. Selbst wenn kein gemeinsamer „Markenname“ besteht, unterbrechen Führungspersönlichkeiten lokaler oder nationaler rechtsextremistischer Vereinigungen ihre nationale oder lokale Aktivität, um Ideen und Informationen zu Ideologie und Strategie mit rechtsextremistischen Vereinigungen in anderen Ländern auszutauschen (12). Gleichzeitig findet zwischen US-amerikanischen Alt-Right-Gruppen und ihren europäischen Äquivalenten über die Landesgrenzen hinweg Informationsaustausch und Konsensbildung statt (13). Die Ideologie der Alt-Right- Bewegungen ist oft eindeutig von einer Ablehnung der freiheitlichen Demokratie und einer starken Befürwortung der Rassenbiologie (des sogenannten „wissenschaftlichen Rassismus“) und von Antisemitismus geprägt (14). Müller, K. und Schwarz, C. (2018). „Fanning the Flames of Hate. Social Media and Hate Crime“. Warwick: Universität Warwick (Working Paper Series, No 373). Abgerufen von: https://warwick.ac.uk/fac/soc/economics/research/centres/cage/manage/publications/373-2018_schwarz.pdf (10) Kaplan, J., Lööw, H. und Malkki, L. (2014). „Introduction to the Special Issue on Lone Wolf and Autonomous Cell Terrorism“ aus „Terrorism and Political Violence“, 26(1), 1–12. Abgerufen von: https://www.researchgate.net/publication/263241403_Introduction_to_the_Special_Issue_on_Lone_Wolf_and_Autonomous_Cell _Terrorism Berntzen, L. E. und Sandberg, S. (2014). „The Collective Nature of Lone Wolf Terrorism: Anders Behring Breivik and the Anti-Islamic Social Movement“ aus „Terrorism and Political Violence“, 26(5), 759–779. Abgerufen von: https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/09546553.2013.767245 (11) Caiani, M. und Parenti, L. (2013). „European and American Extreme Right Groups and the Internet“. London: Routledge. Abgerufen von: https://www.taylorfrancis.com/books/9781409409618 Caiani, M. und Kröll, P. (2015). „The transnationalization of the extreme right and the use of the Internet“ aus „International Journal of Comparative & Applied Criminal Justice“, 39(4), 331–351. Abgerufen von: https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/01924036.2014.973050?src=recsys&journalCode=rcac20 Mammone, A., Godin, E. und Jenkins, B. (Eds.) (2013). „Varieties of Right-Wing Extremism in Europe“, London: Routledge. Abgerufen von: https://www.taylorfrancis.com/books/9781136167515 (12) Beispiele siehe: Macklin, G. (2013). „Transnational Networking on the Far Right: The Case of Britain and Germany“ aus „West European Politics“, 36(1), 176–198. Abgerufen von: https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/01402382.2013.742756 (13) Applebaum, A., (13. Januar 2019). „The anti-Europeans have a plan for crippling the European Union“ aus „The Washington Post“. Abgerufen von: https://www.washingtonpost.com/opinions/global-opinions/the-anti-europeans-have-a-plan-for-crippling- the-european-union/2019/01/13/d8af6ab0-15ed-11e9-b6ad-9cfd62dbb0a8_story.html?utm_term=.02ff34a00332 Gabbam, A. (21. November 2016). „Hitler salutes and white supremacism: a weekend with the ‘alt-right’“ aus „The Guardian“. Abgerufen von: https://www.theguardian.com/world/2016/nov/21/alt-right-conference-richard-spencer-white-nationalists (14) Main, T. J. (2018). „The Rise of the Alt-Right“. Washington: Brookings Institution Press. Abgerufen von: https://www.brookings.edu/book/the-rise-of-the-alt-right/ Radicalisation Awareness Network 7
EX-POST-BEITRAG RAN LOCAL – Rechtsextremismus 23./24. Januar 2019 Rotterdam, Niederlande Wie unterscheidet sich Rechtsextremismus von anderen Arten des Extremismus? Genau wie andere Formen der Radikalisierung findet rechtsextremistische Radikalisierung dort statt, wo ein günstiges Umfeld auf eine entsprechende persönliche Entwicklung trifft, wobei dieser Vorgang durch persönliche Erfahrungen, Freunde, Verwandte, Gruppendynamik oder Sozialisierung ausgelöst wird (15). Die Teilnehmer des RAN LOCAL-Treffens sprachen darüber, wie Rechtsextremismus mit einem anderen Ansatz, der bei anderen Formen von Extremismus Anwendung findet, besser bekämpft werden kann. Rechtsextremismus entsteht anscheinend unter anderen Bedingungen als beispielsweise islamistischer Extremismus. Obwohl beide in der Suche nach Identität oder einem Zugehörigkeitsgefühl begründet sind, wird islamistischer Extremismus zum Teil durch Organisationen und Netzwerke im Ausland orchestriert und durch laufende bewaffnete Konflikte gefördert. Während das Narrativ des islamistischen Extremismus innerhalb von Gemeinschaften sehr klar und breit abgelehnt wird, finden sich manche rechtsextremistische Botschaften im Mainstream wieder (16). RechtsextremistInnen machen sich harmlos erscheinende nationale Symbole zu eigen, die sie in ihrem rechtsextremistischen Kontext mit politischen und nationalistischen Aussagen aufladen (z. B. Nationalflaggen). In einigen Ländern ist Rechtsextremismus auf nationaler und lokaler Ebene politisch repräsentiert (17). Das Aufkommen nationalistischer Parteien wirkt sich auf die öffentliche Debatte, auf politische Maßnahmen und auf soziale Normen aus. Aufgrund des Wahlerfolges nationalistischer Parteien gehen andere politische Parteien dazu über, mit deutlicher Sprache die gleichen Themen aufzugreifen (18). In Wahlkämpfen werden Themen wie Einwanderungspolitik, Integration und die wahrgenommene „Islamisierung“ oftmals häufiger angesprochen als wirtschaftliche Fragen (19). Damit geht die politische Debatte auf rechtsextremistische Standpunkte ein – etwas Vergleichbares ist im Kontext des islamistischen Extremismus kaum vorstellbar. (15) Expert Group on Violent Radicalisation. (2008). „Radicalisation Processes Leading to Acts of Terrorism“. Europäische Kommission. Abgerufen von: http://www.clingendael.nl/sites/default/files/20080500_cscp_report_vries.pdf (16) Kundnani, A. (2012). „Blind Spot? Security Narratives and Far-Right Violence in Europe“. Den Haag: International Centre for Counter-Terrorism (Forschungsarbeit). Abgerufen von: https://www.icct.nl/download/file/ICCT-Kundnani-Blind-Spot-June-2012.pdf (17) „Europe and nationalism: a country-by-country-guide“. (10. September 2018). BBC News. Abgerufen von: https://www.bbc.com/news/world-europe-36130006 (18) Pellikaan, H., de Lange, S. L. und van der Meer, T. W. (2018). „The centre does not hold: Coalition politics and party system change in the Netherlands“, 2002-12 aus „Government and Opposition“, 53(2), 231–255. Abgerufen von: https://www.cambridge.org/core/journals/government-and-opposition/article/centre-does-not-hold-coalition-politics-and-party- system-change-in-the-netherlands-200212/7ACFCBF820AC9839B6C8BEEF42953210 Mudde, C. (2007). „Populist radical right parties in Europe“. Cambridge: Cambridge University Press. Abgerufen von: https://www.google.co.uk/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=2&ved=2ahUKEwi8_MaV4czgAhXKyKQKHWhrB8cQFjABeg QICBAC&url=http%3A%2F%2Fwww.pacedifesa.org%2Fpublic%2Fdocuments%2FCas%2520Mudde%2520Populist%2520Radical%25 20Right%2520Parties%2520in%2520Europe%2520%25202007.pdf&usg=AOvVaw375xkmIR68b9y0qEYDaGMU (19) Goodwin, M. J. (2011). „New British Fascism, Rise of the British National Party“. New York: Routledge (S. 29–30, S. 323–325.) Abgerufen von: https://www.taylorfrancis.com/books/9781136665912 Norris, P. (2005). „Radical right: voters and parties in the electoral market“. Cambridge: Cambridge University Press (S. 4). Abgerufen von: https://www.cambridge.org/core/books/radical-right/BAF243A4A4761F35954CD075EE5C8876 Radicalisation Awareness Network 8
EX-POST-BEITRAG RAN LOCAL – Rechtsextremismus 23./24. Januar 2019 Rotterdam, Niederlande Empfehlungen von lokalen PCVE-Koordinatoren • Lokale Behörden können bei der Prävention und Bekämpfung des gewaltsamen Rechtsextremismus eine zentrale Rolle spielen, da Anerkennung, Unvoreingenommenheit und Dialog vermutlich wirksamer sind als Ausgrenzung, öffentliche Repression oder aggressive Konfrontation. • Einstellungen, Verhaltensweisen und Äußerungen von RechtsextremistInnen sind problematisch, wenn eine starke Beschneidung der Bürgerrechte oder der bürgerlichen Freiheiten von bestimmten religiösen und/oder ethnischen Gruppen unterstützt wird. • Im Umgang mit Rechtsextremismus gestaltet es sich häufig schwierig, Schlüsselpersonen zu finden, die lokalen Behörden Informationen liefern und sie dabei unterstützen, einen Überblick über die lokale rechtsextremistische Szene zu erhalten und sich in ihr zu bewegen. Daher ist es wichtig, neue Kontakte mit Akteuren in Schlüsselpositionen zu knüpfen, sodass lokale Behörden mehr über Gruppen im Feld des Rechtsextremismus erfahren, an vorderster Front praktisch Tätige und andere Akteure schulen und eine einrichtungsübergreifende Zusammenarbeit aufbauen können. Lokale Behörden, die Polizei und Staatsanwälte müssen zu einer Übereinkunft kommen, wie mit Rechtsextremismus umzugehen ist, und entsprechend handeln. • Um sicherzustellen, dass die öffentliche Meinung nicht durch die rechtsextremistische Agenda manipuliert wird, sollten lokale Behörden eine Strategie zur aktiven Kommunikation entwickeln, mit der ein breites Publikum angesprochen wird (sowohl online als auch offline). Die Behörden sollten darauf aufmerksam machen, warum sie aktiv werden und was auf dem Spiel steht – hierzu sollten auch die rechtsextremistische Agenda und deren Intentionen offengelegt werden. Es ist wichtig, sich verständlich auszudrücken, ohne sich eines populistischen Ansatzes zu bedienen. • Lokale Behörden können der rechtsextremistischen Strategie, tatsächliche Missstände (z. B. in Bezug auf Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit) zwecks Manipulation für sich zu nutzen, entgegenwirken, indem sie die Ursachen dieser Missstände ansprechen. Selbst wenn diese Probleme nicht einfach gelöst werden können, wird das Monopol des Rechtsextremismus auf diese wichtigen Themen gebrochen, indem ein Dialog zu ihnen in Gang gesetzt wird. • Es ist auch entscheidend, rechtsextremistische Kriminalität als hassmotivierte Straftaten oder ideologisch begründete Gewalt einzustufen. Sie sollte nicht verharmlosend als „Zwischenfälle“ oder „provokatives Verhalten“ bezeichnet werden. Auch wenn die Polizei an der Grenze ihrer Kapazität arbeitet, müssen die Anstrengungen zur Lösung dieser Fälle intensiviert werden. Opfer von hassmotovierten Straftaten müssen unterstützt werden, um eine Anwerbung durch andere extremistische Gruppen zu verhindern. In der Bewährungshilfe müssen Gelegenheiten gesucht werden, hassmotivierte Straftäter mit Minderheiten in Kontakt zu bringen, um die Vorgänge von Dehumanisierung, Marginalisierung und Diskriminierung zu verhindern und/oder umzukehren. • Lokale Behörden könnten von Partnern profitieren, die sie bei der Online-Beobachtung unterstützen – letztendlich sind RechtsextremistInnen online oft stärker vertreten als offline und aus offen zugänglichen Quellen können umfassende Informationen gewonnen werden. • Um die Bildung von Umfeldern zu unterbinden, die zu Spaltung und Polarisierung beitragen und so Radikalisierung und Gewaltbereitschaft begünstigen, ist es wichtig, der sozialen Abkopplung entgegenzuwirken, die viele Bürger heutzutage verspüren. Ein fundierter, offener Diskurs mit staatlichen Stellen über Bürgerrechte und -pflichten ist notwendig. Mithilfe der Konzepte der Teilhabe können Bürger angereizt werden, sich an der lokalen Entscheidungsfindung zu beteiligen, und durch die Einrichtung kostenloser Angebote (z. B. einer kostenlosen Bibliothek) werden sie möglicherweise ermutigt, andere Menschen zu treffen und sozial mit ihnen zu interagieren. • Junge Menschen zu befähigen, gezielte Falschmeldungen zu erkennen, ist möglicherweise effektiver, als ein Gegennarrativ zum extremistischen Narrativ zu formulieren. Radicalisation Awareness Network 9
Sie können auch lesen