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ÖGfE Policy Brief 07’2019 Ein Europa der Nationen und Vaterländer? Mögliche Konsequenzen und offene Fragen Von Markus Pausch Wien, 09. April 2019 ISSN 2305-2635 Handlungsempfehlungen 1. Das diffuse Konzept eines Europas der Nationen sollte dringend konkretisiert werden, um für die WählerInnen Klarheit zu schaffen. 2. BefürworterInnen einer Renationalisierung sollten über die Konsequenzen ihrer Vorschläge eingehend befragt werden und wahlwerbende Parteien vor den Wahlen zum Europäischen Parlament öffentlich sowie detailliert über ihre konkreten Vorstellungen für die künftige Ausrichtung der EU Auskunft geben. 3. Die Demokratisierung der Europäischen Union muss weitergeführt werden. Zusammenfassung Die euroskeptischen Parteien haben ihre Strategie Vaterländer. Allerdings bleiben dabei viele Fragen of- seit dem Brexit-Referendum geändert. Sie sprechen fen und über mögliche Konsequenzen wird kaum ge- im Zuge des Wahlkampfs zum Europäischen Parla- sprochen. In diesem Policy Brief soll aufgezeigt wer- ment nicht mehr von einem Austritt ihrer Länder aus den, wie diffus das Konzept geblieben ist und womit der EU, sondern von einem Umbau der EU von innen man bei einer Renationalisierung jedenfalls rechnen her und propagieren ein Europa der Nationen oder müsste. Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999 1
ÖGfE Policy Brief 07’2019 Ein Europa der Nationen und Vaterländer? Mögliche Konsequenzen und offene Fragen Vor den Wahlen zum Europäischen Parlament tionalen Institutionen wie dem Europäischen Par- im Mai 2019 stehen wir vor einer Weichenstellung lament. Die Mitgliedstaaten stimmen als eine Art für Europa. Diese pathetisch anmutende Floskel hat zweiter Kammer zwar mit, können aber kein Veto man in den letzten Jahrzehnten zwar öfter gehört, einlegen. Im zweiten Modell bleiben die Regierun- doch diesmal scheint sie besonders angebracht. gen der Mitgliedstaaten über Einstimmigkeitsprinzip Kaum jemals zuvor in der Geschichte der europä- die entscheidenden Akteure. Sie behalten sich ein ischen Integration waren die Auflösungstendenzen Vetorecht oder zumindest Ausstiegs-Optionen vor. so stark wie heute. Mit dem Brexit kommt es mit großer Wahrscheinlichkeit erstmals zu einem Aus- tritt eines Mitgliedstaates aus der EU. Die Rechts- staatlichkeitsverfahren gegen Polen und Ungarn sind bisher einzigartig, der Ton zwischen einzelnen Mitgliedern ist rauer als jemals zuvor. Anti-europä- ische und euroskeptische Kräfte sind in mehreren Regierungen vertreten und weiter auf dem Vor- marsch. Und in der Europaforschung wird folgerich- tig nach vielen Jahrzehnten der Entwicklung und Quelle: Markus Pausch Verfeinerung von Integrationstheorien nun erstmals über die Notwendigkeit von Desintegrationstheorien „Eine Renationalisierung von Kompetenzen diskutiert (vgl. Jones 2018). Kräfte, die vormals ihre würde das Risiko von regionalen Unabhängig- Länder ganz aus der EU führen wollten, wittern nun keitsbestrebungen erhöhen.“ die Chance auf eine Zersetzung von innen durch die Verwirklichung eines sogenannten Europas der Na- Die tatsächliche Gestalt der EU entspricht heu- tionen. Was dieses Modell genau bedeuten könnte te keinem der genannten Ideale. Die Union wird zu und welche Konsequenzen zu erwarten wären, soll Recht als ein Konstrukt sui generis betrachtet und in der Folge analysiert werden. stellt eine Mischung zwischen Staatenbund und Bundesstaat dar (vgl. Bogdandy 1999). Die obige Europa zwischen Bundesstaat und Grafik veranschaulicht die beiden möglichen Ent- Staatenbund wicklungsprozesse. Siedelt man die heutige EU auf einem Kontinuum zwischen Bundesstaat und Staa- „Zwei Pole stehen sich seit den 1950er Jah- tenbund irgendwo in der Mitte an, so gibt es Push- ren gegenüber: Die Idee eines supranationa- und Pull-Effekte zu beiden Polen hin. Die jüngsten len Europas und jene eines intergouverne- Vorschläge des französischen Präsidenten würden mentalen Europas.“ die EU dem Bundesstaats-Modell näherbringen, wurden jedoch von der deutschen CDU-Chefin be- Die Frage, was die Europäische Gemeinschaft reits zurückgewiesen bzw. stark relativiert (NZZ On- bzw. Union sein soll, ist nicht neu. Zwei Pole ste- line 11.03.2019). Die Vorschläge von Marine Le Pen, hen sich seit den 1950er Jahren gegenüber: Die Matteo Salvini etc. würden sie dem Staatenbund Idee eines supranationalen Europas und jene eines zumindest annähern, möglicherweise selbst diesen intergouvernementalen Europas. Im ersten Modell in Frage stellen. Denn was in deren Vorstellung um werden Entscheidungen und Regelwerke oberhalb jeden Preis bewahrt werden muss, ist die nationale des Nationalstaats definiert, und zwar in suprana- Souveränität der Mitgliedsländer. Dabei übersehen 2 Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999
ÖGfE Policy Brief 07’2019 oder verschweigen sie jedoch ein Paradoxon: Die werden. Nationalstaatliche Integrität und Souverä- derzeit existierenden europäischen Nationalstaaten nität der Mitgliedstaaten wären ohne den Rahmen brauchen, wenn sie in den heutigen Grenzen über- der Europäischen Union keineswegs stabiler als leben wollen, den Rahmen der Europäischen Union. jetzt. Was aber tatsächlich ein bis heute nicht gelös- Eine Renationalisierung von Kompetenzen würde tes Problem der EU darstellt, ist ihre mangelnde de- das Risiko von regionalen Unabhängigkeitsbestre- mokratische Rückbindung. Auch wenn sich in den bungen erhöhen. Im Zuge des Brexit zeigen sich in letzten Jahrzehnten vieles in Richtung einer Demo- Schottland Abspaltungstendenzen vom Vereinigten kratisierung entwickelt hat, so ist man auf diesem Königreich. Eine Wiedererstarkung des spanischen Weg noch nicht weit genug gegangen. In manchen Staates im Zuge einer Renationalisierung Europas Politikbereichen ist das Europäische Parlament zu Ungunsten der Katalanen und Basken würde nicht ausreichend eingebunden. Der Europäische die staatliche Einheit auf der iberischen Halbinsel in Rat und die Räte sind als Exekutiven zur Legislative Frage stellen. In Belgien würden flämische Separa- geworden und das Spiel zwischen Regierung und tisten die Trennung von Wallonen einfordern. Selbst Opposition ist nicht ausreichend klar und nachvoll- zwischen Österreich und Italien könnten sich Strei- ziehbar (Pausch 2015). Dieser Schwachpunkt der tigkeiten über die Zugehörigkeit Südtirols ergeben, europäischen Demokratie muss korrigiert werden. wenn die Klammer der Europäischen Union wegfie- Euroskeptische Parteien schlagen als Lösung die le. Abgesehen von einer Gefährdung nationalstaat- Rückkehr zum Nationalstaat vor. Dies würde jedoch licher Einheiten wäre die Renationalisierung, etwa ungeahnte Risiken und kaum Verbesserungen aus das Ende des Schengener Abkommens, kontra- demokratiepolitischer Sicht mit sich bringen. Die Al- produktiv für die Wettbewerbsfähigkeit der Mitglied- ternative kann daher nur eine weitere Demokratisie- staaten (vgl. Böhmer et al. 2016). Insgesamt kann rung der EU sein. Vorschläge dazu gibt es zur Ge- ein Pooling von Souveränität in vielen Bereichen von nüge (ebd. 2015). Hennete et al. (2017) haben zuletzt Vorteil sein, insbesondere in einer global vernetzten das demokratische Defizit in Hinblick auf die Euro- und kompetitiven Welt. Das zeigt sich gerade an zone unterstrichen und dazu konkrete Vorschläge der Geschichte der britischen Mitgliedschaft. “The vorgelegt. gains from pooling sovereignty speak for themsel- ves. Britain joined the EU as the ‘sick man of Euro- Der nationale Euroskeptizismus pe’. Now its economic performance is among the im Wandel best.” (Financial Times Online, 12.06.2016). Sogar Margret Thatcher hat mit diesem Argument 1975 für „Über viele Jahre hinweg und noch weit den Verbleib ihres Landes in der damaligen Euro- über die Brexit-Abstimmung hinaus wollten päischen Gemeinschaft gestimmt (ebd. 2016). Und sie ihre Länder aus der Union herausführen, der britische Wirtschaftshistoriker Alan S. Milward um wieder volle nationalstaatliche Souveräni- hat 1992 gezeigt, dass die Supranationalisierung tät zu erlangen.“ Europas die Nationalstaaten nicht geschwächt, sondern gestärkt oder gar gerettet hat (vgl. Milward Die bekanntesten Beispiele des nationalen Eu- 1992). Die von so manchen Rechtspopulisten be- roskeptizismus waren in den 1990er Jahren Jean- schworene Souveränität in einer globalisierten Welt Marie Le Pens Front National, Umberto Bossis Lega kann somit als tendenziell illusorisch und jedenfalls Nord oder Jörg Haiders FPÖ. Sie und ihre Nach- ökonomisch riskant erachtet werden, da nicht ein- folgerInnen plädierten mehr oder weniger offen für mal die größten und stärksten Wirtschaftsmächte einen Austritt ihres Landes aus der EU. Lange Zeit der Union im globalen Match gegenüber China oder gelang es diesen Parteien aber nicht, sich auf euro- den USA mithalten könnten (vgl. Mandl 2016). Die päischer Ebene zusammenzutun und eine Fraktion Heilsversprechungen einer Renationalisierung kön- im Europäischen Parlament zu gründen, denn das nen mit empirischen Erkenntnissen nicht gestützt hätte eine paradoxe Entscheidung und die Trans- Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999 3
ÖGfE Policy Brief 07’2019 nationalisierung nationalistischer Akteure erfordert. Nach dem Brexit feierten euroskeptische Partei- Dazu konnte man sich noch nicht durchringen. Erst en in mehreren Mitgliedstaaten große Wahlerfolge, 2009 (UKIP und Lega Nord) bzw. 2014 wurden die allen voran in Italien und Österreich, wo sie auch in Zweifel überwunden und eine Fraktion der natio- Regierungen kamen. Diese Erfolge waren für die nalen EuroskeptikerInnen gegründet. Viel mehr als euroskeptischen RechtspopulistInnen weitere Mo- das Kokettieren mit einem Austritt aus der EU hat- tivation. Gleichzeitig aber führte das Chaos rund ten diese Parteien europapolitisch zwar nicht anzu- um den Brexit zu einer für sie ungünstigen Entwick- bieten, aber für ihre WählerInnen schien das über lung: Die Zustimmung zur Mitgliedschaft in der EU weite Strecken auszureichen. Austrittsankündigun- stieg laut Eurobarometer-Umfragen in allen Ländern gen gab es rund um den Brexit in verschiedenen deutlich an (vgl. Europäische Kommission 2018; Ländern. Der Europaparlamentarier der FPÖ Harald ÖGFE 2018). Forderungen nach einem Austritt aus Vilimsky brachte noch vor dem Brexit-Referendum der EU oder zumindest nach Referenden, die vor den Öxit ins Spiel: „Der freiheitliche EU-Delegations- kurzem noch aus Frankreich, den Niederlanden, leiter Harald Vilimsky will jetzt auch für Österreich Italien und abgeschwächt auch aus Österreich ver- bessere Konditionen - oder den EU-Austritt seines nehmbar waren, waren nun zu riskant und konnten Landes.“ (Website der FPÖ, im Cache, 20.02.2016). viele Leute abschrecken. Ein zumindest rhetorischer Sowohl Gert Wilders als auch Matteo Salvini kün- Strategiewechsel wurde notwendig. Im Wahlkampf digten in Twitter-Nachrichten an, dass sie es den für das Europäische Parlament ist die Austrittsfor- Britinnen und Briten gleich tun wollten. „Es lebe der derung nun fast verstummt. Manche leugnen sogar, Mut der freien Briten. Herz, Verstand und Stolz be- sie jemals getätigt zu haben. Stattdessen inszeniert siegen die Lügen, Drohungen und Erpressungen. man sich angesichts der Zuwanderung von Men- Danke, UK, jetzt kommen wir dran“ (Salvini nach: schen aus muslimisch geprägten Ländern nun als Der Standard Online 24.06.2016). Marine Le Pen Verteidiger eines wahren Europas, als europäische bejubelte den Brexit und forderte die Zerstörung Patrioten. Dabei hängen zumindest wichtige Teile der EU (Europe 1 Online 24.06.2016). 2017 meinte der Renationalisierungsakteure Verschwörungsthe- sie in einem Interview mit Europe1: „Es ist Zeit, mit orien an, die als rechtsextrem eingestuft werden. der EU Schluss zu machen. (…) Wir bauen ein neu- So ist immer wieder unverhohlen die Rede von ei- es Europa.“ (Le Pen, zit. nach Tagesspiegel Online nem geplanten Bevölkerungsaustausch, der das 25.02.2017). Diese Zitate zeigen die tiefe Ablehnung christlich-europäische Abendland gefährde (Wiener der Europäischen Union und ihrer supranationalen Zeitung Online, 16.03.2019). Als Hauptgegner wird Elemente, die unter den genannten rechtspopu- dabei von Viktor Orbán, Matteo Salvini oder auch listischen Parteien vorherrschen. Über viele Jahre Abgeordneten der FPÖ der jüdisch-stämmige Mil- hinweg und noch weit über die Brexit-Abstimmung liardär George Soros attackiert (Der Standard On- hinaus wollten sie ihre Länder aus der Union her- line, 4.06.2018). Auch Steve Bannon, der rechtsex- ausführen, um wieder volle nationalstaatliche Sou- treme Ex-Berater von US-Präsident Donald Trump veränität zu erlangen. Im letzten Zitat Le Pens wird sowie Vertreter der Identitären Bewegung werden jedoch schon ein strategischer Wandel angedeutet. immer wieder mit nationalen EuroskeptikerInnen in Verbindung gebracht oder von diesen gelobt (Die „Gleichzeitig aber führte das Chaos rund Presse Online, 19.03.2019; Huffington Post Online, um den Brexit zu einer für sie ungünstigen 23.04.2018). Entwicklung: Die Zustimmung zur Mitglied- schaft in der EU stieg laut Eurobarometer- Umfragen in allen Ländern deutlich an.“ 4 Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999
ÖGfE Policy Brief 07’2019 „So gibt es vor den Wahlen zum Europäi- fen und durch etwas Neues zu ersetzen. Marine Le schen Parlament Bemühungen von verschie- Pen sprach ab 2018 von der Errichtung der UNE denen Seiten, ein möglichst starkes Wahl- (Union des Nations Européennes) bzw. der Allian- bündnis bzw. nach den Wahlen eine möglichst ces des Nations Européennes, in der die Mitglied- starke Fraktion im EU-Parlament zu bilden.“ staaten volle Souveränität hätten (Le Parisien On- line 20.01.2019). Einig ist man sich auch darin, dass Die Europäisierung der EuroskeptikerInnen setzt das Europa der Nationen oder Vaterländer bzw. sich insofern fort, als neue Allianzen geschmiedet eine wie immer zu bezeichnende neue Organisa- werden, um die EU in ihrer derzeitigen Form zu tion nicht viel mehr sein soll als ein gemeinsamer schwächen. So gibt es vor den Wahlen zum Eu- Wirtschaftsraum bzw. eine Zollunion. Die FPÖ geht ropäischen Parlament Bemühungen von verschie- nicht ganz so weit wie die AfD oder andere Alliierte denen Seiten, ein möglichst starkes Wahlbündnis bzw. sendet unterschiedliche Signale aus. Von einer bzw. nach den Wahlen eine möglichst starke Frak- Abschaffung des EU-Parlaments spricht sie nicht, tion im EU-Parlament zu bilden. Dabei treten aller- nur von einer Verkleinerung. Auch die EU-Kommis- dings Schwierigkeiten in Hinblick auf gemeinsame sion soll beibehalten und verkleinert werden. Offen Sprachregelungen bzw. auf einheitliche Slogans bleibt, welche Bereiche weiterhin auf EU-Ebene ent- zutage: Le Pen und Salvini sprechen häufig vom schieden werden sollen, welche nicht. Das Einstim- „Europa der Nationen“, das es zu begründen gelte, migkeitsprinzip solle beibehalten werden wie es ist. während die AfD und die FPÖ den Nationsbegriff Von einer Ausdehnung ist nicht die Rede. Eine So- eher vermeiden und lieber vom „Europa der Vater- zialunion, eine EU-Armee, EU-Steuern oder eine/n länder“ sprechen. EU-FinanzministerIn lehnt die FPÖ ab. Gefordert wird aber ein Überdenken der Schengen-Regelung Das rätselhafte Europa der Nationen sowie der Europäischen Menschenrechtskonventi- on und der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Web- Was ist nun genau gemeint mit dem Europa der site FPÖ). Mit allzu radikalen Vorschlägen in Hinblick Nationen oder der Vaterländer? Diese Frage lässt sich auf das institutionelle Gefüge der Union hält man nicht so leicht beantworten. In erster Linie geht es aber sich also zurück, wohl um potenzielle WählerInnen um die Verteidigung bzw. Wiederherstellung der nati- oder Alliierte nicht zu verschrecken. Wie dies zu den onalstaatlichen Souveränität. Im Parteiprogramm der Forderungen anderer Parteien in der angestrebten AfD werden einige Schritte explizit genannt: Fraktion passt, bleibt offen. Zwischen dem, was die AfD vorschlägt (Abschaffung des EU-Parlaments, • Abschaffung des EU-Parlaments, Rückverlagerung von Kompetenzen) und dem, was die Freiheitlichen wollen (Verkleinerung des EU-Par- • Ausstieg aus dem Euro und dem Europäi- laments, Beibehaltung des Einstimmigkeitsprinzips schen Gerichtshof, wie derzeit) klafft eine große Lücke. • Konzentration auf wirtschaftliche Zusam- „Tatsächlich treten bei genauerem Blick in- menarbeit, nerhalb der euroskeptischen Parteienfamilie, starke Differenzen in vielen Fragen zutage.“ • Rückverlagerung von Kompetenzen an die Nationalstaaten (Website AfD). Die Ungenauigkeit und das Diffuse sind strate- gisch nützlich. Präzision und klare Vorschläge zur So deutliche Maßnahmen wie die von der AfD Ausgestaltung eines alternativen Europa-Konzepts angekündigten findet man bei deren Alliierten zwar hingegen sind für PopulistInnen ein riskanter Weg. nicht, sie lassen aber wenig Zweifel an ihrem Willen, Tatsächlich treten bei genauerem Blick innerhalb die EU fundamental umzugestalten bzw. abzuschaf- der euroskeptischen Parteienfamilie, starke Diffe- Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999 5
ÖGfE Policy Brief 07’2019 renzen in vielen Fragen zutage. Die polnische PiS Vertragsreform braucht Einstimmigkeit im Europäi- kann etwa den russlandfreundlichen Kurs anderer schen Rat sowie die Zustimmung des Europäischen rechtspopulistischer Parteien nicht mittragen. Die Parlaments. Dass alle 28 oder dann 27 Staats- und italienische Lega Nord verlangt seit langem eine Regierungschefs einem so tiefgreifenden Umbau Umverteilung von Flüchtlingen in Europa, was Or- der EU zustimmen würden, ist ausgeschlossen. báns FIDESZ, die FPÖ oder das Rassemblement Auch eine Mehrheit im EP ist nicht realistisch. Wenn National von Le Pen nicht akzeptieren. Zahlungen aber das bestehende Regelwerk einen Umbau nicht an strukturschwächere Länder oder Regionen kom- zulässt und Austritte ausgeschlossen werden, wie men Ungarn und anderen zugute, während öster- sollte es dann zu einem Europa der Nationen/Vater- reichische und deutsche EuroskeptikerInnen die länder kommen? Nettozahlungen ihrer Staaten und die Finanzierung anderer stark kritisieren. Einwanderung von Ost • Welche Reformvorschläge in Hinblick auf das nach West wird von RechtspopulistInnen verschie- institutionelle Setting sind angedacht? dener Länder als Sozialtourismus erachtet oder als Bedrohung für den inländischen Arbeitsmarkt. Die Diese Frage ist zwar aufgrund der erstgenannten Liste der potenziellen Konflikte ließe sich lange fort- Problematik sehr hypothetisch, sollte aber dennoch setzen. Was diese Parteien im Moment eint, sind gestellt werden. Sie erzwingt Antworten auf das ins- machtpolitische Interessen im Inland, vor allem aber titutionelle Gefüge der neuen Organisation. Sollte es der gemeinsame Gegner EU. Doch was, wenn die- weiterhin eine gemeinsame Währung geben, ein Eu- ser Gegner nach einer Umwandlung der Union in ropäisches Parlament, eine Europäische Kommissi- eine Gemeinschaft der Nationen oder Vaterländer on, einen Europäischen Gerichtshof? Es deutet al- wegfiele? les darauf hin, dass diese Institutionen abgeschafft oder stark geschwächt werden sollen. Wodurch Fragen an das Europa der Nationen würden sie dann ersetzt? Falls sie doch weiter exis- oder Vaterländer tieren, wie sollten die Gremien besetzt werden? Wie viele Europäische KommissarInnen sollte es geben, Die Konsequenzen eines Europas der Nationen wie viele Abgeordnete im Europäischen Parlament? oder Vaterländer sind also schwer abzuschätzen, Würden diese Abgeordneten weiterhin direkt ge- zumal konkrete Vorschläge und Maßnahmen bisher wählt oder aus nationalen Gremien beschickt? weitgehend ausbleiben. Den EU-skeptischen Befür- worterInnen dieses Modells müssen gerade deswe- • Welche Politikbereiche und Kompetenzen wä- gen folgende konkrete Fragen gestellt werden: ren auf europäischer Ebene angesiedelt? • Wie soll die Umwandlung der derzeitigen EU Diese Frage scheint an sich durch die Idee der in ein Europa der Nationen oder Vaterländer vollen Souveränität der Mitgliedstaaten bereits be- vonstattengehen? antwortet. Es gäbe demnach keine Politikbereiche mehr, die oberhalb der Mitgliedstaaten entschieden Diese Frage erzwingt eine Antwort in Hinblick auf werden könnten. Qualifizierte Mehrheiten wären das geplante Prozedere. Wenn Austritte aus der EU abgeschafft. Für konkrete Politikfelder hieße das, ausgeschlossen werden, müssten Schritte im Rah- dass etwa Fragen der Agrarförderungen, des Han- men des bestehenden Regelwerks gegangen wer- dels, der Währung, der Migration, der Umwelt, der den. Da tun sich jedoch große Hürden auf. Jede Klimapolitik, usw. wieder im Zuständigkeitsbereich 6 Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999
ÖGfE Policy Brief 07’2019 der einzelnen Staaten lägen. Nur im Falle von ein- zelnen Staaten im globalen Wettbewerb um Standor- stimmigen oder bilateralen Entscheidungen könnten te, Know-How, bei Qualitätsstandards spielen? sie gemeinsam gestaltet werden. Da Einstimmigkeit in den meisten Fragen sehr unrealistisch ist, wären Konklusion bilaterale Abkommen der logische Schluss. Dann aber verliert sich jeglicher Sinn einer solchen euro- Europa bleibt als Idee weiter umkämpft. Jene, die päischen Organisation, einem Europa der Nationen es zu einem Europa der Nationen oder der Vater- oder Vaterländer. länder umbauen wollen, sollten zu Präzisierung ihrer Ideen in Hinblick auf Umsetzung und Konsequen- • Was wäre im Falle von Streitigkeiten zwischen zen angehalten werden. Die Abläufe rund um den Mitgliedstaaten? Brexit unterstreichen die Notwendigkeit sachlicher Informationen. Mittel- und langfristig geht es aber Diese Frage erzwingt eine Antwort in Bezug auf vor allem um die weitere Demokratisierung der Eu- die künftige Stabilität des europäischen Kontinents. ropäischen Union. Können in einem Europa der Nationen oder Vater- länder Streitigkeiten zwischen Nationalstaaten, die es zweifelsohne geben würde, systematisch und entsprechend institutioneller Abläufe entschärft Literatur werden? Gäbe es eine Instanz zur Erhaltung des Friedens? Hätten kleinere Staaten Möglichkeiten, Böhmer, Michael/Limbers, Jan/Weinelt, Hei- sich gegen größere Staaten im bilateralen Match drun 2016. Abkehr vom Schengen-Abkommen. durchzusetzen? Gesamtwirtschaftliche Wirkungen auf Deutsch- land und die Länder der Europäischen Union, • Was wäre, wenn ein Mitgliedstaat in eine Auto- GED Study, Bertelsmann Stiftung, Gütersloh. kratie kippen würde? Bogdandy, Armin von 1999. Supranationaler Fö- Schließlich stellt sich die Frage, ob das Europa deralismus als Wirklichkeit und Idee einer neuen der Nationen weiterhin ein Interesse an der Beibe- Herrschaftsform, Baden-Baden: Nomos. haltung oder Verteidigung der Demokratie in ihren Staaten hätte, und falls ja, wie sie dieses Interesse Europäische Kommission 2018. Pressemitteilung umsetzen könnte. Die Maxime des absoluten Res- Standard-Eurobarometer-Umfrage Herbst 2018, pekts gegenüber nationaler Souveränität würde es Europäische Kommission Brüssel. wohl schwer machen, in innerstaatliche Transforma- tionen zu intervenieren. Europe 1 Online 24.06.2016, abgerufen am 2.04.2019: https://www.europe1.fr/politique/bre- Neben diesen stellen sich viele weitere Fragen, die xit-marine-le-pen-demande-un-referendum-en- einer konkreten Antwort bedürften. Was würde ein france-2781103 Europa der Nationen für andere internationale Or- ganisationen bedeuten, etwa für den Europarat, die Financial Times Online, 12.06.2016, abgerufen am NATO oder die OSZE? Welche Rolle könnten die ei- 9.04.2019: https://www.ft.com/content/169fa2a2- 2eee-11e6-a18d-a96ab29e3c95 Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999 7
ÖGfE Policy Brief 07’2019 Hennette, Stéphanie/Piketty, Thomas/Sacriste, Milward, Alan S., 1992: The European Rescue of Guillaume/Vauchez, Antoine 2017. Für ein anderes the Nation-State. Berkeley: University of California Europa : Vertrag zur Demokratisierung der Eurozo- Press. ne, München : CH Beck. Tagesspiegel Online 25.02.2017, abgerufen am Huffington Post Online, 23.04.2018, abgeru- 2.04.2019: https://www.tagesspiegel.de/themen/ fen am 9.04.2019: https://www.huffingtonpost. reportage/wahlen-in-frankreich-die-kultur-des- fr/2018/04/23/generation-identitaire-de-perso- wegschauens-ist-im-land-noch-tief-verwurzelt-es- na-non-grata-aux-agitateurs-preferes-du-front- gibt-korruption-und-vetternwirtschaft/19441194-2. national_a_23417761/ html Jones, Erik 2018. Towards a Theory of Disinteg- Website AfD, abgerufen am 9.04.2019: https:// ration. Journal of European Public Policy, 25:3, 440- www.afd.de/europa-eu/#5470f31ac40a04e63 451, DOI: 10.1080/13501763.2017.1411381 Website FPÖ, abgerufen am 9.04.2019: https:// Le Parisien Online 20.01.2019, abgeru- www.fpoe.eu/sichere-grenzen/ fen am 28.03.2019: http://www.leparisien.fr/ politique/europe -le -plan-f lou-de -mar ine -le - Website FPÖ, abgerufen am 9.04.2019: https:// pen-20-01-2019-7992987.php www.fpoe.eu/mehr-oesterreich-weniger-eu/ Mandl, Christian 2016. Die Kosten von „Nicht- Website FPÖ im Cache 26.02.2016, abgerufen am Schengen“. Wirtschaftliche Auswirkungen neu-er 29.03.2019: https://webcache.googleusercontent. Grenzen in Europa, ÖGFE Policy Brief, 8/2016, com/search?q=cache:EhYnnGmDmYAJ:https:// Wien. www.fpoe.at/es/artikel/nach-briten-deal-vilimsky- bringt-oexit-ins-spiel/+&cd=1&hl=de&ct=clnk&gl=at NZZ Neue Zürcher Zeitung Online, 11.03.2019, abgerufen am 8.04.2019: https://www.nzz.ch/inter- national/mehr-europa-aber-wo-kramp-karrenbauer- bringt-macron-in-verlegenheit-ld.1466147 ÖGFE Österreichische Gesellschaft für Europa- politik 2018: Umfrage zur EU-Mitgliedschat, https:// oegfe.at/2018/11/02_eu_mitgliedschaft/ Pausch, Markus 2015: Die EU zwischen Demo- kratisierung und Elitismus. Zur Notwendigkeit einer Trendwende für die europäische Demokratie, ÖGFE Policy Brief 04/2015. Der Standard Online 24.06.2016, abgerufen am 28.03.2019: https://derstandard.at/2000039711516/ Farrage-Sieg-fuer-wirkliche-Menschen 8 Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999
ÖGfE Policy Brief 07’2019 Über den Autor Prof. (FH) Dr. Markus Pausch ist Professor am Studiengang Soziale Arbeit und Soziale Innovation der Fachhochschule Salzburg. Er beschäftigt sich mit politikwissenschaftli- chen Fragestellungen, v.a. in Bezug auf Demokratie, demokratische Innovationen, Parti- zipation und Europafragen und ist Mitglied des UNESCO-Netzwerks für Prävention von Extremismus. www.markuspausch.eu Kontakt: markus.pausch@fh-salzburg.ac.at Über die ÖGfE Die Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) ist ein parteipolitisch unabhän- giger Verein auf sozialpartnerschaftlicher Basis. Sie informiert über die europäische In- tegration und steht für einen offenen Dialog über aktuelle europapolitische Fragen und deren Relevanz für Österreich. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Bezug auf die Förderung einer europäischen Debatte und agiert als Katalysator zur Verbreitung von eu- ropapolitischen Informationen. ISSN 2305-2635 Impressum Die Ansichten, die in dieser Publikation zum Ausdruck Österreichische Gesellschaft für Europapolitik kommen, stimmen nicht unbedingt mit jenen der ÖGfE Rotenhausgasse 6/8-9 oder jenen, der Organisation, für die die Autorin arbeitet, A-1090 Wien, Österreich überein. Generalsekretär: Mag. Paul Schmidt Schlüsselwörter Euroskeptizismus, Nationalismus, Demokratie Verantwortlich: Dr. Susan Milford-Faber Zitation Tel.: +43 1 533 4999 Pausch, M. (2019). Ein Europa der Nationen und Vaterlän- Fax: +43 1 533 4999 – 40 der? Mögliche Konsequenzen und offene Fragen. Wien. E-Mail: policybriefs@oegfe.at ÖGfE Policy Brief, 07’2019 Web: http://oegfe.at/policybriefs Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999 9
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