Und die Frisur hält - Kathleen Flynn-Hui Leseprobe aus: Mehr Informationen zum Buch finden Sie hier.

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Und die Frisur hält - Kathleen Flynn-Hui Leseprobe aus: Mehr Informationen zum Buch finden Sie hier.
Leseprobe aus:

        Kathleen Flynn-Hui

... und die Frisur hält

Mehr Informationen zum Buch finden Sie hier.

 (c) 2005 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg.
Faith fällt aus oder:
   Warum wir nicht im Laden kaufen

Alles begann an dem Morgen … man könnte ebenso
gut sagen: Alles endete an dem Morgen, an dem Faith
Honeycomb im Jean-Luc-Salon ohnmächtig zu Boden
sank. Bis dahin hatten wir viel zu tun gehabt, sogar un-
heimlich viel. Mit meinen vierunddreißig Jahren hatte
ich als Top-Coloristin schon so einiges erlebt, aber ich
konnte mich nicht erinnern, dass es im Salon je so zuge-
gangen war.
   Anlass für den Trubel war das krönende Gesellschafts-
ereignis der New Yorker Saison: der Pink-and-Purple-
Wohltätigkeitsball. Er zog Frauen aller Altersstufen
magisch an. Witwen von der Park Avenue kauften für
tausend Dollar Karten und luden ihre Enkelinnen ein,
die sich nachmittags aus ihren Eliteschulen Spence, Brear-
ley oder Dalton verdrückten, um sich stylen zu lassen.
Kaum hatte der Salon seine Pforten geöffnet, setzten die
Limousinen schon Damen der High Society ab. Wir aber
waren für den Ansturm schlecht gerüstet, da einige Kol-
legen zu Hausbesuchen unterwegs waren.
   Entlang der Fifth Avenue wuschen Stylisten Haare
und steckten Föhne in Steckdosen, während Maniküren
Handtücher ausbreiteten und juwelengeschmückte Hän-
de in Schälchen tunkten, Schoßhündchen umherwuselten
und Telefone klingelten.

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«Darling, wo bist du gerade?» Pause. «Bei John Frie-
da? O nein!»
   Dieses «O nein!» klang wie ein lang gezogener Seuf-
zer, voller Anteilnahme für die bedauernswerte Person,
die sich in aller Öffentlichkeit frisieren lassen musste.
   «Moi? Zu Hause, Darling. Mit der wundervollen …
wie war doch gleich Ihr Name, meine Liebe? Ach, egal,
jedenfalls ein Mädchen von Jean-Luc, das mit dem Föhn
wahre Wunder vollbringt.»
   Der Hausbesuch einer Junior-Stylistin von Jean-Luc
war nicht unter fünfhundert Dollar zu haben, eine Top-
Stylistin kostete tausend. Aber manchen Leuten ist ihre
Privatsphäre eben eine Menge wert. Zum Beispiel nach
einem Facelifting, von den Betroffenen auch gerne als
«Behandlung» oder «Kurztrip nach Beverly Hills» um-
schrieben. Was nimmt man nicht alles in Kauf, damit
niemand die Narben sieht …
   Doch zurück zur armen Faith Honeycomb. Angesichts
der vielen Damen, die ihrer Ballverschönerung harrten,
ahnte niemand, dass schon bald ein Krankenwagen mit
kreischenden Bremsen vor dem Salon halten und Ret-
tungssanitäter mitsamt Ausrüstung und rauschenden
Funkgeräten das plüschige, ganz in Grau und Burgun-
derrot gehaltene Allerheiligste von Jean-Luc stürmen
würden.
   Vor mir saß gerade Mrs. H. Erst Viertel vor elf, und sie
war schon mein dritter Kopf an diesem Morgen: mehrfar-
bige Coloration, Kastanie mit nussbraunen Strähnchen.
Meine Assistentin Tiffany hatte den Rollwagen mit Stiel-
kämmen und Clips, Watteröllchen, Spezialhandschuhen
und drei Schalen Farbe schon bereitgestellt. Eine der

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Farben kam mir irgendwie komisch vor. Bei genauerer
Betrachtung entpuppte sie sich als der Rest von Mrs. G.s
Skandinavischblond.
   «Überprüfst du das bitte nochmal, Tiff?» Ich deutete
auf die Schale mit dem zähen, weißen Aufheller, der um
ein Haar eine Park-Avenue-Matrone in eine Punkrocke-
rin verwandelt hätte.
   Erlauben Sie mir, eine kurze Erklärung einzuschieben,
weshalb Frauen bestimmte Coloristinnen bevorzugen:
Die eine findet dich sympathisch, weil du einen ähnlichen
Hund hast oder weil ihr dein Aussehen gefällt. Andere
gehen grundsätzlich nur zu Männern, weil sie Männer-
hände auf ihrem Körper spüren wollen. Und dann gibt es
natürlich noch die Zeitschriftengroupies, die nur zu der
Coloristin gehen, die gerade von «Elle» oder «Allure»
empfohlen wird. Stammkundinnen aber gewinnt man
nur, wenn man seinen Job gut macht.
   Das heißt: keine Fehler. Nie und nimmer. Einem Ge-
hirnchirurgen dürfen eher Fehler unterlaufen als einer
Coloristin. Verstehen Sie mich nicht falsch! Ich vergleiche
meine Arbeit weder mit der eines Gehirnchirurgen, noch
halte ich sie für besonders wichtig. Unter uns gesagt: Es
sind doch nur Haare. Aber es gibt Frauen, die Wert auf
ihre Haare legen. Sogar allergrößten Wert.
   Diese Gefahr war jedenfalls gebannt. Aus dem Augen-
winkel sah ich, wie Tiffany den Aufheller wegkippte und
die richtige Farbe anrührte. Sie war gestern Abend lange
durch die Clubs gezogen, um den Geburtstag einer an-
deren Assistentin gebührend zu feiern. Jetzt zitterten ihr
die Finger, als sie eine von Mrs. H.s Folien abwickelte.
Ich nahm mir vor, mal mit Tiff zu reden. Sie war jünger

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als ich, und ich wusste nur zu gut, in welche Fallen sie
tappen und wie sie ihr Leben ruinieren würde, wenn sie
nicht aufpasste. Assistentinnen kamen und gingen. Der
Druck war enorm und das Gehalt ein Witz. Manche leb-
ten jahrelang von ihren Trinkgeldern, während sie hoff-
ten und beteten, dass irgendwann auch für sie das magi-
sche Wort «Beförderung» erklingen möge. Alle träumten
sie davon, dass Jean-Luc eines Tages auch ihren Namen
auf eine Karte drucken und neben die Freesien an der
Empfangstheke stellen würde, auf der dann stand: Zu
unserer großen Freude teilen wir Ihnen mit, dass Sound-
so zur Junior-Stylistin befördert wurde. Ich weiß das. Ich
war selbst einmal eine von ihnen.
   «’tschuldigung, Georgia», flüsterte Tiffany mir über
den Kopf von Mrs. H. hinweg zu. Nicht dass Mrs. H.
irgendetwas mitbekommen hätte, denn sie war vollkom-
men in die neueste «British Vogue» vertieft. Über ihre
Schulter hinweg sah ich, dass sie einen Bericht über die
jüngste Generation von Gesichtscremes studierte.
   «Schon in Ordnung», sagte ich.
   Nein, als Assistentin hatte man es wirklich nicht
leicht. Vor allem nicht bei Jean-Luc, dem Epizentrum der
Verschönerung aller Frauen Manhattans – ach, was sag
ich: aller Frauen des Drei-Staaten-Dreiecks New Jersey,
Pennsylvania, Connecticut wie auch sehr vieler Frauen,
die extra per Flugzeug anreisten. Sie alle kamen einzig
und allein, damit Jean-Luc ihnen mit seinen Künstler-
händen durchs Haar fuhr und befand: «Das gefällt mir
nicht. Es ist zu …» – an dieser Stelle fügte er meist ein:
«… lappig. Wie sagt man doch gleich? Zottelig! Sie sind
eine schöne Frau, wuun-derr-schöön!» Dann tätschelte

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er seine berühmte Schere und warf die eigene dunkle
Mähne schwungvoll nach hinten. «Und jetzt erschaffen
wir Sie neu. Einverstanden?»
   Auf meiner Sitzbank warteten bereits drei Kundinnen
in ihren burgunderroten Frisierkleidern (Burgunderrot
stand für Färben, Dunkelgrau für Schneiden und Stylen);
zwei weitere waren soeben eingetroffen und zogen sich
noch um. Jean-Luc hatte den Empfang angewiesen, Ter-
mine bei mir im Fünfzehn-Minuten-Takt zu vergeben. So
kam es, dass sich schon am frühen Vormittag ein Stau
gebildet hatte. Keine dieser Damen war es gewohnt, zu
warten. Dennoch taten sie es. Geduldig. Notfalls stun-
denlang. Irgendeine ominöse Benimmregel schrieb ihnen
anscheinend vor, dass man es sich mit seiner Coloristin
oder Stylistin keinesfalls verderben durfte. Ärzte, Anwäl-
te, Buchhalter, Börsenmakler konnte man anbrüllen. Und
mühelos ersetzen. Doch wir bei Jean-Luc waren kostbar
wie Gold. Sie brauchten uns. Mrs. H.s Färbeformel war
(ebenso wie die von Mrs. P., Mrs. B. und Mrs. A. dort
auf der Wartebank) mein kleines Geheimnis, das ich auf
einer Karteikarte in einer abschließbaren Kassette hüte-
te – zusammen mit denen aller übrigen Kundinnen. Was
hätten sie nicht alles für ihre Formel gegeben! Sechs Mo-
nate ohne Botox. Ein Jahr ohne Selbstbräuner. «Bitte,
Georgia», flehten sie mich an, «ich bin doch den ganzen
Monat in Aspen. Was soll ich nur tun?» Und ich war
sogar versucht, sie ihnen auszuhändigen, denn eigentlich
war es egal. In den Händen irgendeines Friseurs in Co-
lorado hätte die Formel sich ohnehin in Scheiße verwan-
delt. Das Geheimnis lag nicht in der Zusammensetzung,
sondern in der Anwendung.

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