Wege aus der Kinderarmut - Warum eine Kindergrundsicherung so wichtig ist Heinz Hilgers - Volkssolidarität

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Wege aus der Kinderarmut - Warum eine Kindergrundsicherung so wichtig ist Heinz Hilgers - Volkssolidarität
Wege aus der Kinderarmut
Warum eine Kindergrundsicherung so wichtig ist

                   Vortrag in Berlin
 Sozialpolitisches Fachgespräch der Volkssolidarität
                 am 23. August 2018

                  Heinz Hilgers
  Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes
Wege aus der Kinderarmut - Warum eine Kindergrundsicherung so wichtig ist Heinz Hilgers - Volkssolidarität
Folgen von Kinderarmut

 Individuelle Folgen:
 • schlechte Bildungschancen – Pisa, OECD
 • unzureichende Gesundheitsvorsorge
 • mehr Gewalterfahrung

 Gesellschaftliche Folgen:
 • Erhebliche Anteile künftiger Generationen sind auf staatliche
   Unterstützung angewiesen
 • Immer wieder spektakuläre Kinderschutzfälle

                                                                   2
Wie Kinder Armut erfahren

         • Weil in meiner Familie das Geld nicht reicht, kann ich so gut wie nie
           ins Kino oder ins Freibad gehen.
         • Manchmal können wir es uns nicht leisten, Sachen für die Schule zu
           kaufen, zum Beispiel Hefte oder Stifte.
         • Im Winter friere ich manchmal, weil ich keine warme Kleidung
           habe.
         • Ab und zu bekommen wir Lebensmittel umsonst, zum Beispiel von
           der Tafel.
         • Kindergeburtstag feiern geht bei uns aus Geldgründen nur selten.

Quelle: Kinder in Deutschland. 3. World Vision Studie

                                                                                   3
Fakten zur Wirtschaftslage

 • Die deutsche Wirtschaft ist 2017 um 2,2 Prozent
   gewachsen, soviel wie seit sechs Jahren nicht mehr.
 • Der deutsche Staat nahm 2017 das vierte Mal in
   Folge mehr Geld ein, als er ausgab – ein Überschuss
   von 38,4 Mrd. Euro.
 • Die Zahl der Arbeitslosen lag im Dezember 2017 bei
   2,38 Millionen – 183.00 weniger als im Vorjahr.

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Kinderarmut als größtes Zukunftsrisiko

 Kinder, die von staatlichen Transferleistungen leben

    Entwicklung:
    2000: 15,6 Mio. Kinder = 1,45 Mio.
    2017: weniger als 13,0 Mio. Kinder
            = mehr als 3,00 Mio.

                                                        5
Dunkelziffer bei Kinderarmut hoch

 Viele Familien nehmen staatliche Leistungen aufgrund von Scham,
 Stigmatisierung oder bürokratischem Aufwand nicht in Anspruch
  In der Folge leben sie daher unterhalb ihres Existenzminimums
  Nach konservativen Schätzungen des DKSB kann die Kinderarmut
    um mehr als 1, 4 Mio. höher liegen, also bei mehr als 4,4 Mio.
      • Nicht-Inanspruchnahme Kinderzuschlag bei 60 Prozent (ca. +350.000)
      • Nicht-Inanspruchnahme bei SGB II-Bezug mit mindestens einem
        Erwerbstätigen bei „Aufstockern“ sogar 50 Prozent (ca. +850.000)
      • Nicht-Inanspruchnahme bei SGB II-Bezug ohne Erwerbstätigkeit bei ca.
        1/3 (+ 190.000)
      • Dazu kommen noch weitere Leistungen wie Wohngeld,
        Asylbewerberleistungen, sowie SGB XII

 Quelle: IAB Bruckmeier/Wiemers 2017; Becker/Hauser 2012; Drucksache 19/2804, BA Statistik.
                                                                                              6
Kinderarmut – Kinder und Jugendliche unter
18 Jahren mit Anspruch auf Leistungen des
Bildungs‐ und Teilhabepaketes (BuT), 2016

  2.500.000

               1.993.704

  2.000.000
                               davon 851.938 Kinder und
                               Jugendliche, deren Eltern ergänzende
                               SGB II-Leistungen trotz Erwerbsarbeit
  1.500.000                    erhalten

  1.000.000

                                   541.420
   500.000
                                                           229.881              225.333
                                                                                                  21.030
         0
                 SGB II          Wohngeld              Kinderzuschlag   Leistungen nach AsylbLG   SGB XII

 Quelle: Statistisches Bundesamt, BA Statistik, 2017 und 2018.
                                                                                                            7
„Kostenfaktor“ Kind

 • Kinder sind in Deutschland oft ein Armutsrisiko für Familien.
 • Das frei verfügbare Einkommen einer Familie sinkt mit
   zunehmender Kinderzahl deutlich ab.

                                                                   8
Vergleich frei verfügbares Einkommen 2015,
Jahresbrutto pro Haushalt

   60.000                                                                                        Bedarf zur Sicherung des
                                                                                                 Existenzminimums

                                                                          51.748
                                                                                                 Nettoeinkommen -(mit
   50.000
                                                                                                 Kindergeld) bei 30.000
                                                                 44.740
                                                                              46.043             Euro Jahresbrutto

                                                                          40.292                 Nettoeinkommen -(mit
   40.000                                               37.732                                   Kindergeld) bei 40.000
                                                                                                 Euro Jahresbrutto
                                           30.274
                                                                          34.450
                 33.368                                                                          Nettoeinkommen -(mit
   30.000   27.874                                                                               Kindergeld) bei 50.000
                              23.716
                                                                                                 Euro Jahresbrutto
             22.412

   20.000
                 16.708

   10.000

       0                                                                               Anzahl Kinder
             0            1            2            3            4        5            im Haushalt

                                                                                                                            9
Arm trotz Arbeit

 Existenzminimum Erwachsene(r)                                                        8.652
 Existenzminimum Kind (sächl. + BEA)                                                                7.248
 Existenzminimum Gesamt                                                                                              15.900         23.148

                                                                        JAHR
 Kindergeld (pro Kind)                                                                              2.352             -2.352         -4.706
 Unterhaltsvorschuss (pro Kind)                                                                     1.848             -1.848         -3.696
 erforderlicher Netto-Lohn                                                                                           11.700         14.748
 erforderlicher Brutto-Lohn                                                         10.852                           14.675         19.498
 erforderlicher Brutto-Lohn pro Monat                                                    904                           1.223          1.625
                                       Armutsgefährdungsschwelle                                                       1.260          1.550
 erforderlicher Brutto-Lohn pro Stunde (40h-Woche)                                      5,22                             7,07           9,39
 erforderlicher Brutto-Lohn pro Stunde (30h-Woche)                                      6,95                             9,41         12,50

 Quelle: 11. Existenzminimumbericht der Bundesregierung für 2017/2018; eigene Berechnung
 Alleinerziehend mit Steuerklasse 2, ohne Unterhalt, Kind(er) unter 5 Jahren, weitere Leistungen wie Kinderzuschlag und Wohngeld wurden nicht berücksichtigt

                                                                                                                                                               10
Verfehlte Sozial- und Steuerpolitik

 • Familien werden in Deutschland höchst ungleich gefördert.
 • Der maximale Effekt beim Ehegattensplitting ist mehr als 10
   mal so hoch wie die maximale Wirkung beim
   Entlastungsbetrag für Alleinerziehende.

                                                                 11
Vergleich Entlastungswirkung Ehegattensplitting
und Entlastungsbetrag für Alleinerziehende

  Jahresbruttoeinkommen   Entlastungsbetrag              Max. Splittingeffekt
                          Alleinerziehende, Euro, Jahr      Ehepaar, Euro, Jahr
        20.000 Euro                515,16                        2.500,-

        30.000 Euro                591,48                        3.300,-

       250.731 Euro                858,60                        8.692,15

                                                                                  12
Kindliches Existenzminimum ist nicht gesichert

  • Der Regelsatz im SGB II/XII wird künstlich kleingerechnet und
    reicht in der Höhe nicht aus.
  • Das Bildungs- und Teilhabepaket gewährleistet keine
    Bildungschancen für alle Kinder. Die tatsächlichen Kosten
    liegen deutlich höher.

                                                                    13
Kinderregelsätze 2018

 Kinderregelsatz für Kinder 0-6 Jahre: 240 Euro/ Monat
     Darin u.a. enthalten sind*:
     •       84,46 Euro für Nahrungsmittel und Getränke
     •       38,29 Euro für Bekleidung und Schuhe
     •       7,61 Euro für Gesundheitspflege
     •       0,72 Euro für Bildung

  Der Paritätische kommt in seiner Expertise zu den Regelsätzen 2018 zu dem Ergebnis
   einer Unterdeckung um mindestens 37 Prozent beim Erwachsenenregelsatz.
  Die statistische Grundlage der Kinderregelsätze bewertet der Paritätische als absolut
   unzureichend und fordert die Bundesregierung auf, ein alternatives System zur
   Feststellung des soziokulturellen Existenzminimums von Kindern zu erarbeiten.
 •       Quelle: Regelbedarfsermittlungsgesetz, i.d.F.v. 2011, Anpassung 2018 gemäß § 7 Fortschreibung der regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben; Paritätische Forschungsstelle, Expertise
         Regelbedarfe 2018. Herleitung und Bestimmung der Regelbedarfe in der Grundsicherung, Berlin 2018.
 •       * Die konkreten Werte von 2017 wurden gemäß Regelbedarfsfortschreibung mit einem Mischindex von 1,63 Prozent fortgeschrieben.

                                                                                                                                                                                                 14
Die Ungerechtigkeit des
Bildungs- und Teilhabepakets

                                                                     Bildungskosten von Eltern
                 3000

                 2500
                                                                                 2.400
                 2000

                 1500

                 1000
                                            998
                  500
                                                                                                                         415                                100
                      0
                                    Schulbedarf Ø                  Schulbedarf, tatsächliche Schulbedarf, elementar                               Schulbedarf BuT (davon
                                                                   max. Ausgaben oberstes                                                          70 E 1. HJ., 30 E 2. HJ)
                                                                           Quintil

 Quelle: Bericht der Landesregierung Schleswig-Holstein (2016): Anteile der Eltern an den schulischen Bildungskosten ihrer Kinder, Drucks. 18/4685.

                                                                                                                                                                              15
Schulbedarf von 100 € entbehrt
jeder Berechnungsgrundlage

  Begründung der Bundesregierung zur Pauschalierung statt tatsächlichem Bedarf:
  • „Die Höhe des anerkannten persönlichen Schulbedarfs ist pauschaliert. Wegen der höchst
     unterschiedlichen Anforderungen, die in den Ländern (…) an die persönliche Schulausstattung
     gestellt werden, würde es einen im Rahmen der Massenverwaltung nicht leistbaren
     Aufwand bedeuten, den jeweiligen Bedarf konkret zu ermitteln. Dies ist angesichts des
     ergänzenden Charakters der Leistung auch nicht erforderlich.“

  Begründung der Bundesregierung zur Höhe – Nicht-Erhöhung seit 2008:
  • „Der Betrag von 100 Euro im Jahr übersteigt zumindest den Wert der Position "Sonstige
     Verbrauchsgüter (Schreibwaren, Zeichenmaterial u. a.) in Abteilung 09 der Einkommens-und
     Verbrauchsstichprobe 2008, die wegen der gesonderten Berücksichtigung des Bedarfs nach §
     28 Absatz 3 bei der Ermittlung des Regelbedarfs von Kindern zwischen 6 und 17 Jahren nicht
     berücksichtigt worden ist. Diese Position wäre im Falle ihrer Berücksichtigung je nach Alter
     des Kindes mit lediglich 1 ,91 Euro bzw. 2,86 Euro pro Monat in die Bemessung des
     Regelbedarfs eingegangen.“

   Nötige Anschaffungen zum digitalisierten Lernen (z.B. Tablets) werden nicht berücksichtigt.

  Quelle: Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP (Mai 2018) auf die Frage nach der konkreten Berechnungsgrundlage des Schulbedarfs von 100 € im Jahr.

                                                                                                                                                                             16
Präventionsstrategien

 • Gerechtigkeit im Steuer- und Sozialsystem
   Die Kindergrundsicherung – Aufgaben des Bundes

 • Bildung als Hilfe zur Selbsthilfe
   Integrative Bildung für alle: arm und reich, Deutsche und
   Migranten, Behinderte und Gesunde; verantwortlich: die
   Länder

 • Persönliche Hilfen und wirtschaftlich Hilfen gehören
   zusammen
   Kommunen organisieren individuelle Unterstützung mit
   Wertschätzung und Hilfsbereitschaft

                                                               17
Die Kindergrundsicherung (1)
Konzept Kindergrundsicherung - Leistung

  Die Höhe der Leistung orientiert sich am kindlichen Existenzminimum
  (11. Existenzminimumbericht der Bundesregierung)
  – mangels Alternativen!

                                                      pro Jahr    pro Monat
    verfassungsrechtlich notwendiger Betrag für das
    sächliche Existenzminimum                         4.788 EUR      399 EUR

    Freibetrag für Betreuung, Erziehung und
                                                      2.640 EUR      220 EUR
    Ausbildung (BEA)

    insgesamt                                         7.428 EUR      619 EUR

                                                                               18
Vergleich Status Quo 2018 und
Kindergrundsicherung (2)

          700
                                                                                                 Status Quo, 2018
                619                                                                              Kindergrundsicherung
          600

          500

          400
   Euro

                                                                                           291
                358
          300

          200
                                          194

          100

           0
                0     100   1100   2100         3100   4100   5100   6100   7100   8100   9100
                                          Bruttoeinkommen in Euro

                                                                                                                        19
Die Kindergrundsicherung (3)
Konzept Kindergrundsicherung - Eckpunkte

 •   wird an alle Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre ausgezahlt
 •   wird um den Grenzsteuersatz des Elterneinkommens gemindert
 •   reduziert sich bis auf die Höhe der maximalen Entlastungswirkung der steuerlichen
     Kinderfreibeträge von ca. 300 Euro
 •   ab 18 Jahre (in Ausbildung / Studium) analog zum Kindergeld bis zum 25.
     Lebensjahr den Mindestbetrag von ca. 300 Euro als Pauschale; SchülerInnen in
     allgemeiner Schulbildung (auch Ü18 Jahre) erhalten die Kindergrundsicherung
     weiter bis zum Abschluss ihres ersten Bildungsweges
 •   ersetzt nur pauschal bemessene Transfers
     = Sonder- und Mehrbedarfe werden vom Grundsicherungsträger extra bemessen
 •   eine Auszahlungsbehörde

                                                                                         20
Die Kindergrundsicherung (4)
Konzept Kindergrundsicherung - Ergebnis

  Durch eine KINDERGRUNDSICHERUNG könnte ...
  ... Kinderarmut bekämpft werden

  ... die Familienförderung sozial gerechter und transparenter werden

  ... Teilhabe- und Bildungschancen für alle Kinder verbessert werden

  ... die Beantragung für alle Eltern einfacher werden

  ... nur EINE Behörde zuständig sein

  ... Politik und Verwaltung Ausgaben besser kalkulieren und planen

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Erfolgsfaktoren für Hilfen für Familien in Armuts-
oder anderen Krisenlagen

  • Menschenbild
  • Haltung
  • „So früh wie möglich“
  • Aufsuchende Sozialarbeit
  • Hilfe zur Selbsthilfe
  • Fachkräfte und Eltern sind Erziehungspartner
  • Ressourcenorientierung
  • Vernetzung von Bildung, Gesundheit, Kinder-, Jugend- und
    Familienhilfe
  • Dialog

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Fragen?

          Vielen Dank für Ihre
           Aufmerksamkeit!
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