URSACHEN DES STUDIEN ABBRUCHS BEI STUDIERENDEN MIT MIGRATIONS HINTERGRUND - ZENTRALE ERGEBNISSE

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URSACHEN
DES STUDIEN­ABBRUCHS
BEI STUDIERENDEN MIT
MIGRATIONS­HINTERGRUND
ZENTRALE ERGEBNISSE
EINLEITUNG

Im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF)
und der Stiftung Mercator hat das Deutsche Zentrum für Hochschul- und
Wissenschafts­forschung (DZHW) 2014 – 2016 die bislang größte bundes­-
weit repräsentative Untersuchung zu Umfang und Motiven des Studien­
abbruchs an deutschen Hochschulen durch­geführt.

6.000 Exmatrikulierte des Sommersemesters 2014               fast jeder dritte Bachelor-Studierende sein Studium
wurden zu den Ursachen und Bedingungen für                   abbricht. Die Studien­abbruchquote von Bildungs­
die vorzeitige Beendigung ihres Studiums befragt.            inländern, der einzigen bislang statistisch erfass­baren
Dabei wurden zum ersten Mal auch die speziellen              Gruppe von Studierenden mit Migrations­hintergrund,
Studien­abbruch­motive von Studierenden mit                  liegt mit 43 Prozent im Bachelor­studium besonders
Mi­grations­hintergrund analysiert. Der hohe Anteil          hoch. Dies macht deutlich, dass die Bewältigung
von 1.113 Personen mit Zuwanderungs­ge­schichte              eines Studiums für Menschen aus Zuwanderungs­
an der Befragung hat es ermöglicht, erstmalig re­­-          familien eine besondere Herausforderung darstellt.
präsen­tative Daten zu dieser Gruppe zu erheben und          Diese Zusammenfassung zeigt auf, vor welchen
daraus Rückschlüsse auf ihre be­sonderen Heraus­             Schwierigkeiten Studierende mit Migrationshinter-
forderungen im Studium zu schließen. Die Studien­            grund stehen und welche Handlungsempfehlungen
ergebnisse zeigen, dass trotz aller Bemühungen um            sich daraus für das deutsche Bildungssystem ableiten
mehr Qualität in Studium und Lehre immer noch                lassen.

                Die Studie verdeutlicht, dass die Bewältigung eines Studiums
                  für Menschen aus Zuwanderungsfamilien eine besondere
                 Herausforderung darstellt. Für die Zukunftsfähigkeit dieser
                Gesellschaft ist es aber entscheidend, die Potenziale aller hier
                                lebenden Menschen zu nutzen.

                                Dr. Wolfgang Rohe, Geschäftsführer der Stiftung Mercator

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NUR GYMNASIEN BEREITEN GUT AUF EIN STUDIUM VOR

Studierende mit Abitur haben einen deutlich höheren                       führen, nicht so gut auf ein Studium vorbereiten wie
Studienerfolg als Studierende, die ihre Hochschulreife                    das Gymnasium. Dieses Problem betrifft in besonde-
auf anderem Wege erlangt haben (zum Beispiel an                           rem Maße Jugendliche mit Migrationshintergrund,
Fachoberschulen, Berufsoberschulen oder anderen                           da sie nach der Grundschule oft kein Gymnasium
weiterführenden Schulformen). Letztere brechen ihr                        besuchen und ihre Hochschulzugangsberechtigung
Studium überdurchschnittlich häufig ab, insbesondere                      entweder an einer nicht gymnasialen weiterführenden
aufgrund von Leistungsproblemen. Es wird deutlich,                        Schule oder über den zweiten Bildungsweg erwerben.
dass nicht gymnasiale Schulen, die zur Hochschulreife

Schulart von Studienabbrechern und Absolventen

                                                      Gymnasium                               andere Schularten / auf einem anderen Weg

STUDIENABBRECHER
 mit
 Migrationshintergrund                                  54 %                                                       46 %

 ohne
                                                        64 %                                                       36 %
 Migrationshintergrund

ABSOLVENTEN
 mit
 Migrationshintergrund                                  69 %                                                       31 %

 ohne
                                                        81 %                                                       19 %
 Migrationshintergrund

Quelle

DZHW-Studie Studienabbruch bei Studierenden mit Migrationshintergrund 2017
Eine Expertise im Auftrag der Stiftung Mercator
Autoren: Dr. Ulrich Heublein und Julia Ebert, Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW)
Kontakt: heublein@dzhw.eu, ebert@dzhw.eu

                                                                                                                                          3
EXTRINSISCHE STUDIENWAHLMOTIVE WIRKEN SICH NEGATIV
AUF DEN STUDIENERFOLG AUS

Jugendliche mit Migrationshintergrund lassen sich bei           der Entscheidung für ihr Studienfach gespielt. Auch
der Studienfachwahl stark durch extrinsische Motive             der Rat von anderen – insbesondere von Eltern und
leiten: Gute Arbeitsmarktchancen, die Aussicht auf              Verwandten – war für sie von größerem Einfluss. Eine
ein hohes Einkommen und das Streben nach einem                  solche Studienwahl, die häufig mit einer fehlenden
angesehenen Beruf haben für 59 Prozent der migran-              Identifikation mit dem eigenen Studienfach einhergeht,
tischen Studienabbrecher eine zentrale Rolle bei                gefährdet den Studienerfolg jedoch erheblich.

Motive der Studienfachwahl von Studienabbrechern und Absolventen

STUDIENABBRECHER

       67 %         70 %
                                           59 %
                                                        54 %
                                                                      38 %        33 %
                                                                                                    17 %        12 %

ABSOLVENTEN

                    81 %
       74 %

                                                                      48 %        47 %
                                           42 %
                                                        35 %

                                                                                                    12 %
                                                                                                                7%

       Intrinsische Motive                Extrinsische Motive          Soziale Motive                Rat von anderen

    mit Migrationshintergrund   ohne Migrationshintergrund

FAMILIÄRE AUFGABEN UND SPRACHLICHE EIN­SCHRÄNKUNGEN
BEEINTRÄCHTIGEN DEN STUDIENERFOLG

Familiäre Verpflichtungen tragen für Studierende                hat. Auch der Gebrauch der Herkunftssprache im
mit Migrationshintergrund überdurchschnittlich oft              Elternhaus wirkt sich mittelbar auf den Studienerfolg
dazu bei, dass sie ihr Studium abbrechen: 23 Prozent            aus: Er beeinflusst die Deutschnote in der Schule
nennen die familiäre Situation als eine von mehreren            und die Fähigkeit zum Umgang mit der deutschen
Ursachen. Die konkreten Motive beziehen sich zum                Wissenschafts­sprache. Dies führt zu Schwierigkeiten,
großen Teil auf die Herkunftsfamilie der Studierenden,          den Studienanforderungen gerecht zu werden.
die in vielen Kulturen einen sehr hohen Stellen­wert

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FINANZIELLE SORGEN SIND ÜBERDURCHSCHNITTLICH OFT
GRUND FÜR STUDIENABBRUCH

Neben den drei meistgenannten Abbruchmotiven –                      finanzielle Probleme als eine von mehreren Ursachen
Leistungsproblemen, dem Wunsch nach einer prak-                     für ihren Studienabbruch an. Migranten können von
tischen Tätigkeit und einer mangelnden Studien­                     ihren Eltern seltener im Studium unterstützt werden
motivation – sind finanzielle Sorgen insbesondere für               und berichten häufiger von einer ungesicherten Stu-
Studierende mit Zuwanderungsgeschichte ein wich-                    dienfinanzierung. Besonders stark sind jene betroffen,
tiger Grund, das Studium abzubrechen. 45 Prozent                    die aus Nichtakademikerfamilien stammen.
der Exmatrikulierten mit Migrationshintergrund geben

Begründung des Studienabbruchs (mehrfache Nennung möglich)

                                                                                                             81 %
Leistungsprobleme
                                                                                                          79 %

                                                                                                   71 %
praktische Tätigkeit
                                                                                                      75 %

                                                                                                   71 %
mangelnde Studienmotivation
                                                                                                   71 %

                                                                                            64 %
Studienbedingungen
                                                                                          61 %

                                                                                   45 %
finanzielle Situation
                                                                     34 %

                                                                            39 %
persönliche Gründe
                                                                        37 %

                                                                       36 %
Studienorganisation
                                                                         38 %

                                                             24 %
berufliche Alternative
                                                             24 %

                                                             23 %
familiäre Situation
                                                      13 %

  mit Migrationshintergrund   ohne Migrationshintergrund

                                                                                                                         5
FAZIT

Die Ergebnisse zeigen, dass sich junge Menschen aus Zuwandererfamilien
über alle Bildungsphasen hinweg – in der Schule, im Übergang von der
Schule an die Hochschule sowie im Studium – mit einer Kumulation von
Problemlagen auseinandersetzen müssen, die ihren Studienerfolg über-
durchschnittlich stark gefährden.

Erste entscheidende Hürden werden schon beim                   geschichte. Eindeutige Unterschiede gibt es hinge-
Übergang von der Grundschule in die weiterführende             gen bei Studierenden aus einem nicht akademischen
Schule aufgebaut, da viele Schüler mit Migrations-             Elternhaus: Erstakademiker mit Migrationshintergrund
hintergrund kein Gymnasium besuchen. Mit dem                   studieren unter deutlich schwierigeren Bedingungen
Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung ist dann               als deutschstämmige Erstakademiker und sind somit
ihr Wunsch meist sehr groß, durch ein Studium den              doppelt benachteiligt.
sozialen Aufstieg zu schaffen. Zugleich fehlen jedoch
Orientierung und Vorbilder, um das gewünschte und              Das Fundament für den erfolgreichen Abschluss des
passende Studienfach auszuwählen. Im Studienverlauf            Studiums wird insbesondere bei jungen Menschen mit
wiederum macht vielen Studierenden mit Zuwande-                Migrationshintergrund in den Lebensphasen gelegt,
rungsgeschichte ihre unsichere finanzielle Situation zu        die dem Studium vorausgehen, und schließt damit eine
schaffen. Kommen dann noch Leistungsprobleme oder              Vielzahl von Akteuren ein. Maßnahmen zur Förderung
familiäre Verpflichtungen hinzu, mündet dies häufig            des Studienerfolgs dürfen sich daher nicht ausschließ-
in einen Studienabbruch. Studienabbruch ist also ein           lich auf die Studiensituation als solche beschränken,
komplexes Phänomen, das durch das Zusammenspiel                sondern müssen Akteure und Handlungsfelder von der
einer Vielzahl innerer und äußerer Faktoren verursacht         Schule bis zur Hochschule berücksichtigen. Eine He-
wird, die sich gegenseitig bedingen und verstärken.            rausforderung ist es dabei, keine segregierenden und
                                                               damit potenziell stigmatisierenden Fördermaßnahmen
Wenn Studierende mit Migrationshintergrund aus                 nur für Studierende mit Migrationshintergrund zu
einem akademischen Elternhaus stammen, haben sie               schaffen, diese aber gezielt auf die Angebote aufmerk-
kaum größere Probleme bei der Bewältigung eines                sam zu machen.
Studiums als Studierende ohne Zuwanderungs­

                     Erstakademiker aus Zuwandererfamilien sind doppelt
                       benachteiligt: durch ihren Migrationshintergrund,
                   aber vor allem durch ihre soziale Herkunft. Wir setzen uns
                     dafür ein, die bestehende Ungleichheit zu beseitigen.

                                 Dr. Wolfgang Rohe, Geschäftsführer der Stiftung Mercator

6
HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN

STUDIENVORBEREITUNG                                        STUDIENFINANZIERUNG

▶ Schulische Lerninhalte und fachliche Studien-           ▶ Sozial benachteiligte Studierende sollten bei der
   anforderungen sollten auf Landesebene besser               Sicherung ihrer Studienfinanzierung mehr Unter-
   aufeinander abgestimmt werden. Nicht gymnasiale            stützung erhalten. Der Bezug von BAföG stellt in
   weiterführende Schulen fungieren immer häufiger            vielen Städten keine ausreichende Grundlage zur
   als Zugangsweg in die Hochschule, werden ihrer             Finanzierung des Lebensunterhalts dar. Unter-
   studienvorbereitenden Rolle aber nicht ausreichend         stützungsangebote, die weiter ausgebaut werden
   gerecht. Die Lernziele und -inhalte ihres Unterrichts      sollten, sind Beratungen zur Studienfinanzierung
   sollten mit den fachlichen Studienanforderungen            sowie die Vergabe von Überbrückungsstipendien
   aller sich anschließenden Bildungswege, insbeson-          in prekären Studiensituationen durch Hochschulen
   dere Fachhochschulen und Universitäten, ab­                oder Studierendenwerke.
   geglichen werden. Auch die Hochschulen sollten
   ein­heitliche Leistungsanforderungen für                ▶ Bei der Vergabe von Studienstipendien – wie dem
   die wichtigsten Grundlagenfächer definieren.               Deutschlandstipendium oder den Stipendien der
                                                              13 deutschen Begabtenförderungswerke – sollten
▶ An den Hochschulen sollten Angebote zur fach­              soziale Kriterien stärker berücksichtigt werden.
   lichen Studienvorbereitung weiter ausgebaut                Gesetzlich ist dies beim Deutschlandstipendium
   und stärker auf heterogene Zielgruppen – unter             prinzipiell vorgesehen. Die Ausgestaltung der Ver­
   anderem Studieninteressierte mit Migrations­               gabekriterien obliegt jedoch den Hochschulen sowie
   hintergrund und/oder aus Nichtakademiker-                  den privaten Förderern. In der Praxis werden bis­
   familien – ausgerichtet werden. Die angebotenen            lang meist die Studienleistungen der Bewerber als
   Kurse sollten einheitlichen Qualitätsstandards             zentrales Bewertungskriterium herangezogen. Hier
   unterliegen.                                               sollten die politischen Vorgaben angepasst werden.

▶Alle Studieninteressierten sollten die Möglichkeit
   erhalten, sich bereits im Schulkontext über Stu­
   dienanforderungen und -inhalte zu informieren und
   die Passung zwischen ihren Interessen und Fähig-        SPRACHE
   keiten sowie den Anforderungen der Ausbildungs-
   wege zu prüfen. Dies gelingt am besten mit einer        ▶ Der Gebrauch des Deutschen als Wissenschafts­
   individuellen Berufs- und Studienberatung anhand           sprache sollte sowohl in der schulischen Oberstufe
   professioneller diagnostischer Verfahren sowie             als auch beim Übergang ins Studium bzw. zu
   durch flexible Einstiegsangebote der Hochschulen.          Studien­beginn gefördert werden. Angebote wie
   Schulabsolventen sollten auf dieser Grundlage              Schreibkurse sowie Rhetorik- und Diskussions-
   eine informierte und selbstständige Ausbildungs-           trainings sollten an Schule und Hochschule weiter
   entscheidung treffen können.                               ausgebaut werden. Zudem sollten die Hochschulen
                                                              derartige Angebote in die Curricula der Studien­
                                                              gänge integrieren und nicht ausschließlich auf frei­
                                                              williger Basis anbieten.

                                                                                                                     7
© Stiftung Mercator, Essen, Mai 2017; Grafiken: Ines Meyer, Anna Rosa Stohldreier, Infogram

Stiftung Mercator GmbH                    Larissa Dickhaut
Huyssenallee 40                           Projektmanagerin Bereich Wissenschaft
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