Urteile und Rechtsprechung zur Kostenerstattung in der Refraktiven und Katarakt-Chirurgie (2006 bis 2020)
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SONDERVERÖFFENTLICHUNG 2020 Urteile und Rechtsprechung zur Kostenerstattung in der Refraktiven und Katarakt-Chirurgie (2006 bis 2020) 2. erweiterte Auflage RA Michael Zach Kanzlei für Medizinrecht Volksgartenstraße 222a 41065 Mönchengladbach Tel: +49 2161 688 74 10 Fax: +49 2161 688 74 11 Mobil +49 172 257 18 45 www.rechtsanwalt-zach.de
URTEILE UND RECHTSPRECHUNG KOSTENERSTATTUNG IN DER REFRAKTIVEN UND KATARAKTCHIRURGIE Vorwort zur 2. erweiterten Auflage M oderne Medizin ist nicht nur auf der Seite der Entwick- ler und Anwender mit Kostenerwägungen verwoben. Auch der Verbraucher plant mit Behandlungskosten und trifft entspre- Der Kostenersatz für den Einsatz des Femtosekundenlasers wird von der PKV seit Jahren abgelehnt. Seit 2016 publiziert der Verband der PKV sogar http://docplayer.org/53399443- chende Vorsorge. So wird der Disput um Kostenersatz (Reimbur- Stellungnahme-des-verbandes-der-privaten-krankenversicherung-e-v- sement) häufig nicht nur eine Feuerprobe des neuen Behandlungs- zur-abrechnung-einer-katarakt-operationen-mit-femtosekundenlaser. ansatzes hinsichtlich der Frage nach dem Ob der medizinischen html, dass der Femtosekundenlaser bei der Katarakt-Operation gar Notwendigkeit dem Grunde nach, sondern auch hinsichtlich der nicht abrechenbar ist und weder vom Patienten noch vom Kosten- Frage nach dem Wie der Erstattung der Höhe nach. Klar ist, träger zu bezahlen ist. Die Abrechnung des Femtosekundenlasers dass ein neues Medizinprodukt, wie zum Beispiel eine verbes- bei Katarakt bezeichnet der PKV-Verband als rechtswidrig und als serte Intraokularlinse regelmäßig zum Einkaufspreis als Auslage wucherisch und stützt sich hierbei auf ein Urteil des OLG Naum- der Behandlung durch den Kostenträger zu ersetzen ist. Klar ist burg, Urteil vom 9.5.2019, 4 U 26/19. ebenso, dass nicht jedweder neue Behandlungsansatz, nicht jede Verfeinerung einer chirurgischen Technik eo ipso eine Erhöhung Bei der Verwendung dieser Sammlung von Veröffentlichungen, des Arzthonorars nach sich zieht. Hier kommt es auf die schwer die in der Fachzeitschrift DER AUGENSPIEGEL von 2006 zu fassenden Begriffe der Indikation, der Eigenständigkeit, der bis 2020 erschienen sind, möge beachtet werden, dass sich die Gleichwertigkeit und der Notwendigkeit einer ärztlichen Leistung Texte in chronologischer Ordnung befinden: Wegen LASIK war an. Die juristische Subsumtion der modernen Behandlungstechni- eine PKV erstmals 2006 zur Kostentragung verurteilt worden, ken unter diese Begriffe befasst derzeit die Rechtsprechung und seit dem 29. März 2017 besteht insofern Klarheit durch das kann weichenstellend für alle Beteiligten sein. Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH [S. 16]). Die Kostentra- gungspflicht der PKV für den Femtosekundenlaser bei der Kata- Das Reimbursement-Management unterscheidet zunächst zwischen rakt-Operation wurde erstmals 2015 ausgeurteilt. Für den kla- den drei Kostenträgern: gesetzliche Krankenversicherung (GKV), ren Linsentausch wurde die medizinische Notwendigkeit 2017 private Krankenversicherung (PKV) und Beihilfe. Die refraktiven rechtskräftig durch mehrere Oberlandeslandesgerichte bejaht. Verfahren (PRK, Smile, Lasik [S. 16, 28], CLE [S. 11, 20], phake 2019 wurde erstmals die PKV-Erstattungspflicht für die Floa- Linse [S. 23]) werden regelmäßig ausschließlich in der PKV erstat- ter-Behandlung mittels YAG-Lasers bestätigt (S. 6). Neue Ver- tet. Der Einsatz des Femtosekundenlasers bei der Katarakt-Opera- fahren wie die permanente Augeninnendruckmessung bei Glau- tion (LCS [S. 5, 14, 21]) darüber hinaus regelmäßig auch in der Bei- kom (S. 8) oder die lichtadjustierbaren Linsen (LAL [S. 10]) bei hilfe (S. 24). In allen Fällen empfiehlt es sich für den Patienten, in Katarakt stehen vor dem Durchbruch im klinischen Alltag. der Stadt zu klagen, in der die großen PKVen ihren Sitz haben, das heißt in Dortmund (zum Beispiel Continentale, Signal Iduna, Deut- Mein besonderer Dank gilt Herrn Rechtsanwalt Alan Reider, scher Ring) und Köln (zum Beispiel AXA, Central, Gothaer, DKV), Washington D.C., der einen wertvollen Gastbeitrag geleistet hat, da dort schon auf der Ebene der Amtsgerichte spezialisierte Richte- in dem er einen Rückblick (Seite 18) gibt auf die medizintechni- rinnen und Richter tätig sind. sche und juristische Entwicklung der Kataraktchirurgie am Bei- spiel der USA. Die ambulante refraktive Chirurgie wird tariflich fast immer mit tariflich zu 100 Prozent seitens der PKV erstattet. Neuerdings sind Tarife anzutreffen, die die Kostenerstattung für eine refrak- tive Operation zum Beispiel auf höchstens 1.000 Euro deckeln. Mönchengladbach, im Juni 2020 Häufig unterstützen die Behandlungszentren ihre Patienten bei der Durchsetzung der Erstattungsansprüche gegenüber den Kostenträ- gern. Aus diesem Grund ist es regelmäßig nicht angebracht, einem Behandlungszentrum zur Durchsetzung des eigenen Anspruchs RA Michael Zach gegen die PKV den Streit zu verkünden, das heißt den Behandler Kanzlei für Medizinrecht, Mönchengladbach in den Rechtsstreit mit den Kostenträger hineinzuziehen. E-Mail: info@rechtsanwalt-zach.de 2 DER AUGENSPIEGEL SONDERVERÖFFENTLICHUNG 2020
URTEILE UND RECHTSPRECHUNG KOSTENERSTATTUNG IN DER REFRAKTIVEN UND KATARAKTCHIRURGIE DER AUGENSPIEGEL MÄRZ 2020 Die augenchirurgische Behandlung in der Begutachtung Fast ausnahmslos erfolgt im Rahmen der gerichtlichen Durchsetzung ophthalmochirurgischer Erstattungsansprüche gegen Kostenträger eine medizinische Begutachtung der Ausgangsbefunde und des Behandlungsverlaufs einschließlich der Abrechnung. Für das Begutachtungsergebnis und letztlich die gerichtliche Entscheidung ist die Person des Sachverständigen dabei nicht minder bedeutend als die Befunde des Patienten. Ein richtig verstandenes und verständig gehandhabtes Sachverständigenwesen ist essentiell für eine an den Kriterien der Objektivität und Wissenschaftlichkeit ausgerichtete Begutachtung. RA Michael Zach (Mönchengladbach) fasst die wesentlichen Eckpunkte zusammen. S chon bei der vorgerichtlichen Leistungsprüfung werden regelmäßig so genannte Beratungsärzte der Kostenträ- ger – und im Falle der öffentlichen Beihilfe Amtsärzte – hier- werden und zwar selbst noch nach Vorlage des Erstgutachtens im gerichtlichen Verfahren. mit betraut. Für das Begutachtungsergebnis und letztlich die Klinische Untersuchung gerichtliche Entscheidung ist die Person des Sachverständigen Selbst bei der Begutachtung durch Universitäts-Augenkliniken dabei nicht minder bedeutend als die Befunde des Patienten. wird in etwa der Hälfte der Gerichtsaufträge von einer Für den Patienten setzt sich so die Erfahrung fort, dass die Aus- klinischen Untersuchung des Patienten abgesehen. Dies wahl des Behandlers häufig den empfohlenen Behandlungs- gilt selbst in den Fällen, in denen die Begutachtung vor der ansatz determiniert. Dementsprechend ist ein richtig verstan- Behandlungsausführung erfolgt, die relevanten Befunde denes und verständig gehandhabtes Sachverständigenwesen also noch vorhanden sind. Da die jüngste höchstrichterliche essentiell für eine an den Kriterien der Objektivität und Wis- Rechtsprechung der Patientenschilderung der präoperativen senschaftlichkeit ausgerichtete Begutachtung. Sehbeeinträchtigungen und ihrer objektiven Nachvollziehbarkeit durch den Sachverständigen streitentscheidende Bedeutung Begutachtungsgrundlagen beimisst (OLG Stuttgart, Urteil vom 28.3.2019, 7 U 146/18: zur Für eine sachgerechte Begutachtung wird die Beiziehung und subjektiven Erheblichkeit eines Refraktionsfehlers vor CLE), Auswertung der vollständigen Befundunterlagen unerlässlich die Dokumentation der anamnestischen Erhebungen durch sein (Anamnesebogen, Kartei, Topografien). Zum Teil werden den Behandler hierzu aber häufig recht spärlich ausfällt, kann diese Unterlagen durch das Gericht vom Behandler angefor- das Gespräch zwischen Sachverständigem und Patient in seiner dert, zum Teil wird hier eine Beibringungs- und Vorlagepflicht Bedeutung kaum unterschätzt werden. des Patienten angenommen. Zur eigenen Anspruchsdurch- setzung ist der Patient dann auf die Kooperationsbereitschaft Begriff der Krankheit seines Chirurgen angewiesen, der selbstverständlich verpflich- Von seiner Funktion her ist der Sachverständige der Gehilfe tet ist, gemäß § 630g Abs. 2 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbu- des Gerichtes, sollte also nicht dessen Aufgaben wahrnehmen ches (BGB) die Dokumentation ohne Angabe einer Begrün- wie zum Beispiel die Auswertung der bereits zuvor ergange- dung und zwar gegen Ersatz der Vervielfältigungskosten an nen Rechtsprechung zu vermeintlich gleich gelagerten Sach- den Patienten auszuhändigen. Da der Sachverständige sich verhalten. Als gewissenhafter Auftragnehmer sollte er um regelmäßig auch zur Angemessenheit der Sachkosten äußern eine möglichst genaue Instruktion bitten, insbesondere um soll, ist schon aus diesem Grund die Angabe unerlässlich, wel- eine Erläuterung der juristischen Begrifflichkeiten, vor allem che Intraokularlinse genau verwendet wurde und die Beifü- zur medizinischen Notwendigkeit einer Behandlung. Diese gung der Lieferantenrechnung notwendig. Fehlen diese Sach- ist nicht nur in medizinischen Notfällen bei Verwendung kostennachweise, scheitert der Patient mit seiner Klage, weil von Martinshorn und Blaulicht zu bejahen. Sie beginnt in er seiner Darlegungslast nicht genügt und weil die Arztrech- der juristischen Bewertung bereits bei geringgradigen Fehl- nung wegen Verstoßes gegen § 12 Abs. 2 Nr. 5 GOÄ schon sichtigkeiten wie beispielsweise einer Myopie von -2,75 dpt, nicht fällig geworden ist. Beanstandet der Sachverständige, obwohl nach internationaler medizinischer Übereinkunft dass einer Steigerungssatzerhöhung oberhalb des 2,3-fachen und Bewertung erst ab einem Wert von -6 dpt das Vorliegen eine Begründung nicht beigefügt worden ist, kann dies durch einer Krankheit zu bejahen ist. Das Gericht hat aufgrund der den Behandler noch nachgeholt oder die Begründung ergänzt Ausgestaltung der Versicherungsbedingungen der privaten SONDERVERÖFFENTLICHUNG 2020 DER AUGENSPIEGEL 3
URTEILE UND RECHTSPRECHUNG KOSTENERSTATTUNG IN DER REFRAKTIVEN UND KATARAKTCHIRURGIE Krankenversicherungen einen Krankheitsbegriff zugrunde chen Befangenheit dann wirklich die Entpflichtung des Sach- zu legen, der von dem medizinischen Begriffsverständnis des verständigen zur Folge hat, entscheidet das Gericht. Teilt der Arztes abweicht (BGH, Urteil vom 29.3.2017, IV ZR 533/15). Sachverständige den aus seiner Sicht potentiellen Interessen- Eine sachgerechte Instruktion durch das Gericht im Beweisbe- konflikt dem Gericht aber gar nicht erst mit, kann sein Vergü- schluss wird regelmäßig den Hinweis enthalten, dass eine Ver- tungsanspruch selbst dann entfallen, wenn eine Besorgnis der weisung des Refraktivpatienten auf Heilhilfsmittel wie Brille Befangenheit objektiv nicht bestanden hat. oder Kontaktlinse weder aus Gründen geringeren Behand- lungsrisikos (BGH, Urteil vom 4.12.2019, IV ZR 323/18) noch KRC-Empfehlungen aufgrund geringerer Kosten (BGH, Urteil vom 12.3.2003, IV Die KRC-Empfehlungen dienen als Richtschnur bei der Begut- ZR 278/01) zulässig ist. Eine Nachrangigkeit der Ophthal- achtung der individuellen Befundlage des betroffenen Patien- mochirurgie hinter Heilhilfsmitteln ist aus Rechtsgründen ten. Soweit sie eine Indikationsausweitung infolge aktueller nicht gegeben. wissenschaftlicher Studienlage vorsehen, wie dies etwa für die Anwendung phaker Linsen seit der Fassung der Empfehlun- Methodenbeherrschung gen vom Februar 2019 der Fall ist (zum Beispiel Anwendungs- Der Sachverständige sollte dem Gericht mitteilen, wenn er bereich Myopie ab -3 dpt), kann dies dafür sprechen, diese oder sie das zu beurteilende Operationsverfahren nicht beur- Indikationsausweitung gutachterlich auch für Altfälle anzu- teilen kann, sei es mangels eigener hinreichender theoreti- nehmen, die vor diesem Datum operiert worden waren, aber scher Befassung hiermit oder sei es, weil eigene praktische erst jetzt zu begutachten sind. Die Beweggründe des Behand- Erfahrungen hierzu nicht vorliegen. Denn bei der Auswahl lers sind jedenfalls im Einzelfall zu ermitteln und zu bewerten, von ärztlichen Sachverständigen sind die Gerichte gehalten, warum er sich etwa zu einer Abweichung von den Empfeh- sich solcher Gutachter zu bedienen, die über die erforderli- lungen veranlasst gesehen hat. Hierbei können eigene Erfah- che medizinische Fachkompetenz und damit auf dem ein- rungswerte und Behandlungstechniken ebenso eine Rolle schlägigen Fachgebiet über eine Spezialausbildung und Erfah- spielen wie patientenindividuelle Befunde oder Wünsche oder rung verfügen (BGH, Urteil vom 6.6.2019, III ZB 98/18). Für auch Vorgaben der Medizinproduktehersteller zum Anwen- die Begutachtung von Verwendung und Abrechnung eines dungsbereich ihrer Produkte. Femtosekundenlasers halten Teile der Rechtsprechung die Begutachtung gerade durch einen Methodenanwender und Fazit zwar in der Regel durch einen Direktor einer Universitäts- Die modernen augenchirurgischen Behandlungstechniken Augenklinik für erforderlich (Landgericht Köln, Beschluss haben sich weitgehend auch in den Erstattungslagen der vom 4.10.2019, 23 T 5/19). Kostenträger durchgesetzt, sofern nicht generell ein gesetz- licher Erstattungsausschluss für refraktive Maßnahmen in Objektive und neutrale Begutachtung der gesetzlichen Krankenversicherung und der öffentlichen Der Sachverständige ist gemäß § 407a Abs. 2 der Zivilpro- Beihilfe vorgesehen ist. Diese Entwicklung war nur mög- zessordnung (ZPO) gehalten, von sich aus auf Unvereinbar- lich durch Behandler, die ihre Patienten nicht nur von den keiten hinzuweisen, die aus Sicht eines verständigen Dritten, modernen medizinischen Behandlungstechniken überzeugt, den berufenen Sachverständigen als befangen erscheinen las- sondern ihre Patienten postoperativ und vorprozessual in der sen könnten: Hierzu gehört beispielsweise der Umstand, wenn Anspruchsdurchsetzung gegen deren Kostenträger tatkräftig ein Augenchirurg/Physiker in der Vergangenheit als Bera- unterstützt haben. n tungsarzt von einer Privaten Krankenversicherung oder einer der für diese regelmäßig tätigen gewerblichen Beratungs- gesellschaft Aufträge entgegengenommen und ausgeführt hatte. Es sind Fälle bekannt geworden, in denen Beratungs- ärzte 800 Gutachtensaufträge per annum für Kostenträger verfasst haben. Die Besorgnis der Befangenheit kann ferner dann anzunehmen sein, wenn der Sachverständige an der Ent- wicklung des zu beurteilenden Medizinproduktes oder eines seiner Konkurrenzprodukte selbst beteiligt war oder hieran Rechte besitzt. Ob die Mitteilung eines Grundes einer mögli- 4 DER AUGENSPIEGEL SONDERVERÖFFENTLICHUNG 2020
URTEILE UND RECHTSPRECHUNG KOSTENERSTATTUNG IN DER REFRAKTIVEN UND KATARAKTCHIRURGIE DER AUGENSPIEGEL DEZEMBER 2019 Aktuelle Entwicklungen zur Erstattung des Femtosekundenlasers bei Katarakt Trotz einzelner gerichtlicher Entscheidungen verbleibt es bei dem bisherigen Tenor, dass die Zivilgerichte, hier auch die Landge- richte, ganz überwiegend die Erstattung der Position 5855a GOÄ zusprechen, in dem verwaltungsgerichtlichen Bereich ist dies von einer Ausnahme abgesehen sogar durchgängig der Fall. Vor diesem Hintergrund ist nicht nachvollziehbar, wenn in einzel- nen Publikationen oder durch Vertreter der Berufspolitik von der Abrechnung dieser Position abgeraten wird. RA Michael Zach (Mönchengladbach) stellt im Folgenden die aktuellen Entwicklungen zur Erstattung des Femtosekundenlasers bei Katarakt dar. D as Landgericht Bonn hat durch Beschluss vom 03.09.2019, 8 S 30/19, festgestellt, dass die dort verklagte private Kran- kenversicherung die Berufung gegen die Entscheidung des grundlagen. Da das Gericht von falschen medizinischen Prämis- sen ausging, sind auch die darin angeknüpften rechtlichen Bewer- tungen unrichtig. Amtsgerichtes Euskirchen, Urteil vom 22.01.2019, 27 C 259/16, Auch das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hält die Position zurückgenommen hat. Diese Entscheidung bezeichnet den tat- 5855 für den Einsatz des Femtosekundenlasers für analog sächlichen Sachvortrag der Krankenversicherung zur Laser- abrechenbar (Urteil vom 23.08.2019, 3 K 8492/17). Der durch Operationstechnik, wonach angeblich lediglich das Skalpell das Gericht konsultierte Amtsarzt bestätigte auch den in der durch den Femto-sekundenlaser ersetzt werde, als in der Sache Abrechnung vorgesehenen 2,5-fachen Steigerungsfaktor, der falsch. Die Darstellung des Operationsprozederes sei auch nach seitens des Arztes wie folgt begründet worden war: „Bei der am der Einschätzung der beratenden Universitäts-Augenklinik 29.03.2017 durchgeführten Femtosekundenlaser-Kataraktope- sachlich unrichtig und beruhe auf einem veralteten Kenntnis- ration zeigte sich bei der Voroperation mit dem Femtosekun- stand bei dem Kostenträger. Der Sachverständige habe schlüssig denlaser zur Kataraktoperation bei Myopie und Astigmatismus und plausibel dargelegt, dass die Stellungnahme des PKV-Ver- die zusätzliche Notwendigkeit der mehrfach manuellen Markie- bandes in seiner Zeitschrift Versicherungsmedizin medizinisch rung, welche normalerweise voll automatisch erfolgt. Hierdurch fehlerhaft und schlichtweg inkorrekt sei. Aus gutachterlicher wurden mehrere Arbeitsschritte im Gegensatz zur herkömmli- Sicht war ohne weiteres nachvollziehbar, dass am 24.05.2016 chen Operation mit dem Femtosekundenlaser notwendig, eine fortgeschrittene Katarakt mit einem Visus von 0,3 bestan- sodass die 5855a gesteigert wurde.“ Und weiter: „Da der bei uns den hatte und der Einsatz des Femtosekundenlasers als selbst- zur Anwendung kommende Femtosekundenlaser ein online ständige Leistung neben Position 1375 GOÄ durch die Position OCT-Live-Bild vor, während und nach der Operation darstellt 5855 a GOÄ abrechenbar war. und die Abbildung in Hornhaut- vorder- und -rückfläche, Vor- Konträr hierzu hatte das Landgericht Frankfurt am Main derkammertiefe, Linsenvorder- und -rückfläche mehrfach abge- durch Urteil vom 31.05.2019, 2-14 S 3/18, Position bezogen bildet und vermessen wird, ist diese Leistung mit einem entspre- und sich den falschen tatsächlichen Angaben des PKV- chenden Steigerungssatz belegt worden.“ Verbandes angeschlossen. Es hatte ohne Beiziehung medizini- Es teilte damit die Einschätzung des Verwaltungsgerichtes schen Sachverstandes entschieden, alleine aufgrund eigener Berlin, Urteil vom 11.12.2018, VG 8 K 917.16, wonach die mit Recherchen zur Operationstechnik und juristischer Auswer- dem Femtosekundenlaser ausgeführten Schnitte und Vorberei- tung der ihm vorgelegten medizinischen Gutachten und juris- tungsmaßnahmen als selbstständige, vorgezogene Bestandteile tischen Entscheidungen. Es hat nicht dargelegt, woraus es den der eigentlichen Kataraktoperation zu werten sind, an deren hierzu erforderlichen medizinischen Sachverstand abgeleitet medizinischer Notwendigkeit kein Zweifel bestehe. Es wies hat und sich schlicht auf den Standpunkt zurückgezogen, dass daraufhin, dass abweichend von der zumeist anzutreffenden die Abrechnung einzelner Gebührenziffern die Beantwortung Praxis der Kombinationsabrechnung von 1375 und 5855a GOÄ einer Rechtsfrage darstelle. auch eine Abrechnung unter Berücksichtigung des doppelten Bemerkenswert erscheint, dass die übrigen zwei bis drei dutzend Leistungsansatzes im Sinne der BGH-Rechtsprechung (Urteil zivilgerichtlicher Entscheidungen ausnahmslos nach Einholung vom 13.05.2004, III ZR 344/03) zulässig sei, wonach bei der eines medizinischen Gutachtens ergangen waren, also aufgrund Femtosekundenlaser-assistierten Kataraktoperation die Posi- intensiver Befassung mit den medizinischen Entscheidungs- tion 1375 GOÄ zweimal in Ansatz zu bringen sei. Dies sei SONDERVERÖFFENTLICHUNG 2020 DER AUGENSPIEGEL 5
URTEILE UND RECHTSPRECHUNG KOSTENERSTATTUNG IN DER REFRAKTIVEN UND KATARAKTCHIRURGIE gerechtfertigt, da der erhebliche technische Mehraufwand und durchgeführten Beweisaufnahme (…) ist der Senat davon über- der damit verbundene medizinische Zusatznutzen durch die zeugt, dass für die hier umstrittenen Behandlungen die analoge einmalige Abrechnung dieser Position, wie bei der konventio- Anwendung der Abrechnungsziffer 5585 eher als die analoge nellen Kataraktoperation, nicht erfasst sei. Auf der Grundlage Anwendung der Abrechnungsziffer 441 zu sachgerechten Ergeb- dieser Entscheidung kann festgehalten werden, dass dem nissen führt (…). Denn nach dem Ergebnis der erstinstanzlich Behandler ein Abrechnungsermessen zusteht in der Entschei- durchgeführten Beweisaufnahme steht (…) zur Überzeugung dung, ob er entweder 1375 zweifach berechnet oder einfach in auch des Senates fest, dass es sich bei den hier in Rede stehenden Kombination mit 5855a GOÄ. In jedem Fall besteht im Hinblick LASIK-Behandlungen um zeitlich und finanziell sehr aufwän- auf die Abrechnung des Femtosekundenlasers eine Regelungs- dige Verfahren handelt, weil diese Behandlung sowohl an die lücke, da 441 GOÄ nicht anwendbar ist. vorzuhaltenden Gerätschaften, an die sonstigen Sachmittel und Das Landgericht Düsseldorf (Beschluss vom 01.08.2019, 8 S an die räumlichen Gegebenheiten als auch an die Qualifikation 9/19) hat sich ebenfalls der „überwiegenden Rechtsprechung“ der Behandler recht hohe Anforderungen stellt, und dass diesem angeschlossen, dass es sich bei der Anwendung des Femtosekun- Aufwand eine Abrechnung auf der Basis der Abrechnungsziffer denlasers um eine „selbständige ärztliche Leistung“ im Sinne des 5855 eher gerecht wird als eine Abrechnung auf der Basis der § 6 Abs. 2 GOÄ handelt. Die weitere Frage, ob die intraoperative Abrechnungsziffer 441.“ Strahlentherapie mit dem Einsatz des Femtosekundenlasers „nach Art, Kosten- und Zeitaufwand“ vergleichbar ist, bedarf Fazit ergänzender sachverständiger Bewertung durch einen Ophthal- Die Besprechung der ebenfalls befürwortenden Rechtsprechung mochirurgen. Für den Eximerlaser im Rahmen der LASIK war der Landgerichte in Krefeld, Köln und Wuppertal würde den die Vergleichbarkeit mit der intraoperativen Strahlentherapie Rahmen dieses Beitrags sprengen. Festgehalten sei, dass heute die bereits frühzeitig durch die Bundesärztekammer festgestellt wor- medizinische Notwendigkeit des Lasereinsatzes von den privaten den (Beschlüsse des Gebührenordnungsausschusses der Bundes- Krankenversicherungen nicht mehr bestritten wird, sondern ärztekammer Dt. Ärzteblatt, Jahrgang 99, Heft 3, 18.01.2002). Modalitäten der Abrechnung dieser neuen Technologie im Mit- Dieser Bewertung hatte sich das sachverständig beratene telpunkt der streitigen Auseinandersetzung stehen. Die Verwal- Oberlandesgericht Köln (Urteil vom 24.07.2013, 5 U 43/11) tungsgerichte haben sich für die Versicherten der öffentlichen angeschlossen. Das Oberlandesgericht hatte dort sachverständig Beihilfe ebenfalls für die Abrechenbarkeit der Position 5855a beraten ausgeführt: „Nach dem Ergebnis der erstinstanzlich GOÄ ausgesprochen. n DER AUGENSPIEGEL NOVEMBER 2019 Rechtliche Aspekte der Floaterbeseitigung mittels Laser Während bei allgemeinmedizinischen Erkrankungen häufig die Herstellung von Beschwerde- und Schmerzfreiheit Gegenstand des ärztlichen Behandlungsvertrages ist, kommt der Funktionsrehabilitation in der Augenheilkunde eine besondere Bedeutung zu, insbesondere auch bei der chirurgischen Indikationsstellung. Auch wenn das chirurgische Procedere durch den Einsatz eines Lasers dann häufig berührungsfrei erfolgt, besteht kein Zweifel daran, dass es sich um interventionell-chirurgische Behandlungen handelt. Hierbei erhebt sich immer wieder auch die Frage der Indikationsstellung, der Abrechnung und nicht zuletzt der Erstattungspflicht durch private Krankenversicherungen. RA Michael Zach (Mönchengladbach) stellt rechtliche Aspekte der Floaterbeseitigung mittels Laser dar. G erade bei dem Auftreten von Floatern sind die subjektiven Angaben des Patienten möglichst zu verobjektivieren. Vor-liegend lagen nach den Erhebungen von zwei Fachärzten Kataraktoperation sehr störend waren und insbesondere die Bildschirmarbeit deutlich erschwerten, so dass die Klägerin aufgrund dessen zeitweilig ihre Tätigkeit immer wieder für Augenheilkunde zahlreiche Glaskörpertrübungen an unterbrechen musste, da sie auf dem Monitor nichts mehr habe beiden Augen vor, die für die Patientin nach erfolgter erkennen können. Die hierbei erforderliche vermehrte 6 DER AUGENSPIEGEL SONDERVERÖFFENTLICHUNG 2020
URTEILE UND RECHTSPRECHUNG KOSTENERSTATTUNG IN DER REFRAKTIVEN UND KATARAKTCHIRURGIE Konzentration sowie die reaktiven Kopf- und Augen- analoger Anwendung vereinbart (947,17 Euro je Auge) und bewegungen hatten in weiterer Folge zu unerträglichen Kopf- wegen des Laser-einsatzes die Zuschlagsziffern 441, 440, 444 schmerzen geführt. Durch diese Einschränkungen habe sie sich GOÄ abgerechnet. Dies stieß auf den Protest der Kranken- in ihrer beruflichen Existenz bedroht gefühlt. versicherung, da nicht einsehbar sei, warum die Leistungs- Trotz Bestreitens der privaten Krankenversicherung lag damit für position der viel aufwändigeren Vitrektomie auf die berüh- den universitären Sachverständigen und das angerufene Gericht rungslose Laser-Vitreolyse anwendbar sein solle. Der auf der Hand, dass hier das seitens des BGH (Urteil vom Sachverständige erläuterte das Vorliegen einer Regelungs- 20.03.2017, IV ZR 533/15) aufgestellte Kriterium der erheblichen lücke, er verwies auf das vergleichbare Therapieziel und die funktionellen Beeinträchtigung gegeben war. Denn der durch- Komplexität eines jedweden Lasereinsatzes, sowie ferner auf schnittliche Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche die diesbezügliche Abrechnungsempfehlung des sachnächs- Spezialkenntnisse wird davon ausgehen, zum Normalzustand der ten Berufsverbandes. Sehfähigkeit gehöre ein beschwerdefreies Lesen und eine gefah- Allerdings konzedierte er, dass ein Lasereinsatz hier nicht renfreie Teilnahme am Straßenverkehr. Sofern eine nicht nur durch 441 GOÄ abrechenbar sei, da bei direkter Anwendung ganz geringfügige Beein-trächtigung dieser körperlichen Nor- der Position 1383 GOÄ dieser Ziffer dies ja auch ausgeschlos- malfunktion vorliege, sei eine bedingungsmäßige Krankheit zu sen sei. Dies ist rechtlich nicht ganz zweifelsfrei, denn es kann bejahen. Dies hat die Recht-sprechung bereits in zweifacher Hin- eine doppelte Analogie in Betracht kommen, wenn dies ord- sicht ausgeweitet: Die Pres-byopie sei in diesem Sinne ebenfalls nungsgemäß begründet wird, vorliegend etwa dergestalt, dass eine Krankheit, auch wenn jeder hiervon betroffen sei, und fer- der bei direkter Anwendung dieser Gebührenziffer geltende ner, dass jedwede erhebliche Funktionsbeeinträchtigung in Ausschluss der Laserposition bei analoger Anwendung eben Bezug auf die individuellen beruf-lichen Anforderung geeignet nicht eingreifen kann, da zur Leistungserbringung die Laseran- sei, die Erstattungspflicht der Ver-sicherung auszulösen. Für wendung notwenige Bedingung ist und Position 441 GOÄ bei einen Bildschirmarbeitsplatz in einem Büro hatte die Klägerin der traditionellen Nachstarbehandlung ja auch unstreitig zur ihre Beeinträchtigung zur Überzeugung des Gerichts zu schil- Abrechnung gelangt. dern vermocht. Der Einwand der Versicherung, eine YAG-Laser-Vitreolyse sei Private Krankenversicherung eine nicht geeignete Therapie, da die Vitrektomie vorrangig sei, Die private Krankenversicherung vermochte sich auch nicht mit vermochte hingegen nicht zu überzeugen. Denn die Patientin dem Einwand durchzusetzen, dass seitens des Behandlers die war über die geringere Invasivität der Vitreolyse ärztlich aufge- Beifügung des Wörtchens „analog“ oder des Kürzels „a“ hinter klärt worden und hatte sich eben für diese Behandlung entschie- der Abrechnungsziffer 1383 GOÄ versehentlich unterblieben den. Die generelle Eignung dieses Behandlungsansatzes stand war und in der Folge die Fälligkeit der Rechnung nicht eingetre- für den medizinischen Sachverständigen auch gerade in Anbe- ten sei. Zwar muss die analoge Anwendung einer Abrechnungs- tracht der bei der Patientin angetroffenen Befunde fest und er ziffer hervorgehoben werden (§ 12 Abs. 4 GOÄ). Fehlt diese verwies auf die Publikation von Brasse et al. (YAG-Laser-Vitreo- Hervorhebung, so ist die Abrechnung dennoch nicht falsch, lyse zur Behandlung von störenden Glaskörpertrübungen, sondern durchaus fällig geworden, da es sich um einen heilba- Springer-Verlag, Der Ophthalmologe, 10. September 2018 pub- ren Formverstoß handelt, der eben nicht zur Leistungsfreiheit lished online). Jedenfalls für die hier angetroffenen Trübungen der Versicherung führt. im mittleren Glaskörperraum beziehungsweise assoziiert mit Im Ergebnis nachvollziehbar gelangte das Amtsgericht so zu dem Weiß`schen Ring hielt der Sachverständige die Laser- dem Ergebnis, dass die Krankheit der Klägerin geheilt werden Vitreolyse für effektiv und sicher und bejahte eindeutig die konnte und der Einsatz des Ellex YAG-Laser Ultra Q Reflex medizinische Indikation dieser Floaterbehandlung. Der vorlie- transparent und zutreffend abgerechnet wurde, so dass die gend verwendete Ellex YAG-Laser Ultra Q Reflex ist für Behand- Erstattungspflicht der privaten Krankenversicherung ausgelöst lungen am vorderen und hinteren Augenabschnitt vorgesehen wurde. und hat auch im vorliegenden Behandlungsfall die therapeuti- schen Ziele herbeizuführen vermocht. Fazit Das Vitreolyse-Verfahren ist nach Einschätzung des befragten Leistungsziffern Sachverständigen effektiv und sicher. Ein erhöhtes Risiko für ein Der Behandler hatte mit der Patientin gemäß § 2 Abs. 1 GOÄ zystoides Makulaödem als Folge der Laser-Vitreolyse zur Des- den 6,5-fachen Steigerungsfaktor zur Position 1383 GOÄ in truktion von Glaskörpertrübungen bestehe nicht. n SONDERVERÖFFENTLICHUNG 2020 DER AUGENSPIEGEL 7
URTEILE UND RECHTSPRECHUNG KOSTENERSTATTUNG IN DER REFRAKTIVEN UND KATARAKTCHIRURGIE DER AUGENSPIEGEL OKTOBER 2019 Die permanente Augeninnendruckmessung Die potenziell permanente Augeninnendruckmessung mittels des Eyemate-IO-Implantates erfreut sich wachsender Anwenderzahlen und verspricht aus ärztlicher Perspektive die Möglichkeit einer früheren und substantielleren Intervention. Die Einbindung des Patienten in den technischen Vorgang der Befunddatenerhebung führt nachweislich zu einer erhöhten Patientencompliance und damit wiederum zu einer Erhöhung der Kontrollfrequenz durch häufig wiederholte Messungen. RA Michael Zach (Mönchengladbach) erörtert, inwieweit die Implantation und die Behandlung mit dem Medizinprodukt zu einem Paradigmenwechsel bei den Kostenträgern führen kann. D ie Glaukomerkrankung weist einige Spezifika auf, die sowohl für die Behandlung als auch für die Kostenerstattung Rele- vanz besitzen. Die Erkrankung verläuft regelmäßig zunächst unbe- und damit wiederum zu einer Erhöhung der Kontrollfrequenz durch häufig wiederholte Messungen. Eine im Ausnahmefall unterbliebene Mitwirkung wird sogleich dokumentiert durch das Fehlen entspre- merkt, da sie nicht mit Schmerzen oder Beschwerden bei dem chender Messergebnisse. Im Bereich der Kieferorthopädie ließ sich Patienten einhergeht. Die einmal eingetretene Schädigung des ein ähnlich günstiger Effekt auf die Compliance erzielen, indem in Sehnervs ist nicht reversibel. Zur Abwendung einer Progression die zu tragende kieferorthopädischen Apparaturen entsprechende bieten sich diverse Ansätze an: das Management des Augeninnen- Wärmesensoren eingebaut wurden, die nachweisen, wie sorgfältig drucks durch Arzneimittelapplikation oder die Implantation eines der Jugendliche diese Apparatur täglich zum Einsatz brachte. Bei gut Stents und der Ableitung des Kammerwassers (in den Schlemm- eingestellten und führbaren Patienten sollte die Eigenauswertung schen Kanal, unter die Bindehaut oder in den suprachoroida- der Daten im Dialog mit der Anwendung drucksenkender Tropfen len Raum). Demgegenüber bestand diagnostisch zur ärztlichen unmittelbar möglich sein, jedenfalls aber nach einer diesbezüglichen Tonometrie bislang keine Alternative. Die potenziell permanente fernmündlichen Abstimmung mit dem Behandler. Augeninnendruckmessung mittels des Eyemate-IO-Implantates als aktives implantierbares Medizinprodukt steht nun auf breiter Die Sicht des behandelnden Augenarztes Front in der praktischen Anwendung zur Verfügung und dürfte Durch die potenziell permanente Augeninnendruckmessung zu einem Paradigmenwechsel führen. Der Hersteller (Implan- wird die Therapie zielgenauer und auf eine viel breitere Grundlage data Ophthalmic Products GmbH) sieht die Implantation bei dem gestellt. Ihr wird der Zufälligkeitscharakter der sonst praktizierten primären Offenwinkelglaukom in den Sulcus Cilliaris vor, die im bloßen Stichprobenmessung genommen, die mit einer nur gele- Rahmen einer simultanen Katarakt-operation mit Linsenimplan- gentlichen Abnahme der Augeninnendruckwerte zwangsläufig ver- tation in den Kapselsack erfolgt. Das chirurgische Prozedere der bunden ist und ihr wird die Chance eröffnet, durch die Auswertung Einbringung dieses Implantates im Zuge der Kataraktoperation auch der Spitzen dieser Werte eine wirklich zielführende Therapie ist mit der Einbringung einer intraokularen Linse vergleichbar einzuleiten und eine optimale therapeutische Einstellung zu bewir- (Dtsch Ärztebl, Jahrgang 114, Heft 51-52 vom 25.12.2017, A 2488). ken entlang der konstant erhobenen Augeninnendruckwerte. Künftig soll generell eine suprachoroidale Implantation erfolgen, Gerade wegen der katastrophalen Folgen einer verspäteten Diag- wenn eine Indikation zur Kataraktoperation nicht besteht. Die chi- nose findet sich in der Judikatur eine Fülle gerichtlicher Entschei- rurgische Einbringung erfolgt mittels Injektor und die Auslesung dungen zur ärztlichen Standardabweichung bei der Erkennung und der Daten sodann mittels des handgehaltenen Mesograph-Gerätes der Behandlung von Glaukompatienten. Nahezu jede Facette des in der Eigenanwendung durch den Patienten. Die so erhobenen diagnostischen Regimes hat hier bereits zur Bejahung einer Haf- Befundwerte werden durch den Patienten laienhaft gesichtet und tung des Augenarztes geführt: Zu nennen sind hier die gänzlich durch unmittelbare Übermittlung an den niedergelassenen Fach- unterbliebene oder verspätete Erhebung der Augeninnendruck- arzt für Augenheilkunde fachkundig ausgewertet. werte sowie die zu geringe Kontrollfrequenz nachdem erstmals abklärungswürdige Werte gewonnen worden waren (vgl. OLG Die Sicht des Patienten Hamm, Urteil vom 16.01.2016, 26 U 48/14), und sodann die feh- Dem Patienten wird der regelmäßige Besuch der Augenarztpraxis lerhafte Einordnung der erhobenen Werte in die objektiv beste- zur Erhebung der Augeninnendruckmesswerte erspart, da diese hende Befundlage, da die wenigen erhobenen Werte keine verläss- Werte von ihm selbst zu Hause erhoben werden können. Die Einbin- liche Entscheidungsgrundlage für das Gesamtbild gaben. Völlig dung des Patienten in den technischen Vorgang der Befunddaten- ungeklärt ist die Bewältigung der Erkenntnis, dass starke – nicht erhebung führt nachweislich zu einer erhöhten Patientencompliance erhobene – Druckfluktuationen noch schädlicher (und damit 8 DER AUGENSPIEGEL SONDERVERÖFFENTLICHUNG 2020
URTEILE UND RECHTSPRECHUNG KOSTENERSTATTUNG IN DER REFRAKTIVEN UND KATARAKTCHIRURGIE haftungsträchtiger) sein können, als ein konstanter aber überhöh- Die Sicht der Kostenträger ter Augeninnendruck (Dtsch Ärztebl 2016; 113(39): A-1710). Private Krankenversicherungen werden eine Kostenerstattung für die Insgesamt kann sicher festgestellt werden, dass im Kontext der Glau- systematische Auswertung der erhobenen Befunddaten nach 1257a komerkrankung deutlich mehr Behandlungsfehler bejaht worden GOÄ allenfalls dann ablehnen können, wenn die Befunddatenerhe- sind, als in den Bereichen der Behandlung refraktiver Erkrankungen bung rein prophylaktischen Zielsetzungen dient. Richtig daran ist, oder der Kataraktoperation. Zudem zeichnet sich die arzthaftungs- dass die Kostenerstattung lediglich für die Behandlung von Krank- rechtliche Situation bei der Glaukomerkrankung dadurch aus, dass heiten gewährt wird, nicht aber für eine frühzeitige, rein prophylakti- in den Fällen, in denen die Haftung wegen Behandlungsfehlers dem sche Vorsorgeuntersuchung. In diesem Punkt besteht eine deutliche Grunde nach bejaht worden ist, auch höhere Entschädigungssummen Abweichung von dem System der gesetzlichen Krankenversicherun- zugesprochen worden sind, als in jedem anderen Bereich der augen- gen, die bekanntlich bei bestimmten Krankheitsbildern für genau heilkundlichen Behandlung (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 10.05.2016, abgegrenzte Personenkreise auch Vorsorgeuntersuchungen vorsieht 26 U 107/15). Das durch Eyemate-IO-Implantat ermöglichte Gesamt- und im Wege der Sachkostenerstattung dann die Leistungen hierfür monitoring und die dem Augenarzt so verschaffte Möglichkeit einer trägt. Eine vorangegangene Genomanaylse im Hinblick auf ein Glau- früheren und substantielleren Intervention dürften auch in forensi- komrisiko oder eine familiäre Vorbelastung können jedoch bereits scher Hinsicht aus ärztlicher Perspektive höchst willkommen sein. initiale Befunderhebungen indizieren und somit medizinisch not- Der Patient besucht weiterhin regelmäßig die Augenarztpraxis und wendig sein. übergibt die zu Hause erhobenen Augeninnendruckwerte in Tabel- Nach einmal festgestellter Glaukomerkrankung hingegen ist die lenform dem Arzt zur Auswertung. Auch wenn die Befunderhe- Implantation (abrechenbar nach Position 1356 analog GOÄ) und bung zum Teil in die Hände des Patienten gelegt wird, verbleibt die die Behandlung mit dem Eyemate-IO-System zweifellos medizinisch Behandlungsverantwortung bei dem Augenarzt. Die Digitalisierung notwendig und zu erstatten, da die sachgerechte Diagnostik, und des Arzt-Patienten-Verhältnisses hält hier Einzug in die Praxis des dazu gehört sicherlich auch die engmaschige Diagnostik, der Abwen- konservativ tätigen Augenarztes. Dies ist zeitgemäß und entspricht dung einer Verschlimmerung des Leidens dient. Die möglichst früh- der bereits vom Sozialgesetzbuch V geforderten Einrichtung einer zeitige Glaukomerkennung kann aus Kostenträgersicht auch die auf- Telematik-Infrastruktur in der niedergelassenen Praxis. Das Verfah- wendige Einbringung der oben genannten Stent-Implantatsysteme ren eröffnet dem Arzt die Möglichkeit, sich im Arzt-Patienten-Kon- vermeiden oder die Durchführung einer Dauer-medikation, sodass takt in der Praxis der systematischen Auswertung der Befundwerte auch aus wirtschaftlichen Gründen für den Kostenträger ein Anreiz und der Therapie der Begleiterkrankungen zu widmen. Durch den bestehen dürfte, nicht nur die Kosten des Eyemate-IO-Implantates zu konstanten Datenaustausch wird die Patientenbindung zur Praxis tragen, sondern seine Versicherten im Hinblick auf diese neu gewon- erhöht und qualitativ verdichtet. nene Option auch proaktiv zu beraten. n DER AUGENSPIEGEL SEPTEMBER 2019 Die konventionelle Kataraktchirurgie in der zivilrechtlichen Rechtsprechung Angesichts der Häufigkeit der Kataraktchirurgie in konventioneller Ausführung verblüfft die geringe Zahl der hierzu ergangenen gerichtlichen Entscheidungen. Dies wird im Wesentlichen daran liegen, dass hier das chirurgische Prozedere seit vielen Jahren eingespielt und die Abrechnung des Arzthonorars längst gesichert und etabliert ist. Grundsätzliches ist hier von der Rechtsprechung aktuell nicht weiter zu erwarten. Ein Zustand der Rechtssicherheit, an den man sich gewöhnt hat und auf den man sich auf Dauer einrichten könnte. RA Michael Zach (Mönchengladbach) erörtert die konventionelle Kataraktchirurgie in der zivilrechtlichen Rechtsprechung. S eit der Einführung der Mehrkostenregelung in § 33 Abs. 9 SGB V ist für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung weitestgehende Klärung erreicht worden, so dass das Konfliktfeld des erstattungsfähigen Linsenaufwandes dort geklärt ist. Der Mate- rialkostenfaktor „Linse“ sorgt bei privaten Krankenversicherungen aber nach wie vor zu erheblichen Unsicherheiten. Auf ganz breiter SONDERVERÖFFENTLICHUNG 2020 DER AUGENSPIEGEL 9
URTEILE UND RECHTSPRECHUNG KOSTENERSTATTUNG IN DER REFRAKTIVEN UND KATARAKTCHIRURGIE Front wird derzeit noch die Linsenerstattung auf pauschal 200 Euro Verfehlung der angestrebten Zielrefraktion je Stück gedeckelt. Ein Begriff, der der Punktwertberechnung in der Dennoch verbleiben zwei Konstellationen, die auch in GKV entnommen ist und so ist es auch der hierfür als Höchstbe- der forensischen Praxis immer wieder zu erheblichen trag genannte Erstattungsbetrag. Natürlich ist eine solche Decke- Auseinandersetzungen führen. Dies ist einerseits das Problem lung im System der privaten Krankenversicherung an keiner Stelle der Verfehlung der angestrebten Zielrefraktion und andererseits vorgesehen und stellt sich als reine Fiktion der Versicherungen im eine enttäuschte Patientenerwartung trotz annährungsweise Rahmen der Kostenverweigerung dar. Selbst der aufgeklärte und getroffener Zielrefraktion. Die erstgenannte Thematik ließe sich um Verständnis bemühte durchschnittliche Versicherungsnehmer wohl treffend mit dem Bonmot Churchills beschreiben, wonach ist häufig geneigt, diese Deckelung zu akzeptieren, da ihm aus sei- jede Form der Planung letztlich nur die Ersetzung des Zufalls nem Tarif derartige Deckelungen aus der Hilfsmittelversorgung, durch einen Irrtum darstelle. Danach könnte auch der Einsatz insbesondere im Kontext der Brille und der Kontaktlinse, vertraut neuester Technologien, mit denen die Kataraktoperation geplant sind. Dabei verkennt er leicht, dass die Intraokularlinse mit ihrer werde, nichts daran ändern, dass die Umsetzung der Planung Implantation kein bloßes Hilfsmittel ist. Darunter sind nämlich zeigt, dass stets das Planungsziel nicht getroffen werde, sondern nur äußerlich und vorübergehend angewendete Medizinprodukte ein mehr oder weniger großer Planungsirrtum unvermeidbar zu zu verstehen, nicht aber solche, die chirurgisch in den Körper ein- einer Zielabweichung führt. gebracht werden und zum dauerhaften Verbleib dort bestimmt Trotz ausgereifter refraktiver Linsentechnik, IOL-Master, Bio- sind. Da es sich insofern bei den Intraokularlinsen um Auslagen im metrie und diverser Kalkulationshilfen (zum Beispiel Hai- Sinne des § 10 GOÄ handelt, sind die nachgewiesenen Gestehungs- gis-Konstante) findet sich so in der Diskussion immer wieder kosten durch den Patienten, und damit durch den Versicherer, an der Begriff der unerwünschten „refraktiven Überraschung“. den Arzt oder die Klinik in vollem Umfang zu erstatten. Auch diese Darunter ist die Abweichung der präoperativ bestimmten Ziel- Rechtsfrage ist zwischenzeitlich geklärt. refraktion von dem dann tatsächlich erreichten Operationser- gebnis zu verstehen. Solche Zielwertverfehlungen von bis zu Erstattung der Linsenkosten 1 Dioptrien wurden hingenommen als noch standardgemäße Diese Klärung ist erfolgt anhand der einzelnen Linsentypen: „Streubreite“ eines OP-Outcomes (Deutsches Ärzteblatt 2014; Das Amtsgericht Köln hatte in einem Rechtsstreit des Versi- 111(19)). Nach früherem Verständnis besteht eine Indikation cherungsnehmers gegen die private Krankenversicherung die zur Astigmatismuskorrektur im Rahmen einer konventionell Kosten der Tecnis Symfony ERV 1-Piece IOL (ERV = Extended ausgeführten Kataraktoperation ebenfalls erst ab einem Wert Range of Vision = asphärische EDOF-Linse; EDOF = Extended von ebenfalls 1 Dioptrien. depht of Focus) von Johnson & Johnson Vision zum Preis von 856,00 Euro je Auge (Behandlungsjahr 2018) zugesprochen, die Lichtadjustierbare Linse (LAL) im Wege konventioneller Operationstechnik eingebracht wor- Derartige Abweichungen vermag die so genannte lichtad- den war (AG Köln, Urteil vom 1.7.2019, 118 C 44/19). justierbare Linse (LAL) von RxSight auszuschließen, indem Das Landgericht Köln bestätigte aufgrund sachverständiger ihre Brechkraft postoperativ durch den Behandler exakt jus- Beratung die medizinische Notwendigkeit der Hinterkammer- tiert werden kann, so dass die Zielrefraktion exakt getroffen linse AT Lisa tri von Carl Zeiss Meditec mit einem Stückpreis wird und eine Abweichung ärztlich ausgeschlossen werden von 995,10 Euro je Auge (Behandlungsjahr 2014). Der Einsatz kann. Das lichtempfindliche Kunststoffmaterial kann mit einer der trifokalen torischen Intraokularlinse sei zu erstatten, da so gezielten UV-Bestrahlung einige Wochen nach der Implanta- eine effektive Wiederherstellung für das Sehen im Nah-, Inter- tion in seiner Brechkraft so verändert werden (abrechenbar mediär- und Fernbereich bei guter Rotationsstabilität der Linse nach 1369 analog GOÄ), dass eine nach der Kataraktoperation gewährleistet werde. Die Linsen dienten dazu, den vorhandenen etwa verbliebene restliche Kurz- oder Weitsichtigkeit ausgegli- Astigmatismus auszugleichen und eine gute Sehschärfe sowohl chen wird. in der Ferne als auch im mittleren und im Nahbereich zu ermög- lichen (LG Köln, Urteil vom 28.02.2018, 23 O 159/15). Erfüllte Patientenerwartung Schließlich ist für die sphärische phake ICL-Linse EVO Die zweitgenannte Thematik betrifft die subjektive Seite einer Visian zur Myopiekorrektur von Staar Surgical geklärt, dass Zielwertabweichung. Zuweilen weicht die Patientenerwartung Linsenkosten von 909,50 Euro je Auge (Behandlungsjahr von dem erreichten Outcome ab. Manchmal besteht patien- 2014) nicht zu beanstanden sind (LG Mannheim, Urteil vom tenseitig eine Unzufriedenheit trotz eines metrisch befriedi- 20.9.2017, 1 O 168/17). genden Ergebnisses. Auch die intensive präoperative Darstel- 10 DER AUGENSPIEGEL SONDERVERÖFFENTLICHUNG 2020
URTEILE UND RECHTSPRECHUNG KOSTENERSTATTUNG IN DER REFRAKTIVEN UND KATARAKTCHIRURGIE lung des postoperativen Ergebnisses hat dieses Problem bislang Es handelt sich zwar nicht um eine Erklärung im Sinne einer nicht ansatzweise gelöst. Das Verfahren der lichtadjustierbaren werkvertraglichen Abnahme, wohl aber um eine Quittung, dass Linse löst dieses Dilemma, indem nach mehrfacher postopera- das ärztliche Bemühen erfolgreich war. Auf diesem Wege tritt tiver Linsenanpassung an die Erwartung des Patienten der pati- eine Kongruenz ein zwischen dem objektiven OP-Outcome und entenseitig als gewünscht bestätigte Brechkraftwert, dann durch der subjektiven Patientenerwartung. Die lichtadjustierbare Linse einen so genannten Log-in-beam ärztlich fixiert werden kann. ist seitens der privaten Krankenversicherung zu erstatten, da sie Damit bestätigt der Patient Wochen nach der Operation, dass eine Heilung höherer Ordnung verspricht, indem sie nicht nur die das Ergebnis der refraktiven Kataraktchirurgie seinen Vorstel- Erreichung der objektiven Zielrefraktion, sondern auch der sub- lungen und Erwartungen entspricht. jektiven Patientenzufriedenheit zu gewährleisten vermag. n DER AUGENSPIEGEL AUGUST 2019 Presbyopie als Krankheit im Sinne des Versicherungsrechts Die private Krankenversicherung legt ihrer Leistungspflicht einen viel weiteren Krankheitsbegriff zugrunde, als dies in der Medizin der Fall ist. Während es hier auf die subjektiv wahrgenommene funktionelle Beeinträchtigung ankommt, bejahen Mediziner eine Krank- heit erst dann, wenn objektiv eine deutliche Abweichung vom Zustand des Gesunden festzustellen ist. RA Michael Zach (Mönchen- gladbach) erläutert die Presbyopie als Krankheit im Sinne des Versicherungsrechts und stellt ein jüngst ergangenes Urteil dar. I m Falle der Myopie liegt eine Krankheit erst bei Dioptrien- werten von -6,0 vor. Die Leistungspflicht der privaten Kran- kenversicherung besteht hingegen schon dann, wenn seitens Krankenvollversicherungsvertrages unvereinbar und letztlich für den aufgeschlossenen und um die verständige Auslegung des Ver- trages bemühten Versicherungsnehmer überraschend und damit des Versicherungsnehmers Einschränkungen unterhalb dieser unwirksam ist. Schwelle beklagt werden, die in gleicher Weise bei 40 Prozent der Menschen entsprechenden Alters auftreten (BGH, Urteil Urteil OLG Stuttgart vom 29.03.2017, IV Z R 533/15: für eine Fehlsichtigkeit von -2,75 In dem jüngst vom OLG Stuttgart (Urteil vom 11.04.2019, 7 Dioptrien). Nach den Formulierungen der Versicherungsbedin- U 146/18) entschiedenen Sachverhalt eines bei der Operation gungen der privaten Krankenversicherung erweist sich somit der im Dezember 2016 48-jährigen selbstständigen Schreinermeis- gesunde Versicherungsnehmer als krasse Randerscheinung, wenn ters lagen präoperativ folgende Werte vor: RA: +0,75 c, -0,25, A nicht gar als pure Fiktion. Dies ist jedoch keine Situation, die von 65°/1,00; LA: +1,00 c, -0,50, A 98°/1,00. Es bestätigte zunächst den ärztlichen Behandlern verursacht wird oder durch die Neu- die Einschätzung der sachverständig beratenden ersten Ins- erung der Medizintechnikindustrie, sondern sie wurzelt in der tanz, wonach auch die Presbyopie Krankheit sei, das Postulat ganz offensichtlich zu generösen Formulierung der Versicher- der Versicherung, Alter sei keine Krankheit treffe also nicht ungsbedingungen, an deren Versprechungen die Versicherun- zu, sofern die altersbedingte Fehlsichtigkeit ein beschwerde- gen in diesen Tagen der boomenden Augenchirurgie nur ungerne freies Lesen unmöglich mache. Dem Kläger war hier zwar eine erinnert werden. gefahrenfreie Teilnahme am Straßenverkehr noch ohne weite- Zwischenzeitlich sehen manche privaten Krankenversiche- res möglich, auch wenn er angab, dass er den Tachostand prä- rungsverträge deshalb tariflich Deckelungsklauseln vor, wonach operativ nicht mehr habe gut erkennen können. Das Gericht refraktive Eingriffe mit zum Beispiel maximal 1.000 Euro erstat- stellte klar, dass auch die Beeinträchtigungen in der Berufsaus- tet werden. Orientiert hat man sich hierbei offensichtlich an den übung geeignet sind, eine Krankheit im Sinne des funktionsori- Klauseln zur Hilfsmittelversorgung mit Brille oder Kontaktlinse. entierten Krankheitsbegriffs der privaten Krankenversicherung Da ambulante Chirurgie jedoch üblicherweise uneingeschränkt zu bejahen. Vorliegend waren beispielsweise die Arbeiten mit und tariflich mit 100 Prozent versichert ist, erscheint es frag- der Kreissäge und das Einstellen von Schranktüren zur Errei- lich, ob eine solche gravierende Beschränkung der grundsätzli- chung eines gleichen Fugenverlaufs kaum noch möglich gewe- chen Leistungspflicht nicht mit wesentlichen Grundgedanken des sen. Selbst die Verwendung einer Gleitsichtbrille habe bei den SONDERVERÖFFENTLICHUNG 2020 DER AUGENSPIEGEL 11
URTEILE UND RECHTSPRECHUNG KOSTENERSTATTUNG IN DER REFRAKTIVEN UND KATARAKTCHIRURGIE häufig anfallenden Überkopfarbeiten und einem dabei gefor- des Behandlers im Rahmen der Risikoaufklärung über die Ope- derten Sehabstand von 70 cm keine Abhilfe geschaffen. ration umfassend informiert worden. Das Gericht verurteilte die private Krankenversicherung, die Wenn diese Operation des refraktiven Linsenaustausches mit Kosten des refraktiven Linsenaustausches (RLA; Clear-Lens- dem Femtosekundenlaser ausgeführt wird, so waren schon zuvor Extraction=CLE) in Höhe von 5.026,77 Euro und der Anäs- die medizinische Notwendigkeit und die Richtigkeit der Abrech- thesie in Höhe von 535,65 Euro zu erstatten. Die Abrechnung nung der Position 5855a GOÄ wiederholt bestätigt worden (OLG der Positionen 1375, 1345 und 1353a GOÄ (Stabilisierung der Köln, Beschluss vom 25.07.2017, 20 U 191/16; LG Köln, Urteil Linse im Kapselsack) war zutreffend erfolgt, Kontraindikationen vom 28.02.2018, 23 O 159/15). griffen nicht ein und der Indikationsrahmen der KRC-Empfeh- lungen (Stand: Februar 2019) war getroffen, der freilich für die Schlussfolgerung Indikation eines refraktiven Linsenaustausches ein bestimmtes Nach dieser Rechtsprechung kommt es für die Frage der Erstat- Mindestmaß der Fehlsichtigkeit nicht einmal fordert. Dort heißt tungspflicht einer privaten Krankenversicherung dann unter es: „Beim refraktiven Linsenaustausch wird das Auge am Rand Umständen nicht mehr auf die im Einzelnen mitunter schwie- der Hornhaut eröffnet und es wird wie bei der modernen Kata- rige Bewertung an, ob (bereits) eine Katarakterkrankung vorliegt, raktchirurgie die Augenlinse entfernt und durch eine Kunstlinse sofern jedenfalls nur eine erhebliche refraktive Fehlsichtigkeit ersetzt. Die Kunstlinse verfügt entweder über einen Brennpunkt präoperativ besteht, die zu einer in dem obigen Sinne relevanten (monofokale IOL) oder aber über zwei oder mehr Brennpunkte funktionellen Beeinträchtigung des Patienten führt. (multifokale IOl). Zudem kann sie asphärisch sein und gegebe- Ferner wird hier bei der Befundung und Therapieempfehlung nenfalls auch einen Zylinder korrigieren. Bei vorbestehender künftig auch verstärkt dem Beruf des Patienten eine gewisse Myopie wird das Risiko einer Netzhautablösung erhöht, beson- Relevanz zukommen, da sich hierdurch häufig die subjekti- ders bei Anwendung unterhalb des 50. Lebensjahres bezie- ven Anforderungen und Erwartungen des Patienten an das hungsweise bei unvollständiger Glaskörperabhebung.“ Damit Operationsergebnis und zugleich die präoperative Linsenauswahl war der Versicherung der Einwand genommen, dass die Ope- definieren. Die präoperative Bestimmung der Stärke der zu ver- rationsrisiken des refraktiven Linsenaustausches generell oder wendenden Intraokularlinse ist naturgemäß schon objektiv eine bei dem Patienten individuell außer Relation zu dem verfolg- Herausforderung; gleiches gilt in zumindest demselben Maße für ten therapeutischen Nutzen stünden. Denn dem Patienten bot die Erreichung der postoperativen Zufriedenheit des Patienten sich hier gar keine Behandlungsalternative und er war seitens mit dem erzielten refraktiven Ergebnis. n DER AUGENSPIEGEL JANUAR 2019 Der Augenchirurg zwischen Kostenträger, Bewertungsportal und Patient Der Arztvertrag wird häufig in tradierter Umgangssprache umschrieben als „geschütztes Arzt-Patienten-Verhältnis“. Dem Patienten ist gemeinhin die freie Arztwahl und in Abstimmung mit ihm die freie Methodenwahl eröffnet. Die vor dem Zugriff Dritter besonders schützenswerten Gesundheitsdaten haben erst kürzlich durch das Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverord- nung (DSGVO) besondere Aufmerksamkeit erfahren. Und auch die Bedenken, die bei einem übermäßigen Vordringen gewerb- licher Anbieter oder Kapitalgeber in die Kernbereiche der Ausübung des Arztberufes bestehen, werfen die Frage nach dem effektiven Schutz der augenärztlichen Heilberufsausübung auf. Ein Beitrag von RA Michael Zach (Mönchengladbach). D ie öffentliche Bewertung eines Arztbesuches aus Patien- tensicht dient der Förderung des anerkannten Gemein- wohlbelanges der Verbraucherinformation: Sie erfordert weitgehende Wertungsspielräume im Rahmen der freien Mei- nungsäußerung andererseits. Das ist geklärt und die Abgabe dieser Bewertungen durch den Patienten sowie das Handling einerseits die Benennung des bewerteten Arztes und eröffnet dieser Bewertungen durch den Portal-Anbieter folgen den Kri- 12 DER AUGENSPIEGEL SONDERVERÖFFENTLICHUNG 2020
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