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SCHWEIZERISCHE GESELLSCHAFT FÜR ANGEWANDTE BERUFSBILDUNGSFORSCHUNG
                    SOCIÉTÉ SUISSE POUR LA RECHERCHE APPLIQUÉE EN MATIÈRE DE FORMATION PROFESSIONNELLE

NEUES BUCH IM HEP VERLAG: HANDLUNGSKOMPETENZEN PRÜFEN                                                                        3/2020

Vom Wissen zum Können
«Handlungskompetenzorientierung» ist das Leitprinzip allen Lernens in der Berufsbildung. Seine Grundlegung findet es im «Handbuch
Verordnungen», das als Ziel der beruflichen Grundbildung die «Aneignung von beruflichen Handlungskompetenzen» definiert. Die
Lernenden sollen nicht nur wissen, wie etwas geht; sie sollen es auch können. Aber so einfach das klingt: Die Umsetzung des
Paradigmas stellt noch immer hohe Anforderungen an den Unterricht, ganz besonders an das Prüfen. Im hep verlag ist in diesen
Wochen ein Buch zu diesem Thema erschienen. Es enthält unter anderem eine «Taxonomie von Handlungskompetenzen», die an die
Stelle der Taxonomie von Bloom treten soll.

                      Von Gregor Thurnherr
                      Gregor Thurnherr leitet das von ihm gegründete Institut Bilden
                      Beraten GmbH. Er berät Organisationen der Arbeitswelt bei der
                      Berufsentwicklung in der beruflichen Grundbildung sowie bei der
                      Erarbeitung und Revision von Prüfungsgrundlagen in der Höheren
                      Berufsbildung.

Die Entwicklung und Erfassung von Handlungskompetenzen sind in der Bildung und insbesondere in der Berufsbildung seit längerem ein
grosses und bestimmendes Thema. Lernen richtet sich heute immer mehr auf das Können und weniger auf das reine Wissen aus
(handlungsorientiert versus wissensorientiert). Lernende sollen so ausgebildet werden, damit sie Situationen und Aufgabenstellungen
handlungskompetent bewältigen können.

Dieser Paradigmawechsel vom Wissen zum Können ist richtig! Es ist hoch zu
gewichten, dass zum Beispiel Berufsleute am Ende eines Lern- und                     Die Zeit für das Lernen ist zu kostbar,
Entwicklungsprozesses Arbeitssituationen angepasst meistern können und               um sie für reines Faktenwissen oder
handlungsfähig sind. Die Zeit für das Lernen ist zu kostbar, um sie für reines       umfassendes Theoriewissen
Faktenwissen oder umfassendes Theoriewissen aufzuwenden, das in der Praxis
                                                                                     aufzuwenden, das in der Praxis nie oder
nie oder nur sehr selten angewendet werden kann. Das bedeutet nicht, dass
Wissen und insbesondere Faktenwissen eine untergeordnete Bedeutung haben.            nur sehr selten angewendet werden
Denn nur wer über angemessene, schnell abrufbare und anwendbare Kenntnisse           kann.
verfügt, ist handlungskompetent. Dies gilt für Arbeitssituationen in der
Berufspraxis und zeigt sich nachvollziehbar beim Fremdsprachenerwerb. Ohne
Wörter zu lernen und Verben richtig zu konjugieren, wird man eine Fremdsprache nie richtig beherrschen und auch keine einfache
Alltagssituationen meistern können.

Teilweise unlösbare Situationen
Mit der Handlungskompetenzorientierung werden im Bereich des Prüfens und Bewertens teils unlösbare Situationen geschaffen. Etwas
salopp gesagt: Die Entscheidungsträger, die die Handlungskompetenzorientierung als Paradigma der (Berufs-)Bildung eingeführt
haben, haben nicht an die Herausforderungen gedacht, die dadurch sowohl beim Unterrichten als auch beim Prüfen und Bewerten
entstehen. Kognitive Lernziele sind viel einfacher zu prüfen und zu bewerten als die Bewältigung von anspruchsvollen und komplexen
Arbeitssituationen. So werden viele handlungsorientierte Prüfungen Kompromisse bleiben.

Für das Prüfen und Bewerten von Handlungskompetenzen ist ein klares Begriffsverständnis wichtig. Den verschiedenen Definitionen
von «Handlungskompetenz» ist gemeinsam, dass man davon ausgeht, eine handlungskompetente Person verfüge über eine Auswahl
von Handlungsmöglichkeiten, um eine berufliche oder private Situation selbstorganisiert zu bewältigen. Man spricht dabei von einem
ganzheitlichen Handlungsrepertoire, einer (Selbstorganisations-) Disposition oder von Ressourcen.

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Die folgende, umfassende Definition ist eine Synthese aus verschiedenen Beschreibungen von Handlungskompetenz:
Handlungskompetent ist, wer komplexe und zukunftsoffene Situationen eigeninitiativ, zielorientiert, fachgerecht, situationsgerecht
und sozial verantwortlich bewältigt.

Was sich hinter den verwendeten Begriffen verbirgt, zeigt sich am folgenden Beispiel. Es ist eine Wand zu streichen. Das können Laien
selber machen. Die Baumärkte und Fachgeschäfte liefern das nötige Material. Nach getaner Arbeit leuchten die Wände in der
gewünschten Farbe. Die Laien sind fähig, die geforderte Situation zu bewältigen. Häufig machen sie das aber nicht
«handlungskompetent». Laien tragen oft zu viel Farbe auf. Es entstehen durch eine unregelmässige Rollenführung Tropfenläufe oder
Flecken. Sie brauchen auch viel Zeit, um den Arbeitsplatz einzurichten. Eine ausgebildete und erfahrene Fachperson wird hingegen
eine Fläche so streichen können, dass sie auch im Streiflicht regelmässig erscheint. Sie wird auf Besonderheiten des Untergrunds
angemessen reagieren und beim Einsatz des Materials und dem Ablauf der Arbeitsprozesse gezielt vorgehen. Sie streicht
zielorientiert, fachgerecht, situationsgerecht und somit «handlungskompetent».

Handlungskompetenzen prüfen
Da Ausbildungen darauf aufbauen, die Lernenden handlungskompetenzorientiert auszubilden, sind entsprechende Prüfungs- und
Bewertungssysteme einzusetzen. Handlungskompetenzorientierte Prüfungen sind umfassender (mehrdimensionaler) als konventionelle
Prüfungen für reines Faktenwissen. Gute Handlungskompetenzorientierte Prüfungen ermöglichen, Handlungen beziehungsweise die
Performanz von Leistungen möglichst gesamtheitlich und objektiv zu bewerten. Sie weisen eine hohe Orientierung an der beruflichen
Realität sowie mehrere, vielfältige Aufgabenstellungen und Prüfungsmethoden
auf. Die zu bearbeitenden (Arbeits-)Situationen sind typisch, repräsentativ und
relevant. Zur Bewältigung ist ein problem- und handlungsorientiertes Vorgehen       Die Einsicht, dass man
wichtig. Konkret bedeutet dies, dass an Prüfungen sowohl reines Faktenwissen        Handlungskompetenzen nicht
als auch methodisches, prozessorientiertes und praktisches Vorgehen geprüft         vollständig prüfen kann, hat für
werden sollen. Es werden Aufgaben gestellt, die Handlungen aufzeigen,               Prüfende etwas Entlastendes. Aber sie
verlangen oder reflektieren lassen.                                                 ist keine Ausrede, sich nicht sehr
Diese Ansprüche sind vor allem bei praktischen Prüfungen gut und weitreichend          bewusst dieser Herausforderung zu
erfüllbar. Bei schriftlichen, mündlichen und technologiebasierten Prüfungen kann       stellen.
das eine Herausforderung sein. Es gibt Berufsfelder, Fachgebiete und
prüfungsökonomische Aspekte, die praktische und zeitlich ausgedehnte
Prüfungen in realen oder in simuliertem Kontext verunmöglichen. Der
allgemeinbildende Unterricht (ABU) an Berufsfachschulen ist ein Beispiel, welches die Herausforderung sowie die Grenzen von rein
handlungsorientierten Prüfungsformen sowie die Zulässigkeit von Wissensfragen an Prüfungen veranschaulicht. Im ABU kann je nach
Ausbildungsthema das Faktenwissen oder das Erkennen von Zusammenhängen eine grössere Bedeutung haben als eine konkrete
Handlung wie zum Beispiel Berechnungen anstellen, Formulare ausfüllen oder Gesuche formulieren. Das gilt es zu berücksichtigen und
Prüfungen entsprechend zu gestalten. Auch im ABU und insbesondere bei theorievertiefenden Themen sollen die Prüfenden die
Prüfungsaufgaben möglichst so gestalten, dass Wissen angewendet und Situationen und Tatsachen begründet beziehungsweise
reflektiert werden können. Elemente von Faktenwissen (z.B. Begriffe, Namen, Jahrzahlen, Gesetzesartikel) sollen nicht einfach nur
genannt oder aufgezählt werden. Anwendungsaufgaben sind in der Konstruktion für die Prüfenden sowie für die Lernenden in der
Bearbeitung häufig anspruchsvoller als reine Wissensfragen. Gleichzeitig zeigt der ABU beispielhaft auf, dass es legitim sein muss,
Prüfungsaufgaben und -fragen zu stellen, die reines Faktenwissen prüfen. Diese Art von Aufgaben soll aber innerhalb einer
schriftlichen Prüfung zur Aufgabenvielfalt beitragen und nicht vorherrschen.

Aus dem Beispiel ABU lassen sich für das Erstellen von mündlichen, schriftlichen und technologiebasierten Prüfungen folgende
Leitfragen ableiten.

     Wie können Handlungen geprüft werden?
     Wie zeigen Kandidatinnen und Kandidaten ihr Können im Sinne von Fähigkeiten und Fertigkeiten und wie wird dieses bewertet
     beziehungsweise benotet?
     Welche Bedeutung hat das reine Fachwissen für die Bewältigung von Arbeitssituationen und wie tief im Sinne von detailliert und
     umfassend soll es geprüft werden?
     Welche Bedeutung hat die Aufgabe für die Berufspraxis oder den Lebenskontext der Lernenden?

Diese exemplarischen Fragen weisen darauf hin, dass handlungskompetenzorientiertes Prüfen die Erkenntnis oder gar Demut verlangt,
nicht alle Kompetenzen abschliessend bewerten zu können. Die Einsicht, dass man Handlungskompetenzen nicht vollständig prüfen
kann, hat für Prüfende etwas Entlastendes. Aber sie ist keine Ausrede, sich nicht sehr bewusst dieser Herausforderung zu stellen.

Beurteilungsgrundlagen von Handlungskompetenzen und Leistungen
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Beurteilungsgrundlagen von Handlungskompetenzen und Leistungen
Im Zusammenhang mit der Beurteilung des Grads der Handlungskompetenzerreichung stellt sich immer wieder die Frage nach der
Komplexität von Handlungskompetenzen. Es macht einen Unterschied, ob eine einfache oder eine anspruchsvolle Aufgabe zu erfüllen
und zu bewerten ist. Je leichter die Aufgabe ist, desto tiefer ist das benötigte Leistungsniveau.

In der folgenden Tabelle sind drei Leistungsniveaus aufgeführt, die sich auch für die Einstufung von Situationen und den
Schwierigkeitsgrad von Prüfungsaufgaben eignen. An Prüfungen ist darauf zu achten, dass Aufgaben des Leistungsniveaus 1 von der
Menge und vom Umfang her gegenüber Aufgaben der beiden anderen Leistungsniveaus zurückhaltend eingesetzt werden.

     Leistungsniveaus von Handlungskompetenzen

Häufig wird für die Einstufung von Handlungskompetenzen, den Schwierigkeitsgrad von Prüfungsaufgaben beziehungsweise
Problemstellungen die Taxonomie von Bloom et al. eingesetzt. Mit Hilfe von ihr werden der Schwierigkeitsgrad von Prüfungsaufgaben
beziehungsweise Problemstellung eingestuft. Je höher die K-Stufe ist, desto höher ist der Schwierigkeitsgrad des Lernziels
beziehungsweise der Aufgabe. Die sechs sogenannten K-Stufen sind: K1 = Wissen, K2 = Verstehen, K3 = Anwendung, K4 = Analyse, K5 =
Synthese und K6 = Evaluation.

Bloom und seine Mitautoren entwickelten ihre Taxonomie zur Einschätzung von kognitiven Fähigkeiten und Zielen. Obwohl sie weit
verbreitet ist, ist sie für die Beurteilung von Handlungskompetenzen nicht geeignet. Handlungskompetenzen werden als beobachtbare
und bewertbare Handlungen (Performanz) sichtbar. Wissen (K-Stufe 1) kann nur bedingt in Form einer Handlung sichtbar gemacht
werden, ist aber für viele Handlungen Voraussetzung.

Für die Bewertung und Einstufung von Handlungskompetenzen und zu bewältigende Situationen braucht es eine Taxonomie, die sich an
Handlungen orientiert. Die folgende Tabelle beschreibt ein sechsstufiges Stufenmodell von Handlungskompetenzen. Es ist mit einer
Klassifizierung in Form von Leistungsarten ergänzt, die bereits in der Tabelle zur Einstufung der Leistungsniveaus eingesetzt wurde.

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Taxonomie von Handlungskompetenzen

Ausblick handlungskompetenzorientiertes Prüfen
Der Einsatz von technologiebasierten Arbeitsinstrumenten im Berufsalltag und in den Ausbildungen wird die Prüfungslandschaft in
nächster Zeit prägen. Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) sowie künstliche Intelligenz in der Berufspraxis werden auch das
Prüfungswesen verändern. Zudem werden Prüfungen in Gruppen an Bedeutung gewinnen. Diese Entwicklungen werden sich auf die
Prüfungsgestaltung auswirken und neue Formen von Beurteilungs- und Bewertungssystemen verlangen.

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Buch für SGAB-Mitglieder günstiger

   Das Buch «Handlungskompetenzen prüfen – Leistungsbewertung in der Berufsbildung» ist im Oktober 2020 im hep-Verlag
   erschienen. Es richtet sich an Praktikerinnen und Praktiker, die Prüfungen gestalten oder durchführen. Viele Tools und praktische
   Hinweise unterstützen bei der Erstellung und Durchführung von handlungskompetenzorientierten Prüfungen. Mit der Ausrichtung
   auf die Bewertung von Handlungskompetenzen und die Berufsbildung schliesst es eine Lücke bei der Umsetzung der
   Kompetenzorientierung in Aus- und Weiterbildungen. Mitglieder der SGAB erhalten das Buch statt für CHF 33.– für CHF 28.–. Um
   von diesem Rabatt zu profitieren, richten Sie Ihre Bestellung an die Geschäftsstelle der SGAB . Weitere Informationen auf der
   Website des hep verlags.

Zitiervorschlag
Thurnherr, Gregor (2020): Vom Wissen zum Können. Transfer, Berufsbildung in Forschung und Praxis (3/2020), SGAB, Schweizerische Gesellschaft für
angewandte Berufsbildungsforschung.

Quell-URL: https://www.sgab-srfp.ch/de/newsletter/vom-wissen-zum-koennen

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