Von der Raupe zum Schmetterling. Krankheit - ein Heilungsprozess - Logon.media

 
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Von der Raupe zum Schmetterling. Krankheit - ein Heilungsprozess - Logon.media
08 November 2020

       Von der Raupe zum
   Schmetterling. Krankheit – ein
        Heilungsprozess
.media

 Wir können die Umstände der heutigen Krise zur
„Verpuppung“ nutzen. Im Kokon-Stadium sind wir
    ganz mit uns konfrontiert. Wir können Kräfte
 entdecken, die uns über alles hinwegheben. Die
 Möglichkeiten des „Schmetterlings“ ruhen in uns.
Text:     Silke Kittler   Image: Ruth Alice Kosnick

Der Prozess der Verpuppung

Die Raupe ist vergleichbar mit einem Erfahrungen sammelnden Menschen, der lebt,
„frisst“, bis er immer „dicker“ wird. Die Fülle der Erfahrungen lässt ihn an einem
bestimmten Punkt nachdenklich werden: „Was bedeutet das alles, hat das Leben
vielleicht einen viel tieferen Sinn, als ich dachte?“ Ganz im Geheimen rührt sich die
Seele. Der nach Wahrheit Suchende wird verunsichert, wendet sich schließlich nach
innen, er „verpuppt“ sich.

Auch die Raupe verwandelt sich in eine Puppe. Der Mensch, der nicht mehr bereit ist,
so zu leben wie bisher, wird in die Einsamkeit, die Isolation gezwungen.

Um die Raupe herum ist es eng, dunkel. Sie wird unansehnlich, unbeweglich. Für den
Sucher, der hoffungsfroh begann, geht es nicht mehr vorwärts und nicht mehr
rückwärts. In gewissem Ausmaß entgleitet ihm sein Leben. Er entdeckt seine absolute
Unvollkommenheit, ist erschöpft, fühlt sich krank. In dieser Phase der Isolation, im
Puppenstadium, entfaltet sich in der Raupe ein neues Wesen, der Falter, der
Schmetterling.

In seiner „Einsamkeit auf Patmos“ erfährt der Mensch Verzweiflung, Dunkelheit ...,
aber auch Verwandlung. Es kann durchaus der Durchgang durch eine Krankheit sein,
vielleicht sogar eine unheilbare ...Wenn er aber alles aufgegeben, losgelassen hat, u.a.
auch die Verzweiflung, durchlebt er das „Endura“ [1]. Es gleicht einem Sterben, einem
Eintreten in einen dunklen Tunnel. An dessen Ende aber sieht er Licht. Ihm strebt er zu
… und er wird in Freiheit geboren – das Puppen-Wesen transmutiert, verwandelt sich
in einen Schmetterling, der sich in die Luft erhebt und der Sonne entgegenschwebt.

Einer der Faktoren, die die Zeit der Corona-Krise mit sich brachte, ist, dass die
Menschen zu einer Kontaktarmut gezwungen wurden. Viele von ihnen sahen weder
ihre Enkel, noch ihre Freunde, Arbeitskollegen oder ihre Eltern. Sie wurden in der
Isolation auf sich selbst zurückgeworfen. Sie durften sich in Zurückgezogenheit auf
sich selbst besinnen (oder sie erhielten jedenfalls die Chance dazu), erfuhren eine
Krise, alles bröckelte ab vom bisherigen Leben, aber zu gleicher Zeit konnten sie,
wenn sie diesen Zustand als Chance begriffen, das Licht sehen, wie die Puppe durch
den abbröckelnden Kokon hindurch.

Für sie wird dann nichts so sein wie bisher, die Puppe kann nicht mehr zur Raupe
werden, und ebenso wenig kann es der Schmetterling – der Mensch kann nicht mehr
zurück. Auf ihn kommt das unbekannte Neue zu, vor dem viele Menschen Angst haben.

Es kommt der Moment, in dem„der alte Mensch“ dem drängenden Werden des “neuen
Menschen“ nicht mehr widerstehen kann.

Ich erlebe einen solchen Prozess

Eine Freundin, mit der ich während der Corona-Zeit in WhatsApp-Kontakt stand, sagte,
sie mache gesundheitliche Krisen durch; ich konnte sie verstehen, da es mir nicht
anders ging. Spontan antwortete ich ihr, wir stünden im Prozess der Verpuppung.
Beide suchten wir keine weiteren Kontakte nach außen. Wir fühlten uns beide nicht
wohl...

Bei körperlichen Unpässlichkeiten – egal, was es ist – erlebe ich in mir meist ein tiefes
Vertrauen. Es ist, wie wenn mich etwas liebt, wenn mich jemand liebt. Ich habe kein
Bedürfnis, meine individuellen körperlichen Beschwerden vom Arzt abklären zu lassen,
ich benötige allein Ruhe.

Ein Versuch, mir vom Arzt helfen zu lassen, stimmte mich hinterher missmutig,
brachte mich aus dem Gleichgewicht. Ich war dem Rat von Freunden gefolgt und
machte mir klar, dass ich auf meine innere Stimme hören muss. Ich habe kürzlich eine
OP abgesagt.

Jeder geht seinen eigenen Weg. Ich habe sehr verschiedene körperliche Erfahrungen,
die niemand nachvollziehen kann und die auf diese Weise auch kein anderer Mensch
hat. Jeder sollte seinem eigenen Innern folgen. Wenn eine allgemeine Grippewelle
umgeht, dann fehlt mir meist etwas völlig anderes. Meinen Körper in einer solchen
Situation anzuschauen, ist mein Lernprozess. Ein Forschen nach der Ursache, ein
Reflektieren, aber auch eine Hinwendung an meine innere Instanz, ist nun angesagt.
Mich ihr anzuvertrauen, mich ihr zu schenken, zu übergeben – das meine ich mit
„Endura“. Ich darf meine Unvollkommenheit anschauen, mir verzeihen, und es fällt mir
dann auch viel leichter, anderen zu verzeihen, ... ich darf mich lieben lernen.

Immer wieder in den letzten Jahrzehnten erfuhr ich, was meinen Körper betraf,
Situationen - nachts im Bett oder vor dem Computer oder während eines Workshops -
in denen ich dachte, jeder Mensch an meiner Stelle würde sofort zum Arzt gehen oder
sogar den Notarzt anrufen. Jedes Mal befand ich mich in großer Ruhe und entspannte
mich. Einmal verreiste ich am nächsten Tag und genas schnell wieder, ein anderes Mal
führte ich ein Gespräch mit einer Bekannten und merkte, wie ich wieder gesundete.
Vor fast zehn Jahren war ich häufig von einem bestimmten „Übel“ befallen. Als dies
wieder geschah – bei einer internationalen großen Veranstaltung in Südfrankreich -
stieß ich aus meiner Tiefe ein Stoßgebet aus: ich möchte gesund sein – und die Hilfe
kam, Jahre später traten diese körperlichen Erscheinungen immer seltener auf. (Der
telefonische Kontakt mit einem Freund half mir ...)

Die Krankheiten, die ich im „stillen Kämmerlein“ und allein durchlitt, waren und sind
für mich wie ein Kokon-Stadium, wo ich ganz mit mir konfrontiert war und bin. Helfen
kann mir dabei ein Gespräch, das zu einem tiefen Selbsterkennen führt und mir „die
Augen öffnet“.

Ich erlebe die Dinge des Lebens als Wunder-bar. Gibt es nicht etwas viel Größeres, als
wir uns vorstellen können, etwas, das unseren Körper genesen lässt? Die
Selbstheilungkräfte sind in uns verborgen, wir dürfen sie ent-decken und anregen oder
durch gesunden Lebenswandel fördern. Angstlosigkeit ist ein großer Faktor und tiefes
Vertrauen in eine unbekannte Liebe, Vertrauen in uns selbst, in unseren inneren Arzt.
Natürlich zweifle ich auch immer wieder, dass es Heilung in mir gibt. Aber wenn ich
mit mir konfrontiert werde, entscheide ich mich für den Weg des Vertrauens, für einen
Weg, auf dem ich sicher geführt werde. Ich erlebe es als die Führung von einer
größeren Macht. Vor Jahren suchte ich – angeregt durch einen inneren Impuls – ein
spirituelles Gespräch mit einem Freund – und es lief auf etwas viel Größeres hinaus,
als ich es mir hätte ausmalen können, ganz individuell auf mich „zugeschnitten“

Bittere Erfahrungen, Krankheiten, Enttäuschungen, alles findet kurz vor oder im Kokon-
Stadium des werdenden Schmetterlings, des reifenden Menschen, statt – damit die
Welt durch alles hindurch mit neuen Augen geschaut werden kann, mit den Augen des
Schmetterlings, mit den Augen der neuen Seele.

Anhang (LOGON):

Wie der Schmetterling zu sich erwacht

Die Verwandlung der Raupe in einen Schmetterling ist ein oft verwendetes Bild für
grundlegende innere Wandlungsprozesse des Menschen: Die Raupe verpuppt sich und
aus der Puppe kommt der Schmetterling hervor. Doch was geschieht da eigentlich?

Die amerikanische Biologin und Autorin Norie Huddle hat sich intensiv mit den
biologischen Prozessen dieser Transformation beschäftigt (s. ihr Buch Butterfly –
A tiny Tale of Great Transformation,
1990)

Wenn sich eine Raupe in ihren Kokon einspinnt, dann vollziehen sich parallel zwei
Prozesse: Die Enzyme beginnen damit, die Zellstruktur des Wurms aufzulösen;
gleichzeitig entstehen parallel zu diesem Desintegrationsprozess neue Zellen, die sich
von den Zellen des Wurms massiv unterscheiden. Man könnte sagen: Sie schwingen in
einer anderen Frequenz als der Rest des Raupenkörpers. Norie Huddle nennt sie
“imaginative” oder “Imago-Zellen”, weil sie die Informationen enthalten, aus denen
der Schmetterling entstehen wird.

Das Immunsystem der Raupe betrachtet diese Zellen jedoch als feindliche
Fremdkörper und versucht, sie zu vernichten. Das gelingt anfangs; je mehr jedoch die
Zerfallsprozesse im verpuppten Wurm weitergehen, desto zahlreicher werden die
Imago-Zellen.

Schon bald kann das Immunsystem der Raupe sie nicht mehr schnell genug
vernichten. So überleben immer mehr der Imago-Zellen die Angriffe, und es beginnen
sich Cluster zu bilden, die Informationen austauschen. Dann, nach einer Weile,
passiert wieder etwas höchst Erstaunliches: Die Klumpen von Imago-Zellen formen
lange Fäden und beginnen, Netzwerke zu bilden und so innerhalb der verpuppten
Larve noch mehr Informationen auszutauschen.

Dann kommt ein Punkt, an dem dieses Netzwerk plötzlich zu begreifen scheint, dass
es etwas ist, etwas Neues! Diese Erkenntnis einer eigenen Identität ist die Geburt des
Schmetterlings.

Nun übernimmt jede der Imago-Zellen ihre spezielle Aufgabe und beginnt die
Information, die sie trägt, zur Gestaltung der neuen Form beizutragen. Sie sucht sich
ihren Platz als Zelle des Flügels, des Fühlers, der Augen – sie wird zur
Schmetterlingszelle.

s. hierzu das Interview von Geseko von Lüpke mit Nicanor Perlas, bei:
https://wirundjetzt.org/ueber-uns/inspirationen-geschichten/die-geschichte-von-der-
raupe-und-vom-schmetterling/

[1]         Mit diesem Begriff bezeichneten die Katharer im Mittelalter das Ersterben
der persönlichen Wünsche und Vorstellungen.
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