Von Rüppells Blausteiß papagei bis zum Fuß des Archaeopteryx

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Von Rüppells Blausteiß papagei bis zum Fuß des Archaeopteryx
Wissenschaftsgeschichte

                                                            Von Rüppells
                                                            Blausteißpapagei bis zum
                                                            Fuß des Archaeopteryx
                                  von Stephan M. Hübner     Ornithologische Notizen aus Frankfurts Geschichte

                                                            D    ie Vogelkunde besitzt in
                                                                 Frankfurt eine weitreichende
                                                            Tradition. So zum Beispiel enga-
                                                                                                        rung geblieben. Der Sprössling ei-
                                                                                                        ner eingesessenen Frankfurter
                                                                                                        Bankiersfamilie erlernte zunächst
                                                            gierten sich Naturforscher und              das Bankwesen, studierte aber
                                                            -liebhaber schon lange vor Grün-            auch Mineralogie in Lausanne so-
                                                            dung der Universität im Jahre               wie Naturwissenschaften in Padua
                                                            1914 in Vereinigungen wie der               und Florenz. Aufgrund seiner Fa-
                                                            Senckenberg Gesellschaft für Na-            milienverhältnisse finanziell unab-
                                                            turforschung (SGN, gegründet                hängig, unternahm Rüppell bereits
                                                            1817) oder der Zoologischen Ge-             in jungen Jahren ausgedehnte Ex-
                                                            sellschaft Frankfurt (ZGF, gegrün-          peditionen durch Nordostafrika,
                                                            det 1858). Biografische Skizzen             insbesondere Ägypten und Äthio-
                                                            zeichnen den Weg von den Pio-               pien. Die dabei zusammengetrage-
                                                            nierzeiten der Frankfurter Orni-            nen wissenschaftlichen Sammlun-
                                                            thologie bis heute nach.                    gen wurden zum Grundstock für
                                                                Eduard Wilhelm Peter Simon              das Frankfurter Senckenbergmuse-
                                                            Rüppell (1794 – 1884) 1 ist vor al-         um, das er von 1850 bis 1862 leite-
                                                            lem als Afrikaforscher in Erinne-           te; bereits 1841 war Rüppell zwei-
                                                                                                        ter Direktor der von ihm 1818
                                                                                                        mitbegründeten SGN geworden.
                                                                                                        Fünf Tiergattungen und 79 Tier-
                                                            1 Nach Eduard Rüppell, dem großen           und Pflanzenarten sind nach ihm
                                                            Afrikaforscher, sind zahlreiche Vögel be-
                                                                                                        benannt worden, wissenschaftlich
                                                            nannt. Auch als begnadeter Illustrator
                                                            hat er seine Spuren in der Biologie hin-    wie im Populärnamen, darunter
                                                            terlassen, im Bild die mit den Krani-       zahlreiche Vogelarten zumeist afri-
                                                            chen verwandte Schwarzbauchtrappe           kanischer Provenienz wie Rüppells
                                                            (Lissotis melanogaster). Rüppell hatte      Blausteißpapagei (Poicephalus ruep-
                                                            diese Art 1835 nach einem Exemplar          pellii), Rüppellmeise (Melaniparus
                                                            aus Äthiopien erstmals wissenschaftlich     leucomelas), Rüppellschmätzer
                                                            beschrieben. Eine weitere Trappe, Eupo-
                                                                                                        (Oenanthe lugubris), Rüppelltrappe
                                                            dotis rueppellii, wurde 1856 ihm
                                                            zu Ehren benannt.                           (Eupodotis rueppellii), Rüppelldross-
                                                                                                        ling (Turdoides rubiginosus) und
                                                                                                        Sperbergeier (Gyps rueppellii) 2.
                                                                                                        Aus Rüppells Feder stammen bis
                                                                                                        heute bedeutsame Werke wie
                                                                                                        »Neue Wirbelthiere zu der Fauna
                                                                                                        von Abyssinien gehörig« (1835 –
                                                                                                        1840) oder »Systematische Über-
                                                                                                        sicht der Vögel Nord-Ost-Afrikas«
                                                                                                        (1845) (Jahn 2004).
                                                                                                            Der Paläontologe Christian Erich
                                                                                                        Hermann von Meyer (1801 – 1869)
                                                                                                        3 wurde bereits mit 24 Jahren,
                                                                                                        1825, Mitglied der noch jungen
                                                                                                        SGN. In ihr wirkte er von 1838 bis
                                                                                                        1843 als Sektionär für Osteologie
                                                                                                        und 1851 / 1852 als erster Direktor.
                                                                                                        Nach dem Besuch des Frankfurter
                                                                                                        Lessing-Gymnasiums hatte der
                                                                                                        Sohn des Frankfurter Bürgermeis-
                                                                                                        ters Johann Friedrich von Meyer
                                                                                                        Naturwissenschaften in Heidelberg,

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05 UNI S071_081 2009_01.indd 76                                                                                                   20.03.2009 17:15:48 Uhr
Von Rüppells Blausteiß papagei bis zum Fuß des Archaeopteryx
Wissenschaftsgeschichte

       München und Berlin studiert. Im            rasch als das lange gesuchte »Mis-      2 Im Frankfurter Forschungsinstitut und Naturmuseum Sen-
       Anschluss wandte er sich der Un-           sing Link« zwischen Dinosauriern        ckenberg lagern über 10 000 Bälge von Vogelarten, die Eduard
       tersuchung von Fossilien zu und            und Vögeln (Keller & Storch 2001).      Rüppell dem Museum schenkte, die er erstmals beschrieb oder
                                                                                          die ihm zu Ehren benannt wurden. Darunter, von links, Rüp-
       entwickelte die Paläontologie zur
                                                                                          pell- (Turdoides r. rubiginosus) und Akaziendrossling (T. fulva
       eigenständigen naturwissenschaft-              Erkunder der heimischen Vogelwelt   acaciae), Rüppells Blausteißpapagei (Poicephalus rueppellii),
       lichen Disziplin. Im Laufe seiner              Sebastian Pfeifer (1898 – 1982) 5   Schwarzrücken- (Oenanthe lugens, junges Männchen) und
       Karriere verfasste von Meyer über          arbeitete 30 Jahre lang als Indus-      Rüppellschmätzer (O. lugubris; schwarze Morphe). Bei den ab-
       300 wissenschaftliche Publikatio-          triekaufmann bei den Cassella-          gebildeten Exemplaren von Akaziendrossling und Schwarzrü-
       nen, die sich durch große Sorgfalt         Werken in Frankfurt-Fechenheim.         ckenschmätzer handelt es sich um Stücke, die Rüppell selbst
       und Genauigkeit sowie hochwerti-           Autodidaktisch erarbeitete sich der     in Nordostafrika sammelte und nach Frankfurt brachte. Die
                                                                                          später als „Rüppellschmätzer“ bezeichnete kleine Drossel be-
       ge, von ihm selbst erstellte Illustra-     Unterfranke ein umfangreiches or-
                                                                                          schrieb Rüppell im Jahre 1837 selbst, ebenso die auch als
       tionen auszeichnen – darunter das          nithologisches Wissen. Seine Be-        „Heuglindrossling“ bekannte Timalie T. rubiginosus (1845).
       dreibändige »Handbuch einer Ge-            geisterung für die heimische Vogel-
       schichte der Natur« (1841 – 1849),
       das er gemeinsam mir Heinrich
       Georg Bronn und Johann Heinrich
       Robert Goeppert veröffentlichte.
       Von Meyers wichtigster ornitholo-
       gischer Erfolg war jedoch die Erst-
       beschreibung des jurassischen Ur-
       vogels Archaeopteryx lithographica 4
       nach einer fossilen Feder aus dem
       Solnhofener Plattenkalk im Jahre
       1861. Archaeopteryx offenbarte sich

       3 / 4 Die Erstbeschreibung des gut els-
       terngroßen „Urvogels“ Archaeopteryx li-
       thographica nach einer fossilen Feder
       aus dem Solnhofener Plattenkalk gelang
       1861 dem Frankfurter Paläontologen
       Herrmann von Meyer. Lange Zeit war
       man der Ansicht, der „Urvogel“ vereine
       mosaikartig Vogel- und Reptilienmerk-
       male. Zwischenzeitlich wurde jedoch je-
       des der „Vogelmerkmale“ (wie Federn
       oder Gabelbein) auch bei theropoden
       Dinosauriern entdeckt – der Beweis da-
       für, dass die theropoden Dinosaurier die
       Ahnen der heutigen Vögel sind. Wie die-
       se konnte Archaeopteryx gut auf dem
       Boden laufen; dies beweisen aktuelle
       Frankfurter Untersuchungen zum Bau
       seines Fußes (Mayr et al. 2007).

       Forschung Frankfurt 1/2009                                                                                                                           77

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Von Rüppells Blausteiß papagei bis zum Fuß des Archaeopteryx
Wissenschaftsgeschichte

                                    Frankfurter Ornithologen der Gegenwart

                                   P   rof. Dieter Stefan Peters wurde 1976 Nachfolger
                                       Joachim Steinbachers als Leiter der ornithologi-
                                    schen Sektion des Naturmuseums und Forschungs-
                                                                                                                     Ebenso stellte Prinzinger an
                                                                                                                     Kolibris, Nektar- und Maus-
                                                                                                                     vögeln umfangreiche Unter-
                                    instituts Senckenberg. Peters’ besonderes Interesse                              suchungen zu physiologischen
                                                           gilt bis heute dem Grenzbe-                               Lethargiezuständen wie dem
                                                           reich zwischen rezenter Vo-                               Torpor an. Prinzinger ist Co-
                                                           gelkunde und Paläornitholo-                               Autor des aktuellen deutschen
                                                           gie, der Evolution der Vögel                              Standardlehrbuchs der Vogel-
                                                           sowie der Biodiversität fossi-                            kunde. Seine engste Mitarbei-
                                                           ler Vogelfaunen, insbesonde-                              terin, Privat-Dozentin Elke
                                                           re jener der Grube Messel bei                             Schleucher, widmet sich un-
                                                           Darmstadt. Er ist Mitbegrün-     ter anderem der Ökophysiologie der Tauben und
                                                           der der sogenannten „Frank-      Papageien sowie Themen der Naturschutzbiologie.
                                                           furter Evolutionstheorie“           Prof. Wolfgang Wiltschko entwickelte an der
                                                           (Mollenhauer 1997), und er       Goethe-Universität Anfang der 1960er Jahre Appa-
                                                           erarbeitete das „Hanggleiter-    raturen, in denen Vögel künstlich veränderten Mag-
                                    Modell“ zur Evolution des Vogelflugs. Schon vor         netfeldern ausgesetzt wurden. Auf diese Weise ge-
                                    den entsprechenden Fossilfunden postulierte es,         lang ihm der erste experimentelle Nachweis, dass
                                    dass Archaeopteryx ein befiederter, laufender Saurier                                      sich Vögel am Mag-
                                    gewesen sein musste (zum Beispiel Peters 1994).                                            netfeld der Erde ori-
                                    Seit 1997 führt Dr. Gerald Mayr den von Peters be-                                         entieren können
                                    gründeten Schwerpunkt »Paläornithologie« mit                                               (Wiltschko 1968).
                                    großem Erfolg fort; neben der Vogelfauna Messels                                           Gemeinsam mit sei-
                                                           widmete er sich bislang unter                                       ner Frau, Prof. Ros-
                                                           anderem der Stammesge-                                              witha Wiltschko,
                                                           schichte der Papageien, Koli-                                       erforscht er seitdem
                                                           bris und Rackenvögel sowie                                          die funktionellen Ei-
                                                           dem Urvogel Archaeopteryx. Er                                       genschaften des Ma-
                                                           bestätigte, gemeinsam mit                                           gnetkompasses der
                                                           anderen Forschern, die Rich-                                        Vögel, seine neuro-
                                                           tigkeit von Peters´ „Hangglei-   biologische Basis und sein Zusammenwirken mit
                                                           ter-Modell“ und dass Archeop-    Himmelsfaktoren wie Sonne und Sternen; den ent-
                                                           teryx als Teil einer             sprechenden Magnetrezeptor lokalisierten Wiltsch-
                                                           morphologischen Reihe an-        kos im rechten Vogelauge. Die Kooperation mit der
                                                           zusehen ist, in deren Abfolge    Frankfurter Abteilung »Neurobiologie circadianer
                                    sich kleine theropode Dinosaurier schrittweise zu       Rhythmen« (Prof. Günther und Dr. Gerta Fleissner)
                                    dem entwickelten, was wir heute als Vögel verste-       führte 2003 zur Entdeckung eines weiteren Mag-
                                    hen (zum Beispiel Mayr et al. 2007).                    netrezeptionsorgans im Schnabel der Brieftaube
                                       Prof. Roland Prinzinger, Stoffwechselphysiologe      (Fleissner et al. 2003).
                                    an der Goethe-Universität, forscht insbesondere            Bis 2005 war der Abteilung Wiltschko auch die
                                    zum Energiehaushalt und zur Thermoregulation der        1977 gegründete »Ökologische Außenstelle
                                    Vögel. Dabei nimmt er Bezug zur ontogenetischen         Schlüchtern« angeschlossen; insbesondere durch
                                    Entwicklung dieser physiologischen Parameter. Von       den Biologen Dr. Karl-Heinz Schmidt wurden dort
                                    besonderer Bedeutung sind die gemeinsam mit dem         Maßstäbe setzende Untersuchungen zur Populati-
                                    Zoo Frankfurt angestellten Untersuchungen zur Ei-       onsdynamik höhlenbrütender Singvögel, wie Kohl-
                                    entwicklung des Nördlichen Streifenkiwis (Apteryx       meise (Parus major) und Trauerschnäpper (Ficedula
                                    mantelli) (zum Beispiel Prinzinger & Dietz 2002).       hypoleuca), angefertigt.

                                  welt führte dazu, dass er 1924 die     nach dem Zweiten Weltkrieg ent-        Frankfurter Flughafens, der direkt
                                  Vogelkundliche Beobachtungsstati-      scheidend vorantrieb. Ab 1952 lei-     unter einer Zugroute des Graukra-
                                  on Untermain e. V. (heute geleitet     tete er gemeinsam mit Werner Keil      nichs (Grus grus) liegt. Pfeifers wo-
                                  von Ulrich Eidam) und 1937 die         einen Großversuch zur Steigerung       möglich größter und nachhaltigster
                                  Südwestdeutsche Vogelschutzwarte       der Siedlungsdichte von frei- oder     Erfolg war jedoch die Gründung
                                  (heute Staatliche Vogelschutzwarte     höhlenbrütenden Vogelarten zur         der Internationalen Union für an-
                                  für Hessen, Rheinland-Pfalz und        biologischen Schädlingsbekämp-         gewandte Ornithologie im Jahr
                                  Saarland, Leitung Dr. Klaus            fung. Weiterhin entwickelte Pfeifer    1954. Nach seiner Pensionierung
                                  Richarz) mitbegründete. 1944           eine »akustische Vogelscheuche«        1964 wirkte Pfeifer als Präsident
                                  wurde Pfeifer Direktor und wissen-     für Weinberge und er befasste sich     des Bundes für Vogelschutz. Er
                                  schaftlicher Leiter der Vogelschutz-   mit der Vermeidung vogelflugbe-        hinterließ rund 300 Veröffentli-
                                  warte, deren Wiederaufbau er           dingter Unfälle im Bereich des         chungen über die Vögel der Hei-

 78                                                                                                                  Forschung Frankfurt 1/2009

05 UNI S071_081 2009_01.indd 78                                                                                                            20.03.2009 17:15:52 Uhr
Von Rüppells Blausteiß papagei bis zum Fuß des Archaeopteryx
Wissenschaftsgeschichte

                                                                                   5 1944 wurde Sebastian Pfeifer (zwei-
                                                                                   ter von rechts) Direktor und wissen-
                                                                                   schaftlicher Leiter der Frankfurter Vogel-
                                                                                   schutzwarte, deren Wiederaufbau er
                                                                                   nach dem Zweiten Weltkrieg entschei-
                                                                                   dend vorantrieb. 1937 hatte er bereits
                                                                                   zu den Gründungsvätern der heute noch
                                                                                   bestehenden Einrichtung gehört.

                                                                                   Orientierungsvermögen auf dem
                                                                                   Erdmagnetfeld beruhen müsse.
                                                                                   Sein Schüler Wolfgang Wiltschko
                                                                                   [siehe »Frankfurter Ornithologen
                                                                                   der Gegenwart«, Seite 78] konnte
                                                                                   Mitte der 1960er-Jahre mit einem
                                                                                   weiterentwickelten Experimentier-
                                                                                   käfig tatsächlich als Erster die Ori-
                                                                                   entierung von Zugvögeln am Erd-
                                                                                   Magnetfeld nachweisen. Im
                                                                                   Ruhestand widmete sich Merkel
                                                                                   unter anderem der Verhaltensbio-
                                                                                   logie von Staren (Sturnus vulgaris),
                                                                                   von denen er eine Beobachtungs-
       mat, Fragen des angewandten Na-       torvater Prof. Hermann Giersberg      kolonie in seinem Privatgarten an-
       turschutzes und das hessische         von Breslau an die Goethe-Univer-     siedelte.
       Naturschutzgebiet »Rheininsel         sität. Kurz nach Beginn des Zwei-
       Kühkopf-Knoblochsaue«. Das Ver-       ten Weltkriegs wurde Merkel je-           Pioniere der Vogelhaltung und
       einsheim der Vogelkundlichen Sta-     doch zur Wehrmacht eingezogen             des Artenschutzes
       tion Untermain am Berger Hang in      und kehrte nach sowjetischer              In etwa parallel zu Merkels
       Frankfurt heißt heute Sebastian-      Kriegsgefangenschaft erst 1950        Amtszeit an der Goethe-Universität
       Pfeifer-Haus.                         nach Frankfurt zurück. Er war ei-     war Dr. Joachim Steinbacher
          Die Vögel der Heimat spielen       ner der Ersten, die auf die Rolle     (1911 – 2005) 7 Vogelkustos am
       auch eine wesentliche Rolle im        der Fotoperiode als Zeitgeber für     Naturmuseum und Forschungsins-
       Werk von Prof. Friedrich Wilhelm      den Vogelzug hinwiesen. Außer-        titut Senckenberg. Auch seine Be-
       Merkel (1911 – 2002). Merkel ent-     dem bahnte er den Weg für den         geisterung für die Ornithologie
       stammte einer biologisch sehr inte-   Nachweis des Magnetsinns der Tie-     reichte bis in die Schulzeit zurück,
       ressierten Breslauer Familie: Sein    re. Schon als Doktorand hatte er      als er mit seinem Onkel Friedrich
       Großvater Eduard galt als Kapazität   einen speziellen »Orientierungskä-    und dessen Sohn Georg [siehe
       auf dem Gebiet der Biologie heimi-    fig« entwickelt, in dem er beobach-   S. 80] lange Exkursionen ins Berli-
       scher Weichtiere, sein Vater war      ten konnte, ob Zugvögel beim Um-      ner Umland unternahm. Nach sei-
       viele Jahre Vorsitzender der Bres-    herfliegen eine mögliche              ner Gymnasialzeit hospitierte
       lauer Ortsgruppe des »Vereins         Vorzugsrichtung wählen. Im Un-        Steinbacher an der Vogelwarte Hel-
       Schlesischer Ornithologen«. Auf       terschied zur Lehrmeinung bis hin-    goland, 1931 nahm er das Studium
       diese Weise kam Merkel schon als      ein in die 1960er-Jahre konnte        in Göttingen auf, wechselte aber
       Schüler mit engagierten Vogel-        Merkel anhand von Freilandbeob-       bald nach Berlin. In seinen Semes-
       kundlern zusammen, darunter mit       achtungen nachweisen, dass Zug-       terferien arbeitete er mehrfach an
       Karl Gustav Johannes Waldemar         vögel ihre Zugrichtung auch ohne
       Trettau, dem das Rittergut Grimmel    Himmelsmarken (Sonnen- oder
       im Landkreis Oels gehörte. Dort       Mondstand, Sterne) finden kön-
       fing Merkel während seines Studi-     nen; hieraus leitete er ab, dass
       ums Versuchsvögel, und er begann,     dieses damals zunächst neutral
       die Brutbiologie und Populations-     als »nicht-visuell« bezeichnete
       dynamik des Trauerschnäppers
       (Ficedula hypolenca) 6 zu erfor-
                                             6 Der Trauerschnäpper (Fice-
       schen.
                                             dula hypoleuca) gehört zu den
          In seiner Doktorarbeit, die Mer-   Vogelarten, an denen Friedrich
       kel 1937 an der Universität Breslau   Wilhelm Merkel seine ersten
       abschloss, beschäftigte er sich mit   ornithologischen Untersuchun-
       der Physiologie des Vogelzugs. Sie    gen durchführte. Der kleine
                                             Singvogel ist in den Laub- und
       wurde zum Mittelpunkt seiner          Mischwäldern, Parks und Gär-
       weiteren wissenschaftlichen Lauf-     ten Nord- und Mitteleuropas
       bahn. Hierzu angeregt hatten ihn      verbreitet und ein typischer
       mehrere studienbegleitende Auf-       Höhlenbrüter. So lag es nahe,
                                             dass er später auch in der Ar-
       enthalte in den Vogelwarten von       beit der »Ökologischen Außen-
       Rossitten und Hiddensee. 1938         stelle Schlüchtern« eine zent-
       wechselte Merkel mit seinem Dok-      rale Rolle spielte.

       Forschung Frankfurt 1/2009                                                                                                              79

05 UNI S071_081 2009_01.indd 79                                                                                                 20.03.2009 17:15:53 Uhr
Von Rüppells Blausteiß papagei bis zum Fuß des Archaeopteryx
Wissenschaftsgeschichte

                                                                             gelhaltung und -zucht in Men-              Prof. Bernhard Klemens Maria
                                                                             schenobhut. Dies führte dazu, dass      Grzimek (1909 – 1987), der wohl
                                                                             er 1938 Herausgeber der »Gefie-         berühmteste Direktor des Frank-
                                                                             derten Welt« wurde, der bis heute       furter Zoos, setzte sich zu Beginn
                                                                             bedeutendsten Fachzeitschrift für       seiner Laufbahn ebenfalls mit orni-
                                                                             Vogelhaltung im deutschsprachi-         thologischen Fragestellungen aus-
                                                                             gen Raum. Fast 67 Jahre lang, bis       einander: Nicht nur, dass er bereits
                                                                             zu seinem Tod, hatte Steinbacher        als Student einen landwirtschaftli-
                                                                             dieses Amt inne.                        chen Betrieb mit Geflügelfarm lei-
                                                                                Im Jahr 1940 wechselte Stein-        tete, als promovierter Tierarzt ar-
                                                                             bacher an das Museum Alexander          beitete Grzimek unter anderem
                                                                             Koenig in Bonn; nach dem Zwei-          auch von 1938 bis 1945 im Reichs-
                                                                             ten Weltkrieg kam er nach Frank-        ernährungsministerium und war
                                                                             furt, wo er bis zu seinem Lebens-       dort vor allem mit der Bekämp-
                                                                             ende wirkte. Dort erschien 1951         fung von Rinder- und Geflügelseu-
                                                                             sein erfolgreiches, populäres Buch      chen sowie der Verbesserung der
                                                                             über den Vogelzug, dem sogar un-        Lagerung von Hühnereiern be-
                                                                             authorisierte Versionen in Russisch     schäftigt. Sein »Handbuch der Ge-
                                                                             und Chinesisch folgten; als begab-      flügel-Krankheiten« (1936) wurde
                                                                             ter Populärautor war Steinbacher        noch in den 1960er Jahren neu
                                                                             auch Mitherausgeber der Vogel-          aufgelegt. Grzimek war Mitbegrün-
                                                                             bände von »Grzimeks Tierleben«.         der des Bundes für Umwelt und
                                                                             1954 wurde er schließlich Vogel-        Naturschutz Deutschland (BUND)
                                                                             kustos am Senckenbergmuseum.            sowie der ZGF. Überregional be-
                                  7 Dr. Joachim Steinbacher war von
                                                                             Dort befähigte ihn sein breites Wis-    kannt wurde er als Schriftsteller,
                                  1954 bis 1976 Vogelkustos am Natur-
                                  museum und Forschungsinstitut Sen-         sen zu Forschungen in zahlreichen       Fernsehmoderator und Dokumen-
                                  ckenberg. Besondere Verdienste erwarb      Bereichen, von Anatomie und Bio-        tarfilmer: 1960 erhielt er für »Se-
                                  er sich als Herausgeber der »Gefiederten   geografie bis Ökologie und Arten-       rengeti darf nicht sterben« den Os-
                                  Welt«, die er ab 1938 fast 67 Jahre        schutz. Besonderes Interesse            car (Sewig 2009).
                                  lang betreute.                             entwickelte Steinbacher für die Vö-        Gewissermaßen im Schatten
                                                                             gel Südamerikas; in den Tropen          Grzimeks standen unberechtigter-
                                  der Vogelwarte Rossitten. Als be-          (unter anderem auf den Seychel-         weise sein Vorgänger Dr. Georg
                                  sonderes Verdienst Steinbachers            len) initiierte und betreute er Ar-     Steinbacher sowie sein Nachfolger
                                  gilt, dass er 1936 gemeinsam mit           ten- und Naturschutzprojekte.           Dr. Richard Faust. Georg Steinba-
                                  Helmut Sick die ersten Vinyl-Auf-          Steinbacher erhielt zahlreiche Eh-      cher (1910 – 1979) 8, der Cousin
                                  nahmen von Vogelgesängen pro-              rungen, darunter das Bundesver-         des bereits erwähnten Joachim
                                  duzierte. 1937 beendete Steinba-           dienstkreuz. Stete Unterstützung        Steinbacher, war schon als Schüler
                                  cher seine Doktorarbeit zur                fand er bei seiner Ehefrau Elfriede,    ein hervorragender Kenner der Vo-
                                  Anatomie und Systematik der                insbesondere bei der Arbeit an der      gelwelt der Mark Brandenburg. Pa-
                                  Glanz- und Faulvögel (Galbulidae,          »Gefiederten Welt« (Peters 2006).       rallel dazu entwickelte er ein aus-
                                  Bucconidae) bei dem berühmten              An beider Wirken erinnert der           geprägtes Interesse für die
                                  Berliner Ornithologen Erwin                »Steinbacher-Preis« für herausra-       Zoobiologie und die Anatomie der
                                  Stresemann. Als Praktikant am              gende Publikationen der ange-           Tiere. Während seines Wirkens für
                                  hauptstädtischen Zoo entwickelte           wandten, interdisziplinären Vogel-      den Frankfurter Zoo legte Steinba-
                                  Steinbacher sein Interesse für Vo-         kunde.                                  cher ein Hauptaugenmerk auf Än-
                                                                                                                     derungen in der Vogelhaltung. Um
                                                                                                                     die Vögel für den Besucher besser
                                                                                                                     sichtbar zu machen, ließ er Pflan-
                                                                                                                     zen und ähnliche »dekorative« Ge-
                                                                                                8 Der Vorgänger      hegeeinrichtungen entfernen, was
                                                                                                Bernhard Grzi-       zugleich die pflegerische Arbeit er-
                                                                                                meks, Dr. Georg      leichterte. Damit gab er die visio-
                                                                                                Steinbacher, ließ    näre, von seinem Vorgänger
                                                                                                Pflanzen und ähn-
                                                                                                                     Dr. Kurt Primel verfolgte Linie, in
                                                                                                liche »dekorative«
                                                                                                Elemente aus den
                                                                                                                     Vogelgehegen kleine Landschafts-
                                                                                                Vogelgehegen des     ausschnitte darzustellen, konse-
                                                                                                Frankfurter Zoos     quent auf. Heute gelten diese Vor-
                                                                                                entfernen, damit     stellungen Steinbachers als nicht
                                                                                                die Besucher die     mehr zeitgemäß. In der Artenaus-
                                                                                                Tiere besser sehen   wahl setzte er vor allem auf far-
                                                                                                konnten. Bei der
                                                                                                                     benprächtige Arten wie Papageien
                                                                                                Auswahl der Vögel
                                                                                                setzte er auf far-
                                                                                                                     (Psittaciformes) und Paradiesvögel
                                                                                                benprächtige Ar-     (Paradisaeidae). Während des
                                                                                                ten wie Papageien    Zweiten Weltkriegs wurde Steinba-
                                                                                                und Paradiesvögel.   cher eingezogen und schwer ver-

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05 UNI S071_081 2009_01.indd 80                                                                                                               20.03.2009 17:15:55 Uhr
Von Rüppells Blausteiß papagei bis zum Fuß des Archaeopteryx
Wissenschaftsgeschichte

       letzt. Mit seiner Entlassung aus
       dem Lazarett schied er 1945 aus
       vorgeblich gesundheitlichen Grün-
       den aus dem Dienst der Stadt
       Frankfurt aus, arbeitete in Folge
       aber einige Zeit im Zoo Köln, bevor
       er von 1947 bis 1978 die Leitung
       des Tierparks Augsburg übernahm
       (Scherpner 1983).
          Dr. Richard Faust (1927 – 2000)
       9 trat 1952 am Frankfurter Zoo
       zunächst eine Stelle als wissen-
       schaftliche Hilfskraft an und entwi-
       ckelte sich im Laufe der Jahre zu
       einem der maßgeblichen Wegge-
       fährten Bernhard Grzimeks. 1958
       wurde er dessen Stellvertreter,
                                                          9 / 0 Dr. Richard Faust war viele Jahre ein wichtiger Weggefährte Bernhard Grzimeks.
       1974 trat er Grzimeks Nachfolge                    1974 trat er dessen Nachfolge als Frankfurter Zoodirektor an. Während seiner Amts-
       als Zoodirektor an und folgte ihm                  zeit wurde das nach wie vor größte Nachttierhaus der Welt (»Grzimek-Haus«) fertig-
       1987 auch als Präsident der ZGF. In                gestellt. Zur Eröffnung des Hauses 1978 schenkte die neuseeländische Regierung
       Fausts Amtszeit fiel unter anderem                 dem Zoo ein Pärchen Nördlicher Streifenkiwis. Sie wurden zu den Stammeltern der
       die Fertigstellung des heute                       heute florierendsten Zuchtgruppe dieser Zwerglaufvögel außerhalb ihrer Heimat.
       »Grzimek-Haus« genannten 24-
       Stunden-Hauses. Für dieses nach                       Viel Arbeit und Energie inves-             nicht fortpflanzen, wenn ihnen
       wie vor größte Nachttierhaus der                   tierte Faust auch in die generelle            kein großer, deckungsreicher Flug-
       Welt gelang es Faust, als Geschenk                 Verbesserung der Vogelhaltung im              raum zur Verfügung steht – führ-
       der neuseeländischen Regierung                     Frankfurter Zoo: Die Vergrößerung             ten zu bemerkenswerten Haltungs-
       ein Pärchen Nördlicher Streifenki-                 von Gehegen, die Professionalisie-            und Fortpflanzungserfolgen,
       wis (Apteryx mantelli) 0 nach                      rung der Fütterung, die bedachte              darunter zahlreichen Welterstzuch-
       Frankfurt zu holen. Heute besitzt                  Vergesellschaftung verschiedener              ten. Parallel intensivierte er in Be-
       der Frankfurter Zoo die florie-                    Vogelarten und die Umsetzung da-              mühungen um das künstliche Er-
       rendste Zuchtgruppe dieser Zwerg-                  mals neuster wissenschaftlicher Er-           brüten und die künstliche
       laufvögel außerhalb ihrer Heimat                   kenntnisse – beispielsweise, dass             Aufzucht von Vögeln. Ebenfalls
       (Wicker 2002).                                     sich auch kleine Vogelarten oft               kam unter Faust wohl erstmals im
                                                                                                        Frankfurter Zoo die Auswertung
                                                                                                        von Chromosomenbildern zur
       Literatur
                                                                                                        Feststellung des Geschlechts äußer-
       Fleissner, G., E.          von Meyer. Frank-       W. F., D. Mollen-      Frankfurt am Main      lich kaum unterscheidbarer Vogel-
       Holtkamp-Rötz-             furter Bürger und       hauer & D. S. Pe-      Frankfurt am           arten zum Einsatz. 1992 trat Faust
       ler, M. Hanzlik,           Begründer der Wir-      ters: Morpholo-        Main: Eigenverlag.
       M. Winklhofer, N.          beltierpaläontologie    gie & Evolution.
                                                                                                        als Zoodirektor in den Ruhestand,
       Petersen & W.              in Deutschland          Stuttgart, Schwei-     Sewig, C. (2009)       führte jedoch seine ehrenamtliche
       Wiltschko (2003)           Stuttgart: Schwei-      zerbart. (Sen-         Der Mann, der die      Tätigkeit als geschäftsführender
       Ultrastructural            zerbart (Kl. Sen-       ckenberg-Buch          Tiere liebte – Bern-   Präsident der ZGF bis zu seinem
       analysis of a putati-      ckenberg-Reihe          70).                   hard Grzimek           Tode fort. An sein Engagement für
       ve magnetoreceptor         40).                                           Bergisch Glad-         den Naturschutz erinnert heute das
       in the beak of ho-                                 Peters, D. S.          bach: Lübbe.           »Richard-Faust-Bartgeier-Zucht-
       ming pigeons J.            Mayr, G., B. Pohl,      (2006) In memo-
       Comp. Neurol.              S. Hartman & D. S.      riam: Joachim          Wicker, R. (2002)
                                                                                                        zentrum« im österreichischen Ha-
       458: 350 – 360.            Peters (2007) The       Steinbacher,           Kiwihaltung und        ringsee: Der Bartgeier (Gypaetus
                                  tenth skeletal speci-   1911 – 2005 Auk        Kiwizucht im Zoo-      barbatus) gilt als eines der Muster-
       Gross, E., M. Wei-         men of Archaeopte-      123: 1192.             logischen Garten       beispiele für die erfolgreiche Wie-
                                  ryx Zool. J. Linne-
       ser & S. Binger                                                           Frankfurt am Main      deransiedlung bedrohter Großtiere
       (2008) 150 Jahre           an Soc. 149:            Prinzinger,            Zool. Garten N. F.
                                  97 – 116.
                                                                                                        in Europa (Scherpner 1983, Gross
       Zoologischer Garten                                R. & Dietz V.          72: 210 – 221.         et al. 2008).                       ◆
       Frankfurt. Fest-           Mollenhauer, D.         (2002) Pre- and
       schrift Frankfurt          (1997) D. Stefan        postnatal energetics   Wiltschko, W.
       am Main: Eigen-            Peters im Ruhe-         of the North Island    (1968) Über den        Der Autor
       verlag.                    stand NuM 127:          Brown Kiwi (Apte-      Einfluss statischer
                                  242 – 243.              ryx mantelli)          Magnetfelder auf       Stephan M. Hübner, 34, ist Pressereferent der Universität
       Jahn, I. (2004)                                    Comp. Biochem.         die Zugorientierung    Frankfurt und Doktorand am dortigen Fachbereich Biowissen-
       Geschichte der Bio-        Peters, D. S.           Physiol. 131A:         der Rotkehlchen        schaften (Professur Roland Prinzinger). Seine Hauptinteressen
       logie Unv. Nachdr.         (1994) Die Entste-      725 – 732.             (Erithacus rubecu-     liegen in den Bereichen Wissenschaftskommunikation, Tier-
       der 3. Aufl.; Ham-         hung der Vögel.                                la) Zeitschr. Tier-    gartenbiologie und Biodiversitätsforschung. Der Beitrag folgt
       burg: Nikol.               Verändern jüngste       Scherpner, Chr.        psychol. 25:           einem Vortrag des Autors im Rahmen der 29. Tagung der Ge-
                                  Fossilfunde das Mo-     (1983) Von Bür-        536 – 558.             sellschaft für Tropenornithologie vom 11. bis 14. September
       Keller,                    dell? S. 402 – 424      gern für Bürger:                              2008 im Zoologischen Garten der Stadt Frankfurt am Main.
       T. & G. Storch             in Gutmann,             125 Jahre Zoologi-     Wikipedia:
       (2001) Hermann                                     scher Garten           Diverse Seiten.        huebner@pvw.uni-frankfurt.de

       Forschung Frankfurt 1/2009                                                                                                                                         81

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