Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik - Universität zu Köln

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Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik - Universität zu Köln
Kölner Impulse
zur Wirtschaftspolitik
Nr. 06/2020 | 03. November 2020

In diesem Impuls                                     Aktuelles aus dem iwp
... thematisieren Jana Freundt und Arno Apffel-      Erfolgreicher Start der digitalen Ringvorle-
staedt die aktuellen Vorwürfe einer möglichen        sung „Bildung und Arbeitsmarkt im Wandel“
Wahlmanipulation bei den US-Wahlen und be-           im Wintersemester 2020/2021!
leuchten die Frage, was es mit den Menschen          Wir freuen uns, dass auch im virtuellen Hör-
in einem Land machen kann, wenn diese erheb-         saal so viele von Ihnen teilgenommen haben
liche Zweifel an der Repräsentativität und Sau-      und sind gespannt auf die noch kommenden
berkeit einer angeblich demokratisch durchge-        Vorträge. In der Ringvorlesung berichten re-
führten Wahl haben.                                  nommierte Referentinnen und Referenten im-
                                                     mer montags von 17:45 – 19:15 Uhr über ihre
                                                     Forschung und diskutieren mit Ihnen aktuelle
                                                     Themen. Nächste Woche geht es um den Zu-
                                                     sammenhang von Bildung und gesellschaftli-
                                                     chem Wohlstand, anschließend wird intensiv
                                                     der Wandel der Schule und der Arbeitswelt
                                                     durch die Digitalisierung beleuchtet. Nähere
                                                     Informationen zum Programm und zur Anmel-
                                                     dung finden Sie auf unserer Homepage.

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Wie (gefühlte) Wahlmanipulation die Bereit-
schaft von Menschen beeinträchtigt, sich an
demokratisch gewählte Regeln zu halten

Von Arno Apffelstaedt (Universität zu Köln) und Jana Freundt
(Universität Fribourg, Schweiz)
Am Vorabend der US-amerikanischen Präsident-
schaftswahlen häufen sich wieder die Vorwür-
fe einer möglichen Wahlmanipulation aus dem
Trumpschen Lager. So behauptet Donald Trump
unter anderem, dass Briefwahlunterlagen in
manchen Bundesstaaten an „Tote und Hunde‘‘
verschickt werden (Tagesschau 14.08.2020).1
Auf Twitter (siehe Abbildung 1) erklärte er, dass
es „keine Möglichkeit (null!)“ gibt, dass per Brief
ausgezählte Stimmen nicht „erheblich manipu-
lativ“ seien: „Briefkästen werden ausgeraubt,
Stimmzettel gefälscht und sogar illegal ausge-                 Abbildung 1. Twitter: Trump bezeichnet Briefwahl als
druckt und betrügerisch unterschrieben.“ Das                   Wahlbetrug. 3
Ergebnis der Wahl stehe bereits jetzt fest, denn
„Der einzige Weg, wie wir diese Wahl verlieren                 Eine vielleicht wichtigere Frage wird dabei oft
werden, ist, wenn die Wahl manipuliert wird“                   außer Acht gelassen: Was macht es mit den
(CNN 19.10.2020).2                                             Menschen in einem Land, wenn diese erhebliche
                                                               Zweifel an der Repräsentativität und Sauberkeit
Häufig geht es bei der Analyse dieser und ähn-                 einer angeblich demokratisch durchgeführten
licher Vorwürfe der Wahlmanipulation um die                    Wahl haben? In einem aktuellen Forschungspa-
Frage, ob und inwieweit Wahlergebnisse tat-                    pier4 (Revise & Resubmit, American Economic
sächlich gefälscht werden, also darum, inwie-                  Journal: Microeconomics) beleuchten wir die-
weit das Ergebnis einer Wahl davon abhängt, ob                 se Frage mithilfe eines ökonomischen Experi-
es nun Wahlmanipulation gab oder nicht.                        ments.

1         https://www.tagesschau.de/ausland/trump-post-        3         https://www.tagesschau.de/faktenfinder/
wahlen-101.html                                                trump-wahlbetrug-107.html
2        https://edition.cnn.com/2020/10/19/politics/electi-   4         Link zum (englischsprachigen) Forschungspapier:
on-results-2020-democratic-plans-trump/index.html              https://tinyurl.com/yylpctrl

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In unserem Experiment abstrahieren wir von           ten Beteiligung aller Wählergruppen, zustande
dem komplexen Phänomen einer Präsident-              gekommen sind. Nur dann sind die Ergebnisse
schaftswahl und betrachten stattdessen ein           durch die Wahl so legitimiert, dass sich Men-
einfaches Referendum, bei dem 100 Teilnehmer         schen auch freiwillig an die gewählten Regeln
darüber abstimmen, ob „reiche“ Teilnehmer            halten.
des Experiments einen Teil Ihrer Einnahmen an
„arme“ Teilnehmer abgeben sollen. Wir zeigen,        1. Einleitung
dass in diesem Zusammenhang manipulierte
Wahlen – d.h. Wahlen, bei denen es zu einer Ma-      Menschen befolgen Regeln aus verschiedenen
nipulation der Wählerstimmen gekommen ist            Gründen. Ökonomen betonen die Wichtigkeit
– dazu führen, dass Teilnehmer das Wahlergeb-        von Anreiz- und Abschreckungsmechanismen,
nis deutlich weniger akzeptieren, also deutlich      die entweder das Einhalten der Regeln be-
weniger bereit sind, ihr Einkommen aufgrund          lohnen, oder die Nichteinhaltung bestrafen.
der gewählten Verordnung abzugeben. Die Be-          Rechts- und Politikwissenschaftler wiederum
reitschaft, sich an gewählte Regeln zu halten,       betonen, dass Regelbefolgung auch freiwillig
sinkt aufgrund der (gefühlten) Manipulation in       sein kann, nämlich dann, wenn das Verfahren,
unserem Experiment so stark, dass es am Ende         mit welchem die Regel zustande gekommen ist,
keinen Unterschied mehr macht, ob die Wahl           als legitim wahrgenommen wird (siehe z.B. Ty-
wirklich stattgefunden hat, oder ob die Regel        ler, 2006).
willkürlich von außen auferlegt wurde. Wir zei-
gen, dass dieses Hauptergebnis unabhängig da-        Eine wichtige Quelle für die Legitimität gesell-
von ist, welche Art von Wahlmanipulation man         schaftlicher Regeln können demokratische
untersucht: Wir implementieren Wahlen, in de-        Wahlen sein. So ist die Akzeptanz einer Regel
nen Stimmen „gekauft“ werden, Wahlen, in de-         vermutlich höher, wenn die Bürger die Regelfin-
nen ärmere Menschen ausgeschlossen werden,           dung als partizipativ und inklusiv wahrnehmen
und Wahlen, in denen nur die Stimmen derjeni-        (siehe z.B. Pommerehne und Weck-Hannemann,
gen gezählt werden, die etwas dafür zahlen. Die      1996; Frey, 1997). Dies gilt beispielsweise für die
gemessene Akzeptanz von Regeln sinkt immer           Einführung einer CO2-Steuer oder für die Ein-
um einen ähnlichen Wert.                             führung neuer Verhaltensregeln wie das Tragen
                                                     einer Mund-Nasen-Bedeckung während einer
Was sind die tieferliegenden Gründe dafür,           Pandemie. Wahlen oder Referenda sind daher
dass die Akzeptanz des Wahlergebnisses auf-          auch oftmals der Versuch, neuen Gesetzen, die
grund der gefühlten Wahlmanipulation derart          in der Wählerschaft umstritten sind, unmittelba-
einbricht? Wir zeigen, dass es – entgegen einer      re Legitimität zu verleihen. Zuletzt konnte man
ökonomischen Intuition – kein Koordinations-         das z.B. im Rahmen des Brexit-Referendums
problem ist, welches dem Ergebnis zugrunde           in Großbritannien oder bei der Abstimmung zu
liegt. Es ist also nicht der Fall, dass die Wahl-    den Verfassungsänderungen in der Türkei und
manipulation deshalb zu einer niedrigeren Re-        Russland beobachten.
gelbefolgung führt, weil sie das Vertrauen in
die Regelbefolgung der restlichen Bevölkerung        Bei der Transparenz und Sauberkeit in der Um-
schädigt. Vielmehr scheint es der Fall zu sein,      setzung demokratischer Verfahren gibt es je-
dass Menschen in der Tat intrinsische Präferen-      doch große Unterschiede. Es gibt Länder, in de-
zen dahingehend haben, dass gewählte Ergeb-          nen das Versprechen einer „freien und fairen“
nisse nicht nur scheinbar, sondern tatsächlich       Abstimmung ganz unverhohlen ausgehebelt
demokratisch, das heißt unter der unbeeinfluss-      wird: Von systematischem Stimmenkauf bis

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zum völligen Ausschluss ganzer Gesellschafts-                  (Panel a), über die Nichtzahlung des Fahrprei-
gruppen von der Wahlurne, die Liste an offiziell               ses für öffentliche Verkehrsmittel (Panel b) und
als Wahlvergehen eingestuften und dennoch                      dem Entwenden von Eigentum (Panel c), bis zur
durchgeführten Praktiken ist lang.5 Aber auch                  Hinterziehung von Steuern (Panel d).
in prinzipiell demokratisch geführten Ländern
können eine subtilere Benachteiligung von
Minoritäten beim Wahlrecht6 oder wiederholte
Vorwürfe der angeblichen Wahlmanipulation –
auch wenn völlig unbegründet wie im Falle der
von Donald Trump erhobenen Vorwürfe – dazu
führen, dass die Integrität von Wahlen und Re-
ferenden von weiten Teilen der Bevölkerung in
Frage gestellt wird.

Wenn viele Menschen ein Wahlverfahren als
„korrupt“ empfinden, leidet unter Umständen
die demokratische Legitimität des Wahlergeb-
nisses. Stimmt die Hypothese der Legitimitäts-
theoretiker, so kann es in der Folge sein, dass
sich Bürger weniger an die mit der Wahl im Zu-
sammenhang stehenden Regeln und Gesetze
halten. Indizien für einen solchen Zusammen-
hang finden sich beispielsweise in Umfrage-
daten, siehe Abbildung 2: Eine von uns durch-
geführte Auswertung des World Value Survey
(WVS 2014) zeigt, dass Menschen, die in Ländern
mit einem höheren wahrgenommenen Ausmaß
an Wahlmanipulation leben (X-Achse), es häu-
figer gerechtfertigt finden, soziale Regeln zu
brechen (Y-Achse). Dies reicht von der fälschli-
chen Inanspruchnahme staatlicher Leistungen

5         Brusco, Nazareno und Stokes (2004) und Gonza-
lez-Ocantos et al. (2012) dokumentieren z.B. das Ausmaß
parteilicher Stimmkaufprogramme in Argentinien (2002)
bzw. Nicaragua (2008). Enikolopov et al. (2013) präsentie-
ren Daten über das Ausmaß von Wahlbetrug bei den russi-
schen Parlamentswahlen 2011. Eine umfassende Charakte-
risierung und Analyse von möglichen Wahlvergehen liefert
Norris (2014).
6         Beispiele hierfür sind lange Warteschlangen vor
Wahllokalen in US-Amerikanischen Städten (https://www.
aljazeera.com/news/2020/10/17/long-lines-for-us-early-
voting-underscore-hidden-barriers), Gerrymandering
(https://www.nytimes.com/2019/06/27/us/what-is-gerry-
mandering.html), oder der Ausschluss von ehemaligen Ge-
fängnisinsassen in einigen US Staaten (https://www.fairvote.
org/felon_disenfranchisement).

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Auch wenn die in Abbildung 2 dargestellten           lange nicht den Schluss zu, dass es einen direk-
Zusammenhänge intuitiv Sinn ergeben, lassen          ten, d.h. kausalen Effekt von Wahlmanipulation
Korrelationen in Umfragewerten natürlich noch        auf den Grad der Regelkonformität in einer Ge-

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sellschaft gibt. So könnte es z.B. sein, dass der       teilnehmern aus unterschiedlichen Ländern
Effekt in Wahrheit genau andersherum verläuft           und mit unterschiedlichem demographischem
(geringe Regelkonformität führt zu mehr Wahl-           Hintergrund.
manipulation), oder dass Regelkonformität und
Wahlmanipulation nur deshalb gemeinsam vari-            Im Mittelpunkt des Experiments steht eine Um-
ieren, weil beide (unabhängig voneinander) von          verteilungsentscheidung: 100 zufällig ausge-
einer nicht beobachteten Größe wie beispiels-           wählte Teilnehmer bilden eine „experimentelle
weise dem Grad der Korruption in einem Land             Gesellschaft“. Zu Beginn des Experiments wird
getrieben werden. Mit ökonomischen Experi-              das Einkommen in der Gesellschaft ungleich
menten kann eine umgekehrte Kausalität aus-             verteilt: 50 Teilnehmer erhalten ein Einkommen
geschlossen und für Selektion auf unbeobach-            von jeweils 10 experimentellen Währungsein-
teten Faktoren kontrolliert werden, so dass der         heiten, während die anderen 50 Teilnehmer
Beweis einer kausalen Wirkungskette möglich             kein Einkommen erhalten.8 Es gibt jedoch die
wird. Das dies auch für die Untersuchung der            Möglichkeit, das Einkommen umzuverteilen:
Verhaltensauswirkungen demokratischer Insti-            Bevor die Teilnehmer erfahren, wer zu den „rei-
tutionen funktioniert, zeigen u.a. Experimente          chen“ und wer zu den „armen“ Teilnehmern ge-
von Tyran und Feld (2006), Sutter, Haigner und          hört, muss jeder Teilnehmer entscheiden, ob er
Kocher (2010) oder Dal Bó, Foster und Putter-           im Falle, dass er ein Einkommen erhält, 30% sei-
man (2010).7 Ökonomische Experimente erlau-             nes Einkommens an einen „armen“ Teilnehmer
ben die exogene Manipulation einer Wahl mit             abgeben möchte. Die Umverteilungsentschei-
echten Konsequenzen; zudem ermöglicht der               dung des Teilnehmers ist also eine simple binäre
kontrollierte Rahmen eines Experiments eine             Entscheidung: Geben (Option A) oder Nicht Ge-
genauere Verhaltensbeobachtung und damit                ben (Option B).9 Je mehr der Teilnehmer Geben
eine einfachere Bestimmung der tieferliegen-            wählen, desto gleicher ist das Einkommen am
den Gründe für Regelkonformität als Felddaten.          Ende des Experiments verteilt.
Bisher gibt es jedoch keine derartige, kausale
Wirkungsanalyse für den in Abbildung 2 ange-            Im Laufe des Experiments treffen die Teilneh-
deuteten Zusammenhang zwischen Wahlmani-                mer die Umverteilungsentscheidung zweimal:
pulation und Regelkonformität. Unsere Studie            Einmal vor und einmal nach einem Referendum,
füllt diese wichtige Lücke.                             siehe Abbildung 3. Die Entscheidung vor dem

2. Das Experiment
                                                        8         Die experimentelle Währungseinheit in unserem
Wir untersuchen den kausalen Zusammenhang               Experiment sind Lotteriescheine. 10 experimentelle Wäh-
zwischen Wahlmanipulation und Regelbefol-               rungseinheiten entsprechen 10 Lotteriescheinen. In jeder
                                                        Sitzung wird am Ende einer der 500 verteilten Lotteries-
gung anhand eines ökonomischen Experiments,             cheine zufällig gezogen. Der Besitzer des gezogenen Scheins
bei dem die Menschen ihr Einkommen nach den             gewinnt dann 100 britische Pfund (GBP) in bar.
in einem Referendum gewählten Regeln um-                9         Wir haben uns bewusst für eine Umverteilungs-
verteilen sollen. Unser Experiment findet online        entscheidung entschieden, da zahlreiche Studien zeigen,
                                                        dass Menschen unterschiedlich beurteilen, ob durch Glück
auf der Plattform Prolific Academic statt. Über         erhaltenes Einkommen umverteilt werden soll oder nicht
die Plattform haben wir Zugang zu Experiment-           (siehe z.B. Cappelen et al., 2007; Almås, Cappelen und Tun-
                                                        godden, 2017). Die Entscheidung erfüllt also die Vorausset-
                                                        zung, dass die Teilnehmer vermutlich uneins darüber sind,
7      Siehe auch Dal Bó (2014) für eine Übersicht an   was die moralisch „richtige“ Entscheidung ist, und deshalb
ökonomischen Experimenten zur Wirkung von Demokra-      für unterschiedliche Verhaltensregeln im Referendum
tie.                                                    votieren.

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Referendum dient uns als Referenzpunkt und
Einordnung der Teilnehmer in „Geber“ (diejeni-
gen, die bereits vor dem Referendum umvertei-
len) und „Nicht-Geber“ (diejenigen, die vor dem
Referendum nicht umverteilen). Im Referend-
um stimmen die Teilnehmer darüber ab, ob es
eine allgemeingültige Regel für alle geben soll,
die zum Geben auffordert (Regel: Geben) oder         Tabelle 1. Treatments
eine Regel, die zum Nicht-Geben auffordert (Re-
gel: Nicht Geben). Jeder Teilnehmer hat eine         Zusätzliche Abfragen: Um uns einen Einblick in
Stimme, die er für eine der beiden Regeln abge-      die tieferliegenden Gründe für das beobachte-
ben kann. Die Umverteilungsentscheidung nach         te Verhalten zu ermöglichen, beantworten die
dem Referendum misst, ob sich der Teilnehmer         Teilnehmer am Ende des Experiments noch eine
an die gewählte Regel hält oder nicht. Die Befol-    Reihe weiterer Fragen. Von besonderer Wichtig-
gung der Regel ist freiwillig. Es gibt weder posi-   keit für unsere Auswertung sind dabei zwei Er-
tive Anreizmechanismen, noch ist die Nichtein-       hebungen: (1) Was glauben die Teilnehmer, wie
haltung der Regel mit einer Strafe verbunden.        sich die anderen 99 Teilnehmer (während und
                                                     nach dem Referendum) verhalten? (2) Was sind
                                                     die realweltlichen Standpunkte der Teilnehmer
                                                     zu Umverteilung, Korruption, demokratischen
                                                     Werten und Vertrauen in Institutionen?

Abbildung 3. Zeitstrahl Experiment.                  3. Ergebnisse

Experimentelle      Wahlmanipulation:     Unser      Wir zeigen zunächst in Tabelle 2, wie sich un-
Hauptaugenmerk liegt auf der Frage, ob ge-           sere Manipulations-Treatments auf das Wahl-
wählte Regeln weniger häufig befolgt werden,         ergebnis auswirken: Ein erheblicher Anteil von
wenn es während des Referendums zu einer             Stimmen (35-50%) wird aufgrund der eingeführ-
Manipulation der Wählerstimmen kam. Um si-           ten Wahlmanipulation verfälscht oder nicht ge-
cherzustellen, dass wir einen robusten Effekt        zählt. Der Effekt auf das eigentliche Wahlergeb-
nachweisen, führen wir drei unterschiedliche ex-     nis ist dennoch relativ gering: Die Veränderung
perimentelle Treatments mit drei unterschiedli-      im Stimmanteil für Regel: Geben liegt zwischen
chen Wahlmanipulationen durch, siehe Tabelle         +5 und -11%. In allen experimentellen „Gesell-
1. Wir vergleichen den Grad der Regelbefolgung       schaften“ gewinnt – unabhängig von der ein-
in diesen drei „Manipulations-Treatments“ mit        geführten Manipulation – die prosoziale Regel:
dem Grad der Regelbefolgung in zwei Kont-            Geben die Wahl.
roll-Treatments. Das erste Kontroll-Treatment
implementiert eine „saubere“ Mehrheitswahl
ohne Manipulation. Im zweiten Kontroll-Treat-
ment wird eine der beiden Regeln vom Compu-
ter zufällig ausgewählt und somit von außen,
d.h. ohne Referendum, implementiert.

                                                     Tabelle 2. Auswirkungen der eingeführten Manipulatio-
                                                     nen auf gezählte Stimmen und Wahlergebnis

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Hauptergebnis: Trotz der relativ geringen Er-        Rolle spielen.
gebnisfälschung bricht die Befolgung der pro-
sozialen Regel: Geben drastisch ein, wie wir in
Abbildung 4 (linke Seite) veranschaulichen. Der
Anteil der Teilnehmer, die nach einem manipu-
lierten Referendum die gewählte Regel: Geben
befolgen, sinkt im Schnitt um 13%. Diese Abwei-
chung ist statistisch hoch signifikant. Abbildung
4 (linke Seite) zeigt, dass der Rückgang in der
Regelbefolgung fast ausschließlich daher rührt,
dass Teilnehmer, die vor dem Referendum nicht
umverteilt haben (Nicht-Geber), sich aufgrund
der Wahlmanipulation nicht mehr verpflichtet
fühlen, ihr Verhalten entsprechend der Regel zu
ändern: Bei den Nicht-Gebern sinkt die Bereit-
schaft, der Regel zu folgen, um 35%. Abbildung
4 (linke Seite) zeigt auch, dass der Rückgang in
der Regelbefolgung aufgrund von Wahlmani-
pulation fast exakt dem Rückgang entspricht,
den man bei einer willkürlichen Einführung der
Regel: Geben durch den Computer beobach-
tet. Diese Beobachtung legt die Interpretation
nahe, dass die eingeführte Wahlmanipulation
tatsächlich den gesamten Demokratiebonus
vernichtet, den eine legitim eingeführte Regel
bezüglich der Akzeptanz und Einhaltung in der
Gesellschaft hat.

Auf der rechten Seite von Abbildung 4 veran-
schaulichen wir die Ergebnisse für die (nicht
gewählte) Regel: Nicht Geben. Hier finden wir
überraschenderweise keinen signifikanten
Rückgang in der Regelbefolgung. Tatsächlich
gibt es bei dieser Regel allerdings auch keinen
Demokratiebonus: Der Anteil der Teilnehmer,
die sich an Regel: Nicht Geben halten, liegt be-
ständig bei 70%, unabhängig davon, ob die Re-
gel mittels eines demokratischen Referendums
oder durch eine willkürliche Computerauswahl
zustande kam. Vor diesem Hintergrund wirkt
das Ergebnis, dass auch die Wahlmanipulation         Abbildung 4. Hauptergebnis: Die Befolgung von Regel:
keinen Einfluss auf Regel: Nicht Geben hat, we-      Geben bricht aufgrund der Wahlmanipulation drastisch
niger überraschend: Wo Demokratie keine Rolle        ein (links), Regel: Nicht Geben (rechts) ist wiederum
für das Verhalten spielt, kann auch die Korrum-      kaum betroffen
pierung demokratischer Wahlgrundsätze keine

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Tieferliegende Gründe: Was sind die tieferlie-       4. Fazit und abschließende Erläuterungen
genden Gründe dafür, dass ein erheblicher An-
teil von Teilnehmern die gewählte Regel: Geben       Was macht es mit den Menschen in einem Land,
missachtet, wenn Wählerstimmen manipuliert           wenn diese erhebliche Zweifel an der Reprä-
wurden? Eine intuitiv-ökonomische Erklärung          sentativität und Sauberkeit einer angeblich de-
ist die, dass es aufgrund der Wahlmanipulation       mokratisch durchgeführten Wahl haben? Wir
zu einem Koordinationsproblem aufgrund eines         zeigen, dass es in diesem Fall zu einer deutlich
Vertrauensverlustes in das Regelverhalten der        verminderten Akzeptanz der gewählten Institu-
anderen Teilnehmer kommt: Nach einer manipu-         tion in der Bevölkerung kommen kann. Darun-
lierten Wahl scheint es schwieriger, sich an das     ter leidet unter anderem – wie wir in unserem
Verhalten und die Werte der anderen Teilneh-         Experiment zeigen – der Grad der freiwilligen
mer anzupassen, weil unklar ist, ob das Ergeb-       Befolgung von gewählten Regeln und Gesetzen.
nis des Referendums diese Werte tatsächlich
widerspiegelt. Erstaunlicherweise finden wir in      Im Hinblick auf die bevorstehende Präsident-
unseren Daten keine Evidenz, die diese Hypo-         schaftswahl in den USA sind Wahlbeobachter
these bestätigen würde. Der im Nachgang der          also nicht grundlos besorgt. Denn unabhängig
Wahl abgefragte Glaube daran, wie viele der an-      davon, ob die Wahl nun manipuliert wurde oder
deren 99 Teilnehmer sich an die gewählte Regel       nicht: Gelingt es Donald Trump oder anderen
halten, ist von Treatment zu Treatment gleich –      interessierten Kreisen, dass ein erheblicher Teil
unabhängig davon, ob es zu einer Manipulation        der Bürger die Legitimität des Wahlergebnisses
kam oder nicht.                                      in Frage stellt, könnten die ökonomischen Kon-
                                                     sequenzen des Legitimitätsverlusts für das Land
Dies spricht dafür, dass es sich bei dem von uns     enorm sein. Der sogenannte „Wahlkrimi“ in
dokumentierten Rückgang der Regelbefolgung           den USA wird daher auch nach der Auszählung
nicht um eine strategische (also von dem Glau-       der Stimmen am 3. November vermutlich noch
ben an das Verhalten anderer Leute geprägten)        lange nicht zu Ende sein.
Reaktion handelt, sondern vielmehr um eine di-
rekte, also intrinsische Reaktion auf die einge-     Literatur
führte Wahlmanipulation. Tatsächlich finden wir
auf verschiedenen Ebenen unserer Daten gleich        Almås, Ingvild, Alexander W. Cappelen, and
mehrere Hinweise, die diese Interpretation na-       Bertil Tungodden. 2020. „Cutthroat capitalism
helegen. Zum einen stellen wir fest, dass dieje-     versus cuddly socialism: Are Americans more
nigen Teilnehmer besonders stark auf die Mani-       meritocratic and efficiency-seeking than Scandi-
pulation reagieren, deren persönliche Stimme         navians?.“ Journal of Political Economy, 128 (5)
gefälscht oder nicht gezählt wurde oder die          : 1753-1788.
angeben, dass sie das Wahlergebnis an sich für
stark verfälscht erachten. Ein ähnliches Ergeb-      Brusco, Valeria, Marcelo Nazareno, and Susan
nis finden wir auch im Zusammenhang mit den          Carol Stokes. 2004. “Vote Buying in
Daten aus unserem Fragebogen: Die Akzeptanz          Argentina.” Latin American Research Review,
der gewählten Regel leidet besonders dann,           39(2): 66–88.
wenn ein Teilnehmer angibt, dass ihm in der rea-
len Welt Demokratie, Meinungsfreiheit und kor-       Cappelen, Alexander W., James Konow, Erik Ø.
ruptionsfreie Institutionen wichtig sind.            Sørensen, and Bertil Tungodden. 2013. “Just
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IMPRESSUM                                 Autorenkontakt:                  Herausgeber:                      Redaktion und V.i.S.d.P.:

   Dr. Arno Apffelstaedt                                                   Institut für Wirtschaftspolitik   Prof. Dr. Steffen J. Roth
   Center for Social and Economic 		                                       an der Universität zu Köln        Tel. 0221 / 470-5348
   Behavior                                                                Pohligstraße 1                    steffen.roth@wiso.uni-koeln.de
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Abb. 1: https://pixabay.com/photos/pen-red-pen-ankreuzen-choice-2181101/

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