Wann sind Opioide bei chronischen, nicht tumorbedingten Schmerzen indiziert?

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FORTBILDUNG

Wann sind Opioide bei chronischen, nicht
tumorbedingten Schmerzen indiziert?

        Die aktualisierte Leitlinie zum Gebrauch opioidhaltiger Analgetika bei chronischen, nicht tumorbeding-
        ten Schmerzen (CNTS) informiert über sinnvolle Indikationen, und sie vermittelt konkrete Empfehlun-
        gen für Beginn, Durchführung und Terminierung einer Opioidtherapie bei CNTS-Patienten. Für die
        Praxis nützlich dürften insbesondere auch Praxiswerkzeuge wie Fragebögen und kurz gefasste Anlei-
        tungen sein, die mit der Leitlinie angeboten werden.

                                                                                                                             Der Schmerz

        Opioide sind nie die erste Wahl bei chronischen, nicht tumor-     Leitsymptom psychischer Störungen, sollte der Patient nicht
        bedingten Schmerzen (CNTS), aber sie sind eine der medika-        mit Opioiden behandelt werden.
        mentösen Optionen für bestimmte Patienten, wenn die               Bei Arthroseschmerz wird die Indikation auf diejenigen Pa-
        CNTS seit mehr als 3 Monaten anhalten und durch ander-            tienten beschränkt, bei denen andere Therapien nicht ge-
        weitige Massnahmen nicht ausreichend gelindert werden             holfen haben oder kontraindiziert sind und/oder ein Gelenk-
        können.                                                           ersatz nicht möglich ist oder vom Patienten nicht gewünscht
        Eine vorgängige Definition des Therapieziels ist sehr wichtig,    wird.
        weil die Erwartungen der Schmerzpatienten meist zu hoch           Bei Patienten mit rheumatoider Arthritis sollten Opioide nur
        sind. Sie hoffen gemäss früherer Studien auf eine Schmerz-        ausnahmsweise zum Einsatz kommen (z. B. wenn NSAR bei
        reduktion von weit mehr als 50 Prozent. Medizinisch realis-       einem Patienten kontraindiziert sind), aber möglichst nicht
        tisch ist in vielen Fällen jedoch nur eine Reduktion von allen-   in einem frühen Stadium der Erkrankung.
        falls 30 Prozent. Darum empfiehlt man in der Leitlinie,           Ebenfalls mögliche Indikationen sind die diabetische Neuro-
        Therapieziele zu formulieren, die sich auf konkrete Funktio-      pathie sowie Polyneuropathien anderer Ätiologie. Eine Aus-
        nen beziehen (z. B. wieder im Garten arbeiten oder an be-         nahme sind Patienten mit alkoholbedingter Polyneuropathie
        stimmten sozialen Aktivitäten teilnehmen zu können).              und aktueller Substanzabhängigkeit. Sie sollten keine
                                                                          Opioide erhalten.
        Indikationen und Kontraindikationen                               Opioide sind ebenfalls nicht indiziert bei CNTS wegen Par-
        Rückenschmerzen sind eine mögliche Indikation, wenn der           kinson; ihr Gebrauch ist bei diesen Patienten allenfalls als
        Schmerz zu einem relevanten Anteil somatisch bedingt ist.         Ausnahme versuchsweise möglich.
        Dies trifft beispielsweise für Patienten mit chronisch ent-       Keinen Konsens erzielte die Leitlinienkommission bezüglich
        zündlichen Prozessen oder inoperablen Spinalkanalstenosen         des Gebrauchs von Opioiden bei Fibromyalgie. In zwei Min-
        zu. Ist der Rückenschmerz hingegen funktionell oder ein           derheitsvoten sprachen sich die deutschen Rheumatologen
                                                                          und die Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. dafür aus, diesen
                                                                          Patienten optional Tramadol anzubieten.
                                                                          In den Leitlinien wird eine Vielzahl weiterer möglicher In-
     MERKSÄTZE                                                            dikationen genannt, die in Tabelle 1 zusammengefasst sind.
                                                                          Anhand der verfügbaren Studien wurde in den Metaanaly-
� Für Patienten mit chronischen, nicht tumorbedingten                     sen, die den Empfehlungen zugrunde liegen, drei Behand-
  Schmerzen (CNTS) sind Opioide eine Option, wenn andere                  lungsintervalle als kurz,- mittel- und langfristig definiert. Die
  Massnahmen den Schmerz nicht ausreichend lindern.                       Behandlung bis 4 Wochen zählt als Akutbehandlung (diese
                                                                          ist nicht Gegenstand der vorliegenden Leitlinie). Klinisch
� Die Schmerzen sollten zu einem relevanten Anteil somatisch
                                                                          spricht man, wie oben erwähnt, ab 3 Monaten generell von
  bedingt sein.
                                                                          einer Opioidlangzeittherapie.
� Die vorgängige Definition der Therapieziele ist wichtig.
                                                                          Spezielle Patientengruppen
� Das Ansprechen auf eine Opioidtherapie bei CNTS ist in der
                                                                          Bei älteren Patienten mit CNTS ist das Opioid zu Beginn der
  Regel nach 4 bis 6 Wochen klinisch feststellbar.
                                                                          Therapie besonders niedrig zu dosieren (ca. 25–50% weniger
� Nur Responder sollten bei CNTS länger als 3 Monate mit                  als für junge Patienten) und dann langsam und allmählich zu
  Opioiden behandelt werden.                                              steigern. Auch sollte die Kontrolle bei älteren Patienten be-
                                                                          sonders engmaschig erfolgen.

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FORTBILDUNG

        Tabelle 1:
        Empfehlungen für oder gegen eine Opioidtherapie bei CNTS

                                                                                                      4–12             13–26              > 26
          Schmerzsyndrome und -ursachen
                                                                                                     Wochen           Wochen             Wochen
          Arthrose
          Chronisch entzündliche Darmerkrankungen
          Chronische Pankreatitis
          CNTS Rückenmarkverletzung
          CNTS postoperativ
          CRPS Typ I und II
          Dekubitus Grad 3 und 4
          Diabetische Polyneuropathie
          Entzündlich-rheumatische Erkrankungen (ausser RA, z. B. Lupus,
          Spondylarthritiden)
          Extremitätenschmerz wegen ischämischer oder entzündlicher
          arterieller Verschlusskrankheiten
          Fibromyalgie                                                                            kein Konsens
          Funktionelle/somatoforme Störungen
          Kontrakturen (fixiert) bei pflegebedürftigen Patienten
          Missbrauch opioidhaltiger Analgetika
          Morbus Parkinson
          Osteoporose
          Phantomschmerz
          Polyneuropathien, nicht diabetisch*
          Post-Zoster-Neuralgie
          Primäre Kopfschmerzen
          Psychische Störungen mit Leitsymptom CNTS
          Radikulopathie
          Restless-legs-Syndrom
          Rheumatoide Arthritis, anhaltende Schmerzen
          Rückenschmerz
          Schwere affektive Störung und/oder Suizidalität
          Sekundäre Kopfschmerzen
          Traumatische Trigeminusneuropathie
          Unterbauchschmerz der Frau bei ausgeprägten Verwachsungen und/
          oder multilokulärer Endometriose
          Zentrale neuropathische Schmerzen (z. B. nach Thalamusinfarkt,
          bei MS)
          Zweifel an der Fähigkeit des Patienten zum verantwortungsvollen
          Gebrauch opioidhaltiger Analgetika

        grün: positive Empfehlung; gelb: Opioide können Respondern angeboten werden; grau: individueller Therapieversuch möglich; rot: Opioide werden
        nicht empfohlen
        *keine Opioide bei alkoholischer Polyneuropathie und aktuellem Substanzmissbrauch
        CNTS: chronische, nicht tumorbedingte Schmerzen; CRPS: chronic regional pain syndrome
        Die Tabelle wurde aufgrund der Angaben in der Leitlinie durch die Redaktion erstellt (RBO). Zur besseren Übersicht enthält sie keine Angaben zum
        Evidenzgrad der Empfehlungen; hierfür wird auf die Originalpublikation verwiesen.

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FORTBILDUNG

  Tabelle 2:
  Praxiswerkzeuge für die Opioidtherapie bei CNTS

      Anamnese
      Schmerzfragebogen der Schweizerischen Gesell-                    https://www.rosenfluh.ch/qr/cnts_schmerzfragebogen
      schaft zum Studium des Schmerzes (SGSS)*
      Geriatrische Depressionsskala                                    https://www.rosenfluh.ch/qr/cnts_ger-depression
      Screening Angst und Depression (PHQ-4)                           https://www.rosenfluh.ch/qr/cnts_angst-depression
      Alkoholanamnese Audit                                            https://www.rosenfluh.ch/qr/cnts_alkohol-audit
      Alkoholanamnese CAGE                                             https://www.rosenfluh.ch/qr/cnts_alkohol-cage
      Weitere Fragebögen zur Anamnese älterer                          https://www.rosenfluh.ch/qr/cnts_assessment
      Patienten
      Opioidauswahl, Interaktionen, Nebenwirkungen
      Arzneimittelinteraktionen                                        https://www.rosenfluh.ch/qr/cnts_interaktionen
      Antiemetika                                                      https://www.rosenfluh.ch/qr/cnts_antiemetika
      Obstipation                                                      https://www.rosenfluh.ch/qr/cnts_obstipation
      Intrathekale Opioidtherapie bei CNTS                             https://www.rosenfluh.ch/qr/cnts_intrathekal
      Opioide bei Leberinsuffizenz                                     https://www.rosenfluh.ch/qr/cnts_leber
      Opioide bei Niereninsuffizienz                                   https://www.rosenfluh.ch/qr/cnts_niere
      Fentanylpflaster                                                 https://www.rosenfluh.ch/qr/cnts_pflaster
      Opioidrotation                                                   https://www.rosenfluh.ch/qr/cnts_opioidrotation
      Opioidentzug bei Schmerzpatienten                                https://www.rosenfluh.ch/qr/cnts_entzug
      Für Patienten
      Autofahren, Infoblatt                                            https://www.rosenfluh.ch/qr/cnts_autofahren
      Patientenvereinbarung zum Entzug                                 https://www.rosenfluh.ch/qr/cnts_entzug_patient
      von Opioiden

  *Der Fragebogen der SGSS (www.swisspainsociety.ch) soll stetig verbessert werden, die Fachgesellschaft bittet um Feedback von Anwendern unter:
  https://www.rosenfluh.ch/qr/feedback_sgss

Bei Patienten mit obstruktivem Schlafapnoesyndrom und                      Optionen ausgeschöpft werden. Auch sollen Opioide nicht
CNTS ist die Indikation für eine Opioidtherapie strenger zu                die einzige Therapie bei CNTS sein. Physikalische, physio-
stellen.                                                                   therapeutische und gegebenenfalls psychotherapeutische
Kinder und Jugendliche mit CNTS sollten nur in Ausnahme-                   Massnahmen gehören dazu. Welche dieser Massnahmen im
fällen mit Opioiden behandelt werden.                                      Einzelfall indiziert sind, hängt von der Erkrankung des Pa-
Frauen mit Kinderwunsch sollten das Opioid in Absprache                    tienten und den individuellen Gegebenheiten ab.
mit ihrem behandelnden Arzt ausschleichen und absetzen.                    In einer ausführlichen allgemeinen, sucht- und schmerzbezo-
Wird eine Frau mit CNTS unter Opioidtherapie schwanger,                    genen Anamnese sind der organische und psychische Status
ist im Einzelfall zu entscheiden, ob eine anders zu erzielende             des Patienten möglichst genau zu erfassen. Nützliche Praxis-
Analgesie infrage kommt. Das Ausschleichen sollte langsam                  werkzeuge sind Fragebögen, wie sie in Tabelle 2 aufgelistet
erfolgen, um das Risiko vorzeitiger Wehen und von Fehl-                    sind. Ebenfalls nicht fehlen darf eine psychosoziale Anam-
oder Frühgeburten zu vermeiden. Falls die Opioidtherapie                   nese. Bei Verdacht auf frühere oder aktuelle psychische Stö-
fortgeführt wird, sollte die Entbindung in einem Zentrum                   rungen wird das Hinzuziehen eines Psychologen oder Psych-
erfolgen, da beim Neugeborenen postpartale Entzugssymp-                    iaters empfohlen, sofern man nicht selbst über die
tome auftreten können.                                                     entsprechende Expertise und Erfahrung verfügt. Auch für
Patienten mit CNTS und psychischen Störungen und/oder                      diesen Punkt werden in Tabelle 2 mehrere Praxiswerkzeuge
akuter Substanzsucht sollten keine Opioidtherapie erhalten.                genannt.
Ausnahmen sind möglich, wobei die Betreuung in enger Zu-                   Die Vereinbarung von realistischen Therapiezielen ist von
sammenarbeit mit Spezialisten erfolgen sollte.                             entscheidender Bedeutung. Wie eingangs erwähnt, erhoffen
                                                                           sich viele CNTS-Patienten eine anhaltende Schmerzfreiheit,
Vor dem Beginn einer Opioidtherapie bei CNTS                               die in der Realität kaum erreicht werden kann.
Prinzipiell gilt für alle CNTS-Patienten, dass vor dem Beginn              Ebenfalls wichtig sind die Aufklärung des Patienten über die
einer Behandlung mit Opioiden die nicht medikamentösen                     Risiken und Nebenwirkungen einer Opioidtherapie (Doku-

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FORTBILDUNG

                       KOMMENTAR                                              Wichtig ist auf jeden Fall die Beachtung der Kontraindikationen einer
                                                                              Therapie mit opioidhaltigen Analgetika: primäre Kopfschmerzen, funk-
                       Dr. med. Wolfgang Schleinzer, MSc                      tionelle und psychische Störungen mit dem Leitsymptom Schmerz, ein
                       Facharzt für Anästhesiologie,                          verantwortungsloser Gebrauch opioidhaltiger Analgetika oder schwere
                       Interdisziplinäre Schmerzmedizin,                      affektive Störung und/oder Suizidalität. Keinen Konsens erzielte die
                       Facharzt Transfusionsmedizin,                          Leitlinienkommission bei der Indikation Fibromyalgiesyndrom. Aus mei-
                       Gesundheitsökonom (ebs), Luzern                        ner Sicht sind opioidhaltige Analgetika bei Fibromyalgie kontraindiziert.
                                                                              Bei chronischer Pankreatitis oder chronisch entzündlichen Darmerkran-
                                                                              kungen sind opioidhaltige Analgetika eigentlich auch kontraindiziert,
Opioide waren seit Langem Eckpfeiler im Management tumorbedingter
                                                                              eine befristete Therapie (< 4 Wochen) ist jedoch möglich.
Schmerzen, als 1990 die erste deutschsprachige Publikation zu Opioiden
                                                                              Wichtig ist der Leitlinienkommission die Feststellung, dass die Opioid-
bei chronischen, nicht tumorbedingten Schmerzen (CNTS) erschien (1).
                                                                              epidemie in Nordamerika auf die Notwendigkeit hinweise, den Stellen-
Seitdem hat intensives Marketing zu einer massiven Zunahme der An-
                                                                              wert von Opioiden in der Therapie von CNTS kritisch zu überprüfen.
wendung von Opioiden bei CNTS geführt, obwohl ein monokausal aus-
                                                                              Hierzulande können wir zwar (noch) nicht von einer Epidemie sprechen,
gerichteter Therapieansatz mit einer rein medikamentösen Behandlung
                                                                              aber die Gefahr von Fehlgebrauch (Über-/Fehltherapie), Missbrauch und
bei einer komplexen chronischen Schmerzerkrankung als problematisch
                                                                              selbst Todesfällen bei der Langzeitanwendung mit Opioiden besteht.
anzusehen ist.
                                                                              Zentrales Element einer Langzeitopioidtherapie ist deshalb die Über-
Aus Metaanalysen geht zwar eine gewisse Wirksamkeit von Opioiden
                                                                              prüfung des Bedarfs einer Opioidtherapie über den gesamten Zeitraum
zur Schmerzreduktion bei CNTS hervor, allerdings wurden die meisten
                                                                              der Anwendung, um die Gefahr von Missbrauch, Übertherapie und Ab-
randomisierten Studien von der Pharmaindustrie finanziert, und sie lie-
                                                                              hängigkeit zu minimieren.
ferten lediglich Kurzzeitergebnisse bei hoch selektierten Patienten (2).
                                                                              Indirekte Parameter zur Wirksamkeit sind neben der subjektiven Angabe
2009 wurde eine erste Fassung der Leitlinie zur Langzeitanwendung von
                                                                              zur Schmerzreduktion auch die Verbesserung von Schlaf, Stimmung und
Opioiden bei chronischen, nicht tumorbedingten Schmerzen (LONTS)
                                                                              Teilhabe (Beruf, Aktivitäten).
publiziert. Als einzige AWMF-Leitlinie befasst sie sich nicht mit Krank-
                                                                              Bevorzugt werden Opioide mit retardierter Galenik oder langer Wirk-
heitsbildern und deren Diagnose- und Behandlungsalternativen, son-
                                                                              dauer eingesetzt und nach einem festen Zeitschema appliziert. Der Ein-
dern nur mit einer einzigen Medikamentengruppe.
                                                                              satz eines Bedarfsmedikaments – wie beim Breakthrough-pain-Konzept
Ziel der aktuellen, 2020 publizierten Leitlinie (3) ist es, Therapeuten und
                                                                              beim Tumorschmerz – ist bei CNTS für aufgesetzte Schmerzattacken
ihren CNTS-Patienten Orientierungshilfen zum potenziellen Nutzen
                                                                              nicht ohne Weiteres gerechtfertigt und bleibt dem Einzelfall vorbehal-
und Schaden opioidhaltiger Analgetika sowie konkrete Handlungsvor-
                                                                              ten.
schläge für die Durchführung und Beendigung einer Therapie mit diesen
                                                                              In einigen Studien erwies sich erneut die interdisziplinäre, multimodale
Medikamenten zu geben – aber auch Fehlentwicklungen bis hin zu einer
                                                                              Schmerztherapie als überlegen im Vergleich zu konventionellen Thera-
«Opioidkrise», wie sie derzeit in den USA besteht, vorzubeugen. Gleich-
                                                                              pieansätzen, sodass sich für eine Langzeitanwendung von Opioiden bei
zeitig will man mit der aktualisierten Leitlinie erreichen, dass starke
                                                                              CNTS die Zusammenarbeit mit einem in diesem Sinne ausgerichteten
Opioide nicht mehr für Patienten mit Fibromyalgie und somatoformen
                                                                              Schmerzzentrum empfiehlt. Dies gilt insbesondere für Patienten mit
Schmerzstörungen verordnet werden.
                                                                              Rückenschmerzen, sowohl bei subakuten als auch bei chronischen un-
Mit der aktualisierten Leitlinie zu den CNTS ergeben sich neue mögliche
                                                                              spezifischen Kreuzschmerzen.
Indikationen für eine kurz- (4–12 Wochen), mittel- (13–26 Wochen) und
                                                                              Die kritische Betrachtung zum Einsatz von Opioiden bei CNTS soll je-
langfristige Therapie (> 26 Wochen) mit opiodhaltigen Analgetika, zum
                                                                              doch nicht zum Verzicht auf diese Substanzen führen, sondern das Pro-
Beispiel bei diabetischer Polyneuropathie, Post-Zoster-Neuralgie, Ar-
                                                                              blembewusstsein im Umgang mit diesen Substanzen schärfen. Die
throseschmerz, chronischem Rückenschmerz, Radikulopathie oder
                                                                              2. Aktualisierung der S3-Leitlinie LONTS ist hierfür ein nützliches Inst-
rheumatoider Arthritis.
                                                                              rument zur sicheren Behandlung, aber auch um Fehlentwicklungen bis
Für andere Indikationen gilt eine kurz- oder langfristige Behandlung mit
                                                                              hin zur Opioidkrise vorzubeugen.
opioidhaltigen Analgetika jedoch nach wie vor als individueller Thera-
pieversuch, so zum Beispiel bei manifester Osteoporose (Wirbelkörper-         1. Zenz M et al.: Orale Opiattherapie bei Patienten mit «nicht-malignen» Schmer-
frakturen), bei postoperativen Schmerzen, beim komplexen regionalen              zen. Schmerz 1990; 4(1): 14–21.
Schmerzsyndrom (CRPS) Typ I und II oder bei Polyneuropathien, die nicht       2. Freynhagen R et al.: Opioids for chronic non-cancer pain. BMJ 2013; 346: f2937.
durch Diabetes oder Zoster verursacht werden – um nur einige zu nen-          3. Häuser W et al.: 2. Aktualisierung der S3-Leitlinie Langzeitanwendungen von
                                                                                 Opioiden bei chronischen nicht tumorbedingten Schmerzen (LONTS). Schmerz
nen. Neben den eigentlichen Schmerzbehandlungen werden jetzt auch
                                                                                 2020; 34(3): 204–244.
Indikationen wie das Restless-legs-Syndrom und das Parkinson-Syn-
drom berücksichtigt.

             mentieren nicht vergessen!) sowie die Information über spe-             eine intrathekale Opioidtherapie bei CNTS möglich (siehe
             zielle Gegebenheiten, wie zum Beispiel mögliche Einschrän-              Praxiswerkzeuge in Tabelle 2). Das verordnete Opioidme-
             kungen beim Autofahren (in der Titrationsphase verboten).               dikament soll ohne Absprache mit dem behandelnden Arzt
                                                                                     nicht gegen ein anderes mit gleicher Substanz ausgetauscht
             Opioidauswahl und Wechselwirkungen                                      werden.
             Retardierte Opioide sind zu bevorzugen. Eine spezielle Emp-             Prinzipiell gilt für alle Patienten, dass Opioide nicht mit
             fehlung für bestimmte Opioide wird nicht gegeben, ebenso-               Tranquilizern kombiniert werden sollen.
             wenig zu der Frage, ob die orale oder die transdermale                  Darüber hinaus sind Wechselwirkungen mit anderen Medi-
             Applikation zu bevorzugen sei. Entscheidend sind die Ge-                kamenten zu bedenken, welche die Wirkung der Opioide
             gebenheiten im individuellen Fall. In seltenen Fällen ist auch          verstärken oder hemmen beziehungsweise zu unerwünsch-

780          ARS MEDICI 24 | 2020
FORTBILDUNG

ten Nebenwirkungen führen können. So wird beispielsweise        Lässt die Opioidwirkung mit der Zeit nach, ist eine erneute
vor der Gefahr einer Atemdepression bei der Kombination         Beurteilung der Situation notwendig, bei der mögliche Ur-
von Opioiden mit Pregabalin oder Gabapentin gewarnt.            sachen abgeklärt werden; dazu gehören Krankheitsprogres-
Das Risiko anticholinerger Syndrome ist insbesondere bei        sion, Opioidtoleranz, opioidbedingte Hyperalgesie (Einzel-
alten Patienten zu beachten. Dieses Risiko kann in der          fälle) sowie Fehlgebrauch.
Schmerzmedizin bei der Kombination von Opioiden mit             Bei Toleranzentwicklung ist eine Opioidrotation indiziert (in
Antidepressiva und Neuroleptika relevant sein. Anticholin-      der Regel nicht mehr als 2 Wechsel). Das neue Opioid sollte
erge Syndrome manifestieren sich durch periphere (Obsti-        in einer Äquivalenzdosis von 50 bis 75 Prozent gegeben
pation, Harnverhalt, Tachykardie, Hypertonie, Mydriasis,        werden. Bei älteren und multimorbiden Patienten werden
trockene Haut und Schleimhaut) oder zentrale Symptome           50 Prozent empfohlen, das Gleiche gilt für Patienten mit einer
(Vigilanzminderung, Aggressivität, Agitiertheit, Halluzina-     hohen Ausgangsdosis (> 120 mg/Tag orales Morphin­
tionen, Koma, Schwindel und Dysarthrie).                        äquivalent). Details und eine Äquivalenztabelle finden sich
Selten, aber gefährlich ist das Serotoninsyndrom, das auch      im Praxiswerkzeug «Opioidrotation» (Tabelle 2). Falls der
bei hohen Dosen einer Opioidmonotherapie auftreten kann,        Erfolg ausbleibt, ist das Opioid schrittweise zu reduzieren.
in der Praxis jedoch eher bei der Kombination von zwei oder     Bei opioidbedingter Hyperalgesie ist das Opioid schritt-
mehr serotonerg wirkenden Substanzen zu bedenken ist.           weise zu reduzieren; auch hier ist eine Opioidrotation mit
In Leitlinien wird gleichzeitig darauf hingewiesen, dass Prä-   einer Äquivalenzanfangsdosis von 50 Prozent möglich.
valenz und klinische Relevanz potenzieller Interaktionen
nicht in jedem Fall durch ausreichende Daten gesichert          Opioidtherapie beenden: Wann und wie?
seien und manche Risiken insofern auch überbewertet wer-        In der Anfangs- und Titrationsphase sind Wirksamkeit und
den könnten. Eine Übersicht zu möglichen Wechselwirkun-         Nebenwirkungen der Opioidtherapie mindestens alle 4 Wo-
gen bietet das Praxiswerkzeug «Interaktionen» (Tabelle 2).      chen, in der Langzeitphase mindestens 1-mal im Quartal zu
                                                                evaluieren und zu dokumentieren.
Titrationsphase                                                 Wenn innert 3 Monaten nach Beginn der Opioidtherapie
Die Titration beginnt mit einer niedrigen Opioiddosis, die      wegen CNTS die inviduellen Therapieziele nicht erreicht
schrittweise gesteigert wird. In der Titrationsphase sind       werden oder nicht tolerable Nebenwirkungen auftreten, ist
andere Analgetika oder nicht retardierte Opioide als Re-        das Opioid schrittweise auszuschleichen.
scue-Medikation erlaubt, nicht jedoch ultraschnell wir-         Das Gleiche gilt, wenn in der Langzeittherapie nicht mehr
kende bukkale oder nasale Opioide.                              der gewünschte Effekt erreicht werden kann und/oder nicht
Nebenwirkungen wie Übelkeit und Obstipation können mit          tolerable Nebenwirkungen auftreten, andere Massnahmen
Antiemetika (meist nur in den ersten 2 bis 4 Monaten nötig)     sinnvoller und wirksamer sind (z. B. OP, ausreichende Be-
oder Laxanzien (ggf. auf Dauer) behandelt werden. Zur           handlung des Grundleidens) oder das Opioid missbräuch-
Behandlung der Obstipation können konventionelle Laxan-         lich verwendet wird.
zien (Natriumpicosulfat, Bisacodyl, Macrogol, Glycerol)         Falls psychische Auffälligkeiten (z. B. gefährdendes Ver-
oder peripher wirksame µ-Opioidrezeptor-Antagonisten            halten für sich und andere, Halluzinationen, Verwirrtheit,
verwendet werden (Methylnaltrexon, Naloxegol, Nalo-             Alkohol-/Drogenmissbrauch, neu auftretende Angststö-
xon-Fixkombination); Details werden im Praxiswerkzeug           rung oder Depression, Delir ohne Demenz, Verschlechte-
«Obstipation» aufgelistet (Tabelle 2).                          rung einer Demenz) mit der Opioidtherapie assoziiert sind,
Ob die vorgängig vereinbarten, individuellen Therapieziele      sind Dosisreduktion, Opioidrotation und schrittweises Ab-
erreicht werden, zeigt sich gemäss klinischer Erfahrung         setzen indiziert.
nach 4 bis 6 Wochen. Eine Maximaldosis von > 120 mg/Tag         Mit allen Patienten ist nach 6 Monaten zu besprechen, die
orales Morphinäquivalent sollte nicht überschritten wer-        Opioiddosis versuchsweise zu reduzieren oder das Medika-
den. Bevor die Dosis in Einzelfällen doch darüber hinaus        ment abzusetzen.
erhöht wird, ist abzuklären, ob eine Opioidtoleranz oder        Der Entzug des Opioids kann mit oder ohne medikamen-
Opioidabhängigkeit vorliegen könnte oder der berechtigte        töse Unterstützung erfolgen; Details werden im Praxiswerk-
Verdacht besteht, dass das verordnete Opioid missbräuch-        zeug «Opioidentzug bei Schmerzpatienten» erläutert (Ta-
lich verwendet wird (z. B. Weitergabe an Dritte).               belle 2).                                              s
Gleichzeitig weisen die Leitlinienautoren ausdrücklich da-
rauf hin, dass bezüglich des Ansprechens auf Opioide            Renate Bonifer
durchaus genetische Unterschiede bestehen, die in Betracht
                                                                Häuser W et al.: 2. Aktualisierung der S3-Leitlinie Langzeitanwendungen
gezogen werden müssen.                                          von Opioiden bei chronischen nicht tumorbedingten Schmerzen (LONTS).
                                                                Schmerz 2020; 34(3): 204–244.
Dauer der Opioidtherapie bei CNTS                               Häuser W et al.: Leitlinienreport der zweiten Aktualisierung der S3-Leitlinie
                                                                «Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht-tumorbedingten Schmerzen
Länger als 3 Monate sollte eine Opioidtherapie bei CNTS
                                                                – LONTS». Schmerz 2020; 34(3): 245–278.
nur bei Ansprechen auf die Therapie erfolgen.                   Online: Deutsche Schmerzgesellschaft e.V.: Langzeitanwendungen von
Nach der Titration ist während der Langzeitgabe in der          Opioiden bei chronischen nicht tumorbedingten Schmerzen (LONTS). 2.
                                                                Aktualisierung, 2020. 1.4.2020; verfügbar unter: https://www.awmf.org/
Regel keine zusätzliche Bedarfsmedikation notwendig. Aus-
                                                                leitlinien/detail/ll/145-003.html; Zugriff am 2.7.2020
nahmen sind möglich, beispielsweise bei Arthroseschmer-
zen, wenn das Gelenk aussergewöhnlich belastet werden           Interessenlage: Einige Mitglieder der Leitlinienkommission deklarieren For-
muss.                                                           schungsgelder oder Berater- und Vortragshonorare verschiedener Firmen.

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