"Was aktuell läuft, ist ehrlich gesagt Wahnsinn" - Cash

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"Was aktuell läuft, ist ehrlich gesagt Wahnsinn" - Cash
01.09.2020 – 07:06 MÄRKTE / AKTIEN

«Was aktuell läuft, ist ehrlich
gesagt Wahnsinn»
Eugi Burgener, Swiss Equity Sales bei Mirabaud Securities, sieht in
einem zwischen Lustlosigkeit, Hoffnung und Euphorie geteilten Markt
bei Nebenwerten Chancen.

STEFAN KRÄHENBÜHL

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     «Bei der IT-Blase dachten viele auch schon früh, sie müsse platzen»: Eugi Burgener, Swiss Equity Sales
     bei Mirabaud Securities. (Bild: Francisco Seco/AP/Keystone)

Herr Burgener, der Swiss Performance Index notiert wieder auf dem
Niveau von Anfang Jahr. Hätten Sie das im März erwartet?
Nein, definitiv nicht. Zumal vieles noch im Argen liegt. Man denke nur schon an die
ganzen zyklischen Branchen wie die Autoindustrie oder den Tourismus. Die rasche
Erholung ist genauso übertrieben, wie es der zu starke Kurseinbruch war.
"Was aktuell läuft, ist ehrlich gesagt Wahnsinn" - Cash
Eugi

Burgener. Bild: zvg

Seit einiger Zeit tendiert die Börse nun aber seitwärts. Kehrt Vernunft
ein?
Zumindest ist die Volatilität stark zurückgekommen, und der Umsatz an der Börse
hat sich mehr als gedrittelt. Beides spricht für eine Normalisierung. Ich sehe aber
auch, dass als Anleger derzeit weniger Institutionelle, dafür umso häufiger
Kleinsparer in Erscheinung treten.
Was fällt Ihnen dabei auf?
Es wird oft nicht aus Überzeugung gehandelt, sondern weil das Geld irgendwo
investiert sein will. Die Aktien, denen ein gutes Geschäftsmodell zugrunde liegt, sind
ja schon recht stark gestiegen. Dennoch geht die Rally weiter. Und es kommt zu teils
fragwürdigen Übertreibungen.

Die Aktien von Relief Therapeutics (RLF 0.544 -2.86%) sind seit Jahresbeginn
um bis zu 70 000% gestiegen. Meinen Sie solche Übertreibungen?
Das Beispiel der Penny Stocks verdeutlicht den Trend. Relief Therapeutics,
Blackstone Ressources, Asmallworld (ASWN 1.95 0%) – da wird eine Anlagekategorie
gekauft, die Institutionelle nicht einmal anschauen würden.

Aktionäre hatten gehofft, Mitte Jahr mehr Klarheit zu erhalten, wo ihre
Unternehmen stehen. Bislang ein unerfüllter Wunsch.
Die aktuelle Berichtssaison zeigt: Obwohl schon acht Monate um sind, können noch
immer viele Firmen keine Prognose abgeben. Auch grössere wie
Straumann (STMN 888.8 0%) oder Alcon (ALC 51.6 0.47%) betrifft das. Sie wissen nicht, ob
die jetzige Nachfrage von Nachholbedarf geprägt oder normal ist. Vermutlich sind wir
nach dem dritten Quartal schlauer. Dann dürfte auch der Fokus wieder in Richtung
Fundamentaldaten gehen.

Droht den Coronagewinnern ein baldiger Kurseinbruch? Die
Bewertungen fussen teils auf enormen Vorschusslorbeeren.
Corona wird uns noch lange begleiten. Novartis-CEO Vas Narasimhan äusserte sich
jüngst, er rechne mit Einschränkungen im gesamten 2021. Die Aktien der
Coronagewinner, zu denen die Pharmazulieferer Lonza (LONN 555 -0.96%),
Bachem (BANB 387 1.44%), Siegfried (SFZN 518 1.07%) oder der Laborausrüster
Tecan (TECN 413.2 1.22%) gehören, dürften deshalb weiterhin gut laufen. Ausserhalb von
Pharma zähle ich auch die Logistiker Kardex (KARN 187.2 0%) und
Also (ALSN 248.5 2.05%) oder Logitech (LOGN 68.36 2.3%) dazu.

Corona bleibt das relevante Kriterium?
Nicht nur. In den vergangenen Wochen hat das Thema nachhaltige Anlagen wieder
an Relevanz gewonnen. Insbesondere institutionelle Investoren legen mehr und mehr
Wert auf gute Nachhaltigkeitsratings, davon profitieren in der Schweiz beispielsweise
Geberit (GEBN 521.2 0.12%), Belimo (BEAN 7690 -2.53%), Zehnder (ZEHN 45.4 -2.99%) oder
Gurit (GUR 1752 2.94%).
Aber nochmals: Coronaprofiteure wie Lonza, Bachem oder Zur
Rose (ROSE 237 -3.46%) müssten enorme Wachstumsraten liefern, um den
Bewertungen gerecht zu werden. Ihre Kursrally kann doch nicht ewig
halten?
Eine Antwort auf diese Frage suchen wir im Moment täglich – und bekommen doch
keine. Es ist ein bisschen wie bei den FAANG-Aktien – Facebook (FB 298.0443 1.65%),
Apple (AAPL 132.42 2.62%), Amazon (AMZN 3497.115 1.34%), Netflix (NFLX 551.8899 4.22%),
Google – in den USA. Wir beobachten einen Geldstrom, der immer dieselben Titel
sucht. Wie weit das noch geht, diese Frage stellen wir uns alle.

Was schätzen Sie?
Bei der IT-Blase dachten viele auch schon früh, sie müsse platzen. Doch die Kurse
stiegen weiter. Bis zur Entladung kann es noch dauern. Aber sie kommt. Natürlich
bietet der Aktienmarkt Anlegern jedoch immer noch Chancen. Auch wenn vieles
längst nicht mehr rational ist.

Noch auf vernünftigen Niveaus gesucht scheint die Halbleiterindustrie.
Ihr Urteil?
Die Branche hat eine hohe Visibilität. Und sie zeigt Wachstum. Damit erfüllt sie -
genau das, wonach der Markt sucht: VAT, Inficon (IFCN 783 1.42%) und
Comet (COTN 143.6 1.27%), die alle im Halbleitergeschäft sind, profitieren davon. Anders
ist es mit U-Blox (UBXN 52.65 3.44%). Visibilität ist halt nicht alles. Es braucht auch ein
gutes Geschäftsmodell und ein gutes Management.

Investora Zürich
Die Investora Zürich bringt am 23. und 24. September in der Samsung Hall in Zürich-Stettbach
Top-Führungskräfte von rund drei Dutzend kotierten Schweizer Unternehmen aus dem Small-
und Mid-Cap-Segment mit Investoren zusammen. Die Präsentationen der Unternehmen werden
umrahmt von Gesprächsrunden zu börsenrelevanten Themen. Die Konferenz richtet sich an
institutionelle und qualifizierte Investoren, Analysten, Vermögensverwalter und Anlageberater.

«Finanz und Wirtschaft» ist Medienpartner; Alantra, BDO, Mirabaud, Schellenberg Wittmer und
SIX Exchange sind Partner der Investora Zürich.

Geschäftsmodelle können aber sehr schnell an Gültigkeit verlieren.
Das sieht man bei MCH Group (MCHN 15.8 5.69%), Kudelski (KUD 3.115 -0.8%) oder TX
Group (TXGN 69.7 -2.92%). Und oftmals kann das Unternehmen nicht einmal viel für die
schlechte Performance. Nehmen Sie TX Group: Für einen Trend, wie ihm die -
Medienbranche unterworfen ist, kann das Management nichts.

Wer nicht profitiert, wird nicht gekauft. Richtig?
Die Bewertungen sprechen eine klare Sprache. Versicherungen will im Moment
beispielsweise niemand. Natürlich gibt es aber auch in den weniger nachgefragten
Sektoren Unterschiede. So auch bei den Versicherern: Swiss Life (SLHN 368.2 0.93%) ist
viel günstiger als Zurich.

Eine Einstiegsmöglichkeit?
Swiss Life müsste aufholen. Das Unternehmen hat wie Zurich gute Zahlen
präsentiert, hinkt ihr an der Börse aber hinterher. Möglich, dass die
Erwartungshaltung im Vorfeld zu negativ war.

Ebenfalls nicht in der Gunst der Anleger steht die Automobilindustrie.
Bis sie sich erholt, kann es noch länger dauern – abwarten ist deshalb angesagt. Auf
meine Liste würde ich im Sektor aber eher Unternehmen mit einer gewissen
Diversifikation setzen. Also statt Autoneum (AUTN 108.5 0%) Georg Fischer (FI-N 897 -
0.11%),
      die neben der Automobilindustrie in anderen, stabilisierenden Sparten ist.
Oder man setzt auf Lem (LEHN 1640 1.74%), die Teile für batteriebetriebene Autos liefert.

Wo sehen Sie für Anleger im Small- und Mid-Caps-Universum Chancen?
Generell setze ich weiterhin auf Qualität, ein gutes Management, ein gutes
Geschäftsmodell und eine solide Bilanz. Interessant ist der Werkstoffhersteller Gurit,
der voll auf Windenergie setzt. Nachhaltigkeit wird ein Trendthema bleiben. Auch die
Zahlen waren gut, und die Aktien sind noch nicht zu teuer. Der Pharmazulieferer
Siegfried hat Nachholbedarf auf Lonza und Bachem. Ebenfalls attraktiv sind
SoftwareOne (SWON 26.75 -0.37%), die noch nicht so stark im Fokus der Anleger sind.
Und wenn man das Portfolio zusätzlich absichern will, kann man es mit dem
Versorger BKW (BKW 92.9 4.97%) unterlegen.

Wo ist die Luft draussen?
Zur Rose ist ein gutes Beispiel. Klar, das Geschäftsmodell besticht. Aber bislang
stimmen die Zahlen nicht, und das Unternehmen hat die Guidance nicht im Griff.
Irritierend ist ausserdem, dass ein Teil des Managements kurz vor der Publikation
der Halbjahreszahlen Kasse gemacht hat. Ein Manager hat am Tag vor dem Ergebnis
noch für 4 Mio. Fr. Anteile verkauft. Das sorgt nicht für Vertrauen.

Kommt es wegen der raschen Erholung generell vermehrt zu
Managementtransaktionen?
Es scheint so. Was aktuell läuft, ist ehrlich gesagt Wahnsinn. Ich sehe praktisch keine
Käufe mehr, nur noch Verkäufe. Auch das ist ein Zeichen dafür, dass die Luft nach
oben dünn wird.
Sie haben unter den belasteten Branchen anfangs den Tourismus
erwähnt. Glauben Sie an eine baldige Erholung?
Wenn ich höre, dass man privat noch lange nicht richtig reisen wird und viele Firmen
keine Reisen erlauben: Nein. Das lastet auf Aktien wie Dufry (DUFN 26.88 -1.07%),
Flughafen Zürich und Valora (VALN 168.6 0.24%). Jedoch: Sobald eine Nachricht über
einen möglichen Impfstoff kommt, gehören sie jedes Mal zu den Tagesgewinnern. Die
Hoffnung auf baldige Normalität keimt dieser Tage schnell auf.

Sie sind pessimistischer.
Ja. Die Schweizer Bergbahnen hatten ursprünglich die Hoffnung, dass asiatische
Touristen ab Oktober wieder kommen. Das können sie vergessen. Das Jahr 2020 ist
abgeschrieben.

Zeit, sich stärker auf die gute, alte Dividende zu stützen statt auf
Kursgewinne.
Dividendenrenditen über 3% sind angesichts der tiefen Zinsen natürlich wunderbar.
Aber man muss darauf achten, die richtigen Aktien zu kaufen. Einige Unternehmen
haben die Ausschüttung bereits gestrichen. Und es werden noch nicht alle gewesen
sein.
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