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Die ökonomischen Folgen der Pandemie #Corona – Facetten, Implikationen und Auswirkungen einer Pandemie Prof. Dr. Friedrich Heinemann (ZEW Mannheim und Universität Heidelberg) Stand: 27. Mai 2020
Gliederung 1. Historische Einordnung: Die Erfahrungen der „Spanischen Grippe“ 2. Zum Charakter des ökonomischen Corona-Schocks 3. Erste Quantifizierungen zur Deutschland-Konjunktur 2020 4. Szenarien zum Verlauf der (ökonomischen) Krise 5. Die gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Strategien 6. Die Welt nach Corona
Spanische Grippe - Daten Quelle: Robert J. Barro/José F. Ursua/Joanna Wenig (2020): The Coronavirus and the Great Influenza Epidemic, March 2020: • 1918-1920 39 Mio. Grippe-Tote oder 2,0 Prozent der Weltbevölkerung. • Starke Streuung: In Indien starben 5,2 Prozent der Bevölkerung, in USA 0,5 Prozent, in Deutschland und Frankreich 0,8 Prozent. • Für heutige Weltbevölkerung ergäbe sich eine Todesfallzahl von 150 Mio. 6
Ökonomische Folgen der Spanischen Grippe Barro et al. (2020): Die größten ökonomischen Desaster der Welt seit 1870 waren (gemessen am BIP- und Konsumrückgang) in dieser Reihenfolge: - Der Zweite Weltkrieg - Die Große Depression der frühen 1930er - Der Erste Weltkrieg - Die Spanische Grippe Spanische Grippe hat BIP eines Landes mit durchschnittlicher Todesrate um 6,0 Prozent reduziert (auf Dauer). Zum Vergleich: Erster Weltkrieg hat BIP eines Landes mit durchschnittlicher Opferzahl um 8,4 Prozent verringert (auf Dauer). 7
Lehren Pandemien können einschneidende ökonomische Ereignisse darstellen, die in ihren Folgen für BIP und Konsum Kriegen vergleichbar sind. Unterschied 1918/20 zu heute: • Sozialstaat, hohe Staatsquoten • Heute höheres Wissen zu makroökonomischer Stabilisierungspolitik - Qualität des Gesundheitssystems Aber auch: • Gesellschaftlicher Konsens heute stärker ausgeprägt, Leben zu schützen („koste es, was es wolle“) als in der Ära am Ende des Ersten Weltkriegs. 8
Das Wesen des Corona-Wirtschaftsschocks Angebotsschock: • Internationale Lieferketten gestört • Erkrankungen, Quarantäne, Schul- und Kitaschließungen: Verfügbarkeit von Arbeitskräften sinkt • Verordnete Schließung von Unternehmen (Hotels, Gaststätten, Reiseverkehr, Airlines, persönliche Dienstleistungen, Fabriken (Italien)) Nachfrageschock: • Ausgangssperren, Angst, geschlossene Läden vermindern Konsumnachfrage • Einbruch in der effektiven Beschäftigung (ob via Kurzarbeit oder Entlassungen) • Effekt auf Konsum gebremst in den Ländern mit leistungsfähigem Sozialstaat • Abruptes Einfrieren ganzer Sektoren führt unmittelbar zu drastischem Nachfrageausfall aus diesen Unternehmen 10
Ein kombinierter Angebots- und Nachfrageschock: Schwere Kontraktion, aber kein (Starker) Preiseffekt 11
3. Erste Quantifizierungen 12
Ifo-Studie März 2020 Rechnung analysiert „Shutdown“ über Anteil der Sektoren an der Wirtschaftsleistung. Beispiel: • Vollständige Einstellung der Produktion für Sport, Unterhaltung und Erholung, Reisebüros oder Restaurants und Bars • Pharmaindustrie, die Versorgungsunternehmen, Gesundheitssektor oder die Land- und Forstwirtschaft arbeiten voll weiter (optimistisch) Ablauf: Shutdown, Post-Shutdown -Erholungsphase, Normalniveau 13
Ifo-Szenarien Shut-Down und Erholung ifo 14
15
BIP-Entwicklung 2020 in % (Monate Shut-Down/Monate Erholung) Rezession 1/1 optim 2009 1/1 pessim 1/2 optim 1/2 pessim 2/1 optim 2/1 pessim 2/3 optim 2/3 pessim 0 -2 -4 -4,3 -6 -5,7 -6,1 -5,7 -8 -7,5 -7,2 -10 -10,1 -10,4 -12 -14 -14 -16 ifo 16
Pessimismus der BIP-Prognosen nimmt auch für Deutschland zu Sachverständigenrat 29. März 2020: − Basisszenario -2,8 Prozent Gesamtjahr − Risikoszenario -5,4 Prozent Gesamtjahr Gemeinschaftsdiagnose 8. April 2020: − -4,2 Prozent Gesamtjahr IWF 14. April 2020: − Korrektur globales Wachstum von +3,4 auf -3,0 Prozent − Rezession in 170 Ländern der Erde − Deutschland -7,0 Prozent Gesamtjahr Deutsche Bundesbank 20. April 2020 − „Schwere Rezession, … rasche und starke wirtschaftliche Erholung erscheint … aus gegenwärtiger Perspektive eher unwahrscheinlich.“ Bundesregierung 24. April 2020 - Rezession -6,3 Prozent Europäische Zentralbank 30. April 2020 − Eurozone erlebt Rezession zwischen -5 und -12 Prozent 17
BIP-Entwicklung 1992 - 2020 6 4 2 0 -2 -4 -6 -8 -10 AMECO, ifo 18
Fiskalische Kosten: Wir kennen Sie noch lange nicht • Rückgang Mehrwertsteuer durch Konsumrückgang • Rückgang Ertragsteuern Unternehmen • Rückgang Lohnsteuereinnahmen • Ausgabenanstieg Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit • Finanzierungsdefizite Gesundheitssystem • Ifo-Schätzung: 50 – 200 Mrd. Euro Kosten nur in diesem Jahr • Nicht enthalten: Abschreibungsbedarf auf Krisendarlehen, Verluste aus Bürgschaften, neue Lasten europäische Rettungsschirme • Deutschland könnte 2020 auf Staatsdefizit in Höhe von 7 bis über 10 Prozent des BIP zusteuern. 19
4. Szenarien zum Verlauf 20
Die Szenarien zum Verlauf 1. Quick suppression – Potenzial für V-Kurve (aber Zweifel am symmetrischen V) 2. Balanced path – W-Kurve auf stark verringertem Niveau 3. Long right tail – L-Kurve, Depression 4. Losing the fight – Potenzial für V-Kurve (aber humanitäre Katastrophe) 21
Mögliche Krisenverstärker • Globale Gleichzeitigkeit der Krise führt zu Kontraktion Welthandel • Kreditausfälle – könnte Banken gefährden, die geschwächt sind – Bankenkrise? • Fiskalischen Folgen der Rettungspolitik gefährdet Solvenz hoch verschuldeter Staaten (Italien, Spanien, Portugal, Frankreich…) – Schuldenkrise? • Nationale Alleingänge gefährden EU – europäische Integrationskrise? Risiken verringern sich stark bei V-Verlauf. 22
US-Arbeitslosigkeit – auf dem Weg zum all-time high? 23
Der Fiskalische Spielraum in Europa Staatsschulden-BIP (in %) 200,0 180,0 160,0 140,0 120,0 100,0 80,0 60,0 40,0 20,0 0,0 Europäische Kommission 2019 Delta 2021 24
5. Krisenpolitik 25
Kann man eine Ökonomie ohne Schaden in einen „Winterschlaf“ versetzen? 26
Ökonomischer Winterschlaf funktioniert nicht • Fixkosten laufen weiter für Unternehmen und Privatpersonen • Erträge stark reduziert oder kommt völlig zum Erliegen Es gibt keinen „ökonomischen Winterschlaf“. Kosten/Konsum läuft weiter, Erträge fehlen. „Aufwachen im Frühling“ nicht garantiert Konsequenzen: • Ausfall von Cashflow reduziert Liquidität • Verlustsituation reduziert Eigenkapital • Wenn Liquidität ausgeht und/oder Eigenkapital aufgezehrt ist: Insolvenz 27
Ziel der Ökonomischen Corona-Politik Seuche eindämmen Langfristigen Schaden für Wachstumspotenzial minimieren • Menschen im Job halten: Humankapital bewahren • Unternehmen intakt halten Ansatzpunkte: • Lohnkosten • Liquidität • Eigenkapital • Insolvenzfristen Bund und Länder sind aktiv geworden. 28
Das Krisenpaket der Bundesregierung Ausweitung der Regeln für Kurzarbeit – z.B inklusive der vollständigen Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge durch die Bundesagentur für Arbeit. Steuerstundungen, Absenkung von Vorauszahlungen, Verzicht auf Vollstreckungsmaßnahmen wie Säumniszuschläge. Direkthilfen-Programm für kleine Unternehmen im Umfang von 50 Milliarden (9- 15 TEUR pro Unternehmen für drei Monate). Wirtschaftsstabilisierungsfonds mit einem Volumen von bis zu 600 Milliarden Euro für Unternehmen ab 250 Mitarbeiter (Garantien, Kredite, Rekapitalisierung). Aussetzung der Insolvenzantragsfristen, um Unternehmer vom Druck der insolvenzrechtlichen Vorgaben zu entlasten. 29
Christine Lagarde‘s „Whatever it Takes“ EZB hat am 18. März neues Wertpapierkaufprogramm gestartet: „Pandemic Emergency Purchase Programme“ im Umfang von zunächst 750 Mrd. Euro bis Jahresende. Wichtiges Detail: EZB-Kapitalschlüssel anders als bei bisherigem Kaufprogramm nicht mehr verbindlich. 30
Renditen Staatsanleihen 10 Jahre: Deutschland 31 Trading Economics
Renditen Staatsanleihen 10 Jahre: Italien Trading Economics 32
Die bisherigen Antworten Europas betreffen die kurze Frist 33
Die Debatte über weitere Instrumente Europäische Zentralbank - Fortsetzung Anleihekaufprogramm PSPP (Urteil BVerfG) - Neues Krisenprogramm PEPP – „Pandemic“ or „Permanent“? Mehrjähriger Finanzrahmen: MFR - EU-Budgets für die Jahre 2021 bis 2027 - Niveau, Ausgabenschwerpunkte, Finanzierung „ Recovery Fund“ - Instrumente: Kredite versus Zuschüsse? - Ausgabeschwerpunkte, Bedingungen, Überwachung? - Finanzierung: Beiträge, neue Eigenmittel, Schulden (Corona-Bonds)? - Timing, Dauer? 34
Lesetipps zur Diskussion um Corona- Bonds: www.zew.de, www.insm-oekonomenblog.de, Wirtschaftswoche 35
6. Die Welt nach Corona 36
Ruhe bewahren - CoVID-19 ist kein „Krieg“ • Wir konzentrieren uns heute auf Rettung von Leben, Kriege tun das Gegenteil • Seuche zerstört keine Produktionskapazität • COVID-10 (anders als Spanische Grippe) reduzierte die Verfügbarkeit von Arbeitskräften nicht dauerhaft (nach Ende der Pandemie) 37
Corona ist jedoch ein Einschnitt • Temporärer Schritt in Richtung Staatswirtschaft • Stark erhöhte öffentliche Schulden senken Spielräume • Nicht nur vorübergehende sektorale Auswirkungen • Ein gewaltiger Digitalisierungsschub • Europa: Integrationsschub oder weiterer Zerfall? • Gesellschaftlicher Zusammenhalt niedriger (Verteilungskämpfe) oder höher („gemeinsame Bewältigung“) ? 38
Zum Schluss: Wir sollten die Anpassungsfähigkeit von marktwirtschaftlichen Systemen nicht unterschätzen! 39
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