Im Interview: Olaf Scholz, Bundesfinanzminister - Bundesfinanzministerium

 
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Im Interview: Olaf Scholz, Bundesfinanzminister - Bundesfinanzministerium
Mehr Steuergerechtigkeit weltweit                                              BMF-Monatsbericht
                                                                                                   Juli 2021

  Bundesfinanzminister Olaf Scholz
  © Bundesministerium der Finanzen/photothek

Im Interview:
Olaf Scholz, Bundesfinanzminister
   Wie kann eine globale effek-                            ist gerecht – und richtig, denn gerade die Pande-
   tive Mindestbesteuerung tat-                            mie hat gezeigt, wie wichtig es ist, dass die Staaten
   sächlich mehr Steuergerech-                             über ausreichend finanzielle Ressourcen verfügen,
                                                           um ihre Bürgerinnen und Bürger zu schützen, Un-
   tigkeit weltweit erzeugen?                              ternehmen zu stützen und Arbeitsplätze zu sichern.

Mit der globalen Mindestbesteuerung beenden
wir den weltweiten Wettlauf um möglichst nied-                Stichwort global – wie können
rige Steuersätze. Künftig soll für international agie-        sich so viele Staaten der Welt
rende Konzerne ein effektiver Steuersatz von min-
destens 15 Prozent gelten. Damit trocknen wir
                                                              einigen? Wie funktioniert ein
Steueroasen aus. Denn Unternehmen haben nicht                 globaler Verhandlungsprozess?
mehr die Chance, ihre Steuer künstlich kleinzu-
rechnen, indem sie ihre Gewinne in Staaten mit be-         Die G20-Mitglieder, die Staaten der Organisation
sonders niedrigen Steuersätzen verschieben. Die            für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
globale effektive Mindestbesteuerung stellt sicher,        lung (OECD) und eine Reihe von Entwicklungs-
dass jedes Unternehmen seinen fairen Beitrag zur           und Schwellenländern haben sich im Jahr 2012
Finanzierung des Gemeinwesens leisten muss. Das            dem BEPS-Projekt angeschlossen. BEPS steht für

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Im Interview: Olaf Scholz, Bundesfinanzminister - Bundesfinanzministerium
Mehr Steuergerechtigkeit weltweit                                                   BMF-Monatsbericht
          Im Interview: Olaf Scholz, Bundesfinanzminister                                             Juli 2021

Base Erosion and Profit Shifting – auf Deutsch etwa           Kombination aus mehreren Faktoren neben der
Gewinnkürzung und Gewinnverlagerung. Das er-                  Beharrlichkeit der Verhandlungsführung zum Er-
klärte Ziel dieser 139 Staaten ist es, internatio-            folg geführt. Insbesondere die Corona-Pande-
nal abgestimmt und gemeinsam gegen aggressive                 mie hat allen Staaten sehr deutlich vor Augen ge-
Steuervermeidung zu kämpfen. Solche globalen                  führt, wie eng die Welt miteinander verbunden

                                                                                                                     Schlaglicht
Ansätze sind mühsam, aber der einzige Weg, wenn               ist, wie erfolgreich eine gute Zusammenarbeit sein
man weltweit verbindliche Standards eta­     blieren          kann und wie wichtig es für Staaten ist, über aus-
will.                                                         reichend Finanzkraft zu verfügen. Hilfreich war si-
                                                              cherlich auch das öffentliche Bekenntnis der neuen
Im Jahr 2018 hat Deutschland gemeinsam mit                    US-Regierung zu diesem Projekt, mit dem im Früh-
Frankreich den Vorschlag einer globalen effektiven            jahr 2021 dann neuer Schwung und positive Dy-
Mindestbesteuerung in die Verhandlung auf Ebene               namik in die Verhandlungen kamen. Dafür bin ich
der OECD eingebracht. Sowohl die Frage einer                  sehr dankbar.
Mindestbesteuerung als auch die Frage der Neu-
verteilung der internationalen Besteuerungsrechte
wurden stets gemeinsam verhandelt und disku-                     Wie können Staaten wie Irland
tiert. Seither hat es eine Vielzahl von Treffen und              davon überzeugt werden,
Videokonferenzen gegeben; auch bei den Spitzen-
gesprächen auf Ebenen von G7, G20, der IWF-Ta-
                                                                 bei einer globalen effektiven
gungen und bei unzähligen bilateralen Begegnun-                  Mindestbesteuerung
gen hat dieses Thema breiten Raum eingenommen.                   mitzumachen, die einen
Am 1. Juli 2021 haben sich schließlich 130 Staa-                 niedrigeren Steuersatz als die
ten (nach gegenwärtigem Stand: 132 Staaten) auf
diese Lösung verständigt – was ein kolossaler Er-
                                                                 geplante Mindestbesteuerung
folg ist für mehr Steuergerechtigkeit. Damit ist ein             haben?
riesiger Schritt getan, die nächsten Schritte müs-
sen nun folgen, damit diese Einigung überall um-              Keinem Staat wird vorgeschrieben, welcher Steu-
gesetzt wird.                                                 ersatz für Unternehmen in seinem Land gelten
                                                              soll. Allerdings erhalten Staaten, die einen höheren
                                                              Steuersatz erheben, die Möglichkeit, auf die sehr
   Das Projekt, eine weltweit                                 niedrigen Steuersätze anderer Staaten zu reagie-
   geltende Mindestbesteuerung                                ren. Sie können z. B. Gewinne nachversteuern, die
                                                              Unternehmen ins Ausland verschoben haben. Die
   für die Global Player der Wirt-                            Höhe dieser (Nach-)Besteuerung richtet sich dabei
   schaft einzurichten, ist nicht                             nach der Differenz zwischen der tatsächlichen Be-
   neu. Was hat schließlich für                               steuerung im anderen Land und dem vereinbar-
   den Durchbruch gesorgt, dass                               ten Mindeststeuersatz. Ein Beispiel: Staat X ver-
                                                              langt einen Steuersatz von 7 Prozent. Staat Y hat
   es dabei nun vorangeht? Gab                                nun die Möglichkeit, die Gewinne des Konzerns,
   es den einen Turning Point?                                die in seinem Land anfallen, mit weiteren 8 Prozent
                                                              (15 %-7 %=8 %) nachzuversteuern.
Die globale Mindestbesteuerung beruht, wie ge-
sagt, auf einem Vorschlag, den ich gemeinsam mit              Die Mindestbesteuerung ist also so konzipiert,
meinem französischen Kollegen Bruno Le Maire                  dass sie die Souveränität der Einzelstaaten respek-
2018 in die internationale Diskussion eingebracht             tiert und berücksichtigt. Die globale effektive Min-
habe. Seit Anfang 2019 war sie fester Bestand-                destbesteuerung bringt auch Vorteile für Nied-
teil der OECD-Verhandlungen. Letztlich hat eine               rigsteuerländer. Für sie fällt der Druck weg, beim

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Mehr Steuergerechtigkeit weltweit                                                    BMF-Monatsbericht
          Im Interview: Olaf Scholz, Bundesfinanzminister                                              Juli 2021

schädlichen Steuersenkungswettbewerb („race to                   Das Zwei-Säulen-Projekt
the bottom“) anderer mitmachen zu müssen. Wir                    zielt auf multinationale
sind überzeugt, dass die Staaten, die der internati-
                                                                 Großkonzerne ab. Im
onalen Einigung bisher noch nicht zugestimmt ha-
ben, sich der positiven internationalen Dynamik
                                                                 Fokus stehen aber auch
auf Dauer nicht entziehen wollen und ebenfalls                   Digitalunternehmen. Warum
diese historische Chance für mehr globale Steuer-                war Ihnen dies besonders
gerechtigkeit ergreifen werden.
                                                                 wichtig?
                                                              Das immense Wachstum der Plattformkonzerne
   Der öffentliche Druck auf                                  zeigt, wie gravierend Geschäftsmodelle und da-
   Unternehmen wird stetig                                    mit Unternehmensstrukturen durch die Digita-
                                                              lisierung verändert werden. In den vergangenen
   erhöht. Einige Unternehmen                                 zehn Jahren, insbesondere aber auch durch die Co-
   sehen sich zu Unrecht an                                   rona-Krise, ist die Branche digitaler Produkte und
   den Pranger gestellt, andere                               Dienstleistungen stark gewachsen. Denken wir
   fürchten Fesseln für das                                   beispielsweise an den starken Zuwachs bei On-
                                                              line-Meetings, beim Einkaufen online, bei Strea-
   Wachstum. Wie gehen                                        mingdiensten – und unzählige weitere Bereiche.
   Sie mit dem Widerstand                                     Sie alle haben sich in der Pandemie sehr schnell
   der Wirtschaft um? Wie                                     verändert und sind digitaler geworden.
   überzeugen Sie die Zweifler
                                                              Dieser Wirtschaftsbereich wird oft von multinati-
   unter den Unternehmern?                                    onalen Konzernen und immateriellen Gütern wie
                                                              Kommunikations- oder Handelsplattformen ge-
Durch die internationale Verständigung erlangen               prägt. Er hat einen völlig anderen Wertschöpfungs-
die Unternehmen die nötige Rechtssicherheit, um               prozess als die klassische Industrie. Das ist eine der
die sie seit Längerem zu Recht bitten. Denn wenn              größten Herausforderungen für unsere Steuersys-
jedes Land eigene Regeln zur Besteuerung interna-             teme: Immaterielle Werte und grenzüberschrei-
tionaler Unternehmen entwickelt, ohne Absprache               tende Dienstleistungen ermöglichen es Unter-
mit anderen Staaten, würde dies einen Flickentep-             nehmen, in einem Land Produkte zu verkaufen,
pich an Regelungen ergeben. Deshalb gibt es viel              ohne dort physisch präsent zu sein. Eine physi-
Unterstützung in der Wirtschaft für unseren Weg,              sche Präsenz ist aber oft eine steuerrechtliche Vo-
das internationale Steuersystem in enger inter-               raussetzung, damit dort erzielte Gewinne besteuert
nationaler Zusammenarbeit fit zu machen für die               werden können. Es sind vor allem große Digitalun-
Zukunft.                                                      ternehmen, die hohe Umsätze erwirtschaften und
                                                              eine überdurchschnittlich hohe Profitabilität auf-
                                                              weisen. Wenn wir also von einer fairen Besteue-
                                                              rung multinationaler Großkonzerne sprechen, ist
                                                              es besonders wichtig, auch alle großen Digitalun-
                                                              ternehmen einzubeziehen.

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Mehr Steuergerechtigkeit weltweit                      BMF-Monatsbericht
            Im Interview: Olaf Scholz, Bundesfinanzminister                Juli 2021

   In welchem Moment haben
   Sie gezweifelt, ob es eine
   Vereinbarung über eine
   globale Mindestbesteuerung

                                                                                       Schlaglicht
   bis zu diesem Sommer gibt?
Meine langen Erfahrungen mit Verhandlungen ha-
ben bei mir die Erkenntnis reifen lassen, dass sol-
che Prozesse ihre Höhen und Tiefen durchlaufen,
manchmal auch Längen haben. Doch ich war im-
mer zuversichtlich, dass es letztlich zu einer inter-
nationalen Einigung kommen wird. Jetzt ist es ein-
fach schön, dass wir eine Vereinbarung geschafft
haben. Die Welt wird damit gerechter.

  Bundesfinanzminister Olaf Scholz
  © Bundesministerium der Finanzen/photothek

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